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11 I. Einleitung Das Rechtsinstitut Staat kennzeichnet sich durch drei Merkmale: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Letztere übt Herrschaft über die Bewohner des Staatsgebietes aus. Diese Herrschaft bedarf der Legitimation. Dafür gibt es verschiedene Modelle. Eines der Ältesten ist die Berufung auf übernatürliche Phänomene. Herrschaftsausübung entspricht dann dem ver- meintlichenWillen eines Gottes oder mehrerer Götter. Die Gefahren einer solchen Legitimation von Herrschaft liegen auf der Hand. Jede Form der Machtausübung kann gerechtfertigt werden, weil die Gottesurteile nicht überprüfbar sind. Staats- gewalt wird deshalb heute überwiegend anders legitimiert, z.B. durch die Staatsformmerkmale Demokratie und Rechtsstaat. Damit aber ist der Glaube an übernatürliche Phänomene nicht aus der Welt. Er ist lediglich in einen anderen Bereich abgedrängt worden, den Bereich der privaten Lebensführung. Dieses Prinzip wird Trennung von Staat und Religion genannt. Die Trennung aber ist alles andere als einfach. In der Bundesrepublik Deutschland, einem demokratischen Rechtsstaat, etwa steht es dem Bundespräsidenten oder Bundeskanzler frei, den Amtseid mit dem Zusatz so wahr mir Gott helfezu leisten, eine Staatstrauerfeier erfolgt in aller Regel in einer christlichen Kirche, Religionsunterricht wird an staatlichen Schulen angebo- ten, der Staat bildet an seinen Universitäten Priester und Pastoren aus, die staatliche Finanzver- waltung zieht die fälschlicherweise auch noch Kirchensteuer genannten Mitgliedsbeiträgefür die Zugehörigkeit zu den beiden großen christlichen Konfessionen ein, der Staat finanziert die Militär-, Gefängnis- und Polizeiseelsorge, er trägt mitunter die Kirchenbaulast, Kultgeräte, Ge- bäude und andere Einrichtungen von Religionsgemeinschaften können Gegenstand der staatli- chen Denkmalpflege sein, die beiden großen christlichen Kirchen haben einen Rechtsträger des Götter ohne Mietvertrag oder Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung von Grundstücken im Eigentum einer öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaft an eine Gemeinde von Gläubigen zur Verehrung von Göttern Jüngste Entwicklungen zum verfassungsrechtlichen Grundsatz der Trennung von Staat und Religion in JapanHeinrich Menkhaus * * Professor, School of Law, Meiji University, Tokyo MEIJI LAW JOURNAL, Volume 18 (March 2011)

Götter ohne Mietvertrag oder Unentgeltliche ... · waltung zieht die fälschlicherweise auch noch Kirchensteuer genannten „Mitgliedsbeiträge“ für die Zugehörigkeit zu den

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I. Einleitung

Das Rechtsinstitut Staat kennzeichnet sich durch drei Merkmale: Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt. Letztere übt Herrschaft über die Bewohner des Staatsgebietes aus. Diese Herrschaft bedarf der Legitimation. Dafür gibt es verschiedene Modelle. Eines der Ältesten ist die Berufung auf übernatürliche Phänomene. Herrschaftsausübung entspricht dann dem „ver-meintlichen“ Willen eines Gottes oder mehrerer Götter. Die Gefahren einer solchen Legitimation von Herrschaft liegen auf der Hand. Jede Form der Machtausübung kann gerechtfertigt werden, weil die Gottesurteile nicht überprüfbar sind. Staats-gewalt wird deshalb heute überwiegend anders legitimiert, z.B. durch die Staatsformmerkmale Demokratie und Rechtsstaat. Damit aber ist der Glaube an übernatürliche Phänomene nicht aus der Welt. Er ist lediglich in einen anderen Bereich abgedrängt worden, den Bereich der privaten Lebensführung. Dieses Prinzip wird Trennung von Staat und Religion genannt. Die Trennung aber ist alles andere als einfach. In der Bundesrepublik Deutschland, einem demokratischen Rechtsstaat, etwa steht es dem Bundespräsidenten oder Bundeskanzler frei, den Amtseid mit dem Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ zu leisten, eine Staatstrauerfeier erfolgt in aller Regel in einer christlichen Kirche, Religionsunterricht wird an staatlichen Schulen angebo-ten, der Staat bildet an seinen Universitäten Priester und Pastoren aus, die staatliche Finanzver-waltung zieht die fälschlicherweise auch noch Kirchensteuer genannten „Mitgliedsbeiträge“ für die Zugehörigkeit zu den beiden großen christlichen Konfessionen ein, der Staat finanziert die Militär-, Gefängnis- und Polizeiseelsorge, er trägt mitunter die Kirchenbaulast, Kultgeräte, Ge-bäude und andere Einrichtungen von Religionsgemeinschaften können Gegenstand der staatli-chen Denkmalpflege sein, die beiden großen christlichen Kirchen haben einen Rechtsträger des

Götter ohne Mietvertragoder

Unentgeltliche Gebrauchsüberlassungvon Grundstücken im Eigentum einer öffentlichrechtlichen

Gebietskörperschaft an eine Gemeindevon Gläubigen zur Verehrung von Göttern

-Jüngste Entwicklungen zum verfassungsrechtlichen Grundsatz             der Trennung von Staat und Religion in Japan-

Heinrich Menkhaus*

* Professor, School of Law, Meiji University, Tokyo MEIJI LAW JOURNAL, Volume 18 (March 2011)

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öffentlichen Rechts, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Was eine Verletzung des Tren-nungsprinzips darstellt und was mit ihr als im Einklang befindlich akzeptiert werden kann, ist keineswegs eindeutig. Das gilt auch für Japan. Seit die US-amerikanische Besatzungsadministration in der von ihr oktroyierten japanischen Verfassung von 1946 das Trennungsprinzip normiert hat, ist die Abgrenzung umstritten. Hier soll vor dem Hintergrund zweier neuer Entscheidungen des Gros-sen Spruchkörpers des Obersten Japanischen Gerichtshofs aus dem Jahre 2010 untersucht wer-den, ob Japan eine geeignete Formel für die schwierige Abgrenzung gefunden hat. Das kann nur auf Grundlage einer Definition der beiden Hauptbegriffe Staat und Religion, einer Darstellung der historischen Entwicklung der Religionen in Japan, der derzeit bestehenden Rechtsgrundlagen zum Trennungsprinzip und der bisherigen gerichtlichen Entscheidungen zu dieser Frage geschehen. Dabei bleiben bewusst zwei große Fragenkomplexe ausgeblendet, weil sie politisch und ideologisch zu sehr befrachtet sind und deshalb den ungetrübten Blick auf die Fragestellung verstellen: das Staatsorgan Tennō 天皇 als Zeremonienmeister vieler Kulthand-lungen und die Rolle des Yasukuni 靖国 Schreins und seiner regionalen Filialen (Gokoku 護国 Schreine) als Stätten der Verehrung der Seelen der getöteten Soldaten der jeweiligen japanischen Streitkräfte. Das heisst indes nicht, dass die hier gewonnenen Erkenntnisse nicht auch für diese beiden Fragenkomplexe nutzbar zu machen sind.

II. Definitionen

Das Trennungsprinzip besteht zwischen Staat und Religion. Staat wird im japanischen Recht genauso verstanden, wie dargestellt. Seine Übersetzung lautet kokka 国家. Doch wird der Begriff Trennungsprinzip im Japanischen seiji shūkyō bunri seido 政治宗教分離制度, oder kurz seikyō bunri 政教分離 übersetzt. Anstelle von Staat wird also der Begriff Politik verwen-det. Damit stellt sich die Frage, ob das Trennungsprinzip in Japan eine andere Konnotation hat. Es könnte breiter angelegt sein. Möglicherweise bedeutet es, das Politiker jedenfalls nicht Mit-glieder von Entscheidungsgremien einer Religionsgemeinschaft sein können und umgekehrt, das Religionsgemeinschaften keine Politiker unterstützen dürfen. Dieser Frage wird hier indes nicht weiter nachgegangen, sondern auch das japanische Trennungsprinzip als Trennung zwi-schen Staat und Religion aufgefasst. Um eine umfassende Geltung des Trennungsprinzips zu erreichen, kann Religion nur defi-niert werden als Glaube an übernatürliche Kräfte und Wesen, denen in Form von äußerlich er-kennbaren Kulthandlungen Respekt oder Dank gezollt wird und denen gegenüber gleichzeitig Bitten geäußert werden. Es kann nicht darauf ankommen, ob die Religion über eine methaphy-sische Heilslehre verfügt, bei deren Einhaltung der Gläubige zu Lebzeiten oder nach seinem Ableben ein glückliches oder sogar ewiges Leben erwarten darf. Es kann auch nicht darauf ankommen, ob die Zugehörigkeit zu einer Religion nach den Regeln derselben die Zugehörig-keit zu einer anderen ausschließt. Ob auch eine Weltanschauung, die jedenfalls in der deutschen Sprache von der Religion begrifflich getrennt wird, zu erfassen ist, bleibt offen. Sollte der Un-terschied darin liegen, dass die Weltanschauung auf einen Glauben an übernatürliche Phäno-mene verzichtet, ist sie keine Religion im hiesigen Sinn.

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III. Geschichte

Bei der Auslegung des Trennungsprinzips kommt der historischen Interpretation die größte Bedeutung zu. Hier ist deshalb die Religionsgeschichte1 Japans kurz zu skizzieren. Ein An-spruch auf Vollständigkeit wird dabei nicht erhoben, weil das den Rahmen eines Aufsatzes sprengen würde, an dieser Stelle im übrigen nur auf die Punkte rekuriert wird, die für das Tren-nungsprinzip wesentlich sind und der Verfasser schließlich kein Religionswissenschaftler ist. Über die Zeit als sich auf dem Inselbogen, der heute als Japan bezeichnet wird, erstmals voneinander abgrenzbare Herrschaftsgebiete etablierten, ist nicht viel bekannt. Verlässlich sind für die Zeit bis etwa 500 n. Chr. nur chinesische Quellen. Ausgerechnet diese aber versiegen zwischen den Jahren 265 und 420. Das wajinden (倭人伝:Geschichte der wa 倭 Menschen) als Teil der Geschichte des chinesischen Wei 魏-Dynastie identifiziert indes ein Herrschaftsge-biet namens Yamatai 邪馬台,das von einer Frau namens Himiko 卑弥呼 beherrscht wird, die mit den Göttern im Bunde steht, deren durch sie geäußerten Willen ihr jüngerer Bruder umsetzt2. Diese weibliche Person hat die Rolle einer Schamanin. In diesem archaischen Stadium der ja-panischen Religionsgeschichte sind Staat und Religion also untrennbar miteinander verbunden. Eine lokale Sippe (uji 氏) schafft es im weiteren Verlauf der Geschichte ein größeres Herr-schaftsgebiet unter seine Kontrolle zu bringen. Diese Dynastie wird ebenso wie das Herr-schaftsgebiet selbst in aller Regel als Yamato 大和 bezeichnet. Ihr gelingt es im Laufe der Zeit auch, einen Pantheon der Götter aufzurichten und die eigene Abstammung von der darin höch-sten himmlischen Gottheit, der Sonnengöttin Amaterasu Ōmikami 天照大御神, abzuleiten. Das ist wesentlicher Gegenstand der Mythologie der ersten offiziellen japanischen Geschichts-schreibung: Kojiki 古事記 aus dem Jahre 7123 und Nihon Shoki 日本書紀4 aus dem Jahre 720. Die Legitimation durch die Götter ist also erhalten geblieben. Es geht um den Machterhalt der Sippe und den Schutz des Herrschaftsgebietes. Das Modell wird von den anderen Sippen im Lande kopiert, die in verschiedener Form in die Verwaltung des Herrschaftsgebietes eingebunden sind. Die Legitimation der lokalen Poten-taten wird dabei nicht notwendig über himmlische Götter erzielt, mitunter reichen auch Vorfah-

1 Zu einem Überblick über die Religionen Japans siehe: Ohm, Thomas: Japan–Kulturen, Religionen und Missionen. Augsburg: Filser 1929; Bunce, William K. (Hg.): Religions in Japan. Buddhism, Shinto, Chris-tianity. Charles E. Tuttle: Rutland, Vermont und Tokyo 1955; Hori, Ichiro u.a. (Hg.): Japanese Religion. A Survey by the Agency for Cultural Affairs. Kodansha: Tokyo u.a. 1972; Yanagawa, Keiichi u.a.: Religion in Japan Today. Foreign Press Center: Tokyo 1992: Iwamura, Tamayo: Leben und Glauben in Japan. Bouvier: Bonn 2006

2 Vollständige deutsche Übersetzungen dieser Quelle finden sich bei: Wedemeyer, Andre: Japanische Frühge-schichte, OAG: Tokyo 1930, S. 176ff.; Seyock, Barbara: Auf den Spuren der Ostbarbaren. Lit-Verlag: Mün-ster 2004, S. 25ff. und Kastrop-Fukui, Gabriele: Überlieferung über die Wa in den Annalen der Wei, in: Wieczorek, Alfried u.a. (Hrsg.), Zeit der Morgenröte, Handbuch. Reiss Engelhorn Museen: Mannheim 2004, S. 256ff.

3 Deutsche Übersetzung des Buches I bei Florenz, Karl: Die historischen Quellen der Shinto-Religion, Göt-tingen: Vandenhoeck & Rupprecht 1919, S. 3-84; insgesamt bei Kinos(h)ita, Iwao: Koziki. Älteste Japa-nische Reichsgeschichte. Japanisch-Deutsches Kulturinstitut zu Tokyo und Japaninstitut Berlin: Berlin 1940 (Band 1: Originaltext, Band 2: Romaji-Text, Band 3: Deutsche Übersetzung).

4 Überarbeitete deutsche Übersetzung der Bücher I-III bei Florenz, Karl: Die historischen Quellen der Shin-to-Religion. Vandenhoeck & Rupprecht: Göttingen 1919, S. 123-242.

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ren, die als irdische Götter Verehrung finden. Berichtet wird von Personenverbänden, die von einem Oberhaupt (uji no kami 氏の上) geführt werden. Dieses Oberhaupt huldigt einer Gott-heit, die für den Schutz des Personenverbandes und seines Herrschaftsgebietes verantwortlich ist (ujigami 氏神) an einer eigens dafür eingerichteten Kultstätte. Dieses Modell verschafft dem weiblichen Geschlecht als Schamanin eine besondere Stel-lung. Diese göttliche Einmischung in die Herrschaftsgewalt wird aber irgendwann „lästig“5. Die Schaminin wird aus dem Palast des Herrschers entfernt, darf ihrer Aufgabe allerdings weiter an anderer Stelle nachkommen. Die Aussiedlung dieser Aufgabe durch die Yamato Sippe nach Ise 伊勢 ist der wohl erste Ansatz einer Trennung von Staat und Religion in Japan. Das heißt freilich nur, dass die Schamaninnen an Bedeutung verlieren, nicht, dass die Sippenoberhäupter nicht weiter Kulthandlungen vornehmen, die die Götter huldigen. Diese sind später unter dem Begriff shintō 神道 (wörtlich: Weg der Götter) zusammengeführt worden6. Ob sie tatsächlich ihren Ausgangspunkt in Japan genommen haben, oder von Einwanderern mitgebracht wurden, was neuerdings wieder erforscht wird7, ist für diese Untersuchung ohne Belang. Merkwürdig klingt es, wenn es in der offiziellen Geschichtsschreibung heisst, der Buddhis-mus8 (japanisch bukkyō 仏教) sei im Jahre 538 oder 552 über Korea eingeführt worden. Es ist viel wahrscheinlicher, dass Japan weit vorher von dieser Religion Kenntnis erlangt, weil sein militärisches Engagement auf dem Festland nicht bestritten wird und als Folge von Kriegen dort Flüchtlinge aus Korea ins Land kommen, die ihre Relgionen mitbringen. Es ist deshalb anzu-nehmen, dass die Flüchtlinge, die in die vorhandene religiös begründete Machtstruktur Japans nicht einzudringen vermögen, den Buddhismus als neue „Zauberlehre“ nutzen. Im Mittelpunkt dieser Entwicklung steht im 6. Jahrhundert die Sippe der Soga 蘇我. Der uji no kami dieser Sippe baut eine Kultstätte für die Verehrung des Buddha (Hōkōji 法興寺・Asukadera 飛鳥寺・Gangōji 元興寺), die tera 寺 genannt wird und damit neben die Kultstätten der traditio-nellen Götterverehrung tritt, die man als jingu 神宮 oder jinja 神社 zu bezeichnen beginnt. Auch wenn diese Sippe 645 gewaltsam aus ihrer Stellung entfernt wird, lebt der Buddhismus als zusätzliche Religion weiter und seine Lehre findet Eingang in rechtlich relevante Dokumente wie die sog. 17 Artikel-Verfassung von 6049. Das mit der sog. Taika 大化-Reform 645 nach chinesischem Vorbild eingeführte Rechts-system des ritsuryō 律令 kennt neben dem unterhalb des Herrschers errichteten Amt des dajōkan 太政官, dem die Staatsverwaltung obliegt, ein gleichberechtigtes Organ für die Verwaltung von

5 Immoos, Thomas: Das Land der mächtigen Frauen. Archaisches im Gegenwärtigen. Frauen in schamani-stisch-kultischen Funktionen, in: Gössmann, Elisabeth (Hrsg.), Japan – ein Land der Frauen?, iudicium: München 1991, S. 13ff.

6 Holtom, D.C.: The National Faith of Japan. A Study in Modern Shinto. Kegan Paul, Trench, Trubner: Lon-don 1938 (Nachdruck: Paragon Book: New York 1965); Lokowandt, Ernst: Shintō. Eine Einführung. Iudi-cium: München 2001; Breen, John/Teeuwen: A New History of Shinto. Wiley-Blackwell: New York 2010

7 Como, Michael: Shōtoku. Ethnicity, Ritual, and Violence in the Japanese Buddhist Tradition: Oxford Uni-versity Press: Oxford 2008; ders.: Weaving and Binding: Immigrant Gods and Female Immortals in Ancient Japan. University of Hawai’i Press: Honolulu 2009

8 Zur Einführung: Matsunami, Kodo: Introducing Buddhism. Charles E. Tuttle: Tokyo 1976 9 Deutsche Übersetzung bei Karl Florenz, Japanische Annalen AD 592-697 – Nihongi von Suiko Tenno bis

Jito Tenno (Buch XXII-XXX). Supplement der Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde Ostasiens, 2. neu bearbeitete Auflage Tokyo 1903, S. 12-21.

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Kulten, das jingikan 紳紙官 (神祇官)10, wörtlich: Amt der Himmels- und Erdgötter. Damit ist eine weiterer Schritt der Trennung von Staat und Religion vollzogen. Die Religion wird von der Staatsverwaltung abgegrenzt. Selbst der Tennō, fälschlicherweise zumeist mit Kaiser ins Deut-sche übersetzt, der die traditionellen Kulthandlungen weiter praktiziert, würdigt in der Folge den Buddhismus als Staatsschutzinstrument, indem er im Jahre 741 den Befehl zur Gründung von Provinzhaupttempeln (kokubunji 国分寺) gibt, um die vielen buddhistischen Neugrün-dungen kontrollieren zu können. An die Spitze dieser Struktur stellt er den Tempel Tōdaiji 東大寺 in der damaligen Hauptstadt Heijōkyō 平城京 (heute Nara). Es entsteht eine friedliche Koexistenz zwischen den beiden Religionen, indem den traditionellen Göttern des japanischen Pantheon Entsprechungen im buddhistischen Kosmos zugewiesen werden. Gleichzeitig erfolgt eine Verselbständigung der Religionen durch Ablösung von den Sip-pen, auch wenn diese, wie etwa die bedeutende Ämter bekleidenden Fujiwara 藤原 zunächst weiterhin einen Shintōschrein (Kasuga Taisha 春日大社) und einen Tempel (Kōfukuji 興福寺) als eigene Einrichtungen unterhalten. Diese Verselbständigung wird dadurch unterstützt, dass den Religionsgemeinschaften Staatsland kostenfrei zur Verfügung gestellt wird. Diese bringt aber auch Gefahren mit sich, wie an der Affäre um den budhhistischen Mönch Dōkyō 道鏡 (764-770) deutlich wird. Es besteht zeitweise die Gefahr, dass er sich selbst zum Tennō macht. Nach seiner Verbannung wird die Hauptstadtfunktion von Heijōkyō nach Heiankyō 平安京 (heute Kyōto) verlegt, wohin die buddhistischen Tempel zunächst nicht folgen dürfen. Im 16. Jahrhundert tritt neben diese Ordnung eine weitere Religion, das Christentum, dass infolge der europäischen Kolonialsierungsbestrebungen in Asien von Missionaren ins Land ge-tragen wird11. Nachdem Oda Nobunaga 織田信長, der erste der drei Reichseiniger, die Verbrei-tung dieser neuen Glaubenslehre zunächst fördert, weil sie ihm hilft, gegen einen übermächtig gewordenen Buddhismus vorzugehen, sieht Toyotomi Hideyoshi 豊臣秀吉 angesichts der Lo-yalität der Christen zu einer lebenden Person außerhalb Japans, dem Papst in Rom, weiter dem Monotheismus, der die Existenz weiterer Götter nicht akzeptiert, die Gefahr der Machtübernah-me durch Europäer infolge der religiösen Neuausrichtung. In drei zeitlich aufeinander fol-genden Schritten wird das Christentum deshalb verboten. Den Höhepunkt bildet die Nieder-schlagung des sog. Shimabara 島原-Aufstands in den Jahren 1638/39, der mit der Ausweisung aller Missionare endet und die japanischen Christen in den Untergrund zwingt. Um ein Wiederaufleben des christlichen Glaubens zu unterdrücken, werden buddhistische Tempel als staatliche Verwaltungsorgane eingesetzt, die die Bevölkerung zu erfassen haben. Jeder Einwohner hat sich in einem buddhistischen Tempel registrieren lassen und diesen gleich-zeitig auch finanziell zu unterstützen (terauke seido 寺請け制度), womit er gleichzeitig dem Christentum abschwört. Ob man diesen Einsatz des Buddhismus als dessen Erhebung zur Staatsreligion ansehen muss, kann hier offenbleiben. Wichtig ist, dass den traditionellen Kult-formen des Shintō weiter parallel dazu nachgegangen wird. Das gilt auch für den Tennō. Aller-

10 Deutsche Übersetzung des 6. Ryō: Himmels- und Erdgötter und 7. Ryō: Mönche und Nonnen bei Dettmer, Hans Adalbert: Der Yōrō-Kodex. Die Gebote. Übersetzung des Ryō no gige. Teil 2. Bücher 2-10.Wies-baden: Harrassowitz 2010 (vgl. die Besprechung des Band 1 bei Menkhaus, Heinrich: Dettmer, Hans A (dalbert): Der Yōrō-Kodex. Die Gebote. Einleitung und Übersetzung des Ryō no gige. Buch 1. Wiesbaden: Harrassowitz 2009 (Veröffentlichungen des Ostasien-Instituts der Ruhr-Universität Bochum, Band 55), in: OAG Notizen 2/2010, S. 37-43.

11 Statt vieler Boxer, Charles Ralph: The Christian Century in Japan: 1549-1650. University of California Press: Berkeley 1951

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dings sind seine Aktivitäten nunmehr nicht mehr im öffentlichen Bewusstsein, weil er im fernen Kyōto die entsprechenden Zeremonien vollzieht und andere ehemalige Sippenoberhäupter ihre Stellung verloren haben. Die eigentliche Macht wird von dem jeweiligen militärischen Oberbe-fehlshaber, dem sog. Shōgun 将軍 in Edo 江戸 (heute Tōkyō) ausgeübt. Sein Überwachungs-system erfasst alle Kultstätten des Landes, was in der Bezeichnung des zuständigen Amtes als Jisha Bugyō 寺社奉行 deutlich zum Ausdruck kommt. Die langjährige bevorzugte Stellung des Buddhismus führt indes zur Geburt einer Gegen-bewegung, der sog. Kokugaku 国学, die eine Rückbesinnung auf die traditionellen Kultformen des Shintō verlangt und den Tennō wieder an der Spitze des Staates stellen will. Die Lehre mündet in einen Staatsaufbau, der als Kokutai 国体 bezeichnet wird. Dieser ist nicht leicht zu verstehen. Wesentliches Element dieses Staatsaufbaus wird ab der Meiji-Zeit (ab 1868) der sog. Staatsshintō (Kokka Shintō 国家神道). In dieser Entwicklung spielt Deutschland eine nicht unbedeutende Rolle. Es geht um die Einführung einer Verfassung in Japan. Die preussische Verfassung von 1850 wird zum Vorbild. Die von den deutschen Verfassungsrechtlern unterrichteten Japaner verstehen sofort, dass der deutschen Verfassung eine alle Einwohner weitgehend einigende Lehre zugrundeliegt, das Chri-stentum. Ein entsprechend tragfähiges ethisches Gerüst vermögen sie bei den japanischen Re-ligionen nicht auszumachen. Das allein einigende Band in Japan wird in der Person des Tennō erblickt. Auf ihn wird die als Staatsshintō bezeichnete neue Lehre ausgerichtet. Wie man den Staatsshintō juristisch fasst, etwa als Überführung des Shintō in eine Staats-religion, als Begründung einer „neuen“ Religion oder als außerreligiöser Ritus des Staates unter gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Religionsfreiheit12, die dann auch prompt in Art. 28 der Verfassung von 188913 gewährt wird, muss hier keiner abschließenden Würdigung unterzogen werden. Neben dem sicher auch in seiner ursprünglichen Form in dieser Zeit fortgesetzten Schreinshintō 神社神道 und dem Buddhismus wurde jedenfalls auch das im Jahre 1873 wieder zugelassene Christentum in Japan praktiziert.

12 Siehe dazu Holtom, D.C.: Modern Japan and Shinto Nationalism. University of Chicago Press: Chicago 2. Aufl. 1947; Lokowandt, Ernst: Die rechtliche Entwicklung des Staats-Shintō in der ersten Hälfte der Meiji-Zeit (1868-1890). Otto Harrassowitz: Wiesbaden 1978; ders.: Das Verhältnis von Staat und Shintō im ge-genwärtigen Japan. OAG: Tokyo 1980; ders.: Zum Verhältnis von Staat und Shintō im heutigen Japan – Eine Materialsammlung. Otto Harrassowitz: Wiesbaden 1981, S. 1-24; Hardacre, Helen: Shintō and the State 1868-1988. Princeton University Press: Princeton New Jersey 1989; Murakami, Junichi: Die Glau-bensfreiheit und die Trennung von Staat und Religion, in: Coing, Helmut u.a. (Hg.): Die Japansisierung des westlichen Rechts. J.C.B. Mohr: Tübingen 1990, S. 27-44; Antoni, Klaus: Kokutai-Das Nationalwesen als japanische Utopie, in: ders.: Der himmlische Herrscher und sein Staat. iudicium: München 1991, S. 31-59; Morita, Akira: Staat und Religion in der japanischen Verfassung. Ein kulturvergleichender historischer Überblick, in: Stammen, Theo u.a. (Hg.): Politik-Bildung-Religion. Hans Maier zum 65. Geburtstag. Fer-dinand Schöningh: Paderborn u.a. 1996, S. 689-705; Zacharias, Diana: The Relationship between State and Religion in Japan. Shaker: Aachen 2004

13 Dainippon Teikoku Kenpō 大日本帝国憲法, Original abgedruckt in Wagatsuma 我妻, Sakae 栄:Kyūhōreishū 旧法令集. Yūhikaku 有斐閣: Tōkyō 東京 1968, S. 13-15. Deutsche Übersetzungen in Brunn, Paul: Die japanische Verfassungsurkunde. Philipp Reclam: Leipzig (ohne Jahresangabe, wahrscheinlich 1892); Sell, Kurt: Japan, in Posener, Paul (Hg.), Die Staatsverfassungen des Erdballs. Fichtner: Charlottenburg 1909, S. 920-934; Matsunami, Niichiro: Die japanische Verfassung, in: Nippon, Zeitschrift für Japanologie 7/1 (1941), S. 1-9; Fujii, Shinichi: Japanisches Verfassungsrecht. Yuhikaku: Tokyo 1941, S. 457-469; Röhl, Wil-helm: Die japanische Verfassung. Metzner: Frankfurt/Main 1963, S. 147-152; Matsunami, Niichiro: Die japa-nische Verfassung vom 11. Februar 1889, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zur Wochenzeitung Das Parlament B 40-41 (1964), S. 8-12; Siemes, Johannes: Die Gründung des modernen japanischen Staates

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Mit der Niederlage im Pazifischen Krieg und der Übernahme der Kontrolle der Regie-rungsgewalt durch die US-amerikanische Besatzungsadministration wird der Staatsshintō, der von den US-Amerikanern für den Nationalismus und Militarismus Japans während des Pazi-fischen Krieges veranwortlich gemacht wird, mittels der sog. Shintō- Direktive (Shintō Shirei 神道指令) vom 15. Dezember 194514 verboten, dem Shintō selbst aber der Status einer norma-len Religion gewährt. Der Tennō wird gezwungen in seiner Neujahrsbotschaft des Jahres 1946 seine Göttlichkeit zu widerrufen15 und die Verfassung von 194616 führt das Trennungsprinzip ein.

IV. Gegenwärtige Rechtsgrundlagen

In der Verfassung von 1946 sind die für das Trennungsprinzip relevanten Regelungen in Art. 20 und Art. 89 enthalten. Art. 20 findet sich im Katalog der Grundrechte. Er lautet:

1) Jedermann ist die Freiheit des religiösen Bekenntnisses gewährleistet. Keine religi-öse Gemeinschaft darf vom Staat mit Sonderrechten ausgestattet werden oder poli-tische Macht ausüben.

2) Niemand darf gezwungen werden, an religiösen Handlungen, Festen, Feiern oder Ver-anstaltungen teilzunehmen.

3) Der Staat und seine Organe haben sich der religiösen Erziehung und jeder anderen Art der religiösen Betätigung zu enthalten.

Im Kapitel über die Staatsfinanzen findet sich Art. 89. Er lautet: „Öffentliche Geldmittel und anderes öffentliches Vermögen dürfen zur Verwendung durch reli-giöse Unternehmungen oder Vereinigungen, zu deren Gunsten oder Erhaltung ... weder ausge-geben noch zur Verfügung gestellt werden.“

und das deutsche Staatsrecht. Duncker & Humblot: Berlin 1975, S. 86-91; Heuser, Robert/Yamazaki, Ka-zuaki: Verfassungsrecht (Kempō) von Miyazawa Toshiyoshi. Carl Heymanns: Köln 1986, S. 289-296, Röhl, Wilhelm: Das japanische Verfassungsrecht, in: Oriens Extremus 33/1 (1990), S. 28-35 (ohne Präam-bel); Kokubun, Noriko: Die Bedeutung der deutschen für die japanische Staatslehre unter der Meiji-Verfas-sung. Lang: Frankfurt 1993, S. 223-230 (ohne Präambel); Schenck, Paul-Christian: Der deutsche Anteil an der Gestaltung des modernen japanischen Rechts- und Verfassungswesens: Franz Steiner: Stuttgart 1997, S. 344-353 (ohne Präambel); Ando, Junko: Die Entstehung der Meiji-Verfassung. iudicium: München 2000, S. 240-248

14 Kokka shintō, jinja shintō ni tai suru seifu no hoshō, shien, hozen oyobi kantoku narabi ni kōfu no haishi ni kan suru ken 国家神道,神社神道に対する政府の保証,支援,保全及び監督並びに弘布の禁止に関する件,englischsprachiges Original abgedruckt bei Lokowandt: Materialien (Fn. 12) S. 64-67

15 Deutschsprachige Übersetzung abgedruckt bei Lokowandt: Materialien (Fn. 12) S. 68-6916 Nihonkoku Kenpō 日本国憲法,Original abgedruckt unter http://law.e-gov.go.jp/cgi-bin/idxselect.cgi?IDX_

OPT=2&H_NAME=&H_NAME_YOMI=%82%c9&H_NO_GENGO=H&H_NO_YEAR=&H_NO_TYPE=2&H_NO_NO=&H_FILE_NAME=S21KE000&H_RYAKU=1&H_CTG=1&H_YOMI_GUN=1&H_CTG_GUN=1a; Deutsche Übersetzungen in Röhl, Wilhelm: Die japanische Verfassung. Metz-ner: Frankfurt/Main 1963, S. 81-144; Zachert, Herbert: Die japanische Verfassung vom 3. November 1946, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu Das Parlament, B 40-41 (1964), S. 13-23; Franz, Günther (Hg.): Staatsverfassungen. Eine Sammlung wichtiger Verfassungen der Vergangenheit und Gegenwart in Urtext und Übersetzung. 2. Aufl. Oldenbourg: München 1964, S. 542-557; Neumann, Reinhard: Änderung und Wandlung der japanischen Verfassung. Heymanns: Köln 1982, S. 185-204; Heuser, Robert/Yamazaki, Kazuaki: Verfassungsrecht (Kempō) von Miyazawa Toshiyoshi. Heymanns: Köln 1986, S. 297-312

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Dogmatisch relativ unproblematisch ist die Glaubensfreiheit des Individuums (Shinkyō no Jiyū 信教の自由), die in Art. 2 Abs.1 S. 1 und Abs. 2 zum Ausdruck kommt. Teilweise im Ver-bunde mit anderen Freiheitsrechten ist unbestritten, dass das Individiuum sich einer bestehen-den Religionsgemeinschaft anschließen, oder dieser fernbleiben kann, eine Religionsgemein-schaft gründen oder wieder auflösen kann, sich zu Fragen der Religion äußern kann, aber auch schweigen darf, Kulthandlungen der Religionsgemeinschaft alleine durchführen kann oder sich an solchen zusammen mit anderen beteiligen kann, diese aber auch unterlassen oder ihnen fern-bleiben kann usw.. Flankierend tritt das entsprechende Gleichheitsrecht hinzu. Niemand darf wegen seiner Religionszugehörigkeit oder -nichtzugehörigkeit diskriminiert werden. Schon problematischer sind die verfassungsrechtlichen Freiheitsrechte der Religionsge-meinschaft selbst. Natürlich würde die individuelle Glaubensfreiheit sinnentleert, wenn nicht auch die Religionsgemeinschaft selbst einen weitgehend geschützten Freiheitsbereich innehät-te. Ist es aber wirklich Ausdruck des verfassungsrechtlichen Freiheitsrechts der Religionsge-meinschaft ihr seitens der staatlichen Rechtsordnung einen besonderen privatrechtlichen Rechtsträger anzubieten, der eine eigene Rechtspersönlichkeit hat (Shūkyō Hōjin 宗教法人), oder würden es nicht allgemeine Formen von Rechtsträgern auch tun? Wie weit geht die Frei-heit zur internen Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften? Darf es so etwas wie Ver-einsstrafen geben? Das eigentliche Freiheitsrecht der Religionsgemeinschaften selbst wird wie-der flankiert durch das Diskriminierungsverbot. Da der Staat keine Religionserziehung betreiben darf, wird diese von anderen Trägern durchgeführt. Diese dann aber von der staatlichen Förde-rung auszuschließen, wenn andere Bildungsträger gefördert werden, kann problematisch wer-den, weil entweder ein Verstoß gegen das Trennungsprinzip oder gegen den allgemeinen Gleich-heitssatz eintreten kann. Das Trennungsprinzip als solches kommt insbesondere in Art. 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 und Art. 89 zum Ausdruck. Es bedeutet zunächst nicht, dass sich der Staat einer rechtlichen Regelung der Religionsausübung begeben hätte. Ob diese freilich ausreichend ist, darf angesichts der Anschläge, die von einer religösen Organisation im Jahre 1995 (sog. Sarin Jiken サリン事件) ausgeübt wurden, bezweifelt werden. Das Trennungsprinzip wird nach deutschem Vorbild als institutionelle Garantie angesehen, derer es bedarf, um die Glaubensfreiheit sicherzustellen. Aus japanischer Sicht erlaubt erst die Einordnung des Trennungsprinzips als institutionelle Ga-rantie eine flexible Interpretation dessen, was als Verstoß gegen das Trennungsprinzip anzuse-hen ist und was nicht17. Das Trennungsprinzip wird überwiegend im Verhältnis des Staates zum Shintō diskutiert. Das hängt mit der dargestellten Geschichte zusammen. Da der Shintō in der Zeit des Staatsshintō – jedenfalls teilweise – seiner Eigenschaft als „normaler“ Religion beraubt war, sind viele seiner Kulthandlungen im Bewusstsein der Einwohner zum allgemeinen Kultur-gut geworden. Dieses Kulturgut jetzt wieder als religiöse Kulthandlung anzusehen, an der sich der Staat – in welcher Form auch immer – grundsätzlich nicht beteiligen darf, fällt vielen schwer.

17 Morita, Akira: Die Wirkung der deutschen Verfassungsrechtswissenschaft auf Praxis und Lehre der japa-nischen Verfassung betrachtet im historischen Kontext, in: Battis, Ulrich u.a. (Hg.): Das Grundgesetz im internationalen Wirkungszusammenhang der Verfassungen. 40 Jahre Grundgesetz. Duncker & Humbolt: Berlin 1990, S. 189, 201ff.

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V. Bisherige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs

Zur hier in Rede stehenden Problematik hat es bis zu den Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs aus dem Jahre 2010, die im Folgenden näher dargestellt werden sollen, zwei wich-tige Entscheidungen desselben Gerichts gegeben.

1. Grundstücksweihe (Jichinsai 地鎮祭) von Tsu 津 aus dem Jahre 1977

Aus der Religionsgeschichte ist eine shintōistische Kulthandlung überliefert, die als Grund-stücksweihe bekannt ist. Sie hat einmal den Sinn, die Erdgötter mit dem anstehenden Neubau vertraut zu machen und dadurch dessen Standsicherheit zu sichern, andererseits die von Bau-herrn, Bauunternehmen, Bauarbeitern, Versicherern u.a. gefürchteten Unfälle zu vermeiden. Es wird geglaubt, dass durch die Kulthandlung diese Ziele erreicht werden können. Allen Beteilig-ten ist dabei völlig egal, ob der Bauherr ein Rechtsträger des öffentlichen Rechts ist. So war es am 14. Januar 1965 in der Stadt Tsu, als die Kulthandlung vor Baubeginn einer Sporthalle er-folgte. Der Bürgermeister wurde durch Klage eines Einwohners aufgefordert, die Kosten der Veranstaltung an die Stadtkasse zurückzuerstatten und an den Kläger Schmerzensgeld zu zah-len. Das Distriktgericht Tsu vermochte im Jahre 196718 einen Verstoß gegen das Trennungs-prinzip nicht zu erkennen und wies beide Anträge ab. Auf die Berufung des Klägers erkannte das Obergericht Nagoya im Jahre 197119 hingegen auf Verletzung des Trennungsprinzips und verurteilte den Bürgermeister zur Rückzahlung an die Stadtkasse, vermochte hingegen eine Rechtsgrundlage für den ebenfalls geltend gemachten Schmerzensgeldanspruch nicht zu erken-nen. Die gegen den Rückzahlungsanspruch gerichtete Revision des Bürgermeisters hatte Er-folg. Der grosse Spruchkörper des Obersten Gerichtshofs hielt im Jahre 197720 das Trennungs-prinzip nicht für verletzt. Offenbar auf der Grundlage einer Unterscheidung eines Gutachters macht er einen Unter-schied zwischen Kulthandlungen, die verbotene religöse Betätigung sind und solche, die das Trennungsprinzip nicht verletzen. „Unter religiöse Betätigung fallen nur die Handlungen, ... die ein Ziel von religöser Bedeutung verfolgen oder die in ihrer Wirkung auf eine Hilfe, Unterstüt-zung, Förderung bzw. Unterdrückung einer Religon, Einmischung usw. in religiöse Angelegen-heiten hinauslaufen. Das typische Beispiel hierfür sind Aktivitäten zur Verbreitung, Missionie-rung, Propagierung usw. einer Religion; doch sind hier selbstverständlich auch andere religiöse Aktivitäten, wie Feiern, Zeremonien, Veranstaltungen usw. eingeschlossen, wenn sie in Ziel oder Wirkung die vorhin genannten Bedingungen erfüllen. Von daher ist bei der Prüfung, ob eine bestimmte Handlung eine religiöse Betätigung im oben genannten Sinn darstellt, nicht nur

18 Urteil vom 16. März 1967, Original abgedruckt in Hanrei Jihō 判例時報 483, S. 28ff.19 Urteil vom 1. Juli 1971, Original abgedruckt in Hanrei Jihō 630, S. 8ff. Deutschsprachige Übersetzung in

verkürtzer Form bei Lokowandt: Materialien (Fn. 12) S. 89ff.20 Urteil vom 13. Juli 1977, Original abgedruckt in Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Obersten

Gerichtshofs in Zivilsachen (Saikō Sainbansho Minji Hanrei Shū 最高裁判所民事判例集) Band 31, Nr. 4, S. 533ff. Deutschsprachige Übersetzung in verkürzter Form bei Lokowandt: Materialien (Fn. 12) S. 145ff und Murakami, Junichi, in: Eisenhardt, Ulrich u.a. (Hg.): Japanische Entscheidungen zum Verfassungsrecht in deutscher Sprache. Heymanns: Köln u.a. 1999, S. 265ff;

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die äußerliche Seite der betreffenden Handlung zu berücksichtigen. Es ist nicht allein darauf zu achten, ob die Personen, die die betreffenden Handlung durchführen, Vertreter einer Religion sind und ob Reihenfolge und Durchführung der Handlung in den von einer Religion festge-legten Formen erfolgen; es sind alle Umstände zu berücksichtigen: der Ort der betreffenden Handlung, die religiöse Bewertung der Handlung durch den Normalbürger, die Absichten und Ziele des die betreffende Handlung Durchführenden, sowie die Frage, ob er sich dabei der re-ligösen Bedeutung der Handlung bewusst war und in welchem Grade. Ferner ist zu fragen nach Wirkung und Einfluss der betreffenden Handlung auf den Durchschnittsbürger. Unter Berück-sichtigung all dieser Umstände ist ein objektives Urteil zu treffen, dass dem allgemeinen gesell-schaftlichen Bewusstsein entspricht.“ Die Mehrheit der Richter vermochte auf der Grundlage der beiden Tatsacheninstanzen die-se Fragen zu beantworten. In einem Minderheitsvotum kritisierten fünf Richter hingegen, dass durch eine solche Auslegung die Gefahr des Wiedererstehens des Staatsshintō und die Bedro-hung der Glaubensfreiheit entstünde. Später ist gesagt worden, das Gericht folge bei dieser Abgrenzung dem sog. „Lemon Test“ des U.S. Supreme Court aus der Entscheidung Lemon vs. Kurtzman21 aus dem Jahre 1971, für den es eben auch auf den Zweck oder den Effekt einer Handlung ankommt.

2. Kriegsopferdenkmal in der Stadt Minō 箕面 aus dem Jahre 1993

Es handelt sich um ein Urteil des kleinen 3. Spruchkörpers des Obersten Gerichtshofs22, dass in der Literatur leider nicht dasselbe Interesse gefunden hat wie das Vorgenannte. Vom Gericht waren verschiedene Fragen zu beantworten. Hier von Interesse ist insbesondere Fol-gende: Vor einem im Eigentum der japanischen Vereinigung der Angehörigen der Kriegsopfer (Nihon Izokukai 日本遺族会) stehenden Kriegsopferdenkmal, für das die Stadt Minō das Grundstück zur Verfügung stellte, fanden hin und wieder von dieser Vereinigung veranstaltete Gedenkfeiern nach shintōistischen oder buddhistischem Ritus statt. Zu diesen Feiern entsandte die Stadt jeweils einen Vertreter, der mitunter auch eine Rede hielt. Das Gericht wandte die aus dem oben genannten Urteil bekannten Grundsätze an und kam zu dem Schluss, das durch die Teilnahme keine Unterstützung beider Religionen erfolgt sein, weil das Gedenken der Kriegs-opfer im Vordergrund gestanden habe.

VI. Urteile des Obersten Gerichtshofs vom 20. Januar 20101. Oberster Gerichtshof, Großer Spruchkörper, Urteil vom 22. Januar 2010 (Aktenzei-

chen 260 (gyō [Verwaltungssache] -tsu) 200723

Leitsätze1. Das Überlassungsangebot mit dem die Stadt dem Nachbarschaftsverein Grundstücke im städtischen Eigentum unentgeltlich für die Errichtung eines Gebäudes (als Räumlichkeit für Versammlungen u.a., in dessen Inneren ein kleiner Schrein aufgebaut ist und an dessen Außen-

21 403 U.S. 602, 61422 Urteil vom 16.2.1993, Original abgedruckt in Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Obersten Ge-

richtshofs in Zivilsachen Band 47, Nr. 3, S. 1687ff.23 Original abgedruckt in Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen,

Band 64, Nr. 1, S. 1ff.

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wand ein Schild mit der Aufschrift „Schrein“ angebracht ist), einem Schreintor und einem Schrein für eine Erdgottheit kostenlos überlassen hat, ist wie folgt zu beurteilen. Siehe (1) und (2). Das Überlassungsangebot wurde ursprünglich zu einem allgemeinen und öffentlichen Zweck abgegeben, nämlich als Belohnung eines Bewohners für die Spende eines Grundstücks an die Stadt, um die Erweiterung der Grundschule zu ermöglichen. Aus der Sicht eines Durch-schnittsbürgers aber hat die Stadt damit einer bestimmten Religion einen besonderen Vorzug gewährt, sie unterstützt und ihr somit unvermeidlich eine besondere Wertschätzung zukommen lassen, was gegen Art. 89 und Art. 20 Abs. 1 S. 2 der Verfassung verstößt.(1) Die genannten Schreinobjekte, also das Schreintor, der Schrein der Erdgottheit und der

Eingang zum Gebäude mit der Aufschrift Schrein, durch den man zum kleinen Schrein gelangt, sind als Einrichtungen eines shintōistischen Schreins anzusehen. Entsprechend ist alles, was in einer solchen Einrichtung vollzogen wird, eine religiöse Zeremonie.

(2) Die Verwaltung der oben genannten Schreinobjekte obliegt der Schreingemeinde. Das normalerweise für die Nutzung des Gebäudes und der anderen genannten Objekte erforder-liche Entgelt wird von der Schreingemeinde an den Nachbarschaftsverein nicht entrichtet. Durch diesen Vorteil, den sich die Schreingemeinde mit oben genannten Überlassungsan-gebot über einen langen Zeitraum hat gewähren lassen, wird der Schreingemeinde als reli-giöser Vereinigung die Durchführung religiöser Aktivitäten erleichtert.

2. Das Überlassungsangebot, mit dem die Stadt dem Nachbarschaftsverein Grundstücke aus dem städtischen Eigentum kostenlos für die Schreineinrichtung überlassen hat, verstößt gegen das in der Verfassung festgelegte Prinzip der Trennung von Staat und Religion. Der Bürgermei-ster hat durch den Verzicht auf das Verlangen nach Entfernung der Einrichtungen und Rückgabe des Grundstücks in unbebauter Form eine rechtswidrige Vernachlässigung der Vermögensver-waltung begangen. Was die Einwohnerklage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ver-nachlässigung der Vermögensverwaltung angeht, beruht trotz der Verfassungswidrigkeit des Überlassungsangebots das Urteil der Vorinstanz auf einem Rechtsfehler, weil keine Untersu-chung dazu erfolgt ist, ob andere zweckgemäße und zu verwirklichende Maßnahmen existieren, um diese Verfassungswidrigkeit zu beseitigen.(1) Die unverzügliche Entfernung der oben genannten Schreineinrichtung würde der Schrein-

gemeinde die religiöse Aktivität durch Nutzung ebenjener Einrichtung bedeutend erschwe-ren und damit die Religionsfreiheit der Mitglieder in schwerwiegender Weise beeinträchti-gen.

(2) Ungeachtet der Behauptungen der betroffenen Personen sind außer der Entfernung der Schreineinrichtung und Übergabe der Grundstücke in unbebautem Zustand auch andere Maßnahmen zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit des Überlassungsangebots denk-bar, z.B. die Übertragung des Grundstücks, ein Verkauf, eine Vermietung mit einem Miet-zins in angemessener Höhe u.a..

(3) Laut Urteil der ersten Instanz besteht die Möglichkeit, dass andere Maßnahmen zur Besei-tigung der Verfassungswidrigkeit des genannten Überlassungsangebots existieren, wenn die betroffenen Personen über die Einwohnerklage in Verhandlung träten. Der Bürgermei-ster hat Kenntnis davon, dass auch andere Maßnahmen ergriffen werden können.

(Zu den Punkten 1. und 2. sind abweichende und ergänzenden Meinungen vorhanden).

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Relevante Vorschriften Zu 1. Art. 20 Abs. 1 und Art. 89 der Japanischen Verfassung, zu 2. Art. 149 Abs. 1 und 2 des Zivilprozessgesetzes24 und Art. 242-2 Abs. 1 Ziff. 3 des Gesetzes über die lokale Selbstver-waltung25.

Prozessgeschichte Es geht um den Sorachibuto 空知太 Schrein in der Stadt Sunagawa 砂川 in der Präfektur Hokkaidō 北海道. Die Kläger sind Einwohner der Stadt, der Beklagte ist der Bürgermeister (Shichō 市長). Die Kläger verlangen die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines tatsächlichen Zustandes auf Grund einer Vernachlässigung der Vermögensverwaltung seitens des Beklagten nach dem Gesetz über die lokale Selbstverwaltung. Sie obsiegten sowohl in der ersten Instanz, dem Distriktgericht Sapporo 札幌26, als auch in der zweiten Instanz, dem Obergericht Sappo-ro27. Die Revision des Beklagten führte zur Verweisung der Sache zur erneuten Verhandlung an das Obergericht Sapporo.

UrteilTenorDas Urteil der Vorinstanz wird aufgehoben.Die Sache wird an das Obergericht Sapporo zurückverwiesen.

Gründe:I. Grundlage des Falles1. In vorliegender Sache hat die Stadt Sunagawa (im Folgenden Stadt) Grundstücke, die sich in ihrem Eigentum befinden, zur Anlage eines Schreins unentgeltlich überlassen. Dies wider-spreche dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Trennung von Staat und Religion. Die Revisi-onsbeklagten, Bewohner der Stadt, beantragen deshalb gem. Art. 242-2 Abs. 1 Ziff. 3 des Gesetzes über die kommunale Selbstverwaltung festzustellen, das die Vermögensverwaltung dadurch rechtswidrig vernachlässigt wurde, dass der Anspruch auf Aufhebung des unentgelt-lichen Gebrauchsüberlassungsvertrages, auf Entfernung der Einrichtung bzw. Rückgabe der Grundstücke in unbebauter Form nicht geltend gemacht wurde.2. Die in der Vorinstanz festgestellten Tatsachen lassen sich wir folgt zusammenfassen: (1) Gegenwärtige Eigentumslage an der Schreineinrichtung Die Stadt ist Eigentümerin der Grundstücke, die in der Aufstellung in Anhang 1 im Urteil der 1. Instanz genannt sind (im Folgenden die in Rede stehenden Grundstücke). Diese werden im Folgenden, falls sie einzeln in Bezug genommen werden, mit der dortigen Nummer (z.B. in Rede stehendes Grundstück 1) bezeichnet. Ist indes der Zusammenhang klar, wird nur von in Rede stehend gesprochen. Bei anderen Bezifferungen wird genauso verfahren.

24 Minji Soshōhō 民事訴訟法 Gesetz Nr. 109/1996. Deutschsprachige Übersetzung bei Heath, Christopher/Petersen, Anja: Das japanische Zivilprozessrecht. Mohr Siebeck: Tübingen 2002.

25 Chihō Jichihō 地方自治法 Gesetz Nr. 67/1947, deutschsprachige Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden.

26 Urteil vom 3. März 2006, im Orignal abgedruckt in der Amtlichen Sammlung der Entscheidungen des Ober-sten Gerichtshofs in Zivilsachen, Band 64, Nr. 1, S. 89ff.

27 Urteil vom 26. Juni 2007, im Original abgedruckt in Hanrei Jihō 判例時報 2070, S. 21ff.

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Auf den in Rede stehenden Grundstücken wurde laut Anhang 2 und 3 des Urteils 1. Instanz das örtlichen Versammlungen u.a. dienende Gebäude S (im Folgenden das in Rede stehende Gebäude) erbaut, in dem in einem Teil des Gebäudes der Schrein S als kleiner Schrein (im Fol-genden der in Rede stehende Schrein) eingerichtet ist und an dessen Außenwand ein Schild mit der Aufschrift „Schrein“ angebracht ist. Weiter ist auf dem in Rede stehenden Grundstück 1 ein Schreintor und ein Schrein für eine Erdgottheit errichtet (im Folgenden werden der in Rede stehende kleine Schrein, das in Rede stehende Schild mit der Aufschrift „Schrein“, das in Rede stehende Schreintor sowie der in Rede stehende Schrein der Erdgottheit zusammen als die in Rede stehenden Schreinobjekte bezeichnet). Der Eigentümer des Gebäudes und der Schreinobjekte ist der Verband der Nachbarschafts-vereine S (im Folgenden der in Rede stehende Nachbarschaftsverein), dem die Stadt die in Rede stehenden Grundstücke unentgeltlich für die Anlage des in Rede stehenden Gebäudes, des Schreintores und des Schreines der Erdgottheit zur Verfügung gestellt hat. (Das Angebot der Stadt zum unentgeltlichen Gebrauch der in Rede stehenden Grundstücke für die in Rede stehen-den Schreinobjekte wird im Folgenden als das in Rede stehende Überlassungsangebot bezeich-net).(2) Der Zustand der in Rede stehenden Schreinobjekte und ihre Anordnung Das Schreintor ist auf dem in Rede stehenden Grundstück 1 in einem Bereich aufgestellt, welcher der Staatsstraße Nr. 12 gegenüberliegt. An der Frontseite des auf in den Boden einge-lassenen Grundsteinen errichteten, solide konstruierten Schreintores (Breite ca. 4,5 m), ist ein Schild mit der Aufschrift „Schrein S“ befestigt. An dem in Rede stehenden Gebäude befindet sich neben dem (eigentlichen) Eingang zum Gebäude in gerade Linie zum Schreintor ein wei-terer getrennter Eingang mit der Aufschrift „Schrein“, hinter dem der kleine Schrein aufgebaut ist. An der Seite des Schreintores befindet sich der in Stein gehauene Schrein der Erdgottheit mit der Aufschrift „Schrein der Erdgottheit“. Schreintor, Schreineingang und kleiner Schrein sind auf einer geraden Linie angeordnet. Im Inneren des kleinen Schreins befindet sich ein Spiegel als Verkörperung der Schreingottheit Amaterasu Ōmikami.(3) Gegenwärtige Verwaltung u.a. des in Rede stehenden Schreins

a) Der in Rede stehende Schrein ist keine religiöse Körperschaft im Sinne des Gesetzes über religiöse Körperschaften28. Seine Verwaltung liegt in den Händen der Schrein-gemeinde (im Folgenden in Rede stehende Schreingemeinde), die sich aus Gläubigen aus der Mitte der in der Nachbarschaft des Schreins wohnenden Einwohner zusam-mensetzt. Die betreffende Schreingemeinde stellt 10 Vertreter bzw. Helfer, die für Schreinfeste Spenden sammeln und die Buchhaltung getrennt von der Buchhaltung des Nachbarschaftsvereins führen. Jedoch gibt es keine Regeln über die innere Orga-nisation der Schreingemeinde, die Gläubigen können nicht klar identifiziert werden und die in Rede stehende Schreingemeinde kann nicht als nicht rechtsfähiger Verein angesehen werden. (aus diesem Grunde werden die betreffenden Schreinobjekte als Eigentum des Nachbarschaftsvereins angesehen).

b) Der in Rede stehende Nachbarschaftsverein ist eine aus sechs Nachbarschaftsverei-nen des Bezirks S gebildete kommunale Vereinigung, in der die in Rede stehende

28 Shūkyō Hōjinhō 宗教法人法,Gesetz Nr. 126/1951, deutschsprachige Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vorhanden.

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Schreingemeinde aufgeht. Eine aus Mitgliedern der einzelnen Nachbarschaftsvereine gebildete Verwaltungskommission verwaltet das in Rede stehende Gebäude. Im Inne-ren des Versammlungsraums, der den Hauptteil des Gebäudes ausmacht, stehen Ti-sche, Stühle, eine Schreibtafel, eine Karaokemaschine u.a.. Der Unterhalt wird ge-deckt mit Einnahmen, die private Nachhilfeschulen u.a. für die Nutzung des Raumes entrichten.

Der in Rede stehende Nachbarschaftsverein bzw. die in Rede stehende Schreinge-meinde zahlen der Stadt für die Nutzung der Grundstücke mit den in Rede stehenden Schreinobjekten und dem in Rede stehenden Gebäude sowie deren Gebrauch nichts. Für die Benutzung des Gebäudes zahlt die Schreingemeinde durch ihren Vertreter dem Nachbarschaftsverein jährlich 60.000 Yen als Nutzungsentgelt. (Diese 60.000 Yen dienen als Entgelt für die Nutzung des Gebäudes für die im Folgenden aufge-führten Zeremonien).

c) Im in Rede stehenden Schrein werden jedes Jahr drei Feste abgehalten, der erste Schreinbesuch des neuen Jahres, sowie das Frühlingsfest und das Herbstfest. Beim ersten Schreinbesuch des Jahres werden die Orakelzettel des Schreins A angeboten und Devotionalien für Verkehrssicherheit u.a. verkauft. Die Einnahmen aus diesem Verkauf u.a. und die übrig gebliebenen Orakelzettel etc. werden an den Schrein A abgeführt. Zum Frühlings- und Herbstfest wird vom Schrein A ein Shintōpriester entsandt und zu beiden Seiten des Schreintores werden Fahnen aufgehängt, die mit „Schrein S“ bzw. „Schrein der Erdgottheit“ u.a. beschriftet sind. Beim Herbstfest werden im Rahmen einer Zeremonie zu beiden Seiten des Schreins der Erdgottheit Fahnen aufgestellt, die mit den Worten „Zu Ehren der Erdgottheit von den Gläu-bigen“ u.a. beschriftet sind. Auf dem Gelände werden Schilder aufgestellt, die mit „Zu Ehren des Herbstfestes, Schrein S“ beschriftet sind. Darüber hinaus wird zum Fest des Schreins A, das jedes Jahr im August stattfindet, die Schreinsänfte des Schreins A zum in Rede stehenden Schrein getragen, zusätzlich führen die Tempel-jungfrauen einen Tanz auf.

(4) Geschichte des in Rede stehenden Schreinsa) Die Einwohner des Bezirks S haben etwa im Jahre 1892 zum Gebet für eine reiche

Ernte einen kleinen Schrein in der Nähe der heutigen städtischen Grundschule S (im Folgenden in Rede stehende Grundschule) errichtet. Später, im Jahre 1897, wurde ein Antrag der örtlichen Einwohner auf Erlaubnis zur Errichtung eines Schreins auf einem Grundstück nahe dem oben genannten Standort mit einer Größe von 3120 tsubo29 von der Verwaltungsbehörde von Hokkaidō genehmigt und auf diesem Grundstück ein Schrein errichtet. Im September desselben Jahres wurde die Einrichtung mit dem Fest der Einschreinung der (Teil) Seele der Gottheit Amaterasu Ōmikami eingeweiht und diese fortan von einer Freiwilligenorganisation Jugendlicher S unterhalten und ver-waltet.

b) Im Jahre 1903 wurde neben der oben genannten Einrichtung die in Rede stehende Grundschule (deren Name zu jener Zeit „Öffentliche Grundschule C des Kreises B“ lautete) gebaut. 1948 wurde ein Plan für die Neuerrichtung einer Sporthalle und Ver-

29 Japanische Flächeneinheit, die 3,31 qm entspricht

Götter ohne Mietvertrag  25

größerung des Schulgebäudes entworfen. Da dafür das oben erwähnte Grundstück genutzt werden sollte, musste der Schrein weichen. Um dennoch den Plan durchfüh-ren zu können, stellte der Einwohner D des Bezirks S die in Rede stehenden Grund-stücke 1 und 4, die sich in seinem Eigentum befanden, für den Umzug des Schreins zur Verfügung. Auf diese Grundstücke wurde der Schrein verlegt und am 15. Sep-tember 1950 wurde auch der Schrein für die Erdgottheit dort errichtet.

c) D bot im Jahre 1953 der Gemeide Sunagawa (erst 1958 wurde diese zur Stadt erklärt, im Folgenden als in Rede stehende Gemeinde bezeichnet), um von der Verpflichtung zur Grundsteuer für die in Rede stehenden Grundstücke 1 und 4 befreit zu werden, diese der in Rede stehenden Gemeinde als Spende an. Im März desselben Jahres be-schloss der Gemeinderat, die Grundstücke zu übernehmen, und da sie mit einem Schrein bebaut waren, diese kostenlos zur Verfügung zu stellen. Am 29. März des-selben Monats wurden die Eigentumsrechte der Grundstücke von D erworben.

d) Im Jahre 1970 erbaute der in Rede stehende Nachbarschaftsverein (dessen Name zu jener Zeit noch Dorfverband S lautete) mit Mitteln der Stadt auf dem Areal zum Zwek ke der Durchführung von Versammlungen das in Rede stehende Gebäude. Dazu wurden dem in Rede stehenden Nachbarschaftsverein von der Stadt neben den in Rede stehenden Grundstücken 1 und 4 das in Rede stehende Grundstück 3 (das der Stadt vom Einwohner E u.a. im September desselben Jahres gespendet worden war) und vom Erschließungsbezirk Hokkaidō (im Folgenden in Rede stehender Erschlie-ßungsbezirk) die in Rede stehenden Grundstücke 2 und 5 kostenlos zur Verfügung gestellt. Mit der Errichtung des Gebäudes wurde der sich auf den in Rede stehenden Grundstücken 1 und 4 befindliche Schrein mit Ausnahme des kleinen Schreins und des Schreins der Erdgottheit entfernt. Der kleine Schrein wurde in das Innere des Gebäudes verlegt und das in Rede stehende Schreintor auf Grundstück 1 errichtet. (Ob das davor existierende Schreintor entfernt wurde, ist unklar).

e) Im Jahre 1994 kaufte die Stadt vom in Rede stehenden Erschließungsbezirk die Grundstücke 2 und 5 für 5.002.321 Yen respektive 1.438.296 Yen.

f) Durch den oben beschriebenen Ablauf sind alle in Rede stehenden Grundstücke voll-ständig in das Eigentum der Stadt übergegangen und werden gegenwärtig für das in Rede stehende Gebäude, das Schreintor sowie den Schrein der Erdgottheit kostenlos überlassen.

3. Im Urteil der Vorinstanz wurde auf der Basis der oben genannten Tatsachen festgestellt, dass der Verzicht des Revisionsklägers vom im Rede stehenden Nachbarschaftsverein die Ent-fernung der in Rede stehenden Schreineinrichtung zu verlangen eine rechtswidrige Vernachläs-sung der Vermögensverwaltung sei. (1) Die in Rede stehende Schreineinrichtung und das in Rede stehende Gebäude seien eindeu-tig eine religiöse Einrichtung, mit der die Stadt mittels des in Rede stehenden Überlassungsan-gebots bewusst eine besondere Beziehung eingegangen sei. Dies erzeuge bei einem durch-schnittlichen Beobachter den Eindruck, als würde die Stadt eine bestimmte Religion besonders bevorzugen. Damit werde die Grenze überschritten, die nach den sozialen und kulturellen Ge-gebenheiten unseres Staates als angemessen gelte. Dies stelle einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 der Verfassung dar, welcher dem Staat religiöse Betätigungen untersagt, sowie gegen das in Art. 20 Abs. 1 S. 2 sowie in Art. 89 enthaltene Prinzip der Trennung von Staat und Religion.

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(2) Die Revisionsbeklagten hätten geltend gemacht, dass der Verzicht auf das Verlangen der Aufhebung des Gebrauchsüberlassungsvertrages, der Verzicht auf das Verlangen der Entfernung der Schreinobjekte bzw. der Verzicht auf das Verlangen der Rückgabe der Grundstücke in un-bebauten Zustand seitens des Revisionsklägers, rechtswidrig gewesen sei. Zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit sei es indes nicht nötig, den Gebrauchsüberlassungsvertrag aufzuheben. Es bleibe aber bei der Rechtswidrigkeit wegen des Verzichts auf das Verlangen der Entfernung der Schreinobjekte, weil damit die Verwaltung der in Rede stehenden Grundstücke 1 und 2 ver-nachlässigt worden sei. II. Zur Revisionsbegründung seitens der Prozessvertreter des Revisionsklägers Niikawa Iku-

ma und Asakura Yasushi Die Argumentation fußt darauf, dass die Religionsbezogenheit der in Rede stehenden Schreineinrichtungen nur schwach ausgeprägt sei. Der Erwerb der Grundstücke 1 und 2 durch die Gemeinde bzw. Stadt seien nicht in Verfolgung religiöser Ziele geschehen. Folglich bein-halte das Überlassungsangebot keinen Verstoß gegen das Verfassungsprinzip der Trennung von Staat und Religion. Tatsächlich aber verstößt das in Rede stehende Überlassungsangebot gegen Art. 89 und gegen Art. 20 Abs. 1 S. 2 der Verfassung und der Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die Gründe dafür sind Folgende: 1. Verfassungsrechtlicher Rahmen Der Inhalt des Art. 89 der Verfassung legt fest, dass öffentliches Vermögen nicht zum

Gebrauch, zum Vorteil oder zur Unterstützung religiöser Organisationen oder Vereini-gungen verwendet werden darf. Die darin enthaltene religiöse Neutralität des Staates wird als Prinzip der Trennung von Staat und Religion bezeichnet. Geht man unter diesem As-pekt der Verwendung öffentlicher Gelder auf den Grund, wird deutlich, dass das in Art. 20 Abs. 1 S. 2 der Verfassung enthaltene Verbot der finanziellen Privilegierung religiöser Gruppen die Gewährleistung der Religionsfreiheit sicherstellt. Das bedeutet aber nicht, dass der Staat oder eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts keine Art von Bezie-hung zu den Religionen haben darf. Auch Art. 89 der Verfassung ist nur dahingehend zu interpretieren, das die Verfügung über öffentliche Gelder dann verboten ist, wenn die be-treffenden Handlungen im Lichte der sozialen und kulturellen Gegebenheiten unseres Staates im Verhältnis zu den Grundzielen des der Sicherstellung und Gewährleistung der Glaubensfreiheit dienenden Systems die als angemessen zu bezeichnende Grenze über-schreiten.

Eine Handlung, mit welcher der Staat oder eine Gebietskörperschaft des öffentlichen Rechts, Grundstücke in ihrem Eigentum kostenlos zum Aufbau einer religiösen Einrich-tung zur Verfügung stellt, gewährt im Allgemeinen derjenigen religiösen Vereinigung u.a., die die religiöse Einrichtung unterhält, einen Vorteil. Eine solche Handlung kann mit Art. 89 der Verfassung in Konflikt geraten. Aber die kostenlose Überlassung zum Aufbau einer religiösen Einrichtung kann in Anbetracht der Vorgeschichte und des Wesens der betrof-fenen Einrichtung, sowie der näheren Umstände, die zu dem kostenlosen Überlassungsan-gebot geführt haben, vielfältige Ausprägungen haben. Beispielsweise kann eine Einrich-tung, die allgemein religiösen Charakters ist, gleichzeitig auch ein historisch oder kulturell wertvolles Gebäude sein, es kann sich um eine Touristenattraktion, ein Symbol internatio-naler Freundschaft oder einen Ort der Begegnung handeln, oder eine andere von vielen möglichen Bedeutungen haben. Solche Einrichtungen von sozialer bzw. kultureller Be-

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deutung können sich auf Grundstücken der öffentlichen Hand befinden. Darüber hinaus gibt es in unserem Staat besonders viele Beispiele für die kostenlose Nutzung von Grund-stücken der öffentlichen Hand durch Schreine und Tempel, da im Zuge der Rückgabe von Grundeigentum oder als Spende an die Regierung seit Beginn der Meiji-Zeit bestimmte Schreine und Tempel in den Besitz des Staates übergegangen sind. Ein Beispiel dafür ist das „Gesetz über die Behandlung von Staatsvermögen, das kostenlos an Schreine und Tempel u.a. überlassen ist“30, das als Gesetz Nr. 53/1947 verkündet wurde und auf Grund dessen nach einer Anordnung31 des Kulturstaatssekretärs im Ministerium für innere Ange-legenheiten Grundstücke zurückzuübertragen waren. Auch nachdem die Frist zur Stellung eines solchen Antrags abgelaufen war, ist es zur Übertragung, zum Verkauf, zur Vermie-tung usw. gekommen. Ungeachtet dessen gibt es bis auf den heutigen Tag Grundstücke in beträchtlicher Zahl, für die in Rede stehenden Maßnahmen nicht getroffen werden konn-ten. Diese Umstände haben Einfluss darauf, ob das Überlassungsangebot mit den Augen eines gewöhnlichen Betrachters gesehen als Unterstützung einer bestimmten Religion be-wertet werden kann und sind daher als wichtiger Bestandteil der Überlegung in Betracht zu ziehen, wenn es um das Prinzip der Trennung von Staat und Religion geht.

Für ein Urteil darüber, ob die als angemessen zu bezeichnende Grenze des der Sicher-stellung und Gewährleistung der Glaubensfreiheit dienenden Systems überschritten ist und damit ein Verstoß gegen Art. 89 der Verfassung vorliegt, müssen das Wesen der betroffenen religiösen Einrichtung, die näheren Umstände, die in diesem Fall dazu führten, dass das betroffene Grundstück kostenlos für die Einrichtung zur Verfügung gestellt wurde, die ge-naue Sachlage des kostenlosen Überlassungsangebots, u.a. berücksichtigt werden. Dies alles ist nach der herrschenden Ansicht in der Gesellschaft objektiv zu beurteilen.

Dieses Erfordernis wird auch in den Urteilen dieses Gerichts (Oberster Gerichtshof 1971 (gyō tsu) Nr. 69, Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. Juli 1977, Amt-liche Sammlung der Entscheidungen des OGH in Zivilsachen Band 31, Nr. 4, S. 53332; Oberster Gerichtshof 1992 (gyō tsu) Nr. 156, Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 2. April 1997, Amtliche Sammlung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen Band 51 Nr. 4, S. 1673)33 deutlich.

2. Vereinbarkeit des Überlassungsangebots mit der Verfassung(1) Den oben beschriebenen Tatsachen zufolge sind die in Rede stehenden Schreinob-

jekte, Schreintor, Schrein der Erdgottheit, mit dem Wort „Schrein“ ausgewiesener Eingang zum Gebäude und kleiner Schrein, als Einrichtungen eines shintōistischen Schreins anzusehen.

Obwohl alle mit dem in Rede stehenden Schrein in Verbindung stehenden Kulthand-

30 shaji tō ni mushō de kashitsukete aru kokuyū zaisan no shobun ni kan suru hōritsu 社寺等に無償で貸し付けてある国有財産の処分に関する法律,deutschsprachige Übersetzung, soweit ersichtlich, nicht vor-handen

31 naimu monbu jikan tsūchō 内務文部次官通牒. Diese Rechtsgrundlage lässt sich nicht auffinden, zumal das Ministerium für innere Angelegenheiten aufgelöst ist. Es handelte sich wohl um eine Verwaltungsvor-schrift, für die heute der Begriff tsūtatsu 通達 üblich ist.

32 Das ist die oben angesprochene Entscheidung zur Grundstückseinweihung.33 Das ist das in der Literatur als Ehime Spenden Entscheidung diskutierte Urteil. Es ging um die Spende einer

öffentlichrechtlichen Gebietskörperschaft sowohl an den örtlichen Gokoku Schrein als auch an den Yasuku-ni Schrein in Tōkyō, was ausdrücklich nicht Gegenstand dieses Aufsatzes ist. Der Oberste Gerichtshof be-jahte die Verfassungswidrigkeit.

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lungen auch eine wichtige Rolle bei traditionellen Festen spielen, kann man ange-sichts ihrer Durchführung nach shintōistischen Regeln nicht sagen, dass sie rein welt-licher Natur sind und nur eine geringfügige religiöse Bedeutung haben.

Die in Rede stehende Schreinobjekte sind danach Einrichtungen, die eigens für den Schreinshintō errichtet wurden und die Zeremonien tragen den üblichen Charakter religiöser Feste in solchen Einrichtungen.

(2) Partner des Überlassungsangebots ist nicht der in Rede stehende Nachbarschaftsver-ein, sondern die Schreingemeinde, was aus der Verwaltung der betreffenden Schrein-objekte und das Abhalten der oben beschriebenen Feste erkennbar wird. Wie oben beschrieben, ist die Schreingemeinde eine Vereinigung, die zwar im Nachbarschafts-verein aufgeht, aber von diesem zu trennen ist. Der Hauptzweck der Schreingemein-de besteht darin, religiöse Feierlichkeiten u.a. abzuhalten und dafür Spenden zu sam-meln. Sie ist als „religiöse Organisation oder Vereinigung“ i.S.d. Art. 89 der Verfas-sung anzusehen.

Die Schreingemeinde erhielt den Vorzug nur für das in Verbindung mit den Feierlich-keiten genutzte Gebäude etwas an den Nachbarschaftsverein zahlen zu müssen, nicht jedoch das normalerweise erforderliche Entgelt für die Einrichtung der Schreinob-jekte selbst. Mit anderen Worten besteht die unmittelbare Wirkung des Überlassungs-angebots darin, der Schreingemeinde den Gebrauch des Schreins für ihre religiösen Aktivitäten zu erleichtern.

(3) Da die Stadt es zugelassen hat, das auf ihren Grundstücken religiöse Einrichtungen erbaut wurden ohne irgendeine Bezahlung dafür zu erhalten und damit der Schreinge-meinde die Durchführung ihrer religiösen Aktivitäten erleichtert wird, lässt sie mit den Augen eines durchschnittlichen Betrachters gesehen, einer bestimmten Religion eine besondere Privilegierung zukommen. Den oben dargestellten Tatsachen folgend ist das in Rede stehende Überlassungsangebot zwar ursprünglich zur Ermöglichung der Vergrößerung der Grundschule erfolgt, für die weitere Grundstücke von einem Eigentümer zur Verfügung gestellt wurden und entsprach damit einem allgemeinen und öffentlichen Zweck und nicht der Förderung bzw. Privilegierung des in Rede stehenden Schreins. Dieser ursprüngliche Zweck vermag aber unter Berücksichti-gung der konkreten Umstände, nämlich des Wesens der in Rede stehenden Schreinob-jekte als religiöse Einrichtung und den langen Zeitraum der Vorteilsgewährung eine abweichende Einschätzung nicht zu rechtfertigen.

(4) Urteilt man in Erwägung der oben beschriebenen Sachlage und in Übereinstimmung mit den herrschenden Ansichten in der Gesellschaft, so wird in der Beziehung zwi-schen der Stadt und dem in Rede stehenden Schrein beziehungsweise dem Shintō, mit dem Überlassungsangebot im Lichte der sozialen und kulturellen Gegebenheiten un-seres Staates im Verhältnis zu den Grundzielen des der Sicherstellung und Gewährlei-stung der Glaubensfreiheit dienenden Systems die als angemessen zu bezeichnende Grenze überschritten, das in Art. 89 der Verfassung festgelegte Verbot der Verwen-dung öffentlicher Mittel nicht eingehalten und damit das in Art. 20 Abs. 1 S. 2 festge-legte Verbot einer Privilegierung religiöser Vereinigungen verletzt.

III. Prüfung von Amts wegen1. Die Revisionsbeklagten haben eine Einwohnerklage gem. Art. 242-2 Abs. 1 Ziff. 3

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des Gesetzes über die lokale Selbstverwaltung eingereicht. Sie machen geltend, dass obwohl vor dem Hintergrund des Prinzips der Trennung von Staat und Religion die Situation der in Rede stehenden Grundstücke problematisch ist, der Revisionskläger keinerlei Maßnahmen ergreift, um das Problem zu lösen, und verlangen deshalb die Aufhebung des Gebrauchsüberlassungsvertrages und die Entfernung der Schreinein-richtung unter dem Gesichtspunkt der rechtswidrigen Vermögensverwaltung.

2. Dass das Überlassungsangebot unter den gegenwärtigen Bedingungen verfassungs-widrig ist, wurde soeben erläutert. Maßgebend für die Entscheidung der Verfassungs-widrigkeit war, dass die Schreingemeinde bereits über einen langen Zeitraum kosten-los die Grundstücke für ihre Feierlichkeiten nutzt. Für die Beseitigung dieser verfassungswidrigen Situation sind jedoch auch andere Maßnahmen denkbar als die Entfernung der Schreineinrichtung und die Rückgabe der unbebauten Grundstücke. Man könnte sich beispielsweise an den Maßnahmen orientieren, die in den Nach-kriegsjahren für Grundstücke von Tempel- und Schreinanlagen getroffen wurden, welche vor dem Krieg in Staatseigentum überführt worden waren, und die Grund-stücke 1 und 2 ganz oder teilweise übertragen, gegen Entgelt verkaufen, gegen einen angemessenen Mietzins vermieten u.a. um die vorliegende Verfassungswidrigkeit zu beseitigen. Dem Revisionskläger wird so Gelegenheit gegeben, alle Umstände in die Überlegungen miteinzubeziehen, also die gegenwärtige Situation der in Rede stehen-den Grundstücke, des in Rede stehenden Gebäudes, der in Rede stehenden Schreinob-jekte, den Einfluss, den die Maßnahmen zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit auf die Benutzer ausüben, die Intentionen der Beteiligten, sowie die Schwierigkeiten der Ausführung. Bei der Auswahl der angemessenen Maßnahme ist ihm Ermessen einzuräumen. Auch wenn die Umstände die zum Überlassungsangebot und dazu ge-führt haben, dieses nicht als verfassungswidrig aufzufassen unbekannt bleiben sollten, sollte über die Wahl der Lösungswege ausreichend nachgedacht werden. Wenn man die anfänglichen Umstände des in Rede stehenden Überlassungsangebots sowie u.a. die Tatsache bedenkt, dass die von der in Rede stehenden Schreingemeinde mit Hilfe der in Rede stehenden Schreinobjekte durchgeführten Zeremonien äußerst friedlich abgelaufen sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass die gegen den Revisionsklä-ger direkt erhobene Klage mit dem Antrag auf Entfernung der in Rede stehenden Schreinobjekte die Vertrauenswürdigkeit des in Rede stehenden Nachbarschaftsver-eins, der die in Rede stehenden Grundstücke als Schreineinrichtung duldete, gelitten hat. Das die Fortführung der von den Einwohnern gepflegten religiösen Aktivitäten schwierig werden kann, und dass die Mitglieder der Schreingemeinde in ihrer Glau-bensfreiheit beeinträchtigt werden könnten, braucht gar nicht hervorgehoben zu wer-den. Überdies beinhalten einige der oben genannten alternativen Maßnahmen das Erfordernis der Beschlussfassung seitens des Stadtrats. Es muss deshalb auch in Er-wägung gezogen werden, ob überhaupt die Möglichkeit besteht, dass ein solcher Be-schluss gefasst werden kann. Bestehen für den Revisionskläger dem Zweck entspre-chende und realisierbare andere Maßnahmen, dann ist der Verzicht auf die Anordnung der Entfernung der Schreineinrichtung und das Verlangen auf Rückgabe unbebauter Grundstücke keine rechtswidrige Vermögensverwaltung. Mit anderen Worten, der Verzicht der Anordnung zur Entfernung der Schreineinrichtung und das Verlangen auf

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Rückgabe unbebauter Grundstücke ist nur dann eine rechtswidrige Vermögensver-waltung, wenn alle anderen Maßnahmen sich als rechtsmißbräuchliche Ermessensaus-übung erweisen sollten.

3. Bisher ist von den Parteien unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen darüber, ob andere Maßnahmen für die Beseitigung der Verfassungswidrigkeit des in Rede stehenden Überlassungsangebots bestehen, nichts geltend gemacht worden. Auch in der Vorinstanz sind Spuren einer Erklärung über die Existenz solcher Maßnahmen nicht zu erkennen. Das aber solche Maßnahmen zur Beseitigung der Verfassungswid-rigkeit des Überlassungsangebots existent sind, läßt sich auch ohne ihre Geltendma-chung seitens der Parteien erkennen. Parallel zum hiesigen Verfahren läuft eine Ein-wohnerklage mit in etwa denselben Parteien über einen anderen Schrein in der Stadt (Schrein T). In dem Verfahren geht es darum, ob zur Beseitigung der Verfassungswid-rigkeit die unentgeltliche Übertragung der Grundstücke, auf denen der Schrein sich befindet, auf den lokalen Nachbarschaftsverein möglich ist, was in der 1. und 2. Ge-richtsinstanz bejaht wurde. Auch dieses Gericht hat sich dafür entschieden, diese Maßnahme als verfassungsgemäß zu beurteilen (Oberster Gerichtshof 2007 (gyō tsu) Nr. 334)34. In der Vorinstanz dieses Verfahrens war die mögliche Existenz anderer Maßnahmen bekannt. Auch der Revisionskläger zeigte Kenntnis von der Möglichkeit der Ergreifung anderer Maßnahmen.

Daraus folgt, dass die Vorinstanz vor der Entscheidung darüber, ob der Verzicht auf die Anordnung zur Entfernung der in Rede stehenden Schreineinrichtung und des Verlangens nach Rückgabe unbebauter Grundstücke rechtswidrig war, die Parteien darüber hätte aufklären müssen, ob nicht zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit des Überlassungsangebots vernünftige und realisierbare andere Maßnahmen zur Ver-fügung stehen. Da die Vorinstanz über diesen Punkt nicht verhandelt und nicht aufge-klärt hat, beruht das Urteil auf einer fehlerhaften Gesetzesauslegung.

IV. Ergebnis Der Vorinstanz ist in der Beurteilung der Verfassungswidrigkeit des Überlassungangebots zu folgen, aber dass es eine Rechtswidrigkeit annahm, weil der Revisionskläger darauf verzich-tete, die Entfernung der in Rede stehenden Schreineinrichtung anzuordnen, ist als Rechtsverstoß zu werten. Deshalb ist das Urteil der Vorinstanz von Amts wegen aufzuheben und die Sache zur Überprüfung der Frage, ob andere Maßnahmen für die Beseitigung der Verfassungswidrigkeit des in Rede stehenden Überlassungsangebots existieren, an die Vorinstanz zurückzuverwiesen.Abgesehen von den abweichenden Stellungnahmen der Richter Imai Isao und Horigome Yukio ist der Tenor der Entscheidung einstimmig ergangen. Die Richter Fujita Tokiyasu, Tahara Mutsuo und Kondo Takaharu äußern sich in Sondervoten, die Richter Kainaka Tatsuo, Nakaga-wa Ryōji, Furuta Yūki und Takeuchi Yukio tragen ergänzende Ansichten vor35. Vorsitzender Richter Takesaki Hironobu, Richter Fujita Tokiyasu, Kainaka Tatsuo, Imai Isao, Nakagawa Ryōji, Horigome Yukio, Furuta Yūki, Nasu Kōhei, Tahara Mutsuo, Kondō Ta-kaharu, Miyakawa Kōji, Richterin Sakurai Ryūko, Richter Takeuchi Yukio, Kanetsuki Seishi.

34 Dazu Sogleich.35 Diese sind hier wegen ihres erheblichen Umfanges nicht wiedergegeben.

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2. Oberster Gerichtshof, Großer Spruchkörper, Urteil vom 22. Januar 2010 (Aktenzei-chen 334 (gyō [Verwaltungssache] -tsu) 2007

Leitsätze Die Übertragung des Eigentums der Grundstücke der Stadt, die kostenlos für eine Schrein-einrichtung dem Nachbarschaftsverein zur Verfügung gestellt waren, auf diesen, stellt unter den zu (1) bis (3) genannten Voraussetzungen keine Verletzung der Art. 20 Abs. 3 und 89 der Verfas-sung dar.(1) Die in Rede stehende Schreineinrichtung ist die Einrichtung eines Shintōschreins, die dort

durchgeführten religiösen Kulthandlungen sind Shintōzeremonien, was aus der Sicht eines Durchschnittsbürgers, falls das Überlassungsangebot im Hinblick auf die im Eigentum der Stadt stehenden Grundstücke Bestand gehabt hätte, die Bewertung zugelassen hätte, dass die Stadt eine bestimmte Religion bevorzugt.

(2) Die in Rede stehende Übertragung diente auf der Grundlage des Vorschlags der städtischen Prüfungskommission dem Zweck, die unter (1) beschriebene Möglichkeit der Verletzung der Verfassung in angemessener Weise zu beseitigen.

(3) Die in Rede stehenden Grundstücke sind der Vorgängerorganisation des heutigen Nachbar-schaftsvereins vor dem Kriege zur Errichtung von Wohnungen für Lehrer der Grundschule zur Verfügung gestellt worden; diese Nutzung ist aber in Folge des Abrisses der Woh-nungen nach dem Kriege weggefallen.

Relevante Vorschriften: Art. 20 Abs. 3 und 89 der Verfassung, Art. 238-5 Abs. 1 des Gesetzes über die kommunale Selbstverwaltung, Art. 3 der Stadtsatzung zu Tausch, Übertragung, unentgeltlicher Überlassung u.a. von Vermögen der Stadt Sunagawa, Satzung Nr. 20/199236.

Prozessgeschichte: Es geht um den Tomihira 富平 Schrein in der Stadt Sunagawa der Präfektur Hokkaidō. Die Kläger sind Einwohner der Stadt. Sie sind weitgehend mit den Personen des 1. Verfahrens identisch. Beklagter ist wiederum der Bürgermeister. Die Kläger sind in beiden Vorinstanzen Distriktgericht Sapporo, Urteil vom 30. November 2006, und Obergericht Sapporo, Urteil vom 30. August 2007, unterlegen.

UrteilTenorDie Revision wird zurückgewiesen.Die Kosten der Revision werden den Revisionsklägern auferlegt.

GründeI. Grundlage des Falles1. Es geht um das Verlangen der Revisionskläger, Einwohner der Stadt Sunagawa, gegen den

36 Warum das Gericht die hier ebenfalls einschlägigen Art. 242-2 Abs. 1 Ziff. 3 und Art. 260-2 Abs. 1 des Gesetzes über die kommunale Sebstverwaltung nicht zitiert hat, ist unklar.

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Revisionsbeklagten auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verzichts auf die Geltendma-chung des Anspruchs der Stadt Sunagawa auf Löschung der Eintragung einer Grundstücküber-tragung wegen Vernachlässigung der Vermögensverwaltungspflicht gem. Art. 242-2 Abs. 1 Ziff. 3 des Gesetzes über die kommunale Selbstverwaltung infolge der als Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Trennung von Staat und Religion unwirksamen unentgelt-lichen Übertragung von Grundstücken der Stadt Sunagawa (im Folgenden die in Rede stehende Stadt) an den Nachbarschaftsverein T der Stadt (im Folgenden der in Rede stehende Nachbar-schaftsverein), auf denen ein Schrein eingerichtet ist.2. Die der Vorinstanz für die Feststellung der Rechtmäßigkeit zugrundeliegenden Fakten lau-ten wie folgt:(1) Überblick über die übertragenen Grundstücke und die auf ihnen unterhaltene Schreinein-

richtung Die Stadt war Eigentümerin der Grundstücke, die dem erstinstanzlichen Urteil in einer Aufstellung beigefügt sind (im Folgenden die in Rede stehenden Grundstücke), bis sie diese am 15. April 2005 auf den gem. Art. 260-2 Abs. 1 des Gesetzes über die kommunale Selbstverwal-tung zu Grundstücksgeschäften ermächtigten Nachbarschaftsverein im Stadtbezirk T übertrug (im Folgenden die in Rede stehende Übertragung), in dem sie das für die Übertragung des Ei-gentums auf der Grundlage einer Schenkung erforderliche Eintragungsverfahren durchführte. Die in Rede stehenden Grundstücke dienen der Anlage des Schreins T (im Folgenden des in Rede stehenden Schreins), in dem darauf die im Anhang zum erstinstanzlichen Urteil befind-lichen Plan eingezeichneten Bauten, vom Norden her das Schreintor (Breite 4,5 m), ein Paar Steinlaternen, und die Schreinhalle (Bodenfläche 25,92 qm, einstöckiger Holzbau mit Wänden aus verzinkten Stahlplatten auf Holzschindeln nach Nanking Stil ), die in gerader Linie angeord-net sind, zwischen den Steinlaternen und der Schreinhalle der in Stein gehauene Schrein der Erdgottheit mit der eingemeißelten Aufschrift „Schrein der Erdgottheit“ und vor der Schrein-halle die Anlage zur Reinigung mit Wasser. Oberhalb des Haupteingangs an der Frontseite der Schreinhalle ist ein Schild mit dem Schriftzug „Schrein T“ angebracht und hinter der Frontseite der Schreinhalle ist ein kleiner Schrein eingerichtet, der der Verehrung der Gottheit Ōkuninushi no Mikoto 大国主命 dient (Im Folgenden werden die den kleinen Schrein umfassende Schrein-halle, das Schreintor, die Steinlaternen, der Schrein der Erdgottheit und die Wasserstelle zur Reinigung als die in Rede stehenden Schreineinrichtungen bezeichnet).(2) Umstände der Instandhaltung u.a. des in Rede stehenden Schreins im in Rede stehenden

Übertragungszeitpunkta) Beim in Rede stehenden Nachbarschaftsverein handelt es sich um einen solchen, der

die Erhaltung und Förderung der lokalen Aktivitäten zum Ziel hat, nicht um eine Ver-einigung, der es um die Förderung von religiösen Aktivitäten geht. Die Zusammen-setzung der Mitglieder des Verwaltungsrats des in Rede stehenden Nachbarschafts-vereins und dessen Struktur lassen erkennen, das ein besonderes Verhältnis zum in Rede stehenden Schrein nicht besteht. Es besteht auch nicht das Erfordernis für Mit-glieder des Nachbarschaftsvereins und Mitglieder dessen Verwaltungsrats, der religi-ösen Vereinigung, die hauptsächlich den in Rede stehenden Schrein betreibt, anzuge-hören oder sonst für sie tätig werden. Auch wird die Buchführung des Nachbarschaftsvereins u.a. getrennt von der des in Rede stehenden Schreins betrie-ben.

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b) Der in Rede stehende Schrein hat keine eigene Rechtspersönlichkeit, für seine Struk-tur und Aktivitäten u.a. gibt es keine geschriebene Grundlage, er ist nicht auf Dauer angelegt. Allerdings werden auf der Basis einer Vereinbarung unter den Einwohnern vom Vertreter bzw. dem für die Buchführung Zuständigen von den Mitgliedern des in Rede stehenden Nachbarschaftsvereins für die Unterhaltung des in Rede stehenden Schreins von jedem Haushalt jedes Jahr ein Betrag von 1500 Yen eingesammelt, die Genannten helfen auch bei den Vorbereitungen zum Jahresfest und führen die für die Unterhaltung des Schreins erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen durch. Die Anzahl der Haushalte im Stadtbezirk T liegt etwa bei 30 und die große Mehrheit dieser Haus-halte hat in den Jahren 2001 und 2003 die auf sie entfallenden Unterhaltsbeiträge be-zahlt. Die Kosten für das Jahresfest des in Rede stehenden Schreins werden von Spenden und Geldopfern bestritten.

c) Im in Rede stehenden Schrein werden jedes Jahr die Feste erster Schreinbesuch im Jahr, Frühlingsfest und Herbstfest gefeiert. Beim ersten Schreinbesuch im Jahr kom-men die Einwohner des Stadtbezirks T, beim Frühlings- und Herbstfest rezitiert der Shintōpriester des Schreins A ein shintōistisches Gebet, an dem in jedem Jahr etwa 10 Personen teilnehmen. Während der Feste wird jeweils eine Fahne mit der Aufschrift: „Zu Ehren des Schreins T von den Gläubigen“ auf beiden Seiten des Schreintors an-gebracht, an der Frontseite der Schreinhalle wird im Teil unter dem Dach eine Glocke mit der Aufschrift „Zu Ehren des Schreins T vom Vertreter“ installiert und in der Nähe des Eingangs der Opferstock eingerichtet. Wenn im August das Schreinfest des Schreins A stattfindet, wird die dortige tragbare Schreinsänfte bis zum in Rede stehen-den Schrein getragen und vom dortigen Shintōpriester oder der Tempeljungfrauen Kulthandlungen durchgeführt.

(2) Geschichte des in Rede stehenden Schreins und Details der in Rede stehenden Übertragung a) Die hier in Rede stehenden Grundstücke standen früher tatsächlich im Eigentum des

im Stadtbezirk T existenten Einwohnervereins (der Vorgängerorganisation des hier in Rede stehenden Nachbarschaftsvereins), allerdings waren die Grundstücke auf die persönlichen Namen einiger Einwohner eingetragen. Im Jahre 1894 wurde auf den in Rede stehenden Grundstücken zum Gebet um die Fruchtbarkeit des Getreideanbaus ein kleiner Schrein für den Ōkuninushi no Mikoto errichtet (seinerzeit wurde der Schrein B um Mithilfe gebeten). Danach wurden von 1932 bis 1968 nach und nach die Einrichtungen auf den hier in Rede stehenden Grundstücken geschaffen, die jetzt den in Rede stehenden Schrein ausmachen.

b) Im Jahre 1935 wurde die Stadt vom Einwohnerverein T gebeten, auf den in Rede ste-henden Grundstücken Wohnungen für die Lehrer der Grundschule T zu errichten, woraufhin die Stadt die Wohnungen errichtete nachdem ihr die Grundstücke gespen-det wurden und sie im Grundbuch als Eigentümerin eingetragen worden war.

c) Da die Wohnungen der Lehrer der Grundschule T im Jahre 1975 abgerissen wurden, hat die Stadt im April 1976 zur Verwirklichung des mit dem Einwohnerverein T ge-fassten gemeinsamen Plans der Einrichtung eines Kleinkinderspielplatzes u.a. den Einwohnerverein T mit der unentgeltlichen Verwaltung der Grundstücke beauftragt. Zu diesem Zeitpunkt standen auf den in Rede stehenden Grundstücken neben den Einrichtungen des Schreins ein Lager der landwirtschaftlichen Genossenschaft und

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ein Gebäude zur Nutzung durch Jugendliche, ein Teil wurde als Kleinkinderspielplatz genutzt. Seit dieser Zeit sind die Grundstücke vom Einwohnerverein T und seiner Nachfolgeorganisation, dem in Rede stehenden Nachbarschaftsverein selbständig verwaltet worden. (In dieser Zeit ist das Lager u.a. abgerissen und der Spielplatz beseitigt worden, die gegenwärtig deshalb nicht mehr bestehen).

d) Die Revisionskläger haben im Jahre 2004 gegenüber der Kontrollkommission der Stadt den Anspruch auf Durchführung einer Untersuchung geltend gemacht, weil aus ihrer Sicht die Schreinanlage auf den in Rede stehenden Grundstücken das Prinzip der Trennung von Staat und Religion verletze. Die Kontrollkommission hat daraufhin am 22. November desselben Jahres als Ergebnis der Untersuchung mitgeteilt, das eine Verletzung des Prinzips der Trennung von Staat und Religion nicht bestehe, es aber möglich sei, dass die Existenz eines Schreins und die Vornahme von Kulthandlungen auf städtischen Grundstücken den Argwohn eines Teiles der Einwohner auslösen kön-ne und es deshalb unter Berücksichtigung der Vorgeschichte nötig werden könne, die in Rede stehenden Grundstücke den Einwohnern des Bezirks T zu übertragen.

Auf der Grundlage dieser Nachricht hat die Stadt, um die Existenz eines Schreins auf städtischen Grundstücken zu beseitigen, nach einer Einigung mit dem in Rede stehen-den zu Grundstückgeschäften ermächtigten Nachbarschaftsverein diesem am 15. April 2005 nach einer entsprechenden Beschlussfassung seitens des Stadtrats die hier in Rede stehenden Grundstücke übertragen.

II. Gründe der Prozessvertreter Ishida Akiyoshi, Inoue Jirō und Nakajima Mitsutaka des Re-visionsklägers für die Erhebung der Revision

1. Zu den Punkten 1 und 4 der Revisionsbegründung, die einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 3 und 89 der Verfassung behaupten.(1) Auf der Basis der dargestellten Tatsachen entspricht die in Rede stehende Schreineinrich-

tung einem Shintōschrein und da die in der Schreineinrichtung durchgeführten Kulthand-lungen als Shintōzeremonien vorgenommen werden, handelt es sich um religiöse Kult-handlungen.

Weiter folgt aus den festgestellten Tatsachen, dass die Aufwendungen für den in Rede ste-henden Schrein von der überwiegenden Zahl der Haushalte der Einwohner des Bezirks T erbracht werden, dass die Abrechnung auf der Basis einer Absprache mit den Einwohnern des Bezirks von dem Vertreter und dem für die Buchhaltung Zuständigen von der Rech-nungslegung des Nachbarschaftsvereins getrennt erfolgt, dass die Gläubigen als Vereini-gung von den Einwohnern des Bezirks abgrenzbar sind, u.a. dass sie als Organisation bzw. Vereinigung i.S.d. Art. 89 der Verfassung anzusehen sind.

Obwohl der Träger des Eigentums an den Schreineinrichtungen nicht sicher auszumachen ist, hat die Stadt die in Rede stehenden Grundstücke vor der in Rede stehenden Übertra-gung als Schreineinrichtung tatsächlich direkt der Vereinigung kostenlos zur Verfügung gestellt, um die Religionsausübung zu vereinfachen.

Folgt man dem, wäre die fortgesetzte Überlassung in den Augen eines Durchschnittsbür-gers als eine bewusste Vorteilsgewährung für eine bestimmte Religion zu bewerten.

(2) Die in Rede stehende Übertragung ist erfolgt um die von der Kontrollkommission der Stadt geltend gemachte Gefahr einer Verletzung der Art. 20 Abs. 1 S. 2 und 89 der Verfassung in angemessener Weise zu beseitigen.

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Die in Rede stehende Übertragung stellt, beachtet man den Wert der in Rede stehenden Grundstücke, einen erheblichen Vorteil für den Nachbarschaftsverein dar und stellt, unter-stellt, dass die Weiterbenutzung der Schreineinrichtungen durch die Vereinigung der Ein-wohner des Bezirks weiter kostenlos gewährt wird, auch für diese einen erheblichen Vorteil dar. Da aber die in Rede stehenden Grundstücke im Jahre 1935 für die Erstellung von Wohnungen der Lehrer gestiftet worden sind, hatte die Vorgängerorganisation des in Rede stehenden Nachbarschaftsvereins, der Einwohnerverein T, schon früher eine tatsächliche Verfügungsgewalt darüber. Da die Nutzung der Lehrerwohnungen aber im Jahre 1975 beendet wurde, hätten die Grundstücke ohne weiteres auf der Grundlage von Art. 3 der „Satzung über den Tausch, der Übertragung, der unendgeltlichen Überlassung u.a. von allgemeinem Vermögen“, Satzung Nr. 20/1992 jederzeit zurückübertragen werden kön-nen. Hätte die Stadt die in Rede stehenden Schreineinrichtungen zur Beseitigung ihrer Verknüpfung mit ihnen entfernt, wäre dagegen den Mitgliedern der Vereinigung die Durch-führung ihrer religiösen Aktivitäen erheblich erschwert worden und damit ihre Glaubens-freiheit beeinträchtigt worden. Dieses Problem ist vom „Gesetz über die Behandlung von Staatsvermögen, das kostenlos an Schreine und Tempel u.a. überlassen ist“, Gesetz Nr. 53/1947, dahingehend gelöst worden, dass Vermögen, welches vor Inkraftreten des Ge-setzes dem Staat gespendet worden war, soweit es für die religiösen Aktivitäten von Schrei-nen, Tempeln u.a. als nötig angesehen wurde, diesen übertragen werden konnte. Auf diese Weise konnte dem Prinzip der Trennung von Staat und Religion bzw. der Bedeutung der Glaubensfreiheit Rechnung getragen werden. Tatsächlich sind Grundstücke in öffentlicher Hand auch nachdem die vom Staatssekretär im Ministerium für innere Angelegenheiten für die Verfügungen nach dem genannten Gesetz festgelegten Antragsfristen abgelaufen wa-ren, noch übertragen, verkauft und vermietet worden. Dass die hier in Rede stehende Übertragung auf dieser Überlegung fußt und deshalb ein probates Mittel für die Beseiti-gung der Verknüpfung zwischen der Stadt und der Schreineinrichtung ist, bedarf keiner Hervorhebung (Es muss auch nicht erwähnt werden, dass die Übertragung an den zu Grundstücksgeschäften ermächtigten Nachbarschaftsverein von Art. 260-2 des Gesetzes über kommunale Gebietskörperschaften gedeckt ist. )

(3) Die hier in Rede stehende Maßnahme überschreitet deshalb unter Zugrundelegung der übereinstimmenden Auffassung in der Gesellschaft nicht die im Lichte der sozialen und kulturellen Gegebenheiten unseres Staates im Verhältnis zu den Grundzielen des der Si-cherstellung und Gewährleistung der Glaubensfreiheit dienenden Systems als angemessen anzusehende Grenze, die zwischen der Stadt und der Schreineinrichtung bzw. dem Shintō zu ziehen ist. (Oberster Gerichtshof 1971 (gyō tsu) Nr. 69, Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 13. Juli 1977, Amtliche Sammlung der Entscheidungen des OGH in Zivilsachen Band 31, Nr. 4, S. 533; Oberster Gerichtshof 1992 (gyō tsu) Nr. 156, Entschei-dung des Obersten Gerichtshofes vom 2. April 1997, Amtliche Sammlung der Entschei-dung des Obersten Gerichtshofs in Zivilsachen Band 51 Nr. 4, S. 1673).

2. Zu anderen Revisionsgründen Andere Argumentationen der Revisionsbegründung rechtfertigen keine Revision i. S. d. Art. 312 Abs. 1 bzw. 2 des Zivilprozessgesetzes.3. Ergebnis Da ein Verstoß der in Rede stehenden Übertragung gegen Art. 20 Abs. 3 und 89 der Verfas-

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sung nicht besteht, war die Revision zurückzuweisen und das angegriffene Urteil der Vorinstanz zu bestätigen. Tenor und die Begründung beruhen auf einem einstimmigen Urteil der Richter. Vorsitzender Richter Takesaki Hironobu, Richter Fujita Tokiyasu, Kainaka Tatsuo, Imai Isao, Nakagawa Ryōji, Horigome Yukio, Furuta Yūki, Nasu Kōhei, Tahara Mutsuo, Kondō Takaharu, Miyakawa Kōji, Richterin Sakurai Ryūko, Richter Takeuchi Yukio, Kanetsuki Seishi.

3. Urteil des Obergerichts Sapporo vom 6. Dezember 201037

Das oben übersetzte 1. Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 20. Januar 2010 verwies die Sache zur erneuten Verhandlung an das Obergericht Sapporo zurück. Dessen Urteil erging am 6. Dezember 2010. Der Oberste Gerichtshof hatte der Stadt aufgetragen, über eine alternative Maßnahme zur Beseitigung der Verfassungswidrigkeit nachzudenken. Als eine solche hat die Stadt angeboten, den kleinen Schrein aus dem Gebäude zu entfernen und in der Nähe des Schreins der Erdgottheit zu errichten, das Schild mit der Aufschrift „Schrein“ an der Außen-wand des Gebäudes zu entfernen und von dem Nachbarschaftsverein für die Nutzung der Grundstücke mit den Schreineinrichtungen in Zukunft ein jährliches Endgelt von 35.000 Yen zu fordern. Das Obergericht Sapporo hielt auf der Grundlage dieses Angebots die Verfassungswid-rigkeit für beseitigt, hob das Urteil der 1. Instanz, soweit der Bürgermeister unterlegen war, auf, wies den Antrag der Einwohner in vollem Umfang ab und legte ihnen die Kosten des gesamten Verfahrens auf.

VII. Kommentar

Die Folgen aus der Zeit des Staatsshintō, in dessen Verlauf viele Grundstücke, auf denen Schreineinrichtungen bestanden, in das Eigentum der öffentlichen Hand übergegangen sind, sind noch nicht bewältigt. Das zur Rückabwicklung dieser Rechtslage infolge der Shintō- Di-rektive erlassene Gesetz hat seine Aufgabe noch nicht erfüllt. So erklärt sich auch, dass es bis auf den heutigen Tag in Kraft ist und die Zeitungen schätzen, dass noch Tausende von Schrein-einrichtungen auf kostenlos von der öffentlichen Hand zur Verfügung gestellten Grundstücken betrieben werden38. Es muss auch bezweifelt werden, ob die unentgeltliche Übertragung der Grundstücke an den Rechtsträger des Schreins ein probates Mittel zur Lösung des Konfliktes ist, wenn man be-denkt, dass die Nutzung über einen langen Zeitraum kostenlos erfolgte. Es kann nicht um die Änderung der formalrechtlichen Rechtslage (Eigentum der öffentlichen Hand oder Eigentum des Rechtsträgers der Schreineinrichtung) gehen. Berücksichtigt werden muss vielmehr der geldwerte Vorteil der unentgeltlichen Nutzung. Sollte es sich bei dem Rechtsträger der Schrein-einrichtung zudem nicht um eine religiöse Körperschaft oder einen nicht rechtsfähigen Rechts-träger des Privatrechts handeln, sondern – wie in den beiden Urteilen – um den Nachbarschafts-verein, muss weiter überlegt werden, ob dieser überhaupt ein Rechtsträger des Privatrechts ist

37 Original abgedruckt unter http://www.courts.go.jp/search/jhsp0030?action_id=dspDetail&hanreiSrchKbn=01&hanreiNo=80926&hanreiKbn=03

38 So unter Bezug auf Äußerungen im 1. Verfahren Nihon Keizai Shinbun 日本経済新聞,Morgenausgabe vom 21. Januar 2010, S. 30: Verfassungswidrigkeit aussprechendes Urteil zum Trennungsprinzip zwischen Staat und Religion 政教分離で違憲判決

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und damit die Grundstücke tatsächlich aus dem Bereich der öffentlichen Hand entfernt werden bzw. ob es überhaupt Aufgabe eines solchen Rechtsträgers sein kann, eine religöse Organisa-tion zu tragen. Soweit Entgeltlichkeit eintritt, sei es Verkauf oder Vermietung, tritt die Ange-messenheit des Entgelts in den Vordergrund. Dabei darf nicht nur der Blick in die Zukunft ge-richtet werden, sondern es sind die Nutzungsvorteile der Vergangenheit bei der Errechnung des Kaufpreises bzw. des Mietzinses mitzuberücksichtigen. Es ist auch zweifelhaft, ob den Bürgern mit der Einwohnerklage gem. Art. 242-2 des Ge-setzes über die kommunale Selbstverwaltung ein Instrument an die Hand gegeben ist, das die Konflikte nachhaltig lösen kann. Der Gesetzeswortlaut lässt es lediglich zu, dass auf Feststel-lung der Frage geklagt wird, ob ein bestehender tatsächlicher oder rechtlicher Zustand Ergebnis einer rechtswidrigen Vermögensverwaltung ist. Auf dieser Basis hat der Oberste Gerichtshof und in seinem Gefolge das mit der Sache erneut befasste Obergericht Sapporo lediglich die Maßnahme erörtert, die den rechtswidrigen Zustand zum Zeitpunkt der Entscheidung beheben könnte und der öffentlichen Hand insoweit Ermessen eingeräumt. Wäre es hier nicht zunächst wenigstens nötig gewesen, auf den Zeitpunkt der Klageerhebung, oder – noch weiter zurück – auf den Zeitpunkt abzustellen, in dem die Einwohner erstmals gegen den tatsächlichen Zustand vorgegangen sind, hier offenbar die Anfrage an die Kontrollkommission gem. Art. 242 des Gesetzes über die kommunale Selbstverwaltung. Es bleibt dann immer noch die Frage, wie der geltwerte Vorteil der Religionsgemeinschaft vom Zeitpunkt des Eintritts der Rechtswidrigkeit abzuschöpfen ist. Auch fällt auf, dass von Seiten der klagenden Einwohner konkrete Beschwerden, wie der Verzicht auf die Aufhebung des Gebrauchsüberlassungsvertrages, der Verzicht auf die Erhebung der Forderung auf Entfernung der Schreineinrichtungen bzw. der Verzicht auf die Erhebung der Forderung auf Rückgabe der Grundstücke in unbebauten Zustand erhoben worden sind, obwohl diese allenfalls zum Zuge kommen können, wenn auch aus der Sicht des Gerichts eine „Ermes-sensreduzierung auf Null“ eingetreten ist. Offenbar fanden sie darin im Instanzenzug auch Unterstützung, wie der jeweilige Tenor der Urteile des Distriktgerichts und des Obergerichts Sapporo ebenso beweisen, wie eine ausdrückliche Auseinandersetzung des Obergerichts Sappo-ro mit dem Antrag auf Aufhebung des Gebrauchsüberlassungsvertrages. Diese Ermessensredu-zierung auf Null vermag nur der Oberste Gerichtshof nicht zu erkennen. Im Ergebnis haben damit die Kläger zwar feststellen lassen können, dass die Handhabung verfassungswidrig war. Die Verfahren haben sie auf ihre – sicher nicht unerheblichen – Kosten verloren, was kein An-reiz für andere Bürger ist, von dem Instrumentarium der Einwohnerklage Gebrauch zu machen. Die schon mit dem Urteil von 1977 über die Grundstücksweihe in Tsu eingeführte, angeb-lich auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten von Amerika zurückge-hende Rechtsprechung des Japanischen Obersten Gerichtshofs zum Trennungsprinzip ist nichts Neues hinzugefügt worden. Teilweise ist sogar exakt dieselbe Begrifflichkeit verwendet wor-den. Es bleibt also bei den Zweifeln, die die Abgrenzungsformel zum Trennungsprinzip schon von Anfang an ausgesetzt war. Im 1. Urteil aus dem Jahre 2010 war es wohl nur die langjährige unentgeltliche Nutzung der Grundstücke, die die Grenze zur Verfassungswidrigkeit überschrit-ten hat. Immerhin war es die erste Entscheidung, die auf Grund der Abgrenzungsformel Verfas-sungswidrigkeit in Fällen angenommen hat, die keine Berührung zum Tennō und zum Yasukuni Schrein aufweisen. Insgesamt wird man aber sagen müssen, dass auch Japan keine letztlich überzeugende Formel für die äußert schwierige Abgrenzung bereit hält.