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Hans Thomae als Methodiker und Methodologe - Biografisches , Systematisches Georg Rudinger Zentrum für Alternskulturen (ZAK ) Universität Bonn Symposium anlässlich des 100. Geburtstags von Hans Thomae ( 1915 - 2001) 31 . Juli 2015

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Hans Thomae als Methodiker und Methodologe -Biografisches, Systematisches

Georg RudingerZentrum für Alternskulturen (ZAK)

Universität Bonn

Symposium anlässlich des 100. Geburtstags von Hans Thomae (1915-2001)31. Juli 2015

Hans Thomae (1994) auf die Frage:

Mit Ihrem Namen wird in der psychologischen Forschung vor allem die Längsschnitt-Forschungund die „biographische Methode" verknüpft. Wie weit sehen Sie da Verbindungen zu Ihren Vorgängern in Bonn?

Konkret umgesetzt wurde dies sicherlich durch mich. Aber natürlich ist in gewisser Weise die Orientierung an der Empirie, die Orientierung an möglichst lebensnaher Beobachtung, eine Umsetzung von Bestrebungen, die einerseits Rothacker, andererseits auch mein anderer Lehrer – Lersch - hatten.

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Wie weit sehen Sie da Verbindungen zu Ihren Vorgängern in Bonn?

Die Bonner Längsschnitt-Studien Längsschnittstudie „Die Deutschen

Nachkriegskinder“ (1952-1961)

Die Bonner Längsschnitt-Studien Längsschnittstudie „Die Deutschen

Nachkriegskinder“ (1952-1961) 3600 Kinder, die 1952 eingeschult wurden, und 1800

Kinder und Jugendliche, die 1952 aus der Volksschule entlassen wurden, wurden in sechs verschiedenen Städten umfassend medizinisch und psychologisch untersucht (bis zu 10 Meßzeitpunkte)

Die Zentrale der Studie war das Bonner Institut, hier ist bis heute das Untersuchungsmaterial untergebracht.

Die Bonner Längsschnitt-Studien Längsschnittstudie „Die Deutschen

Nachkriegskinder“ (1952-1961) 3600 Kinder, die 1952 eingeschult wurden, und 1800

Kinder und Jugendliche, die 1952 aus der Volksschule entlassen wurden, wurden in sechs verschiedenen Städten umfassend medizinisch und psychologisch untersucht (bis zu 10 Meßzeitpunkte)

Die Zentrale der Studie war das Bonner Institut, hier ist bis heute das Untersuchungsmaterial untergebracht.

Die Bonner Längsschnitt-Studien Längsschnittstudie „Die Deutschen

Nachkriegskinder“ (1952-1961) 3600 Kinder, die 1952 eingeschult wurden, und 1800

Kinder und Jugendliche, die 1952 aus der Volksschule entlassen wurden, wurden in sechs verschiedenen Städten umfassend medizinisch und psychologisch untersucht (bis zu 10 Meßzeitpunkte)

Die Zentrale der Studie war das Bonner Institut, hier ist bis heute das Untersuchungsmaterial untergebracht.

Die Bonner Längsschnitt-StudienBonner Längsschnittstudie des Alterns - BOLSA (1965-1984)

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Einige Planungsprinzipien der BOLSA (Thomae, 1992)

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Besuch des Berkeley-Längsschnittzentrums im Jahre 1952 - Erfahrungen aus den Berkeley-Studien von H. E. Jones zus. mit J. W. McFarlane, N. Bayley, M. Honzik et al.: Systematische Erfassung der physischen,

psychischen und sozialen Situation der Untersuchungsteilnehmer/innen ohne eine bestimmte Theorie des Alterns als Ausgangspunkt

Einige Planungsprinzipien der BOLSA (Thomae, 1992)

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Anlage und Zielsetzung der BOLSA wurde in den Jahren 1963/64 mit allen Mitarbeitern meines Arbeitsbereiches besprochen, vor allem mit U. Lehr, aber auch mit H. Rauh, B. Schade, F. E. Weinert und in methodologischer Hinsicht mit W. D. Fröhlich.

Kleiner Exkurs zum Gesamteindruck

Der „Gesamteindruck“ wurde sowohl in der Nachkriegskinderstudie als auch in der BOLSA verwendet. Rating-Skalen wie diese standen (und stehen

immer noch) unter heftiger Kritik

Biographische Umstände bzw. gar Entscheidungen ermöglichten eine Methodenstudie

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Weitere intensive Methoden-Diskussionen (1967/68)nach der Freitags-Gesamteindrucks-Konferenz

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Erlemeier, Schmitz-Scherzer, Rudinger

BOLSA Gesamteindruck „Generalisierbarkeits-Studie“

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BOLSA Gesamteindruck „Generalisierbarkeits-Studie“

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BOLSA Gesamteindruck „Generalisierbarkeits-Studie“

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Die Personen haben unterschiedliche Eigenschaftsprofile.

Dies bestätigt die Notwendigkeit eines – bisweilen als „idiographisch“ bezeichneten – Vorgehens, das die

Unterschiede zwischen den Personen als wesentlich betont.

Doch zurück: Warum Längsschnitt?

„Was sich dem Beobachter an einem anderen Menschen zeigt und was daran (…) für die Persönlichkeitsforschung relevant ist, das ist Geschehen, Ereignis, Ablauf, Handlung, Veränderung“ (Thomae, 1968, S. 403)

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Doch zurück: Warum Längsschnitt?

„Was sich dem Beobachter an einem anderen Menschen zeigt und was daran (…) für die Persönlichkeitsforschung relevant ist, das ist Geschehen, Ereignis, Ablauf, Handlung, Veränderung“ (Thomae, 1968, S. 403)

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Längsschnittliche Orientierung

Entwicklung erscheint als Reihe von miteinander zusammenhängenden Veränderungen, die bestimmten Orten des zeitlichen Kontinuums eines Lebenslaufszuzuordnen sind. „ The entity of interest must be observed repeatedly

as it exists and evolves over time “ (Mc Call, 1977) Entscheidend sind Messwiederholung und die

Ordnung der Zeit „Abhängigkeitsstrukturen“ Zeit muss bei Design, Modellierung und Analyse als

geordnete, gar als gerichtete Dimension berücksichtigt werden Erhebliche method(olog)ische Konsequenzen!!!!

Zeitkonzept in der Längsschnittforschung:

Zeitpfeil

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Theorien über Entwicklung sind Theorien, die durchaus mit dem lrreversibilitätskonzept kompatibel sind.

Der Einfluss von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf Erleben, kognitive Repräsentanz und Reaktionsformen

Zeitkonzept in der Längsschnittforschung:

Zeitpfeil

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Theorien über Entwicklung sind Theorien, die durchaus mit dem lrreversibilitätskonzept kompatibel sind.

Zwecke und Ziele des Längsschnitts(Auswahl im Thomae-Sinne)

Auffinden von Vorläufer-Phänomenen für biographisch später auftretendes Verhalten

Explikation und Prognose

Informationen über Wechselbeziehungen zwischen verschiedenen Verhaltensbereichen im Kontext der Biographie

Ausmaß und Zusammenhang von Veränderungen auf diversen Systemebenen (Individuum ⇔ Umwelt) Veränderungsstrukturen & Strukturveränderungen

Thomae 1952; Wohlwill 1973; McCall, 1977; Taris, 2000; Raudenbush, 2001

Das „natürliche Maß für Veränderungen“ in der BOLSA von 1965/66 1967/68: Differenzwerte

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Ausgangspunkt: Beobachtung an vielen Personen zu zwei Messzeitpunkten: t1 t2

Facetten von Konstanz und Wandel: Was kann sich verändern?

O1 O2 O1

O2

O1 O2

Mittelwerte Varianzen Individuelle Position

Konstanz und Wandel: Inter- „vs.“ intraindividuell

____________________________________________________

____________________________________________________

Facetten von Konstanz und Wandel

Ansteigende Mittelwerte

Stabile Varianzen

Stabile intraind. Positionen

Hohe Test-Retest- Korrelation

Stabile Mittelwerte

Wachsende Varianzen

Instabile intraind. Positionen

Niedrige Test-Retest- Korrelation

Ansteigende Mittelwerte

Wachsende Varianzen

Stabile intraind. Positionen

Hohe Test-Retest- Korrelation O1 O2

O1 O2

O1 O2

Differenzen können dieseMuster und Verläufe gar nichtbzw. höchstenfalls nur sehr indirektabbilden

Konstanz und Wandel: Inter- „vs.“ intraindividuell

Hans Thomae erblickte letztendlich hier die Möglichkeit des Aufgreifens von Chancen für wissenschaftliche Diskussionen

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Fleischmann Janke Lienert Oswald Lehr Schaie Dittmann-Kohli Thomae

Symposium „Experimentelle Gerontologie“ Nürnberg 19xy

Ein Ausweg – DER Ausweg

„Die Analyse des Individuums ist Etappe auf dem Weg zu einer wie immer gearteten Generalisierung“ (Thomae, 1968, S. 105)

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Bayley-Test (Mental Scale) – Studie KIDS (Rauh et al.)T=8; Fächerform der individuellen Verläufe

Entw

ickl

ungs

alte

r in

Mon

aten

(EA

)

Chronologisches Alter in Monaten (CA)

EA = 0.54CA+0.55

Bayley-Test (Mental Scale) – Studie KIDS (Rauh et al.)T=8; Fächerform/en der individuellen Verläufe?

Entw

ickl

ungs

alte

r in

Mon

aten

(EA

)

Chronologisches Alter in Monaten (CA)

EA = 0.65CA+1.28

EA = 0.38CA+0.47

Stabilität und Reliabilität – ein ernüchterndes Beispiel:Psychomotorischer Test über 7 Meßzeitpunkte der BOLSA

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29%ige Prognosekraft

Veränderungsstrukturen & Strukturveränderungen

Ausdruck eines breiten systemischen ganzheitlichen Zugangs zu den Alternsprozessen BOLSA: Wahrnehmung und Bewertung von Alter(n)

gemäß kognitiver Theorie der Alterns stand im Mittelpunkt – ohne natürlich Kognition, soziökonomische Bedingungen, Gesundheitszustand etc. zu vernachlässigen

Veränderung im Sinne der Veränderung von Zusammenhängen (Vernetzungsgrad),

Veränderung im Sinne „qualitativer“ Veränderungen (z. B. Differenzierung, Integration),

The Bonn Longitudinal Study (BOLSA): Coping, Life Adjustment, and Life Satisfaction

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3. Meßzeitpunkt: 1967/68 (durchschn. Alter = 68 Jahre)

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Aktivität

Akzeptanz

wahrgenommene Abhängigkeitgefühlte Hilflosigkeit

+

+

6. Meßzeitpunkt: 1976/77 (durchschn. Alter = 77 Jahre)

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--

++

0

0

Aktivität

Akzeptanz

wahrgenommene Abhängigkeitgefühlte Hilflosigkeit

Familie, ökonomische Situation, außerfamliäreAktivitäten, Bewertung der gegenwärtigen Situation

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Familie ökonomische Situation

außerfamliäre Aktivitäten Bewertung der gegenwärtigen Situation

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1990

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Entwicklung als aktive Gestaltung

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1. Mit „alter“ Studie durch Revitalisierungneue Erkenntnisse gewinnen

2. Mit neuer Studie durch Anwendung bewährter Methodologie „alte“ Erkenntnisse generalisierend bestätigen

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1. Deutsche Nachkriegskinder (1952-1961) –Wiederaufnahme der Längsschnittstudie

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1. Deutsche Nachkriegskinder (1952-1961) –Wiederaufnahme der Längsschnittstudie

I. Körperliche und seelische Gesundheit: Resilizenz, Plastizität und Entwicklungspotentiale (Maier, Reuter, Beauducel…) – BMBF (Gesundheit über den Lebenslauf)

• Kognitive und funktionale Alterung• Gen-Umwelt-Interaktion und Epigenetik

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1. Deutsche Nachkriegskinder (1952-1961) –Wiederaufnahme der Längsschnittstudie

II. Bewältigungsformen von Aufgaben und Belastungen im Alter (Kruse, Fooken, Oswald, Stecher…)

• Auto-Biographisches Gedächtnis, Zielbildung und Sinnstiftung

• Transgenerationalität: Weitergabe von Werten, sozialen und politischen Einstellungen und Präferenzen

• Erziehungsnormen und –stile• Bildungsbiographien und Bildungsstile

ZAK Statut 44

2. Die Entwicklung verkehrssicherheitsrelevanter Personenmerkmale von Seniorinnen und Senioren

und ihre Einflussfaktoren

Bislang stützen sich alle verkehrssicherheitsrelevanten Erkenntnisse über das Unfallrisiko älterer Fahrerinnen und Fahrer auf Querschnittsanalysen. Auf dieser Basis …ein erhöhtes fahrleistungsbezogenes Unfallrisiko ab etwa 75 Jahren.

2. Die Entwicklung verkehrssicherheitsrelevanter Personenmerkmale…: Längsschnittstudie über 6 Jahre

Bislang nicht erforscht sind die individuellen Entwicklungen mobilitätsbezogener und verkehrssicherheitsrelevanter Merkmale älterer Pkw-Fahrer/innen. Es fehlt bislang der Einblick in die Dynamik von Veränderungsprozessen.

Entwicklung verkehrssicherheitsrelevanter und mobilitätsbezogener Merkmale von Senior/inn/en soll in einer Längsschnittstudie über sechs Jahre verfolgt werden.

Welche personenbezogenen Veränderungen, Veränderungen der Lebensumstände und der Verkehrsumwelt wirken sich wann und wie auf das Mobilitätsverhalten und das Unfallrisiko dieser Zielgruppe aus?

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2. Die Entwicklung verkehrssicherheitsrelevanter Personenmerkmale…: Längsschnittstudie über 6 Jahre

Bislang nicht erforscht sind die individuellen Entwicklungen mobilitätsbezogener und verkehrssicherheitsrelevanter Merkmale älterer Pkw-Fahrer/innen. Es fehlt bislang der Einblick in die Dynamik von Veränderungsprozessen.

Entwicklung verkehrssicherheitsrelevanter und mobilitätsbezogener Merkmale von Senior/inn/en soll in einer Längsschnittstudie über sechs Jahre verfolgt werden.

Welche personenbezogenen Veränderungen, Veränderungen der Lebensumstände und der Verkehrsumwelt wirken sich wann und wie auf das Mobilitätsverhalten und das Unfallrisiko dieser Zielgruppe aus?

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Die unheilvolle Rolle der „Methodenpäpste“

Die durch die falsche Selbstsicherheit mancher psychologischen Methodenpäpste bewirkten Folgen (…) werden auf die Dauer (…) für das Fach wie auch für die Menschen doch von bleibendem Nachteil sein (Thomae, 1992, S. 326)

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Die unheilvolle Rolle der „Methodenpäpste“

Die durch die falsche Selbstsicherheit mancher psychologischen Methodenpäpste bewirkten Folgen (…) werden auf die Dauer (…) für das Fach wie auch für die Menschen doch von bleibendem Nachteil sein (Thomae, 1992, S. 326)

Hans Thomae hat immer großen Wert darauf gelegt, die Aussagen über das Altern objektivierbar und damit intersubjektiv vermittelbar zu machen, ohne dabei das Besondere der individuellen Person aus den Augen zu verlieren. Diese seine Art, Gerontologie zu betreiben, wird im besten Sinne "modern" bleiben.

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Synthese zwischen idiographischer und nomothetischer Orientierung

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!

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