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Dokumentation und Information ,,Halam tendis aut pietista aut atheista mox reversurus" 259 Dieser auf die Universitat Halle bezogene Aphorismus war Motto fur die Vortrage und Diskussionen des IX. medizinisch-na- turwissenschaftlichen Symposions des Arbeitskreises fur Universitatsgeschichte der Martin-Luther-Universitat (23. bis 26. Februar 1984 in Halle [DDR]), auf dem des 250. Geburtstages des Mediziners und Chemikers Georg Ernst Stahl(l659- 1734) gedacht wurde. Das von Prof. Dr. Dr. Wolfram Kaiser und Frau PD Dr. Arina Volker vorbildlich organisierte Sympo- sion wandte sich zunachst dem Leben Stahls zu, wobei vor allem seine zwischen 1694 und 1715 in Halle verbrachte Zeit im Blickpunkt stand. Georg Ernst Stahls medizinisches Wir- ken - so fuhrte Wolfram Kaiser zur Be- grui3ung aus - war vom Pietismus halle- scher Pragung erheblich beeinfluat. Der Vertrieb der Jtahl'schen Pillen" wie auch der Druck einiger seiner Werke im Francke- schen Waisenhaus zeigen die enge Bezie- hung Stahls zu dieser Institution. Als Me- diziner wurde Stahl durch seine Lehre von der alles beseelenden anima fur das 18. Jahrhundert wirkmachtig. In seinem Beitrag ,,Zum Mechanismus- Vitalismus- Paradigma der Stahl-Ara" verwies Rein- hard Mocek auf die Umbruchstimmung zu Ende des 17. Jahrhunderts mit ihrer Ablehnung von Cartesianismus und Ari- stotelismus als Grundlagen der medizini- schen Theorie. So kam Stahl unter dem Eindruck des Pietismus zu der Auffas- sung, dai3 Leben nicht ausschliei3lich auf mechanischen, sondern auch auf seeli- schen Vorgangen beruhen musse. Heinz Schwabe, dessen Beitrag das Motto fur diesen Bericht entnommen wurde, zeigte das Klima auf, das in Halle zur Zeit des jungen Stahl herrschte. Durch die Verbin- dung der Fruhaufklarung Thomasius' mit dem Pietismus Franckes wurde Halle zum Ort theologischer Toleranz und zur Zu- fluchtstatte fur anderswo verfolgte Theo- logen, Juristen und Mediziner. Wie sehr Stahl von Halle gepragt wurde, verdeut- lichte der Beitrag von Johanna Geyer- Ber. Wissenschaftsgesch. 7 (1984) 259-260 Kordesch, der sich Stahls Hauptwerk nee- ria Medica Vera und seiner Wirkung im 18. Jahrhundert zuwandte. Dieses Werk kennzeichnet Stahl als Theoretiker, nicht aber als Systematiker der Medizin. Nicht aIlein den mechanisch funktionierenden Korper gilt es nach Stahl zu heilen, son- dern vor allem die Seele als lebendigen Organismus. Wenn man diese Theorie Stahls, so Christa Habrich in ihrem Bei- trag uber ,,Die Stahl-Rezeption in Frank- reich" auf die Chemie ubertragt, kommt man zu dem - hier erstmals eindringlich formulierten - Schlui3, dai3 sich auch die chemischen Ansichten Stahls aus seinem Seele-Verstandnis herleiten. Die fur die Chemie des 18. Jahrhunderts bis zu Lavoi- sier so bedeutungsvoll gewordene ,,Phlo- giston-Theorie" erweist sich als konse- quente Weiterentwicklung der anima- Lehre. Sowohl Phlogiston als auch anima sind immateriell; bei ihrem Vergehen bleibt nur ein verwesender Korper, ent- weder das Salz oder die Leiche. Durch den Artikel ,,Chimie" der EncyclopMie wur- den die franzosischen Wissenschaftler mit diesen Theorien bekannt. Die intensive Beschaftigun mit Stahl in Frankreich sier zu seiner neuen Theorie. Um Georg Ernst Stahl gruppierte sich eine Reihe weiterer Beitrage. So zeigte Henricus Adrianus M. Snelders die Unter- schiede und Gemeinsamkeiten zwischen Stahls Phlogiston und Boerhaaves Pahi- lum zgnis auf, Wolfram Kaiser widmete sich dem ungarischen Stahlianer Matthias Bkl (1684-1749), der in HaIle Medizin studiert hatte und die Stahlschen Theo- rien in Ungarn und der Slowakei verbrei- tete. Riidiger Schwaiberger wandte sich in seinem Beitrag dem Einflui3 Stahls auf das Preuflische Medizinaledikt von 1725 und seinen Auswirkungen auf die Pharmazie des 18. Jahrhunderts zu. Vor allem die Ausbildung der Apotheker am ,,Collegi- um Medicum" zu Berlin fuhrte dam, dai3 eine Vielzahl von Pharmazeuten des aus- gehenden 18. Jahrhunderts durch die Che- fuhrte schlie a lich Antoine Laurent Lavoi-

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Dokumentation und Information

,,Halam tendis aut pietista aut atheista mox reversurus"

259

Dieser auf die Universitat Halle bezogene Aphorismus war Motto fur die Vortrage und Diskussionen des IX. medizinisch-na- turwissenschaftlichen Symposions des Arbeitskreises fur Universitatsgeschichte der Martin-Luther-Universitat (23. bis 26. Februar 1984 in Halle [DDR]), auf dem des 250. Geburtstages des Mediziners und Chemikers Georg Ernst Stahl(l659- 1734) gedacht wurde. Das von Prof. Dr. Dr. Wolfram Kaiser und Frau PD Dr. Arina Volker vorbildlich organisierte Sympo- sion wandte sich zunachst dem Leben Stahls zu, wobei vor allem seine zwischen 1694 und 1715 in Halle verbrachte Zeit im Blickpunkt stand.

Georg Ernst Stahls medizinisches Wir- ken - so fuhrte Wolfram Kaiser zur Be- grui3ung aus - war vom Pietismus halle- scher Pragung erheblich beeinfluat. Der Vertrieb der Jtahl'schen Pillen" wie auch der Druck einiger seiner Werke im Francke- schen Waisenhaus zeigen die enge Bezie- hung Stahls zu dieser Institution. Als Me- diziner wurde Stahl durch seine Lehre von der alles beseelenden anima fur das 18. Jahrhundert wirkmachtig. In seinem Beitrag ,,Zum Mechanismus- Vitalismus- Paradigma der Stahl-Ara" verwies Rein- hard Mocek auf die Umbruchstimmung zu Ende des 17. Jahrhunderts mit ihrer Ablehnung von Cartesianismus und Ari- stotelismus als Grundlagen der medizini- schen Theorie. So kam Stahl unter dem Eindruck des Pietismus zu der Auffas- sung, dai3 Leben nicht ausschliei3lich auf mechanischen, sondern auch auf seeli- schen Vorgangen beruhen musse. Heinz Schwabe, dessen Beitrag das Motto fur diesen Bericht entnommen wurde, zeigte das Klima auf, das in Halle zur Zeit des jungen Stahl herrschte. Durch die Verbin- dung der Fruhaufklarung Thomasius' mit dem Pietismus Franckes wurde Halle zum Ort theologischer Toleranz und zur Zu- fluchtstatte fur anderswo verfolgte Theo- logen, Juristen und Mediziner. Wie sehr Stahl von Halle gepragt wurde, verdeut- lichte der Beitrag von Johanna Geyer-

Ber. Wissenschaftsgesch. 7 (1984) 259-260

Kordesch, der sich Stahls Hauptwerk nee- ria Medica Vera und seiner Wirkung im 18. Jahrhundert zuwandte. Dieses Werk kennzeichnet Stahl als Theoretiker, nicht aber als Systematiker der Medizin. Nicht aIlein den mechanisch funktionierenden Korper gilt es nach Stahl zu heilen, son- dern vor allem die Seele als lebendigen Organismus. Wenn man diese Theorie Stahls, so Christa Habrich in ihrem Bei- trag uber ,,Die Stahl-Rezeption in Frank- reich" auf die Chemie ubertragt, kommt man zu dem - hier erstmals eindringlich formulierten - Schlui3, dai3 sich auch die chemischen Ansichten Stahls aus seinem Seele-Verstandnis herleiten. Die fur die Chemie des 18. Jahrhunderts bis zu Lavoi- sier so bedeutungsvoll gewordene ,,Phlo- giston-Theorie" erweist sich als konse- quente Weiterentwicklung der anima- Lehre. Sowohl Phlogiston als auch anima sind immateriell; bei ihrem Vergehen bleibt nur ein verwesender Korper, ent- weder das Salz oder die Leiche. Durch den Artikel ,,Chimie" der EncyclopMie wur- den die franzosischen Wissenschaftler mit diesen Theorien bekannt. Die intensive Beschaftigun mit Stahl in Frankreich

sier zu seiner neuen Theorie. Um Georg Ernst Stahl gruppierte sich

eine Reihe weiterer Beitrage. So zeigte Henricus Adrianus M. Snelders die Unter- schiede und Gemeinsamkeiten zwischen Stahls Phlogiston und Boerhaaves Pahi- lum zgnis auf, Wolfram Kaiser widmete sich dem ungarischen Stahlianer Matthias Bkl (1684-1749), der in HaIle Medizin studiert hatte und die Stahlschen Theo- rien in Ungarn und der Slowakei verbrei- tete. Riidiger Schwaiberger wandte sich in seinem Beitrag dem Einflui3 Stahls auf das Preuflische Medizinaledikt von 1725 und seinen Auswirkungen auf die Pharmazie des 18. Jahrhunderts zu. Vor allem die Ausbildung der Apotheker am ,,Collegi- um Medicum" zu Berlin fuhrte dam, dai3 eine Vielzahl von Pharmazeuten des aus- gehenden 18. Jahrhunderts durch die Che-

fuhrte schlie a lich Antoine Laurent Lavoi-

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260 Kurze Mitteilungen

mie Stahls gepragt waren. Dennoch lassen sich, wie Arina Volker bei der Durchsicht der Stahlschen Doktorandenlisten feststel- len konnte, erstaunlich wenig chemische, hingegen zahlreiche klinische Dissertatio- nen Stahls finden.

Eine Fiihrung durch das Franckesche Waisenhaus beendete das anregende Sym- posion zum 250. Geburtstag Georg Ernst

Kurze Mitteilungen

Habilitation: Am 18. Juli 1984 habil' itierte '

sich Dr. Walter Kaiser mit der Habilita- tionsschrift ,,Zur Struktur wissenschaftli- cher Kontroversen" und einem KolIoqui- um zu seinem Habilitationsvortrag uber ,,Die ersten Vorstellungen von der raumli- chen Struktur der Molekule" am Fachbe- reich Mathematik der Johannes Guten-

, berg-Universitat fur das Fach ,,Geschichte der Naturwissenschaften". Seine offentli- che Antrittsvorlesung am 25. Oktober 1984 trug den Titel ,?Das Problem der ,ent- scheidenden' Experimente".

Prof. Dr. phil. Fritz Krafft wurde zum Mitglied der ,,Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina" (Halle) ge- wahlt.

Korrektur: Im Beitrag G. Rudolphs ,,Das Mechanismusproblem in der Physiologie des 19. Jahrhunderts", Berichte ZUY Wzssen- schffigeschichte 6 (1983), 7- 28, sind zwei Druckfehler stehen geblieben. Auf S. 7 mui3 es in Zeile 6 des Summary Meckel hei- i3en, auf S. 22 in Zeile 34: menschliche Be- diirfnisse zu befriedigen und Leidenden zu helfen.

Stahls, der, wie sein Zeitgenosse Friedrich Hoffmann (1660- 1742), zu den Wegbe- reitern der aufgeklarten Medizin des 18. Jahrhunderts zahlt.

Wolf-Dieter Miiller-Jahncke PD Dr. Wolf-Dieter Miiller-Jahncke Institut fur Geschichte der Pharmazie Roter Graben 10 D-3550 Marburg

Rudolf-Kellermann-Preis fur Technik- geschichte: Der im Jahre 1966 gestiftete Preis zur Forderung der Technikgeschich- te sol1 technikgeschichtliches Interesse un- ter jiingeren Historikern, Ingenieuren, Ar- chivaren usw. wecken und bestkken. Er ist mit DM 3000,- dotiert und wird vom Verein Deutscher Ingenieure (VDI- Hauptgruppe, Bereich Technikgeschichte) der besten deutschsprachigen wissen- schaftlichen Arbeit (Diplom-Arbeit, Magister-Arbeit, Dissertation, Habilita- tionsschrift usw.) zuerkannt, die im Jahre 1984 abgeschlossen wurde und bis zum 28. Februar 1985 (moglichst in zwei Exem- plaren) eingesendet wird an: VDI-Haupt- gruppe, Bereich Technikgeschichte, Graf- ReckeStrai3e 84, 4000 Diisseldorf 1). An- gaben zur Person und zum wissenschaftli- chen Werdegang des Verfassers sind der Arbeit beizufiigen.

Geheimrat Sommerfeld - Theoreti- scher Physiker (Eine Dokumentation aus seinem Nachlai3) ist der Titel einer Ausstellung, die vom 6 . 12. 1984 bis 3. Fe- bruar 1985 im Foyer des Deutschen Mu- seums Miinchen zu besichtigen ist (Zur Ausstellung erschien auch ein Katalog mit 176 Seiten und 58 Abbildungen).

Ber. Wissenschaftsgesch. 7 (1984) 260