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Begleitunterlagen zur Referendarausbildung Grundzüge des Insolvenzverfahrens WILLMER Rechtsanwälte • Insolvenzverwalter Rechtsanwalt Marc Kampfenkel Georgstr. 5 27283 Verden Tel.: (04231) 88445 Fax: (04231) 88455 www.willmer-inso.de [email protected]

Grundzüge des Insolvenzverfahrens · Ordnungsfunktion Voraussetzung für die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger istdie ordnungsgemäße Abwicklung der massebezogenen Rechtsverhältnisse

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Begleitunterlagen

zur Referendarausbildung

Grundzüge des Insolvenzverfahrens

WILLMER Rechtsanwälte • Insolvenzverwalter

Rechtsanwalt Marc Kampfenkel

Georgstr. 5

27283 Verden

Tel.: (04231) 88445

Fax: (04231) 88455

www.willmer-inso.de

[email protected]

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I. Ziele des Insolvenzverfahrens

1. Befriedigungsfunktion

- Die Gläubiger des Insolvenzschuldners sollen gemeinschaftlich befriedigt

werden. Das Vermögen des Insolvenzschuldners wird dazu verwertet, der

daraus erzielte Erlös wird auf die Insolvenzgläubiger verteilt bzw. zur

Fortführung des insolventen Unternehmens im Rahmen eines Insolvenzplans

genutzt (§ 1 InsO).

- Gläubigergleichbehandlung der InsO steht im Gegensatz zu dem

Reihenfolgeprinzip der ZPO: Die Gesamtvollstreckung bezieht alle Gläubiger

ein und kommt ihnen in gleichem Maße zugute (quotale Befriedigung).

- Befriedigung bei Unternehmensinsolvenzen durch:

- Regelverfahren (quotale Verteilung des Vermögens auf Gläubiger)

oder

- Insolvenzplanverfahren (Abwicklung weicht durch Vereinbarungen mit

den Gläubigern vom gesetzlichen Verfahren ab)

2. Ordnungsfunktion

Voraussetzung für die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger ist die

ordnungsgemäße Abwicklung der massebezogenen Rechtsverhältnisse des

Insolvenzschuldners. Das Insolvenzverfahren erfüllt daher auch eine

Ordnungsfunktion.

3. Restschuldbefreiung

Grundsätzlich bestehen die Gläubigerforderungen nach Abschluss des

Insolvenzverfahrens in der Höhe fort, in der sie nicht quotal befriedigt wurden.

Natürliche Personen können Restschuldbefreiung beantragen. Voraussetzungen für

deren Gewährung durch d. Insolvenzgericht (§§ 286 ff InsO):

- Forderungen beruhen nicht auf rechtswidrigen Handlungen des Schuldners

- Während der Dauer von sechs Jahren (Wohlverhaltensphase) zahlt der

Schuldner seine über der Pfändungsfreigrenze liegenden Einkünfte an die

Gläubiger

- Der Schuldner bemüht sich während der Wohlverhaltensphase um eine

Erwerbstätigkeit

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II. Das Insolvenzeröffnungsverfahren

1. Der Insolvenzantrag

Das Insolvenzverfahren wird nur auf Antrag eröffnet. Keine Prüfung und Eröffnung

durch das Insolvenzgericht von Amts wegen (§ 13 Abs. 1 InsO).

a) durch den Schuldner (Eigenantrag)

⇒ Insolvenzfähigkeit (§ 11 InsO)

Insolvenzfähig ist nur ein Vermögensträger, d.h.:

- natürliche Personen

- juristische Personen des Privatrechts (zum öff. Recht: § 12 InsO)

- nicht rechtsfähige Vereine

- Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit (z.B. OHG, KG)

Ausnahme: Bei der GbR ist das Insolvenzverfahren auf das

Gesamthandsvermögen beschränkt (Verfahrensbeteiligte sind nur die

Gesellschafter)

- Nachlass

- Gesamtgut einer Gütergemeinschaft

⇒ Antragsrecht

Bei jur. Personen, Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit und KGaA (§ 15

InsO):

- jedes Mitglied des vertretungsberechtigten Organs (GF, Vorstand)

- jeder persönlich haftende Gesellschafter

- Abwickler (bei Gesellschaft in Liquidation)

- Ausnahme: Bei „nur“ drohender Zahlungsunfähigkeit gem. § 18 InsO

bedarf es des Antrags aller Mitglieder des Vertretungsorgans/aller

Abwickler oder desjenigen, der zur Vertretung berechtigt ist.

⇒ Antragspflichten juristischer Personen

Die Vertretungsorgane folgender jur. Personen treffen Antragspflichten:

- Kapitalgesellschaften (§ 92 Abs. 2 AktG, § 64 GmbHG)

- Gesellschaften ohne natürliche Person als haftender Gesellschafter

(§§ 130 a, 177 a HGB)

- rechtsfähige Vereine (§ 42 Abs. 2 BGB)

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- Antragsfrist: Unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Wochen ab

Vorliegen des Insolvenzgrundes

- Versäumen des Antrags = Insolvenzverschleppung mit zivil- und

strafrechtlichen Folgen für das Vertretungsorgan

⇒ Antragsgründe

Der Insolvenzantrag ist gem. § 16 InsO begründet, wenn einer der in §§ 17-19

InsO genannten Insolvenzgründe vorliegt:

- Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) = Schuldner ist nicht in der Lage, die

fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. I.d.R. (+), wenn der Schuldner

seine Zahlungen eingestellt hat

- Drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) = Schuldner ist

voraussichtlich nicht in der Lage, die bestehenden Verbindlichkeiten

bei Fälligkeit zu erfüllen (Liquiditätsplan erforderlich).

- Überschuldung (§ 19 InsO) = Das Vermögen des Schuldners deckt

nicht mehr die bestehenden Verbindlichkeiten, wobei für die

Vermögensbewertung die Fortführung des Unternehmens zu

unterstellen ist, wenn diese überwiegend wahrscheinlich ist.

Gilt nur für jur. Personen und u.U. für Gesellschaften ohne

Rechtspersönlichkeit (§ 19 Abs. 3 InsO)

b) durch den Gläubiger (Fremdantrag)

Antragsberechtigt ist auch jeder Gläubiger, der ein rechtliches Interesse an der

Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat (§ 14 Abs. 1 InsO).

- Gläubiger muss eigene Insolvenzforderung und Insolvenzgrund glaubhaft

machen

- kein rechtl. Interesse bei ausreichender Sicherung der Forderung durch dingl.

Recht (Absonderungsrecht)

- keine rechtliches Interesse bei Unterdrucksetzen des nur zahlungsunwilligen

Schuldners (Druckantrag)

c) Bis zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag kann dieser zurückgenommen

werden gemäß § 13 Abs. 2 InsO (Kostenfolge: § 4 InsO, §§ 269 Abs. 3 S. 2 u.3

ZPO), Ausfluss der Dispositionsmaxime

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2. Maßnahmen des Insolvenzgerichts

a) Insolvenzgericht:

- örtlich zuständig: Das Gericht, in dessen Bezirk der Schuldner seinen

allgemeinen Gerichtsstand hat bzw. der Schwerpunkt seiner selbständigen

wirtschaftlichen Tätigkeit liegt

- sachlich zuständig: Das AG, in dessen Bezirk ein LG seinen Sitz hat (Bsp.:

Der Schuldner wohnt in Langen, Niedersachsen. Langen hat ein AG, aber kein

eigenes LG. Das AG Langen gehört zum Bezirk des LG Stade. Zuständiges

Insolvenzgericht ist somit das AG Stade). Weitere Gerichte können bestimmt

werden.

b) Hinzuziehen eines Gutachters

Das Insolvenzgericht kann zunächst einen Gutachter mit der Prüfung

folgender Fragen beauftragen, um sich die notwendigen Kenntnisse von der

Situation des Insolvenzschuldners zu verschaffen:

(1) Prüfung des Eröffungsgrundes

(2) Prüfung der Kostendeckung

(3) Prüfung der Erforderlichkeit von Sicherungsmaßnahmen

3. Sicherungsmaßnahmen

Häufig insbesondere erforderlich bei Betriebsfortführung, nicht kooperativen

Schuldnern, nachteiliger Veränderung der Vermögenslage des Schuldners. Nicht

abschließende Aufzählung gem. § 21 Abs. 1 InsO:

a) Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen

b) Beststellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters

aa) Mit Verfügungsmacht („starker“ Verwalter)

(1) Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis geht auf den vorläufigen

Verwalter über

(2) § 240 ZPO anwendbar

(3) Verwalter kann Masseverbindlichkeiten begründen

bb) Ohne Verfügungsmacht („schwacher“ Verwalter)

cc) Mit Zustimmungsvorbehalt („halbstarker“ Verwalter)

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(1) Rechtshandlungen des Schuldners sind nur mit Zustimmung des

vorläufigen Verwalters wirksam

(2) § 240 ZPO nicht anwendbar

(3) grundsätzlich kein Vollstreckungsverbot

(4) praktisch häufigster Fall

c) Postsperre

d) Denkbar sind weiter:

aa) Ermächtigung zum Forderungseinzug

bb) Ermächtigung zur Kassenführung

cc) Ermächtigung zur Insbesitznahme von Geschäftsunterlagen u.a.

4. Rechtsmittel im Eröffnungsverfahren

- sofortige Beschwerde gegen Anordnung einer Sicherungsmaßnahme gem.

§§ 6, 21 Abs. 1 S. 2 InsO, 567 ZPO (keine aufschiebende Wirkung)

- ggf. Aufhebung unzweckmäßiger Sicherungsmaßnahmen und

Bekanntmachung der Aufhebung einer Verfügungsbeschränkung gem. §§ 25

Abs. 1, 23 InsO

- Streit über die Massezugehörigkeit eines bestimmten Gegenstandes zwischen

Insolvenzverwalter und Schuldner:

- Insolvenzverwalter: Feststellungsklage gg Schuldner

- Schuldner: Vollstreckungsgegenklage gg Insolvenzverwalter, § 4 InsO

i.V.m. §§ 795, 767 ZPO

III. Die Entscheidung über den Eröffnungsantrag

1. Prüfung durch das Insolvenzgericht

a) Zulässigkeitsvoraussetzungen (§§ 2, 3, 11 ff InsO)

- Zuständigkeit des Gerichts

- Antragsrecht des Antragstellers

- Parteifähigkeit des Antragstellers

- Prozessfähigkeit des Antragstellers

- Insolvenzfähigkeit des Schuldners

- zutreffende Verfahrenswahl

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Verbraucherinsolvenz:

- Schuldner ist natürliche Person und übt keine selbständige

wirtschaftliche Tätigkeit aus ODER

- Schuldner ist natürliche Person, übt selbständige wirtschaftliche

Tätigkeit aus und seine Vermögensverhältnisse sind trotz dieser

Tätigkeit überschaubar (§ 304 Abs. 2 InsO)

Regelinsolvenz:

Betrifft in erster Linie Unternehmen. Natürliche Personen nur dann,

wenn selbst. wirtschaftlich tätig bzw. ehemals selbständig tätig und

Vermögensverhältnisse nicht überschaubar.

b) Eröffnungsgründe gem. §§ 17 – 19 InsO

Eröffnungsgrund muss glaubhaft gemacht werden durch Gläubiger als

Antragsteller, § 14 Abs. 1 InsO. Wesentliche Merkmale des Eröffnungsrundes

müssen mitgeteilt werden, wenn Schuldner Antragsteller ist (vgl. BGH NJW

2003, 1187)

(1) Zahlungsunfähigkeit, § 17 InsO: Schuldner ist nicht in der Lage, die

fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. I.d.R. (+), wenn Zahlungen

eingestellt wurden.

(2) Überschuldung, § 19 InsO: Vermögen des Schuldners deckt die

bestehenden Verbindlichkeiten nicht. Gilt nur für :

- jur. Personen

- grds. auch Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit, wenn

kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person

ist (lies § 19 Abs. 3 InsO)

(3) Drohende Zahlungsunfähigkeit, § 18 InsO: Schuldner wird

voraussichtlich nicht in der Lage sein, die bestehenden

Zahlungspflichten im Zeitpunkt der Fälligkeit zu erfüllen. Gilt nur, wenn:

- der Schuldner selbst den Eröffnungsantrag gestellt hat

- bei jur. Personen und Gesellschaften ohne

Rechtspersönlichkeit: Wenn alle Mitglieder des

Vertretungsorgans bzw. alle pers. haftenden Gesellschafter

bzw. alle Abwickler bzw. der Vertretungsberechtigte den

Eröffnungsantrag gestellt haben/hat

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c) Deckung der Verfahrenskosten

Die Finanzierung des Verfahrens muss sichergestellt sein. Deckt das

vorhandene Vermögen die Verfahrenskosten nicht, wird das Verfahren

mangels Masse nicht eröffnet (§ 26 InsO). Allerdings kann ein Vorschuss auf

die Verfahrenskosten geleistet werden. Einer natürlichen Person kann auch

Stundung gewährt werden, wenn sie den Insolvenzantrag selbst gestellt und

Restschuldbefreiung beantragt hat, welche nicht offensichtlich zu versagen ist

gem. § 26 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 4 InsO. Wenn sich erst nach

Verfahrenseröffnung ergibt, dass die Masse zur Deckung der

Verfahrenskosten nicht ausreicht, stellt das Insolvenzgericht das Verfahren ein

(§ 207 InsO); man spricht dann auch von „Massearmut“.

2. Entscheidung durch Beschluss

a) Abweisung des Antrags als unzulässig (Voraussetzungen s.o.)

b) Abweisung des Antrags als unbegründet:

aa) mangels Masse, wenn Verfahrenskosten nicht gedeckt

sind, § 26 InsO

(1) Rechtsfolgen:

- GmbH und AG: Mitteilung an das Handelsregister und Auflösung der

Gesellschaft gem. § 262 Abs. 1 Nr. 4 AktG und § 60 Abs. 1 Nr. 5

GmbHG > Liquidation

- bei allen anderen: Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes,

d.h. es kann wieder in das Vermögen ein Vollstreckungsversuch

unternommen werden, etc. Eintragung in das Schuldnerverzeichnis

gem. §§ 26 Abs. 2 InsO, 915 ff ZPO hat Warnfunktion.

(2) Rechtsmittel: § 34 Abs. 1 InsO > Dem Antragsteller und dem (auch

nicht antragstellenden) Schuldner (Verweis auf § 26 InsO) steht die

sofortige Beschwerde zu

(3) Erneuter Antrag: Ein neuer Eröffnungsantrag ist zulässig, wenn der

Antragsteller glaubhaft machen kann, dass inzwischen ausreichendes

Schuldnervermögen vorhanden ist

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bb) Eröffnungsgrund wurde glaubhaft gemacht, aber nicht zur

Überzeugung des Gerichts festgestellt

(1) Rechtsfolgen: Das Verfahren wird nicht eröffnet. Keine weiteren

Rechtsfolgen für den Schuldner.

(2) Rechtsmittel: § 34 Abs. 1 HS 1 InsO > Dem Antragsteller steht die

sofortige Beschwerde zu

c) Eröffnung des Insolvenzverfahrens

aa) Beschlussinhalt (§§ 27 ff InsO)

Der Eröffnungsbeschluss enthält:

- Firma/Name , Geschäftszweig/Beschäftigung, gewerbliche

Niederlassung/Wohnsitz des Schuldners

- Namen und Anschrift des Insolvenzverwalters

- Stunde der Eröffnung

- Aufforderung an Drittschuldner, nur noch an den

Insolvenzverwalter und nicht mehr an den Schuldner zu leisten

(„offener Arrest“)

- Aufforderung an die Gläubiger, ihre Forderungen innerhalb

einer bestimmten Frist anzumelden und etwaige

Sicherungsrechte an beweglichen Sachen oder Rechten des

Schuldners mitzuteilen und näher zu bezeichnen

- Bestimmung des Berichtstermins und des Prüfungstermins (§

29 InsO)

- Berichtstermin = Gläubigerversammlung, in der auf der

Grundlage eines Berichts des Insolvenzverwalters über

den Fortgang des Verfahrens beschlossen wird

- Prüfungstermin = Gläubigerversammlung, in der die

angemeldeten Forderungen geprüft werden

- beide Termine können zusammengelegt werden

bb) Bekanntmachungen

Die Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts muss den

Eröffnungsbeschluss sofort öffentlich bekannt machen, was durch

teilweisen Abdruck im Bundesanzeiger und seit neuestem auch im

Internet auf der Website www.insolvenzbekanntmachungen.de

geschieht.

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cc) Rechtsmittel

- der Eröffnungsbeschluss kann vom Schuldner mit der sofortigen

Beschwerde angefochten werden, § 34 Abs. 2 InsO

IV. Durchführung des Insolvenzverfahrens

1. Gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger

a) Insolvenzgläubiger

§ 38 InsO: Legaldefinition der Insolvenzgläubiger > „Die Insolvenzmasse dient zur

Befriedigung der persönlichen Gläubiger, die einen zur Zeit der Eröffnung des

Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner

haben…“. Persönlicher Gläubiger ist, wer in einem schuldrechtlichen Verhältnis

zu dem Schuldner steht.

aa) Insolvenzforderungen

(a) Forderung in Geld

Da es sich um einen „Vermögensanspruch“ (§ 38 InsO) handelt,

hat die Befriedigung des Gläubigers in Geld zu erfolgen; nur

hierdurch ist die Bildung einer Quote und damit die

gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung möglich. Bei anders

gearteten Ansprüchen (Gewährleistungsrechte, etc.) ist der

Anspruch von dem Gläubiger in Geld umzurechnen gem. § 45

InsO.

(b) Anmeldung der Insolvenzforderungen

Die Gläubiger haben ihre Forderungen zur Tabelle anzumelden

gem. § 174 InsO. Dies geschieht schriftlich und unter Beifügung

der den Rechtsgrund bezeichnenden und die Forderung

belegenden Urkunden (ein Titel ist nicht Voraussetzung)

gegenüber dem Insolvenzverwalter. Häufig können von den

Insolvenzverwaltern bereit gestellte Formulare auch online

ausgefüllt und versandt werden.

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(c) Nachrangige Gläubiger

Gem. § 39 InsO werden bestimmte Gläubiger nachrangig

befriedigt (Durchbrechung des Grundsatzes der

Gleichbehandlung der Gläubiger), bitte lesen Sie die einzelnen

Fallgruppen im Gesetz nach.

bb) Prüfung der angemeldeten Forderungen:

Der Insolvenzverwalter prüft die angemeldeten Forderungen. Er wird

die Forderung, wenn diese nicht besteht oder nicht hinreichend belegt

ist, bestreiten. Ein vorläufiges Bestreiten ist in der Praxis trotz Fehlens

einer entsprechenden Regelung im Gesetz üblich; hierdurch wird dem

Gläubiger ermöglicht, nicht eingereichte Unterlagen nachzureichen u.ä.

Wenn die Forderung hingegen besteht und nachgewiesen ist, wird sie

zur Tabelle festgestellt, d.h. in die Tabelle aufgenommen.

b) Aus- und absonderungsberechtigte Gläubiger

Neben den Insolvenzgläubigern gibt es Gläubiger, die über ein

Aussonderungsrecht oder ein Absonderungsrecht verfügen. Diese Gläubiger

nehmen an der gemeinschaftlichen, quotalen Befriedigung aller Gläubiger nicht

teil, sondern werden gesondert befriedigt.

aa) Absonderungsrechte

Ein Absonderungsrecht besteht, wenn der Gläubiger über eine

persönliche Forderung gegen den Schuldner verfügt, die durch ein

dingliches Recht an einem zur Insolvenzmasse gehörenden

Gegenstand gesichert ist (§§ 49 ff, 165 ff InsO). Es handelt sich also

um Drittrechte, die von dem Insolvenzverwalter zu beachten sind. Bsp.:

- Vermieterpfandrecht

- Grundschulden

- Globalzession

- Sicherungsübereignung

Dem Insolvenzverwalter steht an den Gegenständen, an denen ein

Absonderungsrecht besteht, das Verwertungsrecht zu, wenn er die

Sache in seinem Besitz hat, § 166 ff. InsO.

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(1) Kostenbeiträge

Kostenbeiträge werden vom absonderungsberechtigten Gläubiger

gem. § 171 InsO in Höhe von 9% des Erlöses, zzgl. USt. erhoben.

(2) Anmeldung „für den Ausfall“

Der absonderungsberechtigte Gläubiger meldet seine Forderung für

den Ausfall – also in dem Umfang, in dem er bei abgesonderter

Befriedigung ausfällt – an, § 52 InsO.

bb) Aussonderungsrechte

§ 47 InsO: „Wer aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts

geltend machen kann, dass ein Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse

gehört, ist kein Insolvenzgläubiger.“ Dieser Gläubiger kann außerhalb

des Insolvenzverfahrens von dem Insolvenzverwalter die Herausgabe

des in seinem Eigentum stehenden Gegenstandes verlangen. Ist der

Gegenstand bereits veräußert worden, gilt § 48 InsO

(Ersatzaussonderung). Achtung: Sicherungseigentum und die

verlängerten bzw. erweiterten Formen des Eigentumsvorbehalts

gewähren kein Aussonderungs- sondern ein Absonderungsrecht, § 51

InsO.

cc) Zur Aufrechung berechtigte Gläubiger (§ 94 InsO)

Der Gläubiger, der zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung ein

Aufrechnungsrecht hat, behält dieses auch nach Eröffnung. Er ist also

nicht verpflichtet, seine Verpflichtung an die Masse zu erfüllen und

dafür die quotale Befriedigung zu akzeptieren.

Aber Einschränkungen gem. § 96 InsO, keine Aufrechnung

⇒ mit Gegenforderungen, die nach Eröffnung entstanden sind, § 96 I

Nr. 1 InsO

⇒ bei Erwerb der Gegenforderung nach Verfahrenseröffnung, § 96 I

Nr. 2 InsO

⇒ wenn Aufrechnungsmöglichkeit in anfechtbarer Weise erlangt

wurde, § 96 I Nr. 3 InsO

⇒ mit Gegenforderung, die aus dem insolvenzfreien – insbesondere

unpfändbaren Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist

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⇒ Bei Fälligkeit der Gläubigerforderung nach Fälligkeit der

Masseforderung, § 95 I 3 InsO

⇒ eingeschränkte Aufrechnung im Rahmen von Verrechnungs- bzw.

Aufrechnungsvereinbarungen (BGH)

2. Vorrangige Befriedigung von Masseverbindlichkeiten

Verbindlichkeiten der Masse sind vorrangig zu tilgen, d.h. die Verbindlichkeiten, die

durch die Verwaltung oder Verwertung der Masse durch den Insolvenzverwa lter

entstehen, müssen vorweg ausgeglichen werden (§§ 53 ff InsO).

a) Masseverbindlichkeiten

(1) aus Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse, z.B.:

⇒ Umsatzsteuer

⇒ Grundbesitzabgaben

⇒ Usw.

(2) aus gegenseitigen Verträgen („aufgedrängte“ Masseverbindlichkeiten)

- Kündigungsfristen: Es gelten besondere Kündigungsfristen für

den Insolvenzverwalter. Bsp.:

- Mietverhältnis (Schuldner = Mieter): Es gelten die ges.

Kündigungsfristen, vertragl. Fristen sind unbeachtlich, § 109

Abs. 1 S. 1 InsO

- Dienstverhältnis (Schuldner = Dienstberechtigter):

Kündigungsfrist drei Monate zum Monatsende oder ggf. kürzer,

§ 113 S. 2 InsO

(3) Aus ungerechtfertigter Bereicherung der Masse

b) Masseunzulänglichkeit

⇒ Voraussetzungen

Masseunzulänglichkeit besteht, wenn die Kosten des Insolvenzverfahrens

zwar gedeckt sind, die Masse aber nicht mehr ausreicht, um die sonstigen

Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, und auch, wenn abzusehen ist, dass die

Masse nicht ausreichen wird, künftig fällig werdende Masseverbindlichkeiten

zu erfüllen (§ 208 InsO). Der Insolvenzverwalter ist verpflichtet, dem Gericht

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die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen, welches sie öffentlich bekannt zu

machen und den Gläubigern anzuzeigen hat.

⇒ Rechtsfolgen der Anzeige

Die bis zur Anzeige begründeten Masseschulden (Altmasseschulden) sind

zweitrangig hinter den danach begründeten Masseverbindlichkeiten

(Neumasseschulden) zu befriedigen. Wegen des Massemangels werden die

Massegläubiger in folgender Reihenfolge befriedigt:

1. Verfahrenskosten

2. Neumassegläubiger (nur die vom Insolvenzverwalter gewollt

begründeten Verbindlichkeiten, § 209 Abs. 2 InsO)

3. Altmassegläubiger

Reicht die Masse nicht mehr aus, innerhalb dieser Reihenfolge alle

Forderungen vollständig auszugleichen, werden die letzten Gläubiger nur

noch quotal befriedigt (wie sonst die Insolvenzgläubiger).

3. Die Insolvenzmasse

a) Legaldefinition in § 35 InsO: „Das Insolvenzverfahren umfasst das gesamte

Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und

das er während des Verfahrens erlangt…“

aa) Verwertung der vorhandene Masse

Die Insolvenzmasse wird beschlagnahmt und verwertet. Zu ihr gehört

das Vermögen des Schuldners:

- Forderungen des Schuldners (z.B. mater. und immater.

Schadensersatz, Warenlieferungen)

- Sonstiges Vermögen (z.B. Eigentum, Patente)

- Pfändungsverbote beachten: Wie in Einzelzwangsvollstreckung

- „Übertragende Sanierung“: Der Insolvenzverwalter kann das

gesamte Unternehmen des Schuldners verwerten, indem er die

einzelnen Vermögenswerte auf den Käufer überträgt. Übrig

bleibt nur der Träger des Unternehmens selbst, der weiterhin

Schuldner des Insolvenzverfahrens ist und über kein

nennenswertes Vermögen mehr verfügt. Besonderheit: § 25

HGB findet keine Anwendung.

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bb) Neuerwerb

Zur Masse gehört auch das während des Verfahrens von dem

Schuldner erworbene Vermögen (von Eröffnung bis Verfahrensende).

b) Rückschlagsperre als „Sonderaktiva“

Die Masse wird durch die sog. Rückschlagsperre geschützt, durch die eine

Einzelzwangsvollstreckung, die im letzten Monat vor Antragstellung oder

danach vorgenommen worden ist und zu einer Sicherung an einem

Massegegenstand geführt hat, unwirksam ist, sobald das Verfahren eröffnet

worden ist (§ 88 InsO).

c) Sonstige „Sonderaktiva“

Zum Vermögen zählen auch die Sonderaktiva, die nicht in der Bilanz aktiviert

werden, die aber auch zur Masse gehören:

aa) Anfechtungsrechte des Verwalters

Häufig versucht der Schuldner noch vor Verfahrenseröffnung, sein

Vermögen durch Verschiebung und Übertragung auf Dritte zu retten

oder aber einzelne Gläubiger vor und zum Nachteil der anderen

Gläubiger zu befriedigen. In diesen Fällen kann eine Anfechtung der

Vermögensübertragungen erfolgen:

(1) Anfechtung wegen kongruenter Deckung (§ 130 InsO)

Der Schuldner hat eine vorbereitende Handlung vorgenommen,

die des dem Gläubiger ermöglichte, rechtmäßig eine Sicherung

oder Befriedigung zu erlangen.

(2) Anfechtung wegen inkongruenter Deckung (§ 131 InsO)

Der Schuldner hat es dem Gläubiger ermöglicht, eine Sicherung

oder Befriedigung zu erlangen, auf die er keinen Anspruch

hatte.

(3) Sonstige Anfechtungsmöglichkeiten

- Vorsatzanfechtung (Schuldner wollte sein Vermögen auf

wissenden Dritten übertragen, wobei er die Benachteiligung

seiner Gläubiger mind. billigend in Kauf genommen hat),

Anfechtung kann bis zu zehn Jahre (ab Antrag) zurück liegende

Geschäfte betreffen, § 133 Abs. 1 InsO

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- Schenkungsanfechtung (alle unentgeltlichen

Vermögensübertragungen des Schuldners bis zu vier Jahre vor

dem Antrag), § 134 InsO

bb) Gesellschaftsrechtliche Ansprüche

⇒ Einzahlung der Stammeinlage

⇒ Kapitalersatz

⇒ § 64 II GmbHG

4. Gläubigerausschuss

Der Gläubigerausschuss ist das Organ der Insolvenzgläubiger. Er kann schon vor der

ersten Gläubigerversammlung vom Insolvenzgericht eingesetzt werden gem. § 67

Abs. 1 InsO. Grundsätzlich entscheidet jedoch die Gläubigerversammlung, ob ein

Ausschuss eingesetzt bzw. beibehalten werden soll und wer seine Mitglieder sein

sollen (§ 68 InsO). Der Gläubigerausschuss soll den Verwalter unterstützen und

kontrollieren und hat entsprechende Informationsrechte (§ 69 InsO), können sich in

diesem Rahmen aber auch schadensersatzpflichtig machen (§ 71 InsO). Die

praktische Bedeutung der Gläubigerausschüsse ist als eher gering einzustufen.

5. Restschuldbefreiung

Der Schuldner, der eine natürliche Person ist, kann auf seinen Antrag hin von den

Verbindlichkeiten, die während des Insolvenzverfahrens nicht getilgt werden können,

nach Abschluss des Verfahrens befreit werden (Neuerung der InsO, die es in der vor

dem 01.01.1999 geltenden KO nicht gab!)

a) Antrag

Antrag des Schuldners ist zwingend notwendig und soll mit dem Insolvenzantrag

verbunden werden (§ 287 InsO), im Verbraucherinsolvenzverfahren muss sich

der Schuldner bei Insolvenzantragstellung zwingend hierzu erklären (§ 305 Abs. 1

Nr. 2 InsO)

b) Abtretungserklärung

Dem Antrag auf Rechtschuldbefreiung muss eine Abtretungserklärung beigefügt

werden: Der Schuldner tritt seine pfändbaren Forderungen auf Dienstbezüge für

die Zeit von sechs Jahren nach Verfahrenseröffnung an einen vom Gericht zu

bestimmenden Treuhänder ab (§ 287 Abs. 2 InsO) > sechsjährige

Wohlverhaltensperiode

c) Keine Versagungsgründe

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Unter bestimmten Voraussetzungen ist die Restschuldbefreiung zu versagen:

- Antrag eines Gläubigers

- Vorliegen einer der Versagungsgründe des § 290 InsO

V. Beendigung des Insolvenzverfahrens

1. Aufhebung des Verfahrens, § 200 InsO

Die Aufhebung nach dem Schlusstermin stellt die „normale“ Beendigung des

Verfahrens dar.

a) Schlusstermin

Schlusstermin = vom Gericht bestimmter Termin einer Gläubigerversammlung

zum Zweck der Zustimmung zur Schlussverteilung gem. § 197 InsO

b) Verteilungsverzeichnis

Vor jeder Verteilung, also auch vor der Schlussverteilung, hat der Verwalter ein

Verteilungsverzeichnis zu erstellen, das bei dem Insolvenzgericht eingesehen

werden kann. Aus dem Verzeichnis ergeben sich die bei der Verteilung zu

berücksichtigenden Forderungen (§ 188 InsO)

c) Schlussverteilung

Die Schlussverteilung erfolgt, sobald die Verteilung der Insolvenzmasse mit

Ausnahme eines laufenden Einkommens beendet ist (§ 196 InsO)

d) Aufhebung durch Beschluss, § 200 Abs. 2 InsO

e) Rechtsfolgen

Wenn keine Restschuldbefreiung gewährt wurde, können die Insolvenzgläubiger

ihre restlichen Forderungen unbeschränkt geltend machen, § 201 InsO (freies

Nachforderungsrecht).

2. Einstellung des Verfahrens

Das Verfahren kann auch eingestellt werden:

a) Mangels Masse, § 207 InsO

Erst nach Verfahrenseröffnung hat sich gezeigt, dass die Verfahrenskosten nicht

gedeckt sind. Zuvor müssen Insolvenzverwalter, Gläubigerversammlung und

Massegläubiger angehört werden.

b) Bei Masseunzulänglichkeit, § 211 InsO

Die Verfahrenskosten konnten gedeckt werden, nicht aber die sonstigen

Masseverbindlichkeiten. Nach Verteilung der Masse nach der bekannten

Rangfolge (§ 209 InsO, s.o.) wird das Verfahren eingestellt.

c) Sonstige Einstellungsgründe

Willmer Rechtsanwälte • Insolvenzverwalter R e c h t s a n w a l t M a r c K a m p f e n k e l

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- Wegfall des Eröffnungsgrundes, § 212 InsO

- Einstellung mit Zustimmung der Gläubiger, § 213 InsO

VI. Durchführung eines Insolvenzplanverfahrens, § 217 ff. InsO

Alternativ zum Insolvenzverfahren kann ein Insolvenzplanverfahren durchgeführt

werden. Während das Insolvenzverfahren die o.g. gesetzlichen Regelungen zur

Gläubigerbefriedigung vorsieht, wird im Insolvenzplan davon abgewichen; dies ist im

Rahmen der Gläubigerautonomie möglich. Ziel ist es, durch besondere

Vereinbarungen, zumeist Teilverzichte der Gläubiger, den insolventen

Vermögensträger zu erhalten.