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Gefahreneinschätzung und Sicherheitsmanagement im Ermittlungsverfahren Anknüpfungspunkte zur Umsetzung der „Istanbul-Konvention“ Vortrag im Rahmen des MARAC–Informationstags am 8. Juni 2015 Ass.-Prof. in Mag. a Dr. in Katharina Beclin Institut für Strafrecht und Kriminologie

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Gefahreneinschätzung und Sicherheitsmanagement im

ErmittlungsverfahrenAnknüpfungspunkte zur Umsetzung der „Istanbul-Konvention“

Vortrag im Rahmen des MARAC–Informationstags am 8. Juni 2015

Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Katharina Beclin

Institut für Strafrecht und Kriminologie

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Zur Gliederung des Vortrags:

1. Allgemeines zur Istanbul-Konvention

2. Art 50 zu Soforthilfe, Prävention und Schutz

3. Art 51 Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement

4. Art 52 und Art 53 Eilschutzanordnungen und Kontaktverbote

5. Synergieeffekte

6. Ausblick

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1) Die Istanbulkonvention

„Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung

von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“

• von Österreich am 14.11.2013 ratifiziert• trat am 1.8.2014 in Kraft.

Überwachungsmechanismus: ExpertInnengruppe GREVIO

geregelt in Art 66 ff der Konvention Bericht an Generalsekretär des Europarates auf der Basis eines Fragebogens, den GREVIO ausarbeiten wird; Auch NGOs und Zivilgesellschaft können an GREVIO berichten

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Die Vorgaben der Istanbulkonvention …

räumen regelmäßig Auslegungsspielraum ein.

• Das erklärt, warum bspw. im NAP zum Schutz von Frauen vor Gewalt davon ausgegangen wird, dass die in der Istanbul-Konvention vorgesehenen Maßnahmen von Österreich schon weitgehend implementiert seien,• zumal die staatlichen Stellen idR auf gesetzgeberische Maßnahmen fokussieren, obwohl häufig begleitende „sonstige“ Maßnahmen nötig wären, um die gesetzlichen Maßnahmen in der Praxis effektiv umsetzen zu können.

• Die Istanbul-Konvention fordert aber regelmäßig beides!

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2) Art 50 – Soforthilfe, Prävention und Schutz:

Die Vertragsparteien müssen sicherstellen, dass die Strafverfolgungsbehörden sofort und angemessen auf alle einschlägigen Formen von Gewalt reagieren, indem sie den Opfern umgehend geeigneten Schutz bieten.

Ebenso müssen sie sicherstellen, dass sich die Strafverfolgungsbehörden sofort und angemessen an der Prävention aller dieser Formen von Gewalt beteiligen, einschließlich des Einsatzes vorbeugender operativer Maßnahmen und der Erhebung von Beweisen.

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Erläuterungen zu Art 50 – Soforthilfe, Prävention und Schutz:

• Strafverfolgungsbehörden müssen hierzu in Räumlichkeiten eindringen können, in denen sich eine Person in Gefahr befindet – „bei allen in den Geltungsbereich dieses Übereinkommens fallenden Formen von Gewalt“•Ebenso müssen Strafverfolgungsbehörden Opfer versorgen und auf angemessene Weise zu Prävention und Schutz beraten•Anhörung durch speziell ausgebildetes Personal (ggf. weiblich) in speziell gestalteten Räumlichkeiten anhören (Vertrauensbildung fördern)• um Prävention zu verbessern, sind Fälle von Mord und Mordversuch zu analysieren um Fehler beim Opferschutz aufzudecken. --- Frage der U-Haft als Schutzmaßnahme?

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Art 50 – Soforthilfe, Prävention und Schutz: Umsetzung in Österreich?

• in Räumlichkeiten eindringen können, wenn Person in Gefahr? § 120 StPO bei Gefahr in Verzug bzw. § 39 SPG bei Formen von Gewalt, für die Strafverfolgungsbehörden zuständig sind ()

•Ebenso müssen laut Erläuterungen Strafverfolgungsbehörden Opfer versorgen und auf angemessene Weise zu Prävention und Schutz (!) beratenHierzu fehlt die gesetzliche Grundlage in der StPO bei großzügiger Auslegung kann man hier noch § 25 SPG als „Notlösung“ akzeptieren, zumal die Überschrift „Kriminalpolizeiliche Beratung“ lautet;• „einschließlich des Einsatzes vorbeugender operativer Maßnahmen“ umfasst auch Untersuchungshaft! ( CEDAW –Entscheidungen!)

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Art 50 – Soforthilfe, Prävention und Schutz: Umsetzung in Österreich?

•Anhörung durch speziell ausgebildetes Personal (ggf. weiblich)derzeit nur für Opfer von Sexualdelikten – „nach Möglichkeit“ : § 70 Abs 2 Z 1 StPO in speziell gestalteten Räumlichkeiten ?

• um Prävention zu verbessern, sind Fälle von Mord und Mordversuch zu analysieren um Fehler beim Opferschutz aufzudecken. MARAC … Gesetzliche Absicherung (Datenschutzrechtlich) und

Ausdehnung auf ganz Österreich

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3) Art 51 Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement

Demnach müssen die Vertragsparteien durch gesetzgeberische oder sonstige Maßnahmen sicherstellen, dass eine Analyse der Gefahr für Leib und Leben und der Schwere der Situation sowie der Gefahr von wiederholter Gewalt von allen einschlägigen Behörden vorgenommen und erforderlichenfalls für koordinierte Sicherheit und Unterstützung gesorgt wird.

Dabei – und zwar bei Analyse und Anwendung von Schutzmaßnahmen – ist insbesondere der Besitz oder Zugang zu Feuerwaffen zu berücksichtigen.

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Erläuterungen zu Art 51 Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement

•Bei jedem Eingreifen hat Sicherheit des Opfers Vorrang

• Alle zuständigen Behörden müssen Risiken effektiv bewerten• für jeden Einzelfall : Plan für das Gefahrenmanagement •gemäß einem standardisierten Verfahren und •im Rahmen einer behördenübergreifenden Zusammenarbeit und Koordinierung•behördenübergreifendes Fachkräftenetzwerk für besonders gefährdete Opfer

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Umsetzung in Österreich zu Art 51 Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement

• Alle zuständigen Behörden müssen Risiken effektiv bewertenHierzu fehlt die gesetzliche Grundlage in der StPO sinnvoll: an „Wendepunkten“ (Einstellung/Anklage; Urteil) da diese zugleich einen Risikofaktor in Gewaltbeziehungen darstellen Einbinden in MARAC? – selbständig prüfen? - Delegieren?

• für jeden Einzelfall : Plan für das Gefahrenmanagement •gemäß einem standardisierten Verfahren und •im Rahmen einer behördenübergreifenden Zusammenarbeit und Koordinierung•behördenübergreifendes Fachkräftenetzwerk für besonders gefährdete OpferProblem der Identifizierung besonders gefährdeter Opfer?

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Weitere Erläuterungen zu Art 51 Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement

•Besitz von Feuerwaffen (aber auch von anderen Waffen, wie Springmessern) durch GewalttäterInnen ist – im Hinblick auf das erhöhte Tötungsrisiko –•in allen Ermittlungsstadien und in Verfahren wegen Erlassung von Eilschutzanordnungen und Kontakt- und Näherungsverboten angemessen zu berücksichtigen•um die Sicherheit der Opfer zu gewährleisten, z.B. indem bei Eilschutzanordnungen, Kontakt- und Näherungsverboten und Verhängung von Strafen die unverzügliche Konfiszierung von Schusswaffen und Munition ermöglicht wird

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Umsetzung von Art 51 (Abs 2) Gefährdungsanalyse und Gefahrenmanagement

•Gesetzliche Voraussetzungen gegeben:

§ 12 WaffG Waffenverbot, § 13 WaffG vorläufiges Waffenverbot, § 2 WaffG Verständigungspflicht der Sicherheitsbehörde, die in Kenntnis von Umständen ist, die die waffenrechtliche Verlässlichkeit in Frage stellen •Praktische Umsetzung? Was, wenn Konfiszierung praktisch scheitert oder Hinweise auf illegale Waffe vorliegen, ihnen aber nicht nachgegangen wird?•Wird auch nach anderen (illegalen) Waffen gefragt?

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4.) Art 52 – Eilschutzanordnungen und Art 53 Kontakt- und Näherungsverbote/ Schutzanordnungen

•Geboten sind gesetzgeberische und sonstige Maßnahmen,•damit Behörden bei unmittelbarer Gefahr anordnen können,•dass TäterInnen den Wohnsitz des Opfers oder der gefährdeten Person für einen ausreichend langen Zeitraum verlassen müssen•und den Kontakt zum Opfer/ zur gefährdeten Person meiden müssen.

Dürfte durch Betretungsverbot (Art 52, wo Schädigung der körperlichen Unversehrtheit droht) und Einstweilige Verfügungen (Art 53 ) abgedeckt sein.

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•Erläuterungen zu Art 52 - Eilschutzanordnungen: Schaffung physischer Distanz als wirksamstes Mittel zur Gewährleistung der Sicherheit bei unmittelbarer Gefahr

•Zu beachten ist jedoch:Vor allem dort, wo TäterIn schon gegen behördliche Anordnungen, wie Betretungsverbot oder einstweilige Verfügung, verstoßen hat,kann physische Distanz nur mittels Untersuchungshaft verlässlich hergestellt werden – vgl. meine Anmerkungen zu Art 50!

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5) Synergieeffekte

Für Gefährlichkeitsprognosen müssen in etwa dieselben Umstände erhoben werden, die zur Beurteilung der Eignung einer Drohung, das Opfer in Furcht und Unruhe zu versetzen, notwendig sind,

also z.B. die Verhältnisse und persönliche Beschaffenheit des Bedrohten und das Milieu, frühere Vorfälle, und begleitende Verhaltensweisen.

Die Erhebung früherer Vorfälle kann ergeben, das der Tatbestand der fortgesetzten Gewaltausübung anzuzeigen/anzuklagen ist. Durch die höhere Strafdrohung wird wiederum die Verhängung von Untersuchungshaft wahrscheinlicher.

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6) Ausblick

•Derzeit hat es die Polizei es „in der Hand“, die erwähnten Synergieeffekte zu erzielen …•Mit der Schaffung einer Rechtsgrundlage für Gefährdungseinschätzung und Gefahrenmanagement durch Staatsanwaltschaft und Gerichte wird es zu einer Teilung der Verantwortung kommen, und dementsprechend auch zu einen Intensivierung der Zusammenarbeit im Rahmen von MARAC •Wichtig wäre es, die für eine effiziente Zusammenarbeit nötigen datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zu schaffen, etwa durch die gesetzliche Grundlage für eine umfassende Gewaltschutzdatenbank.

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Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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