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Flottenstützpunkt Trantagossa

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 185

FlottenstützpunktTrantagossa

Ein Toter erwacht - und ein Mörderzittert um sein Leben

von Marianne Sydow

Im Großen Imperium der Arkoniden schreibt man eine Zeit, die auf Terra dem 9.Jahrtausend v. Chr. entspricht. Imperator des Reiches ist Orbanaschol III. ein bruta-ler und listiger Mann, der seinen Bruder Gonozal VII. töten ließ, um selbst die Nach-folge antreten zu können.

Gegen den Usurpator kämpft Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe desReiches, mit einer stetig wachsenden Zahl von Getreuen und besteht ein gefahrvol-les Abenteuer nach dem anderen.

Doch mit dem Tag, da der junge Atlan erstmals Ischtar begegnet, der schönenVarganin, die man die Goldene Göttin nennt, hat er noch anderes zu tun, als sich mitOrbanaschols Schergen herumzuschlagen oder nach dem »Stein der Weisen« zusuchen, dem Kleinod kosmischer Macht.

Atlan – er liebt Ischtar und sucht sie zu schützen – muß sich auch der Nachstellun-gen Magantillikens erwehren, des Henkers der Varganen, der die Eisige Sphäre mitdem Auftrag verließ, Ischtar unter allen Umständen zur Strecke zu bringen.

Gegenwärtig befindet sich der Kristallprinz erneut in großen Schwierigkeiten. Kaumist er den Maahks entronnen, da gerät er in die Gefangenschaft von Arkoniden, dieAmarkavor Heng, einem der Mörder Gonozals VII. unterstehen. Heng ist Komman-dant auf dem FLOTTENSTÜTZPUNKT TRANTAGOSSA …

Die Hautpersonen des Romans:Atlan - Der Kristallprinz wird für geistesgestört gehalten.Amarkavor Heng - Kommandeur von Trantagossa.Magantilliken - Der Henker der Varganen übernimmt einen neuen Körper.Dareena - Eine junge Ärztin.Shelon - Ein Mann, vor dem Atlans Extrahirn warnt.

1.

Tharmiron gehörte zu jenen Leuten, diesich ständig wegen irgend etwas Gedankenmachen. Allerdings war er klug genug, seineGedanken für sich zu behalten, solange erkeine Anhaltspunkte dafür besaß, daß siemit den Überlegungen seiner Vorgesetztenübereinstimmten. Dieser Taktik hatte er sei-ne bisherige Karriere zu verdanken.

Im Augenblick stand er vor dem Panora-maschirm der Einsatzzentrale für das Lande-feld sieben. Um ihn herum herrschte Hoch-betrieb, aber das störte ihn nicht. Er hatteseinen Teil der Vorbereitungen abgeschlos-sen. Selbstverständlich dachte er über denSinn der bevorstehenden Aktion nach, aberer hütete sich, sich an der angeregten Dis-kussion der anderen Offiziere zu beteiligen.

»Untergegangene Kulturen!« hörte er Za-vors tiefe, stets mißmutige Stimme. »Wennich das schon höre! Ja, ich weiß, daß es eineMenge Ruinen auf allen möglichen Planetengibt. Aber da haben sich schon Horden vonGlückssuchern betätigt. Was man jetzt nochfinden kann, ist doch nicht der Rede wert.Ich glaube einfach nicht daran, daß die Leu-te von der BARGONNA mehr gefunden ha-ben als ein paar halbzerfallene Knochenge-rüste. Wozu also der Aufwand?«

Tharmiron pflichtete ihm im stillen bei,betrachtete jedoch weiterhin das Bild aufdem Schirm, als ginge ihn das alles nichtsan.

»Glaube von mir aus, was du willst!« hör-te er Thorur knurrig antworten. »Aber setzeendlich deine Leute in Marsch! Wir habenAnweisung, die BARGONNA wie ein rohesEi zu behandeln, und genau das werden wirauch tun. Oder hast du Lust, dich vor Amar-

kavor Heng persönlich zu rechtfertigen,wenn etwas schiefgeht?«

Tharmiron grinste vor sich hin. Der Witzwar gut!

Da der Kommandeur von Trantagossaniemals in Erscheinung trat – jedenfallsnicht persönlich –, brauchte Zavor eine sol-che Gegenüberstellung kaum zu fürchten.Allerdings – man munkelte, daß Heng sichbisweilen wirklich einen Mann selbst anzu-sehen beliebte. Diejenigen, die von diesemSchicksal betroffen wurden, konnten jedochnicht mehr darüber berichten, denn sie blie-ben für alle Zeiten spurlos verschwunden.

Unwillkürlich sah Tharmiron in den blaß-blauen Himmel Enorketrons hinauf.

Zum Glück war das SKORGON nicht zusehen. Er glaubte zwar nicht an all die aber-gläubischen Vorstellungen, die im Laufe derJahre um diesen Flugkörper entstanden wa-ren, aber es entsprach seiner Mentalität, daßer jeder möglichen Gefahr aus dem Wegeging. Der Anblick des SKORGONS sollteangeblich Unglück bringen.

Er hörte, wie Zavor den Raum verließ.Der Veteran brummelte noch einige Un-freundlichkeiten vor sich hin, aber niemandhörte ihm zu. Zavor war für seine schroffeHaltung den anderen Offizieren gegenüberbekannt. Er bildete sich viel darauf ein, daßer mehrere Kampfeinsätze gegen dieMaahks geleitet hatte und sah deshalb ver-ächtlich auf alle hinab, die hier ihren Dienstin den Bodenstationen versahen. Es hatte ihnhart getroffen, daß man ihn nach einerschweren Verwundung nicht mehr in denRaum hinausschickte. Zweifellos hielt er esfür eine indirekte Degradierung, wenn ersich jetzt auch noch mit einem Forschungs-schiff befassen mußte.

»Sind die Wacheinheiten informiert?« er-

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kundigte Thorur sich mit unnötiger Schärfe.Tharmiron drehte sich um und nickte

flüchtig. Er nahm dem anderen diesen Ton-fall nicht übel. Sie waren alle nervös. Daswar auch kein Wunder, denn der Befehl, derdie zurückkehrende BARGONNA betraf,kam direkt von Amarkovar Heng. Und wennder Kommandeur sich in eine Sache ein-mischte, war es nicht ratsam, auch nur denkleinsten Fehler zu begehen. Heng witterteüberall Ungehorsamkeiten und Auflehnung,und er schlug erbarmungslos zu, wenn ereinen begründeten Verdacht zu haben glaub-te.

»Niemand wird an die Ladung des Schif-fes herankommen«, erklärte Tharmiron, alser merkte, daß Thorur sich nicht so schnellzufriedengeben wollte. »Der Landeplatzwird hermetisch abgeriegelt. Die Entladear-beiten werden von Robotern übernommen.Die Beute der BARGONNA wird noch in-nerhalb der Frachträume in abgesicherteTransportbehälter gebracht. Die Spezialfahr-zeuge für den Weitertransport stehen bereit.Jedes wird von einer zehnköpfigen Wach-mannschaft begleitet. Der Weg zu den La-bors auf Sohle dreiundzwanzig ist für dieDauer des Unternehmens für den normalenVerkehr gesperrt. Zusätzlich patrouillierenfünfzig bewaffnete Kommandogruppen inder ganzen Umgebung und passen auf, daßsich niemand in die Nähe der Fahrzeuge ver-irrt.«

Thorur glaubte, einen schwachen Punktentdeckt zu haben, und hakte sofort ein.

»Was ist mit den Antigravschächten?«»Sie wurden generalüberprüft. Obwohl

kein Ausfall zu erwarten ist, sind erstens dieFahrzeuge, zweitens auch die Transportbe-hälter mit eigenen, voneinander unabhängi-gen Generatoren ausgestattet. Keine Sorge,Thorur, die Fracht der BARGONNA wird injedem Fall ihr Ziel unbeschädigt erreichen.«

Die ganze Angelegenheit langweilte Thar-miron. Was sollte das alles?

Selbst wenn das, was die Forscher auf ei-nem bisher unbekannten Planeten entdeckthatten, wirklich bedeutungsvoll war, so

brauchte man seiner Meinung nach hier, aufEnorketron, keine solche Staatsaffäre darauszu machen. Gewiß, manche Dinge mußteman den gewöhnlichen Raumsoldaten vor-enthalten, aber keiner von ihnen würde sichfür die Fracht eines Forschungsschiffes in-teressieren. Spione im Trantagossa-System –darüber konnte Tharmiron nur lachen. Selbstdie ärgsten Feinde des Großen Imperiumswürden es kaum wagen, einen Agenten indiesen riesigen Stützpunkt zu schmuggeln.Und selbst wenn aufrührerische Kolonial-völker so vermessen waren, es doch zu ver-suchen, würde sich ein solcher Spion in denengen Maschen der Überwachung verfan-gen.

Vom Stützpunkt Trantagossa aus wurdeein Drittel der gewaltigen Raumflotte befeh-ligt, die die Maahks davon abzuhalten ver-suchte, das Große Imperium samt seinenKolonien zu vernichten. Wer also die Funk-tion dieser ungeheuren Kriegsmaschineriezu stören wagte, der grub sich indirekt seineigenes Grab.

So betrachtet, war es reine Zeitver-schwendung, die eben aufgezählten Sicher-heitsmaßnahmen zu treffen, nur um einigemysteriöse Kisten zu schützen. Aber Thar-miron sprach diese Gedanken selbstver-ständlich nicht aus.

Amarkavor Heng hatte seine positroni-schen Augen und Ohren überall. Man wußtenie, ob er nicht gerade in diesem Augenblickzuhörte. Zweifel am Sinn eines seiner Be-fehle wäre für ihn mit einer Kritik an seinereigenen Person gleichgekommen. Und Thar-miron hatte nicht die Absicht, seine bisherzügig verlaufende Karriere vorzeitig zu be-enden.

Er war sich klar darüber, warum Thorureine ausführliche Antwort verlangt hatte.Auch er wollte sich absichern.

Thorur wandte sich dem nächsten Offizierzu, und Tharmiron widmete sich wieder derAussicht und seinen Gedanken.

Die Oberfläche Enorketrons war bis aufdie wenigen Wohngebiete für die höchstenOffiziere ein einziges Gewirr von Raumhä-

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fen, Werften, Reparaturwerkstätten, Verbin-dungsstraßen, Tunneleingängen, Hangarsund Lagerhallen. Einen unbebauten FleckenErde gab es nicht. Selbst unter den seichtenMeeren zogen sich Werkshallen und Trans-portröhren hin. Bis tief in die Kruste desPlaneten hatten sich die Maschinen vorge-fressen und ein System von Gängen undHallen geschaffen, das fast bis an die Mag-maschicht hinabreichte.

Unaufhörlich landeten und startetenRaumschiffe aller Größenklassen. Das end-lose Dröhnen der Triebwerke war auf Enor-ketron allgegenwärtig. Tharmiron hörte eslängst nicht mehr bewußt.

Thorur hatte sich inzwischen in das Kom-munikationsnetz des Landefeldes sieben ein-geschaltet. Ein Gewirr von Stimmen, Peilsi-gnalen und Impulssendungen drang aus demLautsprecher, ehe der Offizier sich endlichfür den richtigen Kanal entschied.

»Hier BARGONNA!« dröhnte plötzlicheine laute Stimme auf. »Was ist eigentlichlos? Wir warten seit einer halben Ewigkeitdarauf, daß wir endlich genaue Anweisun-gen für die Landung erhalten. Schlaft ihr daunten denn alle?«

Tharmiron trat neben Thorur, der sicheben in das Gespräch einschalten wollte.

»Moment!« sagte er leise.»Basis an BARGONNA!« erklang da

auch schon die Stimme des Kontrolloffi-ziers. »Falls Sie es noch nicht bemerkt ha-ben sollten, möchte ich Sie darauf aufmerk-sam machen, daß wir uns im Kriegszustandmit den Maahks befinden! Ein schwer ange-schlagener Großraumer befindet sich im An-flug auf unser Landegebiet. In Anbetrachtder Tatsache, daß Sie eine wertvolle Frachtan Bord haben, wollen wir Sie keiner unnö-tigen Gefahr aussetzen. Warten Sie also bit-te, bis wir Ihnen eine sichere Landung ge-währleisten können. Sonst fällt Ihnen dasSchlachtschiff am Ende noch auf denKopf!«

Die Verärgerung des Kontrolloffizierswar verständlich. Die Kommandanten derForschungsschiffe benahmen sich oft ziem-

lich arrogant gegenüber den Angehörigendes Militärs. Ein beschädigtes Schiff hatteimmer Vorrang. Allerdings fragte Tharmi-ron sich zu Recht, warum man den Raumernicht schon weiter draußen auf einer derPlattformen abgefangen hatte. Er eilte ajnseinen Platz und nahm einige Schaltungenvor.

»Was ist das für eine Geschichte mit die-sem Schlachtschiff?« fragte er scharf, als erdas Bild eines seiner Untergebenen auf demSchirm hatte. »Das Ding bringt unsere ganzePlanung durcheinander. Warum wurde esnicht rechtzeitig umgeleitet?«

»Der Kommandant der ENTHARA ist eingewisser Machavor Sarhagon«, lautete dielakonische Antwort. Tharmiron ersparte sichweitere Fragen.

Die Sarhagons waren eine sehr hochge-stellte Familie, mit der man sich besser nichtanlegte. Wenn dieser Mann den Wunsch äu-ßerte, auf Enorketron direkt zu landen, dannließ sich nicht viel dagegen machen, selbstwenn die Gefahr einer Bruchlandung be-stand.

Während Tharmiron in aller Eile seineLeute neu informierte, hörte er aus demLautsprecher die bissigen Bemerkungen desKommandanten der BARGONNA. DemKontrolloffizier blieb nichts anderes übrig,als alles über sich ergehen zu lassen, denn erhatte alle Hände voll zu tun, um die notwen-digen Maßnahmen für die eventuell rechtharte Landung der ENTHARA zu treffen.

Thorur war derjenige, der von den plötzli-chen Änderungen am wenigsten betroffenwurde. Dennoch benahm er sich, als laste ei-ne ungeheure Verantwortung auf seinenSchultern. Er warf mit völlig unsinnigen Be-fehlen und Bemerkungen um sich und ärger-te sich darüber, daß niemand ihn beachtete.Als Zavor in die Einsatzzentrale zurückkehr-te, glaubte er, endlich ein Opfer gefunden zuhaben.

»Wo hast du dich die ganze Zeit über her-umgetrieben?« schrie Thorur den verdutztenVeteranen an.

Zavor musterte seinen Vorgesetzten ver-

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dattert, dann grinste er breit.»Halt die Luft an!« empfahl er Thorur

und stapfte an ihm vorbei. Tharmiron hattesich unwillkürlich umgedreht. Er sah dasGesicht des Offiziers dunkelrot anlaufen undwandte sich hastig wieder ab. Aber der er-wartete Ausbruch Thorurs blieb aus, alsplötzlich eine quäkende Stimme aus denLautsprechern drang.

»Alarm für Landefläche sieben …«Draußen heulten die Sirenen auf. Schutz-

schirme bauten sich auf und bargen die emp-findlichsten Gebäude und die Eingänge zuden subplanetarischen Anlagen hinter ihrenschimmernden Energieblasen. Menschenrannten in die Unterstände, die überall aufdem Feld verteilt waren. Der Himmel überder weiten Fläche war plötzlich wie leerge-fegt.

»Ich habe draußen von der ENTHARAgehört«, sagte Zavorund legte Tharmiron dieHand auf die Schulter. »Das Robotkomman-do ist unterrichtet und steht abrufbereit.«

Tharmiron nickte ihm kurz zu und wandtesich dann wieder seiner Arbeit zu. Der Ve-teran war ihm nicht besonders sympathisch,aber er arbeitete gut und zuverlässig.

Er gab die Meldung an die Wachtruppeweiter, dann entstand eine kurze Pause. Ernutzte sie, um Ausschau nach der ENTHA-RA zu halten. Als das Schiff endlich in Sichtkam, hielt er die Luft an. Er fühlte sich ver-sucht, einige sehr unfreundliche Dinge indas nächstbeste Mikrophon zu brüllen, aberer riß sich zusammen.

Die Hülle der ENTHARA wies zwar einpaar deutlich erkennbare Beschädigungenauf, aber das Schiff war allem Anscheinnach voll flugtauglich. Es setzte sauber undeinwandfrei auf dem ihm zugewiesenenPlatz auf.

»Idiot!« murmelte Zavor, der hinter Thar-miron stand, aber selbst er sprach sehr leise.»So etwas kann sich nur ein Sarhagon erlau-ben! Wegen der paar Kratzer in der Außen-hülle hält er den ganzen Betrieb hier auf!«

Tharmiron nickte zustimmend und wun-derte sich über die Selbstbeherrschung des

Kontrolloffiziers, der von den Ereignissenweit stärker betroffen war. Tharmiron warte-te die Klarmeldung gar nicht mehr ab, son-dern gab seinen Leuten den Befehl, umge-hend auf die vorgesehenen Positionen zu-rückzukehren. Er hörte hinter sich das Stim-mengewirr der anderen, die sich über dieMehrarbeit beschwerten. Dann kam die offi-zielle Durchsage, daß der Alarmzustand auf-gehoben sei. Tharmiron lächelte schaden-froh. Während seine Kollegen sich erst jetztwieder auf ihre eigentliche Aufgabe besan-nen, hatte er seine Arbeit schon so gut wiehinter sich gebracht.

»Jetzt geht es los«, kommentierte Zavortrocken, als die BARGONNA endlich ihreAnweisungen bekam. Wenige Minuten spä-ter senkte sich das Forschungsschiff herab.

*

»Weißt du eigentlich, worauf wir hierwarten?«

Bros wandte sich überrascht um. Es kamselten vor, daß Velos ihn ansprach. Velosstammte nämlich direkt von Arkon I, woraufer sich schrecklich viel einbildete. Dabeiwar seine Familie so unbedeutend, daß derjunge Mann nicht den leisesten Grund fürseine Arroganz besaß. Bros war ebenfallsArkonide, aber er kam von einem Kolonial-planeten. Normalerweise übersah Velos Ka-meraden, die nicht auf Arkon geboren wa-ren.

»Auf die BARGONNA«, antwortete Broslakonisch.

»Willst du mich für dumm verkaufen?«regte Velos sich auf. »Das weiß ich selber!«

Bros grinste und lümmelte sich gegen dasFahrzeug, dem er zugeteilt war.

»Ich habe gestern im Kasino etwas läutenhören«, gab er genußvoll bekannt.

Er wußte, daß Velos sich schwarz ärgerte,weil Bros Zutritt zu einem den Offizierenvorbehaltenen Ort hatte. Allerdings ent-stammte Bros auch einer Familie, die aufseinem Heimatplaneten von einiger Bedeu-tung war. Er genoß aus diesem Grunde eine

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Reihe von bescheidenen Privilegien, auf dieVelos weit mehr Anspruch zu haben glaub-te.

»Die BARGONNA war auf einem sehrabgelegenen Planeten«, fuhr er nach einerlängeren Pause fort, die er einlegte, um Ve-los noch ein bißchen zu reizen. »Man hatdort die Überreste einer uralten Kultur ent-deckt. Man munkelt, daß diesem längst aus-gestorbenen Volk ungeheure technische Mit-tel zur Verfügung standen. Einige Offizierebehaupten sogar, die Forscher hätten unbe-kannte Waffen gefunden. Sie sollen bessersein als alles, was wir besitzen.«

Velos grunzte verächtlich.»Du spinnst!« behauptete er wütend. »So

etwas gibt es gar nicht. Wenn diese Phanta-siegestalten bessere Waffen als wir von Ar-kon gehabt hätten, wären sie erst gar nichtausgestorben.«

Bros lächelte friedlich, und das machteVelos nur noch ärgerlicher.

»Nun sag schon, was du noch weißt!« for-derte er ungeduldig.

»Der Befehl, aufgrund dessen wir uns hierlangweilen, stammt von Amarkavor Herigpersönlich!« ließ Bros seine sensationellsteInformation los.

Velos fuhr sichtbar zusammen.»Du meinst …«»Nein, er hat sich nicht aus seinem Ver-

steck gewagt«, wehrte Bros ab. »So wichtigscheint ihm die BARGONNA nun auch wie-der nicht zu sein!«

Velos schwieg, und Bros dachte bereits,der andere hätte sich wieder hinter sein übli-ches Schweigen zurückgezogen. Aber plötz-lich sagte Velos:

»Irgendwie ist mir Trantagossa unheim-lich. Überleg doch mal! Es gibt nur nochzwei andere Stützpunkte, die diesem hiergleichwertig sind. Jeder von ihnen ist sowichtig, daß nur Arkon über ihnen steht.Und ein solches System wird von einemMann regiert, den niemand zu sehen be-kommt! Du bist noch nicht lange hier, aberdu hast bestimmt schon etliche Gerüchte ge-hört. Ich sage dir, da stimmt etwas nicht!

Manchmal glaube ich, dieser AmarkavorHeng existiert gar nicht. Vielleicht sitzt einganz anderer in diesen geheimnisvollen Zen-tralen herum, oder der Kommandeur ist tot,und ein Positronengehirn hat seinen Platzübernommen!«

»Du siehst Gespenster!« gab Bros gelang-weilt zurück. »Glaubst du, das hätte nie-mand bemerkt? Vielleicht ist wirklich einanderer an seine Stelle getreten, ohne daßman es offiziell bekanntgeben wollte. Naund? Was bedeutet das für uns schon? Wirmüssen unseren Dienst versehen, das ist al-les!«

»Du hast eben kein Verantwortungsge-fühl«, knurrte Velos bissig.

Immerhin – auch Bros mußte zugeben,daß ihm die Verhältnisse im Trantagossa-Sy-stem merkwürdig erschiehen. AmarkavorHeng war überall anwesend – allerdings nurmittels Abhörgeräten und Spionaugen. Erhatte von den Offizieren erfahren, daß derKommandeur sich selbst auf den Bildschir-men nur selten zeigte. Kaum einer wußte ge-nau, wie dieser Mann aussah. Ab und zu ra-ste ein Flugkörper aus einem hermetisch ab-geriegelten Hangar. Das Ding war oval, et-wa sechzig Meter lang und vierzig Meterdick. Es sah aus, wie ein riesiges, graues Ei.Heng hatte den Befehl erteilt, daß dasSKORGON, wie man es auf Enorketronnannte, unter keinen Umständen aufgehaltenwerden durfte. Daher glaubten manche Leu-te, der Kommandeur persönlich benutze die-ses Raumschiff, um den Stützpunkt zu inspi-zieren. Andere behaupteten, daß sich anBord nur Roboter befanden.

SKORGON – das hieß »Der Verschleier-te«. Und einen undurchdringlichen Schleierhatte Amarkavor Heng tatsächlich um sichund sein Leben gezogen.

Bros wurde unsanft aus seinen Gedankengerissen, als Velos ihm einen groben Stoßversetzte.

»Aufwachen!« knurrte der grobschlächti-ge Mann wütend. »Typisch Kolonist!Träumt am hellen Tage vor sich hin, undMänner wie ich müssen die ganze Arbeit

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machen!«Bros verzichtete auf die geharnischte Ant-

wort, die ihm auf der Zunge lag. Die BAR-GONNA war gelandet. Er sah das Fahrzeugmit den vorprogrammierten Robotern ausdem Hangar huschen. Der Transporter mitden Kisten, in die das geheimnisvolleFrachtgut geladen werden sollte, folgte, unddann kam auch schon der Befehl, den Spezi-alwagen zu besteigen.

Bros seufzte tief auf. Ihm konnte es egalsein, welche Arbeit er verrichtete, aber erhielt das hier dennoch für ausgemachten Un-sinn.

Vier Fahrzeuge waren es, die unter derSchleuse der BARGONNA hielten. Auf je-dem hockten zehn Soldaten mit schußberei-ten Waffen. Bros sah die Kette der Wächtervor dem Tunneleingang, durch den sie spä-ter fahren sollten. Er grinste innerlich beidem Gedanken, daß das ganze Theater ver-mutlich sehr dazu angetan war, jeden etwavorhandenen Spion aufmerksam zu machen.Hätte man den Expeditionsraumer nicht an-ders behandelt als jedes andere Schiff, sowäre seiner Meinung nach die Geheimhal-tung weit besser gewährleistet gewesen.

Aber wer von den Offizieren kümmertesich schon um die Meinung eines gewöhnli-chen Soldaten?

Die ersten Roboter schwebten herab undtransportierten die schweren Spezialbehälteraus der Schleuse. Die Wachen standen mitden Impulsstrahlern in der Hand herum undbemühten sich um einen wachsamen Ge-sichtsausdruck. Bros atmete hörbar auf, alsendlich die letzten Behälter auf den Ladeflä-chen verankert waren. Eines der Fahrzeugeblieb halbleer – sehr umfangreich waren dieFunde der Forscher anscheinend nicht.

Während der Fahrt durch das Tunnelsy-stem unter der Landefläche streifte Bros abund zu die Kisten mit neugierigen Blicken.

Aber keiner der Männer erhielt auch nurdie leiseste Chance, den Inhalt näher zu be-trachten. Die Behälter wurden im Labortraktvon den Robotern weggeschafft. Durch eineoffene Tür sah Bros für einige Sekunden

komplizierte Geräte. Ein paar Männer inhellgrünen Umhängen hantierten daran her-um. Im übrigen sah es hier unten auf Sohledreiundzwanzig nicht viel anders aus als inden Teilen der Anlage, die Bros bereitskannte.

Der junge Mann war enttäuscht. Er hattegehofft, wenigstens ein paar Sätze auf-schnappen zu können, die sich mit dem In-halt der Kisten befaßten.

*

Der einsame Mann blickte gespannt aufdie Bildschirme, die sich direkt vor seinemfahrbaren Sessel befanden. Er verfolgte dieEntladearbeiten mit großer Aufmerksamkeit.Nur ab und zu wandte er den Blick zur Seiteund beobachtete die zahllosen Roboter, dievor der Wand hin und her huschten.

Der Raum war kreisrund. Vier mit Sicher-heitsvorrichtungen gespickte Türen unter-brachen die Gleichförmigkeit der Wände.Vom Boden bis etwa in Hüfthöhe zog sichein langes Schaltpult mit einer schier un-übersehbaren Menge von Bedienungsele-menten hin. Darüber bildeten Tausende vonkleinen Bildschirmen ein wahres Mosaik.Alle waren in Betrieb und zeigten Bilder ausden verschiedendsten Gegenden von Enor-ketron. Ein Bildschirm bildete auch dieDecke dieses Raumes. Auf der riesigen Flä-che wechselten Ansichten aus dem Welt-raum. Plattformen, Planeten, Pulks vonRaumschiffen, Satelliten …

Amarkavor Heng verspürte beim Anblickdieser hervorragend eingerichteten Beobach-tungszentrale immer wieder Stolz. Das alleshatte er selbst geplant. Und dieser Raum,dessen Durchmesser nahezu einhundert Me-ter betrug, war nur einer von vielen. EinNetz geheimer Verbindungsröhren, zu denennur er persönlich Zutritt hatte, verband diesubplanetarischen Anlagen des Komman-deurs miteinander.

Nur eines störte ihn manchmal: Er konntediese Pracht niemandem zeigen. Zweifelloswäre sein Prestige noch viel größer gewe-

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sen, hätten alle gewußt, auf welch geschick-te Weise Heng das Problem der totalenÜberwachung gelöst hatte. Selbstverständ-lich konnte er nicht persönlich jeden Bild-schirm einzeln beobachten. Aber die Robo-ter – von hervorragenden Spezialisten fürdiesen Zweck programmiert – ordneten dieeinzelnen Vorgänge ihrer Bedeutung nachein und veranlaßten, daß alles, was wichtigwerden konnte, gespeichert wurde. Sie tra-fen eine Vorauswahl, und Heng entschieddann zu gegebener Zeit, was für ihn aus denSpeichern noch einmal überspielt werdensollte.

Wie gesagt – es wäre für AmarkavorHeng eine große Befriedigung gewesen, we-nigstens einmal die verdiente Anerkennungfür dieses gewaltige Werk zu finden. Aberdas war etwas, worauf er notgedrungen ver-zichten mußte. Innerhalb der letzten Jahrewaren nur zehn Menschen in dieses unum-schränkte Reich des Kommandeurs geholtworden. Sie waren leider nicht in der Stim-mung gewesen, Hengs Werk zu würdigen.Denn diese zehn Eindringlinge waren Verrä-ter, potentielle Mörder, die nach Hengs Le-ben trachteten. Nur aus diesem Grunde hatteer sie zu sich bringen lassen. Denn so ge-fährliche Feinde sollten in seiner Gegenwartsterben. Sonst wäre er sich niemals sichergewesen, daß sie auch wirklich tot waren.

Der Gedanke an die vielen Verschwörun-gen, gegen die er zu kämpfen hatte, machteHeng unruhig. Obwohl die Fracht der BAR-GONNA ihn nach wie vor faszinierte, wand-te er sich ab und rollte an der Reihe derBildschirme entlang. Einer der Roboter, dieHeng zu seinen persönlichen Dienern beför-dert hatte, näherte sich unterwürfig seinemHerrn.

»Was gibt es?« fuhr Heng die Maschinegrob an.

»Der Gefangene namens Ütr'ang hat sichin seiner Zelle getötet, Erhabener!«

Heng fuhr hoch. Eine ungeheure Wut er-füllte ihn, und er hatte Mühe, sich wenig-stens einigermaßen zu beherrschen. Er folgtedem Roboter zu einem der Bildschirme und

betrachtete dann düster das Bild, das sichihm bot.

Ütr'ang war kein Arkonide. Es handeltesich um ein kleines, zerbrechlich wirkendesWesen, dessen stabförmiger Leib von eini-gen Dutzend schlangenartiger Gliedmaßenförmlich umhüllt wurde. Der Kopf desFremdwesens, eine mit zwei Augenpaarenund einer Atemöffnung ausgestattete Kugel,war jetzt nur noch eine breiige Masse. DieSpuren an der Wand zeigten, auf welcheWeise Ütr'ang nach sechsjähriger Gefangen-schaft Selbstmord verübt hatte. Das kleineGeschöpf hatte sich buchstäblich den Kopfeingerannt.

Heng betrachtete die Leiche, dann wandteer sich an den Roboter.

»Ich will die Aufzeichnungen sehen!«forderte er.

Während der Roboter die nötigen Schal-tungen vornahm, dachte Heng voller Wutdaran, daß er von nun an noch wachsamersein mußte.

Er hatte Ütr'ang durch einen puren Zufallaufgespürt. Einer der Soldaten hatte daskleine Wesen als Maskottchen mit sich her-umgeschleppt. Niemand wußte genau, wo-her dieses Geschöpf stammte. Der Soldatbehauptete, es auf einem Sklavenmarkt er-standen zu haben.

Dieses unscheinbare Geschöpf besaß je-doch eine erstaunliche Fähigkeit. Es fühlteGefahren. Der Soldat hatte Ütr'ang in einerKneipe als Attraktion vorgeführt. Zufälligwar Heng Zeuge dieser Szene geworden,und selbst auf den Verdacht hin, daß derSoldat übertrieb, hatte er dafür gesorgt, daßÜtr'ang in einer seiner Zentralen landete.Das Wesen hatte sich in erstaunlicher Weisebewährt. Die zehn Verräter hatte Heng nurdurch seine Hilfe entdeckt. Er hatte niemalseine Möglichkeit gefunden, sich mit demkleinen Fremden zu verständigen, aber daswar auch gar nicht notwendig. SobaldÜtr'ang eine Gefahr spürte, nahm er eineSchreckhaltung ein. Er wurde von den Ro-botern ständig beobachtet. Reagierte er un-gewöhnlich so wurde Heng sofort verstän-

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digt.Er wunderte sich darüber, daß das diesmal

nicht geschehen war. Noch mehr wunderteer sich darüber, daß Ütr'ang tot war.

Heng hatte im Laufe der Jahre fast so et-was wie Zuneigung zu diesem Geschöpf ent-wickelt. Zuerst hatte er es tatsächlich nurwie einen Gefangenen behandelt, aber eszeigte sich, daß Ütr'ang in einer ihm unange-nehmen Umgebung häufig falschen Alarmgab. Deshalb sah Heng sich gezwungen, da-für zu sorgen, daß der kleine Fremde sichwohl fühlte. Die Zelle, die Ütr'ang bis jetztbewohnt hatte, war sehr groß und glich ehereinem Gewächshaus als einem Gefängnis. Ineiner dicken Schicht feuchter Humuserdewurzelten exotische Pflanzen. Es gab einWasserbecken mit kleinen Fischen darin undeine Hütte aus Steinen, die Ütr'ang selbst er-richtet hatte. Heng hatte immer geglaubt, derFremde fühle sich wohl in dieser Umge-bung. Und nun …

Der Roboter machte ihn darauf aufmerk-sam, daß die Aufzeichnung lief. Gespanntverfolgte Amarkavor Heng den Film. Er sahden Kleinen bei seinen üblichen Beschäfti-gungen und stellte nichts Ungewöhnlichesfest. Am unteren Rand des Schirmes zeigtenschnell durchlaufende Ziffern die Uhrzeitan, zu der die Aufnahmen entstanden waren.

Die Wende kam sehr plötzlich. Ütr'ang,der gerade eine der Wurzeln ausgrub, die erselbst neben seiner Hütte zog, erstarrte mit-ten in der Bewegung. Heng schrak zusam-men, als er sah, wie das Wesen die typischeSchreckhaltung annahm. Es hatte also Ge-fahr gedroht!

Die Verkrampfung der Gliedmaßen wurdeinnerhalb von Sekunden so stark, daß derKleine sich überhaupt nicht mehr rührenkonnte. Automatisch warf Heng einen Blickauf die Zeitangabe. Der Augenblick, in demdie Verkrampfung begann, stimmte genaumit der Landung der BARGONNA überein!

Zufall?Heng hatte das Gefühl, als hätte ein kalter

Lufthauch ihn gestreift. Welche Gefahr kamda auf ihn zu?

Nur verschwommen sah er noch, wieÜtr'ang plötzlich zum Leben erwachte undwie von Sinnen losraste, genau gegen dieWand. Das Ende kam schnell. Das zartekleine Geschöpf war dem harten Anprallnicht gewachsen.

Heng ließ den Bildschirm abschalten undblieb lange Zeit bewegungslos davor sitzen.Er war sich nicht klar darüber, wie er dasVerhalten des Fremdwesens deuten sollte.Hatte Ütr'ang tatsächlich eine Gefahr ge-spürt? Oder hatte sein überraschendes Endeandere Gründe? Niemand wußte, wie langediese Wesen lebten. Vielleicht war das ihreganz natürliche Art zu sterben.

Heng grübelte, bis ihm klar wurde, daßder Roboter immer noch neben ihm stand.

»Warum wurde ich nicht sofort benach-richtigt?« fragte er zornig. Im gleichen Mo-ment fiel ihm ein, daß er selbst den Befehlgegeben hatte, man solle ihn nicht stören. Erhatte die Landung der BARGONNA verfol-gen wollen …

Er schnitt die Antwort des Roboters miteiner herrischen Handbewegung ab.

»Säubert die Zelle und vernichtet denKörper!« befahl er. Dann rollte er an seinenursprünglichen Platz zurück, aber er warnicht mehr bei der Sache. Er glaubte nicht,daß Ütr'angs Tod mit dem landenden Schiffzusammenhing. Es mußte etwas anderes da-hinterstecken. Eine Verschwörung? Auchwenn Heng gewissenhaft alles unter Kon-trolle hielt, fanden die Verräter doch immerwieder Mittel und Wege, zwischen den en-gen Netzen der Überwachung eine Lücke zuentdecken. Er durfte sich niemals sicher füh-len. Und jetzt, da der kleine Fremde aus-schied, würde es noch schwieriger werden,die drohenden Gefahren rechtzeitig zu be-merken.

Heng entschied sich, die Beobachtung derBARGONNA abzubrechen und zunächst ei-nige Nachforschungen anzustellen. Erstmußte er sicher sein, daß ihm die Mördernoch nicht zu nahe gekommen waren.

Kurz darauf summte die Zentrale vor Ge-schäftigkeit. Das Heer der mechanischen

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Diener durchforschte mit maschineller Stur-heit die Umgebung aller geheimen Zentra-len. Sie fanden nichts …

*

Bher Gobon war noch sehr jung. Es warfast eine Auszeichnung, daß man ihn in dasTeam der Experten gerufen hatte. Er warsich dieser Tatsache durchaus bewußt. ImAugenblick allerdings wünschte er sichsehnlichst zu seiner Routinearbeit zurück,denn das, was vor seinen Augen abrollte,barg höchst unangenehme Perspektiven insich.

Die erste Kiste, die von der BARGONNAgekommen war, wies einen Inhalt auf, derden gespannten Wissenschaftlern einenziemlichen Schock versetzte. Zwar warensie von ihren Kollegen an Bord des Expedi-tionsraumers auf diesen Anblick vorbereitetworden, aber sie hatten den enthusiastischenÄußerungen dieser Leute wenig Glauben ge-schenkt.

Forscher, die auf unbekannten Planetennach untergegangenen Kulturen suchten,wühlten sich in neunundneunzig Prozent derFälle lediglich durch riesige Schuttberge. Siewaren schon meistens außer sich vor Freude,wenn sie zufällig auf ein paar alte Scherbenstießen. Wenn sie von deutlichen Hinweisenauf die Herkunft eines Volkes sprachen, wa-ren in der Praxis meistens nur einige verwa-schene Wandzeichnungen vorhanden, undein Skelett, bei dem nicht mehr als die Hälf-te der Knochen fehlte, galt als»hervorragend erhalten.«

So ließ es sich erklären, daß niemand aufSohle dreiundzwanzig auf die Idee gekom-men war, die Äußerungen der raumfahren-den Kollegen etwa wörtlich zu nehmen.

Die Wissenschaftler beseitigten mit einerArt sorgloser Skepsis die komplizierten Ver-schlüsse der Behälter, klappten die Deckelhoch – und standen dann für die nächstenMinuten sprachlos da.

Bhers erster Eindruck war, daß die Leuteauf der BARGONNA sich mit Hilfe eines

dummen Tricks über ihre Kollegen lustigmachen wollten. Der Große Methankriegbrachte es mit sich, daß es nicht sonderlichschwer war, sich einige Leichen zu beschaf-fen. Sie zurechtzuschminken, würde einemFachmann nicht schwerfallen.

Allerdings – die Wesen in diesem Behäl-ter wiesen keinerlei Verletzungen auf. Siewirkten so vollkommen wie lebensgroße,kunstvoll angefertigte Puppen. Bei näheremHinsehen wurde aber deutlich, daß es sichnicht um angemalte Arkoniden handelnkonnte. Die Arme waren etwas zu lang, undes gab noch einige weitere Unterschiede.

Es waren zwölf Körper. Sie waren unbe-kleidet. Es bedurfte keinerlei medizinischerKenntnisse, um festzustellen, daß drei vondiesen Leichen weiblichen Geschlechts wa-ren.

Bher schluckte unwillkürlich, als er sichmit dieser fremden Weiblichkeit konfrontiertsah. Wären die drei Frauen noch am Lebengewesen, so hätte jede Arkonidin im Ver-gleich zu ihnen einfach farblos gewirkt.

Das war die zweite Erkenntnis, die Bherzu schaffen machte.

Die Fremden waren nicht nur völlig ein-wandfrei erhalten, sondern sie waren auchungewöhnlich schön.

Ihre Körper waren ebenmäßig und makel-los. Unter der glatten, bronzefarbenen Hautzeichneten sich gut ausgebildete Muskelnab. Die Gesichter der Männer waren scharfgeschnitten und verrieten ein fast beängsti-gendes Maß an Persönlichkeit und Willens-kraft. Die Mädchen oder Frauen wirktensanfter und weicher. Aber auch bei ihnenhatte Bher den Eindruck, es sei zu ihren Le-bzeiten sicherer gewesen, sie nicht zu Fein-dinnen zu haben.

Sowohl die männlichen als auch die weib-lichen Leichen trugen ihr Haupthaar lang. Esglänzte, als hätte es durch den Tod dieserWesen überhaupt nicht gelitten. Die Haar-farbe war bei allen gleich: Ein wunderbarerGoldton, der zu der bronzenen Haut phanta-stisch gut paßte.

»Unmöglich!« hörte Bher neben sich eine

Flottenstützpunkt Trantagossa 11

flüsternde Stimme. Als wäre damit der Banngebrochen, begannen nun auch die anderen,ihren Kommentar abzugeben.

»Die Leute von der BARGONNA müssenübergeschnappt sein!« behauptete einer, undein anderer stöhnte:

»Die wollen uns doch wohl nicht ein paartiefgekühlte Barbaren als Angehörige einesuralten Volkes unterschieben! Die Kerlesind mit Sicherheit nicht länger als ein paarTage tot!«

Bher zuckte zusammen, als ihm bewußtwurde, daß er in seinen Gedanken sogarnoch einen Schritt weiter ging. Er war in-stinktiv davon überzeugt, daß diese Wesenlebten. Sie machten auf ihn den Eindruck,als lägen sie in einem sehr tiefen Schlaf, undes bedürfe nur eines auslösenden Impulses,sie zum Leben zu erwecken.

»Meine Herren!«Bariila, der Chef des Teams, trat ener-

gisch einen Schritt vor und hob die Hand.Das Gemurmel wurde leiser. Erst als auchdie letzte Bemerkung verklungen war, be-gann der alte Wissenschaftler zu sprechen.

»Ich kann Ihre Reaktionen verstehen. Mirging es im ersten Moment genauso, auch ichwollte nicht glauben, daß es sich um mehrals einen dummen Scherz handelt. Aber ge-hen wir doch einmal logisch vor! UnsereKollegen auf der BARGONNA haben einegefährliche Fahrt hinter sich. Sie alle wissen,wie es jetzt draußen im Raum aussieht. Un-ter diesen Umständen dürfen wir wohl an-nehmen, daß ernsthafte Wissenschaftler sichnicht wie kleine Jungen aufführen. Die Er-gebnisse, die die Kollegen uns haben zu-kommen lassen, sprechen eindeutig für einsehr hohes Alter der Anlagen, in denen dieseKörper gefunden wurden. Sie behaupten, esgäbe dort ein Lebenserhaltungssystem, dasviel höher entwickelt ist als alle Anlagendieser Art, die uns bekannt sind. Ich glaube,wir sollten daher die Diskussion darüber, obdiese Leichen echt sind, abbrechen und unsendlich unserer Arbeit zuwenden.«

Barilla hatte die Situation jetzt wieder festim Griff. Er teilte verschiedene Gruppen ein,

und da sowieso jeder wußte, was er zu tunhatte, funktionierte der weitere Ablauf desGeschehens nahezu reibungslos.

Innerhalb von Minuten war der Inhalt derKisten auf die verschiedenen Abteilungendes Großraumlabors verteilt. Auch Eher er-hielt seinen Teil der Arbeit zugewiesen. Erwar erleichtert darüber, daß man die Körperder Fremden zunächst nur äußerlichen Un-tersuchungen unterzog. Mit routiniertenHandgriffen untersuchte er die ihm zugewie-sene Leiche, aber eine gewisse Scheu ver-mochte er dennoch nicht zu unterdrücken.

*Einige Stunden später:

In einem angrenzenden Raum versammel-ten sich die Teamchefs, um die gewonnenenFakten miteinander zu vergleichen und dieArbeiten für den nächsten Tag zu koordinie-ren. Normalerweise fanden diese Bespre-chungen in einer ziemlich unterkühlten At-mosphäre statt. Heute dagegen war die Ver-wirrung so groß, daß Bariila Mühe hatte, einSchema in die Berichterstattung zu bringen.Der einzige aus der Runde, der mit dem Er-folg leidlich zufrieden sein konnte, war Ka-ratos, das Oberhaupt der Abteilung Biologieund Medizin.

»Die Fremden gleichen sowohl vom Äu-ßeren her als auch in ihrer organischen Be-schaffenheit weitgehend uns Arkoniden«,sagte er. »Es gibt Abweichungen, aber siesind relativ gering.«

»Kann es sich um die Nachkommen einerverschollenen Kolonistengruppe handeln?«wollte Bariila wissen.

»Unwahrscheinlich«, widersprach Kara-tos spontan. »Die Körper sind wirklich uralt.Genaue Zahlen kann ich Ihnen erst liefern,wenn wir den ersten seziert und verschiede-ne Organteile, vor allem aber die Knochen,ausführlichen Tests unterzogen haben. Abereines läßt sich schon jetzt sagen: DieseFremden haben gelebt, als Arkon noch amBeginn der Kolonisierung fremder Planetenstand.«

12 Marianne Sydow

»Es ist unwahrscheinlich, daß es sich umArkonidenabkömmlinge handelt«, stimmteHerran, der Physiker, zu. »Eine so großeTechnik entsteht nicht spontan.«

Bariila sah ihn fragend an. Herran zog un-behaglich die Schultern hoch. Auch er warschon sehr alt, hatte ein runzeliges Gesichtund einen glänzend kahlen Schädel.

»Wir wissen noch nichts!« gab er seineNiederlage unumwunden zu und breitetevielsagend die Hände aus.

Barilla wandte sich Psorro zu, dem Au-ßenseiter dieses Teams. Psorro war Techni-ker. Ein Genie der Praxis. Der grobschläch-tige Mann mit den viel zu kleinen, wasser-hellen Augen und den plump wirkendenWurstfingern hatte schon manches Problemgelöst, an dem andere fast verzweifelt wa-ren.

»Nichts!« sagte Psorro lakonisch.Barilla seufzte. Er sah auf die Unterlagen

und stellte fest, daß es schlecht stand. DieGeräte der Fremden waren fremd und unver-ständlich. Man hatte noch nicht einmal her-ausbekommen, nach welchem Prinzip dieseSachen arbeiteten, geschweige denn, wel-chem Zweck sie dienten. Dabei brannte ih-nen die Zeit unter den Nägeln. AmarkavorHeng wartete auf Ergebnisse. Der Komman-deur konnte sehr ungeduldig werden, wennetwas nicht nach seinen Vorstellungen ver-lief.

»Was nun?« fragte der alte Wissenschaft-ler ratlos. Er wußte im voraus, daß niemandihm auf diese Frage eine Antwort erteilenkonnte. Sie würden weiterforschen und hof-fen, daß sie am nächsten Tag mehr Glückhatten.

»Eines der Geräte sieht aus, als wäre eseine Waffe«, sagte Psorro zu seiner Überra-schung. »Ich kann nicht genau sagen, wieich auf diese Idee komme, aber vielleicht…«

Er sprach nicht weiter, aber Bariila hatteverstanden. Eine Waffe! Das war die Ret-tung!

»Besteht eine Aussicht, sie in Betrieb zusetzen?« wollte Barilla hastig wissen. Der

Praktiker zuckte die Achseln.»Wenn man lange genug daran herum-

dreht, passiert vielleicht etwas«, murmelteer. »Aber ich würde einen solchen Versuchniemals hier im Labor oder überhaupt aufEnorketron wagen.«

Barilla nickte zufrieden. Er wußte jetzt,was er Amarkavor Heng sagen konnte, wenner ihm Bericht erstattete!

2.

Magantilliken wußte sofort, daß etwasfalsch war. Das Gefühl der Angst, ihm sonstnahezu unbekannt, betäubte ihn fast. Es dau-erte lange, ehe er erkannte, was der Grundfür seine Beunruhigung war.

Er war schon oft in die Eisige Sphäre zu-rückgekehrt. Nur hier konnte sein Bewußt-sein jene Energie aufnehmen, die es benötig-te, um die uralten Körper mit Leben zu er-füllen, derer er sich als Henker bediente. Eshatte sich immer nur um kurze Aufenthaltegehandelt, aber er war zumindest für einenAugenblick in seine normale Daseinsformzurückgekehrt. Das war ein äußerst wichti-ger Punkt der Planung. Gerade der direkteKontakt mit der Wirklichkeit dieses Ortesgab dem Henker positive Impulse, die ihmbei seiner Arbeit von Nutzen waren.

Diesmal fühlte er sich isoliert und gefan-gen. Er erinnerte sich nur mühsam daran,daß sein letzter Körper vernichtet wordenwar.

War seine Schwäche auf das Todeserleb-nis zurückzuführen?

Er wußte es nicht. Er hatte den vagen Ge-danken, er müsse gegen etwas ankämpfen,aber als er es versuchte, merkte er, daß er er-stens kein Ziel und zweitens keine Kraft da-zu hatte.

Er hing im Nichts. Sein Bewußtsein ver-mittelte ihm ein verschwommenes Bild sei-ner Umgebung, von dem er jedoch wußte,daß er sich auf keinen Fall darauf verlassendurfte. Er meinte Bäume zu sehen, graziöseTiere neben einem glitzernden Bach, Berge– und dann erkannte er, daß es sich nur um

Flottenstützpunkt Trantagossa 13

Spiegelungen handelte, um Reste von Erin-nerungen, die er aus seinem vorigen Körperübernommen hatte.

»Was hat das zu bedeuten?« dachte er,und gleichzeitig warf seine Umgebung sei-nen Gedanken auf ihn zurück, wiederholteihn in einer wirren Form von Echos, die aufihn in seiner jetzigen körperlosen Strukturschmerzhaft wirkten. Er spürte den Drang,die Hände gegen die Ohren zu pressen undlachte hysterisch, als er sich bei dem Ver-such ertappte, diese Bewegung auch auszu-führen. Er hatte sich einfach noch nicht mitdem Verschwinden seines Körpers abgefun-den. Auch solche Anpassungsschwierigkei-ten waren für ihn ungewöhnlich. Seine Unsi-cherheit wuchs.

Er wußte nicht, wieviel Zeit verging. Erhing in dieser Leere, umgeben von denTraumbildern des anderen Ichs, und nichtsum ihn her veränderte sich. Die Zeit seinerGefangenschaft erschien seinem Bewußtseinals äußerst lang, aber er wußte aus Erfah-rung, daß das ein subjektiver Eindruck war,der mit der Wirklichkeit nicht übereinstim-men mußte.

Plötzlich gab es einen Ruck, und er merk-te, daß man ihn samt dieser unwirklichenLeere weitertransportierte. Und auch daswunderte ihn, denn in diesem körperlosenZustand hatte er so etwas noch nicht erlebt.

Wie ein scharfer Speer durchdrang einGedanke seine Isolierung von der Außen-welt.

»Was suchst du hier?«Magantilliken war verwirrt. Dann keimte

Ärger in ihm auf. Allmählich glaubte er zudurchschauen, welches Spiel man mit ihmtrieb.

Er hatte die Eisige Sphäre noch gar nichtbetreten. Er war an ihrer Begrenzung hän-gengeblieben, vermutlich infolge dieser selt-samen Schwächung, und die ihm zur Verfü-gung stehende Energie reichte nicht aus, umden Rest des Weges zu überwinden.

»Ich verlange Zutritt!«Der Gedanke eines Kicherns echote an

sein Bewußtsein, und seine Wut wuchs.

»Ich bin Magantilliken, der Henker!«schrien seine Gedanken den Unbekanntenan. »Sagt dir das etwas?«

»Nein«, behauptete der andere prompt.»Ich kenne zwar einen Magantilliken, aberder ist kein Henker, sondern ein Versager,eine Null!«

Magantilliken hätte den Atem angehalten,wäre er dazu rein organisch imstande gewe-sen. Was ging hier vor?

»Laß die dummen Scherze«, mischte sichein neues Gedankenmuster in die verwirren-de Unterhaltung. »Magantilliken, ich weiß,daß du mich verstehst. Antworte also aufmeine Frage! Hast du deine Aufgabe er-füllt?«

Der Henker zuckte zusammen.»Mein voriger Körper wurde vernichtet«,

stammelten seine Gedanken. Ganz langsambegann er wirklich zu begreifen. »Ich …«

»Also nein«, stellte die Stimme hinter denGrenzen der Erinnerung fest. »Wir wissendas bereits, aber wir legten Wert auf einepersönliche Bestätigung deinerseits. Wirwissen allerdings noch weit mehr, Magantil-liken. Du nennst dich den varganischenHenker. Das ist ein stolzer Name! Führst duihn zu Recht? Wir glauben es nicht. Du hastdich nicht viel klüger verhalten als einer die-ser Primitiven, denen du begegnet bist. Duhast Zeit verschwendet. Ischtar lebt immernoch – und mit ihr etliche andere Varganen,die zwar weniger wichtig sind, für uns aberdennoch eine Gefahr bedeuten. Warum hastdu sie noch nicht getötet?«

»Es ist schwierig, an sie heranzukom-men«, gab Magantilliken zu bedenken undwand sich innerlich vor Verlegenheit. »Sieüberhaupt zu finden …«

»Du weißt, daß das nicht stimmt!« stellteein anderer Vargane fest, dessen Gedanken-muster der Henker noch nicht kannte. DieErkenntnis, daß mehrere Bewohner der Eisi-gen Sphäre sich mit ihm befaßten, wirktewie ein Schock auf Magantilliken.

»Stehe ich vor einem Gericht?« erkundig-te er sich verwirrt.

»Nein«, teilte die Gedankenstimme ihm

14 Marianne Sydow

ungerührt mit. »Aber es ist möglich, daß dudich bald in einer solchen Situation findenwirst. Du solltest allerdings wissen, daß da-zu einige Formalitäten gehören. Der Aufent-halt in der Zeitblase sollte lediglich dazudienen, dir den Zustand der Verbannung be-greiflich zu machen. Kehren wir zum Themazurück.«

»Halt!« bat Magantilliken rasch. »Laßtmich erst hier heraus! Ich habe ein Rechtdarauf, die Eisige Sphäre zu betreten!«

»Jetzt ist es aber genug!« mischte sichschon wieder ein anderer ein, und das Be-wußtsein des Henkers schrak vor der Autori-tät dieser Stimme zurück. »Noch ein paarBemerkungen dieser Art, und die Verban-nung wird auch ohne Gerichtsbeschlußwirksam! Magantilliken, als wir dich aus-sandten, um die Rebellen zu vernichten, dahast du für die Dauer deines Auftrags aufbestimmte Rechte verzichtet. Wir können dirden Zutritt jederzeit verweigern. An deinemBewußtsein wurden Korrekturen vorgenom-men, um dich auf deine Aufgabe vorzuberei-ten. Das alles ist dir bekannt. Ich verzeihedir deine Anmaßung und nehme an, daß ei-nige Erinnerungen infolge des langen Auf-enthalts in der Außenwelt verwischt wurden.Aber ich will nichts mehr hören, was meineGeduld überfordern könnte!«

Magantilliken schwieg verwirrt. Funktio-nierte sein Gedächtnis wirklich nicht mehreinwandfrei? Oder hingen die Fehler, die ermachte, mit diesem Zustand der Unsicher-heit zusammen?

»Es ist möglich«, antwortete eine Gedan-kenstimme versöhnlich auf seine lautloseFrage. »Wir werden dich neu konditionie-ren, ehe wir dich wieder hinaussenden!«

Der plötzliche Schock der Erkenntnis er-schütterte das Bewußtsein des Henkers. Erhatte versagt! Noch immer war seine Aufga-be ungelöst. Wie hatte es so weit kommenkönnen?

»Du hast dich verwirren lassen«, wiesman ihn streng zurecht. »Am Anfang warendeine Handlungen so zielbewußt und sicher,wie wir es uns erhofft hatten. Aber später

mischten sich egoistische Motive in deineUnternehmungen. Vielleicht ist es auf dieKörper zurückzuführen, in die du schlüpfenmußtest. Die Resterinnerungen scheinenstärkere Auswirkungen auf dich zu haben alswir dachten. Wichtig ist, daß du in Zukunftaufhörst, eine persönliche Beziehung zu dei-nen Opfern herzustellen. Haß ist an dieserStelle verfehlt. Ebenso die Suche nach Be-friedigung für einen primitiven Jagdtrieb. Esspielt keine Rolle, wie du Ischtar tötest.Wichtig ist nur, daß sie stirbt. Und zwarbald. Die Gefahr wächst unaufhörlich!«

»Dir standen alle Mittel zur Verfügung,die du brauchtest«, setzte eine andere Ge-dankenstimme den Vortrag fort. »Deine Ent-schuldigungen sind also unsinnig. Wenn dudein Ziel bisher nicht erreicht hast, dannliegt das einzig und allein daran, daß du un-konzentriert warst. Du hattest Ischtar bereitsvor dir – und du hast versagt. Du hast sieentkommen lassen! Später hast du den Feh-ler begangen, unendlich viel Zeit an die Ver-folgung dieses Barbaren zu verschwenden!«

»Er war Ischtars Geliebter!« versuchteMagantilliken sich zu verteidigen. »Er wuß-te zu viel!«

»Er wußte gar nichts!« kam die Antwort.»Er ist unwichtig!«

Magantilliken riß sich zusammen. Nachwie vor war er der Meinung, daß der leichte-ste Weg zu Ischtar über diesen Atlan führte.Sie hatte einen Narren an ihm gefressen, undes hatte sich schon erwiesen, wie leicht siesich durch diese Geisel in die Falle lockenließ. Aber er hütete sich, diesen Gedankenzu formulieren.

»Du mußt jetzt wieder gehen«, sagte je-mand. »Die Umformung deines Bewußt-seins ist abgeschlossen. Nach unseren Be-rechnungen wirst du nach deinem Eintritt indie Außenwelt wieder genauso zielstrebighandeln wie am Beginn deines Weges. Wirhaben dich mit einer ausreichenden Mengevon Energie versorgt, so daß du die Reisegut überstehen wirst. Geh, und töte Ischtar!«

»Nein!«Der Gedanke brach wie eine winzige,

Flottenstützpunkt Trantagossa 15

aber strahlend helle Flamme durch die Be-grenzung des unwirklichen Raumes. Magan-tilliken spürte die Verwirrung, die jenseitsder Wand aus Zeit herrschte.

»Wer war das?«»Wer wagt es, sich hier einzumischen?«»Still, ich höre etwas!«Gedankenstimmen schwirrten durcheinan-

der, und für einen Moment überwog dieVerwirrung die Achtsamkeit derer, die überden Henker wachten. Er tat fast unabsicht-lich einen Blick durch dieses sich für un-meßbar kurze Zeit öffnende Fenster und sahseine Welt, die Eisige Sphäre, seine Heimat…

Dann schlug die Tür wieder zu, und Ma-gantilliken zuckte verwirrt zurück. Der Mo-ment hatte nicht ausgereicht, ihn erkennenzu lassen, wo er sich befand. Was in ihm zu-rückblieb, war nur ein Gefühl der Trauerund der Sehnsucht. Er mußte einen Weg fin-den, um bald wieder direkten Zutritt zu er-halten. Er spürte, wie sich selbst seine Erin-nerung an seinen Herkunftsort allmählichabschwächte. Die Eindrücke, die er draußenin diesem wilden Sternendschungel auf-nahm, drängten sich immer stärker in denVordergrund.

»Es war das Kind!« bemerkte jemand.Erstaunen, Ratlosigkeit. Schließlich eine

Frage.»Was willst du?«Diesmal war nicht Magantilliken gemeint.

Es hätte auch niemand eine solche Fülle vonZärtlichkeit in eine Frage gelegt, die für denHenker bestimmt war.

»Ich bitte euch, Ischtar am Leben zu las-sen! Sie ist meine Mutter!«

»Das wissen wir, Chapat, und es tut unsunendlich leid. Aber wir sind gebunden! Siemuß sterben, daran dürfen auch wir nichtsändern!«

Bedauern lag in diesem Gedanken, Mit-leid, Wärme, Verständnis.

»Ich glaube euch nicht!« schrien ChapatsGedanken verzweifelt. »Ihr seid allmächtig!Ein Wort von euch genügt, um Ischtar zuretten. Laßt es nicht zu, daß Magantilliken

sie tötet!«Magantilliken zuckte vor dieser maßlosen

Verzweiflung zurück, und auch die anderenschienen Mühe zu haben, mit Chapats wil-der Anklage fertig zu werden. Aber das dau-erte nur Sekunden. Der Henker wußte, wel-che Antwort man dem Embryo geben muß-te.

»Niemand ist allmächtig, Chapat. Auchwir nicht. Du wirst es später begreifen ler-nen …«

Der größte Teil der Varganen, die sich –unsichtbar für den Henker – bisher draußenaufgehalten hatten, wandten ihre Aufmerk-samkeit dem Embryo zu, und ihre Gedankenwurden für Magantilliken unverständlich.Hilflos hing er in der Ungewißheit und war-tete. Bald würde man sich wieder an ihn er-innern. Er fürchtete sich vor diesem Augen-blick.

Er wußte, wie wichtig seine Aufgabe war.Er kannte auch die Gefahr, die die noch frei-en Varganen für die Bewohner der EisigenSphäre bedeuteten. Man durfte ihnen keineZeit lassen, einen Weg in diese Zufluchts-stätte zu finden. Gelang es einem von ihnen,bis an diesen Ort vorzudringen, dann konnteer alles vernichten, selbst wenn er das be-wußt gar nicht beabsichtigte.

Es war notwendig, daß Magantilliken sei-nen Auftrag erfüllte. Und er konnte das nichttun, ohne die Eisige Sphäre zu verlassen.

Aber das änderte nichts daran, daß derHenker es vorgezogen hätte, endlich Friedenzu finden …

*

Ich befand mich an Bord eines Beiboots,das auf Geheiß der Arkonidin Zaroia Ken-tigmilan den Flottenstützpunkt Trantagossaansteuerte, und ich fühlte mich alles andereals wohl in meiner Haut.

Die Besatzung dieses kleinen Raum-schiffs war sich offenbar nicht einig darüber,wie man mich behandeln sollte. Sie wußtenbuchstäblich nichts. Ich war in gewisserWeise ein Gefangener, aber es hatte sich

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herumgesprochen, daß Zaroia mich mit be-sonderer Aufmerksamkeit behandelt hatte.Deshalb wagten die Männer an Bord esnicht, mich einfach einzusperren. Sie durftenmir jedoch aus Sicherheitsgründen nicht denfreien Zutritt zu allen Räumen gestatten. Sowaren sie auf eine Kompromißlösung verfal-len, mit der auch ich notgedrungen einver-standen war: Ich durfte meine kleine Kabinenicht verlassen, konnte jedoch über denBildschirm der internen Kommunikationsan-lage alle Vorgänge verfolgen.

Ich legte gar keinen besonderen Wert dar-auf, ungehindert herumzuspazieren. Erstenshätte ich nichts unternehmen können, ummeine Lage zu verbessern, und zweitensschwelte in mir die Angst, erkannt zu wer-den. Auch wenn es sich bei der Besatzungum Raumsoldaten handelte, die seit Jahrenkeinen Landurlaub mehr gehabt habenmochten, war immer die Gefahr gegeben,daß einer von ihnen mich als Atlan, den Kri-stallprinzen und rechtmäßigen Thronerbenvon Arkon, entlarvte. Orbanaschol III hattedafür gesorgt, daß man mein Bild kannte.Wenn einer der Soldaten zufällig Verbin-dungen zum Geheimdienst hatte, war ermeinem Konterfei sicher schon einmal be-gegnet.

Hätte wenigstens die leiseste Aussicht be-standen, diese vertrackte Situation gleichhier und jetzt zu ändern!

Ich war unbewaffnet und besaß keinerleiAusrüstung mehr. Man hatte mir eine einfa-che Bordkombination ohne jedes Rangzei-chen gegeben. Die Gürtelschlaufe, in dernormalerweise der Impulsstrahler hing, warleer. Die Tür zu meiner Kabine war ver-schlossen. Aber das alles hätte mich von ei-nem Ausbruchversuch nicht abgehalten. DerGrund dafür, daß ich widerstandlos denkommenden Ereignissen entgegensehenmußte, war das, was sich auf dem Bild-schirm abzeichnete.

Wir befanden uns an der Grenze desTrantagossa-Systems. Gerade war auf demBildschirm eine Raumplattform aufgetaucht.Die drohenden Geschützmündungen waren

in den Raum hinausgerichtet – die Mann-schaften, die dort Dienst taten, waren aufschnellstes Handeln trainiert.

Diese Plattform war außerdem nicht daseinzige Hindernis. Es gab viele dieser gigan-tischen, waffenstarrenden Wach- und Ver-teidigungsstationen. Außerdem existierte eindichtes Netz von Beobachtungssatelliten undRelaisstationen, deren Hauptaufgabe es war,jeden Angriff sofort zu erkennen und zu-rückzuschlagen.

Selbstverständlich dienten diese Stationennebenher noch anderen Zwecken. Einigewaren als Reparaturdocks ausgebaut, andereboten ganzen Werften Platz, wieder andereenthielten Spitalstationen für Schwerverletz-te, die man nicht sofort weiterzutransportie-ren wagte. Aber in erster Linie handelte essich um Verteidigungsanlagen.

Trantagossa war eines der Nervenzentrendes Großen Imperiums. Man durfte es keinerGefahr leichtsinnig aussetzen.

Unter anderen Umständen wäre ich stolzauf dieses System gewesen, denn die arkoni-dische Technik hatte hier wirklich Erstaunli-ches geleistet!

Zwölf Planeten umkreisten eine gelbeSonne. Sie waren alle mehr oder wenigerausgebaut. Ob es sich nun um die äußerenEisklumpen handelte, um den Methanriesen,der weiter innen seine Bahn zog, um den in-nersten Planeten, der eher einem ausgeglüh-ten Mond glich, oder um die vergleichswei-se freundliche Welt Enorketron, die vonzentraler Bedeutung für das System war –sie alle stellten nichts weiter dar, als genauaufeinander abgestimmte Teile einer gewal-tigen Kriegsmaschinerie. Hätte man die Hy-perfunkwellen sichtbar machen können, diedieses System durcheilten, so hätte sich derganze Raum um Enorketron als ein einzigesGewirr von Lichtfäden dargestellt.

Hier lief alles zusammen. Ein Drittel derriesigen Raumflotte, die das Große Imperi-um gegen die Maahks aufbot, wurde vonTrantagossa aus dirigiert. In diesem Gebietstanden, wie ich inzwischen erfahren hatte,dreißigtausend Einheiten verschiedener Grö-

Flottenstützpunkt Trantagossa 17

ße. Eineinhalb Milliarden Arkoniden lebtenständig in diesem System. Dazu kamen dieBesatzungen der Raumschiffe.

Die positronischen Anlagen auf Enorke-tron hatten gigantische Ausmaße angenom-men. Die Vielzahl der Meldungen, die aufdiesem Planeten innerhalb nur einer Stundeeinliefen, hätte kein noch so genialer Strate-ge übersehen können. Viele der Befehle, diedas Trantagossa-System verließen, warendenn auch nicht dem Gehirn eines Arkoni-den entsprungen, sondern stellten das Ergeb-nis vielfältiger Berechnungen dar. Andersließen sich die über einen weiten Raum ver-teilten Flottenverbände gar nicht mehr koor-dinieren.

Ein verrückter Gedanke durchzucktemich: Wenn die Technik in dieser Richtungunaufhaltsam fortschritt, würden dann nichteines Tages die Arkoniden selbst völligüberflüssig werden? Für Sekunden stand eingrauenhaftes Bild vor meinen Augen. Raum-schiffe durcheilten das Weltall, versehen mitUltimaten Waffen, bemannt von seelenlosenMaschinen, während die Menschen unter derSchirmherrschaft der positronischen Gehirnenur noch ein faules Schmarotzerleben führ-ten.

Ich verscheuchte die unangenehme Vor-stellung energisch. Noch war es nicht so-weit. Trotz der ausgefeilten Technik warendie Maschinen nur unsere Diener.

Wie ich schon vor langer Zeit von Fartu-loon erfahren hatte, gab es drei Stützpunktedieser Größenklasse, Trantagossa einge-schlossen. Die Kommandeure dieser Stütz-punkt-Systeme verfügten über eine ungeheu-re Machtfülle. Ein Fingerschnippen von ih-nen genügte, um einen ganzen Planeten zumUntergang zu verurteilen.

Und das brachte mich zu meinem ganzpersönlichen Problem zurück.

Der Herrscher über Trantagossa hießAmarkavor Heng. Er war einer jener Män-ner, die den Mord an meinem Vater geplantund ausgeführt hatten. Der Haß, den die blo-ße Nennung dieses Namens in mir ausgelösthatte, wollte mich bedenkenlos vorwärtstrei-

ben. Hätte ich mich meinen Gefühlen über-lassen, so wäre ich nach der Landung blind-lings losgestürmt, um die Rache zu vollzie-hen.

Auch ein Weg, Selbstmord zu begehen!Ich ignorierte die Bemerkung meines Ex-

trahirns. Ich wußte selbst, wie schlecht mei-ne Position war!

Es gab drei Möglichkeiten.Die erste hieß: Flucht.Es war ausgeschlossen, sich jetzt des Bei-

boots zu bemächtigen und damit dieses Sy-stem zu verlassen. Sobald das Schiff ohneoffizielle Genehmigung den Kurs änderte,würden die gewaltigen Geschütze es in eineverwehende Glutwolke verwandeln. Fallsich überhaupt eine Chance zum Entkommenhatte, so lag sie auf Enorketron selbst. Bevorich mich dort jedoch an Bord eines Raum-schiffs schmuggeln konnte, das von Trant-agossa wegflog, mußte ich zunächst derÜberwachung entkommen.

Die zweite Möglichkeit: Ich wurde sofortnach der Landung Amarkavor Heng vorge-führt, und er erkannte mich nicht. In diesemFalle blieb mir eventuell ein Weg, den Todmeines Vaters zu rächen. Was danach kam,mochten die Götter wissen. Ich vertrauteaber darauf, daß mir immer noch etwas ein-fallen würde.

Die dritte Möglichkeit: Amarkavor Hengerkannte mich. Und da boten sich die wenig-sten Unsicherheiten. Die Frage war höch-stens, ob er mich gleich töten ließ, oder ober mich an Orbanaschol auslieferte.

Meine Lage war also ziemlich unerfreu-lich. Zudem schützte mich jetzt nicht einmaldie simpelste Biomaske vor der Entlarvung.Hilfe hatte ich ebenfalls nicht zu erwarten.Fartuloon konnte unmöglich wissen, wo ichmich herumtrieb. Die Ränke des Henkers,der Transmittertransport auf die Welt deswahnsinnigen Varganenmutanten mit denKristallaugen, die Maahks, in deren Gefan-genschaft ich geraten war – das alles hattemeine Spur verwischt.

Irgendwie mußte ich Fartuloon ein Zei-chen zukommen lassen. Aber wie?

18 Marianne Sydow

Gelang es mir, Amarkavor Heng zu töten,so wäre das für den Bauchaufschneider si-cher ein deutliches Signal gewesen …

Das ist im Augenblick unwichtig! wies dasExtrahirn mich zurecht. Erst muß es sich er-weisen, was man auf Enorketron mit dir vor-hat. ich nickte deprimiert. Es hatte alles kei-nen Sinn. Nur die Zukunft konnte zeigen, obes mir gelang, diese Falle lebend zu verlas-sen.

Wenig später tauchte ein Planet auf demBildschirm auf. Da wir ihn direkt ansteuer-ten, nahm ich an, daß es sich um Enorketronhandelte. Ich sah die vielen Raumschiffe, diewie Schwärme von silbrig glänzenden Fi-schen über der Atmosphäre ihre Bahn zo-gen, und wieder einmal stieg tiefe Mutlosig-keit in mir auf. Ich stolperte von einerSchwierigkeit in die nächste, ohne meinemZiel näherzukommen.

Du bist selbst daran schuld, teilte der Lo-giksektor mir herzlos mit. Viele dieser Aben-teuer waren völlig überflüssig!

Ich verzog das Gesicht und konzentriertemich auf den Bildschirm.

Wir landeten auf einem Raumhafen, dersich fast von einem Horizont bis zum ande-ren hinzog. Zwischen den einzelnen Lande-feldern ragten Kuppeln auf, durch deren To-re man in die subplanetarischen Anlagen ge-langte. Auf Enorketron herrschte Hochbe-trieb. Pausenlos stiegen Raumschiffe auf,Robotkommandos marschierten zwischenden Kuppeln hindurch. Gleiter rasten durchdie Luft, Transporter brachten Ausrüstun-gen, Soldaten und Ersatzteile zu den warten-den Schiffen. Unserem Beiboot zollte manwenig Aufmerksamkeit.

Ich hörte über die Lautsprecher die Unter-haltung des Piloten mit einem Hafenbeam-ten und stellte fest, daß man mich offen-sichtlich möglichst schnell loswerden woll-te. Aber bei dem hier herrschenden Betriebwar es kein Wunder, daß es doch eine ganzeWeile dauerte, bis der Pilot sein Ziel erreich-te.

»Wir schicken einen Gleiter«, versprachder Beamte schließlich, nachdem der Pilot

sich energisch auf die Befehle der ebensoschönen, wie durchtriebenen Zaroia Kentig-milan berufen hatte.

Kurz darauf schoß ein Fahrzeug aus demTor der nächstgelegenen Kuppel und rasteauf das Boot zu.

Die Männer, die mich im Gleiter abhol-ten, waren nervös und überlastet. Vermut-lich hielten sie es für Zeitverschwendung,sich mit einem einzelnen Mann belassen zumüssen, und ich konnte es ihnen nicht ver-denken. Ich hatte bisher nicht viel von demKrieg gegen die Maahks mitbekommen. Ersthier, auf Enorketron, erkannte ich das ganzeAusmaß der Auseinandersetzung.

Die Fahrt war nur kurz. In einem Hangarhielt der Gleiter. Ich wurde ziemlich unhöf-lich aus dem Fahrzeug hinauskomplimen-tiert, dann übergab man mich einem bewaff-neten Wachtposten, der mich wiederum beiseinem Vorgesetzten ablieferte. Ich hörtemir die Meldung mit an, die der Posten ab-gab, sah das Gesicht des Offiziers hinterdem mit Folien vollgepackten Tisch düsterwerden und ahnte, daß ich schlimmen Zeitenentgegenging. Der Name »Kentigmilan«schien ziemliches Gewicht zu haben, denntrotz seiner vielen Arbeit gab der Offizierdie Meldung sofort weiter. Die Art, wie erdas tat, sagte mir, daß er mit einer Dienst-stelle sprach, die ihm zwar übergeordnetwar, aber auch nicht an der Spitze der hiesi-gen Organisation stand.

Geheimdienst, teilte mein Extrahirn mirlautlos mit. Eine Nebenstelle, die die Nach-richt aufnimmt und weiterleitet. Es wird eineWeile dauern, bis alle Instanzen durchlaufensind!

Ich wußte, daß ich mich auf die lautloseStimme des aktivierten Gehirnteiles verlas-sen konnte. Dort wurden Kleinigkeiten, diemir persönlich oft kaum auffielen, verarbei-tet und in einen logischen Zusammenhanggebracht. Das funktionierte ohne mein Zu-tun. Auf jeden Fall bedeutete die Auswer-tung, daß mir eine Galgenfrist blieb. Manstellte mich zumindest nicht gleich demHerrscher über Trantagossa vor. Es schien

Flottenstützpunkt Trantagossa 19

sogar, als mäße man mir nur wenig Bedeu-tung bei. Hätte nicht ausgerechnet ZaroiaKentigmilan den Befehl gegeben, michgründlich zu überprüfen, so hätte man michwohl ohne weitere Umstände irgendwohinabgeschoben.

Der Offizier beendete das Gespräch miteiner nur sparsam angedeuteten Ehrenbezei-gung, dann drückte er auf einen Knopf. Erhatte bis jetzt noch kein Wort mit mir ge-sprochen. Während ich dastand und wartete,arbeitete er ungerührt weiter, kanzelte einpaar Leute ab, die offensichtlich notwendigeReparaturarbeiten nicht so schnell ausführ-ten, wie er es wünschte, wühlte in den Foli-en herum und bot alles in allem den Anblickeines mit Arbeit überhäuften Mannes. End-lich öffnete sich hinter mir eine Tür. Ichdrehte mich um und sah einen jungen Mannvon fast zwergenhafter Statur.

»Bring ihn nach Nummer zwölf«, befahlder Offizier, ohne aufzublicken.

Der Zwergenhafte hielt die Tür auf undwandte sich mir mit einer spöttischen Gestezu.

»Darf ich bitten?«Ich folgte ihm schweigend. Wir schlän-

gelten uns vor der Tür durch ein Gewimmelvon Arbeitsrobotern hindurch, die Kistenmit Ersatzteilen aufeinanderstapelten. DerHangar war bis auf den letzten Platz besetzt.Die Beiboote, die hier für ihren nächstenStart vorbereitet wurden, waren nicht eigent-lich reparaturbedürftig. Sie wurden lediglicheiner kurzen Überprüfung unterzogen. Ver-schleißteile einfacherer Bauweise wurdengleich hier ausgewechselt.

Ich sah mich unauffällig um und stelltefest, daß die Beiboote kaum bewacht wur-den. Auch die Startluken standen offen.Zwar wimmelte es von Robotern und Tech-nikern, aber diese Leute waren unbewaffnet,und von den Robotern hatte ich ohnehinnichts zu befürchten. Sie folgten stur ihrerProgrammierung und kümmerten sich nichtum das, was um sie herum geschah. Einesder kleinen Raumschiffe wirkte äußerst ver-lockend auf mich. Es war fast neuwertig –

jedenfalls wirkte es von außen so –, und ichüberlegte, ob ich nicht die günstige Gelegen-heit nutzen sollte. Mein Begleiter schien mirkein großes Hindernis zu sein …

Du würdest niemals ohne Starterlaubnisüber die Atmosphäre hinauskommen! warntedas Extrahirn. Es ist sinnlos!

Das war mir klar. Aber vielleicht bot sicheine Chance, einen anderen Teil des Kriegs-planeten anzufliegen und so meine Spur fürden Geheimdienst zu verwischen.

Auch für die Landung brauchst du eineGenehmigung! erklärte mein Logiksek torungeduldig. Und die würdest du zwar be-kommen, aber damit hättest du den Geheim-dienst auch umgehend wieder im Nacken.Hier gibt es keine abgelegenen Gegendenund verlassenen Gebirge, in denen du dichvorübergehend verstecken könntest!

Ich wußte, daß das stimmte und ließ denGedanken an eine sofortige Flucht fallen.

Wir durchquerten die riesige Halle undgelangten an der gegenüberliegenden Seitean eine Tür, die der Zwerg mit Hilfe einesImpulsschlüssels öffnete. Er war sehrschweigsam, und das war mir gar nicht lieb.Ich hätte gerne gewußt, was mich auf»Nummer zwölf« erwartete. Führte manmich in ein Gefängnis?

Die Tür öffnete sich, und vor mir lag einGang. Er war nur sehr kurz und zudemschlecht beleuchtet. Meine Befürchtungschien zuzutreffen. Arrestzellen sind seltenkomfortabel ausgestattet.

Vor einer seitlichen Tür stand ein Wacht-posten, der uns mißbilligend entgegenblick-te. Ich konnte mir vorsteilen, daß der Mannsich schrecklich langweilte, denn ich sahweit und breit nichts, was eine Bewachunggerechtfertigt hätte.

»Dieser Mann soll hier warten«, teiltemein Begleiter dem Bewaffneten mit.

»Worauf?« kam die knurrige Reaktion.Der Zwerg zuckte die Achseln.»Befehl vom Chef!« erklärte er lakonisch,

und der Wachtposten brummte verächtlich.»Na, dann mal 'rein in die gute Stube!«

murmelte er und gab den Eingang frei.

20 Marianne Sydow

Ich trat durch die Tür – und hielt unwill-kürlich die Luft an.

Eine Welle von Gestank schlug mir entge-gen. Dazu kam ein unbeschreiblicher Lärm.In das Gewirr unzähliger Stimmen mischtesich lautes Schreien. Irgendwo sang jemand.Ein Mann hockte wenige Meter vor mir aufdem Boden, starrte vor sich hin und kichertein regelmäßigen Abständen ohne jeden er-kennbaren Grund.

Ich bekam einen Stoß in den Rücken undtaumelte vorwärts, direkt in das Chaos hin-ein, während sich hinter mir die Tür mit ei-nem dumpfen Laut schloß. Verwirrt sah ichmich um.

Mindestens hundert Männer mußten indiesem Raum untergebracht sein. Viele vonihnen wiesen Verletzungen auf. Ein nochgrößerer Teil war zwar unverwundet, zeigtejedoch durch allerlei seltsame Verhaltens-weisen das Vorhandensein schwerer psychi-scher Defekte. Ein Lager für Kranke?

Aber es waren weder Betten, noch Ärzteoder auch nur Medoroboter in Sicht.

Ich entdeckte einen freien Platz in der Nä-he der Tür und setzte mich auf den kahlenBoden. Die Zustände an diesem Ort verwirr-ten mich. Außerdem schien es keinen ande-ren Ausgang aus diesem Raum zu geben, alsdie Tür, durch die ich gerade gekommenwar. Es blieb mir also nichts anderes übrigals zu warten.

Ein Mann, der in der Nähe saß, erhobsich, kam zu mir herübergeschlendert undblieb bei mir stehen.

»Neu hier?«Ich nickte, und er setzte sich neben mich.»Der nächste Transport geht bald ab«, be-

merkte er. »Warum hast du keine Plakette?Ohne das Ding nehmen sie dich niemalsmit!«

Erst jetzt bemerkte ich, daß alle anderenMänner farbige Abzeichen an ihren Kombi-nationen trugen.

»Blau für Knochenbrüche, rot für sonstigeVerletzungen, gelb für die Verrückten«, er-klärte mein Nachbar lakonisch. »Wozu ge-hörst du denn?«

Ich begriff schlagartig. Es war tatsächlicheine Art Wartesaal. Die leichten Krankheits-fälle wurden hierhergebracht, nachdem mansie einer ersten Untersuchung unterzogenhatte. Mir wTar zwar nicht klar, warum mandiese Männer nicht gleich in einem Lazarettablieferte, aber das erschien jetzt erst einmalnebensächlich. Tatsache war, daß sich mireine wunderbare Möglichkeit bot, unauffäl-lig das Hangargelände zu verlassen. Voraus-setzung dafür war allerdings, daß ich einedieser Plaketten bekam. Da ich weder einenKnochen gebrochen hatte, noch sonst eineVerletzung aufwies, blieb mir nur ein gelbesAbzeichen.

Blitzschnell überlegte ich, daß die hierversammelten Kranken wahrscheinlich vorihrer Einweisung in ein Lazarett noch ein-mal gründlich untersucht wurden. Wenn ichmich geschickt anstellte, konnte ich in weni-gen Stunden frei sein.

»Ich bin gesund!« sagte ich, und meinneuer Bekannter lachte spöttisch auf.

»Das sagen die anderen auch«, behaupteteer, und ich verbuchte den ersten Pluspunkt.Er stufte mich erwartungsgemäß als geistignicht voll zurechnungsfähig ein. Die Fragewar nur, ob er mir auch bei der Beschaffungeiner Plakette helfen konnte.

»Aber bei mir stimmt alles!« erwiderteich mit gespielter Empörung. »Sonst hätteich doch auch so ein Abzeichen bekom-men!«

Er grinste friedlich. Ich sah, daß er einerote Plakette trug. Als er die Beine gemüt-lich von sich streckte, wurde auch ersicht-lich, warum. Die rechte Wade war blutver-krustet. Unter der transparenten Hülle einesaufgesprühten Verbandes zeichnete sich einelange, vermutlich auch sehr tiefe Wunde ab.

»Armer Kerl«, murmelte er vor sich hin.»Ich weiß doch wenigstens, was mir fehlt.Muß ein scheußliches Gefühl sein …«

Ich gab keine Antwort, sondern starrtestur gegen die graue Wand. Er seufzteschwer.

»Weißt du«, sagte er nach längeremSchweigen, »du bist mir sympathisch. Weiß

Flottenstützpunkt Trantagossa 21

selbst nicht, warum. Aber es geht mir ein-fach gegen den Strich, wenn einer wie duhier hängenbleibt, nur weil einer von denDummköpfen da draußen vergessen hat, direin Abzeichen zu verpassen. Warte hier aufmich. Rühr dich nicht von der Stelle, hast duverstanden?«

Ich nickte zufrieden. Der Fisch hing ander Angel.

Dem Fremden fiel das Gehen sichtlichnicht gerade leicht. Er bahnte sich einenWeg durch eine diskutierende Gruppe vonSoldaten, die alle an irgendeinem Teil ihresKörpers provisorische Verbände trugen, unddann tauchte er in der Nähe der gegenüber-liegenden Wand wieder auf. Ich sah, wie erin die Hocke ging und mit irgend jemandenredete. Kurz darauf kam er zurück und über-reichte mir ein gelbes Abzeichen.

»Da«, sagte er.»Aber ich bin nicht übergeschnappt!«

protestierte ich schnell. »Ich soll hier nur aufmeinen nächsten Einsatz warten!«

»Natürlich«, stimmte er freundlich zu.»Nur – da hat dich jemand versehentlichdurch die falsche Tür geschickt. Hierkommst du ohne die Plakette nicht wiederhinaus. Wenn man merkt, daß du ohne soein Ding herumläufst, schickt man dich nochmal zum Arzt. Du hast doch schon eine Un-tersuchung hinter dir. War unangenehm,nicht wahr?«

Ich bejahte, ohne zu wissen, wovon er ei-gentlich sprach.

»Na also! Wenn du das Abzeichen hast,kannst du mit dem nächsten Transport zumLazarett fahren. Da wirst du zwar auch nochmal untersucht, aber von einem Diagnosero-boter, und das ist nicht schlimm. Der stelltdann fest, daß du gesund bist, und entläßtdich. Du sparst dir also auf jeden Fall eineMenge Unannehmlichkeiten. Leuchtet dirdas ein?«

Er sprach mit mir, als wäre ich ein Baby,und ich hütete mich, ihn von seiner einmalgefaßten Überzeugung abzubringen. Ich lä-chelte dümmlich, nickte und versank dannwieder in Schweigen. Innerlich triumphierte

ich. Zwar sagte ich mir, daß nun ein anderersich noch einmal den Ärzten stellen mußte,aber für mich ging es um einen zu hohenEinsatz, als daß ich darauf hätte Rücksichtnehmen können. Wenn ich ein bißchenGlück hatte, und der Geheimdienst nieman-den in diesen Raum schickte, bevor ich ihnmit den anderen Gezeichneten verlassen hat-te, lag die Freiheit zum Greifen nahe vormir.

*

Amarkavor Heng war verwirrt und beun-ruhigt. Die Suche nach der Gefahr, dieÜtr'ang zum Selbstmord getrieben hatte, warvergeblich verlaufen. Gerade dieser Um-stand steigerte jedoch seine Angst.

Mühsam versuchte er, sich auf andereDinge zu konzentrieren. Eine Meldung warinzwischen eingelaufen. Sie stammte vonZaroia Kentigmilan. Sie empfahl dringend,einen jungen Mann namens Vregh Brathonzu überprüfen. Heng warf einen Blick aufdie Fotografie, die der Nachricht beilag undrunzelte nachdenklich die Stirn. Er war sichsicher, daß er diesen Brathon nie zuvor gese-hen hatte. Dennoch erinnerte ihn das Bild anjemanden. Er durchforschte seine Erinne-rung, kam jedoch nicht darauf, mit wem derjunge Arkonide Ähnlichkeit besaß und legtedas Bild unschlüssig zur Seite. Das Gefühleiner nahenden Gefahr betäubte ihn fast. Erfühlte sich unfähig, klar und folgerichtig zudenken.

»Ich muß mich ablenken!« sagte er halb-laut vor sich hin. Er hatte es sich infolge sei-ner Einsamkeit angewöhnt, Selbstgesprächezu führen. Manchmal verbrachte er Stundendamit, mit Personen scharf zu diskutieren,die nur in seiner Einbildung anwesend wa-ren. Solche Gespräche taten ihm gut, sie hal-fen ihm, die ständige Spannung zu bewälti-gen, in der er lebte.

Er befahl einen seiner Roboter herbei underteilte ihm den Befehl, eine Verbindung zurGeheimdienstzentrale herzustellen. Zufrie-den beobachtete er, wie die Maschine die

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nötigen Manipulationen vornahm. Der An-blick des mechanischen Dieners gab ihmeinen Teil seiner Ruhe zurück. Wenn er sichauf niemanden mehr verlassen konnte – die-se Wesen aus unbelebter Materie würden je-den seiner Befehle befolgen.

Er erteilte den Befehl, Vregh Brathon zuverhören und beschloß dann, sich endlichwieder um die geheimnisvolle Fracht zukümmern, die die BARGONNA nach Enor-ketron gebracht hatte. An den jungen Arko-niden verschwendete er keinen Gedankenmehr. Er war bei den Leuten Kiran Thas' be-stens aufgehoben. Heng glaubte ohnehinnicht, daß Brathon eine schwerwiegende Be-deutung zukam. Wahrscheinlich wollteZaroia Kentigmilan sich nur wichtig ma-chen. Heng haßte sie und ihresgleichen. An-dererseits durfte er diese Leute nicht verär-gern.

Die Roboter waren ihm weitaus lieber alsalle Adligen von Arkon zusammengenom-men – sie kamen wenigstens nicht darauf,sich gegen ihn zu verschwören!

Eine Schaltung brachte alles das auf denBildschirm, was Spionaugen Stunden vorheraus den Labors auf Sohle dreiundzwanzigübertragen hatten. Heng sah die Leichen derFremden, eine große Anzahl seltsamer Gerä-te, Wissenschaftler, die verschiedene Versu-che anstellten. Das Bild stimmte ihn fried-lich. Zumindest in dieser Abteilung wurdegearbeitet!

Sein Stimmungsbarometer sank indessenschnell wieder, als er feststellte, daß von deranschließend offensichtlich stattgefundenenBesprechung der Experten keine Aufzeich-nung existierte. Trotz aller Bemühungenwies das Überwachungssystem immer nochLücken auf. Er mußte das unbedingt ändern,wenn er seine Herrschaft über das Trant-agossa-System nicht eines Tages durch eineplötzliche Revolte verlieren sollte!

Aber es war gar nicht so einfach, das Netznoch besser auszubauen. Schon jetzt bean-spruchte er einen größeren Teil der positro-nischen Speicher für seine privaten Zwecke,als eigentlich zulässig war. Verschiedene

Leute, die deswegen mißtrauisch gewordenwaren, hatte er in den sicheren Tod schickenmüssen. Weitere Aktionen dieser Art wür-den noch mehr böses Blut schaffen und ei-nes Tages Orbanaschols Aufmerksamkeit er-regen.

Heng verfluchte den Tag, an dem er sichder Verschwörung angeschlossen hatte. Erhatte sich Reichtum, Macht und eine glän-zende Karriere versprochen. Nur aus Ehr-geiz hatte er Orbanaschol geholfen, sich Go-nozals zu entledigen. Und was war der Dankdafür?

Man hatte ihn hierher versetzt, in diesenStützpunkt, in dem täglich Tausende vonVerrätern auf ihn lauerten. Überall warendie Agenten der Mörder, die nach seinemBlut lechzten. Orbanaschol tat nichts, umden einstigen Freund zu schützen und ihmden Rücken zu stärken. Der persönlicheKontakt zu dem neuen Imperator war längstabgerissen. Manchmal fürchtete Heng, daßOrbanaschol selbst die Mörder auf ihn hetz-te, um einen lästigen Mitwisser loszuwer-den.

Gewaltsam unterdrückte er die Angst, diein ihm hochstieg und ihm die Kehle zu-schnürte. Längst war ihm klargeworden, daßer in seinem ganzen Leben keine Ruhe mehrfinden würde. Die Rächer Gonozals jagtenihn – das Schicksal des Blinden Sofgart wareine deutliche Warnung für Heng. Und dieseLeute waren nicht die einzigen, die ihm nachdem Leben trachteten. Der Imperator mitseinen neuen Freunden verfolgte das gleicheZiel. Er stand zwischen zwei Fronten. EinesTages würde er nicht mehr die Kraft haben,sich gegen so viele Feinde gleichzeitig zurWehr zu setzen.

Aber vielleicht gab es ein Mittel, wenig-stens Orbanaschol wieder gnädig zu stim-men. Wenn es ihm gelang, dem Imperatorneue, bessere Waffen zu liefern, würde derihm vielleicht auch Hilfe schicken …

Heng stellte entschlossen die Verbindungzu Bariila her. Was er zu hören bekam, riefneue Hoffnung in ihm wach. Ohne Beden-ken erteilte er dem Chef des Forschungs-

Flottenstützpunkt Trantagossa 23

teams die Genehmigung, großangelegte Ver-suche im Raum zu starten. Er gab ihm dienötigen Vollmachten und lehnte sich dannmüde zurück.

Zum erstenmal seit dem Tode Ütr'angfühlte er sich wieder halbwegs beruhigt.Wenn die Versuche günstig verliefen …

Er schloß die Augen und versank unverse-hens in äußerst angenehmen Träumen.

3.

Ich hatte unbeschreibliches Glück. DieTür des »Warteraums« öffnete sich schonwenige Minuten später, und der Posten, derzu uns hereinsah, war nicht der, der michvorhin in Empfang genommen hatte.

Ich stellte mich in die lange Reihe derer,die auf ihren Weitertransport warteten. Diegelbe Plakette leuchtete auf meiner Brust.Nacheinander verließen wir den ungemütli-chen Raum. Ich stand bereits auf dem Flur,als ich hinter mir eine scharfe Stimme hörte.

»Halt!«Unwillkürlich drehte ich mich um, aber

ich war nicht gemeint. Der Posten hielteinen der Soldaten am Arm fest.

»Warum trägst du keine Plakette?«herrschte er ihn an.

Der Soldat, ein schon älterer, hagererMann, starrte den Uniformierten an, und un-vermittelt begann er zu toben.

»Die Maahks!« heulte er und wand sichverzweifelt. »Sie kommen! Sie kommen!«

Der Posten versetzte ihm eine schallendeOhrfeige, und das Geschrei des Manneswurde zu einem grauenvollen Wimmern.Ein Schauer überlief mich bei dem Gedan-ken, daß dieser Mann meinetwegen nochlänger leiden mußte, daß er nicht sofort indie Hände erfahrener Ärzte kam, aber bevorich noch zu irgendeinem Entschluß kommenkonnte, wurde ich weitergeschoben.

Wir verließen den Flur auf der dem Han-gar entgegengesetzten Seite. Draußen warte-ten Transporter. Posten standen daneben undsortierten die Kranken nach der Farbe ihrerPlaketten. Ich stieg gehorsam in den Wagen,

den man mir zuwies. Drinnen war es mehrals eng. Mindestens zwanzig Männer dräng-ten sich auf einem Raum zusammen, dernormalerweise gerade für die Hälfte ausge-reicht hätte. Und es kamen immer noch wel-che hinzu. Als der Wagen endlich abfuhr,kam ich mir vor, als wäre ich in einenschlecht organisierten Tiertransport geraten.

Der Fahrer schien das Wort »Rücksicht«noch nie gehört zu haben. Er fuhr, als wäreer selbst nicht recht bei Trost, und da diesesGefährt nicht mit Andruckneutralisatorenausgerüstet war, flogen wir bei jeder Kurvevon einer Ecke in die andere. Mir wurdeübel bei dem Gedanken, daß man mit denVerletzten möglicherweise genauso verfuhr.Allmählich kam ich zu der Überzeugung,daß man auf Enorketron ganz besondereMethoden hatte, mit Kranken umzugehen.

Gewißheit über diese Vermutung erhieltich, als die Tür des Wagens aufgerissen wur-de. Wir befanden uns in einer kleinen Halle.Von einem Medoroboter, der die Ankömm-linge noch einmal untersucht hätte, warnichts zu sehen. Dafür war der Gestank, derhier herrschte, fast genauso schlimm wie indem Warteraum.

»Los, steigt schon aus, ihr faulen Kerle!«brüllte der Fahrer von draußen herein. »Dienächste Fuhre wartet bereits!«

Ich kletterte mit den anderen hinaus. Vie-le von meinen Leidensgefährten machtenden Eindruck, als nähmen sie ihre Umge-bung kaum wahr. Einer von ihnen summteunaufhörlich eine monotone Melodie vorsich hin. Ein anderer schien den Befehl desFahrers gar nicht gehört zu haben. Er drück-te sich im hintersten Winkel des Wagens ge-gen die Wand und stierte furchterfüllt hin-aus. Der Fahrer schien an solche Hindernis-se in seinem Arbeitsverlauf gewöhnt zu sein.Er kletterte auf den Wagen und wollte denSoldaten herauszerren. Aber kaum hatte erden Mann berührt, da fing der arme Kerl anzu toben. Er schlug, biß und kratzte, als gin-ge es um sein Leben.

Ich sah mich hastig um, in der Hoffnung,jemanden zu entdecken, der in dieser Situa-

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tion fachmännische Hilfe bringen sollte,aber außer ein paar bewaffneten Männern ingelben Uniformen, die gelangweilt nebenverschiedenen Türen lehnten, war niemandin Sicht. Dann zischte es im Innern des Wa-gens, ich fuhr herum und stellte fest, daß derFahrer das Problem bereits auf seine Weisegelöst hatte. Er trug den schlaffen Körperdes Betäubten bis an den Rand der Ladeflä-che und warf ihn dann einfach hinaus.

Mir stieg das Blut in den Kopf. Der Fah-rer konnte zwar nichts für die Zustände, dieauf diesem Planeten herrschten, aber daswar kein Grund, mit einem kranken Solda-ten so unmenschlich umzugehen. Alle dieseMänner hatten ihr Bestes getan – wenn sieüber den Greueln, die sie gesehen hatten,den Verstand verloren, dann hatten sie An-spruch darauf, daß man ihnen nach bestenKräften half!

Bleib stehen, du Dummkopf! warnte michmein Extrahirn. Kein Aufsehen!

Ich biß die Zähne aufeinander. Es jucktein meinen Händen, und ich hätte mich amliebsten auf diesen grobschlächtigen Kerlgestürzt, der jetzt mit zufriedenem Grinsenzu seiner Fahrerkabine zurückkehrte. Aberich riß mich zusammen.

Der Transporter raste davon, und einerder Wachtposten gab seinen Kameraden einZeichen mit der Hand. Ich spürte den plötz-lichen Sog, der mich nach oben riß und be-griff, daß diese Männer nicht die Absichthatten, sich ähnlich wie der Fahrer persön-lich irgendeiner Gefahr auszusetzen. EinAntigravfeld trug uns der Decke entgegen,in der sich eine runde Luke geöffnet hatte.Ein Mann aus unserer Gruppe, der ein Stückzur Seite getreten war und außerhalb desFeldes stand, wurde mit einem Warnschußzurückgetrieben. Er stieß einen wildenSchrei aus, als er die Waffe aufblitzen sah,und er schrie immer noch, als wir auf einerPlattform abgeladen wurden. Sein Gesichtwar verzerrt, und sein ganzer Körper ver-krampfte sich. Dann sah er die Wachen, diedie Plattform umstanden und wollte sich aufsie stürzen. Aber auch hier schien man nicht

allzu sehr von Skrupeln geplagt zu sein – einParalysator zischte auf und erwischte denMann mitten im Sprung.

»Noch einer dabei, der kein Hirn mehr imKopf hat?« fragte der Schütze zynisch.

Es wäre mir eine wahre Wonne gewesen,meine Faust in dieses grinsende Gesicht zusetzen, aber noch hielt meine Selbstbeherr-schung. Ich erinnerte mich an die Folter-knechte des Blinden Sofgart, die sich an denQualen ihrer Opfer geweidet hatten – dieseWachen schienen zu derselben Sorte zu ge-hören. Und dann dachte ich daran, daß Zu-stände wie diese ohne die Zustimmung oderdoch zumindest Duldung des Kommandeursunmöglich gewesen wären. AmarkavorHeng paßte offensichtlich genau in die Er-fahrungen hinein, die ich bisher mit den er-gebenen Dienern Orbanaschols gemacht hat-te.

»Vorwärts!« befahl einer der Uniformier-ten und hob in einer drohenden Geste dieWaffe. Wir setzten uns in Bewegung undverließen die Plattform. Die beiden Betäub-ten blieben liegen. Als ich zurückblickte, sahich einen Roboter, der sich die schlaffenKörper auflud. Die Maschine folgte uns.

Man führte uns in einen langen Gang, ausdem uns schon von weitem Schreie undStöhnen entgegendrangen. Der Gestank ver-stärkte sich. Auf der jetzt geöffneten Türfand ich die Aufschrift»Beobachtungsstation«. Ich warf einenBlick nach vorne und sah die langen Reihenvon vergitterten Käfigen, aus denen sich un-zählige Arme uns entgegenstreckten. Un-willkürlich zuckte ich zurück, aber danndachte ich an die Waffen, die auf uns gerich-tet waren und schritt verbissen weiter.

Kurz darauf schlug eine schwere Käfigtürhinter mir zu. Als alle Neuankömmlinge un-tergebracht waren, verließen die Wachen mitoffensichtlicher Erleichterung das makabreGefängnis, und die schrillen Schreie der hiereingesperrten Kranken verebbten langsam.Sie alle hatten wohl gehofft, endlich befreitzu werden.

Ich sah mich in meinem Gefängnis um.

Flottenstützpunkt Trantagossa 25

Der Käfig, in dem ich mich befand, maßin der Grundfläche drei mal drei Meter. Erwar so hoch, daß ich gerade aufrecht darinstehen konnte. Die vordere Wand bestandaus eng gezogenen Gitterstäben, die stabilgenug wirkten, um selbst dem kräftigstenArkoniden zu widerstehen. Eine kurze Un-tersuchung der in die Gitterwand eingelasse-nen Tür ergab, daß es hoffnungslos war,einen Ausbruchversuch zu planen. OhneSpezialgeräte bekam niemand ein solchesSchloß auf.

Die drei anderen Wände waren auch nichterfolgversprechender. Sie bestanden aus har-tem Plastikmaterial. Rechts war eine hartePritsche fest in der Wand und dem Bodenverbunden. Eine abgewetzte Decke von un-definierbarer Farbe lag darauf. In der gegen-überliegenden Ecke sah ich ein rundes Lochim Fußboden – der Gestank der daraus auf-stieg, machte mir klar, daß es sich dabei umdie sanitäre Anlage dieser Luxusbehausunghandelte. In der Mitte der Rückwand zeich-neten sich die Umrisse von zwei rechtecki-gen Klappen ab. Ich vermutete, daß in dereinen zu bestimmten Zeiten die Verpflegungfür den jeweiligen Käfiginsassen erschien,während die andere dazu diente, das schmut-zige Geschirr aufzunehmen. In der Mitte derniedrigen Decke war ein Fernsehauge einge-fügt. Es wurde durch ein starkes Gitter vormutwilliger Zerstörung geschützt.

Wenn man von dem Dreck absah, der al-les zentimeterdick überzog, war das die ge-samte Einrichtung. Fürwahr, ein fürstlichesGemach, dachte ich ironisch. Ich hatte zwarschon Gefängnisse kennengelernt, in denenes weit schlimmer aussah, aber wenn manbedachte, daß dies der Teil eines Lazarettswar …

Ich versuchte erst gar nicht, mir vorzustel-len, wie wohl die Behandlungsräume aussa-hen. Nach allem, was ich bisher erfahrenhatte, erwartete einen dort gewiß nichts Gu-tes.

Durch das Gitter konnte ich eine Reihevon Käfigen auf der anderen Seite des Gan-ges überschauen. Die meisten Insassen lagen

apathisch auf den Pritschen. Einer hatte dieHände um die Gitterstäbe gelegt und schau-kelte mit verträumtem Gesichtsausdruck inmonotonem Rhythmus hin und her. ImNachbarkäfig lag einer der Paralysierten.Der Roboter hatte ihn einfach auf dem Bo-den abgeladen. Mir gegenüber saß ein Mannmittleren Alters auf dem Rand der Pritsche.Er hatte das Gesicht in den Händen vergra-ben und schien angestrengt nachzudenken.

Die grenzenlose Verzweiflung, die an die-sem Ort herrschte, war fast körperlich spür-bar. Selten hatte ich mich in einer Umge-bung befunden, die ein solches Maß anHoffnungslosigkeit ausstrahlte. Irgendwosummte jemand vor sich hin. Der Mann, derschon im Transporter gesungen hatte? Ichwußte es nicht, aber ich spürte, wie die lang-same, unendlich traurige Melodie an meinenNerven riß. Ich mußte hier hinaus!

Wie lange hielt man die Kranken in die-sen Käfigen unter Beobachtung? Warumgriff man überhaupt zu einem so unmensch-lichen Verfahren, anstatt die bedauernswer-ten Männer mit den sonst üblichen Metho-den zu untersuchen? Wer vor seiner Einlie-ferung in diese Beobachtungsstation nochnicht verrückt war, der mußte es zwangsläu-fig werden, wenn man ihn lange genug inseinem Käfig ließ!

Ich sah mißtrauisch zu dem Fernsehaugehinauf. Beobachtete man alle Zellen gleich-zeitig, und wurde anhand der erhaltenen Bil-der entschieden, wer für welche Behandlungin Frage kam?

Wahrscheinlich, flüsterte mein Extrahirnmir zu. Du hast nur eine Chance: Du mußtdich völlig normal benehmen!

Ich lachte verzweifelt auf. Wie benahmsich ein normaler Mann, der zu Unrecht ineinen solchen Käfig gesperrt wurde? MeinInstinkt trieb mich dazu, an das Gitter zustürzen und daran zu rütteln, zu schreien, bisjemand kam, dem ich alles erklären konnte.Zweifellos hätte ich mit diesem Verhaltenlediglich erreicht, daß man mich endgültigals übergeschnappt abstempelte! Wartete ichdagegen geduldig, bis sich von selbst etwas

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ereignete, dann legte man ein solches Ver-halten möglicherweise als depressive Apa-thie aus, womit ich auch nichts gewonnenhatte!

Ich saß also in der Falle. Gleichgültig,was ich auch tat, man konnte es immer alseine Folge geistiger Verwirrung auslegen.

Jetzt kam mir der Gedanke gar nicht mehrso schlau vor, meine Spur zu verwischen, in-dem ich mich freiwillig in dieses Lazarettbegab!

Unsinn! behauptete der Logiksektor.Wenn du in dem Warteraum gebliebenwärst, stündest du wahrscheinlich jetztschon vor ein paar Geheimdienstlern. DieVerhörmethoden auf Enorketron dürftennoch unangenehmer sein als der Aufenthaltin diesem Käfig.

Das stimmte allerdings. Und auch wennman mich wegen der fehlenden Plakettenoch einmal zu einer Untersuchung ge-schickt hätte, wäre nicht viel gewonnen ge-wesen. Entweder hätte man entdeckt, daßich aus ganz anderen Gründen in den Warte-saal gebracht worden war, oder man hättemich als Simulanten eingestuft. Daß manmit solchen Drückebergern auf Enorketronnicht gerade glimpflich verfuhr, brauchtemir der Logiksektor gar nicht erst zu sagen.Auf diesem verdammten Planeten schien al-les auf dasselbe herauszukommen.

Das Geräusch einer sich öffnenden Türriß mich aus meinen fruchtlosen Grübeleien.Sofort setzte auch das ohrenbetäubende Ge-schrei der Kranken wieder ein. Die meistenversuchten, die Aufmerksamkeit der fürmich noch unsichtbaren Besucher auf sichzu lenken. Sie beteuerten, gesund zu seinund bemühten sich dabei, sich gegenseitigzu überschreien. Andere wichen furchterfülltin den hintersten Winkel ihres Käfigs zurückund starrten ängstlich auf die Tür.

Ich trat ebenfalls an das Gitter, um zu se-hen, was draußen vor sich ging. Ich hielt je-doch wohlweislich den Mund, denn mir warklar, daß lautstarker Protest völlig sinnloswar.

Es war ein seltsamer Zug, der den Gang

herunterkam. Zwei Männer in gelben Um-hängen schritten voran. Sie hielten Listen inden Händen. Ab und zu deuteten sie auf eineder Zellen. Sekunden später zischte dann je-desmal ein Paralysator. Der Arkonide in gel-ber Uniform, der die Waffe bediente, ver-stand sein Geschäft. Er verfehlte nicht eineinziges Mal sein Ziel. Zwei Roboter, dieihm folgten, rissen die betreffende Käfigtürauf, zerrten den gelähmten Insassen herausund verfrachteten ihn mit mechanischerGleichgültigkeit auf die Plattform eines fla-chen Wagens, der ihnen folgte und den Ab-schluß der Prozession bildete.

Schwere Fälle, kommentierte mein Extra-hirn überflüssigerweise. Sie gehen kein Risi-ko ein!

Die Methoden, derer man sich in diesemsogenannten Lazarett bediente, wurden mirimmer rätselhafter. Es gab schließlich auchnoch andere Mittel, jemanden zu betäuben,als einen Schuß aus einem Paralysator. DasErwachen nach einer solchen Lähmung istrecht schmerzhaft, und meiner Meinungnach war das Ganze für die Kranken eineQuälerei. Die Nichtachtung, mit der man mitdiesen armen Kerlen umging, war mir unbe-greiflich.

Der seltsame Zug wanderte an mir vor-über. Niemand beachtete mich, und ich ver-hielt mich still, um nicht am Ende auch nochbetäubt zu werden. Ich vermutete, daß mandie Kranken, die dicht an dicht auf der Flä-che des Wagens lagen, einer Schocktherapieunterziehen würden.

Schließlich war die Ladefläche vollge-packt, und die Tür auf der anderen Seiteschloß sich krachend. Viele der Gefangenenhatten sich restlos verausgabt, und so kehrtenun wieder Ruhe ein. Nur der monotone Ge-sang des fremden Soldaten in einem der Kä-fige klang unverändert durch diesen grauen-haften Gang. Da ich nichts anderes tunkonnte, legte ich mich auf die schmutzigePritsche und versuchte zu schlafen. Es ge-lang mir erst, nachdem ich mit voller Kon-zentration mindestens ein Dutzend Entspan-nungsübungen absolviert hatte. Die Unge-

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duld in mir ließ sich nicht so leicht unter-drücken.

Noch war meine Spur leicht zu verfolgen.Ich befürchtete jeden Moment, daß manmich zu einem Verhör holen würde. Das Er-gebnis einer solchen Befragung konnte ichmir nur zu lebhaft vorstellen …

*

Ich fuhr schweißgebadet aus einem ent-setzlichen Alptraum hoch. Im ersten Augen-blick wußte ich kaum, wo ich mich eigent-lich befand. Dann hörte ich das Kreischender Kränken und sprang auf.

Ich eilte an das Gitter und sah eine jungeArkonidin, die geradewegs auf meinen Kä-fig zusteuerte. Sie blieb vor dem Gitter ste-hen, sah mich zweifelnd an, biß sich auf dieUnterlippe und zog dann entschlossen einenImpulsschlüssel aus der Tasche. Im Gegen-satz zu den Männern von vorhin schien siean die Zustände in der Beobachtungsstationnoch nicht gewöhnt zu sein. Ich sah es ihran, daß ihr das Geschrei der Kranken auf dieNerven ging.

Die Tür schwang auf. Ich wußte nicht,was meine Besucherin mit mir vorhatte, undblieb deshalb abwartend in der Mitte derZelle stehen. Sie winkte mir ungeduldig zu.Ich sah, daß sie den Mund bewegte, aber beidiesem höllischen Krach verstand ich keinWort. Immerhin hatte sie anscheinend vor,mich hier herauszuholen.

Ich kletterte aus dem Käfig und blieb ne-ben ihr stehen, während sie die Tür wiederins Schloß drückte. Sie bedeutete mir, daßich ihr folgen sollte und ging mit schnellenSchritten voran. Von den Seiten des Gangesstreckten sich uns Hände entgegen. Verzerr-te Gesichter starrten durch die Gitterstäbe,verzweifelte Männer rüttelten an der Tür zuihrem Gefängnis. Es war grauenvoll, und ichkonnte es verstehen, daß meine Begleiterinschließlich zu rennen begann. Sie warf sichdurch die Tür am Ende des Ganges undlehnte sich schwer atmend an die Wand. Ichverhielt mich auch weiterhin abwartend,

denn ich wollte meine unerwartete Chancenicht gefährden.

»Schrecklich!« flüsterte die junge Fraunach einer Weile. Sie wischte sich denSchweiß von der Stirn, dann erinnerte siesich an mich und sah mich aufmerksam an.

»Wie heißen Sie?« fragte sie.»Vregh Brathon«, erwiderte ich, ohne mit

der Wimper zu zucken.Wieder dieser nachdenkliche Blick. Ich

fragte mich, was sie wohl vorhatte.Sie war etwas jünger als ich, für eine Ar-

konidin ziemlich klein und zierlich, aber esging eine erstaunliche Aura von Energie vonihr aus. Ihr schmales Gesicht war nicht un-bedingt schön, aber auf seltsame Weise reiz-voll. Sie hatte faszinierende Augen. Das lan-ge, schneeweiße Haar fiel in natürlichenWellen fast bis an den Gürtel ihrer gelbenKombination hinab.

»Kommen Sie!« sagte sie nach einer Wei-le leise, dann wandte sie sich ohne ein wei-teres Wort der Erklärung um und führtemich in einen kleinen Raum, der offensicht-lich verschiedenen Zwecken diente. Sieschien hier zu wohnen. Jedenfalls sah eineEcke recht gemütlich aus. Über einem Betthingen mehrere Bilder, die fast ausnahmslosidyllische Landschaften zeigten. Ein Regalenthielt Lesebänder und Tonspulen, auf ei-ner Ablage unter dem kleinen Spiegel dane-ben entdeckte ich all die Utensilien, ohne dieFrauen anscheinend nicht auskommen. Dieandere Hälfte des Raumes atmete kühleSachlichkeit. Eine plastiküberzogene Liege,ein Schrank mit Instrumenten und verschie-denfarbigen Medikamentenbehältern, einSchreibtisch mit einem kleinen Bildsprech-gerät darauf und ein Stapel säuberlich geord-neter Folien deuteten darauf hin, daß hiergearbeitet wurde.

»Setzen Sie sich!« murmelte sie, nachdemsie die Tür hinter mir geschlossen hatte.

Ich entdeckte einen Stuhl vor demSchreibtisch und ließ mich vorsichtig daraufnieder. Sie nahm auf der anderen Seite Platz.Ich merkte, daß sie mich nicht aus den Au-gen ließ. Vermutlich wußte sie nicht, was sie

28 Marianne Sydow

von mir zu halten hatte.»Ich habe sie zufällig über die Beobach-

tung gesehen«, sagte sie, nachdem wir unsminutenlang angeschwiegen hatten. »Siemachen nicht den Eindruck, als wären Siekrank!«

Ich lächelte und nickte langsam.»Ich fühle mich absolut normal«, bestätig-

te ich vorsichtig. Noch wußte ich nicht, wor-auf sie hinauswollte. Versuchte sie, mir zuhelfen, oder sah sie in mir nur einen Simu-lanten, den sie irgendeinem Vorgesetztenservieren konnte?

»Sie haben einige Entspannungsübungendurchgeführt«, fuhr sie etwas energischerfort. »Ich habe Sie dabei beobachtet. Nursehr wenige psychisch Erkrankte sind in derLage, ein solches Maß an Konzentrationaufzubringen, wie das bei Ihnen der Fallwar.«

Ich schwieg. Noch immer war mir unklar,ob ich nicht schon mit einem Fuß in dernächsten Falle steckte. Ich fragte mich allenErnstes, ob es nicht ratsam wäre, ihr ein biß-chen Theater vorzuspielen, damit sie michwenigstens für teilweise übergeschnappthielt.

Sie ist nervös, bemerkte mein Extrahirn.Sie handelt gegen die Vorschriften. Dukannst als sicher annehmen, daß sie dir hel-fen will!

Ich seufzte lautlos. Wieder stand ich voreinem Problem, das sich durch Nachdenkenallein nicht lösen ließ. Ich mußte das Risikoeingehen!

»Sie können mich Ihren Tests unterzie-hen«, schlug ich vor. »Dann werden Siefeststellen, daß ich gesund bin. Ich habe nureine Frage: Was werden Sie in diesem Fallmit mir machen?«

Der Blick ihrer Augen veränderte sich.Du hast einen Punkt gewonnen, stellte das

Extrahirn fest. Deine Fragestellung stimmt!»Ich werde versuchen, Ihnen zu helfen«,

sagte sie leise. »Es wird nicht leicht sein,aber irgendwie werde ich es schaffen. Siebrauchen einen Passierschein, um aus die-sem Lazarett zu entkommen. Leider kann

ich Sie nicht in frei zugängliche Abteilungeneinschleusen. Alles, was ich tun kann, ist,Sie für geheilt zu erklären und Sie dann indas nächste Lager zu schicken.«

»Was geschieht dort mit mir?«»Sie müssen dort lediglich warten, bis

man Sie für einen neuen Einsatz einteilt.«Ich überlegte. Zwar hatte ich keine Lust,

unter die Raumsoldaten zu gehen, denn er-stens warteten andere Aufgaben für mich,und zweitens würde man bei der vorange-henden Musterung zweifellos feststellen,daß über mich keine Unterlagen vorlagen.Der Name, den ich mir zugelegt hatte, warzwar sehr gebräuchlich, aber die arkonidi-schen Archive wurden hervorragend geführt.Trotzdem – es war immer noch besser, als indiesem höllischen Lazarett zu bleiben. Au-ßerdem bot das neue Lager vielleicht eineMöglichkeit, endlich die Freiheit wiederzu-gewinnen.

»Welche Garantie habe ich, daß Sie nichtlügen?«

Sie zuckte hilflos die Achseln.»Sie sind sehr mißtrauisch, nicht wahr?«

erkundigte sie sich verwirrt.»Allerdings«, nickte ich. »Ich habe auch

berechtigte Gründe, oder meinen Sie nicht?«Sie sah mich fragend an, und ich hatte den

Eindruck, als begriffe sie wirklich nicht.»Ich habe schon vorher von Leuten ge-

hört, die von freundlichen Helfern aus einerhoffnungslosen Lage befreit wurden«, er-klärte ich deshalb. »Als man sie durch Zufallfand, sahen sie nicht besonders appetitlichaus. Mit einigen hatte man eine Reihe vongefährlichen Experimenten angestellt. Ande-re wieder hatte man von bestimmten Orga-nen befreit. Und wieder andere fanden sichauf einem Sklavenmarkt wieder, wo man siein Ketten gefesselt den reichen Herrschaftenzum Verkauf anbot.«

Das Entsetzen in ihren Augen war nichtgespielt, das war mir klar. Aber ich war im-mer noch mißtrauisch. Enorketron schienmir genau die Sorte Planet zu sein, auf demsolche Verbrechen möglich waren – undzwar mit Billigung der höchsten Stellen.

Flottenstützpunkt Trantagossa 29

»Vor wenigen Tagen noch hätte ich Siegerade wegen dieser Erzählung für wahnsin-nig gehalten«, preßte sie nach einer Weileheraus. »Aber allmählich habe ich genugGrausamkeiten gesehen, um Ihnen sogar zuglauben. Ich weiß nicht, wie ich Sie davonüberzeugen soll, daß ich es ehrlich meine.Was immer ich auch sage, Sie können es inZweifel ziehen.«

Ich mußte flüchtig lächeln, als ich darandachte, daß sie sich in genau demselben Di-lemma befand, in dem ich kurz zuvor ge-steckt hatte, als ich mich fragte, welchesVerhalten bei einem Käfiginsassen als nor-mal gelten konnte. Das und die Erkenntnis,daß mir gar nichts anderes übrig blieb,zwang mich dazu, das Angebot dieser Arko-nidin zu akzeptieren. Nur eine Frage quältemich noch.

»Warum wollen Sie mir helfen? Sie set-zen doch damit ihre eigene Sicherheit aufsSpiel!«

»Ich bin erst seit kurzer Zeit hier«, erklär-te sie zögernd. »Ganz am Anfang hatte ichoft das Gefühl, dieses sogenannte Lazarettwäre nur ein Teil eines Alptraums. Ich konn-te mir nicht vorstellen, daß Angehörige un-seres Volkes so grausam handeln könnten.Sie haben nur einen kleinen Teil der Anlagegesehen. Die Behandlungsräume sind umvieles schlimmer. Man wendet Methodenan, von denen ich dachte, daß es sie seitHunderten von Jahren nicht mehr gibt. Diemeisten Ärzte sind zu abgestumpft, um nochetwas zu unternehmen. Viele akzeptieren so-gar alles, solange es ihnen selbst an nichtsfehlt. Ich will nicht auch eines Tages soweitkommen. Ich schäme mich vor mir selbst.Verstehen Sie das?«

O ja, ich verstand sehr gut. Sie versuchte,ihre Selbstachtung zurückzugewinnen, in-dem sie aktiven Widerstand leistete. Daswar ein gutes und glaubhaftes Motiv für ihrVorhaben. Aber warum gerade ich?

»Sie heißen nicht Vregh Brathon«, sagtesie leise, und ich zuckte zusammen. MeineGedanken überschlugen sich. Woran hattesie erkannt, daß ich nur eine Rolle übernom-

men hatte? Wieviel wußte sie?»Ich will Ihren wirklichen Namen auch

gar nicht wissen«, fuhr sie fort. »Je wenigerich über Sie weiß, desto weniger kann ichauch verraten. Sie gehören nicht hierher. Ichbrauche keine Tests mit Ihnen anzustellen,um zu wissen, daß Sie normal sind. Sie sindauch kein Soldat. Ich habe ein gutes Ge-dächtnis für Gesichter. Ihres habe ich schoneinmal gesehen, und zwar bei einer Übertra-gung der Abschlußfeierlichkeiten der Arksummia. Ich frage mich selbstverständlich,wie ein Mann, der diese Auszeichnung er-ringen konnte, in einen dieser entsetzlichenKäfige geraten sein soll. Aber wenn Sie jetztversuchen sollten, mir diesen Vorgang zu er-klären, sähe ich mich gezwungen, mir dieOhren zuzuhalten.« Sie weiß wirklich nicht,wer du bist, flüsterte mein Extrahirn. Abersie ahnt etwas. Sie weiß, daß die Zuständeim Großen Imperium geändert werden müs-sen. Sie hat auch eine bestimmte Vorstellungdavon, wodurch diese Änderung bewirktwerden soll. Wenn sie von dir keine Erklä-rungen fordert, dann nur, weil sie Angst da-vor hat, ungewollt dich und ihre eigenenTräume in Gefahr zu bringen. Du solltest ihrvertrauen!

Ich nickte unwillkürlich.»Wie heißen Sie eigentlich?« fragte ich.Sie nannte nur ihren Vornamen, Dareena,

und das reichte schließlich auch. Sie erklärtemir, wie sie sich unser weiteres Vorgehendachte, und ich merkte sehr deutlich, daß siesich offenbar bereits gründliche Gedankengemacht hatte. Jetzt erkannte ich auch, daßder von ihr gewählte Weg für einen wirklichKranken nicht gangbar war.

Während Dareena mir etwas zu essenbrachte, dachte ich darüber nach, daß offen-sichtlich Frauen gegenüber besondere Vor-sicht geboten war. Sie sahen einen Mann mitganz anderen Augen und achteten mehr oderweniger unbewußt auf Kleinigkeiten, die ei-nem Mann gar nicht aufgefallen wären. Eskonnte kein Zufall sein, daß erst Zaroia Ken-tigmilan und jetzt Dareena dahintergekom-men waren, daß ich mich hinter einer Maske

30 Marianne Sydow

verbarg. Ich fragte mich, was ich eigentlichfalsch machte, und über diesem Gedankennickte ich ein.

In den subplanetarischen Anlagen Enor-ketrons war es eigentlich unsinnig, denRhythmus von Tag und Nacht beizubehal-ten. Die Beleuchtung auf den Gängen bliebimmer gleich, aber dennoch herrschte nachAnbruch der Ruheperiode nur noch wenigBetrieb.

Dareena hatte mich für einige Stunden al-lein gelassen. Sie mußte ihren Dienst verse-hen. Als sie zurückkehrte, sah sie erschöpftaus, und ich wußte, warum. Schweigendstürzte sie ein Getränk herunter, das ich fürsie aus dem Automaten gezogen hatte. Esdauerte einige Minuten, bis die belebendeWirkung einsetzte.

»Bis jetzt scheint niemand Verdacht ge-schöpft zu haben«, murmelte sie endlich.»Zum Glück geht es innerhalb der einzelnenAbteilungen ziemlich unorganisiert zu. Manlegt Wert darauf, die eingelieferten Patientenso bald wie möglich wieder abzuschieben.Wenn ein Arzt sich zu lange mit einemKranken aufhält, bekommt er Minuspunkte.Anfänger wie ich müssen oft über die offizi-elle Zeit hinaus arbeiten, um nicht bestraftzu werden. Es wird also niemand etwas da-bei finden, daß ich mir jemanden aus derBeobachtungsstation geholt habe.«

»Und die Leerzeit?«Sie verstand, was ich meinte, und lächelte

fast spitzbübisch.»Der Kontrolleur, der für den Zellentrakt

zuständig ist, ist sehr empfänglich für weib-liche Reize«, erklärte sie trocken. »Ich hattekeine Mühe, ihn abzulenken. Bei der Gele-genheit habe ich mir erlaubt, die Eintragun-gen seines Vorgängers ein wenig abzuän-dern. Offiziell habe ich Sie erst vor zwanzigMinuten aus dem Käfig geholt.«

Trotz der Gefühle, die ich immer noch fürIschtar empfand, gab es mir einen Stich.Dareena beim munteren Geplänkel mit ir-gendeinem lüsternen Kerl – der Gedanke ge-fiel mir nicht. Überrascht stellte ich fest, daßich eifersüchtig war. Dabei lag beim besten

Willen kein Grund dafür vor. Erstens hatteich keine Ansprüche auf dieses Mädchen,zweitens hatte sie es nur für mich getan …

»Ich habe alles vorbereitet«, unterbrachsie meine Gedankengänge. »Es fehlt nurnoch ein Stempel, und den kriegen wir leidernicht umsonst. Selbstverständlich werde ichkeine echte Behandlung an Ihnen durchfüh-ren. Sie bekommen von mir ein Betäubungs-mittel gespritzt, das etwa zwei Stunden langvorhält. Die Wirkung setzt nach wenigenMinuten ein. Die Injektion muß ich Ihnen indiesem Raum geben. Wenn man zufälligmein Zimmer unter Beobachtung hält, ist so-wieso alles verloren. Aber auf den Gängensind die Spionaugen ständig in Betrieb, dortwäre es also noch gewagter.«

Ich wußte, worum es ging. Aus einem mirunerfindlichen Grunde war die Behandlungmit Elektroschocks für alle, die hier einge-liefert wurden, vorgeschrieben. Die Behand-lung wurde bei vollem Bewußtsein vorge-nommen. Wurde jedoch jemand nach dieserProzedur aus dem Saal gerollt, ohne deutlicherkennbar ohnmächtig zu sein, erregte dasdas Mißtrauen der Wachen. Daher das Be-täubungsmittel. Ich mußte wach sein, wennDareena mich in den Behandlungsraumbrachte. Die Prozedur wurde über Spionau-gen verfolgt. Da um diese Zeit relativ wenigBetrieb herrschte, war die Gefahr groß, daßman uns beobachtete. Ich mußte also wäh-rend der Prozedur das Bewußtsein verlieren.

»Fangen wir an«, meinte Dareena und er-hob sich. Während sie verschiedene Töpfevon ihrem Schminktischchen holte, zog ichmich aus. Sie musterte mich mit der kühlenSachlichkeit einer Ärztin und versah michdann systematisch mit jenen Spuren, die einMann nach einem Aufenthalt in diesem La-zarett aufzuweisen pflegte. Sie begann mitblauen Flecken am Kinn und endete mitdunklen Ringen um meine Fußknöchel. Alssie fertig war, sah ich tatsächlich aus, alshätte man mich kunstgerecht durch die Man-gel gedreht. Selbst die dunklen Flecken, dieunsachgemäß angeschlossene Elektrodenhinterlassen, waren vorhanden.

Flottenstützpunkt Trantagossa 31

»Sie werden in dem neuen Lager währendder ersten Zeit sehr zurückhaltend im Ge-brauch von Wasser und Seife sein müssen«,erklärte sie. »Es gibt dort nur Gemein-schaftsduschen, und die Flecke sind ab-waschbar.«

Ich schlüpfte in den abgetragenen, matt-gelben Kittel, den sie mir zuwarf. Sie rolltegeschickt meine Stiefel in die Kombinationein und befestigte das Bündel am Fußendeeiner primitiven Klappliege. Als ich auf demGefährt lag und sie die kalten Klammern derFesseln um meine Hand- und Fußgelenkeschloß, kam ich mir doch etwas merkwürdigvor. Sie hatte mich jetzt völlig in der Gewalt…

Aber mein Mißtrauen war längst versiegt.Sie sah auf die Uhr. Noch zwei Minuten,

dann mußten wir uns auf den Weg machen.Ich beobachtete sie und stellte mit Bewunde-rung fest, daß sie die Ruhe in Person war.Gelassen verfolgte sie die Zeiger, nahm dieInjektionspistole zur Hand und setzte sie aufdie Sekunde genau an.

Die Tür öffnete sich vor uns. Ich hörte daslaute Trampeln von Stiefeln und sah Dareen-as Augen schmal werden. Violette Unifor-men tauchten neben mir auf. Man brauchtekeine Phantasie, um zu wissen, daß dieseMänner nicht zur Belegschaft des Lazarettsgehörten.

Dareena reagierte mit ungeheurer Schnel-ligkeit. Sie hatte sich völlig in * der Gewalt.Ohne mit der Wimper zu zucken, blieb siestehen und sah den Männern vom Geheim-dienst entgegen.

»Ist jemand ausgebrochen?« erkundigtesie sich mit gut geheucheltem Interesse.

»Nein, im Gegenteil«, lachte einer der Be-amten und blieb direkt neben meinem Kopfstehen. »Ein Gefangener versucht, sich hierzu verstecken. Wir wollten ihn zum Verhörabholen, und da war der Kerl verduftet. Erdachte wohl, in einem Lazarett hätte er einangenehmeres Leben als bei uns!«

»Da wird er wohl eine bittere Enttäu-schung erleben!« kommentierte Dareenatrocken. »Wissen Sie schon, wo er gelandet

ist?«»Vermutlich sitzt er noch in der Beobach-

tungsstation, der Ärmste«, grinste der Vio-lette zynisch. »Ich möchte wetten, daß ereinen Freudensprung macht, wenn wir ihnda herausholen.«

»Laßt euch Zeit«, empfahl Dareena.»Dann spart ihr euch viel Arbeit. Wenn erlange genug da drin bleibt, wird er jede Fra-ge beantworten.«

Der Uniformierte nickte anerkennend undlegte die rechte Hand auf Dareenas Arm.

»Wie ist es, Mädchen, wann hast duDienstschluß? Muß doch sehr langweiligsein in diesem Irrenhaus. Ich habe eine Ein-trittserlaubnis für das Kasino. Heute abendgibt es ein erstklassiges Programm.«

»Da sage ich nicht nein«, lächelte sie ihnstrahlend an. »Mit dem hier bin ich in zweiStunden fertig. Holst du mich ab?«

»Drei Stunden«, nickte er und eilte seinenKollegen nach, die inzwischen weitergegan-gen waren.

Als wir weiterfuhren, hatte ich das Ge-fühl, direkt auf einer Bombe zu sitzen. DasBetäubungsmittel wirkte bereits, und ichkämpfte verzweifelt gegen die Müdigkeit an.

Dareena beeilte sich nach besten Kräften.Halb im Traum merkte ich, wie sie an mei-nem Kopf herumhantierte. Sie bewegteeinen Schalter. Die Elektroden erreichtenmich nicht, und ich spürte nichts weiter alseine dunkle Masse, die mich zu verschlingendrohte.

4.

Ein scharf gebündelter Impuls durchdrangdas Nichts und traf auf das Bewußtsein desHenkers.

»Geh!«Magantilliken zuckte wie unter einem

Schlag zusammen. Die unwillkürliche Hülle,in der er haltlos schwebte, zerbarst. Lichtfet-zen umwirbelten ihn, und dann nahm dasvertraute, nebelhafte Etwas ihn auf, in demes weder Raum noch Zeit gab.

Er hatte die Eisige Sphäre verlassen. Sei-

32 Marianne Sydow

ne Reise zu einem neuen Körper begann.Diesmal war es anders als sonst, denn er hat-te kein klares Ziel. Sein Körper, den er be-reits voll akzeptiert hatte und mit dem ihnein Band der Gewohnheit verflocht, war zer-stört. Es war beunruhigend, ohne Ziel zusein, aber er vertraute auf seine Fähigkeit. Indiesem Zustand spürte er die Annäherung aneinen varganischen Körper wie einen Sog,der ihn unwiderstehlich mit sich riß.

Da er kein Zeitgefühl hatte, wußte ernicht, wie lange es dauerte, bis sich vor ihmdas deutliche Muster einer organischen Exi-stenz abzeichnete. Er strebte darauf zu, ohneetwas von einer direkten Bewegung zu mer-ken. Die Anziehungskraft des fremden Kör-pers nahm zu. Er stellte fest, daß es mehrereorganische Einheiten waren, die ihm zurAuswahl standen.

Drei schieden aus. Die fast schmerzhaftenSchläge, die er aus ihrer Richtung empfing,sagten ihm, daß es sich um weibliche Körperhandelte. Dann merkte er, daß eines der ver-bleibenden Muster bereits Zeichen des Ver-falls enthielt. Er zögerte. Das war kein gutesZeichen. Die Lebenserhaltungsanlage indem Stützpunkt, in dem diese Körper lager-ten, arbeitete offensichtlich schon fehlerhaft.Das hieß, daß auch andere technische Ein-richtungen mangelhaft sein mußten. Keinguter Startpunkt also für die Fortsetzung derJagd.

Aber es war zu spät, um sich aus dem Sogzu befreien. Er mußte zumindest für kurzeZeit einen der Körper übernehmen, ehe ersein Bewußtsein an einen anderen Ort proji-zieren konnte.

Er fand einen Körper, dessen Ausstrah-lung gesund und kraftvoll war und wartetenicht länger. Sein Geist verband sich mit denvegetativen Strömungen. Der fast völlig feh-lende Widerstand, den das fremde Gehirnihm entgegensetzte, bewies dem Eindring-ling, daß er sich in einer sehr alten Anlagebefand. Dieser Körper mußte seit sehr langerZeit geruht haben.

Erst als Magantilliken sicher war, die vol-le Kontrolle über seine fleischliche Hülle

auszuüben, öffnete er die Augen.Der Schock traf ihn unvorbereitet und mit

voller Wucht.Er war nicht in einer varganischen Station

gelandet. Er befand sich auch auf keiner derVersunkenen Welten. Die Geräte, die sich inseinem Gesichtskreis befanden, waren ihmaber trotzdem nur zu gut bekannt. Es gabkeinen Zweifel: Er befand sich in einer An-lage jener Barbaren, die sich Arkonidennannten …

*

Bher Gobon hatte noch nie an Schlaflo-sigkeit gelitten. Daher wunderte er sichmaßlos darüber, daß er an diesem Abendkeine Ruhe fand. Er überlegte, ob er ein Me-dikament einnehmen sollte, verzichtete je-doch darauf. Es war bereits sehr spät, undwenn er jetzt ein Betäubungsmittel nahm,würde er am nächsten Morgen nicht klar ge-nug denken können.

Er wälzte sich unruhig auf die andere Sei-te und versuchte herauszufinden, was ihn ei-gentlich am Schlafen hinderte. Er kam nichtdarauf und ärgerte sich darüber. Ein Blickauf die Uhr. zeigte ihm, daß er ebensogutaufstehen konnte. Ihm blieben nur noch dreiStunden, bis er seine Arbeit antreten mußte.

Nachdem er gefrühstückt hatte, fühlte ersich etwas wohler. Er erinnerte sich daran,daß er noch zwei Minusstunden hatte undbeschloß, die günstige Gelegenheit zu nüt-zen. Die spartanisch eingerichtete Kabine,die er bewohnte, lag keine fünf zig Metervom Labor entfernt. Wie alle Wissenschaft-ler auf Sohle dreiundzwanzig besaß auchGobon einen Schlüssel zu diesem Raum.

Er pfiff leise vor sich hin, zog sich eineleichte Kombination an, verließ dann seineKabine und schlenderte den menschenleerenGang entlang.

Die Tür zum Labor schwang auf. In demriesigen Vielzweckraum brannte wie üblichdie Notbeleuchtung. Bher Gobon begab sichin aller Ruhe an seinen Arbeitsplatz, setzteeine Lampe in Betrieb und überblickte sei-

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nen Tisch. Wie konnte er diese Stunden ambesten nützen?

Ein paar Formulare fielen ihm ein, die ergestern abend nicht mehr vollständig hatteausfüllen können. Die Daten standen auf ei-nem Notizzettel, er brauchte sie nur noch zuübertragen. Er breitete die Folien vor sichaus, suchte seine Aufzeichnungen zusam-men und war wenig später völlig in seineArbeit vertieft.

*

Magantillikens erste Reaktion war, deneben übernommenen Körper schleunigst zuverlassen und nach einem neuen Unter-schlupf zu suchen. Ein solcher Wechsel warkein Problem. Er gab den entsprechendenImpuls ab – nichts geschah.

Verblüfft wiederholte der Henker seinenVersuch. Diesmal konzentrierte er sich stär-ker. Vielleicht war dieser Körper daranschuld, oder es gab hemmende Einflüsse ausder Umgebung. Er hatte zwar noch niemalsetwas Ähnliches erlebt, aber es war immer-hin vorstellbar.

Er schien recht zu haben. Mit äußersterWillenskraft löste er sich von seinem Kör-per. Aber dann geschah etwas, das ihm dieLage unmißverständlich erklärte.

Er stieß im Nichts auf eine Sperre. SeinBewußtsein wurde zurückgeschleudert, alssei es auf eine unsichtbare Mauer geprallt.Es schnellte in den alten Körper, und eineWelle von Schmerzen durchzuckte den Hen-ker. Er fühlte, wie seine organische Hüllesich aufbäumte und kämpfte verzweifelt, biser die Kontrolle wiedererlangt hatte. Dannblieb er ganz still liegen und dachte nach.

Die Sperre konnte nur eine Bedeutung ha-ben: Die Varganen selbst hatten ihm denRückzug abgeschnitten. Die Eisige Sphärewar für Magantilliken unerreichbar gewor-den.

Angst stieg in ihm auf. War er für immerverbannt? Was sollte werden, wenn dieEnergie, die man ihm mitgegeben hatte, ver-braucht war?

Der Henker starrte in den fremdartigenRaum. Die Schmerzen verebbten, und seineGedanken klärten sich. Sie würden ihn nichtfür alle Ewigkeit ausschließen, denn damithätten sie selbst das Projekt in Gefahr ge-bracht. Er mußte seine Aufgabe lösen – sehrschnell lösen, ehe seine Lage hoffnungsloswurde.

Nachdem er zu dieser Erkenntnis gekom-men war, richtete er seinen neuen Körperauf und sah sich um. Die Logik sagte ihm,was geschehen war. Die Arkoniden hatteneinen der geheimen Stützpunkte gefundenund ausgeräubert. Sie hatten bestimmt nichtnur die Körper der Schläfer mitgenommen,sondern auch Teile der technischen Ausrü-stung. Diese Sachen mußten sich irgendwoin der Nähe befinden. Wenn er etwasBrauchbares unter dieser Beute fand, konnteer der kommenden Auseinandersetzungschon bedeutend gelassener entgegensehen.

Der Raum, in dem er sich befand, dienteoffensichtlich als Laboratorium. Magantilli-ken erblickte elf andere Schläfer in seinerNähe. Die Ausdehnung des Labors deutetedarauf hin, daß man sich hier nicht nur mitbiologischen Arbeiten beschäftigte. DerHenker schwang sich lautlos von der hartenUnterlage des Untersuchungstischs. Als ereinen Blick nach oben warf, entdeckte ermehrere Fernsehaugen. Das Labor war nurschwach beleuchtet, und es waren zur Zeitauch keine Arkoniden anwesend. Vermut-lich war es draußen also Nacht. Es war nichtanzunehmen, daß man zwölf Leichen unterständiger Beobachtung hielt.

Dennoch mußte er schnell handeln, denner wußte nicht, wieviel Zeit ihm noch blieb.Hatte er erst seine Waffen, dann mochtendie Forscher kommen …

Sein Weg führte ihn zwischen Geräten,Arbeitstischen und Versuchsanordnungenhindurch. Schon nach wenigen Meterndurchschaute Magantilliken das Schema,nach dem dieser Raum eingerichtet war.Zielbewußt begab er sich in jenen Teil desLabors, in dem man sich mit technischenFragen beschäftigte. Er lächelte zufrieden,

34 Marianne Sydow

als er ein ganzes Sortiment varganischer Ge-rätschaften vor sich sah. Er suchte sich eineweitreichende Betäubungswaffe heraus,einen Strahler und ein kleines, kastenförmi-ges Gerät, das von unschätzbarem Wert fürihn war. Damit vermochte er jeden Schutz-schirm zu neutralisieren, den es in dieserStation geben mochte. Zusätzlich leistete daskleine Ding hervorragende Dienste, wenn esgalt, Roboter zu irritieren oder elektronischeSperren zu durchbrechen.

Nach einigem Suchen fand er auch nocheinen Armreifen, der ebenfalls einen ganzenKomplex von Geräten enthielt. Zwar war dieEnergiezelle leer, aber er fand schnell einenErsatz. Er hatte jetzt die Möglichkeit, einenSchutzschirm um sich aufzubauen, ein Anti-gravfeld herzustellen und einiges mehr. Sol-cherart gerüstet, fühlte er sich bereits umvieles wohler. Das einzige, was er sich nochbesorgen mußte, war Kleidung.

Bevor er sich jedoch daran machte, auchdieses Problem zu lösen, untersuchte Ma-gantilliken die restlichen Apparaturen. Erfand einige gefährliche Waffen, über derenAnwendung die Arkoniden anscheinendnoch nicht Bescheid wußten. Er hielt es fürnicht ratsam, diesen Fremden derartige Ver-nichtungsmittel in die Hand fallen zu lassenund entfernte kurz entschlossen einige Ver-bindungen. Die Geräte waren dadurch wert-los – daß einer dieser Barbaren die Schaltun-gen durchschaute, war kaum zu befürchten.

Gerade wollte Magantilliken sich auf denWeg zum Ausgang begeben, da hörte er dasGeräusch einer sich öffnenden Tür.

Blitzschnell duckte er sich in den Schatteneines Tisches und spähte vorsichtig um dieEcke.

Ein junger Arkonide betrat das Labor.Magantilliken befürchtete bereits, nun dochzu viel Zeit verschwendet zu haben, aber derjunge Mann war ohne Begleitung, und erschloß die Tür hinter sich. Ohne sich umzu-sehen, ging er zu einem Arbeitstisch, schal-tete eine kleine Lampe ein und ließ sich voreinem Packen Folien nieder.

Der Henker lächelte flüchtig.

Damit war das Problem »Kleidung« ge-löst!

Er wartete, bis der Arkonide sich in seineArbeit vertieft hatte, dann huschte er lautlosvorwärts. Er brauchte keine überflüssigenKraftakte zu vollbringen, um den Fremdenfür einige Zeit handlungsunfähig zu machen.Das Kästchen leistete ihm gute Dienste, alser an eine elektronische Sperre geriet, unddie Betäubungswaffe funktionierte lautlosund zuverlässig. Er entkleidete den schlaffenKörper, der zum Glück auch ungefähr die-selbe Größe hatte, wie seine derzeitige Hül-le. Nachdem er sich angezogen hatte, hängteMagantilliken seine Geräte an den breitenGürtel des Arkoniden und schnallte ihn um.Den Impulsschlüssel für die Labortür nahmer auch mit. Er sparte sich damit unnötigeArbeit.

Behutsam schob er die Tür auf und sahauf den Gang hinaus. Es war totenstill. DieNotbeleuchtung brannte. Die Ruheperiodewar also noch nicht vorüber.

Magantilliken brauchte keine langenÜberlegungen anzustellen, um sich über seinZiel klar zu werden. Der erste Schritt zumErfolg bestand darin, daß er sich ein Raum-schiff zu beschaffen hatte. Er erkannte aufden ersten Blick, daß er auf einem gut aus-gerüsteten Planeten angekommen war. Hierein Fahrzeug zu finden, sollte nicht schwersein.

Zielstrebig marschierte er los.

*

Amarkavor Heng war in der Zentrale ge-blieben, die dem Labor am. nächsten lag.Der Gedanke an die geheimnisvollen Waf-fen der ausgestorbenen Fremden faszinierteihn immer stärker. Er war sich fast sicher,daß er mit ihnen mehr Sicherheit für sichselbst erkaufen konnte, wenn er sich nur ge-schickt genug anstellte.

Diese Idee fraß sich so intensiv in seinenÜberlegungen fest, daß er Ütr'angs Tod unddie drohenden Gefahren vorübergehend fastvergaß. Die Hoffnung, schon in Kürze Ruhe

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finden zu dürfen, hielt ihn wach. Er benötig-te ohnehin nur wenig Schlaf.

Gegen Morgen stand er auf, betrat die Hy-gienekabine und ließ sich von eifrigen klei-nen Robotern waschen, massieren und mitwohlriechenden Essenzen einreiben. DieseProzedur war der einzige Luxus, den er sicherlaubte. Nachdem seine mechanischen Die-ner auch sein Haar getrocknet und gebürstethatten, betrat er frisch und duftend den näch-sten Raum, in dem seine Kleidung bereitlag. Auch sie war makellos sauber, jedochvon spartanischer Einfachheit. Hengschlüpfte in die weiche, zartblaue Uniform,die weder Rangabzeichen noch Orden trug,schloß die Magnetverschlüsse der an-schmiegsamen Stiefel und schnallte denWaffengurt um.

Der nächste Punkt der streng geregeltenTagesordnung war das Frühstück. Hengwußte, daß andere Männer in seiner Positioneinen wahren Kult um den einfachen Vor-gang der Nahrungsaufnahme veranstalteten.Möglicherweise hätte auch er dem Hang zurSchlemmerei nachgegeben, aber prunkvolleTafeln ohne Gäste bereiten wohl niemandemein besonderes Vergnügen. Zudem hatte derKommandeur aus Gründen der Zeitersparnisdas Frühstück mit einer ersten Berichterstat-tung seiner Beobachtungsroboter verbunden.

Während er eine dünne Konzentratscheibeverzehrte und synthetischen Fruchtsaft dazutrank, hörte er sich die Zusammenfassungder Ereignisse im Trantagossa-System an,die während seines kurzen Schlafes stattge-funden hatte. Er nahm sich zum Abschlußeine süße, glasartig aussehende Frucht auseiner schmucklosen Schale und stellte zu-frieden fest, daß im Augenblick relativ Ruhezu herrschen schien. Zwar waren einige klei-nere Verschwörungen im Gange, aber eshandelte sich um simple Fälle, die er getrostseinen Robotern überlassen konnte.

Der Abschluß des Berichts mißfiel ihm je-doch.

Durch eine Routineüberprüfung war her-ausgekommen, daß Vregh Brathon, jenerjunge Mann, den Zaroia Kentigmilan für

verdächtig hielt, dem Geheimdienst ent-wischt war. Kiran Thas, der Sektionschefdieser Organisation, hatte zwar die sofortigeFahndung eingeleitet, den Ausreißer jedochbisher nicht gefunden. Das wäre nicht weiterschlimm gewesen, wenngleich AmarkavorHeng sich argwöhnisch fragte, ob nicht auchKiran Thas wieder einmal eine Ermunterungbrauchte, um in Zukunft schneller und bes-ser zu arbeiten. Der springende Punkt warvielmehr, daß Thas es unterlassen hatte, um-gehend eine Meldung an Heng zu erstatten.

Steckte Thas am Ende auch mit den Ver-schwörern unter einer Decke? Schützte erBrathon absichtlich – oder hatte er nurAngst, Heng könnte ihn wegen seines Ver-sagens bestrafen?

Der Kommandeur beschloß, dieser Sachesofort auf den Grund zu gehen. Wenn Thaseinmal so handelte, war es durchaus mög-lich, daß er schon früher wichtige Meldun-gen unterschlagen hatte. Dieser Mann mußteüberprüft werden, schnell und gründlich!Heng wurde beinahe übel bei dem Gedan-ken, ein Verräter könnte bis in die gefährlichhohe Position eines Sektionschefs vorge-rückt sein, ohne daß er es bemerkt hatte!

Eilig begab er sich in den Schaltraum, umalles in die Wege zu leiten. Aber er kamnicht mehr dazu. Er sah das grelle Blinkender Warnlampe, noch ehe sein mechanischerBegleiter ihn darauf aufmerksam machenkonnte.

In höchster Hast eilte Heng an seinenPlatz. Der Roboter benötigte keine speziel-len Befehle. Er stellte sofort die Sichtverbin-dung her. Ein Bildschirm wurde hell.

Amarkavor Heng blickte direkt in dasGroßraumlabor auf Sohle dreiundzwanzighinein. Und was sich dort abspielte, ließ ihnVregh Brathon und Kiran Thas augenblick-lich vergessen.

Einer der Wissenschaftler lag am Boden.Er war – wie Heng zunächst verständnislosfeststellte – völlig unbekleidet. Dem Kom-mandeur war sofort klar, daß dieser Mannnicht freiwillig in diesem Zustand auf demharten Boden lag. Außerdem wirkte der

36 Marianne Sydow

Wissenschaftler, als sei er bewußtlos.Heng mochte unter einer mehr oder weni-

ger milden Form von Verfolgungswahn lei-den, aber gerade deshalb schaltete er sofort.Er gab dem Roboter den Befehl, die zwölfLeichen einzublenden. Seine Ahnung hatteihn nicht getäuscht – einer der Körper fehl-te!

Sekundenlang war der einsame Mann un-fähig, zu denken oder etwas zu tun. Er starr-te auf die leere Fläche. In seinem Gehirnüberstürzten sich die Gedanken.

Es war absolut sicher, daß die Wissen-schaftler keinen dieser Körper aus dem La-bor entfernt hatten. Das hätte auch keinenSinn ergeben, denn der Raum war optimaleingerichtet und bot jede Untersuchungs-möglichkeit. Aber wo war die Leiche danngeblieben?

Ütr'ang!Er war gestorben, als die BARGONNA

landete. Er hatte also doch eine Gefahrwahrgenommen, die von diesem Schiff aus-ging. Und da Ütr'ang auf Amarkavor HengsSicherheit eingestellt war, bedeutete dasnichts anderes, als daß eine der Leichen einetödliche Gefahr für den Kommandeur dar-stellte.

Heng wurde fast hysterisch vor Angst beidem Gedanken, daß der Mörder sich bereitsauf dem Wege zu ihm befand. Nur allmäh-lich fielen ihm die unzähligen Sicherheits-vorkehrungen ein. Niemand würde es fertig-bringen, bis zu ihm persönlich vorzudringen,solange er in seiner Aufmerksamkeit nichtnachließ. Er mußte den Fremden finden, sei-nen Weg verfolgen. Im geeigneten Momentkonnte er dann zuschlagen!

Aber zuerst wollte er die Wissenschaftleraus ihren Schlaf wecken. Es war unverant-wortlich, daß sie mit diesen Körpern so un-achtsam umgegangen waren!

Amarkavor Heng dachte nicht eine Se-kunde lang daran, daß diese Leute ebenso-wenig wie er damit hatten rechnen können,daß eine Leiche plötzlich davonläuft. Er zogvielmehr die Möglichkeit in Betracht, daßauch Bariila und seine Leute zu den allge-

genwärtigen Feinden gehörten.Sie mußten bemerkt haben, daß wenig-

stens einer der Körper keineswegs eine Lei-che war. Vielleicht hatten sie sogar alles ein-gefädelt, um mit einem geschickten Trickden Mörder in Amarkavor Hengs unmittel-bare Nähe bringen zu können. So gesehen,war diese Zentrale nicht' mehr sicher genug.

Endlich raffte Heng sich dazu auf, etwaszu unternehmen. Er entwarf einige Pläne,ließ die Hälfte davon wieder fallen und hetz-te seine Roboter auf diese Weise minuten-lang sinnlos hin und her. Dann stand seinEntschluß fest.

Großalarm für den Geheimdienst! SeinenVerdacht gegen Kiran Thas hatte er zwarnicht vergessen, aber er hielt diese Episodeim Augenblick für unwichtig. Außerdemwar Thas nur einer von vielen Sektionsober-häuptern. Dezentralisierung auch dieser In-stitution hielt Heng für das sicherste Mittel,Verschwörungen unter den Abwehrbeamtenvorzubeugen.

Verhaftung aller Wissenschaftler auf Soh-le dreiundzwanzig. Die Verhöre würden zei-gen, wer schuldig war und wer nicht.

Versiegelung des Labors und strenge Be-wachung der Zugänge zu diesem Raum.Ständige Beobachtung der restlichen Körperdurch die Spionaugen. Nur so ließ es sichverhindern, daß ein zweiter Mörder sich aufden Weg machte.

Und endlich eine konzentrierte Fahndungnach dem Fremden durch alle geheimen Be-obachtungsanlagen.

Amarkavor Heng hatte das Gefühl, allesNötige veranlaßt zu haben. Die unmittelba-ren Auswirkungen seiner Befehle wartete ernicht erst ab. Der Boden in dieser Zentralewar ihm zu heiß geworden. Steckten tatsäch-lich die Wissenschaftler hinter diesemMordversuch, dann hatten sie mit ihren Ge-räten vielleicht auch schon einen Weg aus-getüftelt, bis an diesen Ort vorzudringen.

Amarkavor Heng begab sich in eine sei-ner geheimen Transportröhren. Sein Zielstand fest.

Als er eine halbe Stunde später die kleine

Flottenstützpunkt Trantagossa 37

Kabine verließ, stand er in einem Raum, derdem aufs Haar glich, den er eben verlassenhatte. Aber zwischen ihm und der anderenZentrale lagen nicht nur ein paar hundert Ki-lometer, sondern auch unzählige Todesfallenfür alle, die ihm auf diesem Wege zu folgenversuchten. Und vor allem: Hier lag der Ein-gang zu jenem Fluchtschacht, der ihn in Mi-nutenschnelle zu seinem sichersten Flucht-mittel brachte. Der Hangar, in dem dasSKORGON ständig startbereit gehalten wur-de, lag in gerader Linie über ihm.

5.

Ich spürte einen abscheulichen Ge-schmack im Mund und bleierne Müdigkeitin jedem Muskel. Meine Zunge war dickund pelzig. Nur mit Mühe zwang ich dieAugenlider auseinander.

Direkt über mir schwebte Dareenas ner-vöses Gesicht. Sie sagte etwas, aber ich ver-stand sie nicht. Dann berührte etwas Kaltesmeinen rechten Oberarm, und ganz langsamwich die Betäubung von mir. Während ichmeine Beweglichkeit zurückgewann, kamauch die Erinnerung, und ich schrak zusam-men.

Der Geheimdienst!Dareena sah, wie ich die Lippen bewegte,

aber meine ausgetrocknete Kehle produzier-te keinen Laut. Sie legte mir hastig die Handauf den Mund, und ich begriff, daß ich vor-läufig nicht sprechen sollte. Aber warum?Waren Beobachter in der Nähe?

Ich drehte vorsichtig den Kopf und igno-rierte das schmerzhafte Ziehen im Genick.Alles, was ich sah, war die Front einer Dia-gnosekammer. Ich blickte nach der anderenSeite – nichts als ein kahler, unfreundlicherRaum. Außer Dareena war niemand in Sicht.

Sie beugte sich noch tiefer herab und tat,als untersuche sie etwas an meinem Kopf.Scharf und beunruhigend drang ihr Flüsternzu mir vor.

»Wir haben es fast geschafft!«Also hatten die Beamten mich doch noch

nicht gefunden. Im Augenblick hätte ich ih-

nen nicht einmal davonlaufen können, dennich fühlte mich wie ausgelaugt. DareenasBetäubungsmittel brachte unangenehmeNachwirkungen mit sich.

An der Diagnosekammer leuchtete einblaues Licht auf, und Dareena schob michhinein. Das kam mir komisch vor, denn indiesem Zustand würde man mich wohl kaumfür gesund erklären. Aber ich hatte wiedereinmal vergessen, daß ich mich auf Enorke-tron befand. Hier wurde einfach alles andersgehandhabt. Der Roboter kümmerte sich ummeine Gesundheit überhaupt nicht. Er wolltelediglich feststellen, ob ich normal reagierte.Meine Hände wurden befreit, und ich hatteauf einige Tasten zu drücken, dann bombar-dierte man mich mit Licht- und Geräuschef-fekten, und nach fünf Minuten holte Daree-na mich wieder heraus. Ich hätte sie gernegefragt, was für eine Sorte Test das eigent-lich war. Aber sie gab mir durch eine unauf-fällige Geste zu verstehen, daß wir vor Be-obachtung nicht sicher waren. Schweigendwarteten wir eine Weile, dann summte esneben uns in der Wand, und eine Karterutschte in eine Auffangrille.

Dareena warf einen Blick darauf undnickte. Sie schob mich weiter, und draußenauf dem Gang raunte sie mir zu:

»Alles in Ordnung. Das ist der Passier-schein!«

Alles weitere ging wie von selbst. Sie fuhrmich zu einem Tor, an dem die gelb geklei-deten Wächter dieser Station auf uns warte-ten. Sie warfen einen kurzen Blick auf denPassierschein. Einer von ihnen verschwandin einer Wachkabine. Ich sah, daß er einenKnopf betätigte. Dann rollte das große Torauf. Dareena schob mich hindurch. Siebeugte sich etwas vor, und ihre Lippenformten die Worte »Viel Glück!« Ehe ichnoch begriff, daß dies der Abschied von dermutigen jungen Ärztin war, schloß sich dasTor bereits hinter ihr.

»Ein Gelber!« hörte ich eine laute Stimmehinter mir. »Los, packt mal mit an! Der armeKerl scheint einiges hinter sich zu haben!«

Drei Männer in abgerissenen Uniformen

38 Marianne Sydow

hoben mich von der Klappliege und stelltenmich vorsichtig auf die Beine.

»Kannst du gehen?« fragte der eine. Ichnickte, denn meine Stimmbänder taten esnoch immer nicht. Schon nach den erstenSchritten merkte ich, daß Dareenas Mitteltrotz der Gegeninjektion immer noch wirkte.Mit Unterstützung der drei Fremden kam ichbis zu einem Bett, dann schlief ich schonwieder ein.

*

»Frühstück!« grollte eine Stimme nebenmeinem Ohr, und ich fuhr hoch. Ich hattekeine Ahnung, wie lange ich geschlafen hat-te. Die Ereignisse, die mich in diesen Raumgeführt hatten, waren mir nur verschwom-men in Erinnerung geblieben. Aber ichdachte jetzt bereits klar genug, um zu erken-nen, daß Dareena einen vollen Erfolg verbu-chen konnte. Ich begriff auch, daß die halbeBetäubung mir geholfen hatte, mich genaurichtig zu verhalten.

Neben meinem Bett hockte ein bärtigesIndividuum, das mich unwillkürlich an Far-tuloon erinnerte. Der Fremde hielt mir einenBecher mit Fruchtsaft und eine Schale mitKonzentratbrei unter die Nase. Obwohl dasZeug nicht unbedingt appetitanregend wirk-te, lief mir beim bloßen Gedanken ans Essendas Wasser im Mund zusammen. Ich stürzteden Saft hinunter und atmete erleichtert auf,als ich endlich den ekelerregenden Ge-schmack im Mund loswurde. Der Bärtigeblieb neben mir sitzen und sah mir zu.

»War's schlimm?« fragte er nach einerWeile.

»Ich bin froh, daß ich draußen bin«, gabich zu, und das entsprach der Wahrheit.

Erst jetzt fand ich Gelegenheit, mich um-zusehen.

Mein Bett stand am Rande eines Schlaf-saals. Ich bemerkte, daß die meisten Bettenbereits leer waren. Im Hintergrund standenmehrere Türen offen.

»Duschen, Aufenthaltsräume, andereSchlafsäle«, erklärte der Bärtige, der mei-

nem Blick gefolgt war. »Ich heiße Shelon.Wenn du dich fit genug fühlst, zeige ich dirdie Anlage.«

»Der Ausgang interessiert mich am mei-sten«, grinste ich.

»Kann ich mir vorstellen. Aber es ist nichtratsam, dort zu oft herumzulungern. DieWachtposten verstehen wenig Spaß.«

Ich runzelte die Stirn. Wieder Hindernis-se! Wann, bei allen Dämonen der Galaxis,hörte das endlich auf?

»Wie lange dauert es, bis sie einen hin-auslassen?« wollte ich wissen.

Shelon kratzte sich am Bart.»Kommt darauf an«, murmelte er. »Einen

Tag, oder auch eine Woche. Die Nachfrageist unterschiedlich. Zwar ist der Verschleißan Raumsoldaten hoch, und dieses Lazarettist auch nicht geeignet, jede Menge Nach-schub zu liefern, aber im Augenblick schei-nen die Maahks sich in unserem Sektor ganzgut zu benehmen. Es herrscht Flaute. Duwirst dich in Geduld üben müssen.«

Geduld! Mir brannte die Zeit unter denNägeln. Es war bereits ein Wunder, daß iches bis hierher geschafft hatte. Der Geheim-dienst konnte jeden Moment auf Dareenastoßen. Es gab Unterlagen darüber, daß siemich »behandelt« hatte. Zwar war sie einmutiges und tapferes Mädchen, aber ichkannte die Verhörmethoden. Lange würdesie nicht Widerstand leisten können, das warklar.

Ich mußte dieses Lager verlassen! Nichtmorgen oder in einer Woche, sondern heutenoch!

»Gibt es denn nur einen Ausgang?« fragteich leise. Shelon blickte mich prüfend an,dann grinste er.

»Hast du es eilig? Warum eigentlich? Esist gar nicht so schlecht hier. Du bekommstregelmäßig etwas zu essen, du kannst dichausschlafen, und im Aufenthaltsraum gibt essogar ein Unterhaltungsprogramm. Ich ver-stehe nicht, warum du dich darum reißt,möglichst schnell wieder in den Krieg zumüssen!«

Vorsicht! warnte mein Extrahirn. Dieser

Flottenstützpunkt Trantagossa 39

Mann verfolgt einen Plan! Nimm dich inacht!

Ich schlug die Warnung in den Wind,denn meiner Meinung nach konnte mir nichtmehr viel passieren. Kam ich nicht rechtzei-tig aus dem Lager heraus, so stand mir eineintensive Unterhaltung mit den Violetten be-vor. Was hatte ich also zu verlieren?

»Ich will nicht unbedingt in einen neuenEinsatz geschickt werden«, erklärte ich lang-sam.

Shelon wirkte zunächst verblüfft, dannnickte er und stand auf.

»Ich zeige dir den Duschraum«, murmelteer, und ich verstand. Auch hier war man alsovor heimlichen Lauschern nicht sicher!

Ich schwang die Beine aus dem Bett undstellte fest, daß ich immer noch den lächerli-chen gelben Kittel trug. Am Fußende desBettes erblickte ich das Bündel mit meinenSachen. Hastig kleidete ich mich an. Shelonbeobachtete mich, und ich merkte, daß erbesonders den von Dareena auf meine Hautgeschminkten Flecken große Aufmerksam-keit schenkte. Wieder meldete sich mein Ex-trahirn mit einem mahnenden Impuls, aberich ignorierte seinen Ratschlag.

Shelon schob sich wie ein massiger Bärzwischen den engen Reihen aus Betten ent-lang. Wieder fühlte ich mich an Fartuloonerinnert. Wahrscheinlich war diese Ähnlich-keit mit meinem Lehrmeister schuld daran,daß ich diesem Fremden instinktiv vertraute.

Die Duschkabinen waren zwar ohne jedenLuxus eingerichtet, wirkten jedoch sehr sau-ber. Shelon zog mich in eine Ecke im hinter-sten Teil des Raumes.

»Hier sind wir sicher«, behauptete er. »Duhast also die Absicht, zu desertieren?«

»So habe ich es nicht ausgedrückt«, erwi-derte ich vorsichtig. Die ständigen Warnun-gen des Logiksektors machten mich nervös.Außerdem kam es mir merkwürdig vor, daßausgerechnet Shelon über die Verteilung derAbhörgeräte informiert sein sollte.

»Lassen wir die Wortspielereien«, schluger grinsend vor. »Ich wüßte einen Weg, uman den Wachen vorbeizukommen. Aber es

ist nicht ganz ungefährlich.«Ich schwieg und beobachtete ihn.»Was starrst du mich so an?« fauchte er

nach einer Weile. »Willst du nun hinaus,oder nicht?«

»Also gut«, murmelte ich. »Schieß los!«»Ich habe schon lange auf eine solche Ge-

legenheit gewartet«, erklärte er aufatmend.»Das Kriegsgeschäft liegt mir nicht. Früherarbeitete ich hier auf Enorketron in einemReparaturtrupp. Zufällig hatte ich besondersoft in der Umgebung des Lazaretts zu tun.Darum kenne ich mich ganz gut aus.«

»Wenn es so ist«, fragte ich gedehnt, »wiebist du dann unter die Soldaten gekommen?Techniker werden in diesen Zeiten immerdringend gebraucht!«

»Bist du einer von den Schnüfflern?« er-kundigte er sich mißtrauisch.

»Gibt es hier welche?« stellte ich meineGegenfrage.

»Du scheinst ziemlich naiv zu sein«, lach-te er. »Oder du warst vorher noch nicht aufEnorketron! Im Lager sind immer auch einpaar Männer vom Geheimdienst. Sie hetzendie Leute auf, und wenn einer auf ihr Ge-schwätz hereinfällt, denunzieren sie ihn. DieKerle sind leider so verteufelt geschickt, daßman ihnen niemals etwas beweisen kann.«

Ich akzeptierte diese Erklärung.Und wenn Shelon damit eine Beschrei-

bung seines eigenen Geschäftes gegebenhat? meldete sich das Extrahirn aufdring-lich.

Halt den Mund, dachte ich ärgerlich zu-rück. Auf die Idee bin ich auch schon ge-kommen.

»Ich habe keine Verbindungen zum Ge-heimdienst«, stellte ich fest. »Du kannst dasglauben, oder auch nicht. Aber ich willtrotzdem etwas mehr über dich wissen. Ichvertraue mein Leben nicht gerne jemandeman, den ich nicht kenne!«

»Verständlich«, nickte Shelon. »Es istganz einfach. Ich war zu neugierig. Durcheinen Zufall kam ich dahinter, daß unserhochgeschätzter Kommandeur seine Augenund Ohren buchstäblich überall hat. Ich ver-

40 Marianne Sydow

folgte die Wege, auf denen die Informatio-nen weitergeleitet wurden, und dabei fandich etwas sehr Interessantes heraus. Amarka-vor Heng begnügte sich nicht mit seinen ei-genen Geräten, sondern er benutzt auch dieSpeicher der offiziellen Positroniken für sei-ne Zwecke. Ich hielt das für gefährlich. Ge-setzt den Fall, es findet ein Angriff auf dasTrantagossa-System statt – die dafür zustän-digen Positroniken arbeiten mit einemBruchteil der vorgeschriebenen Kapazität.Das hieße, daß die Aggressoren ein leichtesSpiel mit uns hätten. Ich vertrat außerdemdie Meinung, daß ein Mann, der über sogroßen Einfluß verfügt, sich lieber auf seineArbeit konzentrieren sollte, anstatt Privatge-spräche zu belauschen und überall nach Ver-rätern zu fahnden.«

»Das war eine lange Rede«, stellte ichfest, als Shelon schwieg. »Wo liegt die Poin-te deiner Geschichte?«

»Kannst du dir das nicht denken?Ich Trottel mußte natürlich Meldung er-

statten. Dabei geriet ich an den falschenMann, und schon saß ich in der Tinte. Mansperrte mich eine Weile ein, verhörte michzwei Tage lang und ließ dann einen Arzt aufmich los, der mein Gedächtnis korrigierensollte. Aber entweder war der Kerl eine Nie-te in seinem Beruf, oder er war mit den hie-sigen Zuständen ebenfalls nicht einverstan-den. Man steckte mich in ein Schlachtschiffund hoffte vermutlich, ich würde möglichstbald das Zeitliche segnen.« Er redet zu viel!behauptete mein Extrahirn. Sei vorsichtig!

Ich hörte gar nicht hin. Zugegeben, in die-ser Geschichte steckten einige Unwahr-scheinlichkeiten, aber gerade deshalb erschi-en sie mir als durchaus glaubhaft. Shelonwar kein Dummkopf. Er mußte selbst wis-sen, wieviele schwache Punkte in seinemBericht steckten. Wäre er ein Spitzel, so hät-te er sich meiner Meinung nach von vorn-herein etwas Geschickteres ausgedacht.

»Bist du nun endlich zufrieden?« wollteer wissen, und ich nickte. Mein Entschlußstand fest. Wenn Shelon mit einem Repara-turtrupp hier herumgekrochen war, kannte er

viele Wege, die einem normalen Sterblichenverborgen blieben. Es war eine einmaligeChance, dieser Mühle zu entrinnen.

»Ich könnte dich jetzt natürlich auch eini-ges fragen«, murmelte er nachdenklich.»Aber das hat Zeit bis später. Ein Spitzelbist du nicht – ich rieche diese Kerle förm-lich. Was hast du noch an Ausrüstung beidir?«

Ich wollte antworten, aber er winkte ab.»Entschuldige, die Frage ist überflüssig.

Den Gelben nehmen sie sowieso alles ab.Nun, zum Glück besitze ich noch ein paarKleinigkeiten, die uns weiterhelfen sollten.Direkt unter diesem Raum führt ein Repara-turschacht entlang. Ein Zugang liegt im Fuß-boden der letzten Kabine. Als man das La-ger einrichtete, hat man den wasserdichtenBodenbelag einfach darübergerollt. DieKlappe hat einen ganz simplen Mechanis-mus und bietet keine Schwierigkeiten.Schlimmer ist es schon, den Schacht wiederzu verlassen. Aber meistens liegen da untenein paar vergessene Werkzeuge herum. Esgibt sogar eine Notbeleuchtung.«

Auch ich hatte den Eindruck, daß alles et-was zu glatt ging. Shelon war tatsächlich er-staunlich gut informiert – etwas zu gut. Ichüberlegte, warum er nicht längst auf und da-von war, wenn ein Ausbruch sich so leichtbewerkstelligen ließ. Aber ich wollte auchnicht noch mehr Fragen an ihn richten, umihn nicht unnötig zu verärgern. Immerhinbeschloß ich, vorsichtig zu sein.

»Wann gehen wir los?« erkundigte ichmich.

»Wir müssen noch etwa eine Stunde war-ten«, erklärte Shelon. »Die Duschen sindzwar immer geöffnet, aber Wasser gibt esnur zu bestimmten Zeiten. Jeder im Lagerweiß das. Wenn die Hähne gesperrt werden,treibt sich verständlicherweise niemand hierherum.«

»Und die Spionaugen?«»Hier im Duschraum gibt es nur sehr we-

nige. Außerdem glaube ich nicht, daß sie oftin Betrieb sind. Ich bin heute nacht in dasLager gekommen. Am Morgen gab es in der

Flottenstützpunkt Trantagossa 41

Kabine da drüben einen Zweikampf zwi-schen zwei Soldaten. Wenn man das gese-hen hätte, wären ganz sicher die Wachenaufgekreuzt. Sie lassen sich keine Gelegen-heit entgehen, ihre Macht zu demostrieren.«

Fällt dir nicht auf, wie geschickt er deineungestellten Fragen beantwortet?

Manchmal wünschte ich mir, das Extra-hirn abschalten zu können.

»Wir sollten uns bis dahin draußen im La-ger herumtreiben«, schlug Shelon vor.»Aber man darf uns nicht zusammen sehen!In genau einer Stunde treffen wir uns an die-ser Stelle wieder!«

*

Das Extrahirn hatte es inzwischen aufge-geben, mich mit seinen pessimistischenWarnungen zu bombardieren. Vermutlichhielt es mich für unbelehrbar.

Ich hatte inzwischen selbst eingesehen,daß Shelon verdächtig war, vertraute jedochauf mein Glück und meine nicht unbeträcht-liche Kampf erfahrung. Ob der Bärtige nunein Verräter war oder nicht, spielte für michgar keine große Rolle. Mir kam es lediglichdarauf an, das Lager zu verlassen, ehe derGeheimdienst mich abholte.

Als ich an unserem Treffpunkt ankam,war Shelon noch nicht da. Ich hockte michnervös in eine Ecke, die selbst vom raffinier-testen Spionauge schwer einsehbar war, undwartete ungeduldig. Als ich endlich Schrittehörte, schrak ich zusammen. Ich spähte umdie Ecke und rechnete im stillen bereits da-mit, die Violetten zu sehen, aber es war tat-sächlich Shelon. Er war allein.

»Bei den Gelben hat es eine Menge Auf-regung gegeben«, sagte er übergangslos.»Eine Ärztin ist verhaftet worden. Es heißt,sie hätte einem Gefangenen zur Flucht ver-holfen. Einer, der dabei war, hat uns die Ge-schichte erzählt.«

Dareena! Sie hatten sie also doch erwi-scht. Ich ballte unwillkürlich die Fäuste. Siehatte mir geholfen, und nun präsentierte manihr die Rechnung. Ich konnte nichts tun, um

ihr zu helfen!Dann bemerkte ich Shelons interessierten

Blick und riß mich zusammen. Ich wußte,daß er Verdacht geschöpft hatte. Er ahntezumindest, daß ich etwas mit dem Schicksalder Ärztin zu tun hatte. Jetzt mußte es sicherweisen, wie zuverlässig er war! Meldete ermich bei den Wachen, dann hatte er einigeVorteile zu erwarten.

Aber Shelon wandte sich ab.»Faß mal mit an!« befahl er.Es war ein seltsames Gefühl. Der Dusch-

raum war hell beleuchtet. Die Türen standenoffen, und nur die Trennwände der großenKabinen schützten uns davor, bei unsererArbeit gesehen zu werden. Ich drehte michimmer wieder mißtrauisch um, sah jedochniemanden.

Shelon löste geschickt die Verbindungzwischen Bodenbelag und Wand. Ich hieltden bereits abgelösten Teil fest, damit ernicht zurückschlagen konnte. Dabei bemerk-te ich, daß das Lager noch ziemlich neu seinmußte, denn die Klebekanten des Plastikma-terials waren noch ganz frisch.

Das kann auch daher kommen, daß She-lon des öfteren Männer in seine Falle lockt!mutmaßte das Extrahirn.

Inzwischen hatte der Bärtige es fast ge-schafft. Ein letzter Schnitt, dann schlug erden Belag zur Seite. Die Umrisse einesrechteckigen Schachtdeckels zeichneten sichauf dem grauen Boden ab. Der Einganggrenzte direkt an die Wand. Shelon schobdas Messer in die schmale Ritze. Ein feinesKlicken ertönte, dann klappte der Deckelnach unten weg. Ein kurzer, senkrechterSchacht wurde sichtbar. An der Wand gab esHalteklammern, und in etwa drei Meter Tie-fe erkannte ich im einfallenden Licht denBoden.

»Los, worauf wartest du noch!« fauchteShelon mich leise an. »Du zuerst. Ich versu-che, das Plastikzeug wieder zuzuziehen.Man braucht ja über unseren Fluchtwegnicht gleich zu stolpern!«

Wie praktisch das doch alles eingefädeltist! lästerte das Extrahirn, während ich in

42 Marianne Sydow

den Schacht kletterte. Ich verzog unwilligdas Gesicht. Wenn Shelon mich hätte verra-ten wollen, wäre die Gelegenheit bereitsvorher sehr günstig gewesen.

Ich erreichte den Boden und blieb stehen.Als ich nach oben blickte, sah ich Shelon,der jetzt eine kleine Lampe in Betrieb ge-setzt hatte. Er zog den Bodenbelag so gut esging über die Öffnung und drückte die Kle-bestreifen gegen die Wand. Dann kletterte eretwas tiefer und stemmte den Schachtdeckelin seine Halterung. Mühsam stieg ervollends hinab, leuchtete eine Weile an derWand herum und betätigte endlich einenkaum sichtbaren Kontakt. Kleine, weitver-streute Leuchtplatten flackerten auf undspendeten dämmerige Helligkeit.

Er ging voran, und ich folgte ihm.Der Gang war ziemlich groß. Man

brauchte sich nicht zu bücken, um ihn zudurchschreiten. Über uns zogen sich dickeKabelbündel unter der Decke dahin. In denWänden gab es zahllose Klappen, hinter de-nen wohl Kontrollmechanismen verborgenlagen. Die Luft war schal und abgestanden.

Shelon beobachtete sorgfältig die rechteWand, während wir vorwärtsschritten. Nachetwa hundert Metern betätigte er wiedereinen der kleinen Schalter. Die Notbeleuch-tung flammte vor uns auf, während sie hinteruns erlosch. Kein Zweifel, der Bärtige kann-te sich wirklich bestens aus. Und er handelteso umsichtig, als hätte er das Unternehmenvom ersten bis zum letzten Schritt durchge-plant.

Nach etwa zehn Minuten hörte ich voruns ein rasch an Lautstärke zunehmendesRauschen.

»Was ist das?«»Eine Abwasserleitung«, erklärte Shelon.

»Einen Kilometer weiter südlich liegt eineAufbereitungsstation.«

Gleich darauf sah ich es selbst. In einerriesigen Röhre floß unter uns eine ekelhafteBrühe mit der Geschwindigkeit eines reißen-den Flusses vorbei. Der Abwasserschachtwar etwa zwanzig Meter hoch und wurdevon dieser stinkenden Flüssigkeit knapp zur

Hälfte ausgefüllt. Der Kabelschacht endeteim oberen Teil der Röhrenwand. Eineschmale, glitschige Metallbrücke ohne Ge-länder führte zu einer Öffnung in der gegen-überliegenden Wand. Es waren vielleichtfünf Meter, die uns vom nächsten Gangtrennten, aber das machte mir die wenigstenSorgen.

Wenn Shelon mich auf eigene Faust zustellen gedachte, dann bot sich ihm hier eineerstklassige Gelegenheit. Stand ich erstdraußen auf dem Steg, dann hatte er mich inseiner Gewalt.

Aber der Bärtige dachte nicht daran, et-was gegen mich zu unternehmen. Er grinste,als er sah, wie skeptisch ich mir die wenigvertrauenerweckende Brücke betrachtete.

»Wir fanden, ein Bad in der Brühe wärenicht gerade verlockend«, murmelte er unddrückte auf einen Knopf. Es knirschte leiseüber uns, dann senkte sich ein waagerechthängendes Seil herab. In bequem erreichba-rer Höhe blieb es über dem Steg hängen. Einneues Knirschen, und das Seil straffte sich.

»Kein komfortables Geländer, aber bes-ser, als gar keines«, kommentierte Shelon.»Ich gehe voran. Wenn ich drüben die Not-beleuchtung eingeschaltet habe, machst duhier das Licht aus. Einverstanden?«

Ich nickte kurz, und der Bärtige griff nachdem Seil. Noch immer war ich innerlich bisaufs äußerste angespannt. Dies war zweifel-los die kritischste Phase dieser Flucht.

Shelon ließ drüben die Lampen aufflam-men und winkte mir zu. Ich biß die Zähnezusammen, drückte auf den Kontakt und tratdann auf den Steg hinaus. Unter mir gurgeltees. Das schwache Licht warf düstere Reflexeauf die Oberfläche dieses Abwasserstroms.Der Boden unter meinen Füßen war glit-schig. Infolge der Luftfeuchtigkeit hattensich Schimmelrasen auf den zahlreichenDreckspritzern angesiedelt. Ein entsetzlicherGestank drang aus der Tiefe herauf und be-täubte mich fast. Ich sah nach vorn und er-blickte Shelon, der mir hilfreich die Handentgegenstreckte. Aufatmend trat ich in dieSicherheit des kompakten Ganges und lehn-

Flottenstützpunkt Trantagossa 43

te mich gegen die Wand, während Shelonmit ein paar Handgriffen das Seil wiedernach oben schickte, wo es in der Dunkelheitverschwand.

Mein Mißtrauen war jetzt so gut wie erlo-schen. Ein Verräter handelte auf keinen Fallso, wie ich es jetzt bei Shelon erlebte.

Er hätte sich keinen Orden verdienen kön-nen, wenn du in den Abwässern ertrunkenwärst! bemerkte mein Extrahirn skeptisch.

Wir gingen noch eine Stunde lang durchein Gewirr von Schächten. Obwohl ich wuß-te, daß jenseits dieser Wände bewohnte Ab-teilungen lagen, kam ich mir vor, als liefeich durch eine verlassene Unterwelt. AlsShelon endlich vor einem seitlichen Aus-gang stehenblieb, atmete ich erleichtert auf.

Der Bärtige lauschte eine Weile ange-strengt, und auch ich spitzte die Ohren. Jen-seits des schmalen Zuganges schien es stillzu sein. Allerdings hatte ich keine Ahnung,wie gut diese Tür isoliert war.

»Wo geht es da hin?« fragte ich leise.»In ein Magazin. Normalerweise arbeiten

nur Roboter dort. Von diesem Lagerraumaus kann man mit etwas Glück leicht in diefreien Zonen ausweichen.«

Er beschäftigte sich mit dem Schloß, undich sah ihm aufmerksam zu. Obwohl ich ihmnicht mehr mißtraute, blieb ich wachsam.Falls uns allerdings auf der anderen Seite einganzes Kommando von Geheimdienstleutenerwartete, würde mir auch die größte Auf-merksamkeit nichts nützen. Notfalls mußteich versuchen, in dieses Labyrinth von Ka-belschächten zurückzuweichen. Ich glaubte,inzwischen genug gelernt zu haben, um auchallein vorwärtszukommen.

Die Tür öffnete sich nahezu lautlos. Da-hinter sah ich Licht. Shelon huschte um dieEcke, und ich folgte ihm hastig. Der Bärtigewinkte zu einem Stapel von Kisten, und ichging in Deckung, während er sorgfältig denEingang wieder verschloß.

Es war tatsächlich ein Magazin. Ich er-blickte die schweren Laufschienen für dieVerladeeinrichtungen über mir, und als ichum den Kistenstapel herumspähte, sah ich

auch ein paar Arbeitsroboter. Weiter vornegab es einen Ausgang. Daraus, daß auchdort Leuchtplatten brannten, schloß ich, daßwir uns immer noch in den subplanetari-schen Anlagen befanden.

Shelon ließ sich neben mich auf den Bo-den sinken.

»Hier sind wir fürs erste sicher«, brummteer und sah auf seine Uhr. »Die Ruheperiodebeginnt in fünf Stunden. Vorher hat es we-nig Sinn, das Magazin zu verlassen. Wirsollten uns etwas ausruhen.«

»Was machen wir, wenn die Roboter unsentdecken?«

»Die folgen stur ihrer Programmierung.Und wenn wirklich einer kommen …«

Gefahr! gellte mein Extrasinn, und dies-mal erkannte auch ich, daß es sich nicht umeinen falschen Alarm handelte.

Ich registrierte Shelons Handbewegung,mit der er in die Tasche langte, und als erden Impulsstrahler in Kleinstausführung aufmich richten wollte, war ich bereits um denKistenstapel herumgerollt.

»Gib dir keine Mühe«, hörte ich die spöt-tische Stimme des Bärtigen. »Du entkommstmir nicht mehr! Mein Chef wird mir einenlangen Sonderurlaub spendieren, wenn ichihm einen so schönen Fisch wie dich präsen-tiere!«

6.

Magantilliken hatte keine Mühe, sich indem Labyrinth Enorketrons zu orientieren.Er entdeckte einen Antigravschacht und ließsich nach oben treiben. Ihm war klar, daß eran der Oberfläche am ehesten zu einemRaumboot kommen konnte.

Der Schacht endete, ehe der Vargane diesubplanetarischen Anlagen verlassen hatte.Magantilliken sah sich kurz um und verglichdas Schema der vor ihm liegenden Gängemit seinen bisherigen Kenntnissen. Dannwandte er sich zielstrebig in die richtigeRichtung und stand eine Minute später vordem Hauptschacht dieser Sektion. Er lächel-te triumphierend. Dann erst wurde er auf ei-

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ne Kontrollanzeige seines Armreifens auf-merksam.

Die Art der Anzeigen bewies ihm, daß esin seiner unmittelbaren Umgebung Spionge-räte gab. Er überlegte einen Moment, dannentschied er, daß es besser wäre, sich derFernbeobachtung zu entziehen. Er hatte ganzentschieden etwas dagegen einzuwenden,daß sein Bild in irgendwelchen Beobach-tungszentralen erschien.

Eine kurze Schaltung löste das Problem.Jedes Fernsehauge, an dem er vorüberging,würde für kurze Zeit nur verschwommeneBilder liefern. Selbstverständlich war Ma-gantilliken sich darüber klar, daß er auf die-se Weise eine deutliche Spur hinterließ. Erwürde jedoch die Störvorrichtung abschal-ten, sobald er in belebtere Teile der Anlagekam.

Dieser Fall trat schon wenig später ein. Ersah hinter einem Schachtausstieg einen ge-krümmten Gang, hörte Geräusche und gingdarauf zu. Er befand sich jetzt in einer derFreien Zonen, in denen jeder innerhalb ge-wisser Grenzen tun und lassen konnte, waser wollte.

Magantilliken hielt sich hier nicht langeauf. Zielstrebig durchschritt er verschiedeneGänge, kam an Verkaufsstellen und Früh-stücksküchen vorüber und stellte mit Er-leichterung fest, daß viele der Leute, die hierherumliefen, alles andere als reinrassige Ar-koniden waren. Er fiel in diesem Gewimmelnicht im geringsten auf.

Kurze Zeit später stand er vor einem neu-en Antigravschacht. Ein Übersichtsplan ander Wand zeigte ihm, daß er von hier aus di-rekt an die Oberfläche gelangte. Der Zugangzum Schacht war unbewacht, aber das hattenicht viel zu bedeuten. Magantilliken hattelängst erkannt, daß er sich in einer sehrgroßen militärischen Anlage befand. Errechnete damit, daß es an der Oberflächezahlreiche Wachtposten gab, die jeden Un-befugten am Betreten des Raumhafens hin-derten.

Diese Ahnung bestätigte sich, als derHenker den oberen Ausstieg erreichte. Am

Rande einer kleinen Plattform standen meh-rere Männer und bewachten eine breite Öff-nung, durch die helles Tageslicht herein-drang. Es handelte sich um Arkoniden inUniform, und sie trugen entsicherte Waffenin der Hand. Das hätte den Varganen nichtgestört. Schlimmer war das, was er jenseitsdes Tores erkannte.

Die Kuppel, in der er stand, befand sichmitten auf einem gigantischen Landefeld.Überall waren Raumschiffe zu sehen. Siebesaßen die für die arkonidische Bauweisetypische Kugelform. Manche wiesen deut-lich sichtbare Schäden auf. Ein ständigesKommen und Gehen herrschte zwischen denzahlreichen gleichartigen Kuppeln, undüberall waren bewaffnete Kommandos zusehen. In geringem Abstand zum Ausstieghatte man sogar Kampfroboter postiert.

Magantilliken ließ das Bild auf sich wir-ken und überlegte fieberhaft. Es wäre ihmmit seiner Ausrüstung nicht schwergefallen,trotz dieser zahlreichen Hindernisse einRaumschiff zu kapern, aber damit war of-fensichtlich noch nicht viel gewonnen. DerZufall hatte ihn in einen der gigantischstenStützpunkte des arkonidischen Einflußbe-reichs gebracht. Die kühle Logik sagte ihm,daß es zwischen den übrigen Planeten diesesSystems zahlreiche Wachvorrichtungen ge-ben mußte. In diesen kosmischen Fallenmußte er bei einem Versuch, das System zuverlassen, trotz seiner großartigen Ausrü-stung hängenbleiben. Es war also sinnlos,diesen Weg fortzusetzen.

Die Wachen waren inzwischen auf ihnaufmerksam geworden. Magantilliken küm-merte das nicht, aber einer der Männer, diesich auf ihrem sturen Posten offensichtlichlangweilten, sprach ihn an.

»Wohin willst du?«»Ich wollte mich nur ein wenig umse-

hen«, sagte Magantilliken langsam, nach-dem er festgestellt hatte, daß er nicht einfachwortlos ausweichen durfte, wollte er nichtnoch mehr Argwohn auslösen.

Der Posten trat näher.»So etwas sehen wir hier nicht gerne«, er-

Flottenstützpunkt Trantagossa 45

klärte er schleppend. »Verschwinde, Freund-chen, und bleibe in Zukunft gefälligst in dei-ner Abteilung, verstanden?«

Der Vargane drehte sich um und ließ sichin das abwärts gepolte Antigravfeld fallen.Er begriff, daß auf diesem Planeten eine sehrstraffe Disziplin herrschte.

Während er nach unten sank, fügte er dieeinzelnen Beobachtungen zu einem logi-schen Gebäude zusammen. Er stellte fest,daß ihm noch einige Steinchen fehlten, eheer ein perfektes Bild zu erhalten vermochte.Er beschloß, sich die fehlenden Informatio-nen schnell und möglichst unauffällig zu be-sorgen.

Er bemerkte, daß viele der im Schachtschwebenden Arkoniden einem bestimmtenAusstieg zustrebten und nahm an, daß sieauf dem Wege zu ihren Mannschaftsquartie-ren waren. Das erschien ihm als eine günsti-ge Gelegenheit, ein geeignetes Opfer zu fin-den. Er schwang sich ebenfalls hinaus undgelangte in eine von Leben überquellendeSektion der Anlage. Die Gänge waren hierhöher und breiter als sonst. Hinter offenste-henden Türen sah der Vargane große Säle,in denen sich die Soldaten drängten. Musikerklang aus allen Richtungen.

Er war offensichtlich in einem Bezirk an-gelangt, der der Unterhaltung diente. Es warnicht ganz das, wonach er gesucht hatte,aber er würde auch hier sein Ziel erreichen.

Er blieb an einer der Türen stehen undblickte in den fremdartigen Raum. Das Lichtwar gedämpft. Die Decke verlor sich in derDunkelheit. Im Mittelpunkt des Saales lageine schwarze, runde Fläche, über die farbi-ge Lichtstrahlen zuckten. Spärlich bekleide-te Mädchen tanzten zwischen den Musternaus Licht zu einer eigenartig monotonenMusik. Im Hintergrund entdeckte Magantil-liken zahlreiche dämmerige Nischen.

Da die meisten dieser Abteile von Pär-chen besetzt waren, konnte der Henker sichin etwa vorstellen, um welche Art von Eta-blissement es sich bei diesem Raum handel-te, und er wußte auch bereits, daß Damen ei-ner gewissen Kategorie sich oft völlig unge-

niert über Staatsgeheimnisse unterhielten,die man höheren Ortes nur hinter der vorge-haltenen Hand zu erwähnen wagte.

»Muß man hier Eintritt bezahlen?« fragteer einen Soldaten, der neben ihm stehenge-blieben war.

»Nein, der Eintritt ist kostenlos«, erwider-te der Arkonide mit einem anzüglichen La-chen. »Dafür kassieren die Mädchen horren-de Preise. Nimm dich in acht! Da ist schonso mancher mit leeren Taschen wieder her-ausgekommen!«

Magantilliken nickte zufrieden. Die Aus-kunft war in seinen Augen ausreichend.

Er betrat den Saal und wandte sich einerleeren Nische zu. Als er sich in einen derweichen Sessel sinken ließ, leuchtete auf ei-nem kleinen Glastisch zu seiner Rechten einSchild auf. Er studierte die Aufschriften undfand schnell heraus, welchen Knopf erdrücken mußte, um eines der Mädchen her-beizuholen. Da er kein arkonidisches Geldbesaß, verzichtete er darauf, auch ein Ge-tränk zu bestellen.

Seine Gesellschafterin erschien nach einerknappen Minute. Sie mochte auf einen Ar-koniden durchaus anziehend wirken – fürMagantilliken war sie nicht mehr als einWerkzeug, dessen er sich bedienen wollte.Er sah den Ausdruck ihres Gesichts, als sieden leeren Tisch bemerkte, und deutete ihnsofort richtig. Sie war enttäuscht darüber,daß er noch nichts bestellt hatte. Aber siewar höflich genug, um dennoch Platz zunehmen, und nachdem Magantilliken einigeWorte an sie gerichtet hatte, vergaß sie dasFehlen von Getränken.

Als der Henker nach etwa zehn Minutendiesen Saal wieder verließ, wußte er ziem-lich genau über die Verhältnisse auf Enorke-tron Bescheid. Seine Informantin dagegenhatte keine Ahnung, was sie dem Fremdeneigentlich erzählt hatte. Sie erinnerte sichzwar an ihn, hatte jedoch nur noch eine ver-schwommene Ahnung davon, mit ihm einkurzes, fruchtloses Gespräch geführt zu ha-ben.

Magantilliken kehrte zum Antigrav-

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schacht zurück. Eines war ihm nun klar: Umdiesen Planeten zu verlassen, war es nötig,den Kommandeur höchst persönlich mit ei-nem Besuch zu beehren. Amarkavor Heng –so hieß dieser auf Enorketron maßgeblicheMann – besaß nicht nur die unumschränkteBefehlsgewalt, sondern auch das passendeFluchtwerkzeug.

Das SKORGON, so nahm Magantillikenals sicher an, durfte alle Sperren ohne Auf-enthalt passieren. Zudem handelte es sichbei Heng offensichtlich um einen krankhaftmißtrauischen Mann. Er würde also dafürgesorgt haben, daß dieses Raumschiff not-falls von einem einzelnen Mann gesteuertwerden konnte.

Die Tatsache, daß Amarkavor Heng alsunauffindbar galt, imponierte dem Henkernur wenig. Er war sicher, daß es ihm gelang,diesen Arkoniden aufzuspüren. Mit den vor-handenen Sicherheitsvorkehrungen würde erdank seiner Ausrüstung spielend leicht fertigwerden. Und nachdem er alles bedacht hatte,konnte er sich sogar schon vorstellen, inwelcher Gegend dieses Stützpunkts er mitseiner Suche nach einem Zugang zu Hengsgeheimnisvollen Reich zu beginnen hatte.

Amarkavor Heng schlug wütend mit derFaust auf die Lehne seines Sessels, als ihmklar wurde, daß der geheimnisvolle Fremdesich jeder Beobachtung entzogen hatte. Erwar so spurlos verschwunden, als hätte ersich in Luft aufgelöst. Auch der Geheim-dienst versagte kläglich.

Heng biß die Zähne zusammen und be-mühte sich, seiner Angst Herr zu werden.Immer wieder spähte er zu seinen Roboternhinüber, in der Hoffnung, sie würden end-lich doch noch etwas finden. Aber die Ma-schinen ließen ihren Herrn im Stich.

Über verschiedene Bildschirme konnte erverfolgen, wie seine Untergebenen fieber-hafte Suchaktionen starteten. Er wußte, daßjeder Geheimdienstler inzwischen das Bilddes Gesuchten kannte – zum Glück hattendie verräterischen Wissenschaftler wenig-stens eine Fotografie der Leiche liefern kön-nen. Mehr hatte sich in dieser Richtung al-

lerdings auch nicht ergeben. Die Verhöreliefen noch, aber es lag kein einziges Ge-ständnis vor.

Amarkavor Heng wartete lange Zeit.Dann endlich begann er einzusehen, daß essinnlos war, vor den unzähligen Bildschir-men sitzen zu bleiben.

Bevor er sich in seine Privaträume zu-rückzog, sorgte er dafür, daß alle ihm zurVerfügung stehenden Mittel auf die Suchenach dem Mörder konzentriert wurden.

7.

Ich lag hinter dem Kistenstapel und lauer-te auf ein Geräusch, das mir Shelons Ab-sichten verraten sollte.

Zwar hatte der Spitzel des Geheimdienstsim Augenblick die Oberhand, aber daskonnte sich schnell ändern. Immerhin warich aus dem Lager heraus, und schon das al-lein war ein ungeheurer Vorteil.

Shelon rührte sich nicht. Ich nahm an, daßer wartete, bis ich meinen Standort zu än-dern versuchte. Zwischen mir und demnächsten Kistenstapel lag ein breiter Gang.Es war unmöglich, in die nächste Deckungzu gelangen, ohne dabei in das Schußfelddes Bärtigen zu kommen. Ich mußte mir alsoetwas einfallen lassen, um diesen Kerl abzu-lenken.

Ich sah mir die Kisten an, aber da war we-nig zu machen. Sie waren fest aufeinandergefügt. Selbst mit dem größten Kraftauf-wand konnte es mir nicht gelingen, diesenStapel zum Einsturz zu bringen. Die Ar-beitsroboter waren weit entfernt. Auch vonihnen war keine ungewollte Hilfe zu erwar-ten.

Plötzlich vernahm ich ein leises Geräusch.Es klang wie das hauchfeine Summen eineskleinen Insekts. In das nachfolgende leichteRascheln mischte sich der Impuls meinesExtrahirns.

Funkgerät!Es kam nur dieses eine Wort, aber das

reichte völlig. Ich spurtete los. Irgendwieüberwand ich die Entfernung zum nächsten

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Kistenstapel, ehe Shelon seinen Strahler ein-zusetzen vermochte. Ich hörte sein unter-drücktes Fluchen. Mir war nicht ganz klar,warum er nicht längst die Initiative ergriffenhatte. Schließlich war ich unbewaffnet.

Ich mußte also dafür sorgen, daß Shelonseine Waffe verlor. Nur dann hatte ich eineChance, ihn zu besiegen. Der Bärtige mach-te zwar den Eindruck, als verfüge er über ei-nige Kraft, aber das schreckte mich nicht.

Ich sah mich in meiner neuen Umgebungum und stellte fest, daß meine Position sichkaum gebessert hatte. Zwar war ich nun wei-ter von Shelon entfernt, aber das bedeutetenicht viel. Immer noch lag der Ausgang zuweit entfernt. Es nützte auch nicht, zu versu-chen, dem Bärtigen einfach davonzulaufen.Er trug ein Funkgerät mit sich herum undhätte im Nu seine Spießgesellen auf meineSpur gehetzt. Eigentlich war es schon einWunder, daß er nicht längst Verstärkung an-gefordert hatte.

Ich schob mich vorsichtig an den Randdes Kistenstapels und hielt Ausschau nachmeinem Gegner. Von Shelon war nichts zusehen. Er steckte anscheinend noch an dem-selben Platz, an dem ich mich von ihm ge-trennt hatte. Jetzt hörte ich auch ein leisesMurmeln, daß aus seiner Richtung kam, undich biß nachdenklich auf meiner Unterlippeherum. Wenn der Bursche jetzt seine Dienst-stelle alarmierte, war ich verloren. Es mußteendlich etwas geschehen!

Die Kisten reichten fast bis an die Wand.Nur ein schmaler Streifen blieb frei. Ich un-tersuchte den Spalt und kletterte dann vor-sichtig in ihm nach oben, indem ich michmit Händen und Füßen gegen die Wandstemmte und den Rücken an die Kistendrängte. Es war eine beschwerliche Klette-rei. Als ich in etwa zehn Meter Höhe denGipfel des Kistenstapels erreicht hatte, liefmir der Schweiß aus allen Poren. Ich zogmich über den Rand und blieb sekundenlangflach auf dem Rücken liegen. Dann erstschob ich mich vorwärts und spähte nachunten. Meine Kletterei war nicht ohne Ge-räusch abgegangen, aber Shelon hatte die

falschen Schlüsse gezogen. Er dachte wohl,ich hätte mich hinter dem Stapel verbarrika-diert. Jedenfalls schritt er mit gezogenerWaffe lautlos zwischen den beiden Stapelnauf meinen vorigen Schlupfwinkel zu. Ichmusterte die Unterlage, auf der ich mich be-fand, und grinste zuversichtlich.

Shelon merkte jetzt, daß etwas faul war.Er blieb neben dem Spalt stehen und über-legte offensichtlich angestrengt. Er vermute-te mich in diesem dunklen Zwischenraum.Jetzt streckte er die Hand vor, zögerte je-doch, einfach in den kleinen Raum hineinzu-feuern.

»Komm heraus!« forderte er. Seine Stim-me klang ziemlich nervös. »Du sitzt in derFalle, siehst du das nicht ein?«

Er wollte mich also lebend!Mir war es inzwischen gelungen, die

Klammern der einen Kiste zu lösen, mit derdas schwere Ding in dem Stapel verankertwar. Der Behälter bestand aus festem, sprö-den Plastikmaterial – er würde einen Sturzaus dieser Höhe auf keinen Fall unbeschä-digt überstehen. Ich hoffte, daß der Inhaltaus möglichst vielen kleinen Einzelteilen be-stehen mochte, holte tief Luft und stemmtemich gegen das schwere Ding. Da der Be-hälter ziemlich glatt war und nur noch anzwei Klammern an der Außenfläche hing,gelang es mir, ihn weit genug vorzuschie-ben. Noch eine letzte Anstrengung, dannkrachte der Kasten nach unten.

Shelon stieß einen Schrei aus, als die Ki-ste knapp neben ihm zu Boden donnerte. Ichwartete seine weiteren Reaktionen nicht ab,sondern ließ mich in den Spalt gleiten, derden einzigen Weg nach unten bot. Bei derrasenden Rutschfahrt holte ich mir zwar einpaar schmerzhafte Prellungen und Abschür-fungen, aber im großen und ganzen kam ichheil und unbeschädigt unten an. Ein Hecht-sprung brachte mich an den Rand derschmalen Öffnung, und dann sah ich Shelon.

Wäre die Situation nicht so bedrohlich fürmich gewesen, hätte ich den Lachreiz kaumunterdrücken können. So jedoch hatte ichkeine Zeit, mich meiner Heiterkeit hinzuge-

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ben.Die Kisten enthielten anscheinend große

Behälter mit Farbe. Stabil waren diese Do-sen allerdings nicht, sonst wären nicht soviele von ihnen zerplatzt. Shelon sah aus, alshätte er mindestens zehn von diesen Töpfenabbekommen. Man hätte ihn als Palette be-nutzen können.

Obwohl die zähe Farbmasse in siruparti-gen Tropfen an ihm herunterrann, behielt erden Strahler in der Hand. Mit der Zielsuchehatte er Schwierigkeiten, weil ihm ein dickerFarbenspritzer auf die Stirn getropft war.Das Zeug gehorchte dem Zug der Schwer-kraft. In dem Bemühen, die Augen von derklebrigen Masse freizuhalten, verschmierteShelon den Spritzer mit solchem Erfolg, daßer mit einem himmelblau gescheckten Ge-sicht ein fast psychadelisches Aussehen bot.Aus seinem schwarzen Bart rieselte es gold-gelb, und das rechte Ohr leuchtete in einemprächtigen Dunkelrot.

Bevor Shelon Zeit fand, seiner Verblüf-fung über diesen unfairen Angriff Herr zuwerden, nutzte ich die Gelegenheit, ihn nochweiter aus dem Konzept zu bringen. Immernoch hielt er den Strahler fest umklammert,und auch wenn er wegen der Farbe in sei-nem Gesicht ausgesprochen komisch wirkte,würde er mich wohl kaum verfehlen, wennich jetzt als lebende Zielscheibe direkt vorseiner Nase auftauchte.

Eine fast unbeschädigte Büchse, die direktvor mir lag, erschien mir als ein geeignetesWurfgeschoß. Shelon wußte noch nicht ge-nau, wo er seinen Gegner jetzt zu suchenhatte. Er warf immer wieder einen Blicknach oben, und in einem solchen Augen-blick schleuderte ich ihm die Dose an denKopf.

Der Aufprall war nicht stark genug, umden Bärtigen zu Boden zu schicken. Auchdie Büchse zerplatzte leider nicht, wie ichdas erhofft hatte. Aber als sie zu Bodenkrachte, war das Maß ihrer Belastbarkeitdenn doch überschritten. Eine Lache giftiggrüner Farbe floß über den Boden. Und She-lon, der gerade in diesem Augenblick erfaßt

hatte, wo sein Feind steckte, bewegte sichunbedachterweise um einen Schritt nachvorne.

Der Rest war ein Kinderspiel.Der Bärtige rutschte aus und fiel rücklings

auf den farbebespritzten Boden. Er hatte ge-nug Selbstbeherrschung, um den Abzug derWaffe nicht zu betätigen, aber er zappeltesekundenlang hilflos wie ein festgeklebterKäfer auf dem Rücken, und in dieser Zeitangelte ich mir die nächste Büchse. Diesmalkalkulierte ich Shelons harten Schädelgleich mit ein und zielte statt dessen auf sei-ne Hand. Die Dose traf, und der Ministrahlerrutschte davon. Jetzt hinderte mich nichtsmehr daran, direktere Kampfmethoden zugebrauchen.

Meine Faust traf Shelons Kinn gerade indem Augenblick, als er sich aufzurichten be-gann. In diesem einen Schlag lag all dieWut, die sich seit meiner Ankunft auf Enor-ketron in mir angesammelt hatte, und so wares kein Wunder, daß mein angeblicherFreund und Helfer umgehend wieder in denFarbenschlamm zurückplumpste.

Ich holte mir den Ministrahler, dann erstwandte ich meine Aufmerksamkeit wiederder Umgebung zu.

Zu meinem Erstaunen nahmen die Ar-beitsroboter tatsächlich keine Notiz vondem, was sich im Hintergrund des Magazinsabspielte. Mir konnte das nur recht sein.Dennoch hielt ich es für sicherer, möglichstschnell diesen Ort zu verlassen. Ich schleifteShelon ein Stück von der ausgedehnten Far-benpfütze hinweg, dann durchsuchte ich sei-ne Taschen.

Ich förderte verschiedene Dinge zu Tage,die mir für meine weitere Flucht vongroßem Nutzen sein mochten. Da war ersteinmal das Vielzweckwerkzeug, das mir be-reits bekannt war, dann ein Bildsprechgerätin Taschenausführung, eine mehrfach gefal-tete Folie, die sich als Übersichtsplan füreinen Teil der hiesigen Anlagen erwies, einRationspäckchen mit Konzentraten undWassertabletten, das sogar ein kleines Sorti-ment von Medikamenten enthielt und ein

Flottenstützpunkt Trantagossa 49

paar andere Kleinigkeiten. Das Wichtigstejedoch war eine ID-Karte, die es mir ermög-lichte, mich unauffällig in diesem verwirren-den Labyrinth von Gängen zu bewegen. Dergestanzte Rand der Karte bewies mir, daßich nunmehr wenigstens für begrenzte Zeitauch Shelons Barschaft ruinieren konnte.

Ich riß das Rationspäckchen auf undstopfte mir einen Teil des Inhalts in denMund. Während ich kaute, riß ich Shelonslinken Kombinationsärmel ab, der wie durchein Wunder einige farbfreie Flecken enthielt.Zuerst entfernte ich etliche Spritzer von mei-nen Stiefeln, wischte mir dann die Hände ab,verstaute die Habe des Bärtigen in meineneigenen Taschen und schlich mich dann zwi-schen den Kistenstapeln näher an den Aus-gang heran. Shelon würde noch eine Weilebrauchen, ehe er das Bewußtsein wiederer-langte, und bis dahin wollte ich eine an-nehmbare Entfernung zwischen mich unddas Magazin gebracht haben.

Die Gelegenheit dazu bot mir ein leererBehälter, der als übernächster in der Reihederer stand, die zum Abtransport bestimmtwaren. Die Arbeitsroboter beachteten michnicht, als ich den Kasten enterte, aber ichrechnete damit, daß es am Eingang Kontrol-len gab.

Der Behälter wurde programmgemäß da-vongerollt. Als ich nach einigen Minutenüber den Rand blickte, befand ich mich aufeiner vollrobotischen Bandstraße. Ein Stückvoraus sah ich eine Verteilerscheibe. Esschien außer mir kein lebendes Wesen hierunten zu geben.

Die Bandgeschwindigkeit sank, und ichüberlegte nicht lange. Immer noch bewegtesich der Behälter ziemlich schnell, aber ichgelangte heil auf den Boden neben demTransportband. Als ich meinem seltsamenBeförderungsmittel nachblickte, merkte ich,daß ich durch mein schnelles Handeln einerganzen Reihe von Unannehmlichkeiten ausdem Wege gegangen war. Der Kasten wurdeauf der Verteilerscheibe herumgerissen undauf ein senkrechtes Band zugeschoben. DerBehälter schlug hart auf, dann griffen stäh-

lerne Verankerungsklammern nach ihm undhielten ihn fest. Wäre ich immer noch in die-sem Kasten gewesen, so hätte ich mir dieKnochen lädiert.

Ich schritt neben dem Transportband biszur Verteilerscheibe vor, dann zog ich She-lons Übersichtsplan aus der Tasche und ori-entierte mich. Zu meiner Freude stellte ichfest, daß ich nur wenige Minuten zu gehenhatte, um eine der von ihm erwähnten FreienZonen zu erreichen.

Ich betrat einen nur schwach beleuchtetenGang und entfernte mich rasch von dem Ge-rumpel der zahlreichen Kisten und Kästen,die nach oben gebracht wurden, um neueLadung in das Magazin zu holen. Ab und zuwarf ich einen Blick auf die Karte – ich kammeinem Ziel rasch näher. Damit war jedochauch eine Gefahr verbunden.

Ich wußte nicht, ob diese Anlage tatsäch-lich vollrobotisch arbeitete, oder ob es nichtdoch irgendwo arkonidisches Aufsichtsper-sonal gab. Wenn ja, dann würden diese Leu-te sicher einige unangenehme Fragen anmich richten, denn hier unten waren Besu-cher ganz gewiß nicht häufig. Ich blieb alsoimmer wieder stehen und lauschte, ohne je-doch verdächtige Geräusche zu vernehmen.Unangefochten erreichte ich ein Schott, daslaut Plan in einen abgelegenen Teil der Frei-en Zone führen sollte.

Ich nickte zufrieden und wollte geradeden unkomplizierten Öffnungsmechanismusbetätigen, da fiel mir das Bildsprechgerätein. Ich hielt es für besser, mich zuerst da-von zu überzeugen, daß man beim Geheim-dienst nicht bereits über mich informiertwar. Zweifellos war das Gerät auf die ent-sprechende Wellenlänge eingestellt. Wußteich, daß man mich draußen bereits erwartete,so konnte ich mein Vorgehen danach ein-richten.

Ich zog mich also ein Stück zurück, damitein zufällig in die Anlage kommender Kon-trolleur nicht gleich über mich stolperte,fand eine geschützte Nische und ließ michdort nieder. Erwartungsvoll schaltete ich dasGerät ein – und erstarrte fast zur Salzsäule.

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Von der kleinen Mattscheibe blickte mir dasGesicht eines Varganen entgegen.

*

Es dauerte Sekunden, ehe ich mich gefan-gen hatte. Dieser Vargane war mir unbe-kannt. Wenn sein Konterfei auf diesem Bild-schirm erschien, dann hatte das zu bedeuten,daß der Geheimdienst sich in irgendeinerWeise mit ihm beschäftigte.

Ich stellte endlich den Ton an und hörtedann die stereotype Durchsage, die einwand-frei von einer Automatik immer von neuemabgestrahlt wurde.

Was ich vernahm, erfüllte mich zunächstmit Entsetzen. Der Bericht über die Fluchtund die geheimnisvolle Herkunft des Frem-den löste eine Reihe von Erinnerungen inmir aus. Magantilliken! Um keinen anderenkonnte es sich handeln.

Ich reimte mir aus den vorhandenen Fak-ten zusammen, daß die Arkoniden durch ir-gendeinen Zufall eine noch halbwegs erhal-tene Station der Varganen gefunden hatten.Man hatte die Körper mehrerer Schläfer so-wie eine Anzahl unbekannter Geräte nachEnorketron geschafft, in der Absicht, sie hierin Ruhe zu untersuchen. Durch Umstände,die ich nicht kannte, hatte der varganischeHenker ausgerechnet einen dieser Körperübernommen.

Mir war rätselhaft, was er auf dieser über-technisierten Welt suchte. Ischtar war nichthier – was also wollte er auf Enorketron?

Dich vielleicht! bemerkte mein Extrahirnspöttisch.

Ich schüttelte den Kopf. Er konnte un-möglich erfahren haben, daß ich ausgerech-net auf diesen Planeten gebracht wordenwar. Außerdem – so wichtig war ich für denHenker nun auch nicht. Ich besaß für ihn nurdann einen gewissen Wert, wenn er mich alsGeisel gegen Ischtar benutzen konnte.

Gerade das brachte mich auf einen verwe-genen Gedanken.

Wenn ich nun Magantillikens düstere Plä-ne für meine eigenen Zwecke zu nutzen ver-

suchte?Ich beschloß, mich auf die Suche nach

dem Henker zu begeben. Er würde sich aufEnorketron nicht lange aufhalten. Aus wel-chen Gründen er nun auch immer diese Weltaufgesucht hatte – sein Ziel lag an einer an-deren Stelle des Universums. Um jedochvon Enorketron zu fliehen und auch dasTrantagossa-System ungeschoren zu verlas-sen, war es nicht nur erforderlich, sich einRaumfahrzeug zu beschaffen. Man mußteaußerdem einen Weg finden, die Abwehran-lagen im Raum zu umgehen.

Der Vargane mochte die nötigen Mittelhaben, um dieses Ziel zu erreichen. Die Tat-sache, daß er dem Geheimdienst bis jetztnicht ins Netz gegangen war, bewies mir,daß er über einen Teil seiner normalen Aus-rüstung verfügte.

Du rennst in dein Verderben! stellte meinExtrahirn erstaunlich nüchtern fest. Warumausgerechnet Magantilliken? Du hast ande-re Chancen, das System zu verlassen!

Ich ignorierte die Einwände des Logik-sektors, obwohl sie durchaus berechtigt wa-ren. Mir ging es jedoch nicht nur um eine er-folgreiche Flucht – ich wollte auch mög-lichst schnell sowohl Ischtar als auch Fartu-loon und die anderen Getreuen wiederfin-den.

Mit Magantillikens Hilfe mußte mir dasgelingen. Ich brauchte mich nur geschicktgenug zu verhalten. Vielleicht konnte ichdem Henker einreden, die Goldene Göttinbefinde sich mit Sicherheit auf Kraumon.War ich erst einmal in unsererem Geheim-stützpunkt, so konnte ich immer noch wei-tersehen.

Du hast aus deinen bisherigen Begegnun-gen mit dem Henker anscheinend nicht vielgelernt, stellte das Extrahirn spöttisch fest.

Ich konzentrierte mich auf das Bild desVarganen und prägte es mir ein. Magantilli-kens neuer Körper war weniger ehrfurchtge-bietend als der, den ich bereits kannte. Dafürging von dem Gesicht mit den etwas wulsti-gen Lippen ein Hauch von Brutalität aus.Der Durchsage entnahm ich, daß der Henker

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sich eine arkonidische Kombination ange-eignet hatte, aber seine langen, goldenenHaare machten ihn unverkennbar. Ich erfuhrauch, in welcher Gegend er zuletzt aufge-taucht war und verglich die Angaben mit de-nen auf Shelons Übersichtskarte.

Was ich dabei feststellte, hätte mich fastentmutigt. Ich war wenigstens hundert Kilo-meter von diesem Ort entfernt. In dem be-zeichneten Gebiet waren auf dem Plan nurwenige Einzelheiten eingetragen. Der Lab-ortrakt war nur durch eine lakonische Num-mernbezeichnung vertreten.

Du wirst den Varganen im Leben nichtfinden! stellte mein Extrahirn erbarmungslosfest.

Gerade diese Bemerkung ließ meinenEntschluß unwandelbar werden. Ich standauf und schritt dem Schott entgegen. Als iches öffnete, lag ein stiller, ebenfalls nurschwach beleuchteter Gang vor mir. Weitervorne brannten die Lichter heller. Ich hörteGeräusche, Stimmen, Musikfetzen, roch dieAusdünstungen vieler Menschen und gingdarauf zu.

Kurz darauf stand ich am Eingang einerTrinkstube. Drinnen war die Luft zumSchneiden dick. Eine Traube angesäuselterSoldaten hing um den Ausschank herum. Aneinem Tisch an der rechten Seitenwand saßeine ältere Arkonidin. Trotz der halben Dun-kelheit erkannte ich die Spuren, die das Le-ben in ihr Gesicht gegraben hatte. Ihre Au-gen blickten müde und hoffnungslos.

In einem plötzlichen Entschluß ging ichzu ihr und setzte mich neben ihr an denTisch. Sie sah kurz auf, aber sie zollte mirkaum Beachtung. Ihre Glanzzeiten warenvorüber, und sie hatte längst resigniert. Ge-rade deshalb erhoffte ich mir jedoch Hilfevon ihr.

Ich schob Shelons Kreditkarte in denZahlschlitz und verlangte ein in dieser Um-gebung ziemlich teures Getränk. Die Frauneben mir wurde nervös, dann erblickte siedas Glas, und sie sah mich ablehnend an.

»Trinken Sie!« forderte ich sie auf.»Kein Mann, der seine Sinne beisammen

hat, würde mir ein Glas von dieser Sortespendieren«, erwiderte sie eisig. »Es seidenn, dieser Mann will Informationen vonmir. Ich trinke nicht mit Schnüfflern! Hengsoll sich seine dreckigen Kreaturen an denHut stecken!«

Ich konnte sie gerade noch am Arm fest-halten. Sie blitzte mich zornig an, als ich sieauf ihren Sitz zurückzwang.

»Es gibt noch einen Grund«, sagte ich lei-se mit einem Blick auf den teuren Wein.»Ich brauche Hilfe. Kleidung, etwasSchminke – und ich bezahle gut. Allerdingslege ich Wert darauf, daß man mich nichtsofort verrät!«

Sie blickte mich eine Weile an, dann nick-te sie langsam. Sie sah auf. Ein älterer Mannvon bulliger Gestalt hatte sich wie ein Turmvor dem Tisch aufgebaut.

»Alles in Ordnung«, murmelte sie undschwenkte die Hände. »Laß uns allein!«

Der Bullige verschwand, und die Fraugriff nach ihrem Glas. Sie stürzte den Inhaltherunter, als handele es sich um Wasser,dann nickte sie mir zu.

»Komm«, sagte sie. »Wir unterhalten unsan einem anderen Ort weiter. Hier tauchenmanchmal Spitzel auf – wenn sie dich erwi-schen, ehe du mir Geld geben konntest, habeich nichts als Scherereien.«

*

Es ging durch eine Vielzahl stinkenderGänge. Ich wunderte mich darüber, daß esso unübersichtliche Schlupfwinkel auf Enor-ketron überhaupt gab, aber meine Begleite-rin erklärte mir, daß es sich um eine der älte-sten Anlagen handelte.

»Hier leben die Außenseiter«, sagte siemit einem bitteren Lachen. »Frauen wie ich,die in den teuren Kasinos nicht mehr gefragtsind, Soldaten, die man auf den Schiffennicht mehr haben will, und deren Geld nichtausreicht, um sich eine Passage in ihre Hei-mat zu erkaufen. Heng duldet uns, obwohler uns mißtraut. Er begnügt sich damit, unszu überwachen, aber im allgemeinen läßt er

52 Marianne Sydow

uns in Ruhe. Es ist billiger für ihn, uns hierverkommen zu lassen, als uns per Schiff ab-zutransportieren.«

Sie nannte sich Gajana, und sie bewohnteein winziges, trotz einiger Unzulänglichkei-ten anheimelndes Zimmer in einem ver-schachtelten Wohnblock.

»Bist du auf der Flucht?« fragte sie mich,als ich mich gesetzt hatte.

Ich schwieg vorsichtshalber und sah michaufmerksam um.

»Hier gibt es keine Spionaugen«, sagte siekopfschüttelnd. »Aber wenn dir Fragen un-angenehm sind, dann eben nicht. Mir ist esgleichgültig. Schminke, sagtest du, undKleidung? Wahrscheinlich brauchst du aucheine unverfängliche ID-Karte, denn die dastammt von einem Geheimdienstler!«

Ich erschrak und fragte mich, woran siedas erkannt hatte. Sie lachte leise.

»Kann mir nur recht sein, wenn du einenvon Hengs Schnüfflern aufs Kreuz gelegthast«, kommentierte sie. »Die Dusche ist dadrüben.«

Erst als ich in den Spiegel blickte, merkteich, daß ich mit den blauen Flecken, dieDareena mir ins Gesicht geschminkt hatte,ziemlich merkwürdig aussah. Ich genoß dieWohltat, mich von dem heißen Wasser ab-spülen zu lassen, und als ich etwas späterden Wohnraum betrat, fühlte ich mich schonbedeutend wohler. Gajana hatte inzwischeneine neue Kombination für mich bereitgelegt– ich fragte sie nicht, woher das Kleidungs-stück stammte, und sie hatte offensichtlichauch keine Lust, darüber zu sprechen. Ichzog mich schweigend an.

»Vor ein paar Wochen habe ich dieseKennkarte aufgetrieben«, sagte sie gelassen.»Die Angaben stimmen ungefähr. DerMann, dem das Ding gehörte, starb hier un-ten bei einer Prügelei. Einer genauen Prü-fung wirst du damit nicht standhalten, aberwenn du innerhalb der Freien Zonen bleibst,reicht es.«

Ich steckte den Ausweis ein. Die Frau be-trachtete mich aufmerksam.

»Du erinnerst mich an jemanden«, mur-

melte sie vor sich hin. »Es muß lange hersein, aber … Ach, ist ja auch egal. Machenwir uns an die Arbeit!«

Sie holte einige dünne Streifen Bioplastund klebte das Zeug mit ihren geschicktenFingern über meine Jochbeine. Auch amKinn machte sie sich zu schaffen. Anschlie-ßend holte sie eine Flasche mit einer scharfriechenden, fast farblosen Flüssigkeit.

»Es brennt ein bißchen«, warnte sie mich,dann tupfte sie das Zeug auf meine Haut.Als ich anschließend wieder in den Spiegelsah, blickte mir ein erstaunlich fremdes Ge-sicht entgegen. Die Flüssigkeit hatte jedenUnterschied zwischen Bioplast und natürli-cher Haut verwischt.

»Einem Feuer darfst du damit nicht zu na-he kommen«, kicherte Gajana. »Hier hast dudas Lösungsmittel. Damit kannst du deineMaske innerhalb von Sekunden beseitigen.«

Ich steckte auch die Tube ein, verstautedann meine wenigen Habseligkeiten in denKombinationstaschen und überlegte, ob ichnoch etwas vergessen hatte. Mir fiel nichtsein, was ich unter den gegebenen Umstän-den noch unternehmen konnte.

»Paß auf«, sagte ich langsam. »Ich habeaußer der ID-Karte nichts, was sich zu Geldmachen ließe. Gibt es hier einen Kredit-schalter?«

Gajana schüttelte langsam den Kopf.»Es gibt zwar einen, aber wenn du Pech

hast, ist der Besitzer der Karte inzwischenaufgewacht. Dann nimmt man dich auf derStelle fest, und die ganze Arbeit war um-sonst.«

»Aber ich kann sonst nicht bezahlen!«protestierte ich.

Sie lächelte plötzlich.»Es ist noch gar nicht lange her«, mur-

melte sie gedankenverloren, »da zog ich denjungen Männern das Geld haufenweise ausder Tasche. Ich habe einige Reserven, selbstwenn es dir nicht so erscheinen mag. Aufdeiner neuen Karte ist kein Kredit enthalten.Hier, nimm diesen Beutel. Der Inhalt reichtfür ein paar Tage. Wenn du bei Gelegenheitwieder einmal in diese Gegend kommst,

Flottenstützpunkt Trantagossa 53

kannst du dich ja revanchieren.«»Warum tust du das?« fragte ich verlegen.

Es war mir tatsächlich rätselhaft, warum die-se Frau mir in so selbstloser Weise half.

»Ich weiß es selbst nicht«, entgegnete siefast ärgerlich. »Vielleicht ist es besser, dugehst, ehe ich zu eingehend darüber nachge-dacht habe. Wenn du dich am Hauptgangnach rechts wendest, findest du eine Trans-portstation. Viel Glück!«

Während ich meinen Weg fortsetzte,dachte ich kurz darüber nach, wie seltsamdas alles doch eigentlich war. Immer wiedertraf ich auf Leute, die mir halfen – und aufsolche, die gnadenlos gegen mich kämpften,auch wenn ich ihnen gar nichts getan hatte.Ein glücklicher Zufall hatte mich ausgerech-net zu dieser Frau namens Gajana geführt.Und eine Laune des Schicksals hatte auch

dafür gesorgt, daß der varganische Henkerauf diesen Planeten gelangte, wo er trotz un-serer erbitterten Feindschaft meine besteChance darstellte, die Freiheit wiederzuge-winnen. Das Schicksal, so dachte ich mir, istwirklich unberechenbar und launisch!

Dann tauchte vor mir der Hauptgang auf,und ich schüttelte die überflüssigen Überle-gungen ab. Von jetzt an mußte ich mich nurauf eines konzentrieren: auf die Suche nachMagantilliken, der gleich mir in das Laby-rinth des Stützpunkts verschlagen wordenwar. Nur mit seiner Hilfe konnte es mir ge-lingen, Enorketron lebend zu verlassen.

ENDE

E N D E

54 Marianne Sydow