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Geotechnik und Wasserbau 1 Geotechnik und Wasserbau (Gemeinsame Wurzeln und Interaktionen) Heinz Brandl Abstract Geotechnical engineering, engineering from earthwork and hydro engineering have been interrelated since ancient times. The paper describes at first the increasing interaction since the early 20th century that was strongly influenced by K. Terzaghi’s development of soil mechanics. The increasing relationship between soil and rock mechanics, earth- work and ground engineering and engineering geology finally led to the term “geotech- nics”. Its development can be characterized as gradual change from “revolution to evo- lution”. Practical examples comprise flood protection river bed erosion, hydro power sta- tions in soft soil and seismic zones, high concrete and rockfill dams, and special cases. They underline the manifold interaction between geotechnical and hydro engineering. Zusammenfassung Der Wasserbau und die aus dem Erdbau entstandene Geotechnik sind seit jeher eng verflochten. Der Beitrag behandelt zunächst die Interaktion seit Beginn des 20. Jahrhun- derts, die von der Entwicklung der Bodenmechanik unter Karl Terzaghi geprägt wurde. Die zunehmende Vernetzung von Boden- und Felsmechanik, Erd- und Grundbau, Spe- zialtiefbau sowie Ingenieurgeologie führte schließlich zum Sammelbegriff „Geotechnik“, deren Entwicklung sich als allmählicher Übergang von „Revolution zu Evolution“ charak- terisieren lässt. Praktische Beispiele unterstreichen schließlich die vielfältigen Interakti- onen von Geotechnik und Wasserbau. 1 Allgemeines Geotechnik und Wasserbau sind seit jeher eng verbunden, wobei der Schwerpunkt der Interaktionen zunächst auf dem Erdbau lag. Aber auch der Fundierung von Wasserbau- ten (Staumauern) und Wasserversorgungen kam bereits in der Antike hohe Bedeutung zu. Dementsprechend standen die erdbaukundigen Wasserbauer in der Rangordnung des alten Ägyptens direkt unter den Wesiren und dem Gott-König (Abb. 1). Ihr Rang entsprach dem eines Statthalters der Provinzen und lag deutlich oberhalb der „Künstler“ (Musiker, Architekten, Maler): diese Zeiten sind allerdings längst vorbei. Wasserbau und Geotechnik trugen auch wesentlich dazu bei, dass die durchschnittliche Lebenserwartung in den Industrieländern in den vergangenen 100–150 Jahren so stark

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Geotechnik und Wasserbau 1

Geotechnik und Wasserbau

(Gemeinsame Wurzeln und Interaktionen)

Heinz Brandl

Abstract

Geotechnical engineering, engineering from earthwork and hydro engineering have been

interrelated since ancient times. The paper describes at first the increasing interaction

since the early 20th century that was strongly influenced by K. Terzaghi’s development

of soil mechanics. The increasing relationship between soil and rock mechanics, earth-

work and ground engineering and engineering geology finally led to the term “geotech-

nics”. Its development can be characterized as gradual change from “revolution to evo-

lution”. Practical examples comprise flood protection river bed erosion, hydro power sta-

tions in soft soil and seismic zones, high concrete and rockfill dams, and special cases.

They underline the manifold interaction between geotechnical and hydro engineering.

Zusammenfassung

Der Wasserbau und die aus dem Erdbau entstandene Geotechnik sind seit jeher eng

verflochten. Der Beitrag behandelt zunächst die Interaktion seit Beginn des 20. Jahrhun-

derts, die von der Entwicklung der Bodenmechanik unter Karl Terzaghi geprägt wurde.

Die zunehmende Vernetzung von Boden- und Felsmechanik, Erd- und Grundbau, Spe-

zialtiefbau sowie Ingenieurgeologie führte schließlich zum Sammelbegriff „Geotechnik“,

deren Entwicklung sich als allmählicher Übergang von „Revolution zu Evolution“ charak-

terisieren lässt. Praktische Beispiele unterstreichen schließlich die vielfältigen Interakti-

onen von Geotechnik und Wasserbau.

1 Allgemeines

Geotechnik und Wasserbau sind seit jeher eng verbunden, wobei der Schwerpunkt der

Interaktionen zunächst auf dem Erdbau lag. Aber auch der Fundierung von Wasserbau-

ten (Staumauern) und Wasserversorgungen kam bereits in der Antike hohe Bedeutung

zu. Dementsprechend standen die erdbaukundigen Wasserbauer in der Rangordnung

des alten Ägyptens direkt unter den Wesiren und dem Gott-König (Abb. 1). Ihr Rang

entsprach dem eines Statthalters der Provinzen und lag deutlich oberhalb der „Künstler“

(Musiker, Architekten, Maler): diese Zeiten sind allerdings längst vorbei.

Wasserbau und Geotechnik trugen auch wesentlich dazu bei, dass die durchschnittliche

Lebenserwartung in den Industrieländern in den vergangenen 100–150 Jahren so stark

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2 H. Brandl

zunahm. Verunreinigtes Trinkwasser hatte in vergangen Jahrhunderten wiederholt Seu-

chen ausgelöst, denen Millionen von Menschen allein in Europa zum Opfer fielen. Aus

dieser Sicht hat das Bauwesen bzw. die Geotechnik durch den Bau von Trinkwasserver-

sorgungen, Abwasser- und Abfallentsorgungen in jener Zeitspanne mehr Menschenle-

ben gerettet als die Medizin (Abb. 2). So wurde z. B. die erste Wiener Hochquellenwas-

serleitung bereits in den Jahren 1870–1873 errichtet und versorgt Wien bis heute mit

nahezu 500 Mio. Liter hochwertigstem Wasser pro Tag. Die gesamte Strecke der Hoch-

quellenwasserleitungen von den Gebirgsregionen bis nach Wien beträgt ca. 3100 km

und verläuft überwiegend in Hängen, die um das Grenzgleichgewicht pendeln und immer

wieder geotechnische Maßnahmen erfordern.

Abb. 1: Hierarchie im antiken Ägypten: Wasserbau-Ingenieure standen im Rang von Provinzstatthaltern.

Bis Anfang des 20.Jahrhunderts war der „Erdbau“ bzw. der „Grundbau“ primär dem Was-

serbau und dem Verkehrswegebau gewidmet. „Ingenieurgeologie“ und „Geotechnik“ im

heutigen Sinne standen erst kurz vor den revolutionierenden Entwicklungen, die auch

dem Wasserbau (inkl. Hochwasserschutz) zugutekamen. Dies betrifft vor allem die Bo-

denmechanik und den Spezialtiefbau.

Darüber hinaus gibt es auch in den einschlägigen internationalen Gesellschaften enge

Verbindungen zwischen der Geotechnik und dem Wasserbau: Die im Jahre 1928 ge-

gründete ICOLD (International Commission on High Dams) bildete das Vorbild zur Grün-

dung der ISSMGE (International Society for Soil Mechanics and Geotechnical Enginee-

ring) in Harvard, 1936 – mit K. Terzaghi als Präsident. Dieser vermerkte einmal sehr

zutreffend: „Ohne die Existenz von Wasser bräuchten wir keine Bodenmechanik“.

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Geotechnik und Wasserbau 3

Abb. 2: Historischer Beitrag des Bauwesens/der Geotechnik zur Erhöhung der Lebenserwartung durch sau-

beres Trinkwasser. Im Gegensatz zu Hamburg hatte Altona 1892 nach dem Vorbild Wiens bereits eine

moderne Trinkwasserversorgung und blieb daher seuchenfrei.

2 Entwicklung der Bodenmechanik

„Wasserbau“ und „Erdbau“ wurden an der im Jahre 1815 gegründeten Technischen Uni-

versität Wien bereits in der Anfangsphase gelehrt. Ersteres betraf die Lehrkanzel „Was-

serbau I“; der „Erdbau“ bzw. „Grundbau“ lief unter der Bezeichnung „Wasserbau II“, was

die innige fachliche Verflechtung zum Ausdruck brachte.

Im Jahre 1925 erschien K. Terzaghi’s fundamentales Werk „Erdbaumechanik“, das welt-

weit als Geburt der modernen Bodenmechanik angesehen wird (Abb. 3). Kurz danach

wurde an der TU Wien (damals „Technische Hochschule“) das Institut für Grundbau und

Bodenmechanik gegründet (als „Wasserbau II“), und zwar mit K. Terzaghi als Instituts-

vorstand [Brandl, 2011, 2013].

Eine Bodenmechanik ohne Labor- und Feldversuche war für K. Terzaghi undenkbar,

weshalb er umgehend ein „Erdbaulaboratorium“ einrichtete. Dort wurden ab Beginn der

1930er Jahre zahlreiche Versuchsverfahren entwickelt, die auch heute noch weltweit

eingesetzt werden. Besonders hervorzuheben sei der erste Triaxialapparat mit Poren-

wasserdruckmessungen (Abb. 4). Neben der Unterscheidung von totalen und effektiven

Spannungen machte Terzaghi damals die grundlegende Entdeckung, dass der Auftrieb

im Beton und Ton beinahe gleichermaßen voll wirksam ist wie im Sand. Dafür wurde er

zunächst regelrecht angefeindet, und die „Erdbaumechanik“ oft polemisch infrage ge-

stellt.

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Abb. 3: Links: K. Terzaghi’s grundlegendes Buch „Erdbaumechanik“ gilt weltweit als „Geburt der Bodenme-

chanik“. Rechts unten: USA Präsident H. Hoover erhält die Dr.h.c. Urkunde der Technischen Universi-

tät Wien. (Namensgeber des „Hoover Dam“).

Abb. 4: Weltweit erster Triaxialapparat („Öldruckapparat“) mit Porenwasserdruckmessung im Erdbaulabora-

torium der Technischen Universität Wien, 1933 (Terzaghi/Rendulic).

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Geotechnik und Wasserbau 5

So wird in der Einleitung der aus 47 Druckseiten bestehenden Streitschrift von

P. Fillunger (1936) besonders die Theorie der Setzung von Tonschichten nach

K. Terzaghi/O.K. Fröhlich (Abb. 5) kritisiert: „Es sollen die Setzungen, die erfahrungsge-

mäß bei fast allen Bauwerken auftreten, aufgrund von Bodenuntersuchungen, Labora-

toriumsversuchen und Rechnungen ermittelt werden, so dass man sogar zu einer An-

gabe der zulässigen Baugrundbelastung gelangen könnte, die nicht auf reiner Erfahrung

beruht?!“ Derartige Forschungsziele Terzaghis, die heute bereits zur Routine im Bauwe-

sen gehören, wurden damals noch als unerreichbare Anmaßung gewertet. Als weiteres

Manko wurde bereits das Fehlen von Modellgesetzen hervorgehoben, welche sich im

Wasserbau durchaus bewährt hatten.

(Wien 1933/35)

Abb. 5: Aus dem Notizbuch zur Entwicklung der Konsolidationstheorie von K. Terzaghi und O.K. Fröhlich

K. Terzaghi förderte auch die Untersuchungen an „unvollkommenen“ Spundwänden mit

Unterströmung oder Fehlstellen (Leckagen). Daraus entwickelte R. Dachler am Institut

für Wasserbau I der TU Wien das in Abbildung 6 dargestellte Diagramm samt Formel für

die Durchflussminderung. Es zeigt sehr deutlich den starken Einfluss von Leckstellen

und/oder Unterströmungen und hat sich u. a. auch bei der Optimierung von Dichtwand-

tiefen bei Hochwasserschutz- und Rückstaudämmen gut bewährt. Aus ökologischen

Gründen sollen Dichtwände in vielen Fällen nicht in den Grundwasserstauer einbinden,

sondern eine ausreichende Grundwasserkommunikation luft- und wasserseitig zulas-

sen.

Arthur Casagrande, K. Terzaghi’s engster Mitarbeiter und Kollege, übernahm nach sei-

ner Zeit an der TU Wien die Professur in Harvard, USA und gilt u. a. als Pionier des

Dammbaus, insbesondere von Staudämmen (Abb. 7). Auch sein Filtergesetz ist hervor-

zuheben, das nach wie vor im Wasserbau und Verkehrswegebau eingesetzt wird (neben

anderen). Ebenso bauen einige Filterkriterien für Geokunststoffe auf A. Casagrandes

Filterkriterium für granulare Stoffe auf.

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6 H. Brandl

Abb. 6: R. Dachlers revolutionierende Untersuchung der hydraulischen Wirkung von „unvollkommenen“

Spundwänden bzw. Dichtwänden mit Unterströmung und/oder Fehlstellen als „Tauchwand“ (unter-

strömt) und/oder mit Fehlstellen (Leckagen)

Abb. 7: Prof. A. Casagrande verband Geotechnik und Wasserbau besonders eng.

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Geotechnik und Wasserbau 7

3 Von der Bodenmechanik zur Geotechnik

Seit Ende des 20. Jahrhunderts wurde „Geotechnik“ zu einem Sammelbegriff, der einer-

seits den zunehmend vielseitigen Aufgabenstellungen Rechnung trägt und anderseits

die Grenzbereiche zu nahestehenden Wissenschaften (z. B. Geologie) immer weiter

werden lässt. Mittlerweile zählen Ingenieurgeologie, Felsmechanik und Tunnelbau

ebenso zur „Geotechnik“ wie Geokunststoff-Themen, Umweltgeotechnik (inkl. Abfallma-

nagement), Geothermie etc.

Dabei bestehen meist enge Vernetzungen bzw. fließende Übergänge, etwa zwischen

Bodenmechanik und Felsmechanik. Eine Grenze zwischen diesen beiden Disziplinen

besteht bestensfalls hypothetisch, jedoch nicht in der Praxis. Dies zeigt sich vor allem

im Talsperrenbau und beim Bau hoher Staudämme.

Generell wurden die Anforderungen an die Geotechnik etwa seit den 1970er Jahren im-

mer höher und vielseitiger (z. B. Sanierung bestehender Stauanlagen, Hochwasser-

schutzdämme). Dies betrifft vor allem den Spezialtiefbau, bei dessen Entwicklung sechs

Hauptkomponenten zu unterscheiden sind, die in enger Wechselwirkung stehen:

die Entwicklung der Berechnungs- und Bemessungsgrundlagen für Tiefbauele-

mente,

die Entwicklung der Baugeräte und Technologien zur Herstellung von Tiefbauele-

menten, wobei sich zwei Innovationen besonders auswirkten:

◦ Einsatz der Hydraulik zur Übertragung hoher Kräfte (ab 1960er Jahre),

◦ Einsatz der Elektronik zur automatischen Steuerung von Geräten (ab 1980er

Jahre);

die Entwicklung der Messtechnik, vor allem der in-situ Messtechnik, die für die Bau-

ausführung, das Langzeit-Monitoring, die Verifizierung der bodenmechanischen Be-

rechnungen und für die Forschung unerlässlich geworden ist;

zunehmende Robustheit der elektronischen Systeme für den Baustelleneinsatz,

nahezu unbegrenzte Kapazitäten und Reichweiten von Datenübertragungen und

deren Speicherung,

geotechnisches Risikomanagement.

Die Entwicklung der „Geotechnik“ seit Gründung der ISSMGE (International Society for

Soil Mechanics and Geotechnical Engineering) im Jahre 1936 kann als allmählicher

Übergang „von Revolution zur Evolution“ charakterisiert werden [Brandl 2011, 2013]. Der

nunmehrige Zustand ist demnach primär durch schrittweise Verbesserungen gekenn-

zeichnet, wie in Abbildung 8. Auch an den beiden Fotos von Schlitzwandgeräten bei-

spielhaft dargestellt

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8 H. Brandl

Abb. 8: Entwicklung der „Geotechnik“. „Von der Revolution zur Evolution“ (Brandl, 2011)

Abb. 9: Schema der walzenintegrierten flächenhaften dynamischen Verdichtungskontrolle (FDVK) zur Opti-

mierung, Kontrolle und Dokumentation der Verdichtung. Auch zur Beurteilung der Qualität der obers-

ten 2,0 – 2,5 m bestehender Dämme.

Eine für den gesamten Erdbau und somit auch für Hochwasserschutzdämme und Stau-

dämme revolutionierende Innovation war zweifellos die walzenintegrierte flächende-

ckende Verdichtungskontrolle (FDVK) – Abbildung 9. Sie ermöglicht eine optimierte Ver-

dichtung und eine flächige Kontrolle sowie Dokumentation jeder Schüttlage. Darüber

hinaus können die obersten 2–2,5 m bestehender Dämme kontrolliert werden, da die

Messtiefe der FDVK deutlich tiefer reicht als die Verdichtungstiefe der dynamischen

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Geotechnik und Wasserbau 9

Walzen. Die FDVK ist in Österreich seit 2006 für den gesamten Erdbau, somit auch für

Stau- und Hochwasserschutzdämme obligatorisch.

4 Beispiele aus der Praxis

Einige Beispiele aus der Praxis sollen die enge Interaktion von Geotechnik und Wasser-

bau in allen Facetten aufzeigen. Dabei handelt es sich nur um eine begrenzte Auswahl

aus dem Festvortrag beim 48. IWASA - 6. Siegener Symposium.

4.1 Hochwasserschutzdämme, mobiler Hochwasserschutz

Seit etwa 20 Jahren nehmen Intensität und Häufigkeit von Hochwasserereignissen deut-

lich zu (z. B. Abb. 10). Hinzu kommt die mehr oder minder niedrige Qualität von tausen-

den Kilometern an Hochwasserschutzdämmen (Deichen) in Europa, vor allem im Osten.

Nicht die hohen Staudämme, sondern die Linienbauwerke unter 15 m Höhe

Abb. 10: Statistische Auswertung (erweitert nach Gutknecht et al. [2002]) des Jahreshöchstwertes des Durch-

flusses des Kamp bei Zwettl in Niederösterreich (2002) und zunehmende Hochwasserhäufigkeit an der

March (Grenzfluss zwischen Österreich und Slowakei) – Jährlichkeiten nach via donau

weisen insgesamt das größte Gefährdungspotential auf. Diese unterlagen bzw. unterlie-

gen bis heute nicht den Regelwerken der ICOLD, was selbst bei ihrer Herstellung nach

1930 oft zu Qualitätsmängeln führte. Zustandsbewertungen sowie Risikoanalysen dieser

Deiche und Sanierungen bzw. Verstärkungen bilden daher in zunehmendem Maße eine

Herausforderung an die Geotechnik. Abbildung 11 zeigt beispielhaft einen „Standard-

querschnitt“ zur Verstärkung von Hochwasserschutzdämmen, welcher sich auch beim

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10 H. Brandl

Neubau bewährt hat, vor allem wenn kein optimales Schüttmaterial zur Verfügung steht.

Besonderer Wert wird auf den Verteidigungsweg gelegt und auf die hydraulische Ent-

spannung des luftseitigen Dammfußes.

In verbauten Bereichen wird oft mobiler Hochwasserschutz mit unterströmten Dichtwän-

den gekoppelt (Abb. 12). Dies erfordert Dichtwände, die als Konstruktionselemente hohe

Kräfte und Momente aufzunehmen haben. Luftseitig sind dann gezielte Drainagemaß-

nahmen zur Abfuhr von Qualmwasser erforderlich. Manche Konstruktionen erreichen

Höhen von 4–6 m über Gelände bzw. Verkehrsflächen, örtlich sogar mehr.

Abb. 11: Standardquerschnitt von Hochwasserschutzdämmen mit Dichtwand, luftseitiger Druckentlastung und

Damm-Verteidigungsweg [Brandl, 2007]. Neue Dämme entlang March; Dammverstärkungen entlang

der Donau bis Staatsgrenze Slowakei.

Abb. 12: Mobiler Hochwasserschutz auf stationärer Mauer mit örtlich durchströmter Dichtwand (durch „Fuß-

fenster“) und luftseitiger Drainage des Qualmwassers. Weißenkirchen/Donau nach 2002

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Geotechnik und Wasserbau 11

4.2 Stabilisierung von Flusssohlen

Im Zuge von extremen Hochwasserereignissen kommt es häufig zur Kolkbildung in Flüs-

sen und damit letztlich zur Gefährdung von Bauwerken. Abbildung 13 zeigt den Zentral-

bereich der Autobahnbrücke über den Inn bei Kufstein/Tirol. Dort kam es Anfang Juli

1990 über Nacht von Freitag auf Samstag zu einem Sohldurchschlag des Flussbettes,

da die oberflächennahen sandig-steinigen Kiese durch hydraulische Turbulenzen örtlich

abgetragen und gleichkörnige schluffige Sande freigelegt werden. Dieser war begleitet

von einem 12 m tiefen Kolk, der zu einer Absackung des Flusspfeilers um ca. 1,3 m und

zu einer markanten Schiefstellung führte. Damit war schlagartig eine europäische Haupt-

verkehrsader unterbrochen – mehr als 10 Millionen Reisende waren an diesem Wochen-

ende unmittelbar betroffen, da auch der internationale Zugverkehr (7 Gleise unter der

Brücke) stillstand und die Bundesstraßen blockiert waren. Es handelte sich um den bis-

lang größten Verkehrsstau in Europa. Nach einwöchigen umfassenden Tragwerksana-

lysen hatte der Autor binnen 6 Stunden zu entscheiden, ob die Brücke aus geotechni-

scher Sicht noch zu retten oder umgehend abzutragen sei.

Abbildung 14 zeigt den Querschnitt mit den wesentlichsten Sicherungs- und Sanierungs-

maßnahmen am 52 m langen Hauptpfeiler. Hierzu kamen eine durchgehende Verstär-

kung der drei Spannbeton-Hohlkastentragwerke sowie deren Anhebung, eine exzentri-

sche Stahlbeton-Umgurtung des schiefen Flusspfeilers (aus statischen und optischen

Gründen) und eine großflächige Sohlstabilisierung des Innflusses. Die „Rettung“ der

hochgradig einsturzgefährdeten Brücke erforderte eine besonders enge Kooperation

zwischen Geotechnik, Wasserbau und konstruktivem Ingenieurbau [Brandl, 1992].

Abb. 13: Sohldurchschlag mit 12 m tiefer Kolkbildung bei der 3-feldrigen Autobahn- und Bundesstraßenbrücke

über den Inn bei Kufstein/Tirol. Schadensbild – schematisch (nicht maßstabsgetreu). Absackung des

52 m langen Flusspfeilers um 1,3 m (sowie Schiefstellung in Längs- und Querrichtung) und Überbean-

spruchung der Pfeilerreihe C (als P angedeutet)

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12 H. Brandl

Abb. 14: Sanierungs- und Sicherungsmaßnahmen beim einsturzgefährdeten, torsionsbeanspruchten Flusspfei-

ler der Innbrücke Kufstein: Kolkverfüllungen und Inselschüttung, Umschnürung, Hohlrauminjektio-

nen, Soil Fracturing und Abspannung durch Anker, einseitige Entlastungsbohrungen (zur teilweisen

Rückdrehung), Jet grouting

4.3 Flusskraftwerke in weichem Untergrund und in Erdbebenzonen

Der steigende Bedarf an erneuerbaren Energieträgern und die Leistungsfähigkeit der

Geotechnik führen in zunehmendem Maße dazu, dass Flusskraftwerke auch an Orten

mit äußerst ungünstigen Untergrundverhältnissen und in Erdbebenzonen errichtet wer-

den.

Beispielhaft zeigt Abbildung 15 den Querschnitt durch das Kraftwerk Kellerberg an der

Drau, das in extrem heterogenen Böden zu fundieren war: von Felsauflockerungen mit

Hangschutt über gleichkörnige (Schwimm-)Sande bis zu bodenphysikalisch „flüssigem“

(See-Ton). Darüber hinaus liegt das Kraftwerk im Grenzbereich der Erdbebenzonen

4–5 mit einer effektiven horizontalen Bodenbeschleunigung von ah = 0,75–1,00 m/s2

(bzw. über 1,00 m/s2). Die Fundierung erfolgte auf Schlitzwandkästen, deren Einzelele-

mente in Anpassung an die örtlichen Bodeneigenschaften (z. T. erst während des

Schlitzwandaushubes) sehr unterschiedliche Tiefen aufwiesen. Derartige Kastenfundie-

rungen minimieren die (differentiellen) Bauwerkssetzungen und können große Horizon-

tal- sowie Erdbebenkräfte aufnehmen [Brandl, 2001]. Die Erfahrungen in Österreich be-

währten sich auch in Japans seismischen Zonen.

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Geotechnik und Wasserbau 13

Ebenfalls auf Schlitzwandkästen wurde das Kraftwerk Freudenau an der Donau im

Stadtgebiet von Wien fundiert (Abb. 16). Auch hier mussten Erdbebenereignisse und

heterogene Untergrundverhältnisse berücksichtigt werden, was örtlich variable Tiefen

der Schlitzwandelemente erforderte. Eine weitere Besonderheit bildet die in Verbindung

mit dem Kraftwerksbau konzipierte Stauraumabdichtung mit Grundwasserbewirtschaf-

tung mittels Entnahme- und Schluckbrunnen [Brandl, 1997].

Abb. 15: Fundierung des Kraftwerkes Kellerberg an der Drau/Kärnten in extrem heterogenem Untergrund und

Erdbebenzone. Schlitzwandkästen und örtlich variablen Tiefen (je nach den beim Schlitzaushub im

Detail angetroffenen Bodeneigenschaften)

Abb. 16: Fundierung des Donau-Kraftwerkes Freudenau/Wien auf heterogenem Untergrund; Schlitzwandkästen

mit örtlich variablen Tiefen (je nach den beim Schlitzaushub im Detail angetroffenen Bodeneigen-

schaften)

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14 H. Brandl

Abb. 17: 200 m hohe Kölnbrein Talsperre/Kärnten; damals weltweit kühnste Staumauer gemäß „Kühnheitsfak-

tor“ K in Abhängigkeit von der Sperrenhöhe (im Vergleich mit diversen anderen Bogensperren)

Abb. 18: Kölnbrein Talsperre: Zunächst ausgeführtes Projekt (links) ließ permanenten Vollstau nicht zu: unzu-

lässige Sickerwasserverluste und zu hohe Sohl- bzw. Wasserdrücke; Sanierung (rechts) mit 65 m ho-

hem Stützgewölbe samt nachstellbaren Neoprene-Lagern (siehe Detail), Zement- und Kunstharzinjek-

tionen zur Abdichtung und Verfestigung der Risszonen

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Geotechnik und Wasserbau 15

4.4 Hohe Talsperren und Staudämme

4.4.1 Kölnbrein Talsperre

Im Jahre 1977 wurde die 200 m hohe Kölnbrein Talsperre in Kärnten fertiggestellt. Mit

einer Kronenlänge von 626 m und einer Betonkubatur von 1,6 Mio. m3 galt diese mehr-

fach gekrümmte Bogensperre als „kühnste“ Staumauer der Welt (Abb. 17). Der Kühn-

heitsfaktor K gemäß Abbildung 17 basiert auf der Ansichtsfläche (A) der Sperre und dem

Betoniervolumen (V) einer Sperre.

Die Kölnbrein Talsperre liegt im Zentralgneis der Hohen Tauern mit geologisch sehr

asymmetrischen Verhältnissen, die für eine Gewölbesperre keineswegs ideal waren.

Rissebildungen im Sperrenfuß und Untergrund führten zu starken Sickerwasserverlus-

ten, welche einen Vollstau nicht zuließen [Ludescher, 1990]. Nach verschiedenen Teil-

sanierungen mit mehr oder minder unzureichendem Erfolg wurde an der Luftseite ein

65 m hohes Stützgewölbe errichtet, das über nachstellbare Neoprene-Lager (600 Stück

á 1800 t Nennlast) 22 % der auf die Sperre wirkenden Wasserlast übernimmt (Abb. 18).

Die Konstruktion stellte weltweit eine Neuerung dar, besteht jedoch aus in der Geotech-

nik und im konstruktiven Ingenieurbau bereits erprobten Elementen.

4.4.2 Gepatsch Speicher

In den Jahren 1961 bis 1964 wurde in Tirol das Kaunertal-Kraftwerk errichtet, das mit

einer Höchstleistung von 300 MW und einem Jahresarbeitsvermögen von ca.

600 Mio kWh zu den größten Speicherkraftwerken in den Ostalpen zählt. Das Haupt-

stück ist der 153 m hohe Gepatsch-Damm, damals Österreichs größter Staudamm

(Abb. 19). Er liegt in einem glazialen Talboden von ca. 6 km Länge auf im Mittel 1700 m

Seehöhe. Das Dammvolumen beträgt 7,1 Mio. m3, der Speicherinhalt 139 Mio. m3.

Abb. 19: Gepatsch Speicher des Kraftwerkes Kaunertal (Tirol); Querschnitt des 153 m hohen Staudammes mit

Dammzonen 1 bis 6 (Tiroler Wasserkraftwerke AG)

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16 H. Brandl

Abb. 20: Hangbewegungen beim Einstau des Gepatsch Speichers infolge Auftriebes; 1964: 8,0 m; 1965: 6,3 m;

1966: 0,3 m; Volumen der Sackungsmasse: 20 Mio m3 (Schober, 1968)

Am orographisch linken Speicherhang traten beim Einstau gravierende Bewegungen

auf, und zwar auf 1000 m Länge und 350 m Höhe. Das Volumen der aus nacheiszeitli-

chen Sackungsmassen im Schiefergneis bestehenden Gleitmasse ließ sich mit

ca 20 Mio m3 einschätzen [Lauffer et al., 1970].

Abb. 21: Speicherteiche für Beschneiungsanlagen („Beschneiungsspeicher“) in alpinen Wintersportzentren –

beispielhaft; Speichervolumen oft >200.000 m3 und bis 40 m hohe Dämme

Im Staujahr 1964/65 wurde über dem Absenkziel ein Teilaufstau von 55 m, 1965/66 einer

von 85 m und in den nachfolgenden zwei Staujahren jeweils der Vollstau von 101 m

erreicht. Dabei kam es zu gravierenden Bewegungen der Sackungsmasse (Abb. 20),

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Geotechnik und Wasserbau 17

primär durch den Auftrieb im Fußbereich [Schober, 1968]. Beim ersten und zweiten Ein-

stau in den Jahren 1964–1966 traten Gleitbewegungen im Gesamtausmaß von 9,85 m

am Hangfuß und 14,25 m (schräge Längen) am oberen Rand der Rutschung auf. Nach

dem Abklingen der schnellen Einstau-Gleitungen gingen die Hangbewegungen in ein

relativ gleichmäßiges Kriechen über, und zwar mit Verformungsgeschwindigkeiten von

1,5 bis 4 cm/Jahr. In den letzten 10 bis 20 Jahren war nur mehr ein leichtes Abklingen

festzustellen; die größten Verformungen liegen derzeit bei 2 bis 3 cm/Jahr.

Die Kernfrage bei derartigen Speicherhängen ist stets, ob die langfristigen Kriechbewe-

gungen in eine abrupte Rutschung mit nachfolgender Flutwelle übergehen könnten. Für

eine aussagekräftige Risikoanalyse ist die Kenntnis des Restscherwinkels des Unter-

grundes unerlässlich. Je nach Untergrund kann der Reibungswinkel mit zunehmenden

Verformungen auf einen deutlich geringeren Restscherwinkel r absinken, wobei im Ext-

remfall progressive Brüche und ein plötzliches, globales Versagen möglich sind [Brandl,

2015]. Bei r handelt es sich keineswegs um eine Bodenkonstante, vielmehr hängt die-

ser untere Grenzwert der Scherfestigkeit auch vom Sättigungsgrad und der Normalspan-

nung ab.

Abb. 22: Speicherteiche in alpiner Hanglage (J. Henzinger).

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Im vorliegenden Fall lieferten die umfangreichen Versuchsreihen (gemäß „Wiener Rou-

tinescherversuch“) keine Hinweise auf einen relevanten Abfall des Restscherwinkels,

weshalb der Speicherbetrieb trotz der Kriechbewegungen der Sackungsmasse letztlich

in vollem Umfang aufgenommen werden konnte. Der Staubetrieb (maximale Absenkge-

schwindigkeit) hat allerdings auf die besondere Situation Rücksicht zu nehmen, was in

der Bau- und Betriebsordnung verankert ist. Hierzu gehören detaillierte Mess- und Kon-

trollsysteme, umfassende Hangdrainagen (inkl. Drainagestollen) und eine kontinuierli-

che Auswertung aller Daten samt Warnsystemen. Der Speicherbetrieb beim Gepatsch-

Damm bildet ein Vorzeigebeispiel für die in der Geotechnik häufig unerlässliche „Be-

obachtungsmethode“ („Observational Method“).

Abb. 23: Wildbachregulierungen als zunehmende Herausforderung an Geotechnik und Wasserbau;

links: Bauwerk aus 1897 (Wildbach- und Lawinenverbauung Osttirol),

rechts: Wiederholte Zerstörungen starrer Konstruktionen (oben) führten zu flexibleren, Geokunststoff-

bewehrten Konstruktionen (Hofmann, 2017).

5 Beschneiungsspeicher, Wildbach-Regulierungen

Die Folgen der Klimaänderung wirken sich auch in den Alpenregionen aus. Häufigkeit

und Intensität der Unwetter nehmen zu, die Schneemengen jedoch ab; Gletscher-

schmelze und das Auftauen von Permafrost begünstigen Murenabgänge, oft in Verbin-

dung mit Starkregen- und Hochwasserereignissen. Dies bildet eine zunehmende Her-

ausforderung für die interaktive Kooperation von Wasserbau und Geotechnik.

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Die schneearmen Winter führen in den Sportzentren immer mehr zum Einsatz von künst-

licher Beschneiung, wofür spezielle Speicherbecken benötigt werden. Diese „Beschnei-

ungsspeicher“ liegen zwangsläufig oberhalb von Siedlungsgebieten und meist in Hän-

gen, die sich nahe dem Grenzgleichgewicht befinden. Die oft bis zu 40 m hohen Dämme

und Speichervolumina über 200 000 m3 weisen daher ein hohes Gefährdungspotential

auf, was eine besondere Herausforderung an die Geotechnik und an die „Beobachtungs-

methode“ darstellt (z. B. Abb. 21, 22).

Wildbäche haben seit Jahrhunderten Katastrophen ausgelöst. Beispiele von Regulie-

rungsmaßnahmen zeigen die traditionell hohe Ingenieurskunst in den gefährdeten Regi-

onen (z. B. Abb. 23/links). Da die starren Bauwerke bei Starkregenereignissen meist

schwer beschädigt oder überhaupt zerstört wurden/werden, kommen in zunehmendem

Maße flexible Stützkonstruktionen mit Geokunststoff-bewehrten Elementen zum Einsatz

(Abb. 23/rechts). Außerdem werden anstelle von einzelnen großen Geschiebesperren nun-

mehr mehrere kleine gestaffelte Bauwerke ausgeführt, da die Bau- und Erhaltungsarbeiten

einfacher sind (Abb. 24).

Abb. 24: Gestaffelte Wildbachverbauung in Osttirol (WLV Osttirol).

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Anschrift des Verfassers

Em.O.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Dr.h.c.mult. Heinz Brandl

Institut für Geotechnik der Technischen Universität Wien

Karlsplatz 13

A-1040 Wien