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Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer Persönlichkeit und psychischer Krankheit Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer Klinik für Forensische Psychiatrie Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

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Page 1: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Grenze zwischen

antisozialem Verhalten,

antisozialer Persönlichkeit und

psychischer Krankheit

Prof. Dr. med. Elmar Habermeyer

Klinik für Forensische Psychiatrie

Psychiatrische Universitätsklinik Zürich

Page 2: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Psychiatrie und Justiz:

Forensische Psychiatrie als Schnittmenge

Justiz

Schuld

Sanktion

Psychiatrie

Psychische Störung

Behandlung

Forensische Psychiatrie

Schwere psychische Störung

Therapeutische Massnahmen

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Gliederung

1. Einleitung

2. Antisoziales Verhalten und Antisoziale/Dissoziale Persönlichkeitsstörung

3. Psychische Störung

Schizophrenie

Depression

Sucht

4. Fallvignetten

5. Abgrenzbare Kategorien?

6. Fazit

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EINLEITUNG

Page 5: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Wer bestimmt, was psychisch krank bzw.

gestört ist?

Weltgesundheitsorganisation und APA

Expertenkonsens anhand dem aktuellen Forschungsstand

Arbeitsgruppen

Transparenter Prozess (Protokolle der Arbeitsgruppen, Draft)

Page 6: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Abgrenzbare Kategorien?

Page 7: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Einige Kennzahlen

• Im Jahr 2018 wurden in der Schweiz 43’773 Gewaltstraftaten erfasst, darunter

1425 schwere Gewaltstraftaten (z.B. Mord, Totschlag, schwere

Körperverletzung, Raub, Vergewaltigung)

• In den letzten zehn Jahren wurden jährlich durchschnittlich 218 Tötungsdelikte

verübt, durchschnittlich 49 davon vollendet

• Im Jahr 2017 wurden insgesamt 10’005 Personen in den Straf- und

Massnahmenvollzug eingewiesen, davon jedoch nur 59 in den stationären

Massnahmenvollzug

Quellen:

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht/polizei/gewalt.html

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht/polizei/gewalt.assetdetail.7806448.html

https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/kriminalitaet-strafrecht/justizvollzug/unterbringung-vollzugsaufenthalt.html#-913378131

Page 8: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Häufige Diagnosen bei Gefangenen

Alkoholmissbrauch/-abhängigkeit 77 %

Drogenabhängigkeit 20 %

spezifische Phobien 39 %

Dysthymia 21 %

rezidivierende depressive Episoden 20 %

psychotische Störung 10 %

zusätzlich muss bei ca. 50 % der Gefangenen vom Vorliegen einer

Persönlichkeitsstörung ausgegangen werden

Page 9: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Begünstigen psychische Störungen

zwischenmenschliche Gewaltanwendung?

a) Epidemiologische Studien (USA, UK)

- Überwiegende Mehrzahl (95%) von Menschen mit psychischer Störung

verübten innerhalb von 3 Jahren keine kriminellen Handlungen (Menschen

ohne psychische Störung: 98%)

- Risikofaktoren: frühere Gewaltanwendung und begleitender

Substanzmissbrauch/-abhängigkeit, frühere Viktimisierung

- Erhöhung des relativen Risikos für Gewaltanwendung bei affektiven

Erkrankungen und Angsterkrankungen

a) Record-Linkage Studien (Dänemark, Schweden)

- 10% der Gewalthandlungen bei Männern und 26% der Gewalthandlungen bei

Frauen gehen auf psychische Störung zurück.

- Höchste Risikosteigerung bei organisch begründeten Störungen und

Störungen aus dem Schizophreniespektrum

- Psychische Erkrankungen verweisen auf erhöhtes Rückfallrisiko bzgl.

Gewaltstraftaten

Maier et al., 2016

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ANTISOZIALES VERHALTEN

UND

ANTISOZIALE / DISSOZIALE

PERSÖNLICHKEITSSTÖRUNG

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Definition der Persönlichkeitsstörung (ICD-10)

Charakteristisches und dauerhaftes Erfahrungs- und Verhaltensmuster, das

deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben abweicht

Das Muster manifestiert sich in den Bereichen:

Kognition

Affektivität

Impulskontrolle

Handhabung zwischenmenschlicher Beziehungen

Die Abweichung ist so ausgeprägt, dass das Verhalten in vielen persönlichen

und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst und unzweckmässig ist

Persönlicher Leidensdruck, nachteiliger Einfluss auf die Umwelt oder beides

Stabile Abweichung, Beginn im Kindesalter oder Adoleszenz

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Dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10)

A. Die allgemeinen Kriterien für eine Persönlichkeitsstörung (F60) müssen erfüllt

sein

B. Mindestens drei der folgenden Eigenschaften oder Verhaltensweisen müssen

vorliegen:

1. Herzloses Unbeteiligtsein gegenüber den Gefühlen anderer

2. Deutliche und andauernde verantwortungslose Haltung und Missachtung

sozialer Normen, Regeln und Verpflichtungen

3. Unfähigkeit zur Aufrechterhaltung dauerhafter Beziehungen, obwohl keine

Schwierigkeit besteht, sie einzugehen

4. Sehr geringe Frustrationstoleranz und niedrige Schwelle für aggressives,

einschließlich gewalttätiges Verhalten

5. Fehlendes Schuldbewusstsein oder Unfähigkeit, aus negativer Erfahrung,

insbesondere Bestrafung, zu lernen

6. Deutliche Neigung, andere zu beschuldigen oder plausible Rationalisierungen

für das Verhalten anzubieten, durch welches die Betreffenden in einen Konflikt

mit der Gesellschaft geraten sind

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Prävalenz Antisoziale Persönlichkeitsstörung

• Allgemeinbevölkerung: 0.2 – 3.3%

• Gefängnis-/forensische Stichproben: 45-48%

• Männer > Frauen (~ 3:1)

(APA, 2003, 2013; Fazel & Danesh, 2002; Mokros et al., 2017)

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Frontale Dysfunktion

Mangelnde kognitive Flexibilität Mangelnde Verhaltensanpassung

Untererregung

Reizsuche

Mangelnde Selbstkontrolle

(kognitiv und motorisch)

Enthemmtes Verhalten

Keine Angst vor Strafe, Wunsch nach sozialer

Anerkennung nicht verhaltensregulierend Nicht-Wahrnehmung von Belohnung und

Bestrafung

Limbische Dysfunktion

Gefühlsarmut

Mangelnde emotionale Hemmung und

Empathie

Verminderte konditionierte Angst Geringes Vermeidungsverhalten

Schwierigkeiten, emotionale

Gesichtsausdrücke zu erkennen

Angst des Opfers induziert keine

Aggressionshemmung

Antisoziale Persönlichkeitsstörung

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PSYCHISCHE STÖRUNG

- SCHIZOPHRENIE -

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Gewaltrisiko

Schizophrene vs. Allgemeinbevölkerung:

Verurteilung wegen Gewaltdelikt: 10 % vs. 2.4 % (OR: 4.6)

Kontrolliert für Alter, Geschlecht und Substanzmissbrauch:

2.6-fach erhöhtes Risiko für Gewaltdelikte

Schizophrene mit einer Suchtproblematik:

8.6-fach erhöhtes Risiko für Gewaltdelikte

Das erhöhte Gewaltrisiko bei Schizophrenen kann nicht ausschliesslich einer

komorbiden Suchtproblematik angelastet werden

Suchtproblematik erhöht das Gewaltrisiko bei Schizophrenen deutlich

Aber: Schizophrenie beeinflusst nur 7 % der Gewaltdelikte innerhalb der

untersuchten Population

Short T et al. (2013) Comparing violence in schizophrenia patients with an without comorbid

substance use disorders to community controls. Acta Psych Scan 128: 306-313

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PSYCHISCHE STÖRUNG

- DEPRESSION -

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Aktuelle Datenlage Fazel et al (2015)

47’158 ambulante Patienten mit Depression

Kontrollgruppe (n = 898.454)

mittlerer Beobachtungszeitraum 3 Jahre nach Diagnosestellung

Resultate:

3,7 % der depressiven Männer (gegenüber 1,2 % in Kontrolle)

0,5 % der Frauen begehen Gewaltdelikte (0.2 in Kontrolle)

odds ratio (Quotenverhältnis): 3

eine Person mit Depression hat eine 3x grössere Chance

Gewalthandlungen zu begehen

Geschwister: 15’534 Halb- und 33’516 nicht depressive Geschwister von

Betroffenen zeigen eine odds ratio of 1.2 bis 1.5 gegenüber der Kontrolle

odds ratio von Betroffenen gegenüber den nicht erkrankten Geschwistern: 2

Risikofaktoren: Substanzgebrauch, Selbstschädigung, Gewalt (16.3 % bei

Männern, 9,5 % bei Frauen)

Fazel S et al (2015) Depression and violence: a Swedish population study. Lancet Psychiatry 2: 224-32

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PSYCHISCHE STÖRUNG

- SUCHT -

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Alkoholabhängigkeit/-missbrauch

Alkoholabhängigkeit häufigste Abhängigkeitsform: 5 % der deutschen

Bevölkerung

3 - 4x mehr Männer als Frauen betroffen

25,6 % der begutachteten Probanden waren Alkoholabhängig (Pillmann et al., 2000)

Längsschnittstudie: 86 % traten strafrechtlich in Erscheinung vs. 37 % der

Kontrollgruppe (Modestin et al., 1996)

Alkoholabhängigkeit ist ein hochsignifikanter Prädiktor für rezidivierende

Kriminalität (Stadtland & Nedopil, 2003)

Alkoholisierung häufig bei kriminellen Taten, jedoch multifaktorielles

Geschehen (Sozialisation, Peer-Group, Persönlichkeit etc.) (Farington, 2009; Nedopil & Müller, 2012)

Typische Delikte: Aggressionsdelikte, Gewaltstraftaten, schwere Unfälle (Soyka,

2001; Nedopil & Müller, 2012)

Steigerung der Aggressivität bei Alkoholisierung nachgewiesen (Gustafson, 1991;

Pillmann et al., 2000)

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FALLVIGNETTE 1

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Fallvignette 1: Einordnung

Antisoziales Verhalten

Frage: Persönlichkeitsstörung diagnostizierbar?

Pro:

Narzisstisch-paranoide Persönlichkeitsmerkmale in Lehrzeit

verhaltenswirksam und mit Konsequenzen verknüpft

Contra:

Allgemeine Kriterien für Persönlichkeitsstörung nicht erfüllt

Keine Auffälligkeiten im Jugendalter

Narzisstisch-paranoide Persönlichkeitsmerkmale auch während Haftzeit

beobachtbar, jedoch kaum mit nachteiligen Konsequenzen verknüpft

bestehende Persönlichkeitsproblematik ordnet sich in einen

Grenzbereich zwischen Persönlichkeitsakzentuierung und

Persönlichkeitsstörung ein

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FALLVIGNETTE 2

Page 24: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Fallvignette 2: Einordnung

Antisoziales Verhalten vs. Antisoziale Persönlichkeitsstörung

• Schwere psychische Störung?

Widersprüchliche Lebensentwürfe:

− Identifikation mit gewaltbereiten Peers

− ABER: Stabile, liebevolle und prosoziale Beziehung zu Ehefrau,

Abschluss der Lehre, Akkordarbeit (gut bezahlte Leistungen unter

dauerhaftem Stress)

• Keine durchgängigen oder wiederholten Beeinträchtigungen der

Beziehungsgestaltung und der psychosozialen Leistungsfähigkeit durch

affektive Auffälligkeiten

• Eher bewusst gewählter Lebensstil als eine alle Lebensbereiche in schwerer

Form beeinträchtigenden schweren Persönlichkeitsstörung

Antisoziale Persönlichkeitsstörung, aber keine schwere psychische Störung

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FALLVIGNETTE 3

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Fallvignette 3: Einordnung

Schwere Antisoziale Persönlichkeitsstörung

1. Erhebliche Auffälligkeiten der affektiven Ansprechbarkeit bzw. der

Affektregulation

2. Einengung der Lebensführung bzw. Stereotypisierung des Verhaltens

3. Durchgängige oder wiederholte Beeinträchtigung der Beziehungsgestaltung

und psychosozialen Leistungsfähigkeit durch affektive Auffälligkeiten,

Verhaltensprobleme sowie unflexible, unangepasste Denkstile

4. Durchgehende Störung der Selbstwertregulation

5. Deutliche Schwäche von Abwehr- und Realitätsprüfungsmechanismen

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Persönlichkeitsstörungen im ICD-11

1. Prüfung der allgemeinen Kriterien der PS

2. Orientierung an Schweregrad der PS:

− Leicht

− Moderat

− Schwer

3. Optional: Spezifizierung einer oder mehrerer Domänen:

0: Negative Affektivität

1: Bindungslosigkeit/Distanziertheit

2: Dissozialität

3: Enthemmung

4: Zwanghaftigkeit

5: Borderline

(Stieglitz & Freyberger, 2018; Herpertz, 2018)

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Persönlichkeitsprofile und Behandelbarkeit

NegativeEmotionalität

Dissozialität Enthemmung Zwanghaftigkeit Distanziertheit

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Allgemeine Kriterien der Persönlichkeitsstörung

− Funktionsbeeinträchtigung im Bereich Selbst (z.B. Identität, Selbstwert,

Selbstbild, Selbststeuerung) und/oder interpersonelle Beziehungen (z.B.

Beziehungen, Perspektivübernahme, Konfliktbewältigung in Beziehungen)

− Über längeren Zeitraum hinweg beobachtbar (z.B. 2 Jahre oder länger)

− Beeinträchtigungen zeigen sich im Bereich Kognition, emotionale Erfahrung,

emotionaler Ausdruck und maladaptives Verhalten

− Beeinträchtigungen zeigen sich übergreifend in persönlichen und sozialen

Situationen

− Verhaltensmuster sind dem Entwicklungsstand nicht angemessen und können

nicht primär durch kulturelle Faktoren erklärt werden

− Störung geht einher mit Leidensdruck oder Beeinträchtigungen im

persönlichen, familiären, sozialen, beruflichen Leben etc.

Page 30: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Beurteilung des Schweregrads

Schwerer Ausprägungsgrad der Persönlichkeitsstörung:

− Schwere Störungen in Funktionsbereichen der Persönlichkeit

− Probleme in der interpersonellen Funktionsfähigkeit betreffen praktisch alle

Beziehungen

− Fähigkeit und Bereitschaft, soziale oder berufliche Rollenerwartungen zu

erfüllen, sind nicht gegeben schwer beeinträchtigt

− Häufig mit erheblicher Selbst- oder Fremdgefährdung verbunden

− Mit schwerwiegender Beeinträchtigung in allen oder beinahe allen

Lebensbereichen, darunter persönliche, familiäre, soziale, bildungs- oder

berufsspezifische oder andere wichtige Funktionsbereichen verbunden

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FALLVIGNETTE 4

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Subtypen schizophrener Straftäter

Early starters:

Störung des Sozialverhaltens bereits im Kindes- und Jugendalter

Manifestation antisozialen Verhaltens vor Ausbruch der Schizophrenie

Delinquenz und Schizophrenie hängen nicht zwangsläufig zusammen

Late starters:

Keine Vorgeschichte antisozialen Verhaltens vor Krankheitsbeginn

Gewalttaten entweder während florider Krankheitsphasen oder im Rahmen

einer chronischen Schizophrenie (z.B. durch wahnhafte Verkennung)

Schwere Gewalttaten oftmals gegen Bezugspersonen gerichtet

Direkter Zusammenhang zwischen Delinquenz und psychischer Störung

(Hodgins, 2008)

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33

Forensisch-Relevante Subtypen

Subtypen Betroffene Bereiche Symptomatik Anmerkungen

Paranoide Schizophrenie (F20.0)

Wahrnehmung, Inhaltliche Denkstörungen

Verfolgungswahn, Ich-Störungen, Stimmen hören

Häufigster Subtyp Verfolgungswahn: Sich in die Enge getrieben fühlen, keinen Ausweg wissen, vermeintliche Notwehrsituation Gewalt

Hebephrene Schizophrenie (F20.1)

Affektive Veränderungen

Inadäquater, flacher Affekt, zielloses Verhalten,

Denkstörungen

Sozialer Abstieg, Kritikminderung

Eigentumsdelikte

Katatone Schizophrenie (F20.2)

Psychomotorik Stupor, Erregung, Haltungsstereotypien, Negativismus

Selten: Katatoner Erregungssturm mit ungerichteter Gewaltanwendung

Wahnhafte Störung (F22.0)

Inhaltliche Denkstörungen

Liebeswahn, Eifersuchtswahn

Häufig auf spezifische Person bezogen Gewalt gegen Partner und/oder vermeintlichen Nebenbuhler

Page 34: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Anteil schizophrener Patienten in Gefängnis-

bzw. Justizpopulationen

Anteil mit Diagnosen aus dem schizophrenen Formenkreis

NRW, Deutschland (Schönfeld et al. 2006)

4,2% einer Gefängnisstichprobe (n = 139)

Thorberg, Schweiz (pers. Mitteilung)

11% (20 von 180)

Weltweit (Fazel & Seewald 2012)

Anteil schizophrener Erkrankungen an Gefängnispopulationen

3,6% bei Männern

3,9% bei Frauen (n = 33.588)

3

4

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Abgrenzbare Kategorien?

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Abgrenzbare Kategorien?

Antisoziales Verhalten

Antisoziale

Persönlichkeitsstörung

Psychische Störung

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Multifaktorielles Bedingungsgefüge der

Delinquenz

Gewalt und

Verbrechen

Substanzgebrauch

Konflikt

peer group

Hart 2005

Antisoziale Verhaltensstile

Antisoziale Persönlichkeitsst.

Krankheit

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Komplexe Verknüpfungen

Gewalt Persönlichkeit

situative Faktoren

Opfervariablen

peers

Störung

Alkohol

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Komplexe Wechselwirkungen

Störung Gewalt (aber auch Gewalt Störung)

Gewalt Störung soziale Schwierigkeiten/Konflikte Gewalt

Störung soziale Schwierigkeiten/Konflikte Substanzmissbrauch

Gewalt

Substanzmissbrauch soziale Schwierigkeiten/Konflikte Störung

Gewalt

Persönlichkeit soziale Schwierigkeiten/Konflikte Störung

Substanzmissbrauch Gewalt

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Diagnose

Diagnosen sind schwierig, aber nicht überflüssig

Diagnose ist eine Enflussgrösse unter in der Regel mehreren begünstigenden

Faktoren:

Qualität: Deliktrelevanz, Auswirkungen auf die Straffälligkeit

Direkte/indirekte Verbindung zum Delikt

überdauernde, situationsabhängige deliktbegünstigende Komponente

niedriges, mittleres, hohes Risiko

Fallkonzept => Behandlung

Page 41: Grenze zwischen antisozialem Verhalten, antisozialer

Risikomanagement

Behandlungs-richtlinien

(Depotmed.)

Frühzeitige Erfassung von risikorelevantem

Verhalten

Helfernetz bilden,

Informationen teilen

Wissen um Risikofaktoren

Prosoziales Verhalten verstärken

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FAZIT

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Fazit

• Grenzziehung zwischen psychischer Störung, antisozialem Verhalten und

antisozialer Persönlichkeitsstörung gelingt nicht immer

• Grenzziehung wird voraussichtlich durch ICD-11 nicht einfacher

• Grenzziehung gelingt insbesondere nicht immer sofort

• Oft sind Verlaufsbeobachtungen erforderlich

• Achtung: Antisoziales Verhalten im Sinne eines Prodroms der Schizophrenie

• Aber: Was tun?

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Fremdaggressivität

Problemfeld muss adressiert und nicht delegiert werden

Bei der Anamneseerhebung nach juristischer VG fragen

Diagnostische Einordnung

=> vorwiegend antisoziales Verhalten ist nicht relevant

=> Antisozialität im Kontext einer Störung ist relevant

Es geht nicht zwingend um spezifische Behandlungsprogramme

Bewusstsein für eine problematische Gruppe schärfen

Soziale Desintegration beenden

sozialarbeiterische Betreuung,

Kooperation mit Angehörigen, Wohnheimen, Betreuern

Complianceproblematik bearbeiten

Kooperation mit Angehörigen, Wohnheimen, Betreuern

Forensisch-psychiatrisches Wissen nutzen

fachlicher Austausch, Kooperation

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Was wissen wir über unsere Patienten?

Sanders et al., BMJ 2000

Eigengefährdung Fremdgefährdung

Gedanken 46.9% 29.6%

Verhalten im Vorfeld der Aufnahme 17.3% 14.3%

Vorgeschichte 58.2% 53.1%

Erfragt/dokumentiert 93.9% 13.2%

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Danke für Ihre

Aufmerksamkeit

[email protected]