182
7/13/2019 Haverkamp, Anselm - Metapher. Die Ästhetik in Der Rhetorik. Bilanz Eines Exemplarischen Begriffs (W. Fink, 2007,… http://slidepdf.com/reader/full/haverkamp-anselm-metapher-die-aesthetik-in-der-rhetorik-bilanz-eines-exemplarischen 1/182

Haverkamp, Anselm - Metapher. Die Ästhetik in Der Rhetorik. Bilanz Eines Exemplarischen Begriffs (W. Fink, 2007, 182pp)_LZ

Embed Size (px)

Citation preview

  • Anselm Haverkamp

    Metapher Die sthetik in der Rhetorik

    Bilanz eines exemplarischen Begriffs

    Wilhelm Fink V erlag

  • Fr Bettine, Eva, Christoph

    Titelbild: Fragment of the Head of a Queen, Egyptian, ca. 1353-36 B.C. (18'h Dynasty). YeUow jasper, 5'12 inches. Mettopoiiran Museum of Art,

    New York. Photograph Bruce White.

    Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

    Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

    sind im Internet ber http:/ /dnb.ddb.de abrutbar.

    Das Werk einschlielich aUer seiner Teile ist urheberrechtlich geschtzt. Jede Verwertung auerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgeset-zes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulssig und stratbar. Das gilt insbesondere fr Vervielf:iltigungen, bersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

    0 2007 Wilhelm Fink Verlag, Mnchen (Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG, Jhenplatz I, D-33098

    Paderborn) www.fink.de

    Einbandgestalrung: Evelyn Ziegler, Mnchen Herstellung: Ferdinand Schningh GmbH & Co. KG, Paderborn

    ISBN: 978-3-7705-3751-8

  • Inhaltsverzeichnis

    Bilanzieren, Markieren, Pointieren Legende, Begriffsgeschichte, Palonym

    berblick

    I Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    1. Begriffsgeschichte vs. Metaphorologie (Blumenberg, Droysen, Foucault)

    2. Archologie der antiken Einfhrungskonstellation (Aristoteles, Cicero, Quintilian, Longin)

    3. Die Renaissance der Tropen (Ramus, Vico, Baumgarten, Fontanier)

    Four Master Tropes Copia verborum

    4. Die Aktualitt der Metapher (Cohen, Davidson, de Man, Derrida)

    Sprachanalyse und Poststrukturalismus Rhetorik vs. Systemtheorie

    5. Das Paradox der Metapher (Empson, Jakobson, Lacan)

    Ambiguitt und Syntagma Tropik und Paradigma

    7

    15

    19

    25

    42 42 46

    53 56 60

    68 70 75

  • 6 Inhaltsverzeichnis

    6. Historik der Metaphorologie (Hegel, Lacan, White) 85

    7. Metaphorologie der sthetik (Blumenberg, Ricreur, Merleau-Ponty)

    Doppelte Metaphorik Bildlichkeit Hyperreflexivitt

    II Palonym Metapher

    8. Schwelle Performativitt: Metapher als Vollzug

    93 95 99

    102

    (Upps, Dtjs 1934) 109

    9. Die wiederholte Metapher: Ambiguitt, Sprachsituation (Richards, Empson und Blumenberg) 117

    Wiederholung als Metapher - Metapher als Wiederholung 120

    Ambiguitt als historische Fehlwiederholung 126 Hypermnese als Gegenwiederholung 132

    10. Metaphorologic: zweiten Grades: Unbc:grifflichkeit, Vorformen der Idee: (Biumenberg, sowie Canghuilem, Marion) 145

    Gesagtseinsgeschichte 145 Lebenstechnisierung 153 Metapher als Methode: 161

    Bibliographie der abgekrzt zitierten Werke 165

    Namenregister 173 Begriffsregister 179

  • Bilanzieren, Markieren, Pointieren Legende, Begriffsgeschichte, Palonym

    .,Poetry is an artifact - I mean it is a thing made." Gilbert Murray, Tht Clossal Tradition (1 927).'

    Legende: Die Metapher als Artefakt

    Fragment of the Head of a Queen, Egyptian, ca. 1353-36 B.C. (lS'h Dy-nasty). Yellow jasper, 5'/, inches. Metropoliran Museum of Art, New York. Photograph Bruce White.

    Ein Artefakt, fragmentiert: das um die Sicht gebrachte Gesicht ei-ner Knigin, mit den Mitteln der photographischen Ausleuchtung um die Signatur der Abbruchlinien bereichert, die an der Stelle von Augen und Nase den Schnitt der Linien im Material heraus-bringen. Darunter, um ein uerstes bedroht, vom Abschlag in der Kontur getroffen, bringt die Flle der Lippen jene Prgnanz zum Ausdruck, die dem Ganzen einmal eigen gewesen sein mu. Im Fragment bietet sich in einer letzten abstrakten Klarheit dar, was ihr zuvor nicht deutlicher eigen gewesen sein kann. Es ist die Melancholie der Metapher, die in diesem Bruchstck auf einen Begriff kommt, der das Moment der bertragung im Artefakt der Metapher sistiert.

    Der latirusierte griechische Begriff der bertragung, mttaphora bei Quintilian, zitiert das griechische Original, schreibt es als Ori-ginal fest, bewahrt es bis heute auf als einen Teil der lateiruscheo, technischen Terminologie. Da es jemals eine bertragung aus der Vorgngerformation, dem gyptischen gegeben htte oder auch nur htte geben knnen, liegt im griechischen Artefakt ver-siegelt, um den Preis des Fragments eingeschlossen. Das rhetori-sche Fragment, das der Metaphernbegriff berliefert, ist der rhe-

    1 Tht O:,iforJ English Diclionary (Oxford: Clarendon Press, 2nd ed. 1 989), Bd. 1, S. 660.

  • 8 Bilanzieren, Markieren, Pointieren

    torisehe Begriff par excellence - begriffliches Analogon dessen, was in der mit ihr konkurrierenden Philosophie Begriff sein soll.

    Das begriffliche Artefakt der Metapher, das im griechischen Fragment berdauert, ist ein Bruchstck von hchster Prgnanz. Es hat die Vorgngergestalten um den Preis der totalen Defigura-tion auf ihre dauerhafte Tiefenstruktur reduziert. Da die Meta-pher in ihrer aristotelischen Form alle vorherige, vormetaphysi-sche Begriffsbildung verstellt htte, hat Vico dazu bewogen, in der Metapher eine mythische Eigentlichkeit und, von ihr ausgehend, einen Umlauf, rorso, der Re- und Defigurationen zu postulieren.2 Heidegger wollte aus diesem Grund die Metapher der Epoche der Metaphysik zuschlagen, und er hat fr die griechische Dichtung (einschlielich Hlderlins) die Metapher deshalb kontraindikativ behandelt.3 Die aristotelische Erfindung der Metapher, ihre Ein-fhrung als Begriff der Poetik, hat die metaphysische Entzugs-gestalt der fii.Jfhologie blanfhe gezeitigt, in deren Verblassen sthetik entsteht, auf den Plan tritt. 4 Dagegen mute die gyptische Vorge-schichte der aristotelischen Metapher, bei Herodot erahnbar, pure Spekulation bleiben. Sie kippt wie die griechische Interpretation der Hieroglyphenschrift in ein Bild, wovon die Photographie des gyptischen Fragments uns ein Bild macht: das Bild eines Arte-fakts, wie es die griechische Metapher der bersetzung als Begriff berliefert. 5

    Der Sachverhalt - Sprache erhalten, Gesicht zerstrt - ist grundlegend. Auf eine noch minimalere Form gebracht, hat Blu-menberg von den "Leitfossilien einer archaischen Schicht des Pro-zesses der theoretischen Neugierde" gesprochen, "die nicht des-

    2 Vf. "Paradigma Metapher, Metapher Paradigma" (1981), Dit paradoxe Mttaphtr, ed. Anselm Haverkamp (Frankfurc/M.: Suhrkamp 1998), S. 268-286: 280 ff.

    3 Martin Heidegger, Der Jatz 110111 Gf'llnd (Pfullingen: Neske I 957), S. 68; Holdtriins Hymnt .Andtnletn' I 94 I I 42 (Frankfurt/M.: Klostermann 1982), S. 40. Vf. Lattnzztit: lf'imn im Nafhlr.ritg (Berlin: Kadmos 2004), s. 67ff.

    4 Jacques Derrida, "La m)'thologie blanche" (1971), Marges- Dt Ia phi-losophit (Paris: Minuit 1972); dt. &zndgiinge der Philosophit (Wien: Passa-gen 2000). Vf., Fig11ra rrypta: Thtorit dtr littrariJ(htn Latmz (Frankfurc/ M.: Suhrkamp 2002), S. 41 ff.

    5 Nota bene unterstelle ich dies nicht etwa dem gyptischen Bildhauer, dessen Werk defiguriert fortlebt, eher schon der automatischen Re-in-szenierung des Oe-figurierten im Dispositiv des Photographen, dem Lichtbild.

  • Bilanzieren, Markieren, Pointieren 9

    halb anachronistisch sein mu, weil es zu der Flle ihrer Stimu-lationen und Wahrheitserwartungen keinen Rckweg gibt."6 Wer etwa, wie der Kardinal Danielou, den Rckweg von einem Neuen zu einem Alten Testament ex officio freischaufeln mu, kommt ohne eine archologische Interpretation der fossilen Artefakte, ih-rer blanken Datierungsfunktion nicht umhin: "Rien n'etait plus obscur pour nous ... ".-Die Sachlage- die Flle der Stimulationen und Wahrheitserwartungen, zu denen es keinen Rckweg gibt -bleibt im Fossil erhalten: totes Leben im Fragment der Artefakte, die Sprache vom Gesicht des Lebens getrennt aufbewahren.

    Doppelte Buchfhrung: Die Metapher als Palonym Einmal das wichtigste technische Instrument der alten Rhetorik seit Aristoteles, hat die Metapher nach dem Zurcktreten des ter-minologischen Bezugsrahmens der Rhetorik an Bedeutung nicht verloren. Eher knnte man sagen, da die in den diskursiven, disziplinren Nachfolgeformationen aus dem Blick geratene, tiefer gelegte Rolle des rhetorischen Apparats in der Metapher virulent geblieben ist. Die durchaus falsche Wahrnehmung, die mit der Rhetorik berwundene Episteme signalisiere in der Metapher ihr uneigentliches, nur mehr sthetisches Fortwirken und in diesem einen unaufgeklrten Rest und Bedarf an Wissen, macht eine Be-standsaufnahme der vielen Verlegenheitslsungen unter dem Na-men der Metapher ntig, die sich ber die Problemlage dieses Na-mens als ein Netz vielseitiger Umschriften gelegt hat. Wie Foucaults archologische Intuition andeutet, die der binren, mo-dernen Welt der Zeichen im Rckblick ein ternres Muster einzu-schreiben trachtet, ist das sthetische Miverstndnis der Meta-pher, das sich um die Binaritt rankt, von den darin eher schlecht als recht aufgehobenen philosophischen Verlegenheiten der s-thetik auseinanderzuhalten. "II n'y a plus rien dans notre savoir, ni dans notre reflexion pour nous en rappder maintenant Je souve-nir".8 Dem Zustand der Sprache vor der sthetik - Foucault

    6 Hans Blumenberg, "Ausblick auf eine Theorie der Unbegrifflichkeit" (1979), A.sthttiuht 1111d mttaphorologiHhe Jfhrijttll, ed. Anselm Haverkamp (Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001), S. 193-209: 193.

    ' J ean Danielou, Lu rymbolu fhrititiiJ primitifs (Paris: Seuil 1961 ), S. 8. K Michel Foucault, Lu mols el Iu fhom: Mllt arrhiologit des stie11m h11maitm

    (Paris: Gallimard 1966), S. 58; dt. Die Ord111111g der Di11ge: Ei11t Arrholo

  • 10 Bilanzieren, Markieren, Pointieren

    spricht in Erinnerung Heideggers emphatisch vom "Sein" der Sprache - ist keine Erinnerung, ist nur Archologie gewachsen: Archologische Historik ist das Pendant von sthetik, und beider Zusammenspiel heit Metapher, wird in der Metapher begriffsreif.

    Nimmt man, mit der gehrigen Aufmerksamkeit auf die phno-menologische Ausgangslage, Heideggers, Blumenbergs und Derri-das Varianten der historischen Epoche zusammen, in die Fou-caults Archologie die Schwelle eines "historischen Apriori" einzeichnet als des Apriori der Historie, so kann die philosophi-sche sthetik nur deren symptomatische Verlegenheit sein.9 Sie zeugt von einer allgemein gewordenen "Streuung" der Diskurse und "den durch ihre Nicht-Kohrenz offenen Spalten", sagt Fou-cault. Fr sie hat die Metapher einen alten, dieser ,,Verlegenheit" nicht von ungc:fahr geschuldeten Namen parat, und Blumenberg, der Verlegenheit eingedenk, schlgt dafr als einen ebenso tref-fenden wie zwangslufig irrefhrenden Namen den der Metapho-rologie vor. 10 So da sich- sei es auch nur berblicksweise und in groben Zgen - das folgende Bild ergibt, das vom Eintritt dessen, was Foucault ein "historisches Apriori" nennt, nicht allein und tri-vial historisch, sondern apriorigeprgt ist: eine von weit her, von griechischen Anfangen herkommende, von Seinvergessenheit wie von mythischen Phantasmen heimgesuchte metapharologische Phase der Metaphysik, an deren Ende Blumenberg das Dreigestirn Vico, Kant, Nietzsche sieht. Der von Foucault konstatierte Sach-verhalt - Streuung und Spalten - deckt sich mit Empsons analyti-schem Befund der "Ambiguitt" (grob gesprochen seit Shake speare).11 So da wir in der literarischen Praxis (einer Praxis, der

    git der HNmaniPismmbajttfl (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1970), S. 76. Fran~ois Wahl, "La philosophie entre l'avant et l'apres du structura-lisme", QN'est-ce (/llt lt slnlclllralisme? (Paris: Seuil 1968), sep. Ausgabe Bd. 5 (Philosophie), S. 27 ff. Dt. Einfiihnmg in dm Stn~klllralirmtll (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973), S. 323-480: 334ff.

    9 Michel Foucault, L 'arrhiologie d11 sa1oir (Paris: Gallimard 1969), S. 123; dt. Archologie du Wiruni (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973), S. 184. Vgl. vor Foucault und Blumenberg schon Hans Lipps' "Apriori" der "Antizi pationen" bei Ludwig Landgrebc, "Das Problem der ursprnglichen Er fahrung im Werk von Hans pps", Pbilorophiscbt RMmisrhall 4 (1956), S. 166-182: 169ff.

    10 Hans Blumenberg, Paratiigmtn ZN einer Metaphorologit, Arrh fiir Btgriffr gtsrhieblt 6 (Bonn: Bouvier 1960); unvernderte Neuausgabe (Frank furt/M.: Suhrkamp 1998), S. 10.

    11 William Empson, Stlltll T_ypes of AmbigNily (London: Chatto & Windus 1930, 3rd rev. ed. 1953), S. 2f. Israel Scheffler, B!]ontlthe Letter: A Pbi-

  • Bilanzieren, Markieren, Pointieren 11

    gegenber sich die teraturwissenschaft beschmend renitent ver-hlt) eine Trennschrfe vorfinden, die im Begriff der Metapher nicht nur naiv verfehlt, sondern systematisch verstellt erscheint. Wie weit dies auf den von Foucault erarbeiteten epistemischen Wechsel vom ternren zum binren Zeichen zurckwirkt - er scheint selbst mit dem Gedanken zu spielen, wo er auf teratur kommt - kann an dieser Stelle noch nicht entschieden werden. Aber die Bilanz der Begriffsgeschichte gehrt gegengelesen, um gegen den Strich der im Spiel befindlichen begrifflichen Teleolo-gien die Unschrfen zu bemerken und zu markieren: als Marken vor der Begrifflichkeit, Marken eines Im-Begriff-Seins oder Vor-jedem- oder Gegen-jeden-Begriff-Seins, womglich sogar noch ei-nes im Proze des Markierens Befangen- oder Widerstndig-Seins. Die Trias von Bilanzieren, Markieren, Pointieren folgt der Legen-de der Begriffsgeschichte, ihren epochalen metapharologischen Aprioris und Mythologien, um am Ende des Palonyms Metapher gewahr zu werden, in dem sich die von Vico postulierte mythen-frmige Karriere der Metapher - von Quintilians Katachrese zu Joyces Puns - kondensiert findet. 12

    Nicht das geringste Problem historischer Aprioris ist, da sie berblicke widerlegen, sie in einem hheren Sinne berflssig machen. Statt dessen zeitigen sie, nach Durchschauen gegebener Katachresen - des allfalligen historischen Mibrauchs der Begriffe und der mit ihnen verbundenen, auf probate Methode gebrachten analytischen Operationen - Palonyme. Deren rhetorisches For-mat, hat Derrida gesehen, entspricht phnomenologischem Zu-schnitt, in dem die metapharologische Begrenzung (nach Heideg-ger kurz: die Metaphysik) immer schon latent berschritten wird: "the old name that is retained serves to designate something that is of a certain exteriority to the discourse of metaphysics, to the

    losophicollnqNiry inlo Ambig11ity, l -agNtnm ond Metophor in LangNagt (Lon-don: Routledge 1979).

    12 Derek Attridge, PtcNiior LAngNogt: Liltrolllrt os D~fltrrnre from lht Rtnois-sanrt lo Jomts J~ct (lthaca NY: CorneU University Press 1988). Patricia Parker, "Metaphor and Catachresis", Tht Ends of Rhtloric: History, Theo-ry, Procliet, ed. John Bcnder, David WeUbery (Stanford CA: Stanford University Press 1990), S. 60-73. Samuel Lcvin, "Catachresis: Vico and Joyce", Philosophy ond Rhtloric 20 (1987).

    13 Rodolphe Gasche, Tht Tain ~( lht Mirror: Dmido and lht Philosophy of Rt-flection (Cambridge MA: Harvard University Press 1986), S. 166. Tho-mas Khurana, Die Disptrsion du Unbt11!11len: Frr11d, Lacan, LNhmann (Gieen: Psychosozial 2002), S. 242 ff.

  • 12 Bilanzieren, Markieren, Pointieren

    extent that it is of the order of an unthought structural possibility of that discourse". 13 Wie die notorische Spitze des Eisbergs zeigen Palonyme in der Form von Begriffen an, was sich unter der Oberflche der Diskurse an latenten Brchen der Epistemen ab-zeichnet. Von ihrer .,strategischen" Rolle her (sagt Derrida) und von ihrer "erkenntnispragmatischen" Funktion aus (sagt Blumen-berg) lt sich das Apriori als ihre Vergangenheit beschreiben: "Aristotle needs the figure of the ray-sowing sun, needs, in other words, the true sun tobe able to generate all those figures." 14 Was nicht heit, da es die Sonne wahrhaft gibt (statt vielmehr nicht gibt), sondern da ihre Wahrheit Funktion des erkenntnispragma-tischen Apriori ist, das die Epoche der Metaphysik generiert, wie-wohl es implizit auch schon (Nietzsches spte Erkenntnis zu de-ren Ende) ihre Demontage birgt. 15 Im Palonym erscheint es sistiert um den Preis des offensiv begrifflichen Scheins.

    Der Bilanz der metaphernbegrifflichen Vergangenheit ist des-halb nicht nur praktisch, sondern prinzipiell nicht in kontinuierli-cher Vollstndigkeit beizukommen. Sie unterliegt, hat Blumenberg erkannt, der Erkenntnispragmatik paradigmatischer Vorkommens-weisen und deren Problemzonen. Das heit gerade nicht einen "Untergrund rtselhafter Totalhorizonte" postulieren, geschweige denn ihn in einem totalisierten Bildbegriff aufzufangen. 16 "Unbe-grifflichkeit" ist als Horizontbegriff fr Lebenswelt (mindestens was Blumenberg angeht) miverstanden, zumal wenn man ihn als neue Besttigung nimmt fr den notorischen Hang, der periodisch die eine um die andere Welle der Metaphernliteratur bewegt, zur totalisierenden "Synthese".~'' Eben darin ist Wittgenstein (und

    14 Cynthia Chase, ,.Metaphor and Knot (Philosophy's Problem)", Mean-ing, Frame and Mttaphor, ed. Joyce Goggin, Michael Burke (Amsterdam: Amsterdam School of Cultural Analysis 2002), S. 290-312: 296.

    15 Sarah Kofman, Nittzuhe rt Ja mitaphore (Paris: Payot 1972). Anne Te-bartz-van Eist, Althetile der Metapher. Zum S trril ZJI'isrhen Philosophit und Rhetorik bei Nittzuhr (Freiburg/Breisgau: Alber 1994). Detlef Otto, Wurdungen dtr Metaphrr: Aristoteiu und Nietzsrhe (Mnchen: Fink 1998).

    16 Jrg Zimmer, Mrtapher (Bielefeld: Aisthesis 1999, Transcript 2003), S. 25. Rrpramntatio Mund1~ Bilder ab Ausdnule und Auftrhlu mmuhlkhtr Weltwrhltnim, ed. Siegfried Blasche, Mathias Gutmann, Michael Weingarmer (Bielefeld: Transcript 2004).

    1- Bernhard Debatin, Dit Rationalitt der Mrtapher (Berlin: dc: Gruyter

    1995), S. 93ff. Wilhelm Kller, Semiotik und Metapher (Stungan: Metz-ler 1975). Heuristisch distanziener Marie-Cecile Benau, Sprathspiel Mr-tapher. Dtnk111eisen und leommunikalillt Funletion tintr rbetoristhen Figur (Opladen: Westdeutscher Verlag 1996).

  • Bilanzieren, Markieren, Pointieren 13

    Blumenbergs Wittgensteinsche Wende) ein bemerkenswerter An-sto geblieben, da er dem Sog des Palonyms Metapher, Kehrsei-te seines diagnostischen wie seines strategischen Werts, ausweicht und auf Analyse von Fall zu Fall beharrt, unter welchen (und seien es aushilfsweise bildtheoretischen) Termini auch immer: Absurdi-tt eher denn Abweichung vom Regelhaften ist orientierend. 18 Die Prioritt der Analyse vorausgesetzt - bevorzugt man nun Ambi-guitt, Absurditt oder Unbestimmtheit als Ausgangshypothese -kann die begriffsgeschichtliche Bilanz nur nach Formationen von Heuristik vorgehen, an denen die Logik des palonymen Ge-brauchs der Metapher sich erhellt, eine Heuristik, die irgendwo zwischen den platonisierenden "Metapattern" liegt, in denen Gre-gory Bateson MinJ anJ Natun konvergieren sah, und der "Des-orientierung des Zuflligen" in den "Phasmen", die Georges Didi-Huberman zum Anla fr ein anderes "Genre" des Erkennens ins Auge fat. 19 Damit sind noch nicht die metapharologischen Im-plikationen der Genforschung berhrt, deren mit Flei nichtsbe-deutende Verlegenheitswurzel *Gen die palonymen Qualitten der ehemaligen Metapher in einen neonymen Horizont bersetzt und den hintergrundmetaphorischen Groraum der klassischen Physik, insbesondere ihren Raumbegiff, hinter sich lt, ohne da der neue biochemische Horizont zu etwas anderem Anla gbe als zu erneuter, kosmologischer "humility", die Evelyn Fox Keller empfiehlt.2n Seiner lichtmetaphysischen Metaphorologie ber-fhrt, versinkt die alte Astrophysik in den mega-mythischen Mu-stern der "Licht/Schall-Konstellation" - fr die man dann, wre man metapharologisch gewitzt, wie Peter Galison ungerhrt das-selbe alte Palonym, die alte Metapher heranziehen kann.21 Mit

    1" Christian Strub, Kalk.Niitrlt Abs11rditiiltn (Freiburg/Breisgau: Alber

    1991), S. 35 ff. Wittgtnsltin 11nd Jit Mtlaph", ed. Ulrich Arnswald, Jens Kertscher, Matthias Kro (Berlin: Parerga 2004). 1 ~ Tyler Volk, Mttapallmrs: Amm JptUt, Tilltt, anJ MinJ (New York NY:

    Columbia University Press 1995), S. v. Georges Didi-Huberman, Phar11tn: Euai s11r l'apparilion (Paris: Minuit 1998), S. 1 0; dt. Phasllttl (Kln: DuMont 2001), S. 10.

    211 Evelyn Fox Keller, Thr Ctnlllty of tht Gtnt (Cambridge MA: Harvard Universiry Press 2000), S. 7ff., 130ff. Rtjig11ring Ufo: Mtlaphorr ojT~~~tn litlh Ctnlllry Bio/ogy (New York NY: Columbia University Press 1996), Preface S. xiii.

    21 Vf. "Unordnung der Anordnungen: Die Licht/Schall-Konstellation" (1998), Fig11ra rryplita, S. 106-118. V gl. Peter Galison, "History, Philo-

  • 14 Bilanzieren, Markieren, Pointieren

    der Lesbarkeitsmetapher der alten Lebenswclt, die Blumenberg vermessen und letztlich auf Kant datiert und damit auch in ihrer sthetischen Dimension begrenzt hatte,22 ist es vorbei.

    Im vorliegenden Fall ist der begriffsgeschichtliche Abri er-gnzt um die palonyme Wendung der Metapherntheorie, die mit I. A. Richards' und William Empsons New Criticism eingelutet wurde. Interessant und der Rede wert ist womglich, da diese Wendung mit der Entdeckung der Performative, der Metapher als Vollzug in der Sprachphilosophie von Hans Lipps parallel luft, ein Hintergrund, vor dem in den Nachkriegsjahrzehnten Sprach-analyse und Metaphorologie, wiewohl trgerisch oft, konvergie-ren. Die Ausdifferenzierung der Metapherntheorie der letzten hundert Jahre - notorisch seit Nietzsche, genauer seit Richards -in Sprachanalyse, Strukturalismus und (cum grano salis) Herme-neutik (denn womit htte es diese zu tun) schwankt zwischen iso-lierender Abschottung und neuer bergngigkeit der postanalyti-schen und poststrukturalen (nachmetaphysischen) Anstze . .?.1

    Die Frage mithin, inwieweit eine solche Bilanz zwangslufig und nicht nur umstndehalber Entwurf bleiben mu, ist unent-scheidbar; sie verfinge nur, wo ber den Entwurf hinaus Gltiges sichtbar werden sollte, das vor dem historischen Ansatz in grauer Vorzeit lge und sich wie grundlos der Rekonstruktion darbte. Denn mit den Gestalten von Anthropologie und Anthropomor-phismen ist es nicht getan, in ihnen ist diese Art der Wahrheit aus der steinernen Maske des Palonyms nicht zu erlsen. Aber den apotropischen Gesten der Anthropologie, die der nicht stillzu-stellenden Latenz metapharologischer Bewegtheit gelten - die Kurvatur der raum- und zeitgreifenden Metakinetik frchtend, die Logos und Kosmos im Gewirr ihrer metaphorologischen Korrela-tionen durchkreuzt - ist lngst kein Kraut gewachsen.

    sophy, and thc: Central Metaphor", Jdtnrt ;" Conttxl 2 ( 1988), S. 197-212: 210.

    21 Hans Blumenberg, Dit Ltsbarletil dtr lf't/1 (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1981), s. 194ff.

    2' Vf. "Nach der Metapher", Thtorit dtr Mttaphtr, Nachwort zur Neuaus-gabe (1996), S. 499-505.

  • Bilanzieren, Markieren, Pointieren 15

    berblick:

    Der erste Teil traktiert die Metapher als Gegenstand der Begriffsgeschich-te. Der Neuansatz des Buches im zweiten Teil folgt aus dem ersten, wech-selt aber die Darstellung vom Begriff zum Palonym der Metapher als zentralem Bezug. Was die Bilanz an begriffsgeschichtlicher Prgnanz, und notwendig fragmentarisch, herausarbeitet, ist methodisch neu zu situie-ren. Der erste Teil verfhrt selbst in Schritten, die tunliehst zweierlei aus-einander entwickeln: Nach der begriffsgeschichtlichen Einleitung in die der Begriffsgeschichte keineswegs konforme metapharologische Sachlage (1) folgt die Unterscheidung historisch und methodisch unterschiedlich gelagerter Etappen, deren Namen Archologie (2), Renaissance (3) und Aktualitt (4) sind. Woraus mit Paradox (5), impliziter Historik (6) und expliziter Asthetik (7) metaphorologische Abschattungen abzuhandeln sind, die auf die anschlieende palonyme Behandlung des zweiten Teils vorausweisen. Dessen abermals drei Hinsichten und Anschluparadigmen betreffen den Horizont der Performativitt (8), der zwar mit der neueren Entwicklung der Metapherntheorie erreicht, aber keineswegs annhernd erschpft ist, sodann den historisch epochalen Befund der Ambiguitt (9) und schlielich die radikalhermeneutische Hn)Qthese der Unbegrifflich-keit (10). Diese neuen Formationen hngen an weitgehend punktuell ge-bliebenen, erst kaum weiterdiskutierten Intuitionen und Initiativen einzel-ner theoretischer Anstze mit starken Eigenverankerungen: Hans Lipps' Metaphernartikel (8), zeittypisch, aber praktisch ungelesen geblieben (DVjs 1934), William Empsons Jtvtn Typu of Ambig11ily (9), von grtem, aber schillerndem Einflu, der anhaltende Ratlosigkeit nach sich zieht, und Hans Blumenbergs Konzepte der "Sprachsituation" und "Unbegriff-lichkeit" (10), die kaum mehr als oberflchliche Verkennung im Kontext eines in sich darber inkonsequenten Gesamtwerks erfahren haben und erst dieser Tage eine grndlichere Textbasis erhalten. Der Wechsel von der methodischen Inszenierung begriffsgeschichtlicher Symptomatik im ersten Teil zu den ins kontextuelle Detail spezieller Theorieentwicklungen gehenden Nachzeichnungen des zweiten Teils kann nicht so homogen ge-halten werden, wie es die begriffsgeschichtliche Bilanz erzwingt. Das geht bis in die Zitierweise und die Dokumentation der Nachweise.

    Der Text ber Lipps und die DVjs 1934, der nicht umhin kommt, ein deutsches Moment von Vergangenheit mit zu bedenken, ist in anderer Form Teil einer Festschrift fr Gerhard Neumann (Mnchen 2004) und bleibt ihm gewidmet; "Die wiederholte Metapher" wurde in krzerer Form fr die von Ulla Haselstein veranstaltete Vorlesungsreihe "Die Wie-derholung" an der Ll\.IU Mnchen geschrieben (Mnchen 2004); die "Metaphorologie zweiten Grades" war das Einleitungsreferat zu der von Dirk Mende und Thomas Rentsch an der TU Dresden veranstalteten Konferenz "Metaphorologie: Zur Praxis einer Theorie" (Dresden 2005).

    Fr die Bibliographie der Metapher ist die Sachlage extrem ungnstig, denn weder ist die Verwendung des Wortes Metapher in metapherntheo-retischer Hinsicht zuverlssig, noch ist sie indikativ fr den mit diesem

  • 16 Bilanzieren, Markieren, Pointieren

    Terminus unklar avisierten sthetischen Sachverhalt, noch auch wre die-ser, umgekehrt, mit den Paradigmen der metapherntheoretischen Diskus-sion ohne weiteres bereinzubringen. Eine erschpfende Bibliographie zur Metapher wre beim Stand der Dinge weder informativ noch ertrg-lich. Ich habe darauf geachtet, die Menge der reprsentativen Titel, gestaf-felt nach Aspekten der erarbeiteten Pointierung, am relevanten Ort zu er-fassen, diese Auswahl im Interesse grtmglicher Prgnanz aber in extremer Selektivitt gehalten, die ber das Namenverzeichnis zugnglich ist. Auerdem habe ich mir erlaubt, die fr meine Darstellung grundle-genden, durchgehend benutzten Werke, Quellen und Kommentare abge-krzt zu zitieren und in einer Liste zusammenzufassen. Wie jeder mgli-che Eintrag in die Bibliographie ist der Nachweis jedes Zitats nur die Spitze eines Eisbergs, dessen Klfte und Abbruche in der Tiefe der termi-nologischen berlieferung kaum einer mehr berblickt und, so er es tte, nur in schroffen Wendungen berqueren knnte. Das in der Beschrn-kung hervortretende bibliographische Profil entspricht der teleskopischen Hervorhebung der metapherntheoretischen Pointen im Horizont der sprach- und zeichentheoretischen Entwrfe und ihrer rezeptionshistori-schen Bewegtheit.

    Ich danke Marieie Nientied, Dirk Mende und Katrin Trstedt, mit de-nen ich zur Zeit eine kommentierte Ausgabe von Hans Blumenbergs Me-taphorologie vorbereite, fr ihre Hilfe auch bei diesem Buch.

  • Begriffsgeschichte und Metaphorologie

  • 1. Begriffsgeschichte vs. Metaphorologie

    Die Begriffsgeschichte der Metapher ist uferlos und sthetisch wenig ergiebig. So allgegenwrtig die Metapher in der Beschrei-bung literarischer Texte ist und ein so gerne verwendetes Merkmal sthetischer Beschaffenheit sie sein soll, so wenig haben diese Verwendungen mit dem Metaphernbegriff zu tun oder sind sie in seinen vielen Varianten erfat. Es sind drei heterogene, durch zahllose Verwechslungen miteinander verschrnkte Sachlagen zu unterscheiden. Bei den berwiegend unscharfen Inanspruch-nahmen des Begriffs der Metapher zur Beschreibung literarischer Texte handelt es sich zum grten Teil um die fortgefhrte, mehr oder minder konsistent durchgehaltene, mehr oder minder ge-mischte Metaphorik der Allegorie, die Quintilian metaphora continua nannte. 1 Zu diesem grten Teil fallen die Iiteratur-, kunst- oder medien-historischen Aspekte von Metaphorik in den Bereich der Allegorie, und innerhalb dieses Teils verweisen die rropologischen Kombinationen der allegorischen Fortsetzungsproblematik, die Quintilians Bestimmung der metaphora continua erfat, zurck zum ffJaster trope der Metapher unter mehreren, traditionell dreier oder vierer Alternativen im greren Horizont der von Erasmus ma-geblich fr die Poetik der Renaissance neu behandelten copia verba-rum.

    Damit verbunden gehen, mehr oder minder thematisiert, die Typen einer philosophisch unterlegten "Hintergrundmetaphorik" im Sinne Hans Blumenbergs einher.2 Die Singularitt davon unbe-eindruckter, abgesonderter, einzelner Metaphern steht und ent-

    1 Vf. "Metaphora dis/continua: Allegorie als Vorgeschichte der Asthe-tik" (1994), Figura rryplira, S. 73-88. Vgl. Anselm Haverkamp, Bettine Menke, Artikel ,Allegorie', Aitheliuht Gn",dbegriffe: Hisloristhes Wrter-buth in siebell Bnden, ed. Karlheinz Barck & al. (Stungart: Metzler), Bd. 1 (2000), s. 49-104.

    2 Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologit, Kap. VI.

  • 20 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    steht gegen vorherrschende allegorische Kontexturen. Sie variiert nicht so sehr nach Metaphernbegriffen als im Wechsel der Tropen und scheint daher philosophisch ein Umweg. Dagegen handelt es sich bei der Verwendung von Metaphern in Hintergrundmetapho-rik um die modellierende Funktion unterschiedlicher Figurbegriffe fr die Theoriebildung der sthetik wie anderer philosophischer wissenschaftstheoretischer oder linguistischer Domnen.3 Was fr die begriffsgeschichtliche Funktion von Metaphern insgesamt gilt, da sie Voraussetzungen und Problemlagen von Theoriebildung in symptomatischen Details fabar machen, gilt fr die Geschich-te der sthetischen Theoriebildung in besonderer Weise: die "logi-sche Verlegenheit" der philosophischen Begriffsbildung, von der Blumenberg spricht, wird in der Metaphorik sthetischer Begriffe nachgerade "authentisch" gedoppelt.4

    Die von Joachim Ritter im Vorwort des von ihm begrndeten Historischtn Wrterbilchs der Philosophie abgewiesene Metaphorologie kann, ernstgenommen, den begriffsgeschichtlichen Rahmen nur sprengen, wenn auch, rumte Ritter dem Kollegen Blumenberg ein, "gerade die der Auflsung in Begrifflichkeit widerstehenden Metaphern ,Geschichte in einem radikaleren Sinne als Begriffe'5 haben" mgen.6 sthetikgeschichte in diesem radikaleren Sinne widersteht insgesamt der Geschichte ihrer Begriffe. Sofern sie auf metaphorologischen Dispositiven beruht, offenbart sie in einem radikaleren Sinne Geschichte, als es die irrefhrende, in stheti-scher Hinsicht irrelevante Geschichte der philosophischen Meta-phernbegriffe tte. Die Leistung der sthetischen Hintergrund-metaphorik ist eine philosophische und sollte deshalb nicht verwechselt werden mit der Funktion von Metaphern und Tropen in bestimmten Texten oder, im bertragenen Sinne, in den para-textuellen Arrangements und Installationen sthetischer Objekte.

    Ist die fortgefhrte Metapher in toto immer schon, sei es auch antizipierte, Allegorie, so bleibt die isolierte Einzelmetapher im-

    3 Vaihinger, Dit Philosophie Ju Als Ob. Ryle, The Conupl of MinJ. Vgl. Turbayne, Tht M_yth of Mtlaphor. Lakoff, Johnson, Mttaphors lf't Lil't ~Y Galison, "History, Philosophy, and the Central Metaphor".

    4 Blumenberg, Paradigmen, S. 10. ' Blumenberg, Paradigmen, S. 13. 6 Joachim Ritter, Vorwort, Hisloris(htJ 11-"rttrbll(h der Philosophie, ed. Joa

    chim Ritter, Karlfried Grnder&al. (Basel: Schwabe), Bd. 1 (1971), S. ix. Erich Rothacker, Geleitwon, Arrhiv fiir Btgriffsgmhhlt 1 (1955), S. 5.

  • Begriffsgeschichte vs. Metaphorologie 21

    mer paradox: sie bleibt an ihre Kontroversstellung zur orthodoxen konomie philosophischer Begriffsbildung gebunden, oder sie verharrt, ohne untergrndig wirksamen Kontext, in irreduzibler Zweideutigkeit. Als kontextuell inkommensurable Ambiguitt ist sie in einem eminent modernen Verstndnis sthetisch. Ihr einsa-mer Theoretiker, William Empson, hat mit Seven Tjpu of Ambig11ity 1930 die bis heute unbertro ene, aum etnge o e

    as e sc e om ex e uzter ar bleiben mu. Der ihm an-na ernd kongeniale philosophische Theoretiker er Metapher, Max Black, stimmt in seinem fr die sprachanalytische Metaphern-theorie mageblich gebliebenen Artikel von 1954 mit Empson in dem Ausgangsbefund der Prgnanz berein, den die irreduzible Komplexitt der Doppeldeutigkeit der Metapher im "pregnant use" des metaphorischen Vehikels aufweist und ihn wirkungsvoll: "rich or suggestive or persuasive" macht.' Denn "nicht nur die Not, sondern die Suche nach einer prgnanten Fassung treibt", so der frhe Performanztheoretiker Hans Lipps, "zur Metapher".8

    Die grundlegende Paradoxie der Metapher, die im figuralen Zu-sammenspiel der Tropen sthetische Ambiguitt erzeugt, ist syste-matisch zur "kalkulierten Absurdheit" von Stzen geronnen.9 Aber die Kalkulation absurder Stze und die Paradoxie philoso-phischer Begriffe fllt in der sthetik der Metapher nicht etwa zu-sammen, noch auch knnte sie deren Wahrnehmungshorizont ab-bilden. Im Gegenteil wird sie von der Rhetorik als dessen vorphilosophische Vorgegebenheit in Anspruch genommen. So versteht (und reduziert) Quintilian Aristoteles, und so ist er sprachanalytisch reformulierbar. Folgerichtig postuliert Longinus in seiner Schrift Peri H_ypsous die metaphorische Erhabenheit als eine Voraussetzung genuinen Philosophierens eher denn Dich-tens.w In dieser Weise ist die Rezeption Longins charakteristisch

    ' Empson, The J lnlfiNrt of Co",plex lf'ords, S. 333; zit. Black, "Metaphor" (1954), Modtls and Metaphors, S. 45, Anm. 22; dt . .,Die Metapher", Theo-rie der Metapher, S. 76. Vgl. Cavell, "Aesthetic Problems of Modem Philosophy" (1965), MNslwt Mean what 111e say? S. 73-96: 79. Davidson, .,What Metaphors Mean" (1978), InqNiries into Tn~th and Interpretation, S. 245-264; dt . .,Was Metaphern bedeuten", Dit paradoxe Metapher, S. 49-75: 73.

    8 Lipps, .,Metaphern" ( 1934), Die Verbindlhleeil d1r Jprafhe, S. 66-79: 7 4. ~ Strub, KalleNiierle AbsNrditten, S. 130-135, 436-450.

    w von Staden, "Metaphor and the Sublime: Longinus", S. 375 ff.

  • 22 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    geworden fr das Erkenntnisinteresse der Aufklrungssthetik. Sprachanalytische und poststrukturale Philosophie beweisen die Aktualitt der Metapher fr die sthetik ex negativo. Vor ihrem Hintergrund zeichnen sich die Konturen der Metapher neu ab im terminologischen Repertoire der rhetorischen Tradition und wah-ren die prekre Kontinuitt des Archivs der Termini in der Dis-kontinuitt kultureller Praktiken. Jacques Derrida hat fr solche Flle - mit ausfhrlichen Zitaten aus den Einleitungen zu Hegels Vorlesungen ber die Geschichte der Philosophie und zu den Vorlesungen ber sthetik - die "strategische" (methodische, meta-rhetorische) Rolle der Palonyme hervorgehoben, unter de-nen die Metapher der herausragende exemplarische Fall sein mu.ll

    Im strengen Sinne sthetische Relevanz hat die Metapher, so sie nicht Allegorie, nicht Teil der zur Allegorie fortgefhrten Meta-phorik ist, und zwar auf drei Ebenen: als Ambiguitt an der se-mantischen Oberflche ihrer paradoxen Verfatheit (1), die in der Tropologie, der Vielfalt der tropischen Ausdifferenzierungen wirksam ist (2), sowie schlielich in der Metaphorologie, den theo-retischen Modeliierungen von sthetik (3). Historische Phasen sind nicht primr in der Begriffsbildung, sondern hauptschlich in der Tropologie der Texte zu unterscheiden, die wieder ihrerseits Aspekte historischer Heuristiken impliziert. In den historischen Formationen von Poetik und sthetik schlagen sie als das poeto-logische Organon der historisch angesammelten Techniken zu Bu-che. Die orthodoxe Metapher der Philosophen dagegen steht aushilfsweise, als Rahmen metaphorologischer Aspekte, und das heit: nur in der jeweiligen Aktualitt der philosophischen Hori-zonte mit zur Diskussion. Lebt die orthodoxe Metapher der Philo-sophen von der aktualistischen Rekonstruktion der Begriffsbil-dungen, so erfordert die Paradoxie der Metapher deren Archo-logie.

    Die "historische Heuristik", die Johann Gustav Droysens Histo-rik auf ihre Weise und fr ihre Zwecke definierte, ist von solch ar-chologischer Art: "Die Heuristik schafft uns die Materialien (in Droysens Manuskript: den ,Stoff') zur historischen Arbeit herbei;

    11 Derrida, LA tliui~~tinalion, S. 26, Anm. 13. Positions, Entretiens avec Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpena (Paris: Minuit 1972), S. 95 f.

  • Begriffsgeschichte vs. Metaphorologie 23

    sie ist die Bergmannskunst, zu finden und ans Licht zu holen."12 Als Metapher benennt die "Archologie" ein Paradigma der Hi-storik, das die Metaphorologie der Metapher auf die Geschichte des Geistes und Wissens anwendet. In der Aufschichtung der Be-griffe zu Geschichte, ergnzt Blumenberg, knnen Metaphern als "Leitfossilien einer archaischen Schicht des Prozesses der theore-tischen Neugierde" 13 aufgefat werden: eines Prozesses, in wel-chem Metaphern die "Metakinetik geschichtlicher Sinnhorizonte und Sichtweisen"14 zu fassen erlauben und in ihren sthetik-geschichtlichen Konsequenzen abschtzbar machen. Die Heuri-stik der Metaphorologie als einer Bergmannskunst, im begriffli-chen Material (dem "Stoff', aus dem die Metaphern sind), die metaphorischen Vorkommen zu finden und ans Licht zu bringen, ist nicht ohne eine Methode zu denken, die der historischen Sym-ptomatik der Metaphernvorkommen Rechnung trgt.

    Oder, prziser, wie Fran~ois Wahl in einer denkwrdigen Bi-lanz der methodischen Grenzen des Strukturalismus sagte, die zugleich den Horizont der neueren Metapherntheorie beschreibt: "La masse des donnees historiques que nous avons devant nous ne nous fournira une reponse qu'a condition d'etre interrogee a partir d'un concept, confrontee a un paradigme." 15 Gegen die schon von Blumenberg durchkreuzten Erwartungen liegt der spezifisch s-thetische Quellenwert der Metapher nicht in der historischen Vor-kommensmassedes Ausdrucks Metapher, sondern in den paradig-matischen Paradoxien und syntagmatischen Impertinenzen, die im historischen Begriffsaufwand ungleichmig abgearbeitet sind. Die historische Bewandtnis der Metapher ist aus diesem Grund vom Feld ihrer Extensionen in der Allegorie nicht zu trennen. Im terminologischen Haushalt der Rhetorik Quintilians, der in dieser

    12 Johann Gustav Droysen, "Grundri der Historik" (1868), Htorik: I 'orlwmgtn iibtr Enzyklopdit 11nd Methodologit der Gmhirhte, ed. Rudolf Hbner (Mnchen: Oldenbourg 1937), S. 332. Vgl. R. G. Collingwood, An A11tobiograp~y (Oxford: Oxford U niversity Press 1939), Kap. 11. Foucault, L'arrhiologit d11 JOI'oir, Teil 4.

    1.1 Blumenberg, "Ausblick auf eine Theorie der Unbcgrifflichkeit" (1979), Asthetisrht 11ntl metaphorologisrht Srhriften, S. 193-209: 193.

    u Blumcnberg, Paradigmen, S. 13. '" Fran~ois Wahl, .,Qu'est-ce que Je strucruralismc? 5. Philosophie" (Pa-

    ris: Seuil 1968), S. 15-16; dt. "Die Philosophie diesseits und jenseits des Strukturalismus", Einfohn~ng in den Stn~lclllralismiiJ (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1973), S. 323-480: 326.

  • 24 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    Hinsicht traditionsmchtigsten Theorieformation, heit das bis heute, da die sthetische Theorie der Allegorie in der Theorie der Metapher angelegt ist, da in dieser folglich nur die Anschlustel-len einer metaphorologischen Historik zu prparieren sind, wh-rend deren sthetikgeschichtliche Begriffspraxis weithin unter den Begriff Allegorie f:illt und unter deren Bedingungen zu verhandeln sind. Nur in der metaphorologischen Modellierung des sthetik-begriffs selbst f:illt sie unmittelbar unter die Metapher. 16

    16 Vf. Artikel "Allegorie", Arth~tisrht Gnmdbegriffi, Bd. 1, Einleitung: S. 49-51.

  • 2. Archologie der antiken

    Einfhrungskonstellation

    Die historischen Definitionen der Metapher variieren im Um-fang, 1 haben aber einen harten substitutionstheoretischen Kern, der auf keine Weise, auch nicht linguistisch, hinreichend ist, son-dern seit der Antike auf unterschiedliche theoretische Vervollstn-digungen, ontologische und referenztheoretische Unterstellungen angewiesen war. Der zweitausendjhrige Stand der Dinge, ber lngere Zwischenzeiten verschttet, ist von Quintilians Institutio oratoria hergestellt worden, in der Ciceros bersetzungsleistung, translatio, aus der Terminologie der Griechen, im Fall der Meta-pher aus der aristotelischen Poetik, auf eine Grundlage gestellt ist, die Quintilian folgenreich institutio nennt. 2 Quintilian bringt darin das Lernen von Sprache als gesellschafts- und traditionsbildende Praxis auf operative Begriffe: eine institutionelle Pointe, die Bacon in der kongenialen Formel vom Advanmnent of L:aming zum neu-zeitlichen Programm wiedererweckt hat;3 Von dem weitgehend bersehenen "third part of learning, which is poesy"sagt Bacon "1 can report no deficience. "4 Kurioserweise nennt Bacon diesen Teil

    1 Hans-Heinrich lieb, .,Was bezeichnet der herkmmliche Begriff der ,Metapher'?'' (1967), Theorie dtr Metapher, S. 340--355. Cornelis Ferdi-nand Petrus Stutterheim, Hel Begrip Mttaphoor. Etn tal/lu111Jig '" ll'ijrgee-n'g ontlertotlc (Amsterdam: H. J. Paris 1941).

    2 Aristoteles, Pott. 21, 1457 b 6-9. Rbtl. ad Her. 4.34.45. Cicero, De or. 3.38-39. Quintilian, lnrl. 8.6.4.

    1 Vgl. George Campbell, Tht Philorophy of Rlutori( (1 776), ed. Uoyd F. Bitzer (Carbondale IL: Southem Illinois University Press 1963). Wil-bur S. Howell, Eightunth-Crnt11ry Brilirh Logif and RiJelor (Princeton NJ: Princeton University Press 1 971), S. 698 f.

    Francis Bacon, Dt aNgmtnlir 2.4.5. Tht Advanumtnl of Ltaming, ed. Jerry Weinberger (Philadelphia PA: Philadelphia University Press 2001), S. 82.

  • 26 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    "parabolical",5 was eine von Thomas von Aquin dem mehrfachen Schriftsinn der Bibel entgegengestellte, skulare Metaphorik zi-tien,6 deren sthetische Vorluferrolle von Umberto Eco erst wie-dererkannt worden ist. 7

    Als Begriff hat die Metapher ihre griechische Herkunft nie ab-gelegt. Das Paradigma der bertragung, die die lateinische ber-setzung zu ihrer Sache erkJn, hat sich als der dauerhafteste unter allen rhetorischen Termini erwiesen. In der Selbstthematisierung der Modellfunktion der Rhetorik seit Quintilians lnstiflltio hat die Metapher nicht ihresgleichen, und Quintilian hat aus keinem ande-ren Grund ihre philosophische Prominenz in den Grundri der in-stitlltio eingebaut.8 In derselben Weise, wie die Metapher die Funk-tion der Tropen und Figuren darstellt, machen die Tropen- und Figurenkapitel die Funktion der Begriffe in der lnsti1111io oratoria insgesamt exemplarisch, so da man unterscheiden mu, da die Metapher bei Quintilian nicht in dem, was und wie sie wirkt, zen-tral ist (dies gerade nicht), sondern durch das, was an ihrer Funk-tionsweise abgelesen werden kann. Als Tropus text-marginal, ist die paradoxe Randlage der Metapher selbst rhetorik-zentral.9

    Quintilian beginnt mit der Metapher ("lncipiamus") als dem bewhnermaen "hufigsten und bei weitem schnsten" der Tro-pen, nachdem er vorweg deren allgemeinste Bestimmung der mutatio als translatio qualifizien und in der bersetzung der griechi-schen metaphorti thematisiert gefunden hat. lfl Die Transfer-Quali-tt, die fr Quintilian die Metapher exemplarisch macht fr alle tropischen Mutationen, ist von einer doppelten Notwendigkeit: sie macht es mglich, da es bei Nomen und Verben keine Ausfallser-

    5 Bacon, Dt a11gmmliJ 2.4.4. (engl. S. 81). 1' Thomas von Aquin, S11mma thtologica Ia 1.1 0. " Umberro Eco, Artt t btlltzza nel/'uttlka mrdievalt (Milano: Bompiani

    1987), S. 95-98; II problmta tsle/o in Tommaso d'Aq11ino (Milano: Bom-piani 1956). Vf . .,Geld und Geist: Die Metapher des Geldes und die Struktur der Offenbarung", KapitalismNJ als Rrligion, ed. Dirk Baecker (Berlin: Kadmos Verlag 2003), S. 175-188.

    8 Quintilian, Ins/. 8.6.4-18. Blumenberg, .,Anthropologische Annhe-rung an die Aktualitt der Rhetorik" (1971 ), Asthetischt 11nd mrtaphorolo-gischr Schriftm, S. 416.

    q Rodolphe Gasche, Tht Taitt of tht Mirror, S. 278-282. Wellbery, .,Re-trait/Re-entry: Zur poststrukturalistischen Metapherndiskussion", S. 201.

    1" Quintilian, lttsl. 8.6.1-4. Hier und im folgenden meine ad hoc ber-

    setzungen und Paraphrasen.

  • Archologie der antiken Einfhrungskonstellation 27

    scheinungen gibt dort, wo im Juus das proprium fehlt oder aber auch wo die bertragung angemessener ist: Transftrtur ergo nomen auf l'trbum ex eo lo(o in quo propri11m ul, in etlfll in q11o auf proprium deesf auf translatum proprio meli11s es/. 11 (\Vas bertragen wird in der Meta-pher, ist ein Nomen oder Verb, und zwar von dem Ort, an dem es ~h~ ist und eigentlich gebraucht wird, auf einen Ort, wo ~der bliche, eigentliche Gebrauch fehlt oder der bertra-gene besser ist.) Georg Ludwig Spalding, der letzte bedeutende Quintilian-Kommentator, legt zu Recht den grten Wert auf das proto-syntaktische Gefge der Stellen, Iod, das an dieser Stelle grundlegend ist und diese seine Grndlichkeit in der Metapher entfaltet: Cum aliquot verba lam mature lransierint in alios signifi(a/us, possunf in ipsis etiam translatis novi fieri tropiY (\Venn Worte einmal vollstndig in andere Bedeutungen bergegangen sind, knnen auch an der Stelle dieser bertragungen neue Tropen treten.)

    Die Metapher setzt also nicht nur Syntax und Satz voraus, sie manifestiert sie als Voraussetzung von deren Setzungsbedingung in einem beweglichen Stellenrahmen der bertragbarkeit. Das ist etwas anderes als die oft behauptete "ursprngliche Metaphorik" der Sprache. Im Gegenteil setzt die Metapher in ihrer Stellenbe-weglichkeit die Stelle des nomenvoraus und wirtschaftet mit ihr, sei es als ursprnglicher Benennung oder sei es als konventionellem Gebrauch. Die grundlegende Voraussetzung der Metapher gleicht deshalb der des Paradigmas, wie die Ltticher Schule der Rhitoriq11e ginirale unterstrichen hat: "La definition du paradigme est, structu-rellement, identique a celle de Ia metaphore: au point qu'il est loi-sible de considerer cette derniere comme un paradigme deploye en syntagme."'-' Daraus eine quasi-transzendentale Gegebenheit zu machen, geschweige denn diese dann in mythischer Ursprnglich-keit zu fixieren, war Quintilians Sache allerdings nicht.

    Da der ,eigentliche' Ausdruck, das propri11m, von dem die kunstgerechte mutatio der Tropen ihren Ausgang nimmt, relativ ist und in dieser Relativitt zur weiteren bertragung von der m11tatio der Metapher zur Fortfhrung der metaphora (Onlinlla in der Allego-

    11 Quintilian, lnst. 8.6.5. Vf. "Metaphora dis/continua, Kommemar, S. 41-42 zur Stelle.

    12 Spalding, Kommemar, Bd. 3 (1798), S. 303: Ins/. 8.6.2. n Jacques Dubois & al. (Groupe M), Rhitoriq11t giniralt, S. 116; dt. Al/gt

    mtint RJutorile, S. 192. Vf. "Paradigma Metapher, Metapher Paradigma" (1987), J)it paraJoxt Mttaphtr, S. 268-286: 271, 286.

  • 28 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    rie fhrt, gehrt zur rhetorischen Genealogie der Allegorie und ist dort zu verhandeln. Fr die Metapher selbst ist entscheidend, da keiner Sache der Name, das grammatische nomen abgeht, und da auf der Grundlage der metaphorisch eintretenden Tropen immer neue auftreten knnen. Nietzsches rhetorische Hauptquelle, Gu-stav Gerber, hat aus der spezifisch poetischen Eignung des meta-phorisch Mglichen, "wie die Wrter in Bezug auf ihre Bedeutung an sich selbst Tropen sind", die moderne Konsequenz abgeleitet und von "sthetischen Figuren" gesprochen. 14 Der Nietzsche wie-derverdankte ",Trieb zur Metaphernbildung' endet nicht bei der Metapher als einer Figur, sondern er pluralisiert die bertra-gung"1S, ganz wie Spaldings Kommentar und Gerbers Theorie es gesehen hatten. Seit der Renaissance ist das von Harold Bloom so genannte "re-troping" als Quintessenz der Rhetorik Quintilians erkannt und gegen die in der Allegorese scholastisch gewordene Unterstellung des biblisch gegebenen Literalsions gewendet wor-den.16

    Die rhetorische Theorie der comporitio beschreibt solche Re-arrangements und ihre Schemata. In der stark theorie-orientierten, vor- und pseudo-ciceronianischen Rhetorica ad Herrnni11m soll die treffende, aber singulr gebliebene Bestimmung der perm11tatio (die bei Quintilian, der dies Buch insgesamt ignoriert, kaum Spuren hinterlassen hat) den Sachverhalt in seiner ganzen Breite, noch ber die problematische Grenze von Tropen und Figuren hinweg abdecken. 17 Cicero, der die griechischen Termini vorzog und als erster im Lateinischen brauchte, sprach von lra[nsJiatio, was Quin-tilian, der sich durchgehend auf Cicero bezieht, bernommen hat. 18 Es scheint, mit der Wahl der per-mMiatio, die Quintilians metaphora conlinMa indirekt aufgreift und auf die Weiterentwicklung des Tropus zur Figur bezieht, gibt die Herennius-Rhetorik die all-gemeinere, theoretisch womglich klarere Version dessen, was Quintilian in einen komplexen, in spteren Zeiten immer weniger durchschauten bergang ausdifferenziert. Das grundlegende, in

    14 Gerber, Dit Sprafbe als KM11sl, Bd. 1, S. 309. 15 Otto, lf'mdllll!l" der Melapher, S. 459. 16 Bloom, A Mt~p oj MisrraJi11g, S. 93ff. Cavc:, Tbt Conutcopit~ll Ttxl, S.

    110 ff. 17 R.lJtl. ad HtnflniNm, 4.34.46. Vgl. P. G. W. Glare, Oxford l.Aii11 Dirlionary

    (Oxford: Oxford University Press 1982), S. 1347. 18 Cicero, Dt or. 3.41.166; Or. 27.94. Quintilian, l11st. 9.2.46.

  • Archologie der antiken Einftihrungskonstc:llation 29

    der Praxis schwierige Kriterium, auf das es Quintilian ankommt, ist selbst einfach: "Der Tropus hat es [ ... ]mit dem einzelnen Wort zu thun, an dessen Stelle ein anderes gesetzt wird, die Figur dage-gen mit der inneren Verbindung der Wrter unter einander, wel-che verndert wird, ohne dass die ursprngliche Bedeutung der Wrter verndert wrde", lautet das zuverlssige Referat Richard Volkmanns.19 Die syntaktische, "innere Verbindung der Wrter" ndert die Bedeutung der in sie eingegangenen Wrter nicht zu-stzlich, denn die perm11tatio liegt ihr voraus; sie geht gegebenen-falls sogar als ganze in die syntaktische Verbindung ein und wird in ihr verstrkt. Es scheint geradezu die semantische Pointe des Begriffs der perm11tatio zu sein, den griechischen Begriff so zu in-terpretieren, da er eine nderung von Bedeutung bedeutet im Hinblick auf deren syntaktische Kombinierbarkeit und Entfal-tungsmglichkeit.

    Anstelle des spteren Vorurteils, da die wortsemantische n-derung, die in der Metapher der Allegorie vorausliegt, in der Ent-faltung zur Gedankenfigur nichts als ,Gedanken' zum Inhalt htte, steht bei Quintilian ein proto-syntaktisches Bndel von Bestim-mungen, die den semantischen Begriff der ber die Tropen gelei-steten 11111/atio modifizieren und in schrittweiser Entfaltung der 11111/atio von den Tropen zu den Figuren fhren, mit deren termi-nologisch beziehungsreicher, aber weitgehend ungeklrter Einfh-rung das Tropenkapitel einsetzt.20 Der Begriff der 11111/atio, heit es dort, ist selbst schon translatio, und sei es auch nur in der logisch simplen Form einer s11ppositio simplex, in der die 11111/atio das griechi-sche Wort tropi in sein lateinisches quivalent bersetzt, so wie die bertragung dieser translatio das griechische Wort 111tlaphorti bersetzt, und diese lateinische bersetzung des griechischen Wortes fr ,bersetzung' nach Quintilian am juristischen Stan-dard des verbu111 pro ~trbo, das ist: der grtmglichen Wrtlichkeit in der bersetzung des im Gesetz Gesetzten zu ermessen ist. 21 Die grundlegende Bedeutung des bersetzungsbegriffs fr den Begriff der mulalio, wie er an der bersetzung der griechischen Termini ins Lateinische gewonnen ist, ist aus der Anlage der Tro-penlehre nicht wegzudenken.

    1'1 Volkmann, Die Rhtlorilr. drr Griethe" llfrd Rmer, S. 460. 2n Quintilian, I frSI. 8.6.1-3. 21 Vgl. Cornelia Vismann, "Wort fr Wort: bersetzung und Gesetz",

    Die Sprarht der Andtml. btrstJtNngspolitilr. ZJI'iuhtn dtn KMIINrtn, ed. An-selm Haverkamp (Frankfurt/M.: Fischer 1997), S. 147-165.

  • 30 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    Es ist unklar, wieviel und welche Logik aus dem torptu der logica vetus, welche stoischen Reste, fr die Darstellung Quintilians von Einflu waren. Immerhin lt eine Reihe suppositionstheoreti-scher Unterscheidungen der spteren, scholastischen Logik, der logita 111odmta, einige Rckschlsse zu. Fat man nmlich die erste, simple Supposition der mutatio als allgemeinste Form der suppositio i111propria auf, fr welche als lranslalio poth(a die Metapher exempla-risch gilt, dann setzt sich diese Entsprechung in der fortgesetzten lranslatio der metapbora tonlinua fort und rechtfertigt die Kontinuitt im Gebrauch des Metaphernbegriffs.22 An dem Tropus der Alle-gorie zeigt sich diese Entsprechung darin, da sie beides sein kann, Tropus und Figur: Sie ist eine Trope wie die Metapher und diejenige Figur, die als Fortfhrung der Metapher zum Tragen kommt. Da sie wie eine Metapher funktioniert, heit nicht, da sie eine ist, sondern da sie wie alle Tropen qua permutalio an der bertragungsleistung der Metapher qua lranslatio partizipiert. Sie besitzt die Flexibilitt der Tropen, die in der bertragungsleistung der Metapher ihr akkreditiertes Modell hat. Das ist alles andere als unproblematisch, denn es tuscht ber ein wesentliches Bewe-gungsmoment hinweg: griech. tropi, .,turn, turning", ist nicht das-selbe wie metapbord, "transference". 23 Friedrich "''ilhelm Riemer (Goethes Riemer), der in seinem Lexikon poetologische Interes-sen verfolgte, verzeichnete unter 111e1aphord "auch was wir Allego-rie oder allegorisch nennen", fhrte aber unter tnipos mit der Stan-dard-bersetzung .,Wendung" die grammatisch-syntaktische ber-setzung "Stellung" an, welche die tropologische Voraussetzung dafr ist, da es von der Metapher zur Allegorie kommt und in ihr dabei bleibt.24 So da Lorenz Diefenbach wenig spter, Fortsetzer des mittellateinischen Wrterbuchs von Du Cange, unter /ranslatio die juristische Perspektive der .,Vernderung" noch vor "berset-zung" (und "der andere Text'} privilegiert, unter metapbord dage-gen die Bandbreite von "Beispiel" zu "Gleichnis" fhrt. 2;

    22 Jan Pinborg, Logilt 1111d Stillantik i111 Millelalltr (Srurtgart: Frommann-Holzboog 1972), S. 31, 59.

    23 Henry George Liddl, Robert Scott, A Grult-Englhh Lexicon (Oxford: Oxford Universiry Press 1846, 1996), S. 1118 llltlaphorti, 1896 tropi. 2~ Friedrich Wilhclm Riemer, Gritthisrh-DeNtsrhts Hand-IY'rttrbNrh fiir An-

    fiinger 1111d Frt11nde der griuhisrhen Spracht, Bd. 2 Qena, Leipzig: From-mann, 3. Aufl. 1820), S. 113 "metaphora"; 907 "trpos".

    2; Laurenrius Diefenbach, G/ossanN/11 Latino-Gmllalli(/1111 lllttliat et i11_{imat

  • Archologie der antiken EinfhrungskonsteUation 31

    Riemers ungefahrer Zeitgenosse Spalding unterstreicht, wie ge-sagt, anllich des oft miverstandenen Unterschieds von propri11111 und Iransfatum den syntaktischen Ort, locus, an dem ein propri11111 fehlt oder ein Iransfatum "besser" (angebracht, vertretbar, erhel-lend) scheint: er ist die Voraussetzung dafr, da keiner Sache der Name, das grammatische nomen, abgeht, da dann aber auf der Grundlage der eingetretenen Tropen neue aufsitzen knnen.u' Gerber, wie vor ihm in Anstzen schon A. F. Bernhardi in seiner Sprachlehre, hat die letzte verstndliche Darstellung dieses Zu-sammenhangs gegeben (man kann die Stelle nicht oft genug wie-derholen): "Im Leben der Sprache gibt der 111111 den Bedeutungen einen gewissen Halt, und diese erhalten dadurch ein Anrecht als die eigentlichen (leyria kai /eoina onomata) zu gelten, wogegen, wenn die dem Lautgebilde eigene Natur des tr6po1 in einer Umwandlung der Bedeutung wieder hervortritt, dieses Neue als das Uneigentliche (aleyron) erscheint. " 2' Gerbers "sthetische Figuren" beruhen auf der Relativitt dieses "retroping"; seine wie Bernhardis Spekula-tionen ber eine "primre Bildlichkeit", die bei Nietzsche Wir-kung tun, haben darin ihr relatives Recht, da die nach Quintilian beschriebene Metaphorizitt eher eine primre als eine sekundre, konventionelle Qualitt ist, und als solche soll sie die sthetische Qualifikation von Sprache ausmachen.28

    Die Mutations-These (Tropen sind "Anderungskategorien")29 und ihr Translations-Supplement (Tropen partizipieren folglich in ihrer Anderungsfahigkeit an der bertragungsleistung der Meta-pher), mit denen Quintilian die relative, paradigma-bildende Prio-ritt der Metapher unterfangt, lehnt sich an die Behandlung der Metapher in der aristotelischen Potfile an, nicht ohne deren Gel-tung fr die Rhetorik in doppelten, bei Aristoteles so nicht gezo-genen Grenzen zu halten. Als die "bei weitem schnste" der Tro-pen sorgt die Metapher fr den ntigen Reichtum, copia, der Sprache, gewi, aber die von Quintilian zitierte Einschtzung des Philosophen, da ihre Beherrschung "bei weitem das Wichtigste"

    fltlalis (Frankfurt ad moenum: Baer 1857), S. 359 Metaphora, 593 Trans-latio.

    26 Spalding, Kommentar, Bd. 3 (1808), S. 303/4 (ad 8.6.2-4). 27 Gerber, Die Sprflfht als Kunst, Bd. 2: S. 19. 28 Vgl. Rdiger Campe, "Rhetorik-Forschungen (und Rhetorik)", MLN

    (hlodtrn Langwagt Notu) 109 (1994), S. 519-534:531. l'J Lausberg, Htlntlb11ch titr littrarisfhtn Rhttorile, Bd. 1, 552-598.

  • 32 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    sei, geht auf einen Grund zurck, den der Rhetorik-Theoretiker nicht zu teilen vermag: Da "gute Metaphern zu bilden bedeutet, da man hnlichkeiten zu erkennen vermag"30, heit nicht, da der Rhetorik an einer Ontologie der hnlichkeit gelegen sein knnte. Wohl mag die ontologische, kosmische Unterlegung der Metapher zur poetisch imitativen Auslegung der Welt geeignet sein, aber das wiederum ist Quintilians Sache nicht: "intellectually satisfying resemblances"31 , wie das khle, moderne Fazit lautet, gibt die rhetorische Attraktion des von Quintilian beigezogenen Sachverhalts vielleicht am besten, ohne das philosophische Prju-diz wieder, das die Rhetorik Quintilians mit Flei vermeidet. Das dies Prjudiz nicht zwangslufig, sondern nur konventionell das der aristotelischen Ontologie ist, zeigt der ungleich abstraktere, atomistische Begriff der tropi, der keinesfalls die bertragung und den Transport der metaphorti in einem ontologisch geordneten Raum meint, sondern eine Wendung ("turn" im englischen Fach-gebrauch, noch nicht "twist")32, wie sie der Strich im Duktus der Schrift darstellt: der eindimensionale Verlauf von .,im Leeren schwingenden Punkten".33

    Eine ebenso charakteristische terminologische Variante, die Quintilian vermeidet, ist die Vereinfachung der RiJtlorira ad Heren-nillm, die das Wort Metapher erst gar nicht als Quelle der lranslatio angibt, sondern mit diesem Begriff das bertragungsmodell ohne Umstnde installiert. Die Stelle der Metapher im vollen, von Quintilian gewahrten Umfang fallt damit einer abtuio genannten Figur zu, die verbo simili tl propinq11o pro urlo tl proprio ab11tit11r (ein hnliches, nahe verwandtes Wort statt des bestimmten, eigentli-chen fehl-verwendet) 34, also das ist, was seit Quintilian in der Tra-dition Katachrese heit. 35 Manches spricht fr diese ltere kono-mie der Termini, wenn man ab11sio nicht so sehr als Mibrauch denn als Ausschpfen des semantisch Mglichen auffat. In die-

    J

  • Archologie der antiken Einfhrungskonstellation 33

    sem Sinne ist die Katachrese die in ihrem authentischen Potential verbrauchte, erschpfte Metapher, sowie dann wieder, am Beginn ihrer erneuten Karriere, die in ihrer Potenz eben erkannte. Die proportionale Entsprechung von lebendiger Metapher und toter Katachrese; voller Figur und totaler Nicht-Figur, nihil ipse signifi-cans (die selbst, fr sich genommen nichts bezeichnet),3l' ist cha-rakteristisch fr Quintilians Umsetzung der Anregung des Aristo-teles.

    Tatschlich wre es eine ntige Aufgabe, die rhetorische Um-schreibung des Aristoteles bei Quintilian en detail neu darzustel-len. Was bei Aristoteles als eine poetologische Heuristik - "da man Metaphern zu finden wei"37 - auf ontologischer Grundlage steht, ist bei Quintilian eine rhetorische Heuristik mit poetischen Konsequenzen. Vielfltige Interessenlagen und Rcksichten auf Darstellbarkeit verbinden mit dem IIJNJ, der das propriNm bestimmt, eine Wirklichkeit, die ontologisch begrndet, theologisch garan-tiert oder wissenschaftlich erforschbar ist und die Konsistenz oder Resistenz einer Welt bietet. 38 Was Quintilian daran interessiert und mit Aristoteles verbindet, ist der Ausgang von der alltglichen Rhetorik des Gegebenen, im Unterschied zu der Rhetorik des Er-habenen. ,Referenz' ist der neuere sprachphilosophische Inbegriff dessen, was an gegebener auersprachlicher Realitt in Form von "referential features" das propriNm im IIJNJ der Wrter bestimmt.39 Die irregeleitete Identifizierung des allegorischen oder post-alle-gorischen Literalsions mit der referentiellen Funktion der Sprache ist so unntig wie das von Quintilian in Aristoteles gemiedene on-tologische Fundament. Eine Quintilian gerechter werdende, skep-tische Auffassung hat Nietzsche in seinen Rhetorik-Vorlesungen bewiesen: "Eine Figur, welche keine Abnehmer findet, wird Feh-ler. Ein von irgend einem NJNJ angenommener Fehler wird eine Figur."40

    16 Quintilian, Ins/. 8.6.38. -'

    7 Aristoteles, Poet. 22, 1459 a; dt. Fuhrmann, S. 94. 18 Blumenberg, "Wirklichkeitsbegriff und Mglichkeit des Romans"

    (1964), Asthttischt und mttaphorologisrht Sthrifttn, S. 47-73. -

    19 Gareth Evans, Tht l/arittitJ of Rrfmnte, ed. John McDowell (Oxford: Clarendon Press 1982), S. 31 1. ~n Nietzsche, "Darstellung der antiken Rhetorik" (1874), S. 413-502.

    Vgl. Norbert Bolz, Eint kurze Gmhhlt du Srhtins (Mnchen: Fink 1 992), S. 60 ff.

  • 34 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    Aristoteles' Definition war kategorial, insofern sie an der Stelle, an der Quintilian die Metapher als mutatio einfhrt und als trans-latio bersetzt, die Metapher als ,Epipher' (mttaphord als tpiphora) erluterte, eine Variation, wrde Quintilian zugeben, die ebenfalls bertragung heit, aber nicht im Lexikon, sondern auf der Kategorientafel spielt und das Verhltnis von Gattung und Spezies durchgeht, darber aber in einem folgenreichen Punkt hinausgeht und das ontologische Kategorienspiel hinterrcks in ein proble-matisches Licht setzt: durch die Unterstellung der proportionalen Analogie.41 Nimmt man die strukturelle Analogie der Proportion zum Schlssel der metaphorischen bertragbarkeit, kommt man zu einer kategorialen bergngigkeit, die zwar, wie Philip \Vheel-wright versucht hat, eine "ontologische Metapoetik" begrnden,42 aber ebenso Anla fr epochal wirksame "category mistakes" sein kann.43

    Quintilians Benennungsnotwendigkeiten haben zwei Voraus-setzungen, die nicht mehr gelufig sind und deshalb historisch zu imputieren sind, will man falsche Konsequenzen vermeiden und erklren, was sie in ihrer anhaltenden Insistenz motiviert. Die grundstzliche Ersetzbarkeit, welche die Metapher immer neu setzbar macht und ersetzbar hlt, setzt keinen Literalsion voraus, wie man das proprium fortgesetzt miversteht, sondern macht um-gekehrt dessen mittelfristige Dauerhaftigkeit aus. Was das lqrion onoma des Aristoteles dagegen unersetzbar und nur kosmisch, durch tpithtla ausschmckbar, schmckenswert und schmckens-notwendig, machte, ist die prinzipielle ontologische Ordnung, in der diese Ersetzbarkeit gegeben ist. Blumenberg hat sie in den la-pidaren Grundsatz, die Ausgangslage seiner Metaphorologie, gefat: "Kosmos und Logos waren Korrelate."44 War "der Logos prinzipiell dem Ganzen des Seienden gewachsen" (Quintilian ht-te ,tendenziell' gesagt, und das reichte fr das Projekt der rhetori-schen institutio), dann ist Ersetzbarkeil grundstzlich gegeben, und nur die onto-theologische Setzungswrde, \vie sie Longinus her-

    ~ 1 Aristoteles, Poet. 21, 1457b. Ric

  • Archologie der antiken Einfhrungskonstellation 35

    ausstellen wird, verlangt jetzt die Nachordnung der tpithtla ornan-lia. Die Festschreibung des Literalsions als eines wie von Natur gegebenen Sinnes dagegen konnte erst mit der heilsgeschichtli-chen Abfolge der Testamente in Kraft treten, womit jeder Meta-pher dann nicht nur eine Iiterale Bedeutung, sondern der gehrige allegorische Stellenwert zuwuchs.

    Es ist die moderne Kehrseite dieser Medaille, die kosmisch un-problematische, durch den Einbruch christlicher Transzendenz neu fundierte Ersetzbarkeit mit dem glatten Gegenteil von Unersetzbarkeits-Unterstellungen und Erwartungen zu konfron-tieren. Freilich ist deren Pathos ein aus der Rhetorik des Erhabe-nen geliehenes und das Problem eines der modernen Linguistik. Die Vermutung ist nur zu berechtigt, da die vermeintlich wortse-mantische Beschrnkung der antiken Rhetorik eine Reformulie-rungsschwche der Linguistik anzeigt, whrend "faktisch auch die Rhetorik immer schon die Satzstruktur der Metapher annehmen mute"Y' Das tat sie nicht nur de facto, sondern sie theoretisierte sie ausgiebig, wenn auch an einer anderen Stelle, weil sie weder wort- noch satzsemantisch operierte, sondern protosyntaktisch verfuhr und von exemplarischen Bedingungsbndeln der Redever-fassung, darunter mageblich den Tropen und Figuren, ausging. Es ist deshalb wenig sinnvoll, die neuen linguistischen Parameter zurckzuschreiben und der Tradition hinterrcks berzustlpen, und, noch einfltiger, die Vielfalt der paradigmatisch proliferieren-den, inkommensurablen Anstze synthetisieren zu wollen. Auch die Beschwerde, da die strukturalistischen Reformulierungsinitia-tiven den Horizont der rhetorischen Vorgaben nicht berschrei-ten konnten, weil sie "auf Grund (ihres) Sprachimmanentismus vor dem Phnomen der Metapher scheitern" muten,46 verkennt das rhetorische wie das supplementre sthetische Projekt zur Gnze. Quintilians professioneller Ehrgeiz war von systemati-schen oder phnomenologischen Gesamtansichten unbeeindruckt. Er hatte jeden Anflug meta-theoretischer Quasi-Rationalitt abge-wiesen, wiewohl man ihn so erst wieder lesen lernen und von den jahrhundertealten dogmengeschichtlichen bermalungen seiner Rezeption befreien mu.

    45 Christian Strub, KalkHii'rl' AbsHrdittm, S. 45. 46 Ekkehard Eggs, Artikel ,Metapher', HistoriJ(hes W'rt,rbudJ der Rhttorik,

    ed. Gert l'eding (fbingen: Niemeyer), Bd. 5 (2001), Sp. 1102.

  • 36 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    Ein Groteil der neueren Metapherntheorien, handgreiflich seit I. A. Richards' Philosopl!J of Rhetoric von 1936, hat die minimale Kontextur der Metapher in den rhetorischen Vorgaben zu identi-fizieren und nachzukonstruieren gelernt, wobei beides, die syntag-matische Rahmung durch Jakobsan und Black und die paradigma-tische Fokussierung und Pointierung durch Black und Lacan, alten Formeln neues Gewicht gab. Von sthetischem Interesse waren solche Reformulierungen aus zwei Grnden: der sthetik und des Historismus, die in der Modeme unabhngig voneinander geltend gemacht, aber jeweils so radikal formuliert worden sind, da man die Wiederherstellung des Quintilianischen Ansatzes in ihnen ber dem ostentativen Abbau der berholten historischen berbau-ungen glatt bersehen hat. Sie wurden nebeneinander von Vico und Baumgarten ausgearbeitet und betreffen die sthetische Inkommensurabilitt der metaphorischen Tropen und die histori-sche Intertextualitt ihrer langfristigen Anknpfungs- und Abl-sungsmechanismen. Da Vicos Srient,a n11ova (1725/44) und Baum-gartens Aesthetica (1750-58) die Neuheit ihrer Anstze im Titel tragen, lt ihre Tropen- und Figurenkapitel wie berfallige Moti-vationsreste erscheinen. Nichts knnte falscher sein. Schon Baum-gartens frhe These zur ,singulren' Natur des ,Gedichts' ist ohne die singulre Natur der Metapher nicht zu denken.4"' Und Vicos Entdeckung, die historische Formierung der vier Haupttropen, die im ricorso als "univoke Allegorien" wiederkehren,48 impli2iert mit der Wiederkehr der Tropen das kontingente Umspringen des Um-besetzungsapparates, der funktional verdoppelten Metapher.

    Die von Aristoteles festgehaltene doppelte Eignung der Meta-pher als Grundfigur und Inbegriff der Tropen vertritt in der Heu-ristik Quintilians die Prinzipienlehre und exemplifiziert in einem das Prinzip der Vertretung. Die Rolle der Beispiele fr die exem-plarische Einfhrung, instit11tio, der Rhetorik ist hier zentral: sie er-setzen Definitionen, indem sie deren Reichweite vorfhren. So da man anhand der Metapher sagen kann, da sie nicht so sehr definieren als ihrerseits das eine Moment der exemplarischen Ein-fhrung pointieren, an dem Theorie sich ergibt, womglich aber

    47 Baumgartcn, Mtditationu philoiophirat dt nonnNIIii aJ potma ptrtinmlihNJ (1735).

    48 Ferdinand Fellmann, DaJ Vo-Axiom (Freiburg: Alber 1976), S. 39. Jrgen Trabant, Ntllt WiuenJfhaft von alten Ztirhtn: I 'iroJ Jtmatologit (Frankfurt/M.: Suhrkamp 1994), S. 82 ff.

  • Archologie der antiken Einfhrungskonstellation 37

    auch schon erledigt. Quintilians wie Ciceros Erkenntnispragmatik resultiert in der instit11tio der Redekunst als der Praxis einer Theo-rie. Diese kann ihrerseits wohl impliziten Nutzen aus einer Theo-rie der Praxis dieser Theorie ziehen, aber sie kann dem Primat der Praxis unmglich zuwiderlaufen und mu es mit der lmplizitheit des kunstgerechten know how gut sein lassen.49

    Indessen ist die erkenntnispragmatische Beschrnkung keine Anpassung an praktische Zwecke, sondern liegt in der sprachli-chen Natur der Sache begrndet: der paradigmatischen Gegeben-heit des Bestandes sprachlicher Formen. Aus diesem Grunde kann das Gleichnis bei Quintilian als das exemplarische Syntagma fr die Metapher im Ganzen dienen: In tot11m a11tem metaphora brevior est similit11do. 50 (Aufs Ganze gesehen ist die Metapher nmlich ein kr-zeres Gleichnis.) Das heit: Insgesamt gleicht die Metapher der im Gleichnis hergestellten Vergleichbarkeit, wenngleich sie gerade darin von ihr unterschieden bleibt, da sie die Vergleichsstruktur nicht explizit macht wie es der Vergleich, romparatio, tun mu.51 Das unmittelbar fr die Sache, ru, Eintreten der metaphorischen translatio hat eine spezifische performative Kraft, vis, die Quintilian wie Aristoteles in vierfacher Hinsicht erlutert: H11i11s vis omnis qt~a

    dn~plex ma:.:ime videt11r. 52 (Deren, der translatio, ganze Kraft kommt vierfach zur vollen Wirkung.) Sie geht in diesen Variationen, wie die Beispiele zeigen, aber nicht auf ihre theoretische, aristotelische Pointierung zurck, sie findet darin nur das Feld ihrer Effektivitt be- und um-schrieben. Was der Vergleich der Metapher mit dem Vergleich herausbringt und an der Metapher als verkrztem Ver-gleich an performativer Kraft freisetzt, steht schon bei Aristoteles, wie Ricc:rur bemerkt hat: ein rtselhafter "coup de genie de Ia metaphore qui joindra Ia poetique a l'ontologie".53

    Quintilian lst das Rtsel nicht, denn Rhetorik lst keine Rt-sel, sie nutzt die Latenz des performativ Mglichen, und die be-steht darin, wie Aristoteles klar sagt und Ricc:rur treffend zusam-

    49 Blumenberg, Paradigmen, Kap. 2. Vgl. Niklas Luhmann, "Die Praxis der Theorie" (1969), Jo'{jologische Auflclrung, Bd. I (Opladen: West-deutscher Verlag 1970), S. 253-267: 254.

    51' Quintilian, Ins/. 8.6.8. Vgl. Ass fahl, Vtrgltich und Metapher bti Q11inliliafl, s. 143-148.

    51 Aristoteles, Rhel. 3.1 0.3. 52 Quintilian, Ins/. 8.6. 9. 5

    ' Aristoteles, Rhtl. 3.4.2; 3.1 0.3; 3.11.11. Rica:ur, La mitaphorr viw, S. 34, 40.

  • 38 Begriffsgeschichte und Metaphorologic

    menfat, da .,l'analyse grammaticale de Ia comparaison verifie sa dependance a l'egard de Ia metaphore en generale". 54 Wenn es richtig ist, wie Anstoteies die Sache darstellt und Cape bersetzt, da "Similes [ ... ] are always in a certain sense popular meta-phors"55, so heit das, in Copes pointiertem Kommentar zur Stel-le, "the simile being a metaphor writ /arg/', da das Gleichnis "always dislinct(y txprmu the two terms compared, bringing them into apparrnt contrast: the metaphor an the other hand, s11bstil11ling by lransftr the one norion for the other of the two compared, iden-tifies them as it were in one image, and expresses both in a singlr ward, leaving the comparison between the objecr illustrared, and the analogaus notion which throws a new light upon it, to suggest itself from the manifest correspondence to the hearer." 5l' Das Schlaglicht, das Cope in seiner kommentierenden Paraphrase wirft, erhellt eine Diskussion, die im 20. Jahrhundert ausfhrlich wird: Die Metapher wird zum elliptischen VergleichY Was Cape als wirksam erkennt in Aristoteles' Darstellung, ist ein Vorgriff auf Quintilian, der sich dem modernen Kommentator als Konsequenz geradezu aufdrngt: das exemplarische Hervorgehen des Gleich-nisses aus der proto-grammatischen Latenz der Metapher macht diese zum philosophischen Exempel einer Potentialitt, die das er-kenntnispragmatische Geschft der Rhetorik ist und von der latei-nischen Rhetorik kunstgerecht genutzt wird.

    Blumenbergs Begriffsvorschlag der ,absoluten Metapher' hat hier seinen historischen Ort: absolute Metaphern haben einen ver-borgenen erkenntnispragmatischen Kern, dessen lateinische Tech-nizitt in Quintilians Werk, von Blumenberg noch unterschtzt, historisch unterschiedliche metapharologische Aufklrungen durch Augustinus, Kant, Nietzsche erfahren hat. 58 In sporadi-schen Neuaufklrungen der lngerfristig eingespielten konomien des Sagbaren verlagert sich das Zusammenspiel von Rhetorik und Philosophie je neu. Der von Blumenberg verfolgte rote Faden ei-ner ,Metakinetik' der Technisierung, die in der Technik der Rheto-

    54 Ricceur, LJ mitapho" ~irt, S. 37. 55 Aristotc:les, Rhtl. 3.11.11. Cope, Commentary, Bd. 3, S. 137. 56 Cope, Commentary, Bd. 3, S. 137-138 (Hervorhebungen von Cope). '" William P. Alston, 11/otlllionary Acts and Jenlentt Meaning (lthaca NY:

    Corncll U niversity Press 2000), S. 233 f. '>R Blumenberg, Paradigmen, S. 10-13. Vf . .,Die Technik der Rhetorik".

  • Archologie der antiken Einfhrungskonstellation 39

    rik ein verdecktes Organon hat/J privilegiert Ciceros und Augu-stins entmythisierende Leistung. Was Blumenberg Cicero als "eine Art anthropozentrische konomie" zugute hlt, die schlielich Augustinus die gnostische "Lichtmetaphysik auf Lichtmetaphorik zurck(zufhren)" erlaubt htte,60 ist allerdings zu rhetorik-theo-retischen Konsequenzen erst in der Schrift des Longinus gedie-hen, der im ,Erhabenen' den Nenner fr die berschreitungslogik findet, als deren Gruncllage Quintilian von Longin explizit voraus-gesetzt wird. Und ganz wie in Quintilians Anlage der Tropen die Metapher die insgeheime, bewegliche Umbesetzungsinstanz ist, so enthlt die Metapher in Longins Anordnung,61 bei aller Unterord-nung der Tropen unter die von ihm behandelten relevanten ,Quel-len' des Erhabenen, die sublime Kraftpar excellence. Im Haushalt der Rhetorik heit das, da "despite the firm allocation of tropes to techni (8.1 ), metaphor becomes the catalyst for priviledging na-ture over tuhni". 62

    Gegenber der Metaphorik des Gegebenen wird im Erhabenen die Metapher ber sich selbst, die Reichweite ihrer lebensweltli-chen Bestimmungen, hinausgetragen in eine ,Natur', in der Tech-nik sich rhetorisch verbirgt. Der Aristoteles-bersetzer und Kom-mentator Michael Conrad Curtius hat im 18. Jahrhundert die Ausgangslage des Longinus bis in die Anlage der aristotelischen Rhetorik und Poetik zurckverfolgt: "was in der (Einteilung der) Rhetorik oileeion heit", stellt er anltich des Metaphern-Kapitels der Poelile fest, mu "in der Dichtkunst durch leosmos verstanden" werden.f' Wie die erste leyrion, oileeion, leai metaphortin unterscheidet,

    59 Blumenberg, "Das Verhltnis von Natur und Technik als philosophi-sches Problem" (1951), Asthrtischr und metaphorologis(ht Schriften, S. 253-265. Rdiger Campe, "From the Theory of Technology to the Tech-nique of Metaphor: Blumenberg's Opc:ning Move", Q11i parlr 12.1 (2000), s. 105-126.

    611 Blumenberg, "Licht als Metapher der Wahrheit: Im Vorfeld der philo-sophischen Begriffsbildung" (1957), Asthttischt 11nd mttaphorologischt Schriftrn, S. 139-171: 146, 156. Vgl. Phitipp Stoc:llger, Mttaphtrllnd u-btnswelt: Hans Bl11menbtr;r,s Mttaphorologit als ubtniMithmt~tntllfilr. 11t1a ihr rrligionifJhnomtnologiuhtr Horizont (Tbingen: Mohr Siebeck 2000), S. 25ff.

    61 Russell, lntroduction, Longin11s On tht S11blimt, S. xiii. Vgl. Paul H. Fry, Tht &ach of Critirism: Mrthod and Perception ;" Litrrary Thtory (New Ha-ven CT: Yale Universiry Press 1983), S. 47-49.

    62 von Staden, "Metaphor and the Sublime: Longinus", S. 362. 63 Aristoteles, Dirhtlr.11nst, ins Deutsche bersetzt, S. 291, Anm. 281. V gl.

  • 40 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    so die zweite ltgrion, metaphoran, kai komton, was es Curtius erlaubt, die "Ausschmckung" in der Poetik dem entgegenzusetzen, was er in dem primordialen Sonnen-Beispiel des Aristoteles als "die Ver-wickelung und Verkrzung der Metapher (Crypsis)" erkennt, die "aufgelset" werden mu, damit "die Metapher zu einem ausfhr-lichen Gleichnisse gemacht werden" kann.64 Es ist diese verborge-ne Kraft der Metapher, die sie fr Longin nicht nur erhaben macht, sondern zum metaphysischen Vehikel der Philosophen eig-net, vorzglich Platos. Johann Jacob Breitingers Critische Abhand-!Jmg von der Nat11r, den Absichten 11nd dem Gebra11che dtr Gleichnisse, im Zrich von Johann Jacob Bodmer 1740 "zum Drucke befrdert", hlt sich unter dieser Prmisse ganz an "sein rationalistisches Kri-terium der hnlichkeit", das als "Hauptmittel der sthetischen Wirkung" in "beschreibender Poesie", fr die der Logiker Breirin-ger einzig Verstndnis aufbrachte, von Wert sein konnte.65 Die komplexe Eigensinnigkeit der sthetischen Phnomene kann die apriorische "Logik der Phantasie", die in den "Gleichnissen" ihre exemplarischen Frchte tragen soll, "nicht einmal ernsthaft in Frage stellen".M'

    Gleichzeitig mit Blumenberg ist brigens Marshall McLuhan auf die kryptische, ihre Effekte selbstverbergende Anlage der von Cicero und Quintilian weiterentwickelten Rhetorik gestoen. Vom Resultat einer anderen Aristoteles-Rezeption her, der analogia enlis des Thomas von Aquin, hat er sie als Prinzip der Medienevolution verstanden und dabei die Metapherntheorie zugrunde gelegt, die sein Lehrer 1. A. Richards im Ausgang von Bacon neu zu formu-lieren begonnen hatte.67 Quintilian war prziser als McLuhan und in der technischen Konzentration der lateinischen Theoriebildung bereits ein nach-metaphysischer Autor, was man von McLuhan

    Vahlen, B~itragt Z" Aristotelts' Poelile, S. 13 7, und, diesem folgend, Blu-menberg, Paradigmtn, S. ~9.

    l.4 Vahlen, Beitrage, S. 290, Anm. 279. 65 Tadeusz Wojtowicz, Die Logile von Johann Jakob B"itinger (Paris: Ma-

    loine 1947), S. 15. 66 Heinz-Dieter Weber, Friedrich Schkgels , Transzentkntai-Poe.rie': UnttrJN-

    chNngtn zu", F11nktionswandel der U/era/Nrleritile im 18. jahrh11ndert (Mn-chen: Fink 1973), S. 31, Anm. 24.

    67 Marshall McLuhan, Undmlanding Media: The Extensions of Man (New York: McGraw-Hill 1964), S. 23; dt. Dit magisfhen Kanilt (Dsseldorf: Econ 1968), S. 18. Vf. "Masse mal Beschleunigung" (1998), Fig11ra cryptita, S. !Otf.

  • Archologie der antiken Einfhrungskonstellation 41

    nicht sagen kann, der ungebrochen antike Lichtmetaphysik fr das Zeitalter der elektrischen Medien fortschreibt: auf der Grundlage dessen also, was die Rhetorik seit Aristoteles als einen mythischen Motivationsrest in der Konstruktion der Metapher erkannt und zu begrenzen gesucht hatte.68 Die sthetische Verwirrung der auf die-ser medien-mythischen Metaphorik begrndeten Konstrukte ber-trifft die selbstreflexiven Metaphorologien der lteren Aufkl-rungs-sthetiken um einiges, nicht zuletzt in der tropologischen Gleichschaltung der mnemotechnischen Mittel. 69

    68 Jacques Derrida, "La mythologie blanche: La metaphore dans Je texte philosophique" (1971). Vgl. Wemer Beierwaltes, .,Piorins Metaphysik des Lichtes", Ztitsthrift fiir philosophirtht Fomh1111g 15 (1 961 ), S. 334-362.

    69 V gl. Stefan R.ieger, Dit 1 ndilidt~alitiit tkr Medit11: Eint Gmhithtt dtr Wis-mrsrhajttll &'0111 Mtllsrhtn (Frankfun/M.: Suhrkamp 2001), S. 19.

  • 3. Die Renaissance der Tropen

    Master Tropes

    Das Ensemble der von Kenneth Burke so genannten, aus dem Dornrschenschlaf von Vicos Sdenca N11ova geweckten "master tropes" von Metapher, Metonymie, Synekdoche und Ironie ist l-ter als diese ihre jngste Konjunktur. 1 Sie stehen in keinem unge-fahren Verhltnis zum Allegoriebegriff, denn ber sie verluft un-tergrndig die Rezeption seit der tiefgreifenden Rhetorikreform des Pierre de Ia Ramee. Noch die Tatsache, da die vier Haupt-tropen auf Ramus zurckgehen, ist kaum bekannt, der Zusammen-hang mit der Allegorie vllig bersehen oder wird als "Schwund-stufe" bagatellisiert. 2 Richtig ist allerdings, da bei Ramus die Allegorie verschwindet in den vier Haupttropen und dabei zum verborgenen Inbegriff dessen wird, was in Baumgartens Anknpfung an Ramus jig11ra rryptica heien wird, aber schon in der Rhetorik des Aristoteles als rrypsis terminologisch in der Nhe der Tropen und derlei Mitteln rangiert. 3 Ramus selbst spricht von einer "crypsis of method", die (als dissim11/alio definiert) jenseits des von ihm propagierten Methodenbegriffs den Dichtern vorbe-halten ist und in der Adaption von Miltons Art of Logic zu engli-scher Prominenz kommt. 4 Die selbst-subversive Natur der Tropen

    1 Burke, .,Four Master Tropes" (1941), A Grammar of Motim, S. 503-517. Whitc, Mttahistory, S. 31-38.

    2 Wiebke Freytag, Artikel ,Allegorie, Allegorese', Historiuhu U"'rltrbt~th dtr Rhetorik, cd. Gert Ueding (Tbingcn: Niemeyer), Bd. I (1992), S. 330-393: 351, 374.

    3 Aristoteles, Rlut. 1.12.6, 1372a 32. Cope, Commentary, Bd. I, S. 230: .,any contrivance or device" (nach Victorinus).

    4 John Milton, Artis Logat Plenior lnstit111io ad Ptlri Rami Method11m rondn-nata (1672), Complelt Prrm lf'orks (New Haven, CT: Yale University Press), Bd. 8 (1982), S. 395. Siehe Walter J. Ong, Ramus: Method and lht Dttt!} Dj Dialog11e (Bloomington lA: Universit)' of lndiana Press 1958, Cambridge MA: Hanard Universirr Press 1983), S. 254, 281.

  • Die Renaissance der Tropen 43

    fr jede Methode, die Ramus selbstironischer Diskurs mltemver-leibt, tuscht mit Flei ber die tropologischen Implikationen des Unternehmens hinweg, die seinen Anhngern, am wenigsten Milton, nicht verborgen geblieben und dichtungstheoretisch wir-kungsvoll geworden sind.

    Die kurze, pointierte Stelle mit dieser Wirkung steht in der Trias der animadvtrsionu, quautionu und distinctionu an die Adresse (respektive) Aristoteles', Ciceros, Quintilians, in dem Quintilian gewidmeten Teil von 1549, der unter dem Titel von Distinctiones den scholastischen Bezug der Exegese noch durchscheinen lt. Gegen die Konfusion, die Ramus bei Quintilian unter den Tropen angerichtet findet, benennt er als ntige genrra, die an die Stelle der bei Quintilian kumulierten Nichtigkeiten treten sollen, nur noch vier: Metonymie, Ironie, Metapher, Synekdoche (in dieser Reihen-folge).5 Die Allegorie findet er als Tropus redundant; er erkennt in ihr aber, was in der Schriftexegese, auf die der Titel anspielt, lngst die Praxis bestimmte und in die Differenzierungen mehrfa-chen Sinns weitergefhrt worden war: die Mglichkeit, ja Zwangs-lufigkeit zur Tropenmischung in der continuatio der Metaphorik. Die unterschiedliche Fortsetzbarkeit und Mischbarkeit der vier Tropen in der Allegorie ist bei Ramus bis auf die qua crypsis virtu-elle Identitt von Allegorie und Ironie nicht ausgefhrt. Rckblik-kend artikuliert Ramus' Kritik an Quintilian in gewisser Hinsicht das, was in der Rezeption desselben Quintilian, der Exegese nach Augustinus und Beda, henrorgetreten und ausgearbeitet worden war und in der Entfaltung der Differenz der Tropen und Figuren eine eigentmliche Doppelung des Allegoriebegriffs verursacht hatte (mit einem ganz eigengesetzlichen Apparat der Schriftsinne), sich nun aber als crypsis von Methode ausgegrenzt findet.

    Ramus sieht das bel in Quintilians eklatanter Unfhigkeit zum Syllogismus, dessen Unterscheidungen er seinerseits als das geeig-nete Mittel gegen die Konfusion empfiehlt - ein relatives Mittel, hlt man die Polemik des jungen Kant von 1762 dagegen, da "doch immer nur die erste Figur, die durch versteckte Folgerun-gen in einem Vernunftschlusse verborgen liegt, die Schlukraft enthlt".(' Das Problem, so wird bei Kant erbarmungslos klar, liegt

    '> Ramus, ROtlorirat Distinrlionu in QNinlilianNm (1549), S. 211-213. r. lmmanuc:l Kant, "Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen

    Figuren" (1762), Wrrkr, ed. Wilhelm Weisehedei (Wiesbaden: Insel 1960), Bd. 1, S. 611.

  • 44 Begriffsgeschichte und Metaphorologie

    in der Unkontrollierbarkeit der Figur, ihrer durch alle versteckten Folgerungen hindurch verborgen wirksamen Kraft. In dieser Ana-logie der Figuren hatte Baumgarten im zweiten Teil der Authetica von 1758 die Lehre von den Tropen definiert: Omnis trop11s, fJIItfiJ tlejin11i, es/ FIGVRA, setl CRYPTICA, c11i11s gen11ina jof'1!1a non s/ah'm appartl, q11oniam ut jig11ra conlrac/a per sllbslillllionem O eder Tropus, wie ich ihn definiert habe, ist eine Figur, aber eine versteckte Figur [Bodmer sagte: heimliche Ironie), deren angestammte Form nicht gleich in Erscheinung tritt, weil es sich um eine durch Substitution herbeigefhrte Figur handelt). 7 Baumgarten beruft sich durch-gehend auf Quintilian, und es ist anzunehmen, da er an dieser Stelle die den Tropen innewohnende Latenz zur Figur meint und zur sthetischen Konsequenz gefhrt hat. 8 Aber er tut es ber Ramus und dessen ge11tra der vier Haupttropen, die er in der Rei-henfolge Metapher, Synekdoche, Ironie, Metonymie aufzhlt und als conlracta auffat, in denen die Latenz der Figur qua crypsis ange-legt ist. Das heit, die vier Tropen Metapher, Synekdoche, Ironie, Metonymie sind latente Allegorien, deren Substituierbarkeit nach Typen von con/racla qua Substitution logisch begrenzt ist. Baum-gartens ltere Dissertation, die Meditation es von 17 35, deren Titel Descartes und seinen Methodenbegriff programmatisch zitieren und die dabei selbstbewut Vossius und Scaliger als Vorlufer auf dem Gebiet der Poetik wrdigen und distanzieren, hatten neben der Metapher die Synekdoche erwhnt, bevor sie zur Allegorie ka-men, und dabei blieb es dort, was die Figuren als ltf'111ini improprii angeht.') Die Bestimmung der Allegorie als metaphorarNm comttxa-f'NIII stries kndigt ber den assoziativen (metonymischen) Konnex hinaus die sptere Theorie der conlracla an, denn der allegorische Nexus heit ein major ntxlls quam 11bi heltrogentat conjl1111111 mttaphorae. Die bloe tropische Klitterung (mixetl metaphors) ergibt fr Baum-

    7 Baumgarten, Authtlica 784, Bd. 2 (1758), S. 533. Vgl. Johann Jacob Bodmer, Critische Abha11tlll11r1, 11011 tltm Jf-'1111tlrrbarm i11 tltr Pouit (Zrich: Orel11740), ed. Wolfgang Bender (Stuttgan: Metzler 1966), S. 213.

    8 Marie Luise Linn, "A. G. Baumganens Aesthetica und die antike Rhe-torik" (1967), Rlutorilt.: Beitrgt tN ihrrr Gufhirhlt in Dt111Jchla11d vom 16.-20. jahrh1111dtrt, ed. Helmut Schanze (Frankfun/M.: Athenum 1974), S. 105-125: 123, Anm. 70.

    9 Baumganen, Mttlilalio11ts phi/osophifat dt 1101111111/is ad potma perti11tnlib11s, S. 66. Vgl. im Grundstzlichen Campe, "Der Effekt der Form: Baum-ganens Asthetik am Rand der Metaphysik", Ultra/Nr als Philosophit -Philosophit als U/trtzlllr, S. 17-33.

  • Die Renaissance der Tropen 45

    garten keine sthetisch akzeptable Figur; diese erwchst erst aus der nypsis der im allegorischen Nexus der Figur zusammengezoge-nen Tropen.

    In Vossius' Rhetorik-Kommentar, der zwischen Ramus, Vico und Baumgarten das entscheidende Werk ist, lag die Konstruktion der Sache nach ausgefeilt vor, bis auf eine Modifikation, die Baum-garten terminologisch einen Schritt weiter (oder auch zurck) bringt. Vossius hlt Ramus fr notorisch berzogen und seine dia-lektische Kritik fr aufgesetzt, den Anla aber fr berechtigt. Ohne weitere Erwhnung von Ramus, aber nicht ohne eigene Kri-tik an den allzu losen, im Blick auf eine lange Praxis berholten Bestimmungen Quintilians empfiehlt er anstelle des schwer durch-schaubar gewordenen rueenden bergangs der Tropen zu den Figuren eine geregeltere, weniger kryptische Handhabung. Die Al-legorie fhrt auch er als contin11o1io der Haupttropen ein und wie bei Ramus unter Ausnahme der Ironie: Allegorio es/ continNolio eol'llm, q11oe per metophorom, mei011.Jmiom, 0111 ~ymledochen dicNniNr. 10 Die Ironie schliet er von dieser Beschreibung explizit (gegen die be-stehende, berechtigte Erwartung) aus, obwohl er sie als vierten Haupttropus miteingefhrt hatte. hnlich wie Ramus versucht Vossius den allzu losen Quintilianischen bergang der Ironie von den Tropen zu den Figuren zu kappen. Die Ironie bleibt bei ihm au