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Fenster zur Forschung

Fenster zur Forschung (02/2014)

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Das Wissenschaftsmagazin des Paul Scherrer Instituts

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Fenster zur Forschung

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4 l Fenster zur Forschung 2014

5 Dank unserer Vielfalt

6 / 7 In Kürze:

Botox

Altes Blech

Gleichzeitig?

Tiefenwirkung

8 / 9 Solares Nutzerlabor

10 – 12 Anlagen für die Forschergemeinde

13 – 15 Elektromagnetische Kooperation

16 / 17 Polymechanikerin auf Achse

18 / 19 Grossbau im Millimeterbereich

20 / 21 Die Grossforschungsanlagen des PSI

22 / 23 Das PSI ist ein Nutzerlabor

24 / 25 Die Forschungsschwerpunkte des PSI

26 Das PSI im Überblick

27 Impressum

Inhalt

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Fenster zur Forschung 2014 l 5

Sehr geehrte LeserinSehr geehrter Leser

Das PSI beschäftigt derzeit Menschen aus

über 60 Nationen. Kürzlich fragte mich ein

Journalist, ob diese Vielfalt das Ergebnis ei-

ner bewussten Strategie des PSI oder ein-

fach Zufall sei? Die Frage überraschte mich,

weil sie deutlich macht, wie schwierig es

sein kann, einen komplexen Zusammen-

hang zu bewerten, der für die Forschung

und im Endeffekt auch für die Schweizer

Gesellschaft insgesamt sehr wesentlich ist.

Deshalb möchte ich meine Sicht kurz

schildern.

Die Zukunft der Schweiz hängt zu ei-

nem grossen Teil von ihrer Innovationskraft

ab. Das ist weitgehend unbestritten. Denn

in einer globalisierten Welt, in der ständig

neue sogenannte «aufstrebende» Länder

ins Rampenlicht treten, werden wir uns nur

behaupten können, wenn wir der Konkur-

renz stets einige Schritte voraus sind. Für

den Technologiebereich setzt dies ein lang-

fristiges Engagement in Forschung und Bil-

dung voraus – mit einem Zeithorizont von

zuweilen mehr als einer Generation.

Ihre geringe Grösse bedeutet für die

Schweiz sowohl Vorteile als auch Nachteile.

Von Vorteil ist, dass wir uns auf Nischen-

märkte konzentrieren können, in denen

sich Spitzenqualität auszahlt. Nachteilig ist,

dass unsere Hochschulen aufgrund ihrer

Grösse und Zahl unmöglich alle Disziplinen

abdecken können, die zur Entwicklung

komplexer Hightech-Produkte erforderlich

sind. Auch hat die Schweiz nicht genügend

junge Leute, die gleichzeitig begabt und

interessiert sind, diese Lücke durch ein

Studium im Ausland zu schliessen, um an-

schliessend in der Schweiz tätig zu sein. Die-

sen Nachteil kompensiert die Schweiz

derzeit mit der Anstellung von Spezialistin-

nen und Spezialisten aus aller Welt.

Was für die Schweiz gilt, trifft natürlich

auch auf das PSI zu – sogar noch in verstärk-

tem Masse. Um auf die Frage unseres Jour-

nalisten zurückzukommen: Die Diversität im

PSI ist das Ergebnis einer bewussten Wahl

zugunsten von Innovation und Exzellenz,

der sich unsere Gesellschaft bereits vor über

einem Jahrhundert verschrieben hat. Ich bin

überzeugt, dass die weise Wahl unserer Vor-

fahren für die Schweiz auch in Zukunft den

vielversprechendsten Weg darstellt.

Professor Dr. Joël Mesot

Direktor Paul Scherrer Institut

Dank unserer Vielfalt

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6 l Fenster zur Forschung 2014

BotoxBotulinum-Neurotoxin A, besser bekannt

als Botox, ist ein hochgefährliches Gift,

das beim Menschen Lähmungen verursacht

und dadurch tödlich sein kann. In der Kos-

metik wird die lähmende Wirkung kleiner

Dosen gezielt zur zeitweiligen Beseitigung

von Falten und in der Medizin etwa als Mit-

tel gegen Migräne oder zur Korrektur von

Strabismus (Schielen) eingesetzt. Um seine

Wirkung im Körper zu entfalten, bindet das

Gift an eine Andockstelle (Rezeptor) auf der

Oberfläche einer Nervenzelle. Dadurch ge-

langt das Toxin ins Zellinnere, wo es Pro-

zesse auslöst, die zu den Lähmungserschei-

nungen führen. Ein Team von Forschern des

PSI, der Universität Utrecht und der Phar-

mafirma UCB hat unter der Leitung von

Richard Kammerer mit Experimenten an der

SLS die Röntgenkristallstruktur des Komple-

xes zwischen Botox und seinem Rezeptor

bestimmt. Die Ergebnisse tragen nicht nur

zu unserem besseren Verständnis der Wir-

kung von Botox bei, sondern können mög-

licherweise auch von grossem praktischem

Nutzen sein. «Botulinum-Neurotoxin A hat

als Medikament ein sehr schmales thera-

peutisches Fenster», erklärt Roger Benoit,

Forscher am PSI. «Das heisst, schon bei ge-

ringer Überdosierung kann es eine schäd-

liche Wirkung haben. Mit unseren Ergeb-

nissen sollte es möglich sein, Medikamente

zu entwickeln, bei denen die Gefahr einer

Überdosierung geringer wäre.»

Altes BlechWeltpremiere in der Neutronenleiterhalle

des PSI am 3. Februar: Eine Spezialforma-

tion des Schweizer Armeespiels spielte auf

historischen Blechblasinstrumenten aus

dem 19. Jahrhundert Musik aus dieser Epo-

che. Der Anlass war nicht nur ein Genuss

fürs Gehör, er bot auch sehr viel für den

Geist. Unter dem Titel «‹Altes Blech› trifft

Wissenschaft» wurde ein Forschungspro-

jekt abgeschlossen, das in den vergangenen

3 Jahren Wissenschaftler der Hochschule

der Künste Bern, des PSI und der Empa so-

wie Fachleute von Egger Blechblasinstru-

mentenbau beschäftigt hatte. Gemeinsam

gingen sie mehreren Fragen nach: Wie

tönte die Musik damals, als sie komponiert

wurde? Auf welchen Instrumenten wurde

seinerzeit gespielt? Wie wurden diese Ins-

trumente gebaut? Dürfen die noch erhal-

tenen Originalinstrumente überhaupt wie-

der bespielt werden? Oder ist es ratsamer,

auf originalgetreu nachgebauten Kopien zu

spielen? Einen wichtigen Beitrag zur Beant-

wortung dieser Fragen leistete die Gruppe

Neutronenradiografie und Aktivierung des

PSI. Sie untersuchte die historischen Instru-

mente zerstörungsfrei mit Neutronen und

gewann so wertvolle Erkenntnisse über

den Aufbau des «alten Blechs» und die bei

der Herstellung verwendeten Legierungen.

Weil noch nicht alle Fragen beantwortet

sind, befindet sich bereits ein neues inter-

disziplinäres Forschungsprojekt in der Pipe-

line, mit Schwerpunkt auf der Bespielung

historischer Instrumente und der dabei ent-

stehenden inneren Korrosion. Das PSI wird

die korrodierten Bereiche vor und nach der

Bespielung untersuchen und dokumentie-

ren. Weil der in den Korrosionsprodukten

enthaltene Wasserstoff den Neutronen ho-

hen Kontrast bietet, ist die Neutronenra-

diografie für diese Untersuchungen beson-

ders geeignet.

Die dargestellte Struktur zeigt, wie Botox an den Proteinrezeptor an der Nervenzelle bindet.

Das Schweizer Armeespiel konzertiert in der PSI-Neutronenleiterhalle.

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Fenster zur Forschung 2014 l 7

Gleichzeitig?«Gleichzeitig oder nicht gleichzeitig?» – für

Stefan Ritt, Teilchenphysiker am PSI, ist das

eine entscheidende Frage. Wenn er sicher

sein kann, dass zwei bestimmte Teilchen,

die er in seinem Experiment beobachtet,

genau gleichzeitig entstanden sind, hat er

womöglich einen Hinweis auf «neue Phy-

sik» gesehen. Entstanden sie leicht zeitver-

setzt, bleibt alles beim Alten. Die Teilchen

beobachtet er mit über 900 Detektoren,

die elektrische Signale erzeugen. Um zu

bestimmen, was die einzelnen Detektoren

«sehen», hat er vor einigen Jahren einen

speziellen Mikrochip entwickelt, der jeweils

die Aufgabe eines Oszilloskops übernimmt,

aber viel preisgünstiger ist. Eine neue Pro-

grammierung für den Chip, die Ritt zusam-

men mit Kollegen aus Tübingen entwickelt

hat, macht es nun möglich, viel kleinere

Zeitabstände zu bestimmen: Erschienen

bisher Signale, die 20 Pikosekunden (eine

Pikosekunde = 0,00 000 000 0001 Sekun-

den) nacheinander auftauchten als «gleich-

zeitig», so kann man jetzt Signale, die mehr

als 3 Pikosekunden getrennt sind, als «nicht

gleichzeitig» erkennen. Das kann auch in

der Medizin nützlich sein: Der PET-Scan er-

laubt, Tumore im Inneren des menschlichen

Gehirns zu untersuchen. Dabei werden

Paare von Lichtteilchen erzeugt, die in ent-

gegengesetzte Richtungen auseinanderflie-

gen. Könnte man den Zeitabstand zwischen

der Ankunft der Teilchen genauer messen

als bisher, liesse sich besser bestimmen,

wo genau das Teilchenpaar entstanden ist.

Damit könnte man den Tumor schneller

sichtbar machen.

TiefenwirkungDie Produktion vieler Stoffe in der Indus-

trie wäre ohne Katalysator nicht möglich.

So nennt man eine Substanz, die der Um-

wandlung von Substanzen auf die Sprünge

hilft, sie beschleunigt oder überhaupt erst

ermöglicht, ohne dabei selbst verbraucht

zu werden. Ein Katalysator mit breiter in-

dustrieller Anwendung besteht aus Ruthe-

nium-Partikeln auf einem Kohlenstoffträ-

ger. Er wird etwa bei der Herstellung von

Methan (künstlichem Erdgas) eingesetzt

oder beim Haber-Bosch-Prozess, bei dem

aus Stickstoff und Wasserstoff Ammoniak

und in der Folge wertvolle Düngemittel für

die Landwirtschaft hergestellt werden.

Die PSI-Forschenden Izabela Czekaj

und Jörg Wambach haben nun mithilfe

von Computersimulationen einen wesent-

lichen Beitrag zum besseren Verständnis

des Ruthenium-Katalysators geleistet. Sie

haben anhand von genauen Berechnungen

nachbilden können, wie sich die Nanoparti-

kel aus Ruthenium auf dem Kohlenstoffträ-

ger anordnen. Die Arbeit zeigt, dass beim

Wachstum der Ruthenium-Partikel de-

ren Wechselwirkung mit tiefer liegenden

Schichten des Kohlenstoffträgers eine wich-

tige Rolle spielt. Messungen an einem kom-

merziell erhältlichen Ruthenium-Katalysator

bestätigten die Richtigkeit der Berechnun-

gen. Mit den neuen Erkenntnissen könnte

die Herstellung des Ruthenium-Katalysa-

tors eines Tages optimiert werden, sodass

der Katalysator selbst noch effizienter wirkt.

PSI-Forscher Jörg Wambach untersucht Vorgänge auf Katalysatoroberflächen und schafft so die Grund lagen für effizientere Industrieprozesse.

Auf dieser Platine befindet sich ein Chip, der dank neuer Programmierung Zeitabstände von 3 Piko-sekunden messen kann.

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8 l Fenster zur Forschung 2014

Wer die Möglichkeiten der Nutzung von

Sonnenenergie erforschen will, steht oft

vor einem banalen Problem: Die Sonne

scheint nicht immer. Nicht so die Forschen-

den am PSI: «Wann immer wir es wollen,

scheint bei uns die Sonne – so stark und so

lang wie wir es für die Experimente brau-

chen», so Christian Wieckert, Projektlei-

ter Solartechnik am Paul Scherrer Institut.

Denn das PSI verfügt seit 2006 über den

grössten Simulator für konzentrierte Son-

nenstrahlung weltweit. «Wir können auf

einen Schlag bis zu 10 künstliche ‹Sonnen-

strahler› anknipsen und deren Strahlung so

stark auf eine kleine Fläche konzentrieren,

dass es der 10000-fachen Strahlungsdichte

der Sonne auf der Erde an einem klaren Tag

entspricht», berichtet Wieckert weiter. Der

Simulator erlaubt Experimente mit konzent-

rierter Strahlung, unabhängig von den Lau-

nen des Wetters. Zudem sind die Bedingun-

gen beliebig oft reproduzierbar.

Und wenn die Sonne doch scheint,

können die Forschenden des Paul Scherrer

Instituts auch einen grossen Parabolspiegel

mit gut 8 Metern Durchmesser nutzen. Er

vermag das Sonnenlicht, ähnlich wie bei

einem Brennglas, so zu konzentrieren, dass

es bis zu 5000-fach verstärkt auf die Solar-

reaktoren trifft, in denen Technologien für

die Sonnenenergienutzung getestet wer-

den. Diese Forschungsmöglichkeiten ma-

chen die Anlagen im Solarlabor auch für

die europaweite Forschergemeinde höchst

attraktiv.

Tausendfach konzentrierte Sonnenenergie

Solares Nutzerlabor

Der Physiker Christian Wieckert öffnet den Solar-reaktor nach einem Experiment zur Gewinnung von metallischem Zink. Ein wesentlicher Teil der verwen-deten konzentrierten Strahlung ist chemisch im Zink gespeichert und kann nach Bedarf auf verschiede-nen Wegen wieder nutzbar gemacht werden.

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Fenster zur Forschung 2014 l 9

Wissenschaftliche ZusammenarbeitDie Anlagen stehen auch Forschenden aus

anderen Ländern offen, die sich über das

EU-Projekt SFERA um Experimentierzeit am

PSI bewerben. Dieses Projekt will wissen-

schaftliche Zusammenarbeit zwischen füh-

renden europäischen Forschungsinstituten

fördern. Dafür stellen Institutionen die bes-

ten Forschungs- und Testinfrastrukturen zur

Verfügung. Das PSI ist eine davon. Externe

Forschende können die Infrastruktur des

Solarlabors nutzen, wenn sie für ihr Projekt

hoch konzentrierte Strahlung brauchen und

ihr Projektantrag von einem internationalen

Gremium ausgewählt wird. Die EU entschä-

digt dann das PSI für den Betrieb der Anla-

gen. Ausserdem gibt es auch direkte Indus-

trieaufträge zur Nutzung der Solaranlagen.

Attraktive Möglichkeiten Die Nutzer und Nutzerinnen kommen etwa,

um Materialien, die Temperaturschocks aus-

gesetzt sind, auf ihre Beständigkeit zu tes-

ten. Am Simulator kann man nämlich inner-

halb von Sekunden hohe Strahlungsdichten

auf den Versuchsgegenstand richten und

ebenso schnell auch wieder abschalten. So

lässt sich die Materialstabilität bei plötzli-

chen Temperaturänderungen systematisch

untersuchen.

Andere testen neuartige Sensoren zur

Messung hoch konzentrierter Strahlung.

Wieckert erklärt: «Wir können die Senso-

ren genau definierter Strahlungsdichte aus-

setzen und diese so testen und kalibrieren.»

All die Besucherexperimente werden vor Ort

von PSI-Fachleuten betreut. «In der Theo-

rie ist die Nutzung unter SFERA ganz ein-

fach», so Wieckert. «Die Besucher richten

ihr Experiment ein, und wir betreiben die

Anlage nach ihren Wünschen. In der Praxis

müssen wir die Geräte meist anpassen, da-

mit die Experimente erfolgreich an unseren

Anlagen ablaufen können – ein Aufwand,

der nicht zu unterschätzen ist.»

Zentral bleibt daneben die Nutzung der

Anlagen für die eigene Energieforschung

des PSI. Sie konzentriert sich vor allem dar-

auf, Sonnenenergie in «solaren Brenn- und

Treibstoffen» flexibel zu speichern. Die For-

schenden wollen beispielsweise Treibstoffe

für Autos und Flugzeuge herstellen, wobei

sie die konzentrierte Sonnenenergie nutzen,

um die dafür nötigen chemischen Hochtem-

peratur-Reaktionen ablaufen zu lassen.

Der Sonnensimulator des PSI erlaubt bei jedem Wetter Experimente zur Nutzung von Sonnenenergie. Spiegel konzentrieren die Strahlung von 10 starken Xenon-Lampen und simulieren so auf einer kleinen Fläche die Strahlungsintensität von bis zu 10000 Sonnen.

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Fenster zur Forschung 2014 l 11

Interview mit Leonid Rivkin

Anlagen für die Forschergemeinde

Herr Rivkin, das Paul Scherrer Institut entwickelt, baut und betreibt kom­plexe Forschungsanlagen, an denen Forschende aus der Schweiz und ande­ren Ländern Experimente durchführen können. Und Sie sind für diese Anlagen verantwortlich. An unseren Anlagen können Forschende

in das Innere von Materialien oder biologi-

schen Substanzen schauen. Wir entwickeln

und bauen die weltweit technisch fortge-

schrittensten Grossforschungsanlagen und

sorgen dafür, dass sie zuverlässig laufen.

Denn bessere Technologien ermöglichen

neue Einsichten.

Sie betreiben gewissermassen grosse Röntgenapparate.Von der Idee her ja. Als 1890 das Röntgen-

licht entdeckt wurde, konnte man erstmals

Unsichtbares sichtbar machen. Wir stehen

in dieser Tradition, sind aber einige Schritte

weiter: An unseren Anlagen kann man sehr

viel mehr sehen als an einem Röntgen-

apparat. Dafür ist der Aufwand auch viel

grösser. Das Herz unserer Anlagen ist jeweils

ein grosser Beschleuniger, in dem Teilchen

auf beinahe Lichtgeschwindigkeit gebracht

werden. In unserer Synchrotron Lichtquelle

Schweiz SLS beschleunigen wir Elektronen,

die Röntgenlicht abstrahlen, das billionen-

fach intensiver ist als dasjenige aus einem

Röntgenapparat. Im Grunde sind unsere

Beschleuniger riesige Mikroskope. Das Bild

der einzelnen Atome, das dieses brillante

Licht liefert, hilft uns, die Natur zu verste-

hen. Denn es ist schwierig, über etwas

nachzudenken, das man nicht sehen kann.

Forschungsanlagen und Wissenschaft stehen in enger Abhängigkeit zuein­ander.Unbedingt. Die treibende Kraft kommt klar

von der Forschung. Wir schauen, was sie

braucht und entwickeln die Anlagen so,

dass die Forscher und Forscherinnen die

besten Ergebnisse bekommen. Gleichzei-

tig wird die Entwicklung in der Wissen-

schaft auch von der Neugier und Erfin-

dungskraft der Anlagenbauer getrieben,

denn ihre Ideen sind wesentlich dafür, was

die Forschenden in ihren Experimenten

sehen können.

Wobei das sehr verschiedene Experi­mente sein können. Richtig. Zum Beispiel ging vor 40 Jah-

ren unser grosser Protonenbeschleuniger

in Betrieb. Er wurde ursprünglich für die

Teilchenphysik entwickelt. Dank stetiger

Verbesserungen ist er heute auch das Herz

der Neutronen- und der Myonenquelle des

PSI und treibt so auch die Biologie und die

Materialwissenschaften voran. Auch bei

Materialwissenschaften oder der Pharma-

forschung ermöglichen wir wichtige Syn-

ergien: Wir entwickeln Maschinen für sie

alle. Dazu ist eine offene Kommunikation

zwischen diesen Gebieten und den Instru-

mentenbauern nötig.

Zur Person

Leonid Rivkin (59) begann sein Physikstu-

dium in Novosibirsk und setzte es in Cam-

bridge (USA) fort. Er hat am California In-

stitute of Technology promoviert. Seine

Leidenschaft für den Bau von Beschleuni-

gern entdeckte er am Stanford Linear Ac-

celerator Center (SLAC). Nach Stationen

am CERN und am SLAC kam er 1989 ans

Paul Scherrer Institut. Seit 2006 leitet er

hier den Bereich Grossforschungsanlagen.

Er hat an der EPFL die schweizweit einzige

Professur für Beschleunigerphysik inne.

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12 l Fenster zur Forschung 2014

Aber nicht nur die Forschenden profi­tieren von den Entwicklungen, sondern auch die Industrie.Ja, das ist sehr wichtig. Dank unserer Ent-

wicklungen kommen hoch spezialisierte

Schweizer Firmen zu neuer Technologie mit

interessanten Absatzmärkten – und wir zu

einem besseren Produkt, das genau unse-

ren Wünschen entspricht und die Zukunft

unserer Beschleuniger sichert. Gerade ha-

ben wir zusammen mit der Firma Ampe-

gon in Turgi, Kanton Aargau, eine neuartige

Mikrowellenquelle entwickelt, die wir zum

Beispiel an der SLS einsetzen. Es gibt kaum

noch Produzenten für diese Technologie.

Auf diese Weise werden wir auch in Zukunft

noch solche Quellen beziehen können und

dazu noch mit deutlich verbesserter Tech-

nologie und Energieeffizienz. Und Ampe-

gon hat ein einzigartiges Produkt, nach dem

auch an anderen Forschungszentren Nach-

frage besteht.

Neben den neuen Entwicklungen gibt es aber auch den Alltag. Da kommt es wohl eher darauf an, dass man Sie nicht bemerkt, weil alles reibungslos funk­tioniert.Die Anlagen laufen tatsächlich mit so ho-

her Zuverlässigkeit, dass andere Instituti-

onen uns darum beneiden. Das ist nicht

trivial. Es genügt, dass ein winziges Teil ver-

sagt, schon geht erst mal gar nichts mehr.

Das soll nicht passieren. Und wenn doch,

ist unser Pikettdienst zur Stelle und sorgt

auch nachts dafür, dass es möglichst schnell

weitergeht.

Jetzt befindet sich die neuste Grossan­lage im Bau, der Röntgenlaser SwissFEL.So grossartig die SLS ist, es gibt Fragen, die

man dort nicht untersuchen kann. So wurde

die Entwicklung des SwissFEL durch den

Wunsch vorangetrieben, eine noch bes-

sere, schnellere Röntgenlichtquelle herzu-

stellen, mit der die Forscherinnen und For-

scher nicht nur Bilder individueller Atome

machen, sondern Filme drehen können, die

die blitzschnellen Bewegungen und Verän-

derungen dieser Atome zeigen. Dafür ent-

wickeln wir wieder an vielen Stellen ganz

neue Technologien.

Der SwissFEL arbeitet mit Technolo­gien, die hart an der Grenze des heute überhaupt Machbaren sind. Was ist Ihre Vision für die Zukunft?Heute müssen Forschende, die an der SLS

experimentieren wollen, im Durchschnitt

ein Jahr auf die begehrte Experimentier-

zeit warten. Das wird am SwissFEL nicht

anders sein. Mein Traum wäre, dass wir

die SwissFEL-Technik kompakter, kleiner

und billiger machen. Dass sich irgendwann

jedes grössere Labor eine Art «Table-Top-

SwissFEL» aufbauen kann.

Wann könnte es so weit sein?Die Inkubationsperiode ist sehr lang; es wird

noch Jahrzehnte dauern. Aber wir müssen

jetzt anfangen, darüber nachzudenken.

Detail des Cockcroft-Walton-Vorbeschleunigers, der ersten Stufe der Protonenbeschleunigeranlage des PSI. Die Anlage wird von Fachleuten des Bereichs Grossforschungsanlagen betrieben und weiterentwickelt.

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Fenster zur Forschung 2014 l 13

Bessere und schnellere Festplatten nennen

die Forschenden Teresa Kubacka von der

ETH Zürich und Urs Staub vom PSI als Bei-

spiele möglicher Anwendungen ihrer ge-

rade veröffentlichten Forschungsergeb-

nisse. Aber so richtig gerne sprechen sie

über die konkreten Beispiele nicht – zu weit

in der Zukunft liegen Geräte, die die unter-

suchten Effekte vielleicht nutzen könnten.

Die Festplatte ist in diesem Fall einfach

eine naheliegende Idee. In Festplatten sind

die Daten magnetisch gespeichert – man

kann sich vorstellen, dass es in ihrem Inne-

ren ganz viele winzige Stabmagnete gibt.

Der Speicherinhalt wird durch die Magne-

tisierung festgehalten, also dadurch, dass

die Magnete in bestimmte Richtungen wei-

sen. Sollen die gespeicherten Daten geän-

dert werden, muss man diese Richtung für

einen Teil der Minimagnete ändern. Und

darum ging es auch in dem Forschungspro-

jekt: In dem Material mit der chemischen

Formel TbMnO3 kann die Magnetisierung

auf neuartige Weise verändert werden. Die

Frage dabei ist: Wie schnell geht das?

Bleibt man bei den Festplatten als An-

wendungsbeispiel, kann man sich vor-

stellen, dass die Forschenden in ihrem

Experiment simuliert haben, wie in einer

Festplatte aus dem neuartigen Material der

Speicherinhalt verändert werden könnte.

Als Gerät wäre der verwendete Aufbau

aber alles andere als handlich: Das mög-

liche Speichermaterial musste auf Tempe-

raturen weit unter minus 200 Grad Celsius

gekühlt werden. Die Veränderungen im

Material werden von Blitzen von Terahertz-

licht ausgelöst, eine besondere Form von

Licht, die wir nicht sehen können. Inten-

sive Terahertzlichtblitze sind für viele Expe-

rimente nützlich, aber schwer zu erzeugen:

Eine aufwändige Laseranlage, die ein hal-

bes Zimmer füllt, ist dafür nötig. Und dann

wurde die Magnetisierung nicht vollstän-

dig gedreht – das Licht hat nur stark da-

ran «gerüttelt».

«Wir schaffen Wissen»Und doch ist das Ergebnis Science, einer der

renommiertesten Wissenschaftszeitschrif-

ten der Welt, einen Artikel wert. Denn die

Forschung zu neuartigen Materialien

Elektromagnetische Kooperation

Anordnung der magnetischen Momente in TbMnO3. Benachbarte Momente sind leicht gegeneinander verdreht. Es gibt zwei mögliche Richtungen, in die sich die Momente drehen können. Diese könnten in zukünftigen Datenspeichern genutzt werden.

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14 l Fenster zur Forschung 2014

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Fenster zur Forschung 2014 l 15

Messungen zeigen, dass geht, was theore-

tische Physiker vorausgesagt haben: Man

kann in einem solchen Material die Mag-

netisierung mit Terahertzblitzen manipulie-

ren und sie dabei deutlich schneller verän-

dern als in heutigen Festplatten. Urs Staub,

der am PSI die Forschungsgruppe Mikro-

skopie und Magnetismus leitet, betont:

«Auch wenn das konkrete Material wohl

nicht in einem Gerät verwendet wird, wis-

sen wir jetzt, dass das Prinzip in dieser be-

sonderen Materialklasse funktioniert.» So

beginnt oftmals eine technische Neuerung:

Mit viel Aufwand zeigen Forschende an ei-

nem öffentlichen Forschungsinstitut, dass

bestimmte Vorgänge im Prinzip möglich

sind. Und am Ende sind es die Entwickler

in der Industrie, die auf der Forschung auf-

bauen und Geräte entwickeln, in denen der

Effekt beispielsweise eine neue Funktion er-

möglicht. «Wir schaffen das Wissen, das

– zusammen mit dem Wissen, das an an-

deren Instituten entsteht – irgendwann die

Grundlage von neuen Anwendungen sein

wird», so Staub. «Welche das konkret sein

werden, kann man aber heute nur schwer

sagen.»

TbMnO3 gehört zu den Materialien,

die Fachleute als multiferroisch bezeich-

nen. Das Besondere an ihnen ist, dass hier

zwei Effekte gekoppelt sind. Zum einen hat

das Material eine Magnetisierung, die man

für die Datenspeicherung nutzen könnte.

Zum anderen hat es eine elektrische Polari-

sation, eine ähnliche Eigenschaft, die aber

auf elektrischen Ladungen beruht. Die bei-

den Phänomene sind so gekoppelt, dass

sich die Magnetisierung automatisch um-

kehrt, wenn man die elektrische Polarisa-

tion dreht. Ein Vorteil: Man bräuchte wohl

weniger Aufwand, um die elektrische Po-

larisation umzukehren, als wenn man die

Magnetisierung direkt umkehrt wie bei

heutigen Festplatten.

Vom Röntgenlaser geblitztIm Experiment liessen die Forschenden

die elektrische Polarisation mithilfe des

Terahertzlichts aus der Laseranlage rund

1‘000‘000‘000‘000-mal pro Sekunde hin-

und herschwanken. Um sehen zu können,

dass die Magnetisierung tatsächlich fol-

gen kann, brauchten sie das grösste Ge-

rät dieses Projekts: den rund drei Kilometer

langen Röntgenlaser LCLS, der im kalifor-

nischen Menlo Park steht. Er produziert ex-

trem kurze Blitze aus Röntgenlicht – noch

sehr viel kürzere als die Terahertzblitze, so-

dass man damit Momentaufnahmen der

schnell schwankenden Magnetisierung ma-

chen kann. Das ist ähnlich, wie wenn man

einen Sportler mit kurzer Belichtungszeit

mitten in der Bewegung fotografiert. Zur-

zeit gibt es weltweit nur drei Röntgenlaser.

In wenigen Jahren werden solche Experi-

mente aber auch am SwissFEL, dem Rönt-

genlaser des Paul Scherrer Instituts, möglich

sein, der gegenwärtig in der Nähe des PSI-

Geländes im Würenlinger Wald entsteht.

«Die Experimente selbst waren eine

vielfache Herausforderung», betont Teresa

Kubacka, die in der Forschungsgruppe

Ultraschnelle Dynamik an der ETH Zürich

doktoriert und Erstautorin der Science-Ver-

öffentlichung ist. «Zum einen ist es schon

schwierig, die nötigen Terahertzpulse zu er-

zeugen. Es gibt dafür keine passenden La-

ser. Wir mussten mit einem anderen Laser

anfangen und das erzeugte Licht mithilfe

spezieller organischer Kristalle umwandeln,

bis wir bei der Terahertzstrahlung angekom-

men waren. Eine andere Herausforderung

ist, dass man den Terahertzblitz und die

Blitze aus dem Röntgenlaser synchronisie-

ren muss, damit klar ist, wie gross der zeit-

liche Abstand zwischen beiden ist.»

So liefert das Forschungsprojekt nicht

nur ein wissenschaftliches Ergebnis, es hat

auch viele technische Neuerungen ange-

regt. «Vielleicht beruhen am Ende wich-

tige Anwendungen des Experiments auf

Ideen, die man entwickelt hat, um die ex-

perimentellen Apparaturen aufzubauen

und nicht nur auf dem eigentlichen wis-

senschaftlichen Ergebnis. Das kam in der

Geschichte immer wieder vor, wie etwa

bei der heutigen Standardanwendung der

medizinischen Magnetresonanztomogra-

fie, die auf der physikalischen Kernspinre-

sonanz basiert», erklärt Staub.

Originalveröffentlichung: Large­Amplitude Spin Dynamics Driven by a THz Pulse in Resonance with an ElectromagnonT. Kubacka et. alScience 343, Vol. no. 6177 pp. 1333–1336 (2014)

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16 l Fenster zur Forschung 2014

Die Fräsmaschine steht still. Dafür läuft

Rebekka Liefert umso schneller voran: Auf

einer zackigen Tour führt die angehende

Polymechanikerin EFZ durch das technische

Labor auf dem PSI-Ostgelände. Sie kennt je-

den Werkraum und jede Maschine in- und

auswendig. Die junge Frau schliesst dieses

Jahr ihre vierjährige Lehre als Polymechani-

kerin mit der praktischen und schulischen

Lehrabschlussprüfung ab.

Rebekka Liefert ist eine von derzeit

zwölf Lernenden dieser Fachrichtung. Und

eine von drei Frauen – eine, mit viel Ener-

gie. Ihre Mutter ist Konstrukteurin, ihr

Vater baut Modelle aus Holz. Das räumliche

Denken und der Hang zum Werken wurden

ihr also in die Wiege gelegt. Angefangen

hat ihre Begeisterung für diesen Beruf mit

einer Schnupperlehre am PSI. Im Gegen-

satz zu den anderen Lehrbetrieben gefiel ihr

am Forschungsinstitut, dass fast nur Proto-

typen gebaut werden. Denn die Bestand-

teile für die Forschungsanlagen am PSI sind

meist Einzelstücke. Die Serienanfertigung

wäre nicht so ihr Ding gewesen, dafür sei

sie zu schnell gelangweilt. «Ich kann nicht

still sitzen», lacht Rebekka Liefert, «deshalb

ist die Abwechslung hier perfekt für mich.»

Immer dranbleibenZu Beginn war allerdings noch nichts mit

Prototypen bauen. Im Untergeschoss der

Lehrwerkstatt bohren, drehen, fräsen und

feilen die Jugendlichen im ersten Lehrjahr

an Kleinteilen, bis sie die Techniken beherr-

schen. Eine gute Zeit sei es trotzdem gewe-

sen, sagt Rebekka Liefert. Denn pro Jahr

beginnen am PSI vier Schulabgänger ihre

Lehre zum Polymechaniker resp. zur Poly-

mechanikerin – an jungen Mitarbeitenden

mangelt es also nicht. Die Lernenden in der

Werkstatt arbeiten friedlich zusammen, und

doch alle an ihrem eigenen Teil. «Natürlich

kann man ab und zu plaudern, aber an den

Maschinen muss man sich konzentrieren»,

erklärt Rebekka Liefert. Das sei charakte-

ristisch für diesen Job: fokussiert arbeiten,

immer dranbleiben, sonst passieren Feh-

ler. Abgesehen davon sind die Maschinen

wegen der Arbeitssicherheit nur mit abso-

luter Aufmerksamkeit zu bedienen. Nicht

umsonst trägt die 20-Jährige bei der Arbeit

feste Sicherheitsschuhe und ihre Schutz-

brille – die sie während des Gesprächs aus-

nahmsweise nicht auf hat, sondern lässig

im Haar festklemmt.

Nach dem ersten Lehrjahr erhalten die

Lernenden ihre ersten Auftragsarbeiten.

Bei grossen Aufträgen werden die ange-

henden Polymechanikerinnen und Poly-

mechaniker in Teams eingeteilt. Rebekka

Liefert schätzt die Arbeit im Teamwork –

gemeinsam an einem Prototypen zu ar-

beiten und die Aufträge untereinander zu

koordinieren. Raschelnd breitet sie eine rie-

sige Zeichnung vor sich aus: den Plan für

Porträt Rebekka Liefert

Polymechanikerin auf Achse

Die Berufung finden am PSI

Insgesamt bietet das PSI 14 verschiedene

Lehrberufe an. Zu den technischen Beru-

fen gehören neben Polymechaniker/in

etwa auch Automatiker/in, Elektroniker/in

und Physiklaborant/in mit Eidgenössischem

Fähigkeitszeugnis (EFZ).

Das PSI verfügt über einen modernen

Maschinenpark. Da die meisten hauseige-

nen Forschungsanlagen selber konstruiert

und gebaut werden, profitieren die Lernen-

den von sehr abwechslungsreichen Aufträ-

gen und einer Vielfalt an Arbeitsmateria-

lien – von Aluminium über Gold bis hin zu

Kunststoff. Die Lehrabgänger sind damit

sowohl für die weitere Ausbildung an

einer Fachhochschule als auch für Stellen

in der Industrie bestens gewappnet.

Page 17: Fenster zur Forschung (02/2014)

Fenster zur Forschung 2014 l 17

ein Gehäuse für eine Anlage des SwissFEL.

Die Formen der Einzelteile sind komplex.

Die Reihenfolge, wann welches Loch ge-

bohrt und welche Kerbe gefräst wird, sollte

wohl überlegt sein. Und die Arbeit muss auf

den Zehntel- oder gar Fünfzigstelmillimeter

stimmen, also buchstäblich aufs Haar ge-

nau. Deshalb sei auch jeder Auftrag eine

neue Herausforderung.

Weiter so – oder ganz andersSpäter in der Lehre kam die Arbeit mit den

grossen Anlagen dazu. Diese werden com-

putergesteuert. Es gilt, den wuchtigen Ma-

schinen zu sagen, was sie zu tun haben, sie

richtig zu programmieren. Trotzdem bleibt

es ein anstrengender Beruf. Acht Stunden

pro Tag ist Rebekka Liefert auf den Beinen

– immer auf Achse.

Und geht es nach ihr, so geht es auch

nach der Lehre in diesem Stil weiter: Re-

bekka Liefert möchte als Polymechanike-

rin in einem Betrieb arbeiten. Danach zieht

sie zum Beispiel die Weiterbildung an der

Technikerschule in Betracht. Durch die Aus-

bildung am PSI stehen ihr viele Wege offen

– auch solche, die in eine ganz neue Rich-

tung führen. «Vielleicht gehe ich irgend-

wann an die Kunsthochschule», sinniert

Rebekka Liefert. Sie interessiert sich näm-

lich sehr für Körperkunst, genauer Tattoos.

Gut möglich also, dass sie später – nach ei-

ner künstlerischen Weiterbildung – ihr eige-

nes Tattoo-Studio eröffnet. Ihr erstes Tattoo

hat sie jedenfalls bereits selbst entworfen.

Rebekka Liefert absolviert am PSI eine Ausbildung zur Polymechanikerin.

Page 18: Fenster zur Forschung (02/2014)

18 l Fenster zur Forschung 2014

Wenn sogar die Erde zu rund ist

Grossbau im Millimeterbereich

Es gab nur einen Versuch und der musste

gelingen. Nachdem bereits zwei Tage lang

Betonblöcke zu je 20 Tonnen aufgeschich-

tet worden waren, wurde das «Herzstück»,

der Kupferkern, genau in der Mitte des Be-

tonkolosses eingebracht. Er wird als «Beam

Dump» – Strahlstopper – dienen und in Zu-

kunft Endpunkt der Reise der Elektronen

durch die neue Grossforschungsanlage

des Paul Scherrer Instituts PSI sein. Auf

wenige Millimeter genau war die 5,6 Me-

ter lange, 3,1 Meter breite und 3,77 Me-

ter tiefe Grube ausgehoben worden. Zwei

Tage später war von alledem bereits nichts

mehr zu sehen. Die Grube war geschlossen

und einer Betonfläche gewichen, über der

sich mittlerweile bereits der Strahlkanal für

den SwissFEL erstreckt. Rund 180 Tonnen

Beton umschliessen nun den Kupferkern –

einen Würfel mit einer Kantenlänge von ge-

rade einmal 50 Zentimetern.

Der Freie-Elektronen-Röntgenlaser

SwissFEL wird zurzeit im Würenlinger Unter-

wald in unmittelbarer Nähe des Instituts ge-

baut. Der rund 690 Meter lange Strahlkanal

wird jene Teile der Anlage beherbergen, in

denen das spezielle Licht des SwissFEL ent-

stehen wird: sehr kurze Blitze von Röntgen-

licht mit den Eigenschaften von Laserlicht.

Dazu werden Elektronen in einem Linear-

beschleuniger auf hohe Energie gebracht.

Mithilfe von mehreren Tausend Magneten,

die zu sogenannten Undulatoren zusam-

mengefasst sind, werden sie auf eine Sla-

lombahn geschickt, die sie zur Abgabe der

Röntgenlichtblitze zwingt. Dann haben die

Elektronen ihre Aufgabe erfüllt und prallen

auf den im Ablenkwinkel von exakt 8 Grad

positionierten Kupferkern des Beam Dump.

Ausgleich der Erdkrümmung Nicht die kleinste Unebenheit darf die Elek-

tronen bei der Erzeugung des SwissFEL-

Lichts stören. Maximal 5 Millimeter darf die

Bodengenauigkeit im Strahlkanal vom Soll-

wert abweichen. Lokal noch höhere Anfor-

derungen stellt bereits die Montage der Un-

dulatoren: «Für ihre exakte Positionierung

benötigen wir sogar eine Bodengenauig-

keit von plus/minus 2 Millimetern», sagt Ivo

Widmer, der als einer von zwei Teilprojekt-

leitern Bau & Infrastruktur seitens des PSI

für die Ausführung des Gebäudebaus ver-

antwortlich ist. Dabei wiegt jeder der Un-

dulatoren rund 20 Tonnen. Würde das Luft-

kissentransportgerät beim Abladen der

Maschinenteile auf einem auch nur leicht

unebenen Boden verrutschen, könnten die

Undulatoren nicht mehr in die richtige Po-

sition gebracht werden.

Damit die Elektronen die benötigte Ener-

gie erreichen können, muss zudem ihre

Bahn im Linearbeschleuniger absolut ge-

radlinig verlaufen. Schon die kleinste Krüm-

mung bedeutet einen Energieverlust, den

sich der vergleichsweise kurze SwissFEL-

Linearbeschleuniger nicht leisten kann.

Daher muss beim Gebäudebau sogar die

Erdkrümmung ausgeglichen werden. Das

erfordert nicht nur modernste Vermes-

sungstechnik, sondern auch eine laufende

Überwachung. Diese erfolgt mithilfe von

Referenzmesspunkten entlang des ge-

samten Baugeländes und einem Messnetz

innerhalb des Gebäudes. «Die erreichte

Rohbaugenauigkeit war über den ganzen

bisherigen Bauverlauf überdurchschnittlich

hoch, sodass wir keine kritischen Abwei-

chungen feststellen konnten», so Widmer.

Kaum gebaut und schon unsichtbar Das Gros der Rohbauarbeiten ist bereits ge-

schafft. Mitte August sollen sie abgeschlos-

sen sein. Etwa 21‘000 Kubikmeter Beton

werden bis dahin verbaut worden sein. Zu

Sommerbeginn wird man zum ersten Mal

durch den ganzen Strahlkanal laufen kön-

Page 19: Fenster zur Forschung (02/2014)

Fenster zur Forschung 2014 l 19

nen. Und auch mit dem Hinterfüllen des

Gebäudes wurde bereits begonnen. Der

SwissFEL wird nach seiner Fertigstellung von

aussen kaum sichtbar sein und soll das ge-

wohnte Leben der Wildtiere im Wald so we-

nig wie möglich beeinträchtigen. «Für die

Hinterfüllung und die Geländegestaltung

wird das zu Beginn der Bauarbeiten ausge-

hobene Erdreich wieder verwendet», sagt

Gerold Janzi, der für die Projektentwicklung

zuständige zweite Teilprojektleiter Bau & In-

frastruktur. Er ist Mitglied einer interdiszip-

linären Arbeitsgruppe, die ein Konzept zur

bestmöglichen Einbettung des SwissFEL in

seine Umgebung erarbeitet hat.

Rund 90‘000 der rund 95‘000 Kubikme-

ter Aushub kann auf diese Weise wieder-

verwertet werden. Um das Erdreich nicht

zu beschädigen, musste das Ausheben der

Baugrube besonders schonend erfolgen.

Auch die spezielle Lage der rund 5 Hekta-

ren grossen Baustelle im Wald erfordert

einen schonenden Umgang.

Start der Maschinenmontage Ende JahrUmgesetzt wird der Bau durch die Arbeits-

gemeinschaft EquiFEL Suisse, eine Koopera-

tion von drei Schweizer Traditionsunterneh-

men. Rund 70 bis 80 Personen sind täglich

auf der Baustelle. Die Arbeitsgemeinschaft

ist sowohl für den Gebäudebau als auch für

die Bereitstellung der Grundinfrastruktur

verantwortlich. «Bildlich gesprochen instal-

liert EquiFEL Suisse sämtliche Komponenten

bis zur Strahlführungsnähe», veranschau-

licht Widmer. Die «Erschliessung», also die

Installation der eigentlichen Anlage, wird

etwa zwei Jahre in Anspruch nehmen und

startet Ende dieses Jahres.

Die Bauarbeiten für den SwissFEL gehen

gut voran. Aufgrund des langen Winters

Anfang 2013 und des feuchten Wald-

bodens im Frühling verzögerten sich zu

Beginn die Aushubarbeiten. Der sensible

Waldboden wäre zu stark beschädigt und

damit für eine spätere Wiederverwendung

unbrauchbar geworden. Im vergangenen

Winter spielte das Wetter jedoch perfekt

mit. Die milden Temperaturen erlaubten

einen zügigen Baufortschritt.

Ivo Widmer ist als einer der beiden Teilprojekt leiter Bau & Infrastruktur seitens des PSI für die Ausfüh-rung des Gebäude baus für den SwissFEL verant-wortlich.

Weitere Informationen zum SwissFEL-Bau

(inkl. Live-Webcams auf die Baustelle):

http://www.psi.ch/swissfel-bauinfo/

Page 20: Fenster zur Forschung (02/2014)
Page 21: Fenster zur Forschung (02/2014)

Fenster zur Forschung 2014 l 21

Die Grossforschungsanlagen des PSI

Der Blick auf die ganz kleinen Objekte be-

nötigt besonders grosse Geräte, denn nur

sie können die «Sonden» erzeugen, die not-

wendig sind, um Materie so zu durchleuch-

ten, dass man die gesuchten Informationen

gewinnt. Das Paul Scherrer Institut hat von

der Schweizerischen Eidgenossenschaft den

Auftrag erhalten, mehrere solche Anlagen

zu unterhalten. Diese stellt das PSI den Wis-

senschaftlern von Hochschulen und ande-

ren wissenschaftlichen Einrichtungen sowie

der Industrie im Rahmen eines Nutzerdiens-

tes als Dienstleistung zur Verfügung. Das PSI

nutzt sie aber auch für eigene Forschung.

Die Anlagen sind in der Schweiz einzigar-

tig, manche Geräte gibt es auch weltweit

nur am PSI.

Forschen mit grossen Geräten

An den Grossanlagen des PSI werden Neu-

tronen, Myonen und Synchrotronlicht er-

zeugt. Neutronen und Myonen sind kleine

Teilchen, Synchrotronlicht ist Röntgenlicht

mit höchster Intensität und einstellbarer

Energie. Mit diesen drei «Sonden» kann

man Informationen über den Aufbau ver-

schiedenster Materialien gewinnen, wobei

jede für bestimmte Experimente besonders

gut geeignet ist. Die Benutzer finden am PSI

rund 40 verschiedene Messplätze für ihre

Experimente vor.

Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS

Synchrotronlicht ist eine besonders inten-

sive Form von Licht, das in seinen Eigen-

schaften genau an die Bedürfnisse eines

Experiments angepasst werden kann. Mit

Synchrotronlicht «durchleuchten» For-

schen de unterschiedlichste Materialien, um

deren detaillierten Aufbau oder die mag-

netischen Eigenschaften zu bestimmen.

Untersucht werden beispielsweise mag-

netische Materialien, wie sie in moder-

nen Speichermedien verwendet werden,

und Proteinmoleküle, die eine wesentliche

Rolle bei Vorgängen in lebenden Organis-

men spielen. Das Synchrotronlicht entsteht

an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS.

Es wird hier von Elektronen abgestrahlt,

die fast mit Lichtgeschwindigkeit auf

einer Kreisbahn von 288 m Umfang laufen,

in der sie durch starke Magnete gehalten

werden.

Spallations­Neutronenquelle SINQ

Mit Neutronen kann man die Anordnung

und Bewegung von Atomen in Materialien

bestimmen. Da Neutronen sich wie kleinste

Magnete verhalten, eignen sie sich beson-

ders gut zur Untersuchung magnetischer

Eigenschaften. In der Natur kommen sie

als Bausteine des Atomkerns vor. Am PSI

werden sie in der Spallationsquelle SINQ

(sprich: sin-ku) aus den Atomkernen her-

ausgeschlagen und so für Experimente ver-

fügbar gemacht.

Myonenquelle SμS

Myonen werden vor allem dafür eingesetzt,

Magnetfelder im Inneren von Materialien

zu bestimmen. Myonen sind Elementarteil-

chen, die in ihren Eigenschaften den Elek-

tronen ähneln. Sie sind aber deutlich schwe-

rer und vor allem instabil. Zerfällt ein Myon

im Inneren eines magnetischen Materials,

liefert es Informationen über das Magnet-

feld in den Materialien. Myonen werden

am PSI in der Myonenquelle SμS (sprich:

es-mü-es) erzeugt.

Protonenbeschleunigeranlage

Die Neutronen aus der SINQ, die Myonen

aus der SμS sowie die Myonen- und Pio-

nenstrahlen für Teilchenphysikexperimente

entstehen, wenn ein Strahl schneller Pro-

Page 22: Fenster zur Forschung (02/2014)

22 l Fenster zur Forschung 2014

Neutronen, Synchrotronlicht und Myonen

sind für Forschende vieler Disziplinen äus-

serst nützlich. Mit diesen «Sonden» lässt

sich der Aufbau von Kristallen entschlüs-

seln. Sie helfen beim Verständnis magne-

tischer Vorgänge oder klären Strukturen

bio logischer Materialien auf. Gleichzeitig

ist die Erzeugung dieser Sonden mit einem

so grossen Aufwand verbunden, dass die

meisten Forschergruppen an den Hoch-

schulen und in der Industrie an der eige-

nen Einrichtung keine Neutronen-, Myo-

nen- oder Synchrotronlichtquelle vorfinden

werden.

Damit dennoch möglichst viele For-

schende Zugang zu Neutronen, Synchro-

tronlicht oder Myonen erhalten, betreibt

das PSI zentral die entsprechenden Grossan-

lagen: die Neutronenquelle SINQ, die Syn-

chrotron Lichtquelle Schweiz SLS und die

Myonenquelle SμS – eine Kombination von

Anlagen, die es weltweit nur noch an einem

Das PSI ist ein Nutzerlabor

tonen auf einen Block eines speziellen

Materials trifft. Der Protonenstrahl wird in

der Protonenbeschleunigeranlage des PSI

erzeugt. Hier werden die Protonen auf fast

80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit be-

schleunigt.

Hotlabor, Smogkammer etc.

Neben den eigentlichen Grossanlagen be -

treibt das PSI eine Reihe von weiteren ein-

zigartigen Forschungsanlagen, die teilweise

auch externen Benutzern zur Verfügung ste-

hen. Im Hotlabor können hoch radio aktive

Objekte wie Brennstäbe aus Kernkraftwer-

ken unter sicheren Bedingungen untersucht

werden. In der Smogkammer werden un-

ter kontrollierten Bedingungen Vorgänge in

der Atmosphäre simuliert. Der Solarkonzen-

trator und Solarsimulator erlauben Experi-

mente zur Erzeugung von Brennstoffen mit-

hilfe von hoch konzen triertem Sonnenlicht.

Eine Quelle ultrakalter Neutronen UCN

ermöglicht Untersuchungen zu den Eigen-

schaften des Neutrons.

SwissFEL – die neue Grossanlage

Zurzeit baut das PSI eine weitere Gross-

anlage, die im Jahr 2016 in Betrieb gehen

wird – den Freie-Elektronen-Röntgenlaser

SwissFEL. Diese rund 700 Meter lange An-

lage wird extrem kurze Pulse von Röntgen-

licht in Laserqualität erzeugen. Damit wird

es unter anderem möglich werden, sehr

schnelle chemische und physikalische Vor-

gänge zu verfolgen.

Blick auf den grossen Protonenbeschleuniger, der einen Umfang von rund 48 Metern hat.

Page 23: Fenster zur Forschung (02/2014)

Fenster zur Forschung 2014 l 23

weiteren Ort gibt. Das Institut stellt diese

Anlagen nicht nur den eigenen Wissen-

schaftlern, sondern auch externen Benut-

zern zur Verfügung – Forschenden aus der

Schweiz und dem Ausland, die diese Son-

den für ihre Untersuchungen benötigen.

An den Grossanlagen sind auch noch

Teilchenstrahlen verfügbar, die für Experi-

mente in der Elementarteilchenphysik ge-

nutzt werden können – auch diese stehen

externen Forschern offen.

Die Messzeit geht an die besten Forschungsprojekte

Sämtliche Forscher und Forscherinnen, die

sich durch die Nutzung von Neutronen, My-

onen oder Synchrotronlicht Antworten auf

ihre wissenschaftlichen Fragestellungen er-

hoffen, können sich beim PSI um Messzeit

bewerben. Dazu müssen sie in einem An-

trag die Fragestellung, das geplante Expe-

riment und die Erwartungen an die Mes-

sung beschreiben. Mit Fachleuten besetzte

Komitees prüfen diese Messzeitanträge auf

ihre wissenschaftliche Qualität und emp-

fehlen dem PSI, welche Anträge tatsäch-

lich Messzeit bekommen sollen. Denn ob-

wohl es rund 40 Messplätze gibt, reicht

die Zeit nie für alle eingegangenen Bewer-

bungen. Rund ein Drittel bis die Hälfte der

Anträge muss abgelehnt werden. Manche

Messplätze sind in der Forschergemeinde

sogar so begehrt, dass dort sechsmal so viel

Messzeit beantragt wird, als verfügbar ist.

Angezogen werden die externen Forscher

und Forscherinnen dabei nicht nur von den

Experimentiermöglichkeiten, sondern auch

von der guten Betreuung durch die PSI-For-

schenden. Diese sind selbst erfahrene Wis-

senschaftler und unterstützen die Nutzer

dabei, an den Anlagen die optimalen Er-

gebnisse zu erzielen.

Die Messzeit ist am PSI für alle akade-

mischen Forschenden kostenlos – genauso

wie Schweizer Wissenschaftler auch kos-

tenlos an den Einrichtungen in anderen

Ländern forschen können. Nutzer aus der

Industrie hingegen können in einem beson-

deren Verfahren auch Strahlzeit kaufen und

die Anlagen des PSI für ihre angewandte

Forschung verwenden.

Nutzerdienst in Zahlen

Der Erfolg eines Benutzerzentrums zeigt

sich vor allem im Interesse der Forscherge-

meinde, an diesem Ort zu experimentieren,

sowie in der Zahl von Veröffentlichungen,

die auf den durchgeführten Experimenten

beruhen.

So erscheinen jedes Jahr mehr als 700

Fachartikel, die auf Experimenten an den

Grossanlagen des PSI basieren. Und jähr-

lich verzeichnet das PSI mehr als 5000

Besuche von Wissenschaftlern aus der

ganzen Welt, die an den Grossanlagen

ihre Experimente durchführen. Die meis ten

Nutzer von Neutronen und Synchrotronlicht

kommen aus der Schweiz und den Ländern

der EU. Die Schweizer Experimentatoren

teilen sich wiederum etwa gleichmässig

auf das PSI und andere Einrichtungen auf,

wobei die meisten externen Forscher von

der ETH Zürich kommen. Vertreten sind

aber auch die ETH Lau sanne, die Hoch-

schulen und die Empa. Im Fall der Myonen-

experimente ist der Anteil der Gruppen aus

Übersee besonders gross. Eine Rolle spielt

hier sicher die Tat sache, dass das PSI als

einziges Institut weltweit Experimente mit

langsamen Myonen anbietet.

Page 24: Fenster zur Forschung (02/2014)

24 l Fenster zur Forschung 2014

Die Forschungsschwerpunkte des PSI

Das Paul Scherrer Institut PSI ist das gröss te

naturwissenschaftliche Forschungs zentrum

der Schweiz. Fast 500 Wissenschaftle-

rinnen und Wissenschaftler erforschen

verschiedenste Fragestellungen, die sich

unter den drei Stichworten «Materie und

Material», «Mensch und Gesundheit» so-

wie «Energie und Umwelt» zusammenfas-

sen lassen.

Die am PSI gewonnenen Forschungs-

ergebnisse tragen dazu bei, dass wir die

Welt um uns besser verstehen können,

indem sie die Hintergründe unterschied-

lichster physikalischer oder biologischer

Vorgänge aufklären. Gleichzeitig stellen sie

die Grundlagen für neue Entwicklungen in

Technik und Medizin dar.

Materie und Material

Die meisten Forschenden, die sich am PSI

mit Materie oder Material befassen, wol-

len für unterschiedliche Stoffe den Zusam-

menhang zwischen dem innerem Aufbau

und den beobachtbaren Eigenschaften auf-

klären. Denn die vielfältigen Eigenschaften

der Materialien, aus denen die Welt be-

steht, werden dadurch bestimmt, aus wel-

chen Atomen die Materialien bestehen, wie

diese angeordnet sind und wie sie sich be-

wegen können.

So geht es zum Beispiel darum zu ver-

stehen, warum manche Materialien supra-

leitend sind – elektrischen Strom also ganz

ohne Widerstand leiten können – oder wie

die magnetischen Eigenschaften von Ma-

terialien zustande kommen. Diese Erkennt-

nisse können für verschiedene technische

Entwicklungen genutzt werden, um bes-

sere elektronische Bauteile zu entwickeln.

Die Forschenden des Labors für Teilchen-

physik interessieren sich für die fundamen-

tale Frage nach den Grundstrukturen der

Materie. Dazu untersuchen sie Aufbau und

Eigenschaften der Elementarteilchen – der

kleinsten Bausteine der Materie. Damit be-

treiben sie Forschung, die den Bogen vom

Urknall zur heute vorgefundenen Materie

mit ihren Eigenschaften spannt.

Mensch und Gesundheit

Wesentliche Vorgänge in lebenden Orga-

nismen auf molekularer Ebene zu verstehen

und neue Methoden zur Diagnose und Be-

handlung von Krankheiten zu entwickeln,

sind die Ziele der Forschung auf dem Ge-

biet «Mensch und Gesundheit».

Im Mittelpunkt der Forschung zu bio-

logischen Grundlagenfragen steht die Be-

stimmung von Struktur und Funktion von

Proteinen – Biomolekülen, die in vielfälti ger

Weise das Verhalten von lebenden Zel-

len steuern. Auf dem Gebiet der Radio-

pharmazie entwickeln Forschende des PSI

Therapiemoleküle, mit denen sehr kleine

und im ganzen Körper verteilte Tumore be-

handelt werden sollen. Hier arbeitet das PSI

sehr eng mit Hochschulen, Kliniken und der

Pharmaindustrie zusammen.

Seit 1984 werden an der Protonenthe-

rapieanlage des PSI Patienten behandelt,

die an bestimmten Tumorerkrankungen

leiden. Die Anlage, die PSI-Fachleute entwi-

ckelt und auf dem Institutsgelände gebaut

haben, ist weltweit einmalig. Ihre Bestrah-

lungstechnik nutzt die Vorteile der Proto-

nen, die es erlauben, den Tumor gezielt

zu zerstören und die gesunde Umgebung

des Tumors optimal zu schonen. In Abspra-

che mit der medizinischen Abteilung des

PSI können Ärztinnen und Ärzte Patienten

und Patientinnen zur Behandlung ans PSI

überweisen.

Energie und Umwelt

Die Energieforschung des Paul Scherrer

Instituts konzentriert sich auf die Erfor-

schung von Prozessen, die in nachhaltigen

und sicheren Technologien für eine mög-

lichst CO2-freie Energieversorgung einge-

setzt werden können.

Page 25: Fenster zur Forschung (02/2014)

Fenster zur Forschung 2014 l 25

PSI-Forschende arbeiten an Verfahren

zur CO2-neutralen Erzeugung von Energie-

trägern – sei es mithilfe hoch konzentrier-

ter Sonnenstrahlung, sei es auf Grundlage

von Biomasse wie etwa Holz, Gülle oder

Klärschlamm. Für eine nachhaltige Energie-

nutzung ist auch die Möglichkeit, Energie

zu speichern, wesentlich. Das PSI beteiligt

sich an dieser Forschung insbesondere mit

seinen Arbeiten zu Lithium-Ionen-Batte-

rien. Ein weiteres Forschungsthema sind

Brennstoffzellen, die aus der Verbindung

von Wasserstoff und Sauerstoff elektrische

Energie und als «Abfallprodukte» Wasser

und Wärme erzeugen. Hier unterhält das

PSI u.a. eine Kooperation mit der Firma

Belenos Clean Power AG.

Ein wichtiges Thema der Energiefor-

schung am PSI sind Arbeiten zur sicheren

Nutzung der Kernenergie. Ein Schwerpunkt

der Forschung ist dabei, die Vorgänge in

Kernkraftwerken noch besser zu verstehen,

um so zu deren sicherem Betrieb beizutra-

gen. Hinzu kommen geologische Untersu-

chungen, die Grundlage für die Suche nach

geeigneten Standorten für die Lagerung

radioaktiven Abfalls sein sollen.

Über Untersuchungen zu einzelnen

Energietechnologien hinaus, widmen sich

Forschende des PSI auch der ganzheit-

lichen Betrachtung und dem Vergleich

von nuklearen, fossilen und erneuerbaren

Energiesystemen.

Die Umweltforschung am PSI befasst

sich vorrangig mit der Zusammensetzung

der Atmosphäre und den Prozessen, die

diese Zusammensetzung bestimmen. Da -

zu misst das PSI etwa auf dem Jungfrau-

joch oder untersucht Eisbohrkerne. Insbe-

sondere der menschliche Einfluss auf die

Atmosphärenzusammensetzung sowie die

Entwicklung des Klimas in den vergange-

nen Jahrhunderten ist für die Forscher von

Interesse.

Darüber hinaus leitet das PSI das Kom-

petenzzentrum für Energie und Mobilität

CCEM des ETH-Bereichs (www.ccem.ch).

In der Halle der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS.

Page 26: Fenster zur Forschung (02/2014)

26 l Fenster zur Forschung 2014

Das PSI im ÜberblickFinanzzahlen 2013 Mio. CHF %

Finanzierungsbeitrag des Bundes Globalkredit 303,2 100,0

Wovon Investitionen in Bauten ETH-Bereich

Eigentum Bund* –48,6 –16,0

Total für Forschung, Lehre & Betrieb der Grossforschungsanlagen 254,6 84,0

Einnahmen Total für Forschung, Lehre & Betrieb der

Grossforschungsanlagen 254,6 73,1

Drittmitteleinnahmen

– Privatwirtschaft 44,2 12,7

– Forschungsförderung Bund 22,2 6,4

– EU-Programme 6,0 1,7

– Andere Einnahmen 16,1 4,6

Bestandsveränderung

zweckgebundenes Kapital 5,2 1,5

Total Einnahmen 348,3 100,0

AusgabenPersonalausgaben* 221,0 63,5

Sachausgaben* 87,1 25,0

Investitionen* 40,2 11,5

Total Ausgaben 348,3 100,0

*inklusive Ausgaben SwissFEL

Die Ausgaben verteilen sich auf die For-

schungsfelder des Paul Scherrer Instituts

wie folgt:

Festkörperforschung und

Materialwissenschaften 35 %

Allgemeine Energie 20 %

Lebenswissenschaften 24 %

Nukleare Energie und Sicherheit 13 %

Teilchenphysik 8 %

PersonalPSI hatte Ende 2013 rund 1900 Mitarbei-

tende. Davon war ein Viertel Postdocs,

Doktorierende und Lernende. Insgesamt

sind 40,5 Prozent der Stellen mit wissen-

schaftlichem Personal besetzt. 47,5 Pro-

zent der Mitarbeitenden führen techni-

sche oder Ingenieurstätigkeiten aus. Mit

ihrer vielfaltigen Kompetenz sorgen sie

dafür, dass die vorhandenen wissenschaftli-

chen Anlagen des Instituts stets zuverlässig

funktionieren und neue plangemäss aufge-

baut werden. Damit haben sie wesentlichen

Anteil an den wissenschaftlichen Leistun-

gen des Instituts. 6,7 Prozent der Stellen

sind der Administration zugeordnet. 25 Pro-

zent der Mitarbeitenden sind Frauen, 47

Prozent sind ausländische Staatsbürger.

OrganisationDas Paul Scherrer Institut ist in sieben Be-

reiche gegliedert. Die fünf Forschungsberei-

che sind für den grössten Teil der wissen-

schaftlichen Arbeiten und die Betreuung

der externen Nutzer zuständig. Bei ihrer

Arbeit werden sie von den beiden Fachbe-

reichen unterstützt, die für den Betrieb der

Beschleunigeranlagen und verschiedene

technische und administrative Dienste zu-

ständig sind. Ausserhalb der Bereichsstruk-

tur befinden sich das Zentrum für Protonen-

therapie und das Grossprojekt SwissFEL.

Geleitet wird das PSI von einem Direkto-

rium, an dessen Spitze der Direktor des

Instituts steht und dem die Bereichs leiter

angehören.

Beratende OrganeEine interne Forschungskommission berät

die PSI-Direktion bei wissenschaftsrele-

vanten Entscheidungen. Sie beurteilt ge-

plante neue Vorhaben und Finanzie-

rungsanträge an externe Geldgeber wie

beispielsweise den Schweizerischen Natio-

nalfonds SNF, die Förderagentur für Inno-

vation KTI oder die Europäische Union. Sie

evaluiert laufende Projekte und arbeitet bei

der Identifizierung von geeigneten neuen

Forschungsthemen für das PSI mit. Sie setzt

sich aus 13 Mitarbeitenden der verschiede-

nen Bereiche des PSI zusammen. Ein- bis

zweimal im Jahr tagt der PSI-Beratungs-

ausschuss, dem 12 Forschende mit hohem

wissenschaftlichem Ansehen aus dem In-

und Ausland angehören. Ihre Hauptauf-

gabe besteht darin, die Direktion in Fragen

der Entwicklung grösserer Forschungspro-

gramme und -vorhaben strategisch zu be-

raten und die Qualität der durchgeführten

und der geplanten Forschungsaktivitäten

zu beurteilen.

Page 27: Fenster zur Forschung (02/2014)

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Fenster zur Forschung 2014 l 27

Fenster zur ForschungAusgabe 2/2014Paul Scherrer Institut, Mai 2014ISSN 1664-8854

Herausgeber: Paul Scherrer Institut

Die Publikation «Fenster zur Forschung»erscheint dreimal jährlich.

Konzeption:Alexandra von Ascheraden,Dagmar Baroke, Dr. Paul Piwnicki

Redaktion:Alexandra von Ascheraden,Dagmar Baroke, Martina Gröschl, Leonid Leiva, Simone Nägeli, Dr. Paul Piwnicki (Ltg.), Frank Reiser

Gestaltung und Layout: PSI

Bildbearbeitung: Markus Fischer

Originalveröffentlichung zum Beitrag auf Seite 6 links:Structural basis for recognition of synaptic vesicle protein 2C by botulinum neurotoxin ARoger M. Benoit et al.,Nature, 505, 108–111 (2014)

Originalveröffentlichung zum Beitrag auf Seite 7 rechts:Ru/Active Carbon Catalyst: Improved Spectroscopic Data Analysis by Density Functional TheoryIzabela Czekaj, Sonia Pin, and Jörg Wambach, J. Phys. Chem. C, 117, 26588–26597 (2013)

Legenden für ganzseitige Bilder:

Seite 3: Blick über die SwissFEL-Baustelle in Richtung Norden.

Seite 10: Leonid Rivkin an der Besucher-station der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS. Rivkin leitet den Bereich Grossforschungsanlagen am PSI, der unter anderem für den Betrieb der SLS zuständig ist.

Seite 14: Haben am Röntgenlaser das Verhalten neuartiger magnetischer Materialien erforscht (v.l.n.r.): Urs Staub, Leiter der Forschungsgruppe Mikroskopie und Magnetismus am PSI, Teresa Kubacka, Doktorandin in der Forschungsgruppe Ultraschnelle Dynamik an der ETH Zürich und Steven Johnson, Leiter dieser Arbeitsgruppe an der ETH.

Seite 20: Luftaufnahme des Paul Scherrer Instituts.

Fotoaufnahmen:Alle Fotos Scanderbeg Sauer Photography, ausser:Seite 6 rechts: Frank ReiserSeite 8, 20, 22: Markus FischerSeite 9: PSI-Archiv

Weitere Exemplare zu beziehen bei: Paul Scherrer Institut Kommunikationsdienste 5232 Villigen PSI, Schweiz Telefon +41 56 310 21 [email protected]

psi forum – Das Besucherzentrum des Paul Scherrer Instituts Sandra Ruchti Telefon +41 56 310 21 00 [email protected], www.psiforum.ch

iLab – Das Schülerlabor des Paul Scherrer Instituts Dr. Beat Henrich Telefon +41 56 310 53 57 [email protected], www.ilab-psi.ch

Mehr über das PSI lesen Sie auf www.psi.ch

Impressum

Unser wichtigstes Kapital am PSI ist die herausragende Quali fikation, Erfahrung und Motivation unserer Mitarbeitenden. Um diesem, in der Sprache der Wirt-schaftswissenschaftler «Humankapital» ein Gesicht zu geben, stellen wir Ihnen in dieser Publikation einige Menschen vor, die bei uns arbeiten. Dabei gilt es zu beachten, dass moderne Forschung heute nur noch im Team erfolgreich sein kann. Auch die hier vorgestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben ihren Erfolg mithilfe eines Teams erzielt.

Page 28: Fenster zur Forschung (02/2014)

Das Paul Scherrer Institut PSI ist ein Forschungszen-

trum für Natur- und Ingenieurwissenschaften. Am

PSI betreiben wir Spitzenforschung in den Bereichen

Materie und Material, Energie und Umwelt sowie

Mensch und Gesundheit. Durch Grundlagen- und

angewandte Forschung arbeiten wir an nachhaltigen

Lösungen für zentrale Fragen aus Gesellschaft, Wis-

senschaft und Wirtschaft. Das PSI entwickelt, baut

und betreibt komplexe Grossforschungsanlagen. Jähr-

lich kommen mehr als 2200 Gastwissenschaftler aus

der Schweiz, aber auch aus der ganzen Welt zu uns.

Genauso wie die Forscherinnen und Forscher des PSI

führen sie an unseren einzigartigen Anlagen Expe-

rimente durch, die so woanders nicht möglich sind.

Die Ausbildung von jungen Menschen ist ein zent-

rales Anliegen des PSI. Deshalb sind etwa ein Viertel

unserer Mitarbeitenden Postdoktorierende, Doktorie-

rende oder Lernende. Insgesamt beschäftigt das PSI

1900 Mitarbeitende. Damit sind wir das grösste For-

schungsinstitut der Schweiz.