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201508 grIBBs Newsletter des Instituts für Berufsbildung

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201508

grIBBsNewsletter des Instituts für Berufsbildung

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Impressum

grIBBs. Der Newsletter des Instituts für Berufsbildung.

Herausgeber: Institut für Berufsbildung der Pädagogischen

Hochschule Wien.

Redaktion: Gertrude Grabner MA, Dr. Jürgen Neckam, Pädagogische

Hochschule Wien, Grenzackerstraße 18, 1100 Wien, Tel.: +43 1 601 18 3201,

E-Mail: [email protected].

Satz & Layout: Mag. Gerlinde Reifberger.

Druck: PH Wien. grIBBs erscheint zweimal jährlich.

Fotos: Dr. Jürgen Neckam (S. 6, 18, 19), http://www.classcraft.com/de/ (S. 12,

13), http://pasisahlberg.com/media/photo/ (S. 5)

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grIBBsLiebe Leserinnen und Leser!

Die aktuelle Ausgabe des Newsletters spannt einen Bogen von September 2014 bis jetzt, vom Kulturgut Buch zum virtuellen Raum und von der Kunst zur Gesetzgebung. Allen versammelten Beiträgen ist gemeinsam, dass es um das Lernen geht. Dies wird schon in Barbara Bartmanns Artikel „Bücher und Bildung“ zur Frankfurter Buchmesse 2014 offensichtlich, die wie noch nie diesem Thema verpflichtet war.Konrad Paul Liessmanns Auseinandersetzung mit PISA, Kompetenzorientierung, übertriebenen Reformen und der Besinnung auf althergebrachte Werte wird in Jürgen Neckams Artikel „Gespenster der Nützlichkeit“ dargestellt. Wie stark Sprache unser Leben prägt, ja sogar darüber entscheidet, ob wir ein gelun-genes Leben führen, lässt sich anhand der Inhalte von Friedemann Schulz von Thuns neuestem Buch „Kommunikation als Lebenskunst“ erkennen, dessen Aussagen hier besprochen werden.Was sich nicht in Worte fassen lässt, lässt sich trotzdem ausdrücken, und zwar durch Kunst. Die Studenten und Studentinnen der Mode- und Designpädagogik haben dies eindrücklich durch ihre „Papierexperimente“ bewiesen, denen sich auch das neu gestal-tete Titelblatt unseres Newsletters verdankt.„Wie richtig lernen?“ ist vielleicht die undankbarste Frage, die es in der Pädagogik zu beantworten gibt. Sind es virtuelle Figuren, die uns dazu verhelfen werden, noch bes-sere Lernerfolge zu erzielen, wie in „Mit Magiern, Heilern und Kriegern“ thematisiert? Oder doch eher die Kompetenzorientierung, über deren Umsetzung Peter Hayden in „Kompetenzorientierter Fremdsprachenunterricht an Berufsschulen“ schreibt.Der abschließende Beitrag unseres Newsletters widmet sich einem komplexen The-ma, für das es möglicherweise noch gar nicht das richtige Bewusstsein in der österrei-chischen Bevölkerung gibt: Was ist Korruption? Und ab wann sind Lehrkräfte davon betroffen? Thomas Londgin ist in „Korruptionsprävention für Lehrkräfte“ um Aufklä-rung bemüht.Der aktuelle Newsletter bietet so ein Abbild der Vielfältigkeit des Lernens, des Lehrens und des Zugangs zur Bildung. Noch nie in der Geschichte haben so viele Menschen so viel gelernt, so viele Abschlüsse gemacht, sind so viele Bücher produziert worden, sind so viele Wissensgebiete expandiert. Diese Unüberschaubarkeit ist einerseits erschre-ckend, andererseits auch eine Chance, ja sogar die große Chance darauf, dass erstmals alle Menschen durch Bildung ihr Lebensziel verwirklichen können. Dies zusammen mit Kants aufmunternder Maxime „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu be-dienen!“ gibt Anlass zu einem Optimismus, der uns in den Debatten der näheren Ver-gangenheit vielleicht verloren gegangen ist.

Ich wünsche Ihnen allen eine spannende Lektüre und ein glückliches Sommersemester!

Herzlichst Ihre

Gertrude Grabner

LeiterinInstitut für Berufsbildung – eine Entwicklungsperspektive für das berufsbildende Schulwesen

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Inhalt

05 Bücher und Bildung – Buchmesse

in Frankfurt 2014

6 Gespenster der Nützlichkeit

8 Kommunikation als Lebenskunst

10 Papierexperimente

12 Mit Magiern, Heilern und Kriegern lernen

14 Kompetenzorientierter Fremdsprachenunterricht

an Berufsschulen

18 Korruptionsprävention für Lehrkräfte – Eigenschutz

durch Rechtssicherheit

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Barbara Bartmann

Bücher und Bildung – Buchmesse in Frankfurt 2014270.000 Menschen besuchten im Oktober 2014 den für Bücher weltgrößten Branchentreff in Frankfurt/Main, um 7000 Aussteller/innen aus 100 Ländern sehen zu können.

Fünf Tage auf der Buchmes-se in Frankfurt und fast kein Buch von innen gesehen. Das

Mekka für Literatur und Lesen bietet eher die Möglichkeit zum Austausch, zum Netzwerken und Erspüren von Trends in der Buch- und Medien-wirtschaft.

Neben den üblichen Highlights wie Deutscher Buchpreis, Literatur-nobelpreis und der Präsentation des Gastlandes Finnland waren vor al-lem Self Publishing, multimediales Publizieren und neue Genres durch Social Media (wie zum Beispiel Twit-teratur) die großen Themen.

Dank des Gastlandes Finnland war Bildung ein Schwerpunkt und Autor und Lehrer Pasi Sahlberg hat als literarischer Redner schon bei der Eröffnung klargemacht, dass es heuer nicht nur um Literatur und Bücher, deren Herstellung und Ver-breitung, sondern eben vor allem um Bildung geht.

Daher konnte man 2014 so vie-le Kurzseminare und Diskussionen über Bildungskonzepte, Material für den Unterricht, Schulbücher und deren Ausstattung besuchen wie nie zuvor.

Pasi Sahlberg betont in seiner Eröffnungsrede auch, dass Finn-land nicht wegen seiner Kleinheit, Homogenität und medialen Anbin-dung, sondern aufgrund eines mutig durchgesetzten Reformkonzepts ein erfolgreiches Bildungssystem etablie-

ren konnte. Dieses Konzept beruht auf Gleichstellung und Gerechtig-keit, auf der Zusammenarbeit der Lehrkräfte in professionellen Teams zur Stärkung des sozialen Kapitals und auf Zeit für Pausen und Spiel, die die Schüler/innen eigenständig gestalten.

In einem weiteren Seminar zeig-te er die wesentlichen Unterschiede zwischen dem finnischen Reform-konzept und dem Konzept anderer Länder auf:

Sahlberg fand heraus, dass jene Na-tionen, die sich seit PISA 2000 an der Spitze halten, eines gemeinsam haben: Gleichheit und Gerechtigkeit mit individueller Förderung.

Umso bedauerlicher ist es, dass weder bei der Eröffnung noch bei den Seminaren österreichische Bil-dungspolitiker/innen zu sehen wa-ren.

Lesen Sie weiter und diskutieren Sie, damit der Diskurs über Bildung nicht den Talkshows überlassen bleibt:

Andere FinnlandWettbewerb Zusammenarbeit

Standardisierung Individualisierung

Testbasierte Rechenschaftspflicht Verantwortung auf Vertrauensbasis

Selektion Gleichheit und Gerechtigkeit

http://www.wiwo.de/erfolg/campus-mba/vorbildliches-bildungssystem- was-finnische-schulen-besser- machen/10808240.html

https://twitter.com/pasi_sahlberg

http://www.book-fair.com/images/fbm/dokumente-ua-pdfs/2014/eroeff-nungsfeier_2014_rede_deutsch_sahl-berg_47058.pdf

http://www.twitteratur.buchmesse.de/

Pasi Sahlberg

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Jürgen Neckam

Gespenster der NützlichkeitPhilosophie-Professor Konrad Paul Liessmann schreibt gegen den Nützlichkeits- und Messbarkeitswahn der österreichischen Unbildung an. Mit Erfolg? Wohl kaum.

„Geisterstunde. Die Praxis der Un-bildung. Eine Streitschrift“ lautet der volle Titel des im Herbst 2014 erschienenen neuesten Buches von Konrad Paul Liessmann. Es ist der notwendige Beitrag zu einer heftigen Diskussion, in der Österreich sich nun inzwischen einige Jahre befin-det, nämlich der Diskussion darü-ber, in welche Richtung die Bildung transformiert werden soll.

Kompetenzorientierung, Bolog-na-Reform, Umstrukturierung der Lehrer/innenausbildung, die Verän-derung der universitären Ausbildung hin zu Bachelor-Studien und Mas-terangeboten und sämtliche Metho-den zur Messung von Kompetenzen und Fähigkeiten (u. a. PISA) bieten Liessmann die Stichworte zu einer Abrechnung mit der nicht nur öster-reichischen Bildungsgegenwart.

Vielleicht lohnt es sich „Geister-stunde“ von hinten nach vorne zu lesen. Das letzte Kapitel, sehr schön mit „Die Tränen der Muse. Über die Schönheit des Nutzlosen“ betitelt, versammelt im Grunde Liessmanns Anliegen:

Da ist zunächst der Widerspruch von musisch und nützlich. Das Mu-sische – und damit verbunden na-türlich die herablassend Orchideen-fächer genannten Studien – entzieht sich der Nützlichkeit, einfach, weil es nicht nützlich zu sein braucht. Das Schöne ist wichtig um seiner selbst Willen. Liessmann geht aber auch auf die Thesen Martha C. Nuss-baums ein, die in den musischen und geisteswissenschaftlichen Fächern die Grundlagen für die Wahrung der

Demokratie sieht. Denn nur eine Er-ziehung, die einen jungen Menschen dazu bringt „sich seiner Bedürftig-keit, Endlichkeit und Begrenztheit bewusst zu werden, kann die Voraus-setzung dafür schaffen, dass auch der Andere in dieser Weise gesehen und respektiert werden kann“.1 Und dies geschieht über die Auseinanderset-zung mit Kunst und Literatur, aktiv über Schreiben, Singen, Tanzen und Theaterspielen.

Liessmann kritisiert an Nuss-baum aber, dass Bildung so erst wie-der zu etwas Nützlichem wird und damit zur Bejahung herrschender

1 Konrad Paul Liessmann: Geisters-tunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift, Paul Zsolnay: Wien, 2014, S. 170.

Buchcover: Konrad Paul Liessmann: Geisterstunde

Zustände, während die ästhetische Erziehung des Menschen im 18. Jahrhundert damit zu tun hatte, dass der Mensch autonom wird. Ein Er-ziehungsmodell, welches die „Frei-heit zum Ziel“ hatte.2

2 Ebda., S. 174.

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Eben diese Freiheit geht Liess-mann in der jetzigen Bildungssitua-tion und den damit einhergehenden Reformen völlig ab. Der Gedanke, Bildung in einzelne Kompetenzen aufzugliedern, ist ihm ein Greuel. Liessmann verortet das Kompetenz-konzept nicht in der Pädagogik, sondern in der Ökonomie. Der Hin-tergrund dabei ist es, endlich exakt sagen zu können, was jemand kann und wozu er fähig ist, endlich sind Leistung und Leistungspotenzial präzise messbar. Dass der Schweizer „Lehrplan 21“ es für die Grundschule auf etwa 4000 Kompetenzen bringt, lässt Liessmann an der Sinnhaftigkeit des Ganzen zweifeln. Noch befremd-licher ist ihm, dass die Unzahl an Kompetenzen einerseits das Fakten-wissen verdrängen, andererseits un-terrichtet werden könnte, ohne etwa konkret auf wichtige Texte einzuge-hen: „Kein Philosophielehrer verstie-ße gegen die Idee der Kompetenz-orientierung […], der ein Jahr lang Philosophie unterrichtete, ohne dass der Name eines Philosophen fiele“ 3, so Liessmann. Dabei, so Liessmann, gehe völlig verloren, dass „es geistige Inhalte geben könnte, die Wert und Interesse in und für sich selber haben und deshalb der entscheidende Stoff […] für die Entwicklung eines jun-gen Menschen sein müssen.“4

Ebenfalls ein Irrweg ist für Liess-mann einerseits die Fachdidaktik gegenüber der Fachwissenschaft zu

3 Ebda., S. 52.

4 Ebda., S. 56.

stark aufzuwerten, andererseits den Kanon an Unterrichtsfächern, den es über Jahrhunderte hinweg gab, aufzulösen. Für Liessmann auch eine Folge der Kompetenzorientierung: „Wo es nur um die Schulung forma-ler Fähigkeiten geht, mutieren diese Fragen zu beliebig austauschbaren Anlässen, denen selbst keine weitere Bedeutung mehr zukommt.“5 Der Fächerkanon, so Liessmann, sei eben dazu da, um Wissen überschaubar zu machen, auch in einer Welt, die auf Verknüpfung aufbaut. Und nur wer später an der Hochschule die wichtigsten methodischen Prinzipi-en und Inhalte eines Faches erlerne, habe überhaupt erst die Vorausset-zung, fächerübergreifend arbeiten zu können.6

In weiteren Teilen seines Buches widmet sich Liessmann kritisch dem PowerPoint-Unwesen (das nicht ver-einfacht, sondern tatsächlich nur ein-fache Dinge darstellen kann); dem Medienphänomen des Bildungsex-perten, der „Diktatur der Geschäf-tigkeit“, die durch die Verknüpfung von Wirtschaft und Forschung/Lehre durchaus problematisch ist, dem Glauben, dass die Technik den schlechten Unterricht zum Guten wenden wird (PC, Smartboard, Ga-ming) und dem Katastrophismus, der in Österreich seit Längerem die Bildungsdiskussion umwölkt. Letz-teres ergibt sich zwangsläufig aus den ständigen Überprüfungen und Rankings, welche für Liessmann „zu einer permanenten Verunsicherung und Nervosität“ führen.

5 Ebda., S. 76.

6 Vgl. ebda., S. 77.

Vieles, was Liessmann anspricht, sind Dinge, die man schon oft ge-hört hat. Liessmanns Buch wird da-her in der zweiten Hälfte deutlich interessanter, wenn davon die Rede ist, dass auch Bildung sich immer mehr an Konsumentenbedürfnissen orientiert; dass die Unzahl an Bera-ter/innen für ein Abgeben an Ver-antwortung sorgt und dafür, dass immer jemand anderer Schuld ist. Und – erschütternderweise – dass Lesen, Bildung und Wissenschaft in der Öffentlichkeit nicht als Faktoren wahrgenommen werden, „die zu so-zialem und ökonomischem Aufstieg, zu Anerkennung und Erfolg führen“. Das gesellschaftliche Klima propa-giere lieber andere Werte, Werte, die sich eher in Casting-Shows offenba-ren als Möglichkeit, aufzusteigen.7

Liessmanns „Geisterstunde“ ist vermutlich weniger ein fundierter Befund der aktuellen Lage (der Un-tertitel „Streitschrift“ bestätigt dies) als das Beharren auf einer Idealvor-stellung, die junge Menschen klug angeleitet sehen will, die sich frei ent-wickeln sollen, die kritisch sein sol-len, Erfahrungen machen, Schönheit und die Auseinandersetzung damit als wesentlichen Teil der Persönlich-keitsbildung verstehen und forschen wollen. Nicht um der Nützlichkeit, sondern um des Wissens, um der Er-fahrung, um der Schönheit Willen.

7 Vgl. ebda., S. 123.

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Jürgen Neckam

Kommunikation als LebenskunstFriedemann Schulz von Thun gehört zu den bekanntesten Wissenschaftlern, die sich mit dem Thema „Kom-munikation“ auseinandergesetzt haben und deren Erkenntnisse tatsächlich Teil des Lehrplans für Deutsch und Kommunikation geworden sind. In seinem aktuellen Buch „Kommunikation als Lebenskunst“ fasst Schulz von Thun nun sein Werk zusammen.

Warum lohnt es sich, die Bücher von Friedemann Schulz von Thun zu le-

sen? Weil man dadurch klüger und einsichtiger wird. Zum einen weiß man nach der Lektüre besser darü-ber Bescheid, wie Kommunikation funktioniert, welche verschiedenen Mechanismen sie ausmachen und welche Bedeutungen in der Kommu-nikation zwischen Menschen entste-hen. Zum anderen ergibt sich aus der Lektüre auch immer die Erkenntnis, dass ich selbst ein wichtiger Akteur in der Kommunikation bin und ich selbst auch dafür verantwortlich bin, wie ich auf etwas reagiere und ich selbst auch etwas anders oder besser machen kann.

„Kommunikation als Lebens-kunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens“ ist ein Dialog zwischen dem Professor für Medien-wissenschaft Bernhard Pörksen und Schulz von Thun. Das 2014 erschie-nene Buch dreht sich um die zent-ralen Themen in Schulz von Thuns Werk, gibt aber auch Einblicke in dessen Biographie. So erfahren wir, dass Schulz von Thun selbst kein gu-ter Schüler war und mit schlechten Noten zu kämpfen hatte, was er nach-träglich aber nicht als erfahrene Un-gerechtigkeit verstanden haben will:

„Meine Zeugnisse und all die schlechten Noten waren für mich demoralisierend, aber sie zeigten doch an, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Entscheidend ist al-lerdings, dass man die Zensuren und Minus-Leistungen als Signale einer

Hilfsbedürftigkeit interpretiert, die auf einen pädagogischen Auftrag deuten.“1

Vielleicht spielten diese Erfah-rungen aber doch eine Rolle für die Konzeption des Teufelskreises, in den schlechte Schüler/innen ge-raten können. Der Schüler kommt nicht zurecht, fühlt sich als Versager, will sich der Herausforderung nicht stellen, passt weniger auf, macht keine Hausaufgaben und wird noch schlechter. Diese Abwärtstendenz wird durch die Lehrkraft verstärkt, die sich von den Leistungen des Schülers / der Schülerin in ihrem Einsatz verhöhnt sieht, den Schü-ler bzw. die Schülerin ignoriert und ihn / sie als hoffnungslos abtut. Der / die Schüler/in bleibt allein zurück, kommt im Unterricht weiter nicht mit etc.2

Eine weitere biographische Re-ferenz erstreckt sich darauf, wie es überhaupt dazu kam, dass Schulz von Thun sich der Kommunikation zuwandte. Schulz von Thuns Lehrer Reinhard Tausch wurde aufgrund seiner Erkenntnisse von British Petrol gebeten, Führungskräfte in Bezug auf weniger autoritäre Kommunikation

1 Bernhard Pörksen / Friedemann Schulz v. Thun: Kommunikation als Lebenskunst. Philosophie und Praxis des Miteinander-Redens, Carl-Auer-Systeme-Verlag: Heidelberg, 2014, S. 167.

2 Vgl. ebda., S. 166.

zu schulen. Statt Tausch konzipierten seine Assistenten, unter ihnen Schulz von Thun, die Vortragsreihe. Ein Honorar für Schulz von Thun sollte es aber nur geben, wenn dieser den Grundvortrag zur Kommunikations-theorie halten würde.

„Das war natürlich eine leicht irrwitzige Situation: Gerade der Neuling sollte die dominante Rolle übernehmen?! Aber so war nun mal unsere Verabredung. Und so ging ich in die Bibliothek und habe versucht herauszufinden, was die erlauchten Geister dieser Welt eigentlich zum Thema zu sagen hatten.“3

Schulz von Tun stützte sich in der Folge auf die Erkenntnisse zwei-er Wissenschaftler: Karl Bühler und Paul Watzlawick. Bühler hatte das grundlegende Organon-Modell der drei Aspekte der Sprache entwi-ckelt (Symbol, Symptom, Appell). Was Schulz von Thun jedoch daran störte, war die Absenz des über die Sprache Hinausgehenden: der Be-ziehungsaspekt. Diesen fand Schulz von Thun in den Ausführungen Paul Watzlawicks thematisiert.

„Und so habe ich Bühler und Watzlawick zusammengeführt, wo-bei der sehr umfassende Beziehungs-aspekt von Watzlawick bei mir enger und spezifischer gefasst ist, nämlich die erwähnte Dimension von Tausch anzielt.“4

3 Ebda., S. 28.

4 Ebda., S. 29.

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Dies war der Ausgangspunkt für das berühmt gewordene Kommuni-kationsquadrat. Interessant an die-sem ist nicht nur der Inhalt, sondern auch die Darstellung. Im Buch fin-den sich zwei Abbildungen. Beide stellen das Kommunikationsquadrat dar, die obere Abbildung das Modell von 1977.

Das untere Modell ist jenes, das Schulz von Thun gegenwärtig ver-wendet.5 Diese beiden Grafiken geben einen guten Einblick in die Weiterentwicklung von Schulz von Thuns Arbeit: Einerseits wurden die Bezeichnungen geändert („Äuße-rung“ statt „Nachricht“; „Sachseite“ statt „Sachinhalt“; „Selbstkundgabe“ statt „Selbstoffenbarung“). Anderer-seits hat Schulz von Thun Sender und Empfänger durch die Zeich-nung von Personen vermenschlicht und diesen auch die vierfache Ebe-ne der Äußerung und des Empfangs beigefügt. Das ganze Modell wirkt so menschbezogener und anschauli-cher. Ein bewusster Gedanke Schulz von Thuns, der für die Visualisie-rung des Abstrakten eintritt, auch für spontanes Zeichnen während des Vortrags:

„Das Interessante ist doch: Man kann nur visualisieren, was man auch verstanden hat. Und Verständ-nislücken oder auch Missverständ-nisse werden, wenn man zeichnet, sofort sichtbar […]. Die technisch perfekte Fertigware einer Power-Point-Präsentation enthält viel weni-ger Anreiz zum Austausch und zum vertiefenden Dialog. Das Anferti-gen von Skizzen, die Nutzung von einfachen Symbolen, das Zeichnen im Gespräch mit anderen – all dies sind wundervolle Zaubermittel der Kommunikation.“6

In direktem Zusammenhang da-mit steht auch Schulz von Thuns

5 Beide Abb.: vgl. ebda., S. 30f.

6 Ebda., S. 43.

Vorstellung von den Maximen der Verständlichkeit. Er benennt als die vier Verständlichmacher:〉〉 Einfachheit〉〉 Gliederung / Ordnung〉〉 Kürze / Prägnanz〉〉 Zusätzliche Stimulanz

Letzteres bedeutet nichts anderes als Verlebendigung durch elegante, wit-zige Formulierungen, Metaphern, Geschichten, lebensnahe Beispiele.7 Punkte, die jede/r Vortragende sich vielleicht aneignen oder für sich überprüfen sollte.

Speziell an Lehrende richtet sich das Kapitel „Kommunikationspsy-chologie für Pädagogen“. Ausgehend von der Metapher des Bildhauers (der die Schüler/innen formt) und des Gärtners (der die Schüler/innen sozusagen wachsen lässt) entwickelt Schulz von Thun das Wertequadrat der Pädagogik: Das Ideal des Bild-hauers kann im Extremfall dazu füh-ren, dass Schüler/innen von pädago-gischer Penetranz gequält werden. Das des Gärtners kann wiederum zu einer völligen Abstinenz von Pä-dagogik führen. Letzteres sollte sich

7 Ebda., S. 38f.

in Richtung des Bildhauers hin ent-wickeln. Die pädagogische Penetranz sollte wiederum eher in Richtung des Gärtners gedeihen. Schulz von Thuns Formel: Akzeptanz plus Kon-frontation befördert die Entwick-lung.8 Schulz von Thun gibt aber auch zu bedenken:

„‚Erziehung‘ ist auch Nerven-sache, und das Nervenkostüm des Erziehers und die konkreten Le-bensverhältnisse werden unweiger-lich eine größere Rolle spielen als pädagogische Einsichten. Vieles, was Eltern und Lehrer tun, begründen sie hinterher „pädagogisch“, aber in Wahrheit konnten sie aus ihrer Haut nicht heraus. Deshalb ist Er-ziehungsberatung immer zur Hälfte Selbsterfahrung und Psychoedukati-on des Erziehers.“9

Bei den hier angesprochenen Themen handelt es sich nur um ei-nen Bruchteil der im Buch behan-delten. Diese Gedankenfülle, immer in Kombination mit Lebensnähe, macht „Kommunikation als Lebens-kunst“ zu einer lohnenden, essentiel-len Lektüre, nicht nur für Lehrende.

8 Ebda., S. 161f.

9 Ebda., S. 162.

Abbildung 1: Kommunikationsquadrat, Modell 1977

Abbildung 2: Kommunikationsquadrat, gegenwärtiges Modell

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Elisabeth Niedermayer

PapierexperimenteDas dritte Semester der Mode- und Designpädagogikstudent/innen des IBB der PH Wien widmete sich unter der Leitung von Mag. Elisabeth Niedermayr im Wintersemester 2014/2015 in der Lehrveranstaltung „Expe-rimentelles Gestalten – Mode und Projektmanagement Mode, Textil, Design“ dem Thema „Fotocollagen und künstlerische Auseinandersetzungen mit Papier“.

In diesem Projekt wurde das Material Papier in seinen vielfältigen Aus-drucksformen, Farben, Stärken und Oberflächen experimentell erprobt, erforscht und bearbeitet. Die dabei entstandenen Papierobjekte reflektie-

ren Themen wie Leichtigkeit, Transparenz, Verletzlichkeit, Vergänglichkeit, Schönheit, Tragbares, Nicht-Tragbares, Zartheit, Weiblichkeit, Edles, Sensib-les, Verspieltes, Provokation und Drama.

Die Individualität und Vielfalt der künstlerischen Ausdrucksformen so-wie prozessorientiertes Arbeiten im Team waren die wesentlichen Inhalte und Tools dieses lehrveranstaltungsübergreifenden Projektes, in dem performative und gruppendynamische Abläufe gleichzeitig sichtbar werden.   

Die Installation aus Fotomontage und Skulpturen ist seit 22. Jänner 2015 an den Präsentationswänden der Mode- und Designpädagogik zu sehen.  Die dort gezeigten Arbeiten stammen von Blanca Ziegler, Katharina Mayrhofer, Victoria Unterweger, Carina Lichtenegger, Melanie    Jelinek, Kathi    Leeb, Theresa  Hack und Rosa Peinsteiner.

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Mit Magiern, Heilern und Kriegern lernenLernen im 21. Jahrhundert: Mit Spielen wie Classcraft bekommen Arbeitsblatt und Lehrbuch eine weitere Dimension. Und bewegen sich.

Jürgen Neckam

Das Heil kommt wieder von der Technik. Overhead-projektor, Kopierer, PC,

Internet, Smartboard. Hurra! Hur-ra! Hurra! Jetzt wird der Unterricht gut, jetzt stehen die Mittel zur Ver-fügung, alles besser machen zu kön-nen. Erstaunlicherweise ist bis heute nicht klar oder erwiesen, ob der Un-terricht durch diese Mittel an Qua-lität gewonnen hat, ob die Schüler/innen mehr gelernt haben oder ob der Unterricht dadurch allein un-terhaltsamer geworden ist. Oder ob all diese Mittel überhaupt eingesetzt werden.

Mit erstaunlichem Erfolg streckt nun ein Online-Rollenspiel seine digitalen Arme, ausgehend von den USA, rund um die Welt aus. Class-craft wurde vom Lehrer Shawn Young entwickelt. Ursprünglicher Anstoß war, dass ein Schüler Young fragte, ob er für die Erfüllung seiner Aufgaben nicht Lebenspunkte haben könnte. Was als Witz gedacht war, ließ Young aber nicht los. Er kreierte Classcraft, das von drei Rollentypen geprägt wird: Magiern, Heilern und Kriegern. Jede/r Schüler/in entschei-det sich für eine Rolle und arbeitet mit vier oder fünf anderen aus der Klasse in einem Team zusammen.

Gemeinsam versucht man Auf-gaben zu lösen. Diese sind haupt-sächlich gewöhnliche Unterrichts-aufgaben. Überhaupt ändert sich der übliche Unterricht durch Classcraft wenig. Das Spiel läuft im

Hintergrund auf dem Smartboard ab, aktiv beteiligt ist man nur etwa fünf Minuten pro Einheit. Da-her ist es ist auch nicht nötig, dass alle Schüler/innen teilnehmen. Für erledigte Aufgaben erhält ein Team zwischen 10 und 50 Punk-ten gut geschrieben. Abzüge gibt es für Zuspät-Kommen, für vergessene Aufgaben, für Reden während des Unterrichts. Dies alles kostet Le-bensenergie. Bonuspunkte können dafür verwendet werden, dass die Schüler/innen während des Unter-richts essen dürfen oder einen Tag mehr Zeit für das Halten eines Refe-rats bekommen.

Zwischendurch gibt es besonde-re Ereignisse, etwa das Singen eines Liedes oder ein spontanes Referat. Young meint, diese besonderen Er-eignisse wären bei Lehrer/innen

deshalb beliebt, weil ihr Einsatz die Schüler/innen dazu bringt, aufmerk-samer und konzentrierter zu sein.1

Young selbst bezeichnet sich als ehemaligen Schüler, der weder flei-ßig noch gut war. Er selbst scheint durchaus Zweifel zu haben, was den Lernerfolg seines Spiels betrifft. Auf die Frage, ob sich durch den Einsatz von Classcraft die Noten bessern würde, antwortete Young in einem Interview:

1 Sämtliche Infos in Bezug auf das Spiel aus http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590812/Mit-Magiern-im-Klassenzimmer, 19. 01. 2015 und http://www.classcraft.com/de/, 19. 01. 2015

Classcraft

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Längst nicht bei allen. Unsere Erfah-rungen zeigen, dass gerade die guten Schüler gut bleiben, mit oder ohne Classcraft. Aber das Spiel kann Schüler dazu bewegen, sich häufiger zu beteili-gen und mehr zu lernen. Dadurch ver-bessert sich auch die Note. Aus meiner Sicht sind die positiven Auswirkungen auf das Klassenklima und die gestie-gene Motivation der Schüler ohnehin wichtiger als Notensprünge.2

Und darin sieht Young das We-sentliche seines Spiels: dass es die Außenseiter/innen einer Klasse in eine Gemeinschaft integriert, dass Teams gebildet werden und der Zu-sammenhalt gestärkt wird. Die Be-ziehungen der Schüler/innen zuei-nander änderten sich radikal, stellte Young fest.

Classcraft ist inzwischen für über 60 Länder zugänglich und kann auch auf Deutsch gespielt werden. Es gibt eine Gratis-Version, eine Free-mium- und eine Premium-Version,

2 http://jetzt.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/590812/Mit-Magiern-im-Klassenzimmer, 19. 01. 2015

selbstverständlich mit unterschiedli-chen Features, wobei auch die Gra-tisversion voll funktionstüchtig ist. Die Premium-Version kostet 10 $ pro Klasse und 1 $ pro Schüler/in.

Natürlich setzt ein Spiel wie Classcraft eine Lehrkraft voraus, die nicht nur computeraffin, sondern auch gameaffin ist. Und Schüler/in-nen, die dies auch sind. Und die nö-tige Ausstattung: Smartphones, Ta-blets, PCs, am besten Smartboards. Ob Optimismus angebracht ist? Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung, sagte in einem Interview mit der „Süddeutsche Zeitung“:

Warum können nicht Lernprogramme und per Video die besten Lehrer der Welt das Standardwissen vermitteln und die Lehrer vor Ort den Stoff mit den Schülern diskutieren und sich um deren persönliche Belange kümmern [?]3

3 http://www.sueddeutsche.de/bildung/joerg-draeger-ueber-digital-es-lernen-das-ist-die-wahre-revolu-tion-1.2300106, 19. 01. 2015

Classcraft

Dräger greift hier auf eine Vision zurück, die es vermutlich schon gibt, seit der Tonfilm existiert. Dass der Unterricht einer Reproduktionsma-schine überlassen werden kann und die Lehrkraft in Aufgaben aufgeht, die nicht neu sind, aber die Lehr-kraft nun zur Gänze ausfüllen sollen: persönliche, emotionale Betreuung. Und ein bisschen Nachhilfe. Eine Vi-sion, die Konrad Paul Liessmann in „Geisterstunde“ konsequent weiter denkt: Gelernt wird online, die Schu-le als Ort des Lernens und Wissens wird in den Hintergrund gedrängt und immer mehr eine „sozialpäda-gogische Anstalt zur Aufbewahrung von Kindern und Jugendlichen“.4 Allerdings formuliert auch Dräger gleich Bedenken: Der gläserne Schü-ler sei eine Gefahr, so Dräger.5

4 Konrad Paul Liessmann: Geister-stunde. Die Praxis der Unbildung. Eine Streitschrift, Paul Zsolnay: Wien, 2014, S. 100.

5 Vgl. http://www.sueddeutsche.de/bildung/joerg-draeger-ueber-digitales-lernen-das-ist-die-wahre-revolu-tion-1.2300106, 19. 01. 2015

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Kompetenzorienterter Fremdsprachen- unterricht an BerufsschulenDie Berufsschule Eisenstadt war in Österreich die erste Berufsschule, an der im Schuljahr 2009/10 ein Schulver-such mit dem Ziel der Entwicklung und praktischen Umsetzung eines kompetenzorientierten Unterrichts gestartet wurde.

Peter Hayden

Dieser Umstand brachte auch für den Fremdspra-chenunterricht viele Än-

derungen mit sich. Das Ziel meiner BAC-Arbeit war herauszufinden, was in der aktuellen wissenschaftlichen Literatur über den kompetenzori-entierten Fremdsprachenunterricht geschrieben wird und inwiefern sich diese theoretischen Anforderungen mit der praktischen Umsetzung an der Berufsschule Eisenstadt decken.

Den Ausgangspunkt für den kompetenzorientierten Unterricht liefert die Gehirnforschung. Schüle-rinnen und Schüler sind keine Ge-fäße, in die die Lehrkräfte Wissen und Fertigkeiten hinein leeren kön-nen. Ganz im Gegenteil, Lernen ist ein aktiver Aneignungsprozess, der von den Lernenden selbst bestimmt und gesteuert wird. Manfred Spitzer meint dazu: „Lernen erfolgt nicht passiv, sondern ist ein aktiver Vor-gang, in dessen Verlauf sich Verän-derungen im Gehirn des Lernenden abspielen“ (Spitzer, 2006, S. 4).

Theoretische Ansätze

Nun, was bedeutet diese Feststellung für den konkreten Fremdsprachen-unterricht? Zunächst ging es daran, geeignete Literatur für diese Arbeit zu finden. So wurde bereits im Jahr 2012 vom Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur ein

Grundlagenpapier herausgegeben. Darin heißt es, dass sich im schu-lischen Bereich der Kompetenzbe-griff von Weinert durchgesetzt hat. Weinert versteht „Kompetenzen als kognitive Fähigkeiten und Fertigkei-ten, um gewisse Probleme zu lösen und die damit verbundenen motiva-tionalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verant-wortungsvoll nutzen zu können“ (BMUK, 2012, S. 10).

Neben vielen Büchern, die ich zum Thema Fremdsprachenunter-richt und Unterrichtsgestaltung im Allgemeinen gefunden habe, bin ich

schließlich auf zwei aktuelle Werke gestoßen, die sich konkret mit dem kompetenzorientierten Fremdspra-chenunterricht befassen. Das eine Buch ist von Wolfgang Hallet mit dem Titel „Lernen fördern: Eng-lisch“ (2011), das andere ist von Ste-fan Keller und heißt „Kompetenzori-entierter Fremdsprachenunterricht“ (2013).

Trotz der unterschiedlichen Schwerpunkte sind die Themen in diesen beiden Büchern ähnlich. Beide Autoren sind sich einig, dass es Sinn macht, den kompetenz-orientierten Fremdsprachenunter-richt nicht im Alleingang, sondern im Lehrerkollegium zu entwickeln.

Berufsschule Eisenstadt

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Dabei sind unter Berücksichtigung der Vorgaben an die Schulen wie Bildungsstandards, Lehrpläne und Ausbildungsverordnungen Kompe-tenzen zu formulieren, aus denen hervorgeht, was Lehrlinge am Ende eines Schuljahres können sollen.

Aus diesen eher allgemein gehal-tenen Kompetenzen werden dann konkrete Kompetenzziele entwi-ckelt, anhand derer auch beurteilt werden kann, inwiefern sich die Ler-nenden die entsprechenden Kompe-tenzen angeeignet oder die bereits vorhandenen gefestigt haben. Bei der Formulierung von Kompeten-zen und Kompetenzzielen sind alle beruflichen Handlungskompetenzen wie die Fachkompetenz, die Metho-denkompetenz, die Sozialkompetenz sowie die Personalkompetenz zu berücksichtigen. Mit den vorgege-benen Kompetenzzielen sollen auch die Lernenden selbst in der Lage sein, ihr eigenes Kompetenzniveau einzuschätzen.

Mit einfachen Lernstandserhe-bungen wird dann der Bildungs-stand der Lernenden erhoben, damit man im weiteren Unterricht daran anknüpfen und darauf aufbauen kann. Die Vorkenntnisse der Lehr-linge an Berufsschulen sind oft sehr unterschiedlich, wodurch sich das Erfordernis eines schülerzentrierten Unterrichts ergibt, der ein individu-elles Lerntempo und verschiedene Lern- und Lösungsstrategien zulässt. Dabei soll der Schwerpunkt nicht auf den Erwerb von Faktenwissen liegen, sondern auf die Entwicklung von Problemlösungskompetenz ge-legt werden.

Um die gewünschten Lernprozes-se zu initiieren, bedarf es komplexer Kompetenzaufgaben, bei deren Lö-sung sich die Lernenden die dafür nötigen Kompetenzen aneignen und festigen. Kompetenzaufgaben sind komplex und daher nicht selbster-klärend. Es bedarf zu deren Lösung nicht nur struktureller Unterstüt-

zung der Lernenden durch geeigne-te Materialien, Instruktionen durch die Lehrkräfte und der Bereitstellung entsprechender Arbeitsphasen, son-dern es sollen von den Lernenden in diskursiven Prozessen Bedeutungen ausgehandelt werden.

Dies heißt, dass die Lernenden im Dialog eine gemeinsame Sicht-weise der Problemstellungen und der zu erarbeitenden Inhalte finden. Dies entspricht dem eigentlichen Lernprozess. Diese dialogische Aus-handlung von Bedeutungen steht im Zentrum des Fremdsprachenunter-richts. Bei der Unterrichtsgestaltung sollen daher diesen Prozessen ent-sprechende Gelegenheiten in Form von Gruppenarbeit eingeräumt wer-den. Schließlich wird in der kom-plexen Kompetenzaufgabe noch genau festgelegt, welche Kriterien das Lernprodukt erfüllen soll. Dabei sollen im Sinne der Handlungsori-entierung verschiedene Lösungswege zugelassen werden.

Die verschiedenen Lösungswege und Lernprodukte werden schließ-lich evaluiert. Dabei ist auf die Tren-nung von Lern- und Beurteilungssi-tuation zu achten. In den Phasen der Problemlösung und bei der Erarbei-tung von Lösungsstrategien ist von einer Beurteilung abzusehen, weil dies den ehrlichen Dialog zwischen den Lernenden und den Lehrkräften erschweren würde. Es empfiehlt sich hier vielmehr anhand der Kompe-tenzziele kriterienbezogenes Feed-back zu geben und die Lernenden dazu zu ermutigen, eigene Lösungs-wege zu suchen.

Erst nach der Fertigstellung der Lernprodukte und deren Präsenta-tion können die Leistungen beur-teilt werden. Ein wichtiger Aspekt in dieser Phase der Evaluation ist das Ermöglichen von Reflexion der Lernenden über ihre Lernprodukte und Lösungsstrategien. So können sie metakognitive Fähigkeiten entwi-

ckeln, die bei der Lösung von künf-tigen Aufgaben von großem Nutzen sein können.

Beispiele der praktischen Umsetzung

Dies war ein sehr oberflächlicher Einblick in die von mir gefundenen theoretischen Ansätze in der aktu-ellen Literatur. Nun komme ich zu ein paar Beispielen der praktischen Umsetzung des kompetenzorien-tierten Fremdsprachenunterrichts an der Berufsschule Eisenstadt. An dieser Schule wird im Rahmen von zehnwöchigen Lehrgängen un-terrichtet. Das heißt, dass die Lehr-linge jedes Jahr ca. zehn Wochen durchgängig an der Berufsschule anwesend sind. Das restliche Jahr sind sie in ihren Betrieben tätig. Ein weiteres Unterrichtsmerkmal an der Berufsschule Eisenstadt ist die Fä-cherauflösung, es wird also fächer-übergreifend unterrichtet, was für den Fremdsprachenunterricht einige Herausforderungen mit sich bringt. Der Unterricht findet meist in Form von Teamteaching statt, der Stun-denplan wird vom jeweiligen Lehrer-team der Klasse erstellt. Es gibt mit der Mittagspause drei Pausen pro Schultag. Dies ermöglicht den Lehr-lingen längere Arbeitsphasen ohne Unterbrechungen.

Kompetenzziele

Zunächst stelle ich eine Kompetenz vor, die von den Lehrkräften der Berufsschule Eisenstadt gemeinsam entwickelt wurde. In der ersten Klas-se Einzelhandel wurden vier Lern-felder festgelegt und 15 Kompeten-zen formuliert, die dann diesen vier Lernfeldern zugeordnet wurden. Bei der Kompetenz 3.2. ist auch ein Teil für den Berufsbezogenen Englisch-unterricht enthalten (Tabelle 1).

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Die daraus abgeleiteten Kompetenz-ziele werden an der Berufsschule in Form von sogenannten strukturier-ten Portfolios definiert. Auch bei dieser Kompetenz 1.1. sind teilweise Kompetenzen in englischer Sprache zu erwerben und zu präsentieren. Je-dem strukturierten Portfolio ist die jeweilige Kompetenz vorangestellt. Auch diese Kompetenzziele wurden im Lehrerkollegium gemeinsam for-muliert und dienen in weiterer Folge auch der Evaluierung (Tabelle 2).

Nach der Lernstandsdiagnose kann man nun an die Vorkenntnisse der Lehrlinge anknüpfen und ent-sprechende komplexe Kompetenz-aufgaben formulieren. Diese Lern-standsdiagnosen werden noch nicht

in allen Branchen an der Berufsschu-le Eisenstadt systematisch durchge-führt. Auch bei der Formulierung komplexer Kompetenzaufgaben gibt es noch unterschiedliche Zugänge. So gibt es derzeit noch komplexe Kompetenzaufgaben, mit denen eine ganze Kompetenz abgedeckt wird. Andererseits gibt es auch Arbeitsauf-träge, mit denen nur Teilkompeten-zen bearbeitet werden, wie zum Bei-spiel nur für den fremdsprachigen Teil einer Kompetenz. Die Lehrlinge werden angehalten mit Hilfe von To-do-Listen und anderen Hilfen ihre Arbeit selbst zu steuern und kontrol-lieren. Im Fremdsprachenunterricht kommen auch Lernjournale und Portfolios zum Einsatz.

Tabelle 1: Zu erlangende Kompetenzen für Lehrlinge der 1. Klasse Einzelhandel

Tabelle 2: Strukturiertes Portfolio

Beurteilung

Die Beurteilung erfolgt an der Be-rufsschule Eisenstadt trotz der Fä-cherauflösung nach wie vor mit No-ten für die Schulfächer, so auch für das Fach Berufsbezogenes Englisch. Die Beurteilung findet kriterienbezo-gen anhand von Kompetenzen und Kompetenzzielen statt. Mit den zu erreichenden Punkten können auch Schwerpunkte gesetzt werden, in-dem es für bestimmte Kompetenz-ziele mehr oder weniger Punkte zu erreichen gibt. Hier (Tabelle 3 und 4) ein Beurteilungsblatt für eine Präsentation in der ersten Klasse Einzelhandel. Anschließend ist ein Ausschnitt eines Gesamtnotenblattes

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Tabelle 3: Beurteilung Sales Dialogue

Tabelle 4: Beurteilung

zu sehen, bei dem die Punkte der einzelnen Lernprodukte zu einer Gesamtnote verdichtet werden.

Nicht nur anhand dieser kon-kreten Beispiele der praktischen Umsetzung an der Berufsschule Eisenstadt kann man sehen, dass die Entwicklung eines kompeten-zorientierten Unterrichts großen Entwicklungsaufwand mit sich bringt. Der dafür nötige zeitliche und organisatorische Rahmen konnte nur mit vollem Rückhalt von Seiten der Schulleitung ge-schaffen werden. Dieser Prozess kann natürlich niemals als ab-geschlossen betrachtet werden, sondern ist vielmehr Gegenstand ständiger Weiterentwicklung und Veränderung.

Herausforderungen

Durch die jeden Lehrgang wech-selnden Lehrerteams herrscht ein reger Ideenaustausch im Lehrer-kollegium. Dieser ist auch not-wendig, weil noch viele Heraus-forderungen, wie zum Beispiel die Entwicklung einer einheitlichen Lernstandsdiagnose, zu lösen sind. Andere Vorgaben, wie die Beno-tung nach Schulfächern anstatt der Beurteilung, inwiefern Kompetenz-ziele erreicht wurden, können von den Lehrkräften selbst nicht gelöst werden. Die Vorgangsweise bei der Evaluation in Form von formalen Feedbacks in den Arbeitsphasen so-wie bei der Beurteilung mit Punkten mit Hilfe von kriterienbezogenen Beurteilungsrastern ist an der Be-rufsschule Eisenstadt Standard.

Schulinterne Einigkeit herrscht auch bei der Schwerpunktsetzung im Fremdsprachenunterricht auf die Themen- und Inhaltsorientierung. Das bedeutet, dass an der Berufs-schule Eisenstadt das Lernen von Grammatik eher in den Hintergrund rückt. Bei sprachlichen Strukturen wird eher Wert auf das Lernen von Genres, wie zum Beispiel englischen

Verkaufsdialogen, sowie dem geziel-ten Einsatz von Fachvokabeln gelegt.

Die konkrete Umsetzung des kompetenzorientierten Unterrichts an der Berufsschule Eisenstadt ist und bleibt somit ein ständiger Ent-wicklungsprozess. Es warten noch viele Herausforderungen auf die Lehrkräfte des Fremdsprachenunter-richts, die sicher gemeinsam gemeis-tert werden.

Peter Haydens BAC-Arbeit "Kom-petenzorientierter Fremdsprachenun-terricht an Berufsschulen. Aktueller Stand der Forschung im Vergleich zur praktischen Umsetzung an der Berufs-schule Eisenstadt" wurde im Jänner 2015 am IBB der PH Wien einge-reicht.

Literaturverzeichnis:Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur (BMUKK) (2012): Kompetenz-orientiertes Unterrichten an berufsbildenden Schulen. Grundlagenpapier. Wien: Eigendruck des Bundesministeriums für Unterricht, Kunst und Kultur.Hallet, Wolfgang (2011): Lernen fördern: Englisch. Kompetenzorientierter Unterricht in der Sekundarstufe I. Seelze: Kallmayer in Verbindung mit Klett.Keller, Stefan (2013): Kompetenzorientierter Englischunterricht. Berlin: Cornelson Schul-verlag.Spitzer, Manfred (2006): Lernen. Gehirnfor-schung und die Schule des Lebens. Heidel-berg: Spektrum Akademischer Verlag.

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Korruptionsprävention für Lehrkräfte – Eigenschutz durch Rechtssicherheit Am 20. November 2014 hielten drei Mitarbeiter/innen des Bundesamtes zur Korruptionsprävention und Kor-ruptionsbekämpfung (BAK) im Audimax der PH Wien einen Vortrag zur Korruptionsbekämpfung. Einer der Vortragenden fasst in diesem Artikel zusammen, was Korruption in Bezug auf Lehrkräfte bedeutet und welches mitunter freundliche Gesicht sie annehmen kann.

Mag.rer.soc.oec. Thomas Erich Londgin, BEd

Korruptionsprävention hat sich in den letzten Jahren zu einer Disziplin entwickelt,

die in vielen Bereichen der öffent-lichen Verwaltung eine bedeutende Position einnimmt. Zu diesem Teil der Verwaltung zählt auch das öster-reichische Schulwesen.

Bedauerlicherweise hat die Ver-gangenheit gezeigt, dass auch dieser Teil der Verwaltung - in concreto die Lehrkräfte - in den Fokus der Medien gerückt sind. Vorwürfe der pflichtwidrigen Vorteilsannahme stehen dabei im Raum.

Exemplarisch sollen ein Kurzfall aus der aktuellen Medienlandschaft vorgestellt werden, sowie zwei fik-tive voneinander unabhängige Ein-zelfälle, die dem Leser/der Leserin eindrucksvoll zeigen, durch welche Gegebenheiten Lehrkräfte in den Gefahrenbereich von Korruptions-vorwürfen (wie beispielsweise der pflichtwidrigen Vorteilsannahme) gelangen können.

Kurzfall 1:

Die Salzburger Tourismusbranche versuchte, den Rückgang an Ski-kursen durch gezielte Marketing-aktionen an Schulen zu stoppen. Zu diesem Zweck verschenkten die Salzburger Seilbahnen Zweitageskar-ten an Lehrkräfte. Ziel dieser Maß-nahme war es, Lehrkräften die Mög-

lichkeit zu bieten, das Skigebiet vor Reisebeginn kennen zu lernen. Von dieser Aktion waren insgesamt 2200 Lehrkräfte betroffen. Der Wert einer Tagesskarte belief sich auf € 70,00.1

Kurzfall 2:

Eine Lehrkraft fährt jährlich mit Lehrlingen von Abschlussklassen nach Frankfurt. Das Lehrlingsun-ternehmen kontaktiert die Lehrkraft mit dem Hinweis, die Kosten für die Reise (der Lehrkraft) zu überneh-men. Als Begründung wird die jähr-lich gute Zusammenarbeit mit den Lehrkräften angeführt. Die Lehr-kraft freut sich und willigt ein.

Kurzfall 3:

Die Schülerin S., Tochter eines Bau-unternehmers, ist gefährdet nicht in die nächste Klasse aufzusteigen. Durch Zufall renoviert das Bau-unternehmen ihres Vaters im Zuge einer Revitalisierung das Haus der Lehrkraft. Jener Lehrkraft, in deren Gegenständen ein „nicht genügend“ droht. Bei einer Baubesichtigung

1 http://wirtschaftsblatt.at/home/nach-richten/oesterreich/4593607/Schulski-kurse_Korruptionsermittlung-gegen-2200-Lehrer (18.01.2015, 15:00)

Thomas Londgin

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bietet der Vater der Lehrkraft einen großzügigen nachträglichen Rabatt an. Er möchte sich doch nur für eine zukünftige Unterstützung und einer speziellen Leistungsförderung der Tochter im Vorhinein bedanken.

Nach Marek/Jerabek ist Korrup-tion ein kriminologischer Begriff, der nach allgemeinem Sprachgebrauch jegliche Art von Pflichtwidrigkeit bis hin zum Befugnismissbrauch im Austausch gegen einen Vorteil um-fasst, und zwar im öffentlichen und privaten Bereich.2

Mit Hilfe dieser Definition von Korruption ist es möglich, Korrupti-on in seiner Funktionsweise zu erklä-ren, und darauf aufbauend denkbare Ansätze und Normen für die Präven-tion bzw. Aufklärung zu erarbeiten.

Da es sich beim Phänomen Kor-ruption um einen sehr komplexen Begriff handelt, können Lehrkräfte vor einer großen Herausforderung stehen. Reflexion über die Rolle der Lehrkraft als Amtsträger, Rechtssi-cherheit betreffend verbotener Vor-teilsannahme und Amtsmissbrauch, Verständnis von Korruptionsphäno-menen und deren Folgen, Verstehen von wirtschaftlichen und politischen Zusammenhängen, Prozessen und Strukturen im Zusammenhang mit Korruption, Wissensvermittlung von Methoden der Korruptionsprä-vention sowie Wahrnehmung der Verantwortung für Korruptionsprä-vention sind häufig Themen, die Lehrkräfte vor offene und schwierige Fragen stellen.

Das Bundesamt zur Korrupti-onsprävention und Korruptionsbe-kämpfung (BAK) bietet erstmals im Rahmen des bundesweiten Fortbil-dungsangebots für Lehrkräfte der Sekundarstufe I und II im Winter-

2 Marek, E., & Jerabek, R. (2014). Korruption und Amtsmissbrauch. Wien: Manzsche Verlags- und Universitätsbuchhandlung 1.

semester 2015/2016 einen Anti-Korruptions-Workshop an der Pä-dagogischen Hochschule Wien an (LV-Nummer 3515ELL012 15W) an. Dabei werden neben der Ausein-andersetzung mit didaktischen Mög-lichkeiten zur Umsetzung der The-matik im Unterricht auch alle zuvor erwähnten Herausforderungen, die im Kontext dieses spannenden und komplexen Themas stehen, behan-delt. Zahlreiche reale Fälle aus der Alltagspraxis runden das Programm ab.

Den Lehrkräften wird dadurch Sicherheit im täglichen Arbeitsleben gegeben, damit sie in der Lage sind, „korruptionsverdächtige Situatio-nen“, wie z. B. verbotene Geschenk-annahmen, zu erkennen und mit diesen in adäquater Weise umzuge-hen.

Korruptionsprävention ist beson-ders im schulischen Bereich wichtig, denn Lehrkräfte haben Vorbildwir-kung für junge Erwachsene und tra-gen daher besondere Verantwortung.

MMag. Isabella Vlaschitz-Spazierer, Mag. Dr. Koger und Mag. Thomas Londgin, BEd, vom BAK beim Vortrag November 2014 an der PH Wien.

Thomas E. Londgin ist Absolvent der Wirtschaftsuniversität Wien sowie der Pädagogischen Hochschule Wien. Be-rufliche Tätigkeiten: Pädagoge an der Berufsschule für Industrie, Finanzen und Transport, werkvertragliche Tätig-keit im Bundesamt zur Korruptions-prävention und Korruptionsbekämp-fung (BAK).

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