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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT t. JAHRGANG. Nr. 14 . I. APRIL I922 0BERSICHTEN. GRUNDLAGEN UND BEDEUTUNG DER PHYSIKA- LISCHEN THERAPIE FOR DIE INNERE MEDIZIN. Yon Geh. Mediz.-Rat Prof. Dr. GOLDSCHEIDER~ Direktor tier 3. med. Klinik d. Univ. Berlin. Die yon der Norm abweichenden Lebensvorg:knge im er- krankten Organismns sind zum Tell als direkte Folgen der Schgdlichkeit zum Teil als Reaktionen zu erkennen, welche in gewisser Begrenzung den Charakter von abwehrenden und ausgleichenden Vorggngen (Naturheilung) besitzen. Die Be- deutung der physikalischen Therapie liegt in der Hauptsache darin, dal3 sie die letztere zu f6rdern und zu unterstfitzen sucht. Der Organismus ist best~ndig den physikalischen Ein- wirkungen der Umwelt un.terWorfen. Er entwickelt.sich im Kampf gegen sie und stahlt auf dem Wege der Anpassung in der bestgndigen Berfihrung mit ihnen seine Widerstands- kraft, d. h. seine Fghigkeit der Regulierung gegenfiber gul3eren Ein.wirkungen. Die Reaktionen selbst, wenn auch. physi- kalisch ausgel6st, sind sehr mannigfaltiger Natur und k6nnen alle Funktionen des Organismus und seiner einzdnen Organe auf den Plan rufen; so reagiert der K6rper z. t3. auf Ab- kfihlung nicht allein mit Schutz vor Wgrmeabgabe, sondern auch mit gesteigerten Oxydationen. Es sind zum Tell die gleichen physiologischen Regulationsvorg/inge, welche sich unter normalen und unter krankhaften 13edingungen abspielen : gewisse spezifische Reaktionen, auf welche der Organismus nicht vorbereitet sein kann, mul3 man immerhin ffir die Krank- heft annehmen. So werden die durch den Kampf mit der Aul3enwelt gefibten Vorg~nge, Welche den 0rganismus ge- sund und widerstandsfghig erhalten, auch dem Kampf mit der krankmachenden Schgdlichkeit zugute kommen. Wenn dnrch die Zivilisation der K6rper zu sehr der Einwirkung der Naturkrgfte entzogen wird, so mul3 hierunter auch die Widerstandskraft bei Krankheiten und der Naturheilprozel3 leiden. Eine moderne Fortentwicklung der physikalischen Therapie sucht dieselbe im Sinne der Vernichtung der Krank- heitsursache bzw. der krankhaften Gewebsbildungen zu ver- wenden (Licht- bzw. Strahlentherapie); es ist noch fraglich, ob dieser Weg gangbar ist. Ursprfinglich wendet sich die physikalische Therapie an die reaktiven Lebensprozesse. Sie ist unseren allgemein-pathologischen Anschauungen voraus- geeilt und wgre wohl viel frfiher zur jetzigen Anerkennung gelangt, wenn die Vorstellung von dcm natfirlichen Heil- bestreben des Organismus -- welche den Kern jeglicher ver- nfinftigen Therapie bilden rout3 -- frfiher lebendig geworden ware. Sie ist gehemmt worden durch die fibertrieben organi- zistische Periode der Medizin sowie freilich auch dadurch, dal3 sie als Naturheilmethode in einen" gewissen Gegensatz zur Schulmedizin -- ich sage nicht zur wissenschaftlichen Medizin -- gebracht wurde. Ganz zu Unrecht. NaturheiI- methode ist nicht die schlechthin arzneilose, sondern diejenige, welche dem natfirlichen Heilprozcl3 seine Geheimnisse abzu- lauschen und ihn zu unterstfitzen, nachzuahmen, zu ersetzen sucht. Hierher geh6ren z. B. unsere besten Errungenschaften der Serum- und endokrinen Therapie, die Vaccine-Therapie, die 13IERSChe Hyper/imie-Behandlung. Die Ausl6sung von Reaktionen im obigen Sinne durch physikalische Reize macht jedoch nur einen Teil der physi- kalischen Theraple aus. Diese umfal3t vielmehr im weitesten Sinne alle therapeutischen MaBnahmen, welche auf physi- kalischem %Vege auf den Krankheitsvorgang einzuwirken bestrebt sind. Hierher geh6ren z. 13. die Lagerung des Kran- ken, die Lagerung und Fixierung der GliedmaBen bei Gelenk- erkrankung, Venenentzfindung usw., Katheterismus. Darm- einl~ufe, Entteerung yon Flfissigkeitsausschwitzungen u. a. m. Ferner die Methoden der Inhalation, der Uber- und Unterdruck- atmung, die Gurgelung, die Dehnung yon Verengerungen der Speiser6hre oder Harnr6hre, die Behandlung der Ver- stopfung mit schlackenreicher Di~t oder Ffillmaterial, die Benutzung des Auftriebes des Wassers bei Bs ffir Gel~hmte. All diesen Mal3nahmen ist das gemeinsame Merkmal eigen, dab sie weniger physikalische yon Heil-Reaktionen gefolgte Reize ausfiben sollen, sondern mechanische Hilfen darstellen, welche sich • auf die Beseitigung .gewisser mechanischer FolgezustRnde yon Krankheiten oder mechanischer Unvoll- kommenheiten, die durch die Krankheit bedingt sind, be- ziehen, teils der die eigentliche 13ehandlung unterstfitzenden Krankenpflege angeh6ren. Sie stellen als Mechanotherapie ein besonderes Gebiet der physikalischen Therapie vor. Im fibrigen wirken auch sie zum Tell dutch Ausl6sung von Re- aktionen wie z. B. die Dehnung yon Verengerungen, die SchlackendiXt, der Pneumothorax. Ferner werden auch ab- gesehen yon Reakfionen direkte physikalische Heilwirkungen erzielt. So stellen wir uns vor, dal3 starke lokale Wgrme- entziehungen (Eisblase) durch eine tiefgehende Abkfihlung der Gewebe, die Erw/irmung und die Diathermie durch eine tiefreichende Temperaturerh6hung Wirkungen hervorrufen, dal3 Massage eine unmittelbare verschiebende'Wirkung auf Gewebss/ifte ausl6sen soll. Pass~vc Bewegungen an ver- steiften Gelenken sollen unmittelbar durch Dehnung und Zerrcil3ung yon Verwachsungen wirken u. a. m. Dal3 solche direkten Einwirkungen In einem gewissen Umfange vorkom- men, mag zugegeben werden; aber wahrscheinlich mischen sich mit ihnen stets mittelbare Reizwirkungen, welche das eigentliche Gebiet der physikalischen Therapie darstellen. Die im Organismus best~ndig ablaufenden physiologischen Vorggnge sind zum Tell physikalischer Art ; man denke an den Blutumlauf, die best/indige pulsatorische Erschfitterung aller Gewebe, den Gewebsdruck, die Wgrmeabgabe, die Wasser- abgabe, die motorischen Funktionen, und so ist es an sich sehr naheliegend, dab dutch physikalische Mal3nahmen direkt auf diese Vorggnge ein Einflul3 ausgefibt werden k6nne; aul3erdem aber wirkt jede guBere Mal3nahme gleichzeitig als Reiz, welcher im Organismus als solcher weitere Wirkungen entfaltet und nach den dem letzteren eigenen Gesetzen um- gesetzt wird. Direkte und Reaktionswirkungen vermischen sieh vielfach. Die physikalische Therapie bedient sich solcher Eingriffe, welche dem Organismus aus seinen Beziehungen zur Umwdt bekannt sind (daher die irrtfimliche Auffassung von einer Naturheilmethode). Sie wirkt vorwiegend auf die Oberfl/iche des K6rpers im Gcgensatz zur ,,Einverleibung" von Heil- mitteln, sie bedient sich aber auch des Kunstgriffes, den Krankcn selbst zu physikalischen selbsttgtigen MaBnahmen zu veranlassen: aktive Bewegungstherapie. Letzteres ist schon nicht mehr rein physikalisch, es geht fiber den Willen und das Ncrvensystem. Hyperdmie-Behandlung. Die yon BIER gefundene Hyper~mie-Behandlung ist ein glgnzendes Beispiel der kfinstlichen Erzeugung und Nach- ahmung eincs natfirlichen Heilvorganges. W~hrend die frfihere medizinische Dogmatik alle Krankhcitserschcinungen als Auswirkungen dcr Sch~dlichkeit betrachtcte und bck~mpfen zu mfissen glaubte, wies BIER mit besonderem Nachdruck darauf hin, dab dieselben zum Teil Ausdruck zweckmgl3iger Reaktionen seien. So land er. dal3 es falsch sci. die entzfind- liche Hyper/imie zu bck~mpfen, dab man sm vielmchr untcr- stfitzen, nachahmen und evtl. kfinstlich Hyper~mie herbei- ffihren mfisse. Er untersuchte die Wirkungen der aktiven wie der passiv durch Stauung herbeigefiihrten Hyper~mie und stellte eine schmerzstillende, eine Bakterien t6tende Klinische Wochenschrift, L Jahrg. 45

Grundlagen und Bedeutung der Physikalischen Therapie für die Innere Medizin

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KLINISCHE WOCHENSCHRIFT t . J A H R G A N G . Nr. 14 . I . A P R I L I922

0BERSICHTEN. GRUNDLAGEN UND BEDEUTUNG DER PHYSIKA- LISCHEN THERAPIE FOR DIE INNERE MEDIZIN.

Y o n

Geh. Mediz.-Rat Prof. Dr. GOLDSCHEIDER~ Direktor tier 3. med. Klinik d. Univ. Berlin.

Die yon der Norm abweichenden Lebensvorg:knge im er- krankten Organismns sind zum Tell als direkte Folgen der Schgdlichkeit zum Teil als Reaktionen zu erkennen, welche in gewisser Begrenzung den Charakter von abwehrenden und ausgleichenden Vorggngen (Naturheilung) besitzen. Die Be- deutung der physikalischen Therapie liegt in der Hauptsache darin, dal3 sie die letztere zu f6rdern und zu unterstfitzen sucht. Der Organismus ist best~ndig den physikalischen Ein- wirkungen der Umwelt un.terWorfen. Er entwickelt.sich im Kampf gegen sie und stahlt auf dem Wege der Anpassung in der bestgndigen Berfihrung mit ihnen seine Widerstands- kraft, d. h. seine Fghigkeit der Regulierung gegenfiber gul3eren Ein.wirkungen. Die Reaktionen selbst, wenn auch. physi- kalisch ausgel6st, sind sehr mannigfaltiger Natur und k6nnen alle Funkt ionen des Organismus und seiner einzdnen Organe auf den Plan rufen; so reagiert der K6rper z. t3. auf Ab- kfihlung nicht allein mit Schutz vor Wgrmeabgabe, sondern auch mit gesteigerten Oxydationen. Es sind zum Tell die gleichen physiologischen Regulationsvorg/inge, welche sich unter normalen und unter krankhaften 13edingungen abspielen : gewisse spezifische Reaktionen, auf welche der Organismus nicht vorbereitet sein kann, mul3 man immerhin ffir die Krank- heft annehmen. So werden die durch den Kampf mit der Aul3enwelt gefibten Vorg~nge, Welche den 0rganismus ge- sund und widerstandsfghig erhalten, auch dem Kampf mit der krankmachenden Schgdlichkeit zugute kommen. Wenn dnrch die Zivilisation der K6rper zu sehr der Einwirkung der Naturkrgfte entzogen wird, so mul3 hierunter auch die Widerstandskraft bei Krankheiten und der Naturheilprozel3 leiden. Eine moderne Fortentwicklung der physikalischen Therapie sucht dieselbe im Sinne der Vernichtung der Krank- heitsursache bzw. der krankhaften Gewebsbildungen zu ver- wenden (Licht- bzw. Strahlentherapie); es ist noch fraglich, ob dieser Weg gangbar ist. Ursprfinglich wendet sich die physikalische Therapie an die reaktiven Lebensprozesse. Sie ist unseren allgemein-pathologischen Anschauungen voraus- geeilt und wgre wohl viel frfiher zur jetzigen Anerkennung gelangt, wenn die Vorstellung von dcm natfirlichen Heil- bestreben des Organismus -- welche den Kern jeglicher ver- nfinftigen Therapie bilden rout3 -- frfiher lebendig geworden ware. Sie ist gehemmt worden durch die fibertrieben organi- zistische Periode der Medizin sowie freilich auch dadurch, dal3 sie als Naturheilmethode in einen" gewissen Gegensatz zur Schulmedizin -- ich sage nicht zur wissenschaftlichen Medizin -- gebracht wurde. Ganz zu Unrecht. NaturheiI- methode ist nicht die schlechthin arzneilose, sondern diejenige, welche dem natfirlichen Heilprozcl3 seine Geheimnisse abzu- lauschen und ihn zu unterstfitzen, nachzuahmen, zu ersetzen sucht. Hierher geh6ren z. B. unsere besten Errungenschaften der Serum- und endokrinen Therapie, die Vaccine-Therapie, die 13IERSChe Hyper/imie-Behandlung.

Die Ausl6sung von Reaktionen im obigen Sinne durch physikalische Reize macht jedoch nur einen Teil der physi- kalischen Theraple aus. Diese umfal3t vielmehr im weitesten Sinne alle therapeutischen MaBnahmen, welche auf physi- kalischem %Vege auf den Krankheitsvorgang einzuwirken bestrebt sind. Hierher geh6ren z. 13. die Lagerung des Kran- ken, die Lagerung und Fixierung der GliedmaBen bei Gelenk- erkrankung, Venenentzfindung usw., Katheterismus. Darm- einl~ufe, Entteerung yon Flfissigkeitsausschwitzungen u. a. m. Ferner die Methoden der Inhalation, der Uber- und Unterdruck-

atmung, die Gurgelung, die Dehnung yon Verengerungen der Speiser6hre oder Harnr6hre, die Behandlung der Ver- stopfung mit schlackenreicher Di~t oder Ffillmaterial, die Benutzung des Auftriebes des Wassers bei Bs ffir Gel~hmte. All diesen Mal3nahmen ist das gemeinsame Merkmal eigen, dab sie weniger physikalische yon Heil-Reaktionen gefolgte Reize ausfiben sollen, sondern mechanische Hilfen darstellen, welche sich • auf die Beseitigung .gewisser mechanischer FolgezustRnde yon Krankheiten oder mechanischer Unvoll- kommenheiten, die durch die Krankheit bedingt sind, be- ziehen, teils der die eigentliche 13ehandlung unterstfitzenden Krankenpflege angeh6ren. Sie stellen als Mechanotherapie ein besonderes Gebiet der physikalischen Therapie vor. Im fibrigen wirken auch sie zum Tell dutch Ausl6sung von Re- aktionen wie z. B. die Dehnung yon Verengerungen, die SchlackendiXt, der Pneumothorax. Ferner werden auch ab- gesehen yon Reakfionen direkte physikalische Heilwirkungen erzielt. So stellen wir uns vor, dal3 starke lokale Wgrme- entziehungen (Eisblase) durch eine tiefgehende Abkfihlung der Gewebe, die Erw/irmung und die Diathermie durch eine tiefreichende Temperaturerh6hung Wirkungen hervorrufen, dal3 Massage eine unmittelbare versch iebende 'Wirkung auf Gewebss/ifte ausl6sen soll. Pass~vc Bewegungen an ver- steiften Gelenken sollen unmit telbar durch Dehnung und Zerrcil3ung yon Verwachsungen wirken u. a. m. Dal3 solche direkten Einwirkungen In einem gewissen Umfange vorkom- men, mag zugegeben werden; aber wahrscheinlich mischen sich mit ihnen stets mittelbare Reizwirkungen, welche das eigentliche Gebiet der physikalischen Therapie darstellen. Die im Organismus best~ndig ablaufenden physiologischen Vorggnge sind zum Tell physikalischer Art ; man denke an den Blutumlauf, die best/indige pulsatorische Erschfitterung aller Gewebe, den Gewebsdruck, die Wgrmeabgabe, die Wasser- abgabe, die motorischen Funktionen, und so ist es an sich sehr naheliegend, dab dutch physikalische Mal3nahmen direkt auf diese Vorggnge ein Einflul3 ausgefibt werden k6nne; aul3erdem aber wirkt jede guBere Mal3nahme gleichzeitig als Reiz, welcher im Organismus als solcher weitere Wirkungen entfaltet und nach den dem letzteren eigenen Gesetzen um- gesetzt wird. Direkte und Reaktionswirkungen vermischen sieh vielfach.

Die physikalische Therapie bedient sich solcher Eingriffe, welche dem Organismus aus seinen Beziehungen zur U m w d t bekannt sind (daher die irrtfimliche Auffassung von einer Naturheilmethode). Sie wirkt vorwiegend auf die Oberfl/iche des K6rpers im Gcgensatz zur , ,Einverleibung" von Heil- mitteln, sie bedient sich aber auch des Kunstgriffes, den Krankcn selbst zu physikalischen selbsttgtigen MaBnahmen zu veranlassen: aktive Bewegungstherapie. Letzteres ist schon nicht mehr rein physikalisch, es geht fiber den Willen und das Ncrvensystem.

Hyperdmie-Behandlung. Die yon BIER gefundene Hyper~mie-Behandlung ist ein

glgnzendes Beispiel der kfinstlichen Erzeugung und Nach- ahmung eincs natfirlichen Heilvorganges. W~hrend die frfihere medizinische Dogmatik alle Krankhcitserschcinungen als Auswirkungen dcr Sch~dlichkeit betrachtcte und bck~mpfen zu mfissen glaubte, wies BIER mit besonderem Nachdruck darauf hin, dab dieselben zum Teil Ausdruck zweckmgl3iger Reaktionen seien. So land er. dal3 es falsch sci. die entzfind- liche Hyper/imie zu bck~mpfen, dab man sm vielmchr untcr- stfitzen, nachahmen und evtl. kfinstlich Hyper~mie herbei- ffihren mfisse. Er untersuchte die Wirkungen der aktiven wie der passiv durch Stauung herbeigefiihrten Hyper~mie und stellte eine schmerzstillende, eine Bakterien t6tende

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oder abschwgchende Wirkung, eine resorbierende (nur bei aktiver Hypergmie), aufl6sende (dutch Erh6hung fermen- tativer Vorggnge) und erns Wirkung der Hyper~mie lest. Er zeigte, dab die sog. ableitende Methode nicht dutch die hypothetische Ans des iKrankheitsherdes, son- dern im Gegenteil dutch Hyper~misierung wirke. Die Folgen der ktinstlich erzeugten Vergnderung der Blutverteilung sind sehr mannigfaitige und wohl in ihrem Wesen noch nicht hinreichend erkannt. Es kommt auBer der vergr6Berten Blufffille die Blutbeschleunigung bzw. bei der Stauungs- hypers die Verlangsamung des Blutstromes, die Wirkung auf Capillarwand, Gewebsstoffwechsel, Wassergehalt des Ge- webes, Zellsch~Ldigung, Lymphstrom, Bildung bzw. Freiwerden von Schutzst0ffen u: a. m. in Betracht. Es wfirde bier zu weit ffihren, in die Einzelheiten der Hyper~miewirkung ein- zudringen; jedenfalls beweist der Erfolg, dab der Weg, die Abwehrvorg~nge der Natur nachzuahmen, der richtige ist, wie er sich ja auch bei der Vaccine- nnd Heilserumtherapie bew~hrt hat. Die Hyper~miebehandlung zeigt auch, wie wir durch eine physikalische Ma~nahme imstande sind, fief in die biologischen Vorggnge des Organismus einzugreifen und er6ffnet der physikalischen Therapie eine weite Perspek- tire. Was d a zur Wirkung komnlt, sind nicht etwa bloB l~assive Vergnderungen der Blutverteilung, sondern reaktive Vorg~nge. Bei der aktiven Hyper~mie ist schon diese selbst der Erfolg der angewandten physikalischen Reizung (W~rme- zufuhr). Die passive Stauungshyper~mie 16st eine Reihe von Lebensvorg~ngen aus (s. oben), welehe im Sinne der Heil- reaktion wirken. In der inneren Medizin wird vonder Hyper- s ein vi~lf~Lltiger Gebrauch gemacht. Auch d er PRIESSNITzsche lZmschlag wirkt hypers Die Sehmerzstillung bezieht sich vorzugsweise auf solche Schmer-

z e n , die dutch Entztindungen oder Muskelkrs bedingt sind.

Thermotherapie. Wenn man erw~gt, in welcher Abhs die Lebens-

vorgs yon der Temperatur stehen und wie der hom6otherme Organismus darauf eingestellt ist, seine Eigentemperatur durch mannigfaltige Regulationen konstant zu erhMten, so erscheint die M6glichkeit, durch W~rmezufuhr und Ws ableitung wichtige Ver~nderungen im ttaushalt des Organis- mus hervorzurufen, nahe liegend. Es komlnt eine dreifache Reihe Yon Wirkungen in Betracht:

i. die Reizwirkung auf die Temperatursinnes- und andere Empfindungsnerven und ihre Folgen;

2. die Regulationsvorg~nge zum Schutz gegen die Ab- kiihlung oder Erw~rmung;

3. die wirklich erfolgende 6rtliche oder allgemeine Er- niedrigung oder Erh6hung der Eigentemperatur mit ihren Folgen.

I. Die Wgrmeentzlehung welche 6rtlich und allgemein an- gewendet wird (kalte Umschl~ge, Eisblase, Luftb~der, Hydro- therapie, bei dieser im Verein mit mechanischen Reizen), reizt die K~ltenerven, bei einer gewissen Intensits auch die taktflen Empfindungsnerven der Haut miter Umst~nden bis zur Hyperalgesie und zum Schmerz. Sie entfaltet daher allgemein nervenerregende Wirkungen, yon welchen zur Be- lebung und Erfrischung des NervensTfstems hs Gebrauch gemacht wird. Die allgemeine Reflexerregbarkeit erf~hrt eine Steigerung, was sicherlich ffir die zahlreichen, best~ndig im Organismus ablaufenden Refiexvorg~nge (viscerale, vascu- l~re usw.) yon Bedeutung ist. Hierzu kommt dab die Kglte- empfindungen yon einem starken Geffihlston begleitet werden, welcher je nachdem lustig oder unlustig empfunden wird, was v o n d e r Intensit~t und Ausbreitung des Reizes, der Gew6hnung, dem Kontrast und der individuellen Reiz- barkeit abhs Die wiederholte Zuffihrung ausgebreiteter, 5esonders pl6tzlich einwirkender K~lteempfindungen vermag auf die gesamte Empfindungssphgre st6rend einZuwirken und die Energie des Kranken durch das Ertragen der Unlust- geffihl erzeugenden Prozeduren zu heben. Auch werden k rankha f t e Unlustgefiihle dadurch verdr~ngt. Dieser be- merkenswerten psychischen Wirkung der Kaltwasserbehand-

lung bei Neurasthenie wird immer noch nicht die gebfihrende Bedeutung beigemessen. Es entstehen ferner reflektorische Wirkungen auf Atmung und tIerz, Vertiefung der Atmung, Verlangsamung und Verst~rkung der Herzt~Ltigkeit. Die erfrischende Wirkung des K~ltereizes geht aus den Versuchen yon 1VIAGGIORA und VINAJ hervor, welche fanden, dab nach einem kalten Bade die Ermfidungskurve, am Ergographen gemessen, viel gfinstiger verl~uft. Hat der Muskel bereits eine Ermfidungskurve nach Arbeitsleistung gezeichnet, so wird nach einem kurzen kalten Bade sofort wieder die normale oder sogar eine noch gtinstigere Kurve gets Es steht dahin, ob es sich hierbei ~lm eine blol3e Nervenwirkung oder um eine bessere Durchblutung des Muskels durch die Blut- verschiebung handelt. Nachuntersuchungen haben besonders die Beeinflussung des ermfideten Muskels best~tigt, abet auch die Bedeutung eines gleichzeitigen mechanischen Reizes erkennen lassen. E. WEBER beobachtete, dab die durch Ermfidung bedingte Umkehrung der plethysmographischen Arbeistkurve der Muskulatur durch Kglteeinwirkung in die normale Reaktion zurfickverwandelt wurde. Andererseits kann der K~ltereiz einen beruhigenden EinfluB ausfiben: Luftbad, Waschungen, Packungen. Es kommt auf die Reiz- intensit~t, den begleitenden mechanischen Reiz, die Reiz- dauer und die vorhandene Reizbarkeit an.

2. Der K~ltereiz wirkt zugleich im Sinne der Regulierung (Abkfihlungsschutz) ; Kontraktion der glatten Hautmuskulatur, insonderheit der GefgBe; auGerdem kommt es zu mehr oder weniger fortgeleiteten reflektorischen Wirkungen auf die Gef~Be, teils im Sinne der Verengerung tells der Erweiterung. Die durch K~Itereize unter Umst~Lnden bedingte Blutdruck- erh6hung ist tells die Folge der Gef~Bverengerung, tells einer reflektorlschen Wirkung auf das Herz. Auf die Verengerung folgt eine reaktive Erweiterung und schlieBlich ein allm~hliches Abklingen der Reizwirkung. Ist die W~rmeentziehung sehr stark, so t r i t t auch die chemische Regulierung (Warme- erzeugung durch gesteigerte Oxydation) in Kraft. Die fort- geleiteten Wirkungen sind in den visceralen Gef~Bgebieten zum Teil entgegengesetzt, in der Niere jedoch gleich ge- richter.

3. Ist die Ws so stark und dauernd, dab die l%gulierung unzureichend wird, so tritt ein 6rtliches oder allgemeines Sinken der Eigentemperatur mit gewissen Folge- zust~nden ein~). Diese bestehen 6rtlich in Herabsetzung der Sensibilit~t, auch des Schmerzes, Ver~nderungen der Muskel- erregbarkeit, VerXnderung der Blutverteilung, evil. Gef~B- l~hmung, schlieBlich Zellseh~digung (Erffierung). Bekannt- lich geh6rte die 1okale Abkfihlung zu dem alten antiphlogisti- schen Apparat; nach den Untersuchungen yon BIER dfirfte in dieser Hinsicht der lokalen K~Itetherapie der Boden ent- zogen sein. Der Nutzen der Eisbeutelanwendung bei inneren Blutungen ist strittlg, insonderheit, ob es sich dabei um eine direkte in die Tiefe gehende Abkflhlung handelt. ZONDEI~ bestimmte neuerdings die abkfihlende Wirkung des Eisbeutels am Oberschenkel in einer Tiefe yon 5 cm (die trennende Schicht bestand etwa zur H~lfte aus Fe t t zur Hs aus Muskel) auf o,80, w~hrend die Hauttemperatur gleichzeitig um 26, 5 ~ sank; bei Lage des Eisbeutels auf der Bauchdecke in 4 cm Tiefe auf 4,5~ Auf die zahlreichen glteren Messun- gen mit weniger vollk0mmenen Methoden gehe ich bier nicht ein. Zur Beeinfiussung fief gelegener entzfindlicher Prozesse wie z. ]3. der Pneumonie soltte der Eisbeutel nicht mehr Verwendm~g linden; er stirrer bier mehr Schaden als Nutzen. Die Kfihlung der Herzgegend bei erregter Herztgtigkeit dtirfte auf dem Nervenwege wirken: beruhigende bzw. I-Iemmungs- wirkung, An~sthesierung unangenehmer EmpfindungeI1. In der Gyngkologie scheint die Eisblase noch viel verwendet zu werden. Infolge der Abkfihlung sollen die entzfindlichen und Stoffwechselvorg~nge weniger stfirmisch verlaufen (An~sthe- sierung, GefgBkontraktion). BIER weist daraufhin, daBdurch

1) ]gs mug dabei bemerkt werden, dab die Tempera tur der t Iau t und nach ZON- D E K ' s Messungen auch des Unterhautzellgewebes sehr ver~nderlich ist . Die ober- fl~chliche Schlcht wird der Abkfihltmg preisgegeben, die Regulierung bezieht sich besonders auf die tieferen Schichtem z) Tiefenthermometrie. M. m . W . 192o , Nr. 28,

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K~lte niCht bloB die fiberms sondern die Abwehraktion fiberhaupt gehemmt werden kann.

Eine allgemeine Herabsetzung der Blut temperatur ist beim Menschen durch kfihle und langdauernde B/ider zu erzielen, um so besser, je mehr es an regulatoriseher Reiz- wirkung fehlt, also am sichersten durch allms abgekfihlte B/ider (ZIEMSSEN). Auch der fiebernde Organismus h~lt gegenfiber abkfihlenden Eingr i f fen seine E i g e n t e m p e r a t u r sehr test, weiin aueh nieht ganz so wie der gesunde (LIEBER- MEISTER). Die eine Zeit lang mit Begeisterung betriebene Behandlung des Fiebers, besonders des Typhus mit kalten B~dern ist IIicht mehr in Gebrauch. Ihr Nutzen besteht weniger in der Ws als in der anregenden uiid erfrischenden ,Wirkung auf das Nervensystem, Herz usw. und in der Beeinflussung der Hautt~tigkeit. In der Hydro- therapie yon PRIESSNITZ wurden exorbitante Abkfih!ungen verwendet. Das ,,fiebererzeugende Halbbad" bestand darin, dab der Kranke in ein Halbbad yon lO--14 ~ 1R gesetzt und in demselben bis zu 3 ~ Minuten lang gebadet und.frot t ier t wurde, bis ein tfichtiger Schfittelfrost e intrat nsw, Man suchte bei chronischen atonischen Zusts ein ,,Kurfieber" herbeizuffihren. PRIESSNITZ suchte zu tIeilzwecken das chronische Leiden in ein akutes umzuwandeln. Man kann nicht umhin, zuzugestehen, dab gewisse Bestrebungen der moderneii wissensehaftlichen Medizin diesem Gedanken nahe stehen. Noch sch/~rfer ging PRIESSNITZ Schfiler RAUSSE vor, welcher Halbb/tder von lO--5 ~ und yon mehreren Mi- nuten bis 3--4 Stunden Dauer verwendete, bis 3- -4 Schfittel- fr6ste eJngetreten waren.

WgirmezuJuhr. Schon die welt gr6Bere Zahl uiid Ausbreitung der Ks

nerven sowie die gr6Bere Intensit~t und der sts Geffihls- ton der K~Llteempfindung im Vergleieh zum W~rmesinn zeigt, dab der Organismus vielmehr auf K~lteschutz als auf W~irme- schutz eingestellt ist. Die Gefahr der W~irmeeiitziehung durch die Umwelt ist viel gr6Ber als die der W~rmezufuhr.

i. Die Reizwirkung des Ws auf die nicht spezi- fischen sensiblen Nerven ist viel geringer als beim K/iltereiz und t r i t t bei IIormaler Erregbarkeit derselben erst bei W~rme- graden in deutliche Erscheinung wie sie unter gew6hnlichen U m s t ~ n d e n nicht auf uns einwirken. W~rme wirkt vor- wiegend beruhigend, erschlaffend, auf die Muskulatur ent- spannend. Der Geffihlston der W~rmeempfindung i s t im allgemeinen ein angeiiehmer. DaB Wgrme auf protoplasmati- sche Bewegungen anregend, K~lte hemmend wirkt, hat mit der genannteii Nerveiiwirkung IIichts zu tun. Auch K~lte kanii beruhigeiid auf die Nerven wirken, dureh Hemmuiig und durch An~sthesierung. Andererseits kommt tier W~trme auch eiiie gewisse erregeiide Wirkung zu. Es handelt sich hier um komplizierte Abh~ngigkeiteii der Reizwirkung yon der je vorhandeiieii Reizbarkeit. Von der nervenberuhigeiiden Wirkung des W~rmereizes wird in der Therapie vielfach Gebrauch gemacht (warme- oder PrieBnitzsche Umsch!~ige, warme B~der, • warme Umhfillungen usw.). Sehr gew6hnlich wird in der Praxis nicht hinreichend zwischen Witrme- und Hitzanweiidungen unterschiedeii, welch letz- teren eine starker erregeiide Wirkung zukommt. Knrze heiBe B~tder k6niien daher erfrischeiid wirken. Hitze erregt auBer den W~rmenervei1 aueh die K/ilte- und die sensibleii Nerven. Sie kann neben der erregenden auch Hemmungs- wirkungen erzeugen. Man kaiin die beruhigend eoder erschlaf- fende Wirkung des warmen Bades durch eine nachfotgende kalte Abreibung oder Duschr aufheben.

2. W~rme erweitert 6rtlich die Oef/iBe und briiigt vaso- motorische Fern- n i i d Tiefenwirkuiigen hervor. Die Gef~B- erweiterung hat regulatorische Bedeutung, indem sie eine st~trkere Durchblutung und damit einen st~trkeren Abtransport der zugeffihrteii W~rmemenge bediiigt. Auf die Streitfrage, ob uiid wie sich die direkte Gef~Berweiterung durch Wgrme- reize yon der reaktiven nach K~Lltereizen unterscheidet, gehe ich hier nicht ein. BIER bezieht die Heilwirkung der W~trme vorwiegend auf dieHyperXmie (s. obeii), Immerhinis td ieM6g- lichkeit often zu halten, dab der W~rmereiz als solcher

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heilsame Nervenwirkungen entfalten kann und dab der Temperaturerh6hung des Gewebes gleichfalls eine Bedeutung: zufgllt.

Zu den die Wgrmezufuhr ausgleichenden Reakfionen ge- h6rt ferner die SchweiBsekretion. Sie kommt besonders bei ausgebreiteteren Wgrmeanwendungen zur Erscheinung und wird in umfangreicher Weise yon jeher zu Heilzwecken ver: wendet. Das Krankheitssymptom des Schwitzens hat man anscheinend stets im Sinne einer Heilreaktion anfgefal3t und, auf~er wenn es sich nm die l~stigen SchweiBe der Phthisiker oder um nerv6se Hyperhidrosis handelt, nieht allopathisch bekgmpft, wohl well man die Bedeutung der kritischen SchweiBe und des physiologischen Sehwitzens erkannte. Man wendet die schweil3treibenden MaBnahmen an zur Ent- wgsserung des IK6rpers bei Hydrops, zur Enflastung der Niere, zur Entgif tung bei Ur/imie und bei Infektioneii sowie bei Gicht, Syphilis, bei den sogenannten Erkgltungskrank- heiten, bei Gelenkrheumatismus, Neuritis, Pleuritis, bei Magen-Darmkatarrhen, zur Entfe t tung u. a. m. 'Die Er - fahrung sprieht ifir den Nutzen der Diaphorese, jedoch mit Einschrfiiikungen. Bei vorhandener oder auch nur drohender Ur~mie ist die starke SchweiBerzeugung nicht ohne Gefahr. Auch ist stets die Herzkraft zu berficksichtigeii. Der Nutzen bei Gicht und bei Entfe t tungskuren ist zweifelhaft. Ob Bakterien oder Toxine fiberhaupt oder in nennenswerter Menge durch den SehweiB eliminiert werden, ist str i t t ig; imrnerhin ist dieAusscheidung schgdlieher noch nicht n/iher bekannter Stoffe wahrscheinlich. Bei Niereiierkrankungeii mit Stickstoffretention kann der SchweiB einen erheblieh fiber die Norm gesteigerten Stickstoffgehalt aufweisen.

3. Die Eigentemperatur n immt zu, weiin die WMme- erzeugung oder W&rmezufuhr die regulatorisehe Ausgleichung fibersteigt. Bekallnflich treffen wit dies physiologisch nieht so selten an. Bei starker Arbeitsleistung und &uBerer Hitze (marschiereiide Soldaten) t r i t t erhebliche Hyperthermie auf (Hitzschlag). Im heiBen Bade, besonders aber im Dampf- bade kanii die Blut temperatur um 2 o und mehr steigen.

Die Vermutung, dab die Fiebertemperatur einen Abwehr- charakter trage, welche dutch gewisse Beobaehtungen, II~ch deiieii die TemperaturerhShung delet/ir auf pathogene Keime wirke, gestfitzt wird, lieB es als rationell erscheinen, eine kfinst- liche Fiebertemp~ratur hervorzurufen. Jedoeh sind die beim Menschen zul&ssigeii Temperatursteigernngen yon zu kurzer Dauer. Ira fibrigen ist, selbst wenn wir das Fieber als eine in die Reihe der Abwehrbewegungen geh6rige Erscheinung ansehen, IIoeh die weitere Frage zu erledigeii, ob es dabei mehr auf die Temperaturerh6hung oder auf die zu ihr ffi h- reiiden Stoffwechselvorg&nge ankommt. Auf keinen Fall darf man eine physikalisch herbeigeffihrte Hyperthermie mit dem Fieber identifizieren. Die kfinstliche Erh6hung der Blut temperatur wirkt stoffweehselbesehleunigend uiid wird zu dem Zwecke verwendet, urn einen gesteigerten Zerfall kraiikhafter Produkte zu bewirken. Daher aueh zur Ent- fettung. Vorwiegend wird N-freie Substanz zersetzt, jedoch kann bei hoheii Graden yon Hyperthermie auch EiweiB- substanz zerfalleii. Bezfiglich der Entfet tungsknren ist zu beaehten, dab so hohe Grade yon W~rmestauung, wie sie zum Abschmelzen von K6rpersubsfanz erforderlich sind, das Herz sch&digeii k6niien. Zur Herbeiffihrung yon Hyper- thermien bedient man sich der heiBen Wasser-, Sand-, Moor- und Dampfb&der. Die Pulszahl steigt bei der W~rmezufuhr. Der B!utdruck siiikt im warmen Bade (vom Indifferenzpunkt bis etwa 4 ~ C) nach kurzer Steigerung, steigt im heiBeii Bade (d. h. oberhalb 4 ~ C). Auf die Einzelheiten des zeit- lichen Verlaufes der BlutdruckVer~iiderung, welche yon O. MOLL]~R und STRASBURGER festgestellt wurden, ist hier IIicht einzugehen. Die Herzarbeit n immt im heiBen Bade oder bei sonstwie bewirkter starker Witrmezufuhr zu. Infolge Verkfirzung der Diastole ist das Ruhestadium der Herz- bewegung verkleinert. Schwache Herzen uiid stark sklero- sierte Arterien sind durch Hitzeprozeduren gef/ihrdet.

Ob die 6rfliche Temperaturerh6hung, wie sie z. B. dutch lokale HeiBluftb/ider, Dampfstrahl, Bestrahlung, Diathermie erzeugt wird, IIeben der Hyper~mie IIoch andere Wixkungeii,

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etwa nerv6ser Art oder auf die physikalisch-chemischen V0r- g{inge im Gewebe zur Folge hat, steht, wie gesagt, dahin. Sehr tier wirkt die Dampfdusche. Die h6ehsten Grade der

�9 Tiefenwirkung komm~n der Diathermie zu. Dieselbe zeigt eine schmerzstillende Wirkung, welche nach NAGELSCHMIDT nicht allein auf die Hyper/imie zu beziehen ist; ferner bet geeigneter Lokalisation nach demselben Autor einen steigernden Ein- Ilul3 auf Gallen-, Nieren-, Magensaftsekretion usw. Nach- prfifungen wie fiberhaupt Erforschung der biologischen Wir- kungen der Diathermie sind sehr wfinschenswert. Eine antibakterielle, resorptionsbef6rdernde und 6rtlich stoff- wechself6rdernde Wirkung ist wahrscheinlich (ToBI.~S).

Hydrotheraple. Die Hydrotherapie umfal3t t hermotherapeutische Proze-

duren, welchc dadurch ausgezeichnet sind, daJ3 sic meist noch eincn mechanischen Anteil (Wasserbewegung, Abreibungcn, Abklatschungen, Dusche usw.) enthalten. Die K~ltcprozeduren fiber~i~gen, dahcr die Bezciehnurg Kaltwasserkur. Sie ist in der Hauptsache gegen die &uBere Oberfl&che gcrichtct. Das Wassertrinken dcr altcn Priegnitz-Kur gch6rt nicht mchr zum Rfistzcug dcr moderncn Hydroihcrapie.

Die mechanischen Einwirkungen kommen als Reize in Bctracht, welche sich zu dcn K&ltc- und W~rmcrcizcn hinzu- gesellcn und ihre Wirkung steigcrn bzw. modifizicrcn. Sie tragen zum. Zustandckommen der sog. Rcaktion bci, von wclcher nach alter Erfahrung zum groBcn Tcil der thcra- peutische Erfolg abh&ngt. Diese Reaktion, an der rcaktivcn I~6tung und Erw&rmung dcr Haut bcmcrkbar, biIdct eine Tcilcrschcinung der regulierenden VorgSnge, wclche durch

d e n Eingriff ausgel6st werden und dahin gchcn, die durch ihn gesetzte prims Ver&nderung auszugleichen.

Die Regulationcn sind auch bci 6rtlichen Eingriffen sehr verbreitct, tcils infolgc dcr Irradiation des Reizes; tells infolge der Fortwirkung der 6rtlichen VcrSnderung (z. B. der Blur-' verschiebung). Plcthysmographische Untcrsuchungen haben gezeigt, daI3 bci ether 6rtlichen W&rmcentziehung sich zwar die 6rtlichen Gcf~13e am st~rksten zusammenziehen, dab abcr die gesamte K6rperoberfl&che in abgeschw&chtem Mal3e teilnimmt, w&hrend die Blutgef/il3e der inneren Organe, in- son(terhcit der Baucheingeweide, sich ausgleichend erweitern. E. WEBE~ hat gefunden, dal3 die Bewegung eines Glied- abschnittcs vasomotorische Wirkungen fiber den ganzen K6rper hin zeitigt.

Wie verhs es sich nun mit den Beziehungen dieser physio- logischen lVirkun~en physikalischer Eingri~ zur Heilwirkung.~

Hicr ist zun/~chst die Hypcrfimie zu ncnuen, dcrcn Hcil- wirknngen nachgewiesen und vcrst~ndlich sind. Ferner kommt die 2Vervenreizung mit ihren Fo!gen in Betracht. Es wurde oben auf die anrcgende und erfrischcnde Wirkung der K&lte- und Hitzercize hingcwiescn, wclche unbestrci tbar ist. Eine Steigerung der Reizwirkung erzielt man durch wechsel- warme Applikationen. Frikt ionen und elektrische Reizungen der Hautnerven sowie die Massage, bet welcher auch die Reizung der tiefer gelegenen Nervcn i n Betracht kommt, haben gleichfails eine belebendc, andererseits aber auch ~eine hemmende Wirkung. Hierzu gesellt sich die reflek- *orische Ubcrtragung auf Herz und Atmung, auf die Musku- latur tiberhaupt, auf Sekretionen und viellcicht auch auf die Inkretbi ldung endokriner Organe. Diese letztere Annahme ist freilich hypothetisch, abcr nicht unwahrsdheinlich, zumal wir ] etzt die Abh~ngigkeit der Funkt ionen auch der endokrinen Drfisen yon Nervenreizen als gesichert betrachten d/irfen. Es handelt sich somit um eine altgemeine Funktionssteigerung, deren Heilwirkung wir uns in verschiedener Weise vorstellen k6nnen. Die erregende Wirkung {vird sich bei Zust{inden yon krankhafter Funktionsschw~che bew/ihren. Anderer- seits k6nnen bei krankhaft gesteigerter Funkt ion eincs Organes Nervenreize nach bekannten Erfahrungen hemmend wirken.

Ganz allgemein ist darauf hinzuweisen, dab die Lebens- vorgS~nge yon inneren, aber sicherlich auch yon 5ugeren Reizen (Wfirme, Licht usw.) abh~ngig sind. Die wesentliche Eigenschaft der lebendigen Substanz, die Reizbarkeit, wird

erhalten durch ihre best&ndige Verjfingung durch die Reize, deren trophische Beziehung erwiesen ist.

Wie die Wirkung der funktionellen Reizung bet Krank- heitszust~nden sich im einzelnen &ul3ert, hgngt ganz yon den allgemeinen und den besonderen Reizbarkeitsverh~ltnissen des erkrankten Organs ab. Ich muB hier immer wieder an die latente Uberempfindlichkeit erinnern, ffir welche ganz kfirzlich KAUFFMANN und WINKEL (Klin. Wochenschrift 1, I. 1922) einen interessanten Beweis erbracht haben. Es ist also entscheidend die Reizverarbeitung seitens des reagierendeP Organismus.

Die VIRCHOWsche Unterscheidung funktioneller, forma- tiver und nutri t iver Rcize kann nu t so verstanden werden, dab die Lebenstfitigkeit der Zelle diese drei unterscheidbaren Merkmale erkennen l&Bt, nicht aber, dab es sich stets um drei voneinander verschiedene Reizkategorien handelt. Vielmehr reagiert die Zelle auf die verschiedensten Reize ganz allgemein mit einer Erh6hung ihrer T&tigkeit. Die Ern~hrung der Zelle geht sicherlich unabh~ngig yon ihrer spezifischen Funkt ion vor sich, als Reize dienen offenbar die angebotenen N~hr- stoffe selbst und gewisse hormonale Stoffe. Aber aflch die- jenigen Reize, welche die spezifische Funkt ion ausl6sen, mfissen nutr i t ive !Reaktionen ausl6sen, denn die Funkt ion mul3 an einen Stoffverbrauch gebunden gedacht werden, welcher einen Ersatz beansprucht. Die Lehre v o n d e r Dissi- milation und Assirailation ist nicht absolut sicher erwiesen, aber sie bildet vorl~ufig die verniinftigste Art, sich die Dinge vorzustellen. VERWORN hat diese Lehre in einer sehr ein- leuchtenden Art ausgebaut. Der funktionelle Reiz ist nicht identisch mit dem nutrit iven, er bedingt nu t eine Dissi- milation, welche re~ktiv zur Assimilation Eihrt. Der assi- milatorische Ersatz selbst ist u. a. vom Zusammenhang mit dem Zellkern abh~ngig, der, wie es scheint, fiir die Ersatz- stoffe wichtig ist.

DaB die Reize eine Stoffzersetzung bedingen, welche vom Organismus ausgeglichen werden muB, erkl&rt ohne weiteres, dab bet st~irkeren !Reizen eine Schfidigung wird eintreten k6n- nen insofern, als die Erschwerung des Stoffersatzes mit einer Verringerung der Leistungsf&higkeit einhergehen wird, w~ih- rend bet schw~Lcheren Reizen als natfirliche Folge die Leistungs- steigerung vorwalten wird. Man kann diese Verschiedenheit der Reizwirkung nicht einfach so darstellen, dab schw~ichere t{eize stets die Er~egbarkeit erh6hen, st~irkere sie herabsetzen, sondern es wird dies stets yon den jedesmaligen Verh~iltnissen des reaktiven Stoffersatzes abhSngen. Schon in dem Hand- buch der Physiologie yon JOH. MOLLER (4" Aufl. 1844 ) linden sich im ersten Bande S. 544 ganz treffende Bemerkungen. Es wird hier auseinandergesetzt, dab die Nervenrcize die Reizbarkeit der Nerven selbst ver&ndern. Es finde eine VerSnderung der Materie start, welche durch die Ern~hrung wieder ausgeglichen werde. Wenn aber die Reizung stfirker wird, so reicht die ~Viedererzeugung nicht so bald hin, um diesen Verlust zu ersetzen, und die Reizung kann so stark sein, dab sie die Summe.der vorhandenen IKr~ifte ersch6pft. Auch der moderne Ausdruck Assimilation (HERI.'~O) f inde t Sich in diesem Zusammenhang bereits bet 1VIOLLER (S. 546)- Der trophischen Bedeutung der Reize wird in folgendem Satze gedacht: ,,Ffir einen geschw~ichten Tell des Nerven- systems sind gelinde I{eize daher nicht darum nfitzlieh, weil sie die Reizbarkeit erh6hen, denn das tun sie nicht, son- deri1 well ein gereizter Tell mehr die Erg~inzung des Ganzen anspricht und daher vorzugsweise wiedererzeugt nnd erggnzt wird." In den Anschauungen yon HERING, VERWORN, EDIN- GtgR (Aufbrauchkrankheiten) u. A. Iinden sich diese grund- legenden Vorstellungen wetter entwickelt; ebenso in dem ARNDT-SCHULZsehen sog. biologischen Grundgesetz, welches die Diuge grob schematisiert. Die Dosierung der Reize nach Intensit&t und Dauer ist, wie aus vorstehendem erhellt, wie fiberhaupt so auch be t der physikalischen Therapie yon grundlegender Bedeutung, wie jeder erfahrene Praktiker aui diesem Gebiet weig und wie ich selbst es seit Jahren aus- gesprochen habe (vgl.: ]Die Bedcutung der Reize im Lichte der Neuronlchre 1898. Uber die physiol. Grundlagen der physikal. Therapie 19o 7 u. a., m.).

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E i n e wichtige Form der Heilwirkung mfissen wir ferner in dem Regulationsvorgang erblicken. Die sog. Reakt ion bei der Hydrotherapie bildet einen Teil derselben. Der phy- sikalische Eingriff stellt ganz allgemein gesprochen eine k0nst- l ich gesetzte St6rung in dem Betri~be des Organismus dar, welchen dieser auszugleichen s u c h t Die durch K/ilte- oder W/irmeanwendung bedingte Blutverschiebung 16st auto- matisch vasomotorische Gegenbewegungen aus, welche das friihere Verh/iltnis wieder herstellen. Die W/irmeentziehung wie W/irmezufuhr wird in bekannter Weise ausgeglichen, Schweil3absonderung evtl. erh6hte Oxydat ion t r i t t auf usw. Es ist anzunehmen, dab sich die Reiz- wie Regulationsvorg/inge bis auf die Zellen erstreckent), dab die durch den Reiz er- zeugten Dissimilationen yon Assimilationen, evtl. in Uber- schuBreaktion, gefolg t werden. Wahrscheinlich geschehen diese Gegenwirkungen nicht so, dab die Ver/inderung grad- linig ausgeglichen wird, sondern so, dab der Organismus oscillatorisch in die frfihere Gleichgewichtslage zurfickpendelt.

Nun sind es ja gerade die Regulafionsvorg/inge, mittels deren sich der Organismus gegen Sch/tdigungen wehrt. , ,Wir .reden yon Kranktlei t da, wo gegenfiber einer oder mehreren Lebensbedingungen die regulatorisctlen Einrichtungen nicht mehr ausreichen, den Ablauf der verschiedenen o Lebens- prozesse ohne St6rung zu effektuieren" (CoHNHEIM). Erk/il tung ist eine Abkfihlung mit nnzureichender Regulierung. Die durch die physikalischen Eingriffe bedingten Regulierungsfibungen sind somit geeignet, den Organismus in der Abwehr yon krankheitserzeugenden Sch~idlichkeiten zu unterstfitzen. D i e s gil t nicht allein prophylaktisch, sondern auch therapeutisch im eingetretenen Ktankheitsfal l insofern, als die Insuffizienz tier natfirlichen Abwehrbewegungen durch jene gfinstig be- einfluBt werden kann. Es kommt dabei auf den mit der artefiziellen St6rung verbundenen Reiz an. Die natfirlichen Regulationen kommen nicht Selten aus Manget an inneren Reizen oder durch 1Reizgew6hnung a u f einen toten Punkt. Waschungen mi t lauem oder nur wenig vom Indifferenzpunkt entferntem Wasser erzeugen leichter Erk/il tung als solche mit k/il terem Wasser, well der Regulationsreiz zu schwach ist. Die mildere Form ist nicht immer die richtiw Nach dieser Richtung hin werden Fehler in der PraMs und in der Laien- welt begangen.

Diese Bahnunff der nat/irlichen Abwehrprozesse ist analog d e r Wirkung der unspezifischen Reiztherapie mittels EiweiB- i n } e k t i o n e n (WEICHARDTS Protoplasma-Aktivierung).

Prophylakt isch sind die physikalisch aufgezwungenen Re- gtfiationsfibungen geeignet, den durch die Zivilisation, be- sonders die im allgemeinen viel zu warme und dicke Kleidung nnd die Wohnungsgerh/~ltnisse bed ing ten Reizmangel ein wenig auszugleichen.

Seltener dfirfte es vorkommen, dab die dem Organismus physikal isch aufgezwungenen Regulierungsvorg~nge sich direkt JSrdernd in die natfirliche Abwehrbewegung einffigen, etwa wie die Digitaliswirkung in die Herzinsuffizienz. Wir haben ein solches Verh~ltnis z. t3. bei der reaktiven akfiven Hyper/imie. Auch die Ubungsbehandlung der Ataxie geh6rt hierher, welche in gl/inzender Weise die M6gliehkeit, die krankhaf t geschw/ichten Regulierungen zu fiben, beweist. Meistens vielmehr handel t es sich um indirekte Wirkungen auf dem Boden einer allgemeinen Funktionssteigerung und ihre weiteren FQlgen. Man br ingt den Stein ins Rollen, mobilisiert die Abwehrkr / i f te . Es ist daher nicht richtig, die physikalische Therapie lediglich nach direkten physiologischen Wirkungen zu beurtei len; z. B. den Erfolg der Kohlens/iure- b/ider darin zu sehen, dab infolge einer Gef/igerweiterung die Herzarbeit erleichtert werde. Betrachtungen solcher Ar t ffihren gew6hnlich in eine Sackgasse. DaB die physikalische Therapie fiberwiegend unspezifische Einwirkungen setzt, geht schon daraus hervor, dal3 man bei ein und demselben Krankheitsprozeg dnreh die verschiedensten und scheinbar sogar entgegengesetzten MaBnahmen Erfolg haben kann. Man denke an die vielgestaltige physikalische Therapie der An/imie, Neuras thenie , Gicht, des Rheumatismus, der Ischias.

~) Hierfiir spricht da~ Wi~derauftreten abgcklungeoer Entztindungen (latente ge- webliche Uberempfindlichkeit) dutch phy~ikalisehe Eingriffe.

RIFT. I. JAHRGANG. Nr, 14 669

Immerhin g ib t es eine spezifische physikalische Therapie. Die Hyper~miebehandlung geh6rt hierher. \Venn man durch Massage die Entfernung der Ermfidungsstoffe aus den Muskeln f6rdert, durch passive und akt ive Bewegungsfibungen Gelenkversteifungen beseitigt, Muskeln und Nerven elek- trisch reizt usw., so verdient dies den Namen einer spezifischen physikalisehen Behandlung. Von manchen physikalischen Heilmethoden ist n0eh immer stri t t ig, ob ihnen eine spa- zifische Heilwirkung zukomme; ich erinnere an die Moor- b~ider, die WildbSder.

Nach ihrem Wesen sind fibrigens die nerv6sen iReiz- wirkungen yon den Regulafionen nicht geschieden, da ja jeder Nervenreiz an sich e i n e regulierende Stoffwechsel- reaktion ausl6st (s. oben).

Endlieh kommen der Erniedrigung, besonders aber der Erh6hung der Eigentemperatur therapeutische Erfolge zu, welehe bereits besprochen wurden.

Neben der k6rperlichen sind als sehr maBgebend die man- nigfaltigen psychischen Einwirkungen der physikalischen Therapie hervorzuheben. Die Nervenreizungen und dadurch dem Kranken aufgedr~ingten Empiindungen k6nnen Krank- heitsgeffilfie fiberlagern; die erw~ihnten anregenden und er- .frischenden Wirkungen beleben die Stimmung. Schmerz- l inderung und das Zurfiektreten yon krankhaften Geffihlen verschiedener Ar t fiben eine giinstige Rfickwirkung auf k6rper- liche Funktionen, Schlaf, Magen- und Herzt~itigkeit Usw. aus. Psychisches und K6rperliches bedingt sich gegenseitig. Besse- rungen des Allgemeinbefindens oder einzelner Symptome wirkt ferner suggestiv gfinstig auf die Krankheitsvorstellung, das autoplast ische iKrankheitsbild des Leidenden ein. Aueh manches andere an der physikalischen Therapie wirkt un- zweifelhaft suggestiv: das BewuBtsein, einer so rg f~ l t i gen , fiir viele erfolgreichen, mfihevollen Behandlung unterworfen zu werden, der imponierende Eindruck des gesamten Be- handlungsapparates mit allen seinen Einrichtungen, die Ablenkung und Ausfiillung der Zeit u. a. m. Erfahrungs- gem~il3 k6nnen bei Unbek6mmlichkeit der Behandlung, dutch falsche Dosierung usw. auch die entgegengesetzten psychischen Wirkungen eintreten. Auf die sehr wieh/ige WiHensfibung dutch physikalische Therapie wurde bereits oben hingewiesen.

Die vorstehende Bctrachtung l~il3t erkennen, dab der Erfolg des physikalischen Eingriffs in hohem MaBe von der Beschaffenheit des reagierenden Organismus abh~ingt. Die physiologischen Wirkungen sind in vielen Beziehungen nn- berechenbar , geringe Ver~inderungen der App[ikationen k6n- nen unter Umst~Lnden s tark abweichende, ja gegens~itz!iche Wirkungen erzeugen; Individualit~it, Alter und namentl ich die durch den krankhaften Zustand ver~inderte 6rtliche odcr allgemeine Reizbarkei t sind auf die Ar t der physiologischen Wirkungen yon grol3em Einflul3. Der Krankheitsherd ist sehr h~iufig fiberempfindlich, so dab abnorme Reak t ionen entstehen k6nnen, wie das auch yon der Pharmakologie bekannt ist. Jede physikatisch-therapeutische Maflnahme stellt eine Belastung des Organismus dar, d i e ebensowohl sehaden wie nfitzen kann. Dieser Umstand wird bedauerlicher- weise in der PraMs so oft vergessen. Es gibt noch immer Arzte, die sich einbilden, man k6nne die Krankhei t wie einen Fremdk6rp3r im Organismus behandeln und vernichten, W~ihrend doch die Krankhei t der Organismns selbst ist. Es kommt daher auf die Dosierung ganz augerordentl ich viel an. Da man in Krankheitszust~inden den Erfolg nicht sicher voraussagen kann, so empfiehlt es sich, mit schwachen Dosierungen zu beginnen und diese vorsichtig zu steigern.

Auch das Lu/tbad sowie die klimatische und HShenluft- therapie erzielen in der. Hauptsache dadurch H:Lwirkungen, dab sic den Organismus unter neue Bedingungen bringen und einerseits Reize ausfiben, andererseits Regulierungen aufdr~ngen, Von dem H6henklima haben ZUNTZ und A. L6wu nachgew:esen, dab es eine Steigerung allcr Funktionen be- d i n g t Noeh hypothetisch, aber nieht unwahrscheinlieh ist die Annahme, dab die physikalische Therapie, insoweit sie auI die Oberfl~che einwirkt, die Hormonbildung der Hau t beeinfluBt,

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Von der :Massage, der alctiven und passiven Bewegungs- behandlung gil t gleichfalls, daI] sie tells durch direkte physio- logische Wirkungeii, tells dutch indirekte, d .h. durch Reizung und Ausl6sung yon Reakflionen unspezifischer und spezifischer Ar t Heflerfolge zeitigen. Der Raum verbietet e s auf Einzel- heiten dieser Therapie hier einzugehen. Die E l e k t r o - u n d Strahlentherapie is t nicht Aufgabe meiner Darstellung.

Die physikalische Therapie kanii die pharmakologisch- chemische nicht ersetzen, erg/inzt sie jedoch auf das wert- vollste nnd sollte viel mehr als es geschieht, in der allgemeinen

PraMs angewendet werden. Wir stehen erst im Beginn der Erkenntnis ihrer Wirkungen, zahlreiche Forschungsprobleme harren noch der L6sung: Funkt ionen des Hautorgans und ihre Beeinflussung, ]Beziehungen der physikalischen Therapie zur Hormonbildung, zum Gewebsstoffwechsel, zur Immun- biologie, zeitlicher Verlauf der Regulationsvorggnge, Dauer- wirkung der Heilreaktionen, I(orrelation zwischen physi : kalischen und pharmakologischen Eingriffen u. a. m. An Arbei t fehlt es nicht ; m6ge es auch nicht an Arbeitern fehlen.

ORIGINALIEN. ZUR INTRAVENOSEN INJEKTION IN 0L

GELOSTER MEDIKAMENTE (MENTHOL- EUCA- LYPTOLINJEKTIONEN) UND ZUR INTRAVENOSEN

CAMPHERTHERAPIE1). V o n

P r i v a t d o z e n t Dr. LEPEHNE. Aus der Medizin. Universit~itsklinik K6nigsberg (Dir. Geheimrat Prof. MATTHES).

Im Sommer vorigen Jahres wurde von dem Frankfur ter pathologischen Anatom ]BERNHARD FISCHER$) die intravenSse Injekt i0n yon Campher61 ffir die Therapie beim Mensdaen empfohlen, nachdenl ihn zahlreiche Tierversuche davon fiber- zeugt hat ten, dab die so sehr geffirchtete Fet tembol ie gar nicht s o gefghrlieh sei. Franz6sische Autoren hgt ten Campher61 auch schon beim Menschen bis zu 2,o ccm ohne Schaden intra- ven6s eingespritzt. Es komme nur darauf an, dab die Doseii des injizierten 01es nicht zu grog seien und nieht zu h~ufig ein- geffihrt wfirden, ferner dab die In jekt ion langsa m und ohne Druck vons ta t ten gehe. Dann bleibe das 01 in den Lungen- capiliaren sitzen und man k6nne auf diese Weise die Lungen vielleieht auch di rekt therapeutisch beeinfiusseii. Auch SCI~MIDT ~) in Prag konnte yon guten Erfolgen intraven6ser Campher61injektioiieii beriehten, wobei er 2real am Tage I , o c c m des IO proz. Oleum camphora tum einspritzte*). Die Ausffihrungen FISCHERS lieBen in mir den Gedanken auf- kommcn, ob es vielleicht m6glich wgre, ein anderes in O1 ge- 16stes Medikament, das sich schon s e i t langer Zeit in der Therapie vcrschiedenster Lungenerkrankungen bew~hrt hat, auf diesem Wege der Lunge direkt einzuverleiben, ngmlich ein Gemisch yon Menthol und Eucalyptol in 01. ]BERLINI~R 5) der im Jahre 19o4 die intramuskulgren Injekt ionen von Menthol und Eucalyptol in O1 in die Therapie eingeffihrt h~tte, berichtete in zahlreichen Ver6ffentlichungen fiber ausgezeichnete Erfolge, die er und andere Autoren mit diesem Mittel vorziiglich bei der Luiigentuberkulose, bei akuter und ehr0niseher, insbes0ndere f6tider ]Bronchitis und bei der ]Bronchopneumonie der Grippe erzielt hgt ten (vgl. hierzu auch R O S E N F E L D ~ ) , T E C H N A U T ) , B O D E S ) , F U C H S 9 ) . Bei der ]Be- handlung der Lungengangrg i i mi t den intramuskulgren Menthol -Euca lyp to l in jek t ione n nach STRAUSS x~ haben wir an unserer Klinik allerdings keine iiberzeugenden Erfolge gesehen. Ganz neuerdings beriehten GERTY und CARL C O R Y 11)

fiber eine grol3e Zahl gtinsfig beeinfluBter F~lle yon Lungen- imberkul0se.

i) Nach einem Vortrag im Verein ftir wissenschaffliche Heilkunde zu K6nigsberg am 23. I . 1922. ~) F ISCHER, Berl. ken . Wochenschr. 192i , Nr. 31 u. 41. a) SCHMIDT, B~rl. klin. Wochenschr. I92I , Nr. 41. *) Neuerdings hat auch LEO die vorsichtige Anwendnng der intraven6sen Campher- 5iinjekt]on beim Menschen empfohlen (Dtsch. med. Wochensch~. 1922 , Nr. 5.) Siehe auch URTEL, Klin. Wochenschr. 1922 , Nr. 8. 5) B E R L I N E R , Dtsch. ~.rztezeitung 19o 4. H. 21122; Berl. klin. Wochemcchr. 19o5 Nr. 28 (Schles. Ges. f. vat . Kultur); Berl. kiln. Wochenschr. z9IO, Nr. 25; i912 , Nr.9; ~9z3 Nr. 37; Dtsch. reed. Wochenschr. 1914 Nr. 51; Berl. klin. Wochenschr. 1916 Nr 20. 6) ROSENFELD Berl klin. Wochensehr. 1919 Nr. 6, S. zr ~) T]gCHNAU, Beitl'gtge z klin. Chirurg. 91, 623/ 1914. *) BODE, Mfinohn. reed. Wochenschr. 1916, Nr. 9. *) FUCHS Miinehn. reed. Wochenschr. I92o, Nr. 35. ~0) STRAUSS, "i'herap. d. Gegenw. 2o. Jg . 1918, S. 361. n) G E R T Y u. K A R L CORI, Therap. Halbmonatsh. 1921, Nr. 8. -

Zur theoretischen Erklgrung der therapeutischen Erfolge weist BERLINER auf POI-ILS Beobachtung hin, dab die nach Hefeinjekt ionen in die Brusth6hle entstehenden entziind- lichen Exsudate bei den mi t Menthol vorbehandelten Tieren ausblieben, dab also dieses Mittel eineii entzfindunghemmen- den Einflul3 auf die Schleimh~iute auszufiben imstande ist.

Es war nun naheliegend, zu versuchen, gerade dieses an- scheinertd bew~hrte Medikament in 61iger L6sung durch intra- ven6se Injekt ion der Lunge direkt zuzufiihren in d e r Hoff- nung, voii den in den Lungencapillaren steckenbleibenden Fet t ropfen aus eine noch viel stgrkere und speziellere Beein- flussung des Lungenparenchyms zu erreichen, die vielleicht ffir die BekAmpfung der Lungentuberkulose und anderer Lungenerkrankungeii prophylakt isch und therapeutisch yon ]Bedeutung sein k6nnte.

Von diesem Gedankengang ausgehend, wurde das Mittel von mir im Tierversuch erprobt. Zwei Fragen mul3ten beant- wortet werden: Erstens, finden sich an den Organen Ver- ~nderungen, d ie auf eine schgdliche Wirkung des Menthols und Eucalyptols hinweisen, und zweitens, birgt nicht vielleicht doch die intraven6se In jekt ion eines 01s Gefahren in sich durch l )be r t r i t t von 01tropfen in den groBen Xreislauf ? Ich stellte 6 Versuche all Kaninchen an. Beim ersten Experi- ment wurde eine L6sung yon Menthol zu 5% und Oleum Euca lyp t i zu lO% in Oliven61 gebraucht, spgter eine doppel t so s tarke L6sung, die in eine Ohrvene oder Bauchvene ein- gespri tzt wurde. Die Resul ta te der Versuche, auf die ich im einzdnen nicht ngher eingehen kann, sollen nun zusammen- fassend besprochen werden.

Bet rachten wit zuerst den EinJlu/3 der In]ektionen auJ das Be]inden der Tiere, so wurden 01dosen, wdche die yon FISCHER angegebene Maximaldosis von o,2 ecm pro kg Tier nicht oder nur wenig fiberschritten, ohne irgendeine sichtbare Reakt ion vertragen, selbst wenn diese Dosen t~glich bis zu IO Tage hintereinander verabfolgt wurden. Es zeigte sich eine m~13ige Abmagerung und eine geringe AnXmie (z. B. vorher Hb.7o, nachher Hb:6o). Albuminurie wurde, soweit es m6glich war den Urin zu gewinnen, nicht beobachtet , eben- sowenig pathologische For_mdemente.

Etwas anders verhielten sich die Tiere gr6Beren Oldosen gegenfiber, die die Maximaldosis fiberschritten. Hierbei t r a t (z. B. nach I,O der schwacheii L6sung bei einem Tier yon 23oo g) kurz nach der In jekt ion ein eigenttimliches Taumeln der Tiere auf, einmal eine Extremit~.tenlghmung, einmal ein narkoseghnlieher Zustand, alles jedoch mit inehr oder weniger rascher v611iger Erholung der Tiere. Wie wir sp~ter sehen werden, dtirften fettembolische ]Blutungen im GroB- und Kleinhirn die Ursache dieser Zustgnde sein. Der Gewiehts- verlust dieser Tiere war verschieden hoch, die e intretende An~mie etwas ausgesprochener, z .B . vorher Hb. 8o uiid 5 55o ooo r. BI., nachher Hb. 60 und 4 330 ooo. Der Urin erwies sich einmal frei yon pathologischen Bestandteilen, ein zweitesmal konnte ich Spuren yon EiweiB und im Sediment mgt3ig reichlich hyaline Zylinder und weiBe Blutk6rper finden.

Eigentfimlieh war eine bei 4 Tieren festgestellte Umwand- lung der Leukoeytenformel. W~hrend vor der Injektioi i die Lymphocyten die polynuklegren Leukocyten wei• an Zahl fibertrafen, war das Verh~ltnis am Ende der Versuche gerade