Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

Embed Size (px)

Citation preview

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    1/60

    431

    9 Parteien und organisierte Interessen

    Die Bundesrepublik Deutschland ist eine Parteiendemokratie. Parteien sind diewesentlichen Akteure auf der politischen Bhne.

    Das Parteiensystem in der Bundesrepublik hat sich nach einer eher unber-sichtlichen Anfangsphase als bemerkenswert stabil erwiesen. Um dies zu ver-

    stehen, bedarf es eines historischen Rckblicks auf die Traditionslinien deutscherParteientwicklung und der Erluterung des normativ-rechtlichen Rahmens, in demdie Parteien agieren. Zuvor aber soll der Frage nachgegangen werden, warum sichdie Politikwissenschaft und die politische Soziologie noch heute schwer tun, sichauf eine allseits akzeptierte Parteiendefinition und Modelle der Parteientwicklungzu verstndigen.

    9.1 Parteien und Parteiensystem einige begrifflicheKlrungen

    Am Ende der 1920er-Jahre hat der Staatsrechtler Hans Kelsen den Parteien einezentrale, unverzichtbare Bedeutung fr eine demokratische politische Ordnungzugewiesen:

    Die moderne Demokratie beruht geradezu auf den politischen Parteien, deren Be-deutung um so grer ist, je strker das demokratische Prinzip verwirklicht ist. (Kel-sen, 1963: 19)

    Umso bemerkenswerter ist, dass sich Parteienforscher noch heute schwer tun,sich auf eine allseits akzeptierte Definition von Parteien zu verstndigen und sichnoch am ehesten darauf einigen knnen, die aus dem Art. 21 des Grundgesetzes

    abgeleitete Legaldefinition des Parteiengesetzes von 1967 (i.d.F. vom 8. Oktober1990 BGBl I: 2141) als Arbeitsgrundlage zu akzeptieren. Paragraph 2 Abs. 1des Parteiengesetzes definiert politische Parteien als

    Vereinigungen von Brgern, die dauernd oder fr lngere Zeit fr den Bereich desBundes oder eines Landes auf die politische Willensbildung Einfluss nehmen und ander Vertretung des Volkes im Deutschen Bundestag oder einem Landtag mitwirkenwollen, wenn sie nach dem Gesamtbild der tatschlichen Verhltnisse, insbesonderenach Umfang und Festigkeit ihrer Organisation, nach der Zahl ihrer Mitglieder und

    HoherKonzentrationsgraddes bundesdeutschenParteiensystems

    Definition vonParteien imParteiengesetz

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    2/60

    432

    nach ihrem Hervortreten in der ffentlichkeit eine ausreichende Gewhr fr dieErnsthaftigkeit dieser Zielsetzung bieten.

    Das Parteiengesetz stellt auf die dauerhafte Teilnahme an der politischen Wil-lensbildung ab, die in der Beteiligung an Wahlen gipfelt. Wenn eine Partei sechsJahre lang in Bund oder Lndern nicht bei Wahlen kandidiert hat, verliert sie ih-

    ren Parteistatus ( 2 Abs. 2 Part.G).Was macht das Wesen von Parteien aus und wodurch unterscheiden sie sichvon anderen Verbnden?

    1. Parteien sind Verbnde neben anderen Verbnden, aber mit einer besonderenAufgabenstellung, nmlich gesellschaftliche Interessen im staatlichen Be-reich zu vertreten. Hier konkurrieren sie mit organisierten Interessenverbn-den, sind ihnen aber durch ihren besonderen, ber das Parlament vermittel-ten Zugang zur Gesetzgebung und Verwaltung berlegen, weil sie Teil derStaatsorganisation sind. Dies verleiht ihnen eine besondere Stellung im in-termediren Sektor der zwischen dem Staat und den Brgern angesie-

    delt ist und dessen Aufgabe es ist, die Trennung von Gesellschaft und staat-licher Politik durch vielfltige Vermittlungsleistungen aufzuheben.2. Parteien verfgen ber politische und ideologisch motivierte Zielvorstellun-

    gen, die sie unter Berufung auf von ihr reprsentierte Gruppen der Bevlke-rung vertreten z.B. die Interessen der Bauern, der Rentner, des Mittelstan-des, der Besserverdienenden, der sozial Benachteiligten usw. Die Ent-wicklung der letzten Jahrzehnte hat allerdings eine abnehmende ideologi-sche Bindekraft der Parteien mit sich gebracht, die zu neuen Erscheinungenwie schwindende Parteibindung von sozialen Gruppen und hufigeremWechsel in den Partei- und Wahlprferenzen der Brger gefhrt hat.

    3. Parteien entfalten ihre Wirksamkeit im Rahmen eines Parteiensystems, des-

    sen Struktur und mgliche Vernderungen ihre politischen Mglichkeitenwesentlich beeinflussen. Grad und Umfang ihrer Beteiligung an der politi-schen Willensbildung werden nicht nur durch die Gre der Partei und dieAnzahl ihrer Vertreter in den Parlamenten, sondern entscheidend auch vonihrer strategischen Stellung im Parteiensystem bestimmt. Ist das Parteiensys-tem auf wenige Parteien konzentriert und hochgradig polarisiert, sodass es inder Regel zu Blockbildungen kommt und sind durch das Wahlsystemzugleich absolute Mehrheiten faktisch ausgeschlossen, dann kann eine kleinePartei wie lange Zeit die FDP in der Bundesrepublik eine weit ber ihrezahlenmige Bedeutung hinausgehende Schlsselrolle wahrnehmen.

    4. Parteien nehmen mit unterschiedlichen Chancen an der politischen Wil-

    lensbildung teil. Der Kampf um Whlerstimmen ist eine Auseinandersetzungum Anteile auf dem Whlermarkt, bei der es um die Mobilisierung derWhlerschaft fr die eigenen Ziele geht. Er ist partiell aber auch ein Null-summenspiel, bei dem, in etwa gleiche Wahlbeteiligungen vorausgesetzt,Gewinne der einen Partei zu Lasten einer anderen gehen. Insofern habenVernderungen im Parteiensystem, z.B. das Entstehen neuer Parteien, denenes gelingt, in die Parlamente einzuziehen, weit reichende Folgen fr Politikund Programmatik der existierenden etablierten Parteien. Gleiches gilt frBndnis- und Koalitionsmglichkeiten.

    SoziologischeDefinition von

    Parteien

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    3/60

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    4/60

    434

    Konflikt zwischen dominanter und unterworfener Kultur lie regionale Parteienwie die Welfenpartei in Niedersachsen oder die Bayernpartei entstehen. 2. DerKonflikt zwischen Kirche und Staat, der sich im Kulturkampf in Preuen-Deutschland in der zweiten Hlfte des 19 Jh. niederschlug, fhrte zur Entstehungdes politischen Katholizismus und zur Grndung christlicher, genauer konfessi-

    oneller Parteien wie dem Zentrum. 3. Auch der Gegensatz zwischen Agrar- undIndustrieinteressen fhrte zur Parteibildung. Konservative und Agrarparteien kon-kurrierten mit liberalen Parteien, die das aufstrebende Unternehmertum und dieInteressen der stdtischen Bourgeoisie vertraten. 4. Aus dem Konflikt zwischenKapital und Arbeit entstanden die Arbeiterparteien mit ihren weit gefchertengesellschaftlichen und kulturellen Vorfeldorganisationen, vor allem den Ge-werkschaften.

    Die tiefen, die Gesellschaft spaltenden Konflikte (cross-cutting cleavages)haben nach Auffassung von Lipset/Rokkan die europischen Parteiensysteme bisin die Zeit ihrer Untersuchung Mitte der 1960er-Jahre geprgt. Die partielle Ein-ebnung und Auflsung alter und das Entstehen neuer Konflikte tangierte auch

    die Entwicklung der Parteien und Parteiensysteme. Dies zeigte sich in den 30er-Jahren mit dem Aufstieg der faschistischen Parteien oder in den letzten Jahr-zehnten bei der Entstehung neuer Protestparteien und kologisch ausgerichtetenParteien. Auch die berwindung des konfessionellen Gegensatzes in der unmit-telbaren Nachkriegszeit ist ein Beispiel fr eine Verschiebung gesellschaftlicherKonfliktlinien, die sich in der Struktur der Parteiensysteme niederschlugen.

    Die soziale Herkunft der Parteien hatte nicht nur auf ihre ideologische undprogrammatische Ausrichtung entscheidenden Einfluss, sondern auch auf ihreOrganisationsvorstellungen und ihre Binnenstruktur, wie Robert Michels in sei-ner klassischen Studie ber die SPD von 1903 gezeigt hat. Die Parteien, die ihreWurzeln im Parlament haben, tendierten traditionell zu eher geringer Zentralisa-

    tion und schwacher formaler organisatorischer Verankerung vor Ort, whrenddie Parteien, die im auerparlamentarischen Bereich entstanden sind, einen ho-hen formalen Organisationsgrad und eine straffe lokale Parteiorganisation aus-wiesen (Duverger, 1959).

    Die exzeptionelle Situation im Nachkriegsdeutschland hat eine Reihe tra-dierter Konfliktlinien, welche die Entwicklung des deutschen Parteiensystems imKaiserreich und in der Weimarer Republik bestimmt hatten, eingeebnet, andere(vorbergehend) neu entstehen lassen.1. An erster Stelle ist die Grndung einer berkonfessionellen Partei, der

    Christlich-Demokratischen Union Deutschlands (CDU), und, mit Ein-schrnkungen, der Christlich-Sozialen Union (CSU) in Bayern zu nennen.

    Die CDU nahm den politischen Katholizismus des Zentrums in sich auf undkonnte im Laufe der Zeit auch in der Weimarer Republik oft zur politischenRechten neigende protestantische Whler an sich binden. Mit dem Verlustder Ostgebiete waren auch die Bastionen des konservativen bis reaktionrenProtestantismus Ostelbiens verloren. Der bemerkenswerte Erfolg der CDUist nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken, dass Krieg, Vertreibung und Tei-lung des Landes die seit dem Westflischen Frieden von 1648 eingehegtenkonfessionellen Grenzen weitgehend aufgehoben hatten sieht man von ei-nigen Enklaven des politischen Katholizismus in Westfalen oder den vom

    Organisationsvor-stellungen und

    Binnenstruktur derParteien

    Rahmenbedingungender Parteigrndungen

    nach demII. Weltkrieg

    Die CDU/CSU

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    5/60

    435

    politischen Regionalismus geprgten Teilen Altbayerns, die spter zu Hoch-burgen der CSU mutierten, ab.

    2. Das neu entstandene Parteiensystem spiegelte den von Lipset/Rokkan be-schriebenen Konflikt Kapital-Arbeit nicht mehr eindeutig ab. Zwar war diewiedererstehende Sozialdemokratie in ihrem Selbstverstndnis bis zum Go-

    desberger Programm von 1959 die genuine Partei der Arbeiterschaft, abersie hatte sich bereits in der Weimarer Republik auch zu einer Partei der klei-nen Angestellten und des ffentlichen Dienstes gewandelt, Tendenzen, diesich angesichts der starken Stellung der SPD auf kommunaler Ebene ver-strkten. Als Arbeiterpartei konkurrierte sie zudem mit dem Zentrum undspter dem erfolgreichen Arbeitnehmerflgel der CDU. Hinzu kam, dass siein den Anfangsjahren nur eine Minderheit der Arbeiter aus dem Kreis derVertriebenen und Flchtlinge an sich binden konnte diese bevorzugten an-fangs Flchtlingsparteien, die Mitte der 1950er-Jahre erfolgreich von derCDU aufgesogen wurden. Entscheidend fr die Einebnung des Konfliktesvon Kapital und Arbeit waren aber das Wirtschaftswunder der 1950er-

    Jahre und die wohlfahrtsstaatliche Politik der sozialen Marktwirtschaft.3. Die massiven regionalen Konflikte, die das deutsche Reich und die Weima-rer Republik belastet hatten, verloren an Bedeutung. Durch die Abtrennungder Ostgebiete und die Zerschlagung Preuens wurde das Ungleichgewichtim fderalen Gefge beseitigt. Der agrarischen Basis des deutschen Konser-vativismus und Antirepublikanismus in den preuischen Kernlanden wardurch die Abtrennung der Ostgebiete und die Teilung Deutschlands der Bo-den entzogen. Dem altbayerischen Regionalismus und Separatismus wurdedurch die beraus erfolgreiche, auf bayerische Eigenstndigkeit pochendePolitik der CSU ebenfalls der Boden entzogen. Die von schwierigen Ge-burtswehen begleitete Grndung des Sd-West-Staates Baden-Wrttemberg

    lie dem sdwestdeutschen Regionalismus wenig Raum. Auch hier gelangdie Integration in die ihre regionalen Besonderheiten pflegende Union.4. Als grtes Problem im Nachkriegsdeutschland stellte sich die Integration der

    Millionen Flchtlinge und Vertriebenen dar. Hier brach eine vllig neue Kon-fliktlinie auf, die als potentiell gefhrlich, sozial und politisch destabilisierendangesehen wurde. Eine ganze Reihe von politischen Splittergruppen undKleinparteien, meist rechten Zuschnitts, bemhten sich um die Untersttzungder Flchtlinge und Vertriebenen (Stss, 1984, Bd. II: 1424ff.).In den Anfangsjahren der Bundesrepublik gelang es dem 1950 nach der Auf-hebung des Lizenzierungszwanges der Alliierten gegrndeten Bund derHeimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), der sich seit 1952 Gesamt-

    deutscher Block/ BHE nannte, einen erheblichen Teil der Vertriebenen undFlchtlinge an sich zu binden. Er erzielte bei den Bundestagswahlen 19535,9% und 1957 4,6%. Seine Beteiligung an der Bundesregierung verschaffteihm eine gewichtige Position, legte zugleich jedoch auch die Basis fr seineerfolgreiche Absorption durch die Union in der zweiten Hlfte der 1950er-Jahre.

    5. Durch die Lizenzierungspolitik der Alliierten hatten extremistische Parteienin den Jahren vor Grndung der Bundesrepublik kaum Chancen, sich zu ent-falten. Dies ermglichte es den demokratischen Parteien, vagabundierendes

    Parteiensystem undArbeiterschaft

    RegionaleKonfliktlinien

    Das Problem derFlchtlinge undVertriebenen

    Extreme Parteien

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    6/60

    436

    Protestpotential im Laufe der Zeit an sich zu binden. Gleichwohl ging vonextremen Parteien in den frhen Jahren der Bundesrepublik eine destabilisie-rende Wirkung aus. Aus dem diffusen rechten Spektrum waren einige klei-nere Parteien im ersten Deutschen Bundestag vertreten. Der KPD gelang esbei den ersten Bundestagswahlen bundesweit 5,7% der Stimmen zu erlan-

    gen. Sie erreichte aber schon bei den zweiten Bundestagswahlen von 1953,den letzten, an denen sie teilnehmen konnte, nur noch 2,2%.

    Whrend es auf Grund der verschrften Ost-West-Konfrontation fr dezidiertlinke Gruppierungen, insbesondere fr Kommunisten, wenig Chancen gab, wardie Lage im rechtskonservativen und rechtsextremen Spektrum wesentlich kom-plizierter und potentiell gefhrlicher. Hier entstanden eine Vielzahl von Parteien,denen es aber wegen permanenter innerer Konflikte nicht gelang, sich als schlag-krftige Rechtspartei zu etablieren. Dass es ein diesbezglich ansprechbaresWhlerpotential gab, zeigen die Whlerstimmen fr diese Parteien in den erstenWahlen, vor allem aber regionale Erfolge. Besonders stark waren sie in Nieder-sachsen vertreten. Das Verbot der 1950 gegrndeten neonazistischen So-

    zialistischen Reichspartei (SRP) durch das Bundesverfassungsgericht (sie hattetrotz der Verbotsdrohung bei den Landtagswahlen in Niedersachsen vom Mai1951 immerhin 11,0% der Stimmen und 16 Mandate erobert und erreichte in be-stimmten Regionen sogar etwa 30% der Stimmen) sandte 1952 ein deutlichesSignal aus. Sptere Grndungen im rechtsradikalen Spektrum hatten, wenn ber-haupt, nur temporr Erfolg.

    Das zweite Signal, das Verbot der KPD im Jahre 1956, traf eine Partei, dieim Begriff war, in die Bedeutungslosigkeit zu versinken. Auf der extremen Lin-ken hatten kommunistische Splittergruppen nie mehr eine ernsthafte Chance. Die1969 gegrndete, von der DDR gelenkte und finanzierte Deutsche Kommunisti-sche Partei (DKP), die sich angesichts des KPD-Verbotes einen streng legalisti-

    schen Mantel umlegte, konnte nur in einigen Universittsstdten regionale Be-deutung erlangen, musste sich aber im brigen bei den Bundestagswahlen miteinem Stimmenanteil von weniger als 0,3% begngen.

    Die Einebnung tradierter und die Befriedung neuer gesellschaftlicher Kon-flikte kann nicht nur als Grund fr die seit dem Beginn der 1950er-Jahre einset-zende Konzentration des bundesdeutschen Parteiensystems, sondern auch als Er-klrung fr die relativ geringen programmatischen Unterschiede der Parteienherhalten. Die Cleavage-Theorie von Lipset/Rokkan erklrt das Entstehen der(zentraleuropischen) Parteiensysteme mit gesellschaftlichen Grokonflikten, dierelativ klare Konfrontationen schufen. Fr die Analyse der gegenwrtigen Par-teienentwicklung ist sie nur noch von begrenztem analytischen Wert. Die Situa-tion hat sich grundstzlich gendert.

    Die politischen Weltanschauungen des 19. Jhs., der Liberalismus und derSozialismus haben gesiegt. Die Begriffe liberal und sozial werden heute vonfast allen Parteien reklamiert. Eine Differenzierung des Parteienspektrums ent-lang der tradierten Rechts-Links-Skala und die klare Einteilung in konservative,liberale und sozialistische Parteien verliert immer mehr an Erklrungswert. DieVolksparteien reprsentieren keine eindeutig bestimmbaren Whlerschichten, dagrundstzliche, dauerhafte Konfrontationslinien nicht mehr bestehen.

    Extreme ParteienRechtskonservativeund rechtsradikale

    Parteien derNachkriegszeit

    Verbot der KPD

    Konzentration desParteiensystems in

    der politischen Mitte

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    7/60

    437

    Die groen Konflikte des 19. und frhen 20. Jahrhunderts haben sich abge-schliffen. Die nationale Frage stellte sich nach dem Nationalsozialismus, derbedingungslosen Kapitulation 1945, whrend der Zeit der Spaltung Deutschlandsund nach 1989 auf neue Weise. Die soziale Frage ist zwar nicht gelst, hat a-ber im Zuge konomischen und sozialen Wandels vllig neue und vor allem sich

    schnell verndernde Dimensionen erhalten. Konfessionelle Konflikte haben anBedeutung verloren.Harte Konfrontationen, die gleichwohl, vor allem in Wahlkmpfen, die poli-

    tische Auseinandersetzung prgen, wie z.B. die Parole Alle Wege des Marxis-mus fhren nach Moskau 1957, die Gegenberstellung von Freiheit oder So-zialismus 1980, oder die Rote-Socken-Kampagne des Bundestagswahlkampfes1994, sind nicht auf fundamentale programmatische Unterschiede und Interessenzurckzufhren, sondern primr politische Strategie, Kampfmittel um die Wh-lergunst.

    9.2 Parteienverstndnis des Grundgesetzes

    Das Grundgesetz hat anders als die Weimarer Reichsverfassung den Parteieneinen verfassungsrechtlichen Rang gegeben und sie zu integralen Institutionen despolitischen Systems erklrt. Die Ausgestaltung dieser von der Verfassung vor-gesehenen Stellung der Parteien erfolgte im Zeitraum von zwei Jahrzehnten, aufdas Engste begleitet und beeinflusst durch das Bundesverfassungsgericht. Erst dasParteiengesetz von 1967 schuf eine dauerhafte rechtliche Grundlage fr die Ttig-keit der Parteien. Sptere Vernderungen des Gesetzes sind durch die vom Ver-fassungsgericht in mehreren Urteilen erfolgte Rechtsprechung erzwungen worden,

    bei der es in erster Linie um die Parteienfinanzierung ging (Landfried 1990).Die Schlsselrolle der Parteien in der politischen Ordnung der Bundesrepu-blik hat das Bundesverfassungsgericht in seinem ersten Parteienurteil zumschleswig-holsteinischen Wahlgesetz vom 5. April 1952 und in seiner stndigenRechtsprechung immer wieder unterstrichen. Der Zweck der Bestimmung desArt. 21 Abs. 1 GG, dass die Parteien an der politischen Willensbildung des Vol-kes mitwirken, ist es nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts,

    die in der Weimarer Verfassung zwischen der politischen Wirklichkeit und dem ge-schriebenen Verfassungsrecht bestehenden Spannungen zu beheben. Dadurch ist vonBundes wegen der moderne demokratische Parteienstaat legalisiert; die Parteien sindin die Verfassung eingebaut. Ein solcher Einbau enthlt die Anerkennung, dass die

    Parteien nicht nur politisch und soziologisch, sondern auch rechtlich relevante Orga-nisationen sind. Sie sind zu integrierenden Bestandteilen des Verfassungsaufbaus unddes verfassungsrechtlich geordneten politischen Lebens geworden. (BVerfGE 1, 208:225)

    Das Verfassungsgericht hat seinerzeit auch zum Verhltnis von Parteien und Par-lament, also indirekt zur Frage der Reprsentation und der politischen Willens-bildung des Volkes Stellung genommen. Diese Willensbildung finde ihren be-sonderen Ausdruck in den Wahlen zu den parlamentarischen Krperschaften.Die Wahlgesetze des Bundestages und der Landtage htten die politischen Par-

    Auffassung desBundesverfassungs-gerichts zur Rolle derParteien

    Verhltnis derParteien zumParlament

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    8/60

    438

    teien mit vielfltigen Befugnissen ausgestattet, wie z.B. Einreichung der Wahl-vorschlge, Mitwirkung bei der berwachung des Wahlvorgangs, Bestimmungder aus Ergnzungslisten zu nehmenden Abgeordneten.

    Die politischen Parteien nehmen in der heutigen Form der Demokratie eine Sonder-stellung ein. Sie knnen und mssen als Faktoren des Verfassungslebens anerkannt

    werden, da sie in dessen innerem Bereich stehen, whrend das gleiche fr Gemein-den, Kirchen usw., die dem Staate allenfalls mit verfassungsmig gesicherten Rech-ten gegenberstehen knnen, nicht behauptet werden kann. Die politischen Parteienknnen auch nur insoweit in einem verfassungsrechtlichen Rechtsverhltnis beteiligtsein, als ihre Stellung als Faktoren des Verfassungslebens reicht. (BVerfGE, 1, 208:226f.)

    Die Stellung der Parteien fasst das Bundesverfassungsgericht in seinem SRP-Urteil von 1952 wie folgt zusammen: Das Grundgesetz weist den Parteien dieAufgabe zu, an der politischen Willensbildung des Volkes mitzuwirken, undhebt sie damit aus dem Bereich des Politisch-Soziologischen in den Rang einerverfassungsrechtlichen Institution (BVerfGE 2, 1: 73).

    Bei der positiven Bewertung des Parteienstaates durch das Bundesverfas-sungsgericht spielte der Einfluss des Staatsrechtlers und VerfassungsrichtersGerhard Leibholz eine entscheidende Rolle. Fr Leibholz war der moderne Par-teienstaat ein Surrogat der direkten Demokratie. Er sei seinem Wesen wie sei-ner Form nach nichts anderes wie eine rationalisierte Erscheinungsform der ple-biszitren Demokratie im modernen Flchenstaat. Diese Auffassung stellte eineradikale Absage an die klassische liberale Idee des reprsentativen Parlamenta-rismus dar, der einem fundamentalen Strukturwandel unterworfen und geradezuin sein Gegenteil verkehrt worden sei, nmlich in eine parteistaatliche Demo-kratie. Das Parlament sei nicht lnger Sttte der politischen Auseinandersetzungzwischen Reprsentanten des ganzen Volkes, sondern hier agierten Parteibe-

    auftragte, die Entscheidungen trfen, die bereits an anderer Stelle, z.B. auf Par-teitagen oder in Ausschssen, gefllt worden seien und hier nur noch ratifiziertwrden (Leibholz, 1967: 93ff.).

    In seiner ebenso zutreffenden wie schonungslosen Analyse vernachlssigteLeibholz allerdings die vielfltigen alternativen Formen der politischen Organi-sation und Interessenvertretung, die den Brgern zur Verfgung stehen, vor al-lem die Rolle von Vereinen und Verbnden.

    Aus dieser Situationsbeschreibung leitete Leibholz seine Forderung ab, dass,solle die Demokratie unter diesen Bedingungen nicht pervertieren, die innereOrdnung der Parteien strengen demokratischen Grundstzen zu entsprechen ha-be. Nur innerparteiliche Demokratie knne verhindern, dass die Parteien in der

    Demokratie zum Selbstzweck und damit zu Fremdkrpern mit eigenen selbstn-digen Zielen und Interessen innerhalb des Volksganzen und zu einem Staat imStaate werden (Leibholz, 1967: 124).

    Das Bundesverfassungsgericht hat sich viele der Argumente von Leibholz inseiner Rechtsprechung zu eigen gemacht. Die von ihm diagnostizierte Realittund die vom Grundgesetzgeber intendierte herausgehobene Stellung der Parteienin Rechnung stellend, kam der Frage nach ihrem Demokratieverstndnis eineherausragende Stellung zu. Der Parlamentarische Rat hatte sich gleichsam alsGegengewicht zur privilegierten staatsrechtlichen Stellung der Parteien darauf

    FreiheitlichedemokratischeGrundordung und

    ParteienGerhard Leibholz'

    Theorie desParteienstaates

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    9/60

    439

    verstndigt, dass es mglich sein msse, demokratiefeindliche Parteien zu ver-bieten. Ein kompliziertes Verfahren, das dem Bundesverfassungsgericht einezentrale Rolle einrumt, soll einen den Umstnden angemessenen Umgang mitdem Instrument Parteienverbot ermglichen.

    Die frhe Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes konzentrierte

    sich im Rahmen der Parteistaatsvorstellung sehr stark auf die Ausgestaltung derstaatlichen Aufgaben und Funktionen der Parteien. Seit den 1960er-Jahren abertraten die Parteien mehr und mehr auch als soziale Organisationen in Erschei-nung.

    Demokratie als politisches Prinzip erfordert Teilnahme nicht nur im engerenBereich der politischen Willensbildung, sondern auch im Bereich der Gesell-schaft. Darber, wie weit die Forderung nach einer Demokratisierung der Ge-sellschaft legitimerweise gehen drfe, hat immer Streit geherrscht und dieserZustand wird sich auch nicht ndern, da die Vorstellungen ber die demokrati-sche Teilnahme der Brger in Staat und Gesellschaft einem permanenten Wandelunterworfen sind.

    Das Grundgesetz und die Gesetze knnen nur den normativen Rahmen ab-stecken, innerhalb dessen sich unterschiedliche Vorstellungen und Interessen ar-tikulieren knnen. In Bezug auf die politische Willensbildung hat das Grundge-setz mit der Einfgung des Parteienprivilegs Neuland betreten. hnliches giltfr die Organisation der in der Gesellschaft bestehenden unterschiedlichen Inte-ressen.

    Das Parteienverstndnis des Grundgesetzes nimmt Abschied vom konstituti-onellen Dualismus von Staat und Gesellschaft, es nimmt den Anspruch demokra-tischer Partizipation ernst (wirken bei der politischen Willensbildung des Vol-kes mit), es etabliert sie als intermedire Institutionen, die zwischen Politik undGesellschaft vermitteln und es weist ihnen die Funktion zu, demokratische Legi-

    timitt herzustellen.Das strukturelle Problem ist ihre Doppelrolle als Organisationen, die in derGesellschaft wurzeln und zugleich Institutionen der Staatssphre sind. In neuererZeit kommt ein drittes, ebenfalls nicht passfhiges Element hinzu: Parteien sindAnbieter auf einem politischen Markt, auf dem sowohl eine Produktvielfalt alsauch rascher Modell- und Typenwechsel gefordert wird.

    Der Versuch, das Parteiwesen verfassungsrechtlich zu regeln, hat einezweifache Problematik. Zum einen fordern die Idee der Volkssouvernitt unddas Demokratieprinzip, dass sich jedwede politische Richtung frei und ungehin-dert entfalten kann. Selbst politische Richtungen, die die Demokratie ablehnen,knnen nicht von vornherein aus dem politischen Willensbildungsprozess ausge-

    schaltet werden. Die vom Volke ausgehende Staatsgewalt in Wahlen und Ab-stimmungen (Art. 20 Abs. 2; 38 Abs. 1 GG), der freie Zusammenschluss in poli-tischen Vereinigungen ist grundrechtlich garantiert (Art. 9 Abs. 1 GG). Der deut-sche Verfassungsgeber hat 1948/49 vor der Frage gestanden, ob er, belehrt durchdie Erfahrungen in der Weimarer Republik, diese Mglichkeiten ohne Ein-schrnkungen akzeptieren knne, oder ob er Grenzen fr die politische Betti-gung von Parteien, Verbnden, aber auch Individuen ziehen solle. Er hat sich frdas Konzept einer wehrhaften Demokratie entschieden, wohl wissend, dass

    Die Stellung derParteien in der

    Gesellschaft

    Doppelrolle derParteien

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    10/60

    440

    Wehrhaftigkeit und Demokratieprinzip in einem letztlich nicht auflsbaren Kon-flikt stehen.

    Eine hnliche Spannung existiert auf der parlamentarischen Ebene: zwischendem Prinzip des freien Mandats (Art. 38 Abs. 1 GG) und der Verpflichtung aufein konkretes Parteiprogramm, die Untersttzung der Regierung oder Koaliti-

    onsvereinbarungen. Dieser von Leibholz drastisch geschilderte Konflikt dientvielen naiven Demokratiekritiken als Folie ihrer Ablehnung des gegenwrtigenParteienstaates und des Parlamentarismus. Auch er ist nicht auflsbar.

    9.3 Das Parteiensystem der Bundesrepublik

    Die Entwicklung des deutschen Parteiensystems wird oft als die eines Dualismusmit wechselnden Akteuren beschrieben. Das Fehlen parlamentarisch-reprsenta-tiver Elemente hatte in der Frhphase der Entwicklung des Parteiensystems eine

    Konfrontation zwischen Konservativen und Liberalen zur Folge gehabt. Nachdem Scheitern der brgerlichen Revolution von 1848 und der BismarckschenReichsgrndung 1871 schliff sich dieser Gegensatz ab. An seine Stelle trat frkurze Zeit die Frontstellung gegenber dem katholischen Zentrum, spter dannder Konflikt mit der Sozialdemokratie. In der ersten demokratischen Republikvon Weimar war das Parteiensystem zersplittert und die republiktreuen demokra-tischen Parteien zu zerstritten, um gemeinsam gegen die Republik- und Demo-kratiefeinde vorzugehen. Aus diesen Erfahrungen galt es nach 1945 die Lehrenzu ziehen.

    9.3.1 Traditionslinien und Neugrndung des deutschenParteiensystems

    Das deutsche Parteiensystem hat sich in seinen Grundzgen im Kaiserreich her-ausgebildet und in der Weimarer Republik verfestigt. Im Kaiserreich waren esvor allem fnf Gruppierungen, die in unterschiedlichen organisatorischen For-men zu Parteien wurden: Sozialdemokraten, Linksliberale, Rechtsliberale, katho-lisches Zentrum und Konservative. Hinzu kamen regionale, vlkische, agrarischeu.a. Kleingruppierungen.

    Diese Grundstruktur des Parteiensystems hat sich in der Weimarer Republikerhalten, wurde jedoch durch zwei Parteien neuen Typs mit wachsender An-

    hngerschaft ergnzt die KPD, die im Januar 1919 aus der whrend desI. Weltkrieges von der SPD abgespaltenen USPD und dem Spartakusbund vonKarl Liebknecht und Rosa Luxemburg entstanden war, und die NSDAP, die zueiner Sammlungsbewegung vlkischer, nationalistischer und rechtsextremisti-scher Gruppierungen wurde.

    Das Parteiensystem von Weimar war durch einen neuen Dualismus von re-publiktreuen oder systemloyalen Parteien und Republikfeinden gekennzeich-net. Dies bedeutete aber nicht, dass die systemloyalen Parteien zu einer gemein-samen Abwehr der Republikfeinde in der Lage gewesen wren. Sie waren nur

    Die Parteien und derArt. 38 Abs. 1 GG

    Das deutscheParteiensystem im

    Kaiserreich und derWeimarer Republik

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    11/60

    441

    bedingt zur Zusammenarbeit fhig. Systemoppositionelle oder -feindliche Be-wegungen erhielten Zulauf vor allem nach Einsetzen der Wirtschaftskrise1929. Nach 1933 wurde der Dualismus der Zeit von Weimar durch den Mo-nismus des Nationalsozialismus ersetzt.

    Sigmund Neumann hatte 1932 zwischen absolutistischen Integrationspartei-

    en (NSDAP, KPD), demokratischen Integrationsparteien (SPD, Zentrum) und li-beralen Reprsentationsparteien unterschieden. Die Situation am Ende der Wei-marer Republik sah Neumann durch eine Hinwendung zu den Integrationspartei-en gekennzeichnet (S. Neumann, 1973). Das Jahr 1933 brachte Das Ende derParteien (Matthias/Morsey, 1960) und die Herrschaft eines Einparteistaates. Derdemokratische Parteienstaat konnte sich in Weimar nicht durchsetzen. Ein rele-vanter Teil politischer Aktivitt fand nicht in den Parteien, sondern ihren Vor-feldorganisationen oder in ihnen attachierten, militrisch organisierten Bn-den, dem Reichsbanner, dem Stahlhelm, der SA und dem Rotfrontkmpferbundstatt.

    Auf den ersten Blick hat die Struktur des sich herausbildenden Parteiensys-

    tems in den Westzonen nur auf der politischen Linken Parallelen zu historischenVorlufern in der Weimarer Republik. Bei nherem Hinsehen lsst sich aber er-kennen, dass die beiden neuen brgerlichen Parteien Vorlufer im WeimarerParteienspektrum haben. (Dies gilt auch fr sptere Grndungen auf der politi-schen Rechten, wie die 1952 verbotenen SRP oder die NPD.)

    Bei der folgenden Aufstellung ist zu bercksichtigen, dass die Zuordnung zuParteifamilien bei einigen Parteien nicht methodisch sauber vorzunehmen ist,da das Spektrum mancher Parteien sich partiell einer solchen Klassifizierung ent-zieht und im Zeitverlauf Vernderungen unterworfen war. Aufgenommen wor-den sind mit Ausnahme der SRP, die stellvertretend fr mehrere Rechts-parteien steht die Parteien, die ihre Zulassung auf eine alliierte Lizenz zurck-

    fhren knnen und die, nicht zuletzt wegen ihrer Tradition und/oder der frhenLizenzierung, einen entscheidenden Startvorteil hatten, der sie zu den wesentli-chen politischen Akteuren in den Besatzungszonen und der spteren Bundesre-publik werden lie. (hnliches gilt, wenngleich unter ganz anderen politischenRahmenbedingungen, fr die SBZ/DDR.)

    Die Alliierten hatten sich auf der Potsdamer Konferenz fr die Umgestaltungdes politischen Lebens in Deutschland auf demokratischer Grundlage ausge-sprochen die Vorstellungen darber, was demokratisch sei, gingen allerdingsweit auseinander. In Bezug auf Parteien hatte die Konferenz beschlossen, dassin ganz Deutschland alle demokratischen politischen Parteien bei Gewhrungdes Rechts, Versammlungen einzuberufen und ffentliche Diskussionen durch-

    zufhren, zu erlauben und zu frdern seien (Die Sowjetunion, Bd. 6, 1986:387).

    Sigmund NeumannsKonzept der

    Integrationsparteien

    Parteien in denWestzonen und ihre

    Traditionslinien

    Wiedergrndung vonParteien nach 1945auf Grund vonLizenzen derBesatzungsbehrden

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    12/60

    442

    Abbildung 11: Traditionslinien der deutschen Parteien

    Kaiserreich Weimarer Republik Westzonen

    Extreme Rechteantisemitische und christlich-soziale Parteien

    NSDAP(DNVP Harzburger-Front

    1932)

    SRP (verboten 1952)(sptere Grndungen: NPD

    1964; DVU 1971))Christliche und konservativeDeutsche ZentrumsparteiDeutschnationale Volkspartei(DNVP)

    Konservative Parteien

    Deutsche Zentrumspartei

    DNVPDeutsche Volkspartei (DVP)Bayerische Volkspartei (BVP)(DDP/ 1930 DSP)

    (Zentrum bis 1953)

    CDUCSU

    LiberaleNational-Liberale ParteiFortschrittspartei/DeutscheFreisinnige Partei

    (DVP)Deutsche DemokratischePartei (DDP) seit 1930Deutsche Staatspartei

    FDP

    LinkeSPDUSPD (seit 1916)

    Spartakus (seit 1916)

    SPD (MSPD und USPD bis1920)

    KPD (USPD bis 1920)

    SPD

    KPD (bis 1956; seit 1969DKP)PDS

    Zuvor allerdings hatte die SMAD mit ihrem Befehl Nr. 2 vom 10. Juni 1945schon vollendete Tatsachen geschaffen. Der Befehl erlaubte die Bildung antifa-schistischer Parteien und Vereinigungen in der sowjetischen Besatzungszone.Bereits einen Tag spter trat die KPD mit einem in Moskau formulierten Grn-dungsaufruf an die ffentlichkeit.

    Demgegenber waren die westlichen Alliierten wesentlich zurckhaltendergegenber schnellen Partei- und Vereinsgrndungen. Die Amerikaner erlaubtenfr ihre Zone am 13. August, die Briten am 15. September und die Franzosenerst am 29. November 1945 die Grndung von Parteien, fr deren Zulassung einLizenzzwang bis zum Jahre 1950 bestand. Anders als in der sowjetischen Zone,in der die Parteigrndungen von oben nach unten (siehe KPD-Aufruf) erfolgten,sollte in den Westzonen der Aufbau von unten nach oben erfolgen, von den Ge-meinden, Kreisen und Lndern schlielich zur zonenweiten Organisation. Jedertliche Grndung musste sich lizenzieren lassen. Die Besatzungsbehrden, ins-besondere die franzsischen, erteilten die Lizenz oft erst nach lngerem Zgern.

    In den Westzonen entstanden in den ersten Jahren vier Lizenzparteien:

    Christlich-Demokratische Union (CDU) mit ihrer regionalen Variante derCSU in Bayern

    Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Freie Demokratische Partei (FDP).

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    13/60

    443

    Bis zur Aufhebung des Lizenzierungszwangs wurden noch zehn Parteien zuge-lassen, darunter die Bayernpartei, die Deutsche Konservative Partei DeutscheRechtspartei, die Deutsche Zentrumspartei und die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV).

    Am Beginn standen bei allen Parteien sehr unterschiedliche programmati-

    sche Vorstellungen und Ansprche von Fhrungspersnlichkeiten. Da es keineMglichkeit einer reichsweiten, z.T. nicht einmal einer die gesamte Besat-zungszone umfassenden Parteigrndung gab, spielten regionale Bedingungenund persnliche Ambitionen eine ebenso groe Rolle, wie die Auseinanderset-zungen zwischen politischen Fhrungsgruppen in Berlin und regionalen Anspr-chen, sowie zwischen Vertretern aus den westlichen Besatzungszonen und derSBZ.

    In der SPD wurde dieser Konflikt zwischen dem in Hannover residierendenKurt Schumacher, der im August 1945 von 14 der 19 Bezirksorganisationen alsLeitfigur anerkannt wurde (der Exilvorstand der SPD residierte noch in London),und dem Zentralausschuss in Berlin unter der Leitung des spteren DDR-

    Ministerprsidenten Otto Grotewohl ausgetragen.Hinter dem Konflikt um Fhrungspositionen verbarg sich ein doppelter poli-tisch-programmatischer Konflikt. Kurt Schumacher zeichnete ein dezidierter An-titotalitarismus aus. Er agierte mit gleicher Verve gegen die Nationalsozialisten,seine Peiniger von gestern, die ihn in jahrelanger KZ-Haft gehalten hatten, wiegegen die Kommunisten, in denen er nichts anderes zu erkennen vermochte alsrotlackierte Nazis. Otto Grotewohl ging es nicht nur darum, seine Position alsVorsitzender des Zentralausschusses in Berlin gegenber Schumacher und demExilvorstand in London zu behaupten, er musste sich auch mit der sowjetischenBesatzungsmacht und ihren deutschen Gefolgsleuten, der KPD von WilhelmPieck und Walter Ulbricht auseinandersetzen. Beide waren unmittelbar nach dem

    Krieg mit einer verbreiteten Stimmung zu Gunsten einer Einheit der Arbeiter-klasse und einer einheitlichen Arbeiterpartei konfrontiert, die zuerst von derSowjetischen Besatzungsmacht und der KPD abgelehnt wurde. Als sie dann1946 in der SBZ mit der Grndung der SED unter Zwang vollzogen wurde, be-deutete dies das Ende einer unabhngigen und freien Sozialdemokratie.

    Ein Initiativkreis um den ehemaligen Reichsminister Andreas Hermes, denchristlichen Gewerkschafter und spteren Gesamtdeutschen Minister und Gegen-spieler Adenauers, Jakob Kaiser, und den aus der Hirsch-Dunckerschen Gewerk-schaftsbewegung kommenden spteren Vertriebenenminister, Ernst Lemmer, hatteam 20. Juni 1945 in Berlin einen Aufruf fr die Grndung einer Christlich-Demokratischen Union (CDUD) verffentlicht. Vergleichbare Bestrebungen gab

    es in Frankfurt a. M., im Rheinland, vor allem in Kln, wo es besonders starkeTendenzen gab, das Zentrum wiederzugrnden. Konrad Adenauer, Oberbrger-meister von Kln bis 1933 und erneut vom Mai 1945 bis zu seiner Absetzungdurch die britische Militrregierung am 6. Oktober 1945, hielt sich zuerst abseits.Er war sich nicht schlssig, ob er sich fr das Zentrum oder eine neue berkonfes-sionelle Partei entscheiden sollte, deren Zukunftsaussichten hchst ungewiss wa-ren.

    In Dsseldorf wurde unter der Fhrung des christlichen Gewerkschaftersund spteren nordrhein-westflischen Ministerprsidenten, Karl Arnold, im

    Neugrndungen nachAufhebung derLizenzierung

    Neuaufbau undRekonstruktion

    Grndungskonfliktein der SPD

    Restrukturierungchristlicher Parteien

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    14/60

    444

    Herbst 1945 eine Christlich-Demokratische Partei gegrndet, deren rheinischerLandesvorsitzender Anfang 1946 Konrad Adenauer wurde.

    In der Union spielten regionale Gegenstze, etwa die zwischen der rheini-schen und westflischen Union und dem Anspruch der Berliner, Nukleus einerknftigen reichsweiten Parteiorganisation zu sein, sowie programmatische Diffe-

    renzen, vor allem ber die Frage der zuknftigen Wirtschaftsordnung und dasProblem der Sozialisierung, eine erhebliche Rolle.Spezifisch gewendet sind diese Kontroversen auch bei der Entstehung der

    bayerischen Schwesterpartei CSU zu beobachten. Hier war es vor allem die Fra-ge des Umgangs mit der Bayerischen Volkspartei und dem alt-bayerischen Parti-kularismus und Separatismus. Die Gruppe um den amtierenden Ministerprsi-denten und spteren Bundesfinanzminister, Fritz Schffer, und den vormaligenstellvertretenden Generalsekretr des Bayerischen Christlichen Bauernvereinsund spteren Kultusminister, Alois Hundhammer, vertrat eine katholisch konser-vative und staats-bayerische Position mit partikularistischen Elementen und ei-nem massiven Antisozialismus. Bayern sollte zu einem christlichen Bollwerk in

    einer europischen Staats- und Kulturgemeinschaft werden.Deutlich unterschieden davon prferierte die Gruppe um den im Mai 1946zum Vorsitzenden der CSU gewhlten Rechtsanwalt Josef Mller (Ochsen-sepp) die Vorstellung einer auf christlichen Werten ruhenden Massenpartei undging auf Distanz zum Konzept einer Honoratiorenpartei nach dem Muster derBayerischen Volkspartei. Deren Reichsvorbehalt lehnten sie ab. Vielmehr solltedie CSU als eigenstndiger bayerischer Verband Teil einer spteren reichsweitenUnion sein. Diese Gruppe reprsentierte liberal-konservative und interkonfessio-nelle Vorstellungen, die sich deutlich von denen der altbayerisch, katholisch-etatistischen Gruppe um Schffer und Hundhammer unterschieden. Die Diffe-renzen zwischen diesen beiden Flgeln lieen die CSU wesentlich gefhrdeter

    erscheinen, als die CDU. Erst nach einer schweren Parteikrise, die 1949 zur Ab-lsung des ersten Landesvorsitzenden Josef Mller fhrte, konnten die Gegen-stze eingeebnet werden.

    Ungesichert erschien die Stellung der Union in den Anfangsjahren nicht nurwegen ihrer Binnendifferenzierung und programmatischen Differenz, sondernauch, weil ihr mit der wieder gegrndeten Deutschen Zentrumspartei eine ge-fhrliche Konkurrentin erwachsen war. Fr die CSU in Bayern entstand mit derim Mrz 1948 von der Militrregierung auf Landesebene lizenzierten Bayernpar-tei eine Konkurrenz, die potentiell in der Lage war, die Traditionalisten in derCSU zu sich herberzuziehen.

    Noch verworrener und komplizierter stellte sich die Situation bei den Libe-

    ralen dar. Vor der Grndung der FDP im Dezember 1948 auf dem Gesamt-Vertretertag der liberalen, demokratischen Parteien aus den nicht sowjetisch be-setzten Teilen Deutschlands und seiner Hauptstadt Berlin in Heppenheim an derBergstrae waren mehrere liberale Gruppierungen neu- oder wiedererstanden. ImSdwesten (Wrttemberg-Baden, Wrttemberg-Hohenzollern und Baden) und inden Hansestdten Hamburg und Bremen etablierten sich liberal-demokratischeParteien in der Tradition der Deutschen Demokratischen Partei der WeimarerRepublik, die sich als Parteien der Mitte in einer sich andeutenden, zwischenUnion und SPD polarisierten Parteienlandschaft verstanden. Fhrender Kopf der

    Der bayerischeSonderweg:

    Grndung der CSU

    Diffuse Situation beiden Liberalen

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    15/60

    445

    Demokratischen Volkspartei war der von den Amerikanern eingesetzte Minis-terprsident von Wrttemberg-Baden, Reinhold Maier. Der sptere Bundesprsi-dent, Theodor Heuss, der die Grndung einer groen brgerlich-liberalen Parteianstrebte, war anfangs einer liberalen Parteigrndung gegenber sehr zurckhal-tend, scheiterte aber mit dieser Vorstellung. Er wurde im Dezember 1946 in

    Heppenheim zum Parteivorsitzenden der drei Westzonen gewhlt.Auch bei den Liberalen existierte das Problem Berlin. Hier hatte sich unterdem Vorsitz des ehemaligen Reichsministers Wilhelm Klz bereits im Juni 1945die Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) gegrndet. Sie insis-tierte auf der Grndung einer Reichspartei unter Berliner Fhrung. Als Mitglieddes Demokratischen Blocks der Parteien und Massenorganisationen in derSowjetischen Besatzungszone war die LDPD aber kein Partner fr die westdeut-schen Liberalen gleich welcher Couleur.

    Schlielich ist die Grndung der aus der Welfenpartei erwachsenen Nieder-schsischen Landespartei, der spteren Deutschen Partei als NorddeutscheRegionalpartei mit einem starken Flchtlingsanteil zu erwhnen. Nach der Auf-

    hebung des Lizenzierungszwanges gesellten sich der Bund der Heimatvertrie-benen und Entrechteten (BHE) und andere, vorwiegend rechtsorientierte kleine-re Parteien hinzu. Diese diffuse Landschaft lie eine verlssliche Prognose berdie zuknftige Struktur des Parteiensystems kaum zu (vgl. zu diesem Gesamt-komplex die Einzelbeitrge in: Mintzel/Oberreuter, 1992).

    9.3.2 Konzentration und Polarisierung

    Bemerkenswert an der Nachkriegsentwicklung des Parteiensystems ist, dasszwar an traditionelle Muster angeknpft wurde, zugleich aber einige fundamen-

    tale Vernderungen eintraten. Erneut trat die Gegnerschaft zwischen den beidenLinksparteien SPD und KPD deutlich zu Tage. Den brgerlichen Parteien gelanges hingegen, die Zersplitterung innerhalb des eigenen Lagers zu beenden. Hierwar die Notwendigkeit zur Sammlung besonders dringlich. In der Heterogenittund Uneinigkeit und dem nahezu bruchlosen bergang der DNVP als bedeut-samster konservativer Partei in das rechtsradikale Lager (besiegelt in der Harz-burger Front von 1932) wurde einer der wesentlichen Grnde dafr gesehen,dass es den Nationalsozialisten gelungen war, so erfolgreich in das brgerlich-konservative Lager einzubrechen.

    Innerhalb des liberalen Spektrums, wo zunchst mehrere Parteien entstande-nen waren Deutsche Volkspartei (DVP), Liberal-Demokratische Partei (LDP)

    und Freie Demokratische Partei (FDP) erfolgte Ende 1948 der Zusammen-schluss zur FDP.Noch bedeutsamer war die mit der Grndung der CDU (und in geringerem

    Mae der CSU) erfolgte Aufhebung der konfessionellen Trennung und das damitverbundene Ende des politischen Katholizismus als eigenstndiger politischerBewegung. Das Zentrum verlor binnen krzester Frist an politischer Bedeutung.

    Durch die Teilung Deutschlands, die Abtrennung Ostelbiens, in dem diekonservativ protestantischen Parteien groen Zulauf gehabt hatten, durch die Ab-trennung der protestantischen preuischen Kernlande und die erfolgreiche Inte-

    Kanalisierungund Sammlungs-tendenzen

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    16/60

    446

    gration regionaler, katholisch-konservativer Strmungen im Sden (Bayern-partei) verlor der traditionell in Sd- und Westdeutschland beheimatete politi-sche Katholizismus seine Minderheitenrolle. Er wurde, als dominierende Kraftinnerhalb der CDU/CSU, zu einem bedeutenden Faktor in der politischen Ge-schichte der Bundesrepublik. Erst als die SPD mit ihrem Godesberger Parteitag

    von 1959 das Ghetto der Arbeiterpartei verlie, gelang es ihr, zu einer ernstzu-nehmenden Konkurrentin im Kampf um die politische Hegemonie in West-deutschland zu werden.

    Sammlungsbedarf bestand auch auf der Linken. Hier war es die Spaltung inden sozialdemokratischen und kommunistischen Zweig der Arbeiterbewegungund vor allem die aggressive Demokratiefeindlichkeit der KPD, die nach verbrei-teter Auffassung den Aufstieg der Nationalsozialisten begnstigt hatte. Beidentraditionell zersplitterten oder gespaltenen politischen Lagern, dem brger-lichen und dem linken, war also nach 1945 daran gelegen, diesen Zustand zuberwinden. Dies kam den Intentionen der Alliierten entgegen.

    Alf Mintzel hat von einer frhzeitigen Kanalisierung gesprochen, die vor

    allem auf die Lizenzierungspolitik der Besatzungsmchte zurckzufhren sei.Die von den Westalliierten lizenzierten vier Parteien knnten als besatzungs-politisch verordnete Integrationsparteien bezeichnet werden, wobei aber nichtbersehen werden drfe, dass diese Kanalisierung weitgehend im Einklang mitden deutschen politischen Sammlungsbestrebungen stand (Mintzel, in: Staritz,1980: 80).

    Ein Blick auf die Krfteverhltnisse der Parteien ber lngere Zeitrumezeigt, dass es in der Bundesrepublik einen deutlichen Konzentrationsprozess imParteiensystem gegeben hat. Die Parteienentwicklung hatte, im Gegensatz zuFrankreich, Grobritannien oder auch Italien, zu einer Konzentration auf dreistaatstragende Parteien gefhrt, die ihre programmatischen Aussagen auf eine

    imaginre politische Mitte ausrichteten, was dazu fhrte, dass die Grenzen desrechten und des linken Lagers nicht mehr eindeutig zu bestimmen sind. Diefrhen Konzentrationserscheinungen im Parteiensystem der Bundesrepublik be-gnstigten die strategische Mehrheit der brgerlichen Parteien, die bis Mitte der1960er-Jahre unangefochten die Bundesrepublik regierten. Die absolute Mehr-heit der Union 1957 frderte einen weiteren Konzentrationsprozess. Seit derBundestagswahl von 1961 bestimmten nur noch die CDU/CSU, die SPD und dieFDP das parlamentarische Geschehen auf Bundesebene.

    Trotz der sehr frh einsetzenden Konzentrationstendenzen hat es in der Ge-schichte der Bundesrepublik bis in die jngste Zeit hinein immer wieder Partei-grndungen gegeben. Richard Stss (1983, Bd. 1: 194ff.) konnte Anfang der

    1980er-Jahre mehr als 130 solcher Parteigrndungen dokumentieren, die sich anLandes- oder Bundestagswahlen beteiligten. Die einzige dauerhaft erfolgreicheGrndung der alten Bundesrepublik waren Die Grnen im Jahre 1980. Ein Grn-dungsboom von Parteien setzte 1989/90 in der untergehenden DDR ein. Einzigdie PDS berlebte als ostdeutsche Regionalpartei.Der Konzentrationsprozess im Parteiensystem der Bundesrepublik hat sich vorallem zu Gunsten der beiden groen Volksparteien niedergeschlagen. Bis Mit-te der 1970er-Jahre konnten sie ihren Anteil an Stimmen bei den Bundestags-wahlen stetig erhhen. Seither ist der Trend rcklufig. Ihre Integrationsfhigkeit

    Spaltung derpolitischen Linken

    Konzentration undPolarisierung

    Neugrndung vonParteien

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    17/60

    447

    und -bereitschaft hat es immer wieder erlaubt, Parteibildungen an den Rnderndes politischen Mainstream klein zuhalten und mittelfristig an sich zu binden.Dies gelang der CDU/CSU mit den Whlern rechter Parteien, wie der NPD oderden Republikanern, der SPD weniger erfolgreich mit den Anhngern der ver-streuten linkssozialistischen und kommunistischen Gruppierungen in den

    1970er-Jahren. Die Integrationsbereitschaft beider Volksparteien war allerdingszu gering, um die neu entstehenden Umweltbewegungen einzubinden; das Er-gebnis war die Etablierung der Grnen als vierter Partei auf Landes- und Bun-desebene. hnliches gilt fr die PDS. Hier hat die SPD es nach 1989 aus Furchtvor politischer Verdchtigung versumt, sich fr Reformkrfte aus der ehemali-gen SED zu ffnen.

    9.4 Entwicklung der Parteien

    9.4.1 CDU

    Grndung und Entwicklung der CDU und der CSU knnen als die bedeutsamstepolitische Innovation in der jngeren deutschen Parteiengeschichte betrachtetwerden. Die Union ist mit Recht als eine Art Sammelbecken fr politisch, sozi-al und konfessionell hchst heterogene Schichten und Gruppen bezeichnet wor-den und zugleich als Partei, die einen Bruch mit den Traditionen konservativerund christlicher Parteien der Weimarer Republik und des Kaiserreichs vollzog(Lsche, 1993: 112). Der CDU (und in geringerem Mae der CSU) gelang es,politische Gruppierungen sehr unterschiedlicher Herkunft und weltanschaulich-politischer Orientierung einzubinden. Die dadurch erreichte Strke machte sie

    schlielich zu einem Magneten fr eine Vielzahl von Nachkriegsparteien, vor al-lem fr politische Gruppierungen der Vertriebenen und Flchtlinge, die in derNachkriegszeit als single-issue-Parteien entstanden waren.

    Trotz ihres Charakters als Sammlungspartei ist aber festzuhalten, dass es dieVerankerung der CDU im katholischen Milieu und in den alten Hochburgen desZentrums war, die ihr die entscheidende Mitglieder- und Whlerbasis lieferte.Wichtige Grundlage dafr war die Untersttzung der katholischen Kirche (Birke,1994: 106). Der katholische Episkopat hatte durch seine Untersttzung des Ex-periments CDU einen erheblichen Einfluss auf den Niedergang der traditionel-len Partei des politischen Katholizismus, des Zentrums, das bei den ersten Bun-destagswahlen immerhin noch 3,1%der Stimmen und 10 Mandate erhalten hat-

    te. Vor allem in Teilen Nordrhein-Westfalens war die CDU bis spt in die1950er-Jahre eine reine katholische Milieupartei.

    Im Gegensatz zur SPD war die CDU bis Mitte der 1970er-Jahre eine eherlocker gefgte Organisation, in der Landesverbnde, Gruppen wie der Wirt-schaftsflgel, die Mittelstandsvereinigung oder die Sozialausschsse und einzel-ne Personen Politik und Programmatik der Partei bestimmten. Einen erheblichenEinfluss hatten auch die der Union nahe stehenden Verbnde der Wirtschaft undder Landwirtschaft und nach dem Ende der Flchtlingsparteien die Ver-triebenenverbnde. ber allem aber stand als erstes Gebot die Sicherung der Re-

    Die CDU alsberkonfessionelleSammlungspartei

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    18/60

    448

    gierungsfhigkeit, was der Union in den 1950er-Jahren und erneut in den1980er- und 1990er-Jahren den Ruf eintrug, ein Kanzlerwahlverein zu sein.Dieses simplifizierende Etikett ging trotz der bedeutsamen Stellung des Kanz-lers und Parteivorsitzenden in beiden Fllen an der Wirklichkeit vorbei.

    Auch wenn die CDU nie eine Programmpartei nach dem Muster der SPD

    war, bedeutet dies nicht, dass sie nicht ber dezidierte politisch-programmatischeVorstellungen verfgte, die sie erkennbar von anderen Parteien unterschied. Inder Nachkriegszeit waren dies, nach dem Verblassen christlich-sozialistischerKonzepte, wie sie noch 1947 das Ahlener Programm der CDU in Nordrhein-Westfalen geprgt hatten, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft und das Be-kenntnis zur Westintegration. Die grundlegenden programmatischen Aussagenzur sozialen Marktwirtschaft wurden noch vor Grndung der Bundesrepublik inden Dsseldorfer Leitstzen von 1949 formuliert. Sie blieben Orientierungs-rahmen fr die nchsten Jahre und wurden politisch-praktisch durch die jeweilsad hoc begrndete Politik der Westintegration ergnzt. Die CDU wurde zur Par-tei der sozialen Marktwirtschaft und der Integration in den Westen und baute

    darauf ihre Wahlerfolge in den 1950er-Jahren auf.Erst mit dem Einschwenken der Sozialdemokratie auf diese politischen Op-tionen in der zweiten Hlfte der 1950er-Jahre ergab sich fr die CDU ein pro-grammatisches Dilemma, das sie aber bis zum Verlust der Regierungsmacht leid-lich verschleiern konnte. Ihr Versuch Anfang der 1970er-Jahre, sich ausschlie-lich negativ zu profilieren gegen die Politik der inneren Reformen der Regie-rung Brandt und vor allem gegen die neue Ostpolitik endete bei den Bundes-tagswahlen von 1972 in einem Fiasko.

    Bei ihrer programmatischen Profilierung musste die CDU die tradierten Ele-mente ihrer Politik bewahren und neue, moderne Themen aufgreifen. Nebenberkommenen Vorstellungen von Familienpolitik, zu den Problemen von law

    and order oder in der Frage des Staatsbrgerschaftsrechts standen moderne Aus-sagen zur Stellung der Frau in der Gesellschaft, neue berlegungen zur Energie-und Technologiepolitik oder zur Anpassung der Arbeitsstrukturen an die neuenBedingungen internationaler Arbeitsteilung. Eine hnliche programmatische Breitelsst sich im Spannungsfeld rechter und linker Politik ausmachen: Whrenddie Sozialausschsse viele Positionen mit dem Gewerkschaftsflgel der SPD tei-len, prferiert der Wirtschaftsflgel neoliberale Konzepte von Deregulierung unddes Abbaus des Staatsinterventionismus, wie sie auch der wirtschaftsliberale Fl-gel der FDP vertritt.

    Diese programmatischen Spannungen waren fr die CDU, anders als fr dieSozialdemokratie, deswegen weniger problematisch, weil diese Programmviel-

    falt keine erkennbaren negativen Effekte auf dem Whlermarkt hatte, sondernden Charakter der CDU als Volkspartei unterstrich. Daher sind auch Versuchevon radikalen Reformern im Konrad-Adenauer-Haus Ende der 1980er-Jahregescheitert, die CDU als moderne Programmpartei der Mitte zu profilieren. Nachlangen Jahren der programmatischen Funkstille wurde mit dem wesentlich vonWolfgang Schuble formulierten und in der Folge heftig kritisierten Zukunfts-programm vom Frhjahr 1998 erstmals wieder der Versuch unternommen, derCDU ein modernes programmatisches Profil zu verleihen.

    PolitischeProgrammatik der

    CDU

    ProgrammatischeErneuerung

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    19/60

    449

    Bereits Ende der 1950er-Jahre setzte eine Debatte ber die Modernisierungder Partei ein. Aber erst nach dem Verlust der Macht 1969 und nach dem geschei-terten Misstrauensvotum von 1972 waren die innerparteilichen Voraussetzungenfr eine grundlegende Reform der Partei und ihrer Organisation gegeben. Unterdem 1976 ins Amt gewhlten Vorsitzenden, dem damaligen rheinland-pflzischen

    Ministerprsidenten, Helmut Kohl, und seinen Generalsekretren Kurt Biedenkopfund Heiner Geiler wurde die Union zu einer modernen Mitglieder- und Apparat-partei umgeformt (Schnbohm, 1985). Die Parteizentrale wurde zu einem Organi-sations- und Fhrungszentrum umgestaltet, das sich vor allem in den Wahlkmp-fen bewhrte. Als Generalsekretr forcierte Heiner Geiler in der Mitte der1980er-Jahre die Programmdiskussion in der CDU in der Absicht, neue Themenzu besetzen und programmatisch mit den neuen politischen EntwicklungenSchritt zu halten, die durch den Wertewandel seit den 1970er-Jahren in Ganggesetzt worden waren.

    In den 1980er-Jahren entwickelte sich die Bundesgeschftsstelle unter derLeitung des Generalsekretrs, Heiner Geiler, zu einem eigenstndigen Steue-

    rungszentrum und zu einer Ideenschmiede der Partei. Gleichwohl blieb die CDUin ihrer Binnenstruktur ein komplexes Gebilde, in dem die einzelnen Landesver-bnde, unterschiedliche Vereinigungen und Interessen einen bedeutenden Ein-fluss haben (J. Schmid, 1990).

    Beide erfolgreichen Unternehmungen waren nicht selbstverstndlich in einerPartei, die sich nie als Programmpartei gesehen hatte, sondern als politischerZusammenschluss, der auf der Grundlage gemeinsamer christlicher und brger-lich-konservativer Werte praktische Politik betrieb. Der Tradition einer regionalstark gegliederten politischen Sammlungsbewegung widersprach auch die Vor-stellung, dass es unter den gewandelten Bedingungen des Verlustes der Macht inBonn notwendig sei, eine schlagkrftige zentrale Organisation im Bonner Kon-

    rad-Adenauer-Haus zu etablieren, die zwangslufig die Macht der Provinzfr-sten, vor allem aber den Einfluss der Bundestagsfraktion einschrnken musste.Mit den Bundesparteitagen 1988 und 1989, vor allem mit der Abwahl von

    Heiner Geiler als Generalsekretr und der im Vorfeld gescheiterten Kandidaturvon Lothar Spth zum Parteivorsitz, begann eine Entwicklung, die als Weg derCDU zu einem Kanzlerwahlverein neuen Typs bezeichnet worden ist (Perger,1992).

    Die Parteizentrale wurde auf die Bedrfnisse der Regierungsarbeit und desKanzlers zugeschnitten, der Generalsekretr war eher der Hausmeier des Kanz-lers und Parteivorsitzenden, als eigenstndiger Manager und programmatischerVordenker. Diese Zentralisierung hatte insoweit ihre Vorteile, als sie in einer

    Zeit erheblicher politischer Vernderungen nach der deutschen Einheit Machtkonzentrierte und innerparteiliche Auseinandersetzungen unterdrckt hat. Sie hatjedoch zugleich lhmend auf die Parteiorganisation in den Lndern und auf derkommunalen Ebene gewirkt. Das programmatische Defizit trug dazu bei, mittel-fristig die soziale Verankerung der CDU in der Gesellschaft zu gefhrden. DieseProbleme werden durch die bislang noch nicht gelungene Verankerung der CDUals Mitgliederpartei in den neuen Bundeslndern eher verschrft.

    Obwohl die CDU der Bundesrepublik der DDR-CDU anfangs mit groerDistanz gegenberstand sie hatte Anfang 1990 mit der bei den Volkskammer-

    Modernisierung undOrganisationsreformin der CDU der1970er- und 1980er-Jahre

    MisslungeneAnpassung derParteiorganisationan vernderteRahmenbedingungen

    Integration der CDUder DDR

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    20/60

    450

    wahlen erfolgreichen Allianz fr Deutschland versucht, die Blockpartei alsOrganisation weitgehend auszuschalten gab sie ihre Zurckhaltung nach denWahlen vom 18. Mrz 1990 auf: Die CDU war mit 40,9% der Stimmen eindeu-tig strkste Partei in der Allianz geworden, an ihr konnte man nicht mehr vorbei-gehen. Die Zeichen wurden auf Integration gestellt, zugleich aber peinlich darauf

    geachtet, dass die CDU der DDR keinen erkennbaren personellen oder pro-grammatischen Einfluss auf die am 1. Oktober 1990 gebildete gesamtdeutschePartei haben werde, obwohl diese zum Zeitpunkt der Vereinigung fast ein Drit-tel der Mitglieder stellte.

    Die Integration der DDR-CDU war eine der wesentlichen Ursachen fr dieErfolge der CDU bei den Bundestagswahlen 1990 und 1994. Weder wurde dieVereinigung fr die allfllige programmatische Erneuerung genutzt noch wurdedie notwendige Modernisierung der Organisation vorangetrieben. Die gesamt-deutsche CDU blieb auf die Erfordernisse der Regierungsarbeit und die Unter-sttzung des Kanzlers ausgerichtet. Diese Konstellation war nur solange auf-rechtzuerhalten, wie sich die Partei und der Parteivorsitzende an der Macht be-

    fanden. Der Verlust der Macht im Bund bedeutet das Ende dieser Konstellation.Der Weg zur programmatischen Erneuerung und zur Anpassung der Organisati-onsstrukturen und politischen Strategien an die vllig vernderten Bedingungennach dem Desaster bei den Bundestagswahlen 1998 war ein langer, konfliktrei-cher Prozess im Zeichen einer existenziellen Krise. Sie wurde durch eine Partei-spendenaffre ausgelst, in der es um Millionenbetrge ging, die der ehemaligeBundeskanzler und Parteivorsitzende, Helmut Kohl, unter Umgehung der Meld-pflicht des Parteiengesetzes erhalten hatte und um schwarze Konten der hessi-schen CDU in der Schweiz. Sie kostete Helmut Kohl und seinen kurzzeitigenNachfolger, Wolfgang Schuble, den Parteivorsitz und bescherte der CDU einenerheblichen Vertrauensverlust. Einer der bleibenden Effekte ist der Aufstieg von

    Angela Merkel, die sich in dieser Krise als machtbewusste und strategisch be-gabte Politikerin erwies.Als Parteivorsitzende hat sie bei dem Versuch einer programmatischen Er-

    neuerung die CDU auf einem Parteitag in Leipzig erfolgreich auf einen neo-liberalen Kurs eingeschworen. Es war, neben einer Reihe anderer Faktoren, vorallem diese neo-liberale Wende, die den Volksparteien CDU und CSU den Siegbei der Bundestagswahl 2005 gekostet hat. Seither ist eine Rckbesinnung aufihren Charakter einer Partei des mitfhlenden Konservativismus erkennbar.

    9.4.2 CSU

    Die erfolgreichste Neugrndung und die in vielerlei Hinsicht faszinierendste po-litische Gruppierung der Bundesrepublik stellt die bayerische CSU dar. Im Nor-den oft als politischer Traditions- und Trachtenverein missverstanden, hat sie eswie keine andere politische Partei vermocht, politische und kulturelle Hegemo-nie ber mehr als vier Jahrzehnte zu behaupten, Traditionalismus und Moderni-sierung, autoritre politische Orientierungen und libertre, volksverbundene Tra-ditionen zu vereinen (Mintzel, 1977; 1978). Die CSU vereinte unterschiedlicheRegionalismen (Altbayern, Franken, Schwaben), politisch-kulturelle Traditionen

    Determinanten despolitischen Erfolgs

    der CSU

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    21/60

    451

    und Konfessionen und verband sie mit einem erfolgreichen Modernisierungs-konzept, das keineswegs ber den freien Markt, sondern durch staatliche Eingrif-fe und Subventionen gesteuert und finanziert wurde und das Bayern von einemagrarisch geprgten Nachzgler in der wirtschaftlichen Entwicklung neben Ba-den-Wrttemberg und Hessen zu einem der drei Spitzenreiter in der Bundesre-

    publik gemacht hat.Ist die CSU nur die CDU Bayerns, wie Sontheimer schreibt (Sontheimer,1993: 189) oder ist sie etwas anderes und mehr als das? Mintzels Charakterisie-rung der CSU als Partei, die eine Doppelrolle als autonome Landespartei mitbesonderem Bundescharakter spielt (Mintzel, 1992: 257), erscheint zutreffen-der. Als autonome Landespartei, die seit 1970 mit absoluten Mehrheiten bei denLandtagswahlen ausgestattet ist, und weit ber den Freistaat hinaus als der politi-sche Reprsentant Bayerns wahrgenommen wird, hat sie ein anderes Gewicht alsselbst grere Landesverbnde der CDU. Die seit der Grndung der CDU alsBundesorganisation 1950 beibehaltene Parteiautonomie und die seither prakti-zierte und nur einmal, nach den legendren Kreuther Beschlssen von 1976 in

    Frage gestellte Fraktionsgemeinschaft der CSU-Landesgruppe mit der CDU imDeutschen Bundestag, sicherten der CSU einen entscheidenden Einfluss auf diedeutsche Politik.

    Frher als die CDU wandelte sich die CSU zu einer modernen Programm-und Apparatpartei. 1954 als strkste Partei im Lande fr drei Jahre in die Oppo-sition verwiesen und bedrngt vom Traditionalismus der Bayernpartei begannsie, ihre Organisation zu modernisieren, ihre Mitgliederzahlen, die sich seit derGrndung fast halbiert hatten, innerhalb von zehn Jahren zu vervierfachen undsich politisch-programmatisch als konservative bayerische Staats- und Volkspar-tei zu profilieren.

    Anders als die CDU hat sie ihr programmatisches Profil, beginnend mit dem

    Jahre 1946, in jedem Jahrzehnt in die Form eines Grundsatzprogramms gegos-sen. Durchgngig werden die normativen Grundlagen der staatlichen und politi-schen Ordnung, die soziale Marktwirtschaft, die besondere bayerische Vorstel-lung des Fderalismus und, seit den 1970er-Jahren, die Grundlagen einer staat-lich gefrderten Modernisierungspolitik betont.

    Durch eine erfolgreiche, subventionsgesttzte Industrialisierungs- und Ag-rarpolitik und ein betont sozialstaatliches Profil gelang es ihr, zur hegemonialenPartei in Bayern aufzusteigen. In der Bundesrepublik konturierte sie sich als ei-genstndige politische Kraft auch und gerade im Bereich der Auen-, Si-cherheits- und Europapolitik und in der Deutschlandpolitik. Als Gaullistenfochten fhrende CSU-Politiker, an der Spitze Franz Josef Strau, Anfang der

    1960er fr eine eigenstndige europische Sicherheitspolitik und kritisierten denCDU-Auenminister und Atlantiker, Gerhard Schrder, wegen seiner, nach ih-rer Meinung zu amerikafreundlichen Politik. Es war die Bayerische Staatsregie-rung, die 1972 mit einer Klage beim Bundesverfassungsgericht eine Verabschie-dung des Grundlagenvertrages zwischen der Bundesrepublik und der DDR ver-hindern wollte, und es war der CSU-Vorsitzende, Franz Josef Strau, der in derersten Hlfte der 1980er-Jahre eine eigene Deutschlandpolitik ohne Absprachemit der CDU und dem Kanzler fhrte, die zum umstrittenen Milliardenkreditfr die DDR fhrte.

    PolitischeProgrammatik der

    CSU

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    22/60

    452

    Programmatik und Politik der CSU besttigen den Anspruch, im Sinne ei-nes historisch begrndeten staatsbayerischen Mitspracheanspruches und Gestal-tungsauftrages an der deutschen und europischen Politik mitzuwirken (Mint-zel, 1992: 229).

    Deutlichster Ausdruck des bundesweiten Anspruchs war die gegen den

    CDU-Vorsitzenden und erfolglosen Kanzlerkandidaten von 1976, Helmut Kohl,durchgesetzte Kandidatur von Franz Josef Strau fr das Kanzleramt in denBundestagswahlen von 1980. hnliches wiederholte sich 2002 mit der Kandida-tur des CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber als gemeinsamer Kanzlerkandidatder Union.

    Der nicht realisierte Trennungsbeschluss von Kreuth und die verlorene Wahlvon 1980 knnen als Wende im Verhltnis von CSU und CDU angesehen wer-den. Beide haben die bundespolitischen Grenzen der CSU deutlich werden las-sen, Grenzen, die nach 1989 deutlich enger gezogen sind. Durch die Erweiterungdes Wahlgebietes verlor die CSU ihre Stellung als zweitstrkste Partei der Regie-rungskoalition vor der FDP. Trotz der Vernderung der Stimmenanteile im Bun-

    desrat zu Gunsten der groen Lnder ist sie auch dort proportional schwchervertreten. 1990/91 angestellte berlegungen, sich bundesweit auszudehnen, wur-den sehr schnell wieder begraben. All dies deutet auf einen Gewichtsverlust,nicht aber auf ein Ende der Sonderrolle der CSU im deutschen Parteiensystemhin.

    Der besondere Anspruch wurde sowohl im Jahre 2002 mit der der CDU ab-getrotzten Kandidatur Edmund Stoibers als auch nach der Bundestagswahl 2005deutlich, als die Regierungsbildung durch die dann letztlich nicht wahrgenom-menen Ansprche des CSU-Vorsitzenden erheblich beeintrchtigt wurde.

    9.4.3 SPD

    Die einzigen Parteien, die nach 1945 organisatorisch und politisch programma-tisch unmittelbar an die Weimarer Republik anknpften, waren die SPD und dieKPD. Dies war durchaus nicht selbstverstndlich, hatte sich doch in der Illegali-tt, der Emigration und in den Konzentrationslagern eine starke berzeugungherausgebildet, dass die als verhngnisvoll angesehene Spaltung der Arbeiterbe-wegung berwunden werden msse.

    Das Projekt einer Einheitspartei scheiterte vor allem an der Sowjetunion, diemit ihrem SMAD-Befehl Nr. 2 vom 10. Juni 1945 und der von ihr gelenktenWiedergrndung der KPD deutlich andere Ziele verfolgte. Die dann doch erfolg-

    te Vereinigung von KPD und SPD zur SED in der sowjetischen Besatzungszoneim April 1946 entsprang einem vernderten Kalkl der UdSSR und geschah un-ter massivem Druck der Besatzungsmacht.

    Damit war die SPD von Anbeginn mit einem doppelten Dilemma belastet.Durch die Politik der sowjetischen Besatzungsbehrden in der SBZ und die Ein-flussnahme der KPdSU auf ihre Parteignger in den Westzonen war das Projekteiner einheitlichen Arbeiterpartei ohne Erfolgsaussicht, es sei denn unter Ver-zicht auf die eigene sozialdemokratische Identitt.

    KompliziertesBinnenverhltnis von

    CDU und CSU

    BundespolitischerAnspruch der CSU

    und realeKrfteverhltnisse

    Das Projekt einerEinheitspartei

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    23/60

    453

    berlegungen, nach dem Vorbild der britischen Labour Party eine Partei zugrnden, die christliche, liberale und freie, nicht jedoch kommunistische Ge-werkschafter vereinen sollte, stieen allerdings auf Ablehnung fhrender SPD-Politiker, vor allem Kurt Schumachers, der sich sehr frh als die unumstritteneFhrungsfigur der westdeutschen Sozialdemokratie durchsetzte.

    Trotz der Forderung Schumachers nach einem Neuanfang war die SPD inden Westzonen keine Neugrndung, sondern eine Wiedergrndung. Alternativenscheiterten an der Absicht, die alte, groe deutsche Sozialdemokratie, die vonden Nazis zerschlagen und verfolgt worden war, wiedererstehen zu lassen.

    Die Option, eine breite linke Sammlungsbewegung zu grnden, die, wie dieUnion, ber den Bereich der traditionellen Anhnger und Whler hinaus auchattraktiv fr das linksliberale Brgertum und den Mittelstand gewesen wre,wurden nicht ernsthaft in Erwgung gezogen. Damit wurde nicht nur die Chancevertan, auf der Linken ebenfalls eine Sammlungsbewegung zu schaffen, son-dern auch nahtlos an Politikvorstellungen angeknpft, die auf ein soziales undpolitisches Milieu, die Arbeiterschaft, zielten, das schon am Ende der Weimarer

    Republik im Wandel begriffen, durch den Nationalsozialismus weitgehend zer-strt und in der alten Form nicht regenerierbar war.Zwar wurde die SPD schnell zur mitgliederstrksten Partei (1947 875.000

    Mitglieder) und konnte in den Lndern auf Erfolge verweisen, sich an Landesre-gierungen beteiligen, Ministerprsidenten stellen und viele ihrer Vorstellungenim Gesetzgebungsprozess durchsetzen, es gelang ihr aber bis Mitte der 1960er-Jahre nicht, direkten Einfluss auf die Regierungspolitik in Bonn zu gewinnen.Sie war jedoch stets auf kommunaler Ebene und in den Lndern stark prsentund prgte mit ihrem Oberbrgermeisterflgel (Ernst Reuter, Max Brauer,Wilhelm Kaisen) und mit starken Ministerprsidenten und Politikerpersnlich-keiten auf Landesebene (Wilhelm Hgner, Georg-August Zinn) die politische

    Entwicklung des bundesdeutschen fderalen Systems entscheidend mit.Die Sozialdemokratie beanspruchte im Neuaufbau Deutschlands eine Fh-rungsrolle, da sie sich als einzige demokratische Partei nicht mit dem National-sozialismus arrangiert habe. Ein Zusammengehen mit den brgerlichen Parteienkam fr sie nicht in Frage. Andererseits grenzte sie sich scharf von der KPD ab.Da eine Zusammenarbeit mit den Kommunisten nicht mglich sei, gelte es inWestdeutschland demokratische Verhltnisse zu schaffen, die eine Magnetwir-kung auf die Sowjetische Besatzungszone htten. Die Wiedervereinigung seiein politisches Nahziel.

    In ihrer wirtschaftspolitischen Programmatik war die SPD unter Kurt Schu-macher, der 1952 starb, an den tradierten wirtschaftsdemokratischen Vorstellun-

    gen der Weimarer SPD orientiert, die sie mit der Forderung nach weit reichendenSozialisierungen verband. Sie stand in scharfem Gegensatz zur von Ludwig Er-hard propagierten Idee einer sozialen Marktwirtschaft. Der Erfolg der Erhard-schen Wirtschaftspolitik entzog ihren Sozialisierungsforderungen aber schonbald den Boden und lie sie als Angriff auf den gerade gewonnenen bescheide-nen Wohlstand erscheinen.

    Der nationalistische Grundton der Forderungen Schumachers war nicht nurfr die SPD neu. Der von ihm vertretenen Politik einer dezidierten, ja oft aggres-siven Vertretung nationaler Interessen fehlte in einer Zeit, in der deutsche Politik

    Wiedergrndung derSPD nach dem Krieg

    Starke Stellung derSPD auf Landesebene

    ProgrammatischeVorstellungen der

    Nachkriegs-SPD

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    24/60

    454

    fremdbestimmt war, jede Basis. Die SPD lehnte alles ab, was nach ihrer Mei-nung die Spaltung Deutschlands vertiefen werde, insbesondere die sich sehr frhabzeichnende Integration der westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepu-blik in die entstehenden europischen und transatlantischen Institutionen. In bei-den Bereichen geriet sie in eine Minderheitsposition.

    Die Folgen dieser Politik der SPD deuteten sich bereits mit dem Misserfolgbei den Bundestagswahlen 1949 an, wo sie entgegen verbreiteter Erwartung mit29,2% der Stimmen nur zweitstrkste Partei wurde. Sie zeigten sich aber unber-sehbar bei den zweiten Bundestagswahlen von 1953, als die SPD nur 28,8% derStimmen auf sich vereinigen konnte, whrend die CDU/CSU mit 45,2% fast dieabsolute Mehrheit der Mandate eroberte.

    Diese zweite, noch schwerere Niederlage fhrte unter dem biederen Vorsit-zenden Erich Ollenhauer aber noch nicht zu einer Kurskorrektur. Die Vorstel-lungswelt groer Teile der Mitgliedschaft und des Funktionrskrpers war vontraditionellen reformistisch-antikapitalistischen berzeugungen geprgt. Moder-nisierungskonzepte, wie sie vor allem von ethischen Sozialisten und Sozialre-

    formern ausgingen, die am Ende der Weimarer Republik und whrend der Emig-ration eine Existenz am Rande der Sozialdemokratie gefristet hatten z.B. dieGruppe Neu Beginnen erhielten erst nach den Bundestagswahlen von 1957,als mit der absoluten Mehrheit der Union das Scheitern der bisherigen Politiknicht mehr zu leugnen war, eine Chance.

    Angesichts der erneuten Niederlage war eine programmatische Neuorientie-rung unausweichlich geworden. Der Durchbruch zu einer programmatischenNeuorientierung der SPD als linke Volkspartei gelang auf dem Godesberger Par-teitag von 1959. Das Godesberger Programm vollzog programmatisch den inder Praxis schon lngst vollzogenen Abschied vom Marxismus, der nur noch alseine von mehreren geistigen Traditionslinien der Sozialdemokratie neben dem

    Humanismus, der klassischen Philosophie und der christlichen Ethik genanntwurde. Die entscheidenden Aussagen zu den Zielen des demokratischen Sozia-lismus finden sich im Abschnitt Wirtschafts- und Sozialordnung, der einemarktwirtschaftliche Ordnung mit staatlicher Intervention und Kontrolle derWirtschaftsordnung propagierte.

    Der Weg der Sozialdemokratie von der Arbeiterpartei zu einer Partei desVolkes sei durch den Willen bestimmt, sowohl die alten Krfte des Kapita-lismus zu berwinden als auch der kommunistischen Herausforderung zu begeg-nen. Das Godesberger Programm berwand die noch in der Weimarer Republikvirulente Vorstellung, dass die liberale Demokratie nur eine unvollstndige,durch den Sozialismus abzulsende politische Ordnung sei. Allerdings blieb

    noch immer ein Vorbehalt eingebaut, wenn es hie, dass die Demokratie nurdurch den Sozialismus erfllt werde (Programme der deutschen Sozialdemokra-tie, 1963: 188).

    Eine Revision der auenpolitischen Orientierung enthielt das Programmnoch nicht sie erfolgte ffentlich erst mit einer Rede Herbert Wehners im Deut-schen Bundestag am 30. Juni 1960. Allerdings wurde ein Bekenntnis zur Lan-desverteidigung und zur Verteidigung der freiheitlich-demokratischen Grund-ordnung der Bundesrepublik abgelegt.

    ProgrammatischeErneuerung des

    GodesbergerProgramms von 1959

    Weitere allmhlicheprogrammatische

    Erneuerung

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    25/60

    455

    Damit waren wichtige Schritte in Richtung einer Modernisierung der Pro-grammatik und der ffnung gegenber neuen Whlerschichten getan, die An-fang der 1960er-Jahre durch eine Reihe von Richtlinien und Leitstzen derSPD zu wichtigen Politikfeldern wie der Familien-, Gesundheits-, Rechts- undBildungspolitik und zur Ost- und Deutschlandpolitik ergnzt wurden. Diese all-

    mhlichen Erneuerungsversuche hatten zur Folge, dass die SPD bei ihrem Ein-tritt in die Regierung der Groen Koalition 1966 nicht nur ber ein modernisier-tes Parteiprogramm, sondern auch ber reformpolitische Konzepte in den wich-tigsten Bereichen der Innen- und Wirtschaftspolitik verfgte.

    Wesentlich vorsichtiger agierte sie im Bereich der Ost- und Deutschlandpo-litik, die emotional hoch besetzt war. Es war kein Zufall, sondern bewusste Sym-bolik, dass ber dem Podium des Karlsruher Parteitages von 1964 eine KarteDeutschlands in den Grenzen von 1937 mit der Parole Erbe und Auftragprangte man frchtete, erneut in die Ecke der nationalen Unzuverlssigkeit ge-stellt zu werden und versuchte mglichen Angriffen von vornherein zu entgehen.

    Die SPD war am Beginn der 1980er-Jahre nicht nur innerlich zerrissen, son-

    dern auch so demoralisiert, dass sie gar nicht in der Lage war, kurzfristig aus derKrise herauszukommen (Paterson, 1986). Programmatisch schwankte sie zwi-schen der Godesberger Tradition, dem Modernisierungsansatz der Reformpolitikvom Ende der 1960er-Jahre, vor allem mit ihrem Festhalten an keynesianischenModellen der Wirtschaftssteuerung, reaktivierten altsozialistischen Modellen derVor-Godesberg-Zeit und dem Anpassen an grne Positionen. Weniger er-folgreich war die organisatorische Modernisierung der SPD. Zwar gelang es demjungen Kanzlerkandidaten von 1961, Willy Brandt, einen Wahlkampf nach us-amerikanischem Muster zu fhren und damit Mastbe fr die Wahlkampforga-nisation zu setzen, aber die notwendige Strukturreform des Parteiapparates bliebweitgehend auf der Strecke.

    Positiv machten sich zwar in den 1980er-Jahren die Integrationsbestrebun-gen Hans Jochen Vogels bemerkbar, der nach dem vorzeitigen Rcktritt WillyBrandts zum Parteivorsitzenden gewhlt worden war und erheblich zur innerenKonsolidierung der Partei beitrug, das entscheidende Problem einer politisch-programmatischen und organisatorischen Modernisierung nach dem erfolgrei-chen Vorbild der CDU konnte auch er nicht lsen. Vielmehr war ein weiteresAbrutschen in die programmatische Beliebigkeit zu verzeichnen, die auch nichtdurch einen erkennbaren politischen Gestaltungs- und Machtwillen kompensiertwurde, sodass sich die Wahlchancen auf der Bundesebene immer weiter ver-schlechterten. Politische Fehleinschtzungen im Zuge der deutschen Einheit ta-ten ein briges, um die Chancen der SPD auf dem gesamtdeutschen Whler-

    markt bei den Bundestagswahlen 1990 zu schmlern. Fr die SPD entstand die pa-radoxe Situation, dass sie einerseits als erste Partei den entscheidenden Schritt zurVereinigung der beiden Parteiorganisationen vollzogen hat Willy Brandt war be-reits im Februar zum Ehrenvorsitzenden der neu gegrndeten SPD der DDR ge-whlt worden andererseits aber wegen der erkennbaren Zurckhaltung der Par-teifhrung in Bonn und des Kanzlerkandidaten, Oskar Lafontaine, gegenber einerschnellen staatlichen Vereinigung als Einheitsgegner wahrgenommen wurde.

    Anders als bei der CDU und den Liberalen war die Grndung der gesamt-deutschen Sozialdemokratie nicht mit der Vergangenheit einer Blockpartei be-

    Konflikte um einneues Parteipro-

    grammKrise der SPD in den1980er-Jahren

    Vereinigung mit derSPD der DDR 1990

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    26/60

    456

    lastet. Die SPD konnte aber auch nicht, wie ihre Konkurrenten, eine funktionie-rende Parteiorganisation und breite Mitgliedschaft in Ostdeutschland berneh-men. Das strukturelle Geflle zwischen West und Ost war erheblich. Angesichtsder Kluft in den Mitgliederzahlen (mehr als 800.000 im Westen, ca. 25.000 imOsten) war es nahezu ausgeschlossen, eine strkere Reprsentanz der Vertreter

    aus Ostdeutschland durchzusetzen. Daher vollzog sich die Vereinigung der bei-den Parteien eher als Anschluss der SPD der DDR an die West-SPD.Das auf dem ersten gesamtdeutschen Parteitag verabschiedete Regierungs-

    programm der SPD mit dem Titel Der neue Weg kologisch, sozial, wirt-schaftlich stark lie nahezu jede Perspektive einer gesamtdeutschen Entwick-lung vermissen. Beschworen wurden auch hier die Themen der alten Bundesre-publik. Nur fehlte, wie bei der CDU, das emphatische Bekenntnis zur Einheit.Stattdessen wurden die Risiken des Vereinigungsprozesses betont (Protokoll Par-teitag von Berlin, 1990: 229ff.). Diese Zurckhaltung hat wesentlich zur erneu-ten Niederlage der SPD bei den Bundestagswahlen im Herbst 1990 beigetragen.

    Im Jahre 1983 hatte Ralf Dahrendorf seine provozierende These vom Ende

    des sozialdemokratischen Jahrhunderts formuliert (Dahrendorf, 1983). Er hattedamit eine kontroverse Debatte darber ausgelst, ob sich die zentralen Themender Sozialdemokratie erschpft htten und ihre politischen Strategien berholtseien (Paterson/Thomas, 1986; Merkel, 1993). Bis Mitte der 1990er-Jahre sah esso aus, als ob Dahrendorf Recht behalten wrde, zumal die SPD eine Antwortauf diese Frage und ihre mglichen Konsequenzen schuldig geblieben war.

    Nach der 1994 erneut verlorenen Bundestagswahl wurde der Parteivorsit-zende, Rudolph Scharping, durch eine Art innerparteilichen Putsch von OskarLafontaine abgelst. Nach dem Parteitag gelang es dem neuen Parteivorsitzen-den in den drei Jahren bis zu den Bundestagswahlen 1998 die Partei zu einen undsie als eine politische Kraft zu profilieren, die bereit und in der Lage war, eine

    zunehmend als verbraucht wahrgenommene Regierungskoalition abzulsen. ZuGunsten des vorrangigen Ziels wurden programmatische Debatten eher zurck-haltend gefhrt, die notwendige Strukturreform vertragt und durch die Heraus-verlagerung der Verantwortung fr die Wahlkampffhrung auf eine spezielletask-force (die Kampa) die Politik- und Strategiedefizite der Parteiorganisa-tion umgangen.

    Anders als Mitte der 1960er-Jahre verfgte die SPD bei ihrem Regierungs-antritt 1998 nach sechzehn Jahren Opposition nicht ber eine kohrente politi-sche Reformstrategie. Vielmehr waren Meinungsverschiedenheiten ber wichti-ge Politikfelder die in groen Volksparteien immer vorhanden sind zu Guns-ten einer Machteroberungsstrategie zurckgestellt worden. Das Berliner Pro-

    gramm von 1989 war bereits zum Zeitpunkt seiner Verabschiedung von der vl-lig vernderten politischen Wirklichkeit berholt. Seither sind mehrere vergebli-che Anlufe gemacht worden, zu einem zeitgemen Programm zu kommen.Mehrere Kommissionen und in schneller Folge wechselnde Parteivorsitzendesind bislang an dieser Aufgabe gescheitert.

    In der Regierungszeit Gerhard Schrders gelang es der Partei weder, ein er-kennbares programmatisches Profil zu gewinnen noch eine gewisse Eigenstn-digkeit gegenber den Anmutungen der Regierungspolitik zu bewahren. Sie mu-tierte in atemberaubendem Tempo zu einer Kanzlerpartei. Durch den 2005

    Regeneration derSPD in der zweiten

    Hlfte der 1990er-Jahre

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    27/60

    457

    vollzogenen bergang in die Groe Koalition und angesichts eines erheblichenVerschleies von Parteivorsitzenden seit 1999 (Gerhard Schrder, Franz Mnte-fering, Matthias Platzeck, Kurt Beck) und nicht zuletzt angesichts des dramati-schen Verlustes von Mitgliedern steht die SPD vor der Herausforderung, sich ingewisser Weise neu erfinden zu mssen.

    9.4.4 FDP

    Im liberalen Lager gestaltete sich die Sammlung wesentlich schwieriger. Dieshngt vor allem mit der traditionellen Teilung des liberalen Spektrums in Links-liberale und Nationalliberale seit der Mitte des 19. Jhs. zusammen, die zurSchwche der republiktreuen Krfte in Weimar beigetragen hat. Diese beidenStrmungen entstanden in verschiedenen Konstellationen neu und es bedurfteeines lngeren konfliktreichen politischen und organisatorischen Prozesses, bissie in einer Partei, der FDP, vereint werden konnten. hnlich wie die CDU/CSU

    ist die liberale Partei aus einer Vielzahl lokaler Initiativen in der unmittelbarenNachkriegszeit entstanden.Gemeinsamer Nenner waren Antikollektivismus und Antisozialismus. Erste-

    rer richtete sich nicht nur gegen die SPD (und die KPD), sondern auch gegen po-litische Vorstellungen in der Tradition der katholischen Soziallehre, die in derCDU eine groe Bedeutung hatten.

    In den Anfangsjahren kamen der FDP eine Reihe von Faktoren zugute.Durch die Trennung der Besatzungszonen konnten sich liberale politisch-kultu-relle Milieus in Sdwestdeutschland wieder formieren, ohne einem Uniformi-ttsdruck von auen ausgesetzt zu sein. Eine gewisse Begnstigung erfuhren dieLiberalen durch die alliierte Lizenzierungspolitik, die eine liberale Partei als fes-

    ten Faktor im Parteiensystem vorsah. Angesichts der brgerlichen Sammlungs-bestrebungen unter christlichen Vorzeichen in der CDU konnten sie die Teile desBrgertums an sich binden, die aus einer laizistischen oder antiklerikalen Tradi-tion kamen oder Vorbehalte gegen eine Instrumentalisierung christlicher Wertein der Politik hatten.

    Sie sttzten sich ferner auf antikommunistische Einstellungen im liberalenBrgertum und starke regionale, nationalliberale und konservative Traditionen,welche die FDP dank fehlender Rechtsparteien an sich binden konnte. In derFDP dominierte anfangs der nationalliberale Flgel. In einigen Landesverbndenkamen eher rechtskonservative als liberale Positionen zum Zuge. Auch nachSelbstreinigungsversuchen blieb ein konservativer, teils reaktionrer Nationalli-

    beralismus einflussreich.Die traditionelle Spaltung des liberalen Lagers in Deutschland wurde nach1945 zwar organisatorisch beendet, aber nicht berwunden sie wurde vielmehrin die FDP hineinverlagert. Das Ergebnis war eine lokale und regionale Vielfaltund eine weitgehende Autonomie der Landesverbnde, die mit konkurrierenden,ja sogar einander ausschlieenden programmatischen Vorstellungen unter einemorganisatorischen Dach koexistierten.

    In Baden, Wrttemberg und den Hansestdten Bremen und Hamburg ent-standen liberaldemokratische Landesverbnde, die auch bereit waren, mit den So-

    Linksliberale versusNationalliberale

    Regionale Vielfalt

  • 7/24/2019 Glaesner, Gert-Joachim 2006 - Parteien Und Organisierte Interessen, In Ders. Demokratie Und Politik in Deutschland

    28/60

    458

    zialdemokraten zu kooperieren. In Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen dominierten antisozialistische und nationalistische Ideen. Diese Lan-desverbnde verstanden sich als Teil eines Brgerblocks mit scharfer Gegnerschaftzur SPD. In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ging die Entwicklung zeit-weilig so weit, dass die FDP zu einem Sammelbecken rechtsradikaler Elemente

    und ehemaliger Nationalsozialisten wurde, sodass die FDP dort zeitweilig eherdem rechtsradikalen, als dem liberalen Spektrum zugeschlagen werden musste.Mitte der 1960er-Jahre, als