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Die Politik Theodosius' I. und die Hintergründe des sogenannten Antigermanismus im oströmischen Reich Author(s): Evgenij P. Gluschanin Source: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte, Vol. 38, No. 2 (2nd Qtr., 1989), pp. 224-249 Published by: Franz Steiner Verlag Stable URL: http://www.jstor.org/stable/4436106 Accessed: 21/07/2010 18:14 Your use of the JSTOR archive indicates your acceptance of JSTOR's Terms and Conditions of Use, available at http://www.jstor.org/page/info/about/policies/terms.jsp. JSTOR's Terms and Conditions of Use provides, in part, that unless you have obtained prior permission, you may not download an entire issue of a journal or multiple copies of articles, and you may use content in the JSTOR archive only for your personal, non-commercial use. Please contact the publisher regarding any further use of this work. Publisher contact information may be obtained at http://www.jstor.org/action/showPublisher?publisherCode=fsv. Each copy of any part of a JSTOR transmission must contain the same copyright notice that appears on the screen or printed page of such transmission. JSTOR is a not-for-profit service that helps scholars, researchers, and students discover, use, and build upon a wide range of content in a trusted digital archive. We use information technology and tools to increase productivity and facilitate new forms of scholarship. For more information about JSTOR, please contact [email protected]. Franz Steiner Verlag is collaborating with JSTOR to digitize, preserve and extend access to Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte. http://www.jstor.org

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Die Politik Theodosius' I. und die Hintergründe des sogenannten Antigermanismus imoströmischen ReichAuthor(s): Evgenij P. GluschaninSource: Historia: Zeitschrift für Alte Geschichte, Vol. 38, No. 2 (2nd Qtr., 1989), pp. 224-249Published by: Franz Steiner VerlagStable URL: http://www.jstor.org/stable/4436106Accessed: 21/07/2010 18:14

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DIE POLITIK THEODOSIUS' I. UND DIE HINTERGRUNDE DES SOGENANNTEN ANTIGERMANISMUS

IM OSTROMISCHEN REICH-*

Ein vieldiskutiertes Thema bei den gegenwartigen Untersuchungen zur Spatantike ist die Beurteilung der Ereignisse der Jahre 399-400 im ostromi- schen Reich und dabei zumal in Konstantinopel. Ziemlich lange herrschte in der bisherigen Forschung die Theorie vom sogenannten ,,Siege des Antigerma- nismus" von 0. Seeck vor'. Danach habe sich in den Vorgangen von 399-400 eine lnationale" Reaktion der Romer gegen die germanische Obermacht im Kaiserreich bemerkbar gemacht. Manche Gelehrte sind dieser Vorstellung mit verschiedenen Varianten gefolgt, indem sie versuchten, unter Vermeidung der Extreme in der Seeckschen Terminologie ihre eigenen Folgerungen zu einer Auswirkung des "Antigermanismus" auf das Schicksal des Ost- und Westro- mischen Reiches zu formulieren2. Am Anfang der 30er Jahre, seit der Arbeit von K. Zakrzewski, entstand in der Betrachtungsweise eine neue Richtung, die wieder andere Ursachen und Motive des politischen Kampfes am Ende des IV. Jhdts. sowie vor allem die Identitat jener sozialen Schichten der ostromischen Gesellschaft, die hinter den fuhrenden Politikern in Konstantinopel standen, aufzuzeigen trachtete. So wies K. Zakrzewski auf die Macht und den Einfluf der kurialen Mittelschicht hin, die an der Vertreibung der Germanen interessiert war3. Diese These weiterentwickelnd, war S. Mazzarino der Meinung, dag3 das Wesen des Kampfes von 399-400 der Streit um eine Fortsetzung oder aber eine Aufhebung der Politik des Theodosius' I. gewesen sei. Diese war gegen ein Hauptelement der antiken gesellschaftlichen Ord- nung, die stidtischen Kurien und damit zugleich gegen ihren unitarischen

* Dieser Aufsatz ist die leicht uberarbeitete Fassung eines Vortrags, den ich im Sommerseme- ster 1988 wahrend eines Studienaufenthalts am Seminar fur Alte Geschichte der Universitat Hamburg in Hamburg und Bonn gehalten habe. Fur wertvolle Hinweise und Korrektur bin ich den Herren Professoren D. Hoffmann, P. Herrmann und J. Deininger zu Dank verpflichtet.

0. Seeck, Geschichte des Untergangs der antiken Welt. Berlin 1913, V 314-334. 2 Vgl. nur die wichtigsten: L. Schmidt, Geschichte der deutschen Stamme bis zum Ausgang der

Volkerwanderung. I: Die Ostgermanen. Munchen 1934, 264; E. Demougeot, De l'unite a la division de 1'Empire romain 395-410. Paris 1951, 236 sq.; R. Remondon, La crise de l'Empire romain de Marc Aurele a Anastase. Paris 1964, 191-193; A. H. M. Jones, The Later Roman Empire (284-602). A social, economic and administrative survey. Oxford 1964, 170-181; M. V. Levcenko, Sinezij v Konstantinopole i ego rec' ,O carstve" (= Synesios in Konstantinopel und seine Rede ,De regno"). - UZ LGU 130, 1951, Serie d. Gesch., Heft 18, 222-249; Ju. A. Kulakovskij, Istorija Vizantii (= Geschichte von Byzanz). Kiev 1913, I 160-180.

3 K. Zakrzewski, Le parti theodosien et son antithese. Lemberg 1931, 82.

Historia, Band XXXVIII/2 (1989) ? Franz Steiner Verlag Wiesbaden GmbH, Sitz Stuttgart

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Charakter, gerichtet. Der Kampf der ostlichen ,Traditionalisten' gegen die Fortsetzung der Politik des Theodosius' I. nahm die Form eines allgemeinen Kampfes gegen die Barbaren an4. J. Straub glaubte, der sogenannte ,Antiger- manismus" im ostromischen Reiche sei eine ,sehr entschiedene Reaktionsbe- wegung gegen die offizielle Politik" gewesen, derzufolge den Barbaren Siedlungsgebiete auf romischem Territorium zur Verfiigung gestelit wurden5. G. Dagron, der hinwiederum die ,Nationalpartei" als Fiktion erklarte, nannte als die beiden entgegengesetzten Gruppierungen den Senat zum einen und den zentralen Reichsapparat zum anderen, der sich auf die barbarisierte Armee gestiutzt habe. Daraus sei die antibarbarische Tendenz des senatorischen Antimilitarismus entstanden6.

All diesen Konzepten ist offenkundig gemeinsam, da{3 sie interessante Hypothesen und Fragestellungen enthalten, ohne aber auf einer ausreichenden Argumentation zu beruhen. Ich mochte daher besonders auf zwei neuere Thesen von A. Kozlov und G. Albert hinweisen. Nach A. Kozlov spiegelt sich in den Ereignissen von 399-400 der Machtkampf der verschiedenen Kreise der herrschenden Klasse des Ostreichs wider. Die erste, um den Stadtprafekten Aurelian gebildete Gruppierung, die sowohl aus der Oberschicht der Kurialen wie aus den fuhrenden Kreisen der Kirchen sowie der Handler und Banquiers bestand, war direkt mit dem Polis-Grundbesitzvermogen verbunden und suchte einen ubermachtigen Druck auf die Kurien zu verhindern. Die zweite Gruppierung war die zentrale Beamtenaristokratie, die kein Interesse an dem Schicksal der spatantiken Stadt hatte und sich allein auf Kosten des zentralen Staatsapparats bereichern wollte7. Als eine gesonderte politische Kraft bezeichnet A. Kozlov die ,,militirisch-barbarische Opposition", die aus dem Zusammenbruch des Regierungsprogramms, das eine Umwandlung der Goten

4 S. Mazzarino, Stilicone. La crisi imperiale dopo Teodosio. Roma 1942, 208: ,. . . politica teodosiana, che pareva diretta contro l'organo centrale dello stato antico - la curia cittadina . Ibid., 223: ,. . . il partito antibarbarico era anche, in sostanza, antiunitario: la lotta contro Stilicone - ossia contro l'Occidente - era una forma della lotta generale contro i barbari."

I J. Straub, Parens principum. Stilichos Reichspolitik und das Testament des Kaisers Theodosius. - in: ders., Regeneratio imperii. Aufsatze uber Roms Kaisertum und Reich im Spiegel der heidnischen und christlichen Publizistik. Darmstadt 1972, 214.

6 G. Dagron, Naissance d'une capitale. Constantinople et ses institutions de 330 a 451. Paris 1974, 205: Il y a la evidemment non pas tant une opposition entre le senat et l'administration imperiale qu'une opposition entre les deux faces du senat, le senat-boule, heritier de la vieille tradition poliade, et senat d'Empire, alourdi de tous les fonctionnaires civils ou militaires que l'Etat a recrutes en Orient. ... l'armee barbare et l'opposition du Palais entrent en collusion et la l6gitimit6 est d6.trulte.'

' A. S. Kozlov, Osnovnye certy politiceskoj oppozicii pravitel'stvu Vizantii v 399-400 gg. (= Die Grundzuge der politischen Opposition gegen die Regierung von Byzanz in den Jahren 399-400). - in: Sozial'noe razvitie Vizantii (= Die soziale Entwicklung von Byzanz). Sverdlo'-1- 1979, 23-31.

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unter Fritigerns Leitung zu Kolonen vorsah, erwachsen sei8. In diesem Punkt

ist die Vorstellung A. Kozlovs bis zu einem gewissen Grade der jungst

geaufierten Auffassung von G. Albert ahnlich. Nach Albert war der Heerfiuh- rer Gainas ein vollig selbstandiger Machtfaktor, dessen Auszug gegen die Zentralgewalt eine ninnere Krise" in den Jahren 399-400 hervorgerufen habe. Indem er die Begriffe ,Antigermanismus", ,antigermanische Reaktion", ,,Barbarenkrise" ablehnt, meint Albert: "Es handelte sich um egoistische Machtkampfe einzelner oder mehr oder weniger loser Interessenkoalitionen, nicht um prinzipienfeste ideologische Auseinandersetzungen"9. Und gerade der egoistische Machtkampf habe die fiihrenden politischen Krifte der Hauptstadt gen6tigt, mehrfach mit Gainas zu paktieren. Das waren die Hauptgriinde dieser ,,inneren Krise". Der Autor legt dabei entscheidendes Gewicht auf die Bedeutung der personlichen Beziehungen in Konstantinopel, vor deren Hintergrund die Rede ,,De regno" des Synesios nur als Abschrek- kungsmittel fur Gainas, aber nicht als eigentliches Programm einer antigerma- nisch-nationalen Partei zu sehen seil'. Die Studie von G. Albert ist zur Zeit die einzige unter den Arbeiten der antiseeckschen Richtung, die ausfuihrlich und sorgfaltig gerade die Hintergrunde der Ereignisse von 399-400 analysiert. Doch auch in ihr sind nicht alle Argumente der klassischen Theorie des Antigermanismus historisch uberpriift worden, wie ebensowenig samtliche in Betracht kommenden Ursachen erforscht worden sind. Z. B. wurden manche Thesen Zakrzewskis und Mazzarinos augDer acht gelassen oder doch nicht genauer gewurdigt. Der Autor hat sich damit begniigt, die Ansichten der beiden Forscher als phantasievoll zu bezeichnen. All dies mug zu einem abermaligen Aufgreifen dieses Themas einladen.

Denn eine der wichtigsten Thesen 0. Seecks, die als der Ausgangspunkt seiner Antigermanismus-Theorie bezeichnet werden kann, ist bis heute augerhalb jeglicher Kritik geblieben: ,,Die Reinigung des Heeres von barbari- schen Fiihrern dauerte fort und fand auch unter dem Nachfolger des Aurelianus, Anthemius, noch nicht ihr Ende. Auger den Armeniern oder Persern . . . tragen bis zum Sturze des Anthemius im J. 415 alle bekannten

Offiziere des Ostreiches romisch-griechische Namen; das kraftige germani-

S A. S. Kozlov, K voprosu o meste gotov v sozial'noj strukture Vizantii IV-V vv. (= Zur Frage

der Stellung der Goten in der Sozialstruktur von Byzanz im 4. und 5. Jhdt.). - ADSV, 1973, Lief.

9, 114-119. 9 G. Albert, Goten in Konstantinopel. Untersuchungen zur ostromischen Geschichte um das

Jahr 400 n. Chr., Paderborn 1984, 80; 181. 10 Ibid. 82. In der heutigen Forschung besteht die Tendenz, den sogenannten Antigermanismus

nur als eine auf den Schriften des Synesios beruhende Illusion anzusehen. Ich verweise in diesem

Zusammenhang auf G. Dagron, Naissance 204 f. sowie auf eine von F. Paschoud in seiner

Zosimos-Ausgabe (ilI I p. 146) erwahnte, aber noch nicht erschienene Arbeit von A. Cameron.

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sche Element ist ganz verbannt"I. Gerade aus der behaupteten sogenannten ,,Entgermanisierung" des Offizierkorps nach dem Jahre 400 zog man die entsprechende gegenteilige Schluffolgerung von einer Ubermacht der Barba- ren im Staatsapparat zu Ende des IV. Jhdts. Und in eben dieser ,Entgermani- sierung" wieder sah man die Realisierung des politischen Programms einer nantigotischen" Partei'2. Folglich mufg man zunachst einmal die real vorhan- dene Situation der Barbaren in den fiihrenden Stellen der Militarorganisation unter Theodosius I. genauer rekonstruieren, um eines der entscheidenden Argumente bzw. eine ,antigermanische" damalige Politik zu uberpriufen.

Nur sechs unter den zwanzig uns bekannten duces und comites des Theodosius waren barbarischer Herkunft, wobei nur drei von ihnen Germa- nen waren (Cariobaudes, Merobaudes, Gainas)'3. Drei weitere waren Orienta- len (Hormisdas, Saul, Bacurius) 4, die stirker romanisiert waren als die Germanen und aus vornehmen kaukasischen und persischen Familien stamm- ten. Hormisdas war sogar im Imperium geboren'5. Bis zu einem gewissen Grade gibt uns schon dieser Umstand die Moglichkeit, den Anteil der Germanen an einer Ubermacht der Barbaren im Staatsapparat des Ostreiches einzuschatzen: das Verhailtnis zwischen romischen und germanischen duces und comites betragt, wie gezeigt, 17:3. Auf der Stufe der magistri militum gab es quantitativ mehr Germanen: Modares, Richomer, Hellebich, Buterich 6. Nicht zu ihnen darf man freilich Stilicho zahlen, der reichsgeboren war, um so weniger, als er im Osten nur sehr kurze Zeit als Heermeister tatig war und dann mit Theodosius nach dem Westen gezogen und dort geblieben ist. Parallel zu den Germanen finden sich in den Heermeisterimtern acht Romer (Maiorian, Saturninus, Timasius, Promotus, Moderatus, Abundantius, Vic- tor, Julius) und zwei Orientalen (Sapor, Addaeus)"7. Immerhin sind diese Proportionen in erheblichem Maf3e als formal zu betrachten, weil sie das

0. Seeck, Arkadios. - RE 11 (1896) 1151. 12 Z. B. E. Stein, Geschichte des spatromischen Reiches. Wien 1928, 361-362; Remondon,

Crise 21 1; Jones, LRE 181. 13 PLRE 1 181; 598; 379-380. 14 PLRE I 443; 809; 144. Siehe dazu A. Demandt, Magister militum. - RE Suppl. XII (1970)

710-726; A. Lippold, Theodosius I. - RE Suppi. XIII (1973) 939; J. Doise, Le commandement et l'armee romaine sous Theodose et au debut des regnes d'Arcadius et d'Honorius. - MEFR 61, 1949, 183-194; D. Hoffmann, Wadomar, Bacurius und Hariulf. - MH 35, 1978, 307-318.

'5 Dazu H. Castritius, Zur Sozialgeschichte der Heermeister des Westreichs. Einheitliches Rekrutierungsmuster und Rivalitaten im spatromischen Militaradel. MIOG 92, 1984, 33: ,,Vielleicht hat die Herkunft aus dem Reichsgebiet doch eine grolere Rolle gespielt, als ihr gemeinhin zugebilligt wird. Erst die jeweils folgende Generation, die Sohne der Reichsfeldherren und Heermeister, wiesen den Makel einer Geburt jenseits der Reichsgrenzen nicht mehr auf, einen Makel, mit dem auch ein noch so trotziger und sich ungebuhrlich auffiihrender Isaurier- oder Maurenfurst nicht stigmatisiert war".

16 PLRE I 537; 807; 914; 750-751; 605; 4-5; 957-959; 481 PM 15. 17 PLRE 1 13; 803. Zur orientalischen Herkunft von Addaeus Lippold, Theodosius I. 939.

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Verhailtnis zwischen hoheren germanischen und romischen Offizieren wah- rend der ganzen Herrschaft des Theodosius widerspiegeln. Die tatsachliche Situation im einzelnen sah anders aus. Nachrichten iuber Modares fehlen nach dem J. 382, iuber Hellebich nach 387; im Jahre 390 wurde Buterich ermordet; im Jahre 393 war Richomer gestorben. Damit waren keineswegs alle Spitzen- stellen des Militarapparats im Ostreiche wahrend der letzten Regierungsjahre des Theodosius von Germanen besetzt.

Eine Analyse der Karrieren der h6heren Offiziere des Ostreiches von 379 bis 395 erlaubt die Vermutung, daf3 die Romer die fuhrende Rolle in der Militarorganisation spielten. Ein Kommando iiber Sprengelmagisterien fiihr- ten von den Germanen nur Hellebich und Buterich. Vielleicht hatte Theodo- sius Hellebich zum magister militum per Orientem ernannt, um die Goten und ihre Fuihrer, die zufolge des Gotenmassakers des Heermeisters Julius (378) aufs hochste erregt gewesen sein miissen'8, unmittelbar nach dem Abschluf3 des foedus von 382 zu beschwichtigen. Julius wurde wahrscheinlich um das Ende des Jahres 382, nach Ablauf seiner Dienstzeit, verabschiedet. Die Berufung des Hellebich in das recht unproblematische Sprengelkommando Orient war fur die Regierung nicht gefahrlich, um so weniger, als der General in hohem Mage hellenisiert war und gar in Briefwechsel mit Libanius stand19. Es ist nichts Bemerkenswertes wahrend der relativ friedlichen Jahre seiner Kommandozeit von 382 bis 387 bezeugt, auger der antiochenischen Revolte von 387. Der 379-381 erfolgreich gegen die Goten kampfende und von den Romern lobend erwahnte Modares20 fiihrte keinerlei diplomatische Verhandlungen mit den Goten. Ein Friedensvertrag mit diesen wurde erst von Saturninus geschlos- sen21. Aber auch die entscheidenden Kriegsoperationen im Balkanraum wurden praktisch nur von den Romern durchgefuhrt: den Sieg uber die Greutungen 386 errang Promotus22; Theodosius, Promotus und Timasius kampften 391 gegen eindringende Barbaren23. Eine ernstzunehmende und gefahrlichere Figur unter den germanischen Heermeistern war fur die Regie- rung allenfalls Buterich, der sich in bedeutendem MaBe auf die aus seinen Stammesgenossen zusammengesetzten Truppen stutzte24. Es ist nicht genau bekannt, wie lange er Magister militum per Illyricum war, aber wahrscheinlich war es nur kurze Zeit. Bis zu dem offenen Bruch mit dem westr6mischen

18 Amm. XXXI 16,8. "9 Lib. Ep. 2; OR. I, 232. 20 Zos. IV, 25,2; Greg. Naz.Ep. 136. 21 Cons. Const. a. 382. 22 Zos. IV, 35,1. 23 Zos. IV. 49,3; vgl. Zos. IV, 50,1: (Theodosius) atlltTa(ICt T& YE0( TalrTa (= die Kriege mit

den Barbaren) [IQooYu .. 24 Zur Problematik der Herkunft dieser Truppen M. Waas, Germanen im romischen Dienst im

4. Jhdt. n. Chr., Bonn 1965, 94.

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Usurpator (387) hatte sich Theodosius um die Besetzung des Heermeisteram- tes von Illyricum kaum selbst gekummert, weil dies ein Vorrecht des westr6mischen Kaisers war, wie der Fall des von Gratian entsandten Vitalianus zeigt, der der letzte uns bekannte Inhaber dieses Postens vor Buterich ist2S.

Wenn man in Betracht zieht, dal3 die Foderatenkommandeure auf dem Feldzug von 394, Gainas und Alarich, keinen Magisterrang bekamen26, so liegt die Vermutung nahe, dag Theodosius, soweit es moglich war, bei Ernennung der hochsten Militars des Ostreiches auf Romer zuruckgriff.

Die gleiche Situation zeigt sich bei den comites und duces wihrend der letzten Regierungsjahre des Theodosius: um 384 verschwinden jegliche Erwihnungen des Hormisdas, Cariobaudes und Merobaudes aus den Quellen. Bacurius fiel am Frigidus27; der Kommandeur der alanischen Reiterei Saul erscheint spater, wie etwa Stilicho, im Dienste Westroms28. Alarich, der an der Spitze rebellierender Foderaten stand, stellte sich de facto auferhalb des Reiches. Gainas blieb nach dem Sieg iiber Eugenius und nach dem Tod des Theodosius zusammen mit den ostromischen Truppen vorubergehend noch im Westen. Es scheint also, dag es keine hinreichenden Griinde gibt, von einer Ubermacht der Germanen im Militirapparat des Ostreiches unter Theodosius I. und zumal wahrend der letzten Jahre seiner Regierung zu sprechen. Wenn man beriucksichtigt, daf3 seit 397 von den Germanen nur Alarich offiziell ostromischer Magister war29, kommt man zu der Erkenntnis, da? die antigermanischen Augerungen des Synesios gerade in betreff einer angeblich enormen Zahl von Germanen auf militarischen Spitzenposten keine zutref- fende Kritik der theodosianischen Militirpolitik darstellen. Andererseits kann diese Kritik nicht blog; tagespolitischen Charakter gehabt haben, sondern sie war gegen die frischernannten hochsten Militars - Alarich, Gainas, teilweise auch gegen Tribigild und Fravitta - gerichtet. Doch solange sie unter Theodosius Kommandeure der Foderaten und Deditizier waren, war die tagespolitische Kritik an ihnen auch Ausfluf3 einer Kritik an den grundlegen- den Prinzipien der Foderatenpolitik dieses Kaisers iiberhaupt. Schliefilich stellt sich, um zusammenzufassen, die Frage: von wem hatte man den Militarappa- rat des Ostreiches nach dem Untergang von Gainas und Tribigild, nach der Hinrichtung des Fravitta und nach Alarichs Weggang nach Westen noch entgermanisieren sollen? Und umgekehrt: das Erscheinen von Barbaren

25 Amm. XXV, 10, 9; Zos. IV, 34, 1; vgl. D. Hoffmann, Das spatr6mische Bewegungsheer und die Notitia Dignitatum. Dusseldorf 1969, I, 460.

26 Dazu L. Virady, Das letzte Jahrhundert Pannoniens 376-476. Amsterdam 1969, 72; 78-80. Hoffmann, op. cit. 1 32; ders., Wadomar, 307-308.

27 Zos. IV, 58, 3. 28 Zos. IV, 57, 2. 29 Claud. In Eutrop. II, 214.

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(Plintha, Areobindus, Ardabur)30 auf den Posten der ostromischen magistri militum am Ende des ersten Jahrzehnts des 5. Jhdts. bezeugt doch, dafl diese die niedrigeren Stadien ihrer Offizierslaufbahn jedenfalls schon wahrend der sogenannten ,Entgermanisierung" absolviert haben mussen.

Folglich kann man die Ursachen und Motive der Miflgunst den barbarischen Foderaten gegeniiber sowie auch die Kritik an der sogenannten gotenfreundli- chen Politik Theodosius' I. schwerlich zutreffend erklaren, wenn man nur von der tagespolitischen Situation ausgeht. Vor allem ist darauf hinzuweisen, dal3 die tatsachliche Politik des Theodosius in Bezug auf die Barbaren im Grunde genommen antibarbarisch war. Die Ereignisse von 379-381 im Balkanraum zeigen, dai der Kaiser das gotische Problem zuerst mit kriegerischen Mitteln zu losen versuchte, d. h. die Goten zu zwingen, zu den Bedingungen aus der Zeit vor 376 zuriickzukehren, als sie noch jenseits der Donau gewohnt und gemali des alteren foedus lediglich nach romischer Aufforderung ihre Abtei- lungen zur Verfiigung zu stellen hatten31. In den Jahren 379-381 war kaum die Rede von einer neuen Foderatenpolitik. So traten beispielsweise alle Fahnen- fliichtigen aus Fritigerns Lager direkt in romische Einheiten ein32. Theodosius strebte hartnackig nach einer Unterwerfung der Goten ausschlieglich mit Waffengewalt, nachdem schon Gratian mit den Alanen und Sarmaten ein foedus geschlossen hatte33. Von Ende 381 bis zum Abschlug des Friedensver- trages am 3. Oktober 382 herrschte praktisch Waffenruhe, weil beide Seiten ermattet waren und schwere Verluste erlitten hatten. Wahrend dieser Atem- pause erkannte Theodosius, dali die Politik der Aufspaltung der Goten in verschiedene Gruppen und die schrittweise durchgefuhrte Unterwerfung sich nunmehr totgelaufen hatte. Deshalb entschied er sich fur den Abschlug eines foedus mit dem neu begriindeten militarischen Kern der Goten, der sich im Verlauf des Aufstandes 376-382 gebildet hatte34. Diese bis zu einem gewissen Grade notgedrungene Malinahme bekam nach etwas mehr als einem halben Jahr einen neuen militar-politischen Sinn: im Friihjahr35 383 erfolgte die Usurpation des Maximus. Theodosius brauchte angesichts der neuen politi- schen Situation ein starkes Foderatenkorps, um so mehr als die Wiederherstel- lung der zahlenmai3igen Starke36 der ostromischen Feldarmee nach der

30 PLRE, II, 892-893; 137-138; 145. Vgl. Jones, LRE, 181-182. 31 Siehe unten. 32 Zos. IV, 30,1: ... .TobS akoR6Xovo HV6tetELV T?to 0TQaTLYULXOLg T6ygaLOLV &I(LXVOtii-

vog. Vgl. Zos. IV, 31, 1, wo es um romische Deserteure geht. Jordanes zu der Entwicklung nach dem Tod Athalarichs: ,eius exercitus . . . cum milite velut unum corpus effecit". (Get. 28, 144).

33 Zur Problematik dieses foedus Virady, Pannonien, 36. 34 Dazu H. Wolfram, Geschichte der Goten. Munchen 1979, 156-158. 35 W. Englin, Maximus 33 - RE XIV, 2 (1930) 2547. 36 Uber romische Verluste D. Hoffmann, Das spatromische Bewegungsheer und die Notitia

Dignitatum. Dusseldorf 1969, I, 455-458.

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Katastrophe von Adrianopel noch nicht beendet war. Die Schlacht am Frigidus 394 bezeugt im iibrigen ziemlich klar, dag nun Theodosius lieber die Reichstruppen als die Foderaten geschont hat, die er denn ohne Skrupel an den gefahrlichsten Stellen einsetzte37.

Wahrend seiner ganzen Regierungszeit war Theodosius bemuht, die Zahl der Foderaten, wie sie unter den Bedingungen der Goten nach dem foedus vom 3. Oktober 382 angesiedelt worden waren, nicht mehr zu erh6hen. Die differenzierte Politik der Romer beziiglich der Barbaren am Ende des IV. Jhdts. orientierte sich dann am Ausmag der militirischen Niederlage der letzteren. Ein klassisches Beispiel ist das Schicksal der von Promotus im Jahre 386 besiegten Greutungen, deren Uberlebende in Phrygien als dediticii angesiedelt wurden38; auch bei den eingedrungenen Bastarnern kam nicht etwa ein foedus zur Anwendung39. Man darf mithin vermuten, dag das Endziel der Fdderatenpolitik des Theodosius sehr wohl eine allmahliche Ausrottung der Goten in verschiedenen Kriegen war, ohne daf3 jene etwa dazu ausersehen gewesen waren, das Foderatenkorps des neuen Typus mit frischen Kontingen- ten zu fullen. Nach der Schlacht am Frigidus hat sich der Kaiser gar so weit gestarkt gefuhlt, daIs er den ausgebluteten Foderateneinheiten keine sonderlich grolen Donative gewahrt hat40.

Die Politik des Theodosius im Bereich des Aushebungswesens gleich nach seiner Ernennung zum Augustus des Ostens zeigt ebenfalls, dag der Kaiser das Gotenproblem vorwiegend mit kriegerischen Mitteln zu losen versuchte, indem er sich fast auf die eigenen Ressourcen im Ostreich stiitzte. Dabei wurde vor allem der Druck auf die zum Erbzwangsdienst verpflichteten Personen verstarkt: allein von Mai bis September 380 wurden drei Gesetze mit der Anordnung des Kriegsdienstes fur Veteranenkinder promulgiert, ohne daf3 man die Alternative dazu in Gestalt einer Erfiillung der Dienstpflicht mittels der kurialen Lasten in den ostlichen Provinzen hatte bestehen lassen4. In den Donauprovinzen wurde dieses Optionsrecht nur Familien, die viele Kinder hatten, gewahrt42. In den ersten Jahren nach der Katastrophe von Adrianopel legte Theodosius grogen Wert auf die regulire Aushebung und dabei vor allem auf ihre Hauptform, die protostasia (direkte Rekrutengestellung). Alle mogli- chen Ersatzformen, wie das aurum tironicum und die prototypia, wurden

3' Oros. VII, 35, 19: Ita et hic duorum (-=Arbogast und Eugenius) sanguine bellum civile restinctum est, absque illis decem milibus Gothorum, quos praemissos a Theodosio Arbogastes delesse funditus fertur: quos utique perdidisse lucrum et vinci vincere fuit. Vgl. Rufin. HE, II, 33; Zos. IV, 58, 2; Soc. V, 25.

38 Zos. IV, 39; Claud. In Eutr. II, 205; Cons. Const. a. 386. 39 Zos. IV, 49. 40 Zur Problematik siehe Wolfram, Goten, 164-165. 41 CTh, VII, 22, 9-11. 42 CTh, VII, 22, 11.

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abgeschafft43. Daruberhinaus scheint Theodosius, der eine kampffahige Armee brauchte, vor allem darauf bedacht gewesen zu sein, die an schwere Arbeit gewohnten und also den Strapazen des Militardienstes gewachsenen Bauern fur sein Heer auszuheben44. Vegetius z. B., der unverkennbar das theodosiani- sche Konskriptionsprogramm widerspiegelt, empfiehlt bei der Aushebung nicht so sehr auf die Statur, als vielmehr auf die Korperkraft zu achten45. Dagegen blieben die Sklaven sowie die Angehorigen jener Berufe, die nach damaliger Auffassung durch ihren unehrenhaften Charakter stigmatisiert waren, vom Militardienst ausgeschlossen46. Jeglicher Versuch einer Gestellung gebrechlicher Menschen bei der Rekrutierung wurde schwer bestraft47. Die Konskription betraf alle Provinzen ohne Ausnahme. Sogar aus Agypten, das als Kornkammer des Reiches diente, und dem sonst, wie es scheint, der Staat keine Arbeitskrafte entziehen wollte, kam ein Rekrutenkontingent48. Der Druck des theodosianischen Aushebungsprinzips wird durch den Vergleich zweier im Jahre 380 promulgierter Gesetze treffend veranschaulicht: ,Wenn ein Sklave einen Fahnenfliuchtigen verrat, wird er mit der Freiheit belohnt"49; ,wenn ein Temonarius (der fur die Rekrutengestellung verantwortliche Munustrager) einen Fahnenfluichtigen verrat, wird er von der Belastung der protostasia fur die Zeit von zwei Jahren befreit"50.

Eine ganz andere Situation herrschte in der Konskriptionsordnung unter Valens, der in der Praxis mehr das Prinzip der prototypia (Adaration der Rekruten) angewandt hatte, wahrend bei der protostasia (direkte Gestellung der Rekruten) die possessores versucht waren, unbrauchbare Menschen ihrer Landguter loszuwerden51. Laut Sozomenus forderte Valens statt der Aushe- bung von Rekruten aus den romischen Stadten und Dorfern Geld fur das Heer52. Auf den ersten Blick war die Konskriptionspolitik des Valens inkonsequent: der Kaiser verkundete bald die Verstirkung der praebitio tironum, bald gestattete er, vom aurum tironicum reichlich Gebrauch zu

43 CTh, VII, 13, 8-11. Zu anderen Rekrutierungsmaglnahmen des Theodosius. D. Hoffmann, Bewegungsheer I, 462-463.

44 Vgl. Them. Orat. XIV, 181 b: nOLEL; bt "T XaiL T0J Y7WQYOfV;WOIEQO-g 1TCt PQPI6CQOLq

45 Veg. De re mil. I, 5: Si ergo necessitas exigit, non tam staturae rationem convenit habere quam virium.

46 CTh, VII, 13, 8: quem obsequii deformitas militia secernit; vgl. Veg. I, 7. 47 Ibid. 48 Zos. IV, 30; Wilcken, Chrest. 469. 49 CTh, VII, 18. 4, 1: At vero si desertorem servus prodiderit libertate donetur. 50 CTh, VII, 18, 3: Si temonarius prodiderit desertorem, protostasiae onere biennio relevetur. -5 Veg. De re mil. 1, 7; dazu L. Varady, New evidences on some problems of the late Roman

military organisation. - AAASH 9, 1961, 340-341. 52 Soz. VI, 37, 16: xaL &VuI TIV tiO06TWv ti; oTtTaE(tV AMkLYEOOaL EX TWV vno6 TPwwzMot;

r6Xe6v TE xai XCO[Ld)V x(lUO3OV e1oe3TQ&ttEto.

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machen53. Meines Erachtens war diese Politik des Valens eine direkte Folge des Prokop-Aufstands, bei dem der Usurpator von den Balkanprovinzen, Valens dagegen von der munizipalen Oberschicht des Ostens unterstiutzt worden war54. Darum forderte der Kaiser kategorisch Rekruten nur aus Thrakien55, wahrend er dem Osten prototypia-Moglichkeiten anheimstellte. Er bemuhte sich, ohne Beeintrachtigung der Vermogensinteressen des 6stlichen Munizipal- adels, die rekrutierungsfluichtigen Personen aus den Kiostern zum Militir- dienst zu zwingen56. Aber er beliet3 den ostlichen possessores die Arbeitskrafte auf ihren Landgiitern. Allmahlich fiihrten diese MaBnahmen im Aushebungs- system indessen zu einer Krisensituation, die durch folgende Umstande belastet wurde: 1. die standigen Kriege des Valens und, als ihre Folge, dringende Bedurfnisse der Truppenerganzung; 2. eine starke Schrumpfung des Soldnermarktes nach dem gotischen Kriege von 366-369 infolge der schlechten Beziehungen zu Athalarich. Im Jahre 375 war Valens genotigt, eine Neurege- lung der Konskriptionspraxis zu beginnen. Das beruhmte Gesetz CTh. VII, 13,7 bezeugt jedoch, dag die bisherigen Widerspruche bestehen blieben. Der Kaiser setzte lediglich feste Preise fir Rekruten fest, schaffte aber das aurum tironicum nicht vollig ab. Bis zu einem gewissen Grade kann man unter diesen Umstanden die freudige Eile verstehen, mit der der Hof des Valens im Jahre 376 von der Moglichkeit Gebrauch gemacht hat, die Krisensituation im Aushebungssystem mit Hilfe der vor den Hunnen fliehenden Goten zu bewaltigen. Das Erscheinen der Goten "gab, nach Ammian, mehr zu Freude Veranlassung als zur Furcht . . ., denn aus den entferntesten Landern bringe es so viele Rekruten und biete sie ihm (= Valens) wider Erwarten an, daf3 er seine eigenen mit den fremdstammigen Streitkraften vereinigen und sich ein unbesiegbares Heer schaffen konne. Anstelle des Mannschaftsersatzes, dessen Kosten jahrlich nach Provinzen bezahlt wiirden, kame jetzt eine grofge Menge Goldes ein"5.

Die Niederlage des Valens bei Adrianopel und die Ernennung des ehemali- gen westrbmischen Generals Theodosius zum Augustus des Ostens schufen eine Reihe praktischer Voraussetzungen zum Verzicht auf die friihere, fur die Kurialen der ostlichen Provinzen recht gunstige Konskriptionspolitik. Theo- dosius hatte keine engeren Verbindungen zum Munizipaladel des Ostens, und die dringende Notwendigkeit zur Wiederherstellung der Feldarmee belastete

53 CTh, VII, 13,7. 54 G. L. Kurbatov, K voprosu o territorial'nom rasprostranenii vosstanija Prokopija (=Zur

Frage der territorialen Verbreitung des Prokop-Aufstandes). - Vizantijskie ocerki 1961, 64-92. 55 CTh, VII, 13,2 - Marcianopolis. 56 CTh, XII, 1, 63; Hier. Chr. a. 377; Oros. VII, 33,3; dazu R. Remondon, Problmes

militaires en Egypte et dans I'Empire a la fin du IV' siecle. - Revue historique 213, 1955, 34. 57 Amm. XXXI, 4, 4; Oros. VII, 33, 10: Gothi transito Danuvio fugientes, a Valente sine ulla

foederis pactione suscepti ...

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nun durch protostasia die Ostprovinzen. Klagen uber den neuen Steuerkurs wurden schon 379 bei dem pessimistisch gestimmten Libanius laut58. Der Kuriale Synesios schlagt in seinem Programm zu einer Reform des Heeres direkt vor, auger der lindlichen Bevolkerung vermehrt Einwohner der Stidte (die bei der protostasia-Regelung in hohem Mage von Aushebung frei blieben), und zwar die Angehorigen der ,,stigmatisierten" Berufe, zu rekrutie- ren: ,Lassen wir darum den Philosophen aus der Schule, den Handwerker aus der Werkstatt, den Handler aus dem Geschaft herausholen. Lassen wir diesen larmenden, miiiggangerischen und seine Zeit in Theatern verbringenden Pobel zu den Fahnen rufen . . ."59. Diese Aussagen kann man schwer als nur tagespolitisch bestimmt verstehen, weil im Jahre 396 gleichzeitig zwei Gesetze zum Zweck einer verstarkten Anwendung der protostasia ver6ffentlicht wurden60. Genau genommen waren die Klagen der Besitzer iuber die Burden der Militarausgaben am Ende des IV. Jhdts. nur fur das Ostreich relativ neu. Im Westreich entstand, im Gegensatz dazu, ein beriihmtes anonymes Reform- programm zur Herabsetzung der Kosten fur die Armee. Eine oft zitierte Passage der Historia Augusta (Al.Sev.58) zur Einfuhrung der Selbstversor- gung im Heere war nichts anderes als ein vorsichtig ausgedriickter Vorschlag fur Reformen im Bereich der Militarfinanzen61. Das unterstreicht nochmals die Milde des Valens'schen Rekrutierungskurses und die Strenge der Konskrip- tionsmagnahmen des Theodosius.

Die Kurialen sahen die Ursachen der ruinosen protostasia, fur die keine Moglichkeit des Ersatzes durch das aurum tironicum bestand, in der Fodera- tenpolitik des Theodosius, der den neuen Typus der reichsangehorigen Foderaten schuf. Die Bezahlung dieser Foderaten war nicht periodisch, wie vor 382, sondern stindig. Wie A. Kozlov gezeigt hat, war der Vertrag von 382 das Eingestandnis eines Fiaskos des Regierungsprogramms zur Umwandlung der Goten in Landpachter, da in den Quellen tatsachlich nirgends vom Ackerbau der Goten die Rede ist. Dieser Umstand erhohte die Steuerlast62. Demgegenuber war die Situation der Barbaren in der Periode vor der Schlacht von Adrianopel ganz anders gewesen. Bis dahin wurden alle barbarischen

58 Lib. Or. XXIV, 16: xaL v1vv 6dL IOVS yEO)QyOVU TIXOpEV TWV V TO0; OIEXOLS 343WX6T(OV

oixo,i?vwv.

59 De regno, 19: Jv 4 i xCxi Tov t%6aoopov &ti TOV oWQOVTLOTL, XaO t T6V %6Et TQOt)v1qV

d(3U1 IoV) vavwwoeiv &vacauavneg, xai d&no TOiV nWkTTLO' U I6V 6vriTa n6 TO-p T6v TE

X-qtva biftov, 605M6 TVI xr6tavU crXokoS &cXCtco3L0 TOig ft6T(OLC .

60 CTh, XI, 23, 3-4. 61 Zu dieser Problematik vgl. Aspects of the De rebus bellicis. Oxford 1979 (BAR, Intern. Ser.

63, 1); F. Kolb, Finanzprobleme und soziale Konflikte aus der Sicht zweier spatantiker Autoren

(Scriptores Historiae Augustae and Anonymus de rebus bellicis) in: Studien zur antiken Sozialgeschichte: Festschrift F. Vittinghoff, Koin, Wien 1980, 497-525; vgl. auch Greg. Naz. Or. XIX 14 (= PG, XXXV, 1061): nr6XEsot bt w6Qwv natQ?Eg.

62 A. Kozlov, Osnovnye certy, 114-119.

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Stamme von den romischen Behorden auf Reichsterritorien nur als staatlich- militarische Kolonen angesiedelt: z. B. die von Diokletian geschlagenen Karpen63, die von Konstantin aufgenommenen Sarmaten-Akraganten64 und die von Constantius II. besiegten Sarmaten-Limiganten65. Nach Ammian ,gelob- ten die Sarmaten einen jahrlichen Tribut zu zahlen, eine Auswahl junger kriegstiuchtiger Mannschaft zu stellen und Dienst zu leisten"66. Man darf vermuten, dag3 einer der entscheidenden Punkte des Reformprogramms des Synesios das Streben der possessores nach Riickkehr zu den Normen der Foderatenpolitik aus der Zeit vor der Schlacht von Adrianopel war, die die Stadte nicht belasteten: ,,Richte also deinen Zorn gegen diese Leute. Lag sie entweder Landarbeit in Abhangigkeit treiben, oder sie sollen auf dem gleichen Weg, auf dem sie gekommen sind, wieder verschwinden .*.". . Es ist anzunehmen, daf3 dieser Punkt in der Rede traditionelle Wurzeln hatte. Andererseits war er insofern politisch aktuell, als er konkret gegen die Foderaten Alarichs gerichtet war68, die keinen Ackerbau betrieben und vom Staate bezahlt wurden. Folglich macht sich an dieser Stelle der Rede ein echter programmatischer Antigermanismus geltend, nicht nur seitens des Synesios selbst, sondern auch seitens breiter Schichten der Landbesitzer im Ostreich.

Eine Analyse der juristischen Quellen und der Schriften des Libanius zeigt, dai3 gerade seit den 80er Jahren des IV. Jhdts. der Wohlstand der Kurialen zerruttet wurde69. Es war eine direkte Folge des zunehmenden Steuerdrucks unter Theodosius. Zu dem Anwachsen der Steuerforderungen in den 80er Jahren des IV. Jhdts. trug nicht nur die Notwendigkeit bei, sich auf seine eigenen Krafte zu stutzen, um die negativen Konsequenzen der Katastrophe von Adrianopel zu uberwinden, sondern auch die Verscharfung der Beziehun- gen zum Westreich wahrend der Usurpation des Maximus, die Theodosius nach einigen Jahren zur Kriegsvorbereitung zwangen. Die kaiserliche Verord- nung zur Superindiktion gab 387 unmittelbaren Anlagi zur sogenannten Statuenrevolte in Antiochia, an der tatsachlich alle Einwohner der Stadt teilnahmen, die irgendwie zu den Besitzenden gerechnet werden konnten'?.

63 Amm. XVIII, 1,5; Cons. Const. a. 295. 64 Anon.Vales. I, 32; Cons. Const. a. 334. 65 Amm. XVII, 13,3; XIX, 11. 66 Amm. XVII, 13, 3: tributum annuum dilectumque validae iuventutis et servitium

spoponderunt. 67 Syn. De regno, 21: OeuRov o v O aiV -o tog 'aVQvag, xai fl yeWQyOOVOLV t fLT yLItXOg,.

n (PEf~OvtaL TlV WrTilV 660V ot.u? . . . 68 So auch bei Albert, Goten, 59. 69 G. E. Lebedeva, Social'naja struktura rannevizanti'skogo obisestva (= Sozialstruktur der

fruihbyzantinischen Gesellschaft). Leningrad 1980, 141-142; J. H. W. C. Liebeschuetz, Antioch. City and imperial administration in the later Roman empire. Oxford 1972, 164-166.

70 Lib. Or. XIX, 25: 'Hxe r& ItEQ To-0 XQUGJOU Yye6[tjaT ... Dazu P. Petit, Libanius et la vie municipale d'Antioche au IV' siecle apres J.-C. Paris 1955, 146; Liebeschuetz, Antioch, 164.

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Aber die Inkonsequenz der Aufriihrer uberzeugte den Kaiser von der Moglichkeit einer Fortsetzung seiner ruinosen Steuerpolitik. So befahl Theo- dosius im Sommer 388, noch wahrend des Feldzugs gegen Maximus, die Annona in der Ostprafektur zu adarieren und Geld nach der illyrischen Prafektur zu ibersenden71. L. Vairady hat mit seiner Deutung recht, daR dieses Detail durch die dringende Notwendigkeit, die Foderaten zu bezahlen, bedingt sei72. Im Zuge der eilig durchgefiihrten Adaration wurden die possessores der ganzen Orientprafektur vielfach dazu gezwungen, ihre landwirtschaftliche Produktion spottbillig, womoglich bis zum v6lligen Bank- rott zu verkaufen'3. An diese ungunstige Adiration reihte sich noch die sehr belastende Liturgie der navicularia functio, die gerade wihrend des Krieges anwuchs74. Schlie13lich mug3te der Kaiser fur die Zeit seiner Abwesenheit die Sicherheit der Ostprovinzen gewahrleisten. Aus einer Stelle bei Pacatus lalft

sich der Schlug ziehen, daB Theodosius, als er den Sicherheitsvertrag mit den saracenischen Fursten bestatigte, ihnen fur ihr Stillhalten an der Ostgrenze Zahlungen geleistet hat75. Es ist nicht anzunehmen, daIs all die obengenannten Maglnahmen im Verein mit den Kriegen, die nicht unmittelbar mit der Verteidigung der Ostprovinzen zusammenhingen, sonderlich popular gewesen waren. Vielmehr durften sie in hohem MaIe gerade die Ursache fur die Feindseligkeit gegen den politischen Kurs des Kaisers gewesen sein, der nach dem Sieg uber Maximus noch stirker als zuvor reichspolitisch universalistische Zuge annahm. Teilweise leistete gerade die Erschiitterung der Polis-Wirtschaft dem traditionellen hellenischen Patriotismus (in seiner heidnischen Form) noch Vorschub, der dem lateinischen Westen seine Ideale entgegenstellte.

Der Universalismus des Theodosius hat sich unter dem Einflug; der sich stindig verandernden politischen Situation im Westen weiterentwickelt. Gewif3 kann man bis zum Tode Gratians kaum schon davon sprechen, aber nach der Flucht Valentinians II. aus Italien und dem Bruch mit Maximus 387 wurde Theodosius tatsachlich Augustus primo loco, indem er geschickt von Konstantinopel aus seine Anspriuche auf den Primat im Kaiserkollegium

i 76 propagierte

71 CIh, VIII, 4, 17. 72 Varady, Pannonien, 431-432, Anm. 168. 73 Lib. Or. XLVII, 7-10; XLVIII, 37. 74 Liebeschuetz, Antioch, 165: ,No doubt the need for sea transport of corn arose from the

campaign against the usurper Maximus". 71 Pan. Lat. XII, 32, 2: Nam primum fidem regum quibus limes Orientis ambitur data atque

accepta dextera signas, quo foris securus agitares, si nihil sollicitum et suspectandum domi

reliquisses. 76 Zur Problematik der universalistischen Politik von Theodosius: A. Pabst, Divisio regni.

Bonn 1986, 104-105; B. Croke, Arbogast and the death of Valentinian II. - Historia 25, 1976,

236 ff.

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Viel wichtiger erscheint aber die Tatsache, dafg Theodosius die Schliisselpo- sitionen in der Verwaltung des Ostreiches mit solchen Personen zu besetzen suchte, die weder politisch mit der ehemaligen Regierung noch sozial mit den oberen Schichten der Ostprovinzen verbunden waren. Alle diese Amtstrager blieben trotz des vielseitigen Kontaktes mit der gebildeten ostromischen Kurialelite, die auf den ersten Blick durchaus freundschaftlich schien, dem Osten letztlich fremd, und zwar nicht nur ihrer westromischen Herkunft wegen, sondern auch zufolge des von ihnen eingeschlagenen politischen Kurses77. In gewissem Sinne kann man behaupten, dal sie fur die Ostromer eine Inkarnation der politischen Praxis des westlichen Hofes waren. Diese Personlichkeiten, (die iiberwiegend westromische Offiziere waren), nahmen unter Theodosius die obersten Posten im Militarapparat des Ostreiches ein. Ein Teil der magistri militum des Valens war in der Schlacht bei Adrianopel gefallen7m. Fur die ubrigen galt folgendes: entweder wurde ihnen das Heermei- steramt von Theodosius nicht bestitigt (Victor) oder ihre Dienstzeit ging schon in den ersten Herrschaftsjahren des neuen Kaisers zu Ende Julius, Saturninus). Jedenfalls sagen seit 383 tatsachlich auf allen Schiusselposten der Militarorganisation Theodosianer: Timasius, Promotus, Richomer, Hellebich. Mit Ausnahme Hellebichs nahmen alle am Krieg gegen Maximus teil. Was im besonderen die Beziehungen des Theodosius zum Orientmagisterium nach der antiochenischen Revolte anbelangt, so schlofg der Kaiser wahrscheinlich einen KompromiB, indem er als Heermeister des Orients den bei den Kurialen bekannten Moderatus einsetzte79. Libanius bezeugt, daB Moderatus nicht nur lange Zeit in den Ostprovinzen als Offizier gedient, sondern daB er auch die Aufsicht iiber das Vermogen einiger Landbesitzer ubernommen habet0. Vor dem Feldzug gegen Eugenius fanden in der h6heren Militarfiihrung unter Theodosius einige Verinderungen statt: als Nachfolger des gefallenen Promo- tus und spater von Richomer wurde Stilichol' und statt Buterich Abundantius ernannt, der schon unter Gratian bei den westlichen Truppen gedient hatte82, was offensichtlich die beste Empfehlung fur seine Berufung war. Nachfolger des Moderatus auf dem Posten des Magister militum per Orientem wurde der Orientale Addaeus, der wahrscheinlich auch Theodosianer war. Jedenfalls wurde er unter Eutropius im Zuge der Schikanen gegen die prominenten Theodosianer entlassen und durch den in der Pentapolis geborenen Simpli- ciust3 ersetzt. All diese Tatsachen sprechen nicht nur fur die politischen

77 Z. B. Rufin konnte sogar nicht einmal Griechisch - Lib. Ep. 865; 1106. 71 Amm. XXXI, 13, 18. 79 0. Seeck, Die Briefe des Libanius. Leipzig 1906, 213. 80 Lib. Ep. 1057. 81 Zos. IV, 57, 1-2. 82 ZOS. V, 10, 1.

83 PLRE, II, 1013.

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Sympathien des Theodosius den westr6mischen Offizieren gegeniiber, son- dern auch fur die Geschlossenheit der Militirelite unter diesem Kaiser, weil die unbesetzten Stellen darin kaum von Offizieren ostromischer Herkunft einge- nommen werden konnten. Daraus aber erwuchs Theodosius seitens des Ostadels eine Feindseligkeit, die ihrerseits zur Folge hatte, daR dem Kaiser nichts anderes iibrigblieb, als unentwegt auf der Durchsetzung seines politi- schen Kurses zu beharren. Nicht zufallig richtete sich dann, nach Theodosius' Tod, der Zorn des allmachtigen Kammerers Eutropius gerade gegen diese hartnackig verfolgte universalistische Politik.

In der Zivilverwaltung des Theodosius nahmen ebenfalls zum einen Anhanger des Kaisers und Beamte westromischer Herkunft, zum anderen Verwandte seines Hauses die Schlusselposten ein. Das gilt vor allem fur die Stellung des praefectus praetorio per Orientem, die bis 388 ausschliefilich von westromischen Personlichkeiten - Neoterius, Florus, Postumianus, Cynegius - bekleidet wurde84. Alle hatten, bevor sie den Posten des Prafekten erreichten, andere wichtige Positionen im zentralen Zivilapparat innegehabt, wobei sie in der Tat diesen in seiner Funktionsfahigkeit vollig beherrschten85. Einige Landsleute und Verwandte des Theodosius besetzten ferner bis 388 wichtige Stellen in der Provinzialverwaltung86. Von den Spitzenposten wurde den Vertretern des ostlichen Adels nur die Magistratur des praefectus urbis Constantinopolitanae uberlassen, doch war auch sie, ehe Proculus auf diesen Posten kam, aller Wahrscheinlichkeit nach zumindest in der Hand von ,Gutgesinnten', also sozusagen Kollaborateuren des Theodosius, wie etwa Themistios87

Durch die antiochenische Statuenrevolte wurde Theodosius freilich gezwungen, seine Personalpolitik in einigen Details zu korrigieren. Bis zum Beginn des Feldzuges gegen Maximus wollte der Kaiser in seinem Rucken im Osten sichere Verhaltnisse geschaffen haben. Mit dieser Zielsetzung entschlofl er sich zu einer Ausweitung der ,,Reprasentationsnormen" fur den ostlichen Adel, soweit die Besetzung der Spitzenposten des Ostreiches in Rede stand. Zosimos weist darauf hin, daf der Kaiser lange Zeit iiberlegt und aus den vielen Kandidaten fur den Posten des Prafekten der Orientprafektur die besten auszuwahlen versucht habe, weil der Inhaber dieses Amtes wahrend seiner Abwesenheit im Osten die eigentliche Regierung wurde wahrzunehmen

14 PLRE, I, 623; 367-368; 718; 235-236, sowie auch Nicomachus Flavianus, proconsul Asiae

(CTh, XII, 6, 8) und Rufius Volusianus, vicarius Asiae (ILS 4154). 85 Dazu auch M. Clauss, Der magister officiorum in der Spatantike (4.-6. Jhdt.). Das Amt und

sein Einflug auf die kaiserliche Politik. Munchen 1981, 157; 177-178. 86 A. Chastagnol, Les espagnols dans l'aristocratie gouvernementale a l'epoque de Theodose.

in: Les empereurs romains d'Espagne. Paris 1965, 289-290; J. F. Matthews, Western aristocracies

and imperial court A. D. 364-425. Oxford 1975, 94-97. 87 Dazu Dagron, Naissance, 251-254.

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haben88. Die Politik einer Neutralisierung der Unzufriedenheit in den Ostprovinzen gegeniiber dem theodosianischen Kader- und Steuerkurs sollte nach der Absicht des Kaisers von loyalen Vertretern der ostlichen Aristokratie getragen werden. Darum ernannte Theodosius zum praefectus praetorio per Orientem den seit 380 als Privatmann lebenden Lykier Tatianus, der schon unter Constantius IL. und Valens gedient hatte. Tatians Sohn Proculus, der friiher als Statthalter Palastinas und dann Phoenikiens, hierauf ab 383 als comes Orientis und im Jahre 386 als comes sacrarum largitionum tatig gewesen war, wurde vom Kaiser zum praefectus urbis Constantinopolitanae ernannt89. Sein friiheres Verhalten in der Provinzialverwaltung wird von Libanius als hart bezeichnet90. Deshalb glaubte der Kaiser wohl auch, dal3 Proculus ein treuer Gefolgsmann in Konstantinopel sein wurde. Tatianus sollte, nach der Absicht des Kaisers, auf dem Posten des PPOr Symbol der Einigung aller Untertanen des Theodosius werden.

Im Jahre 388, mit dem Feldzug gegen Maximus, ging ein groger Teil der Theodosianer zusammen mit dem Kaiser nach dem Westen, und danach sind manche von ihnen dort geblieben. Theodosius festigte nun seinen politisch universalistischen Kurs weiter und verdrangte den jungen Mitregenten Valenti- nian IL. faktisch aus der Regierung des Westens. Er nahm Residenz in Mailand, derweilen er den Mitkaiser nach Gallien schickte91. Gleichzeitig damit begann Theodosius, seine Anhanger, die mit ihm aus dem Osten gekommen waren, auf fuhrende Posten der zivilen Administration des Westreiches zu berufen. Z. B. bekam der ehemalige comes sacrarum largitionum im Osten, Trifolius, die Stelle des praefectus praetorio Italiae92; ferner wurden nacheinander der ehemalige vicarius Ponticae Constantinianus" und dann der beruhmte Neote- rius, der schon im Jahre 385 als PPItal und als Schutzherr des jungen Valentianian II. fungiert hatte, von Theodosius zu praefecti Galliarum ernannt.94 Die Machthaber im Westen bekamen es deutlich zu spuren, wer der wirkliche Herr im Kaiserreich war. Und nicht zufallig wird Valentinian LI. von Pacatus in seinem Panegyricus auf Theodosius mit keinem Wort gewiirdigt.

391 kehrte Theodosius in Begleitung der neuen Anhanger, von denen viele Gallier waren95, in den Osten zuruck. Sie alle erhielten ziemlich bald einige der wichtigsten Stellen im 6stlichen Verwaltungssystem. Ihre Einsetzung in die dortigen Positionen ging fast parallel zu der Entfernung mancher Orientalen

88 Zos. IV, 45, 1-2. 8 PLRE, I, 876-878; 746-747. 90 Lib. Or. I, 212; 221-223; XXVI, 30; XIX, 10; XLII, 41-44. 91 CTh, IV, 22, 3; Dazu Croke, Arbogast, 236. 92 PLRE, I, 923. 93 PLRE, I, 222. 94 Stein, Geschichte I, 344; W. Englfin, Neoterius. - RE XVI 2, 1935, 2478-2480. 95 J. F. Matthews, Gallic supporters of Theodosius. - Latomus 30, 1971, 1073-1099.

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von ihren Posten. So wurden z. B. die aus Lykien stammenden Beamten unmittelbar nach dem Sturz ihres prominenten Landsmannes Tatianus und der Hinrichtung des Proculus, Tatians Sohn, verbannt96. Diese Ereignisse werden fur gewohnlich in der Forschung als ,orthodoxe' Reaktion des Theodosius und seines Magister officiorum Rufinus auf die von Tatian und Proculus veranlaf3te Wiederherstellung des Paganismus erklirt97. G. Dagron indessen schlug unlangst eine andere Deutung vor. Nach seiner Ansicht befurchtete der Kaiser eine Aufhebung der naturlichen Rivalitat zwischen den beiden fiihrenden Prafekten des Ostreiches; das sei die entscheidende Ursache fur die Absetzung von Tatian und Proculus gewesen98. Meiner Meinung nach lagen diesen Vorgangen jedoch andere Ursachen zugrunde. Wahrend der drei Regierungs-

jahre, als es im Osten nur eine geringe Zahl von Theodosianern gab und das Gebiet praktisch der kaiserlichen Kontrolle entriickt war, wurden Tatian und Proculus uiberaus machtig und versuchten, ohne kaiserliche Genehmigung in einige Kompetenzen der anderen Beamten einzugreifen. In der Tat wurde von ihnen eine Art factio von Landsleuten aus Lykien gebildet, auf die sie sich bei der Uberwachung der Zentral- und Provinzialverwaltung stutzen konnten. Dieser Machtzuwachs der Orientalen lockerte letzten Endes den straffen Griff des theodosianischen Regimes. Das war, meines Erachtens, der Hauptgrund fur die Verbannung des Tatianus und der Lykier sowie fur die Aufiebung aller ihrer Verordnungen.

Proculus hatte - wahrscheinlich wahrend der Abwesenheit des Kaisers -

eine neue Ordnung zur Verteilung der annona civica unter die scholares von Konstantinopel einzufiihren und sie gleich nach der Riickkehr des Theodosius rechtsgiiltig zu machen versucht. Nach dieser Neuerung solite das Recht auf annona-Versorgung in direktem Zusammenhang mit den personlichen Ver- diensten stehen99. Dadurch aber diirften die Kommandofunktionen des Magister officiorum iuber die scholae geschmalert worden sein; umgekehrt wurde der Einflug des Stadtprafekten von Konstantinopel durch diese paramilitarischen zusatzlichen Befugnisse vergr6o(ert. Nicht ohne Grund sah denn gerade Rufin, der 392 Magister officiorum war, als erster darin eine Gefahr fur seine Position, und als Ausgleich dazu wurden daher nach seiner Anregung die Waffenfabriken dem Pratorianerprafekten entzogen und der Aufsicht des Magister officiorum unterstellt'00. Tatian wirkte in seinem Amte mit grof3er Entschiedenheit, indem er sogar Proskriptionen vornahm, wenn es

9 CTh, IX, 38, 9; Eunap. fr. 59; dazu T. D. Barnes, The victim of Rufin. - CQ 34, 1984, 227-230.

97 0. Seeck, Geschichte V, 235; Stein, Geschichte 1, 212. 98 Dagron, Naissance, 288. 9 CTh, XIV, 17, 10. 100 CTh, X, 22, 3; Clauss, Magister 51-54.

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auch keine Belege gibt, wer von ihm proskribiert wurdel'0. Im iibrigen wird einerseits Tatians Politik in bezug auf die Kurien von Libanius hoch gepriesen. Der Redner betont, daf unter Tatians Prafektur die antiochenischen Kurien aufzuatmen begonnen hitten102. Andererseits fiihrte Tatian ohne Genehmi- gung des Theodosius verschiedene fur die stadtische Plebs sehr belastende Steuern ein und traf antiklerikale Mafgnahmen'03. Vielleicht war es diese Selbstherrlichkeit Tatians, die Theodosius AnlafS zur Sorge gab. Jedenfalls betonte der Kaiser bei der Aufhebung einiger Ma13nahmen des Tatian und des Proculus, dag sie von diesen ohne sein Wissen durchgefiihrt worden seien'?4. Die linger dauernde selbstindige Regierung Tatians und seine factio in der Reichsverwaltung bewiesen allerdings, daf3 die Elite der 6stlichen Kurialen den Wunsch hatte (meines Erachtens entsprach die Politik Tatians in bezug auf die Kurien letzten Endes den Interessen der principales), die inneren Probleme ihrer Region ohne Einmischung von Fremden zu losen, und so etwa auch die Finanzen des Ostreiches ausschlieBlich zu dessen Nutzen zu verwenden. Der Fall Tatians zeigt im iibrigen, dai der Weg zum erneuten Aufbau einer vom Westen unabhingigen Regierung nicht ohne einen Kampf gegen die zeitgenos- sische Reichsspitze, die den universalistischen Kurs unterstiitzte, moglich war. Schliellich legen die Methoden dieser legal gefahrten Auseinandersetzung den Gedanken nahe, daB iiberhaupt der Kampf um die Erlangung h6herer Stellen in der Reichsverwaltung und um Einflugnahme auf den Kaiser als eines der Mittel im Kraftespiel des spitantiken politischen Systems anzusehen ist. Folglich treten wahrend der Zeit der Prafektur Tatians die Umrisse der neuen, nun spezifisch konstantinopolitanischen Reichsspitze an den Tag. Sie wurde von den diversen Kategorien der Steuerzahler in dem Mage unterstutzt, als sie sich gegen die neue Foderatenpolitik und den theodosianischen Universalis- mus wandte. Nur unter diesem Aspekt und unter konkret historischen Bedingungen kann sie als Vertretung der Interessen des ostromischen Bevolke- rungsteiles gelten. Ubrigens war sie ein typisches Burokraten-Beamtentum, das auch keine Scheu zeigte, sich mit Hilfe des Staatsapparats zu bereichern.

Bis zum Beginn des Feldzugs gegen Eugenius 394 hatte Theodosius angesichts der schlechten Erfahrungen mit Tatian die fuhrenden Positionen der ostr6mischen Zivil- und Militirverwaltung von unzuverlassigen Inhabern gesaubert und in ihnen denn ausschlieglich seine Anhinger belassen, unter denen freilich auch Kollaborateure waren. Es ist nicht unm6glich, da3 ein Teil von ihnen, soweit sie den Theodosius im zweiten Usurpatorenkrieg begleitet hatten, dann nach dem Tode des Kaisers entweder wegen der zunehmenden

101 CTh, IX, 42, 12; 13. 102 Lib. Ep. 840. 103 CTh, XII, 1, 131; XI, 1, 23; XVI, 2, 27; 28; IX, 40, 15; XVI, 3, 1; 2. '04 CTh, XIV, 17, 12: nobis nescientibus.

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Ambitionen des Rufinus oder aus Angst vor der eigenen Zukunft nach dem Westen emigrierte: z. B. Aemilianus Dexter, der nicht ohne die Protektion Stilichos PPItal wurde, und Pisidius Romulus, der im Osten wahrend der letzten Regierungs'ahre des Theodosius CSL war und zu Anfang des V. Jhdts. Roms Stadtprafekt wurde015.

Die im Osten gebliebenen Theodosianer mugten sich bald dariber Klarheit verschaffen, welche Haltung sie in den entscheidenden Punkten des politi- schen Erbes des verstorbenen Kaisers einnehmen wollten. Angesichts der Anspruche Stilichos auf die Regentschaft fur die beiden jungen Kaiser Arcadius und Honorius war Rufinus bestrebt, jedenfalls die eigene Machtposi- tion zu erhalten'06, indem er, wie dann spater auch Eutropius, nun faktisch einen Antiuniversalismus vertrat. Indessen beseitigte erst Eutropius mit seiner Kommandopolitik nach Rufins Tod endgiiltig die M6glichkeit zu einer Regenerierung des theodosianischen Kurses. Dadurch, dal er den Oberbefehl fiber die Ostarmee fest in seine eigenen Hande nahm, hinderte er Stilicho an der Verwirklichung seines Anspruchs auf die Gesamtleitung der Streitkrafte beider Teilreiche'07. Zuvor hatte er noch die potentiellen Rivalen unter den einfluf3reichen Theodosianern - Timasius und Abundantius - kaltgestellt'08, und wahrscheinlich wurde auch der Magister militum per Orientem Addaeus damals von ihm seines Postens enthoben. Von den militarischen Mitstreitern des Theodosius war in Konstantinopel nur Gainas uibriggeblieben; dagegen waren samtliche prominenten Zivilkollaborateure - Saturninus, Aurelian, Caesarius, Eutychianus - nach wie vor zur Stelle. Der Eunuch versuchte, nicht ohne Erfoig, die einflug3reichsten von ihnen entweder durch Zusammenarbeit zu kompromittieren oder sie von der Regierung fernzuhalten. Saturninus wurde von Arcadius auf den Rat des Eunuchen zum Richter fiber Timasius ernanntl09; Caesarius und Eutychianus iubernahmen das von Eutropius eingefuhrte Amt der Kollegialprafekturl'?. Aurelianus und Gainas dagegen gingen bei dieser Neuverteilung von Posten leer aus.

Indessen scheint dann Aurelian nicht glucklos versucht zu haben, den oppositionell gesinnten Kreisen naherzukommen. Jedenfalls kann man anders

105 Belege zur Karriere: Pisidius Romulus (PLRE I, 771-772); Aemilianus Dexter (PLRE, I, 128-129); Caesarius (Clauss, Magister, 149-150; 133-136; R. v. Haehling, Die Religionszugeho- rigkeit der hohen Amtstrager des Romischen Reiches seit Constantins I. Alleinherrschaft bis zum Ende der Theodosianischen Dynastie. Bonn 1978, 74-78); Eutychian (v. Haehling, 78-79). Zu weiteren Zivil- und Militarpersonen, die damals aus dem Osten in den Westen ubergewechselt sind, siehe Hoffmann, Bewegungsheer I, 112-113.

106 Zos. V, 4, 3; 5, 1. dazu Straub, Parens principum. '07 G. Albert, Stilicho und der Hunnenfeldzug des Eutropius. - Chiron 9, 1979, 639; uber

Eutropius' Machtposition bei Hof siehe Albert, Goten, 38-42. 108 Zos. V, 10. 109 Der andere Richter war ein Verwandter des Kaisers Valens, Prokop-Zos. V, 9, 3-5. 110 Dazu Albert, Goten, 181-195.

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schwer den nunmehr rasch vonstatten gehenden Aufstieg des Politikers erkliren, der noch wenige Jahre vorher Privatmann gewesen war; ebensowenig lieg3e sich anders plausibel machen, warum Eutropius einen der beiden Briider, namlich Caesarius, fur die Orientprafektur wahite. Aurelians Anniherung an die Kurialelite erklirt sich leicht aus folgender Uberlegung: 1. die letzte Magistratur Aurelians war die des PUC, d. h. des Senatsvorsitzenden gewesen; 2. der ostromische Senat war grolftenteils aus den reichen Kurialen zusammengesetzt, die nach einer bereits von Constantius LI. erlassenen Verordnung in ihn kooptiert worden waren'll.

Meines Erachtens gibt es keine hinreichenden Grunde, das Zusammengehen von Caesarius und Eutropius nur auf der Basis eines gemeinsamen militirpoli- tischen Konzepts zur Verwendung der Goten im ostromischen Heere in Fortsetzung der theodosianischen Rekrutierungspolitik zu erklirent12. Ganz im Gegenteil, gerade unter Eutropius wurden nach einer langen Unterbre- chung zwei Gesetze iiber die Erweiterung der protostasia promulgiert"l3. Erst die ausweglose Situation des Augenblicks zwang den Eunuchen 397 zu dem geschickten Manover einer Ernennung Alarichs zum Magister militum per Illyricum.

Eutropius war, wie A. Kozlov gezeigt hat, mit den Handelskreisen von Konstantinopel eng verbunden, die sich fur die Anliegen der provinzialen Grundbesitzer nicht interessierten114. Das Problem der Alternative - protosta- sia/prototypia - und letzten Endes der Form der Foderatenpolitik beruihrte sie nicht. Von daher stammt jene schneidende Kritik in Synesios' Rede gegen die Anhinger des Eutropius und allgemein gegen den Handel: ,Ich halte den Beruf, der zum Ziel nur den Gewinn hat, fur niedertrachtig, unehrenhaft und vollig unedel. Nur in einem kranken Staate kann er eine Stellung einnehmen, die iuber die niedrigste Stufe des Ansehens hinausgeht"; der Kaiser ,soll die regierenden Manner nach Wiirde und nicht nach Reichtum wahlen"; ,lassen wir . . . den Handler aus seinem Geschaft herausholen""15

Eutropius war in der Finanzverwaltung und bei der Niederwerfung des Widerstandes der Provinzen (man denke etwa an die seinerzeitige Mitwirkung des Caesarius bei der Beseitigung der Auswirkungen des Aufstandes von Antiochia) in hohem Mage auf die Erfahrung des Caesarius angewiesen. Seit 397 befand sich Eutropius in einer besonders prekaren Lage wegen der Bezahlung der F6deraten Alarichs, und mit Caesarius' Hilfe versuchte er nun

I Dagron, Naissance, 124-190. 112 Albert, Stilicho, 640. 113 CTh, XI, 23, 3-4 (396 n. Chr.). 114 A. S. Kozlov, Bor'ba mezdu politiceskoj oppoziciej i pravitel'stvom Vizantii v 395-399 gg.

(= Der Kampf zwischen der politischen Opposition und der Regierung von Byzanz in den Jahren 395-399). - ADVS 13, 1976, 68-82.

115 Syn. De regno, 25; 26; 19; Vgl. Anm. 59.

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den finanziellen Druck auf die provinzialen Kurien zu verstarken. In dieser Hinsicht setzten die beiden die friihere Steuerpolitik des Theodosius fort. Es ist denn vor allem diese Wechselbeziehung der Dinge - die Steuerbelastung der Stadte und die schlechte Foderatenpolitik -, die Synesios zum Gegenstand seiner heftigen Kritik macht.

Die Revolte Tribigilds und seiner Greutungen in Phrygien steigerte die politische Instabilitat in der Hauptstadt und wurde ein zusitzliches Argument fur die antigermanische Kritik. Die Methoden, mit deren Hilfe Eutropius die Aufstandischen zu beruhigen versuchte, waren fur die Kurialen inakzeptabel. Dem Versuch, ihnen gegenuber den alten Foderatenstatus anzuwenden, war kein Erfolg beschieden. Darum bot, wie G. Albert gezeigt hat, der Kammerer dem Tribigild das Heermeisteramt an wie auch die Umwandlung der Greutun- gen von dediticii in foederati."16 Man darf vermuten, dag sich eben die Stimmung der Gegner dieses Vertrags in Konstantinopel bei Claudian widerspiegelt. Die Argumente der Kritik waren h6chst aktuell: man wies auf die Raubereien der Goten Alarichs"17 hin, wenn das von dem Eunuchen geplante foedus zur Sprache kam. Fur den ostlichen Kurialen ergab sich wahrend der Revolte Tribigilds die wenig verheig3ungsvolle Aussicht, statt eines gar zwei Foderatenheere bezahlen zu mussen. Diese Bedrohung wurde noch reeller, als Arcadius durch Vermittlung des Gainas mit Tribigild einen - fur uns nicht niher fal3baren - Vertrag geschlossen hattel'8. Denn mit der vorubergehenden Vereinigung von Gainas' und Tribigilds Kriften erhob sich in der Hauptstadt fur kurze Zeit die Furcht vor einer Wiederholung der Katastrophe von Adrianopel. Alle diese Besorgnisse spiegeln sich bei Synesios wider: n,Fur alle steht es jetzt auf des Messers Schneide: es liegt in Gottes und des Kaisers Hand, dieser fur den Staat so bedrohlichen Krise . . ., die nun einmal entstanden ist, ja zum Ausbruch kommen mul3te, Herr zu werden"119.

Allerdings trat nun ziemlich bald die relative Unselbstandigkeit des Gainas in seinen politischen Handlungen zutage. Seine Forderung nach Verbannung der zivilen Wurdentrager Aurelian, Saturninus, Ioannes mutet auf den ersten Blick iiberraschend an, da es keine Zeugnisse fur eine vorausgegangene Feindschaft zwischen ihnen und Gainas gibt. Bei Synesios in der Schrift ,,De providentia", die spater als ,De regno" abgefa13t wurde, wird Typhon ( Caesarius) und nicht der Fiihrer der Barbaren (= Gainas) als Haupturheber der vergangenen Krise dargestellt120.

Die Frage, ob Aurelian, Saturninus und loannes die formlichen Anfuhrer

116 Albert, Goten, 93-94; Claud. In Eutrop. II, 319-324. 117 Claud. In Eutrop. II, 214-216: vastator Achivae gentis et Epirum nuper populatus inultam

praesidet Illyrico . . . 1" Zos. V, 18, 4. 119 Syn. De regno, 18: vvv y( 3TdVTEg Tt 1 3TLVOV 'LoTCEvtcl &VL . . .

120 Syn. De prov. I, 15-16.

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der sogenannten ,Nationalpartei" waren oder nicht, mug wegen der schlech- ten Quellensituation hypothetisch bleiben. Viel wichtiger aber ist die Tatsache, dag sie alle auf verschiedenen Gebieten in einer mehr oder weniger aktiven Opposition gegen Eutrops Regime wihrend seiner letzten Regierungsphase tatig waren. Sie waren folglich jenem politischen Kurs, der eine Chance fur die Weiterfuhrung der theodosianischen Foderatenpolitik bot, feindlich gesonnen. Gainas, obschon personlich ein Gegner des Eutropius, stand der Sache nach auf seiner Seite. Auch die Interessen der iibrigen Theodosianer fielen mit denen der barbarischen Einheiten des Gainas zusammen. Daraus entstand die Allianz zwischen Gainas und Caesarius. Nach Synesios regte nun der letztere Gainas dazu an, seine Truppen nach der Hauptstadt zu fiihren'21. Gainas erkannte, dag irgendwann die Gruppierung um Aurelian ihm den Heermei- sterrang entziehen wiirde, deshalb brauchte er eine gewichtige Garantie fur seine Zukunft. Da er den groBten Teil seines Lebens in romischen Diensten verbracht hatte, kannte er das politische System des Imperiums gut und hatte eine genaue Vorstellung von den Krifteverhaltnissen an der Spitze der Reichsverwaltung. Caesarius, der in Konstantinopel nur eine wenig verliali- che Unterstiitzung genog, war instandig um die Beschaffung der erforderli- chen Machtmittel bemiiht, die ihm dazu verhelfen konnten, um uber die Anhinger Aurelians samt ihrem bewaffneten Gefolge die Oberhand zu gewinnen. Nicht zufallig liest man bei Comes Marcellinus folgendes: ,Gaina comes apud Constantinopolim ad praeparandum civile bellum barbaros suos occulte ammonet . . ." (Com. Marc. a. 399).

Wie paradox es auch erscheinen mag, gerade die theodosianische Vergangen- heit des Gainas verhinderte seine Entwicklung zu einem unabhangigen Machtfaktor. Im Unterschied zu vielen anderen beriihmten Vorgangern barbarischer Abkunft begann Gainas den romischen Militardienst als einfacher Soldat, d. h. er war offensichtlich kein Adliger, und hinter ihm standen keine Abteilungen von Stammesgenossen. Aber anscheinend dank seiner Tapferkeit ruckte er verhaltnismaBig rasch zum romischen Offizier auf122. Der Feldzug gegen Eugenius 394 sah ihn bereits als einen der Befehlshaber uber barbarische Hilfsvdlkerl23. Dabei war er entweder, nach A. Demandt, comes rei milita- ris'24, oder, nach D. Hoffmann, ,nomineller Heermeister von Thrakien" 25,

oder aber, wie L. Vairady meint, ,,der von den Romern anerkannte Fiihrer aller westgotischen F6deraten" 126, Das groge Vertrauen der Romer gegeniiber

121 Ibid. I, 16. 122 Soz. VIII, 4, 1: aCtuolo[joctg 'PDia(OLq { EITEXkOV;5 CTQaTLd-uoU caQaE6yw; E?; d1V TaV

OTQaCtTyCV naEE?XOCOV Td6LV. Vgl.Soc. 6,6. 23 Zos. IV, 57, 2.

124 Demandt, Magister, 733. 125 D. Hoffmann, Bewegungsheer I, 32. 126 Varady, Pannonien, 82.

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Gainas loste MifBtrauen und Argwohn bei den Goten aus. Alarichs Unterstel- lung unter Gainas127 wahrend des besagten Feldzugs fuhrte zu Reibungen zwischen den beiden und letztlich dann zum Bruch mit dem gotischen Stammesadel. ,Mit vollem Recht mil3trauten sie deshalb Gaina, der ihrer Uberzeugung nach in hoherem Mage die romischen als die eigenen gotischen Interessen vertrat. Diese Stimmung trug bei den grol3en westgotischen Volksmassen weitgehend zur Festigung der Position des jungen Alarich bei" 128

Als das gotische Kontingent Alarichs - vielleicht schon Ende 394 - nach Osten zuruckkehrte, blieb Gainas im Verband der ostromischen Heeresteile, soweit sie den Feldzug gegen Eugenius mitgemacht hatten, vorerst noch im Westen. Dann aber nahm er, als 395 Stilicho seinerseits nach Osten aufbrach, um u. a. jene Truppen nach Konstantinopel zuriuckzufiuhren, unterwegs an der Bekampfung Alarichs auf dem Balkan teil, wodurch sein Prestige bei den Goten noch tiefer sank. Was im iubrigen den Anteil der Barbaren bei den ostromischen Truppen betrifft, die in der Folge Gainas im besonderen ins Ostreich zuriickgeleiten sollten, so laIt sich hier nichts Genaueres ausmachen. Und nennenswerte Neuanwerbungen unter den auswiartigen Volkerschaften diirften im damaligen Stadium der Ereignisse auch nicht getatigt worden sein. Infolgedessen sollte nicht, wie es bei G. Albert geschieht'29, die Macht der sogenannten Privatarmee in Gainas' Heer, die aufgerdem aus der Masse der ostromischen Truppen organisatorisch nicht ausgesondert war, uberschMtzt werden. Wahrend z. B. Zosimos bei der Beschreibung des Feldzugs gegen Eugenius TOl)s &e ov aXOrvta . . . fia cfoiaR f6 FaTva (= Foederaten) nennt, spricht er an der Stelle iiber die Riickkehr der ostromischen Truppen unter der Fiihrung von Gainas nur von oi orTaTLrTa, d. h. den regularen Truppen und nicht den Foederaten; Gainas selbst wird als iycjtIv be- zeichnet'30.

In Konstantinopel hatte Gainas nach der Ermordung Rufins (November 395) natiirlich nicht nur den Ruf eines Theodosianers, sondern h6chstwahr- scheinlich auch den eines Anhangers von Stilicho, was unter Eutropius' Regierung seine weitere Karriere erheblich behindern mul3te. Jedenfalls scheint Eutropius den Gainas etwa bei der Ernennung zu allen hoheren Kommando- stellen, die vakant waren, benachteiligt zu haben. Nach der Logik der Beforderung ware namlich sicher Gainas als erster Anwarter auf den Posten des Magister militum per Orientem anzusehen gewesen, als dieser nach Addaeus' Entfernung frei wurde, und nicht Simplicius, der keine militarische

127 Ibid. 78-82. 128 Ibid. 87. 129 Albert, Goten, 105-107. 130 Zos. IV, 57, 2; V, 7,4.

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Erfahrung hatte und unbekannt war. Auch bei der Besetzung des prisenta1i- schen Heermeisteramtes wurde Gainas von Eutropius ubergangen; ferner verhinderte der Kammerer eine zahlenmafi3ge Verstarkung der barbarischen Gefolgschaft des Goten13,. Gainas, der kein Vermogen besafg, war nicht imstande, eine grofere Privatarmee von seinem Gehalt zu bezahlen. Die in den regularen romischen Truppen dienenden Barbaren versorgten sich nach dem staatlichen Versorgungsprinzip, und iiber diese Normen hinaus konnte ihnen Gainas selbst nichts zukommen lassen. Deshalb besteht keinerlei Grund, von einem grolen Einflul des Gainas auf sie zu sprechen.

Eutropius, der 396-399 personlich das Oberkommando innehatte, stellte seine Anhinger, die, wie er, keine Kriegserfahrung hatten, auf fiihrende Militarposten - Subarmachius, Farasmanes, Leo132. Dadurch ergab sich ein Mangel an wirklich kriegstiichtigen Feldherrn, und die dringende Notsituation angesichts der Revolte Tribigilds zwang nun Eutropius, Gainas zum Magister militum praesentalis zu ernennen. Erst nach diesem Avancement konnte Gainas den ihm ergebenen Personen Kommandostellen im prasentalen Heer gewahren, wobei diese Anhinger in der von Mif3trauen und Nervositat erfullten damaligen Lage nur Goten sein konnten. Alle Kirchenhistoriker bezeugen klar, dag sich dieser Prozefg nicht vor - wie Albert meint -, sondern nach der besagten Ernennung des Gainas vollzogen hat133. Die Frage nach der Zahl der von Gainas angeworbenen Stammesgenossen ist freilich auch ziemlich problematisch. In keiner der Quellen werden besondere gotische Truppenver- bande erwahnt. Die Stelle bei Socrates, wo von einem ganzen Volk die Rede ist, mug man folglich als Ubertreibung deuten. Hervorzuheben ist nun, dafg Gainas die zu ihm gekommenen Goten anscheinend in erster Linie als Offiziere einstellte'34, nirgends werden gotische Soldaten erwahnt. Demnach entsprechen die pathetischen Worte des Synesios: ,Ein Mann, der mit einem Tierfell bekleidet ist, befehligt Soldaten, die Chlamyden tragen" 135 sehr wohl

131 Zos. V, 13, 1:. . oiX ijxoLCtct bFatvFa ;, OiiTE T1g tQCtOUO1vg cOTQalYt TqAT5 d(ILOIJ4EVOS,

OliTE bWQEatL &JttX7oTtv 4a7UX?iomL Pa fatxrlv b16vMcEtWV L QtF,(EU6vLEV0og. 132 PLRE, II, 1037; 872; 661-662. 133 Soc. VI, 6; Soz. VIII, 4, 1; Theod. V, 32, 1. Vgl. Albert, Goten, 110-111. 134 Soc. VI, 6: LTT6ELoUg twv crTQatLwrLxCOv &QLOLCOV. Soz. VIII, 4, 1: 0ruvTay[tat6tXag

xaL XLXLaQXoVg. Vgl. Albert, Goten, 127; siehe auch J. H. W. C. Liebeschuetz. Generals, federates and buccelarii in Roman armies around AD 400, in: The defence of the Roman and Byzantine East. Oxford 1986, 466: "But there is no suggestion that they were supplied under treaty by a local ruler. The territory was under the government of Uldin, King of the Huns." Aber er irrt, wenn er meint: "It is likely that the Goths presented themselves individually, having their families with them (Synesius De prov. II. 1) at Gainas' instigation, and were enrolled by him under officers that he appointed (Ibid.)". Bei Synesios ist diese Situation eine ganz andere: q)puy WEUY0VT13 i "tO 1oJVOfliaCt XOLVOV &VE?O3QOVV TOl COTEOg, Mltttt&, 1UVfLXt2g, XaC Ta TLRL6WTCLTC X4RT0V'ToEq (De prov. II, 1).

"35 Syn. De regno 20: 6 aLuup6(og avOQ(071o0 uTlqylT(L xXa,nvia&; ?X6vTwv.

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der Wirklichkeit. Geschichtlich wahr ist auch das, was bei Zosimos steht, namlich, dag Gainas befohlen habe, die Romer, die sich in seiner Armee befanden, bei dem Ruckzug nach Thrakien zu toten. Die Quellenaussagen erlauben es schwerlich, diese Leute lediglich mit fliuchtigen Kolonen und Vagabunden zu identifizieren, wie dies Albert tut'36. Eher wahrscheinlich ist, dag es sich dabei vielmehr um den Teil des geschlagenen Gainas-Heeres gehandelt hat, der dazu neigte, ins Lager der Regierung iiberzulaufen.

Ein solch gemischtes Heer gegen die Krafte der Legalitit zu ftihren, wurde offensichtlich nur dank einer geschickten Propaganda sowie einem Zusam- menwirken mit den politischen Kreisen in Konstantinopel m6glich. Diese Krafte konnten wahrend der Prafektur Aurelians nur Theodosianer sein.

So konnen wir abschliefend zu der Frage zuruckkehren, ob es in der ostromischen Gesellschaft am Ende des IV. Jhdts. eine antibarbarische bzw. antigermanische Stimmung als politische Reaktion auf den Zustrom von Fremdlingen gegeben hat, so wie im weiteren, ob von einem besonderen antigermanischen Kurs der Regierung gesprochen werden darf. Die Untersu- chung einiger Besonderheiten in der vorangegangenen Politik des Theodosius' I. erlaubt die Schlugfolgerung, dag diese von weiten Teilen der provinzialen Gutsbesitzer abgelehnt wurde. lhre gewaltsame Verwirklichung hatte namlich einen negativen Einflufg auf die Wirtschaft, den Lebensstandard und das soziale Leben der Provinzstadte. Die Unzufriedenheit der ostlichen Kurialen, die zu Beginn als Protest gegen die vorerst nur fir vorubergehend gehaltenen zusatzlichen finanziellen und personellen Belastungen zugunsten der Fodera- ten des neuen Typus entstand, wuchs allmahlich bis zur eigentlichen Opposi- tion gegen das Regime, und dieses begnugte sich nun nicht damit, die Bewegung einfach zu unterdrucken, sondern es machte gar daraus eines der Mittel fur seine Politik des Reichsuniversalismus. Statt alle Krafte zur Vertreibung der Fremden vom Territorium des Reiches einzusetzen und zu den alten Formen der Militarpolitik zuruickzukehren, die die possessores der Provinzen nicht ruinierten, unterwarf Theodosius I. alle Ressourcen des Ostreiches seinen universalistischen Zielsetzungen. In der fir den Kaiser giinstigen Situation eines wiedervereinigten Reiches war das Vorhandensein von Foderatenheeren im Imperium wunschenswert; und umgekehrt entsprach eine Kritik an der F6deratenpolitik, die sich mit der verhiillten Kritik an dem universalistischen Kurs verband, einer echten programmatisch-politischen, antibarbarischen Einstellung. Nach dem Tode des Theodosius richtete sie sich sowohl gegen die Goten Alarichs als auch gegen den Steuerkurs der Regierung, die weiter den F6deraten auf Kosten der provinziellen Besitzer Zahlungen

136 Albert, Goten, 137, Anm. 214; Zos. V, 21, 6: ToI; OTV acuqT OkXQP6(OLg ovu' noXkolg oivotv,

OVX {r t oV(ag EXwv TOi) gno?vouga; cn5 'Popicaiou;, Exetvougi~v o v o EQOL6oR&otU1 uO

fiOuXEvRa n6vrag &nXTELV6V . . .

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leistete. Folglich hatte der ostromische Antigermanismus in betrachtlichem Mafe einen tagespolitischen Anstrich zur Zeit, da die Rede ,De regno" gehalten wurde und auf der Tagesordnung das dringende Anliegen stand, den Anhingern des theodosianischen Kurses in jeder Weise Macht und EinflufB zu entziehen. Die Kategorien der antibarbarischen Kritik wurden zu einem wirksamen Element der Invektive im Machtkampf zwischen den ostromischen Gruppierungen, weil darin die Fragen nach der politischen Orientierung des ostromischen Kaiserreiches und des wirtschaftlichen Wohistands seiner Pro- vinzen beriihrt wurden. Doch keine der Regierungen traf irgendwelche ernsthaften Maignahmen gegen die Germanen, da soiche mit Alarichs Abzug nach dem Westen und andererseits mit der Ermordung des Gainas nicht mehr notwendig waren. Der Aufstand vom 12. Juli 400 beseitigte mit einem Schlag das Knauel von Widerspriichen in Konstantinopel, und infolgedessen blieb das politische Programm des Synesios auf Papier. Was das Verhaltnis zu den Barbaren anbelangt, kehrte das ostromische Reich im Jahre 401 zu dem Zustand der Zeit vor 376 zuriick.

Staatliche Altai-Universitat Barnaul (UdSSR) Evgenij P. Gluschanin