18
Leseprobe (c) Rombach Verlag Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne

Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Hellmut Flashar

Antikes Drama – Moderne Bühne

Page 2: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

ROMBACH WISSENSCHAFTEN • REIHE PARADEIGMATA

herausgegeben von Bernhard Zimmermann in Zusammenarbeit mit Karlheinz Stierle und Bernd Seidensticker

Band 46

Page 3: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Hellmut Flashar

Antikes Drama – Moderne Bühne

Page 4: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

© 2018. Rombach Verlag KG, Freiburg i.Br./Berlin/Wien1. Auflage. Alle Rechte vorbehaltenUmschlag: Bärbel Engler, Rombach Verlag KG, Freiburg i.Br./Berlin/WienSatz: rombach digitale manufaktur, Freiburg im BreisgauHerstellung: Rombach Druck- und Verlagshaus GmbH & Co. KG, Freiburg i.Br.Printed in GermanyISBN 978-3-7930-9932-1

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http:/dnb.d-nb.de> abrufbar.

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Humanismus heute des Landes Baden-Württemberg

Page 5: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

INHALT

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Inszenierung der Antike – Supplemente I–III . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Supplement I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

Supplement II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

Supplement III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

Felix Mendelssohn Bartholdy und die griechische Tragödie . . . . . . . 97

Hölderlins Sophokles-Übersetzungen auf der Bühne . . . . . . . . . . . 145

Von Sophokles zu Orff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165

Wolfgang Rihms Oper Dionysos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Die antiken Quellen zu Mozarts Idomeneo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

Iphigenie auf Tauris zwischen Euripides und Gluck . . . . . . . . . . . . . . 193

Die Klage der Ariadne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

Das Bühnenwerk Orffs im Spiegel des Briefwechsels von Carl Orff und Wolfgang Schadewaldt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225

Page 6: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Page 7: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Hansgünther Heyme in Freundschaft gewidmet

Page 8: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Page 9: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Vorwort

Dass meine Arbeiten zum antiken Drama auf der modernen Bühne ge-schlossen erscheinen können, ist das Verdienst von Bernhard Zimmer-mann, der sich spontan bereit erklärt hat, sie in die Reihe ›Paradeig-mata‹ aufzunehmen.Darüber hinaus habe ich seinen Freiburger Mitarbeitern Benjamin Harter und Cecilia Wezel für die große Mühe zu danken, die sie sich intensiv mit der Herstellung einer einwandfreien Druckfassung gege-ben haben.Für die sehr sorgfältige Erstellung des Registers danke ich Caroline Wahl (Bochum).Allen Verlagen, die für die einzelnen Beiträge die Abdruckgenehmi-gung gegeben haben, sei ebenfalls gedankt. Dem Kuratorium der Stif-tung ›Humanismus heute‹ danke ich für einen Druckkostenzuschuss.Der hier vorliegende Band ist einem Freund gewidmet, der seit Jahr-zehnten mit großer Hingabe in exemplarischen Inszenierungen das antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält.

Bochum, im Herbst 2018

Page 10: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Page 11: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

Inszenierung der Antike – Supplemente I–III

Die drei Supplemente sind Ergänzungen zu dem in 2. Auflage 2009 erschienenen Buch Inszenierung der Antike angesichts der ständig fort-schreitenden Inszenierungen antiker Dramen auf der Bühne. Wenn dabei die deutschsprachigen Produktionen im Vordergrund stehen, so hängt dies mit den Möglichkeiten der Materialbeschaffung und des Theaterbesuches zusammen. Für die Aufführungen antiker Dramen im internationalen Kontext vgl. jetzt Betine van Zyl Smit (Hg.), A hand-book to the reception of Greek Drama, Oxford 2016. Erika Fischer-Lichte, Tragedy’s Endurance, Oxford 2017, untersucht ausgewählte Inszenierun-gen griechischer Dramen von 1800 an auf dem Hintergrund bildungs-politischer Rahmenbedingungen, teilweise auf der Grundlage früherer Einzeluntersuchungen. Im Folgenden bezeichnen Datumsangaben in Klammern jeweils die Premiere eines Stückes.

Supplement I

(2008–2010)

Aischylos

Die Antike, namentlich die griechische Tragödie auf der Bühne, hat Hochkonjunktur. Die Orestie des Aischylos steht an erster Stelle. In den Jahren 2008/09 gab es allein an den deutschsprachigen Bühnen acht Inszenierungen der Trilogie, nämlich in Wilhelmshaven (6.1.2008), Aachen (19.1.2008), Karlsruhe (14.4.2008), Essen (22.9.2008), Nürn-berg (11.10.2008), Schwerin (24.4.2009), Würzburg (26.9.2009) und Freiburg (2.10.2009). Damit reicht die Zahl der Produktionen an dieje-nige der Antigone-Inszenierungen heran, und das ist neu. Die meisten dieser ›Orestien‹ verwenden die so theatertaugliche Übersetzung von Peter Stein,1 überall mit starken Kürzungen. Die bei weitem eindrucks-vollste Inszenierung ist die Würzburger. Sie weist eine Reihe von Be-

1 Vgl. Flashar (22009) 254.

Page 12: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

12 Inszenierung der Antike

sonderheiten auf. Für die drei Teile der Trilogie, die mit einem hinzu-erfundenen Satyrspiel an einem (langen) Abend aufgeführt wurden, waren drei verschiedene Übersetzungen und drei verschiedene Regis-seure vorgesehen, für den Agamemnon in der Regie von Stefan Suschke die alte Übersetzung von Johann Jakob Donner aus dem Jahre 1854, die erstaunlich poetisch klingt, wenn sie gut gesprochen wird, was hier durchaus der Fall war. Für die Choephoren in der Regie von Bernhard Stengele wurde die Übertragung von Peter Stein verwendet, für die Eumeniden die einst (1919) von Max Reinhardt zugrunde gelegte, heu-te weithin vergessene Übersetzung von Karl Gustav Vollmoeller,2 die allerdings mit dem Regiestil des für die Eumeniden verantwortlichen Regisseurs Hermann Schneider nicht ganz kompatibel scheint.Eine weitere Besonderheit der Würzburger Orestie war – entsprechend der antiken Tradition – ein Bürgerchor. Man hatte die Beteiligung am Chor ausgeschrieben; viele Bürgerinnen und Bürger hatten sich ge-meldet, von denen ca. 70 ausgewählt wurden, die in unterschiedlicher Besetzung in den drei Stücken agierten, in Sprechkultur, Körperhal-tung und Mimik erstaunlich gut. Nur war der Chor viel zu stark, in den Choephoren 50 troische kriegsgefangene Frauen im Dienste des Königs hauses – das war zu viel und beeinträchtigte die Verständlich-keit. In den Eumeniden waren es sogar 56 Personen und man wusste gar nicht, woraus der Chor überhaupt bestand. Erinyen, wie bei Aischylos, können es jedenfalls nicht alle gewesen sein, denn aus diesem Chor schälten sich vier Erinyen heraus, die in ihrer Gewandung so gar nicht grausig aussahen, wie es dem Text entsprochen hätte. Vielmehr un-terschieden sie sich kaum von den weiß gekleideten, eher wie Kran-

2 Vollmoeller ist einer der interessantesten Gestalten im kulturellen Kontext des 20 Jahr-hunderts. Er studierte ab 1896 in Paris und Berlin Klassische Philologie, wechselte dann zum Studium der Archäologie nach Bonn, wo er 1901 mit einer Arbeit über euböische Kammergräber promoviert wurde, nachdem er schon 1900 als Ergebnis eigener Grabungen in Griechenland den Beitrag Das Quellhaus des Theagenes in Megara veröffentlicht hatte. Nach Absolvierung des Reisestipendiums des Deutschen Archäo-logischen Instituts nahm er ab 1902 an Autorennen teil, konstruierte ein Flugzeug, das von Stuttgart zum Bodensee flog und sich heute im Deutschen Museum in München (Außenstelle Schleißheim) befindet. Es folgte eine ausgedehnte Übersetzertätigkeit, u.a. der Antigone und der Orestie. Ferner verfasste Vollmoeller eigene Gedichte und Dramen; das Mirakel mit der Musik von Engelbert Humperdinck errang am Broad-way in New York bis 1924 Welterfolg. In der NS-Zeit emigrierte Vollmoeller in die USA, betätigte sich als Filmemacher in Hollywood, wo er 1948 in einem Hotel starb. Umfassende Biographie: Frederik D. Tunnat, Karl Vollmoeller ¬ Dichter und Kultur-manager. Eine Biographie, Hamburg 2008.

Page 13: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

13Supplement I

kenpfleger(innen) aussehenden Chormitgliedern insgesamt. Woraus letztlich der Chor in den Eumeniden bestand, blieb unklar. Insgesamt brachte aber die Beteiligung des Bürgerchores eine spürbare Leben-digkeit ins Theater, ja sogar in die ganze Stadt.Natürlich musste für die Aufführung der ganzen Trilogie an einem Abend der Text gekürzt werden. Das geschah in der Regel umsich-tig; nur dass der für die religiöse Dimension zentrale Zeus-Hymnos im Agamemnon gestrichen wurde, leuchtet nicht ein. Denn es fehlt so das Schlüsselwort der ganzen Trilogie: »Durch Leiden Lernen«. Statt-dessen sind die Worte: »Tun, Leiden, Lernen« als Motto der ganzen Unternehmung auf Plakaten, Spruchbändern und Flyern zu lesen gewesen, die aber so nirgends bei Aischylos stehen. Sie sind in der Bühnenfassung an den Schluss der Choephoren gestellt. Es handelt sich dabei aber um einen der vielen Zusätze in der hochgelobten, aber auch problematischen Übersetzung von Peter Stein, der der korrekten Über-setzung »durch Leiden Lernen« (nur das steht bei Aischylos, Ag. 117) eben diese Worte hinzugefügt hat. Man sieht, was passiert, wenn man sich nur auf Übersetzungen verlässt. Insgesamt war es aber der durch-weg gelungene Versuch, die gewaltige Trilogie unter weitgehendem Verzicht auf uneinsehbare Regiegags und sachfremde Tendenzen auf die Bühne zu bringen. Dazu trug auch bei, dass der Würzburger Ar-chäologe Ulrich Sinn mit dem ganzen Ensemble noch vor den Proben eine Griechenlandexkursion unternahm, um die antiken Spielstätten zu besichtigen. So sind Agamemnon und Choephoren von dem gleichen, eher ruhigen Regiestil gekennzeichnet. Das Bühnenbild erinnerte an dasjenige von Peter Stein: eine Wand, aus der Ausschnitte für das Spiel geöffnet werden.Ein deutlich anderer Regiestil war bei Hermann Schneider in den Eu-meniden zu erkennen. Ein riesiger, durchsichtiger Zylinder scheint zu-nächst den Tempel Apolls anzudeuten, vielleicht aber auch den Raum anzuzeigen, in dem die Menschen eingegrenzt sind. Dass Athena mit umgehängtem Sturmgewehr auftritt, sollte wohl die männliche Seite der Göttin andeuten. Und dass Apollon sich ausgiebig mit Wasser aus einem Plastikkanister wäscht, meint vielleicht eine rituelle Reinigung von der Mitschuld am Muttermord Orests. Ein Unikum in der Auf-führungsgeschichte der Orestie ist es, dass es sieben Richter sind, die Athena aus dem Chor auswählt, und so sieben Stimmsteine in den am Boden liegenden Helm der Athena purzeln. Der Schluss bleibt offen. Die letzten 80 Verse sind gestrichen, die Segenswünsche der Athena

Page 14: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

14 Inszenierung der Antike

entsprechend abgemildert. Nahezu alle neueren Inszenierungen der Orestie tun sich schwer mit dem Schluss.

Die junge Regisseurin Felicitas Brucker sucht eine achtbare, aber doch von Aischylos wegführende Auseinandersetzung mit der Orestie im Freiburger Theater, vorsichtshalber mit der Formulierung »nach Aischylos« angekündigt. Die Bühne ist mit Sperrholz- oder Rigipsplat-ten ausgelegt, auf denen ein durchweg junges Ensemble zu Rockmusik von der E-Gitarre (und anderen Instrumenten) in wilden Bewegungen, sich ineinander verschlingend und aufeinander liegend, 3,5 Stunden lang geradezu austobt. Dahinter der Atriden-Palast, bestehend aus ei-ner Plexiglaswand mit schwarzen Vorhängen, die auch abschnittweise geöffnet werden konnten.Der Chor besteht im Agamemnon aus fünf Männern und zwei Frauen, in den Choephoren aus nur einer Frau, einer troischen Kriegsgefangenen, die als Putzfrau fungiert (es ist die Kassandra aus dem Agamemnon), in den Eumeniden aus acht Gestalten, die aber offenbar nicht alle Erinyen sind. Ganz klar wird die Sache nicht. Zugrunde liegt die Übersetzung von Peter Stein, die aber an vielen Stellen abgeändert ist, und zwar nicht nur in Ausrufen wie: »Halts Maul« (mehrfach) oder »Dreckskerl«, sondern gleich zu Beginn angereichert ist durch ein hinzuerfundenes Chorstück, noch vor dem – hier von einer Frau gesprochenen – Pro-log des Wächters. Der Chor spricht selten zusammen, sondern meist einzelnen nacheinander. Die auffälligste Änderung besteht darin, dass nach dem Muttermord am Ende der Choephoren eine Szene aus dem Orest des Euripides eingelegt wird, in der Orest mit Elektra den Königs-palast anzünden will, was hier – über Euripides hinausgehend – auch geschieht. In den lodernden (Kunst)flammen kommt auch Elektra um, so dass ein radikalisierter Orest allein übrig bleibt, der sich selber un-heimlich geworden und nun noch viel schuldbeladener den Erinyen, Apollon und Athene gegenübersteht. Einen starken Eingriff in den Text bedeutet es, dass die entscheidende Abstimmung über die Schuld Orests in den Eumeniden gar nicht statt-findet, obwohl der Richtertisch auf der Bühne steht. Vielmehr wird nur berichtet. In Abwandlung der Formulierung von Stein: »Es hat sich gleiche Stimmenzahl ergeben« heißt es jetzt einigermaßen rätselhaft: »Es hat sich keine Stimmenzahl ergeben«, was vielleicht bedeuten soll: Es war eine ungültige Abstimmung oder: Es ist gar nicht abgestimmt worden. Wie ein Hohn auf die Abstimmungsdemokratie muss es wir-

Page 15: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

15Supplement I

ken, wenn am Schluss zwei Erinyen auf dem Richtertisch Tischtennis spielen, wobei anstelle eines Netzes quer über dem Tisch Apollon liegt, der jedes Mal zusammenzuckt, wenn er einen Ball abbekommt. Die Tendenz ist deutlich. Wir sind in einer Krise der Demokratie. Einer der Schauspieler schreibt mit Kreide an die Wand: »Merry crisis and happy new fear«. Diese Worte hat die Regisseurin bei den Unruhen in Athen im Dezember 2008 an einer Hauswand gesehen. Das ist die Situation, die sie in die Orestie legt. Angst, die der Chor hat, Politik-verdrossenheit, das System nur noch Fassade, Rechts- und Unrechts-empfinden verselbständigen sich, relative Bedeutungslosigkeit der Abstimmung, absurde Argumentationen, leere Wahlversprechungen (Segenswünsche für die Stadt), Orest vor Gericht frei, aber nicht vor seinem Gewissen. Nichts ist gelöst. Die Betonung der Schräglage der Demokratie und der Fragilität des Systems würde auf die gegenwärtige Finanz- und Staatskrise Griechenlands sogar noch besser passen, ist aber doch mit den Intentionen, die Aischylos mit der Orestie verfolgt hat, nicht kompatibel.Alle Inszenierungen dieser Jahre können sich mit der bei Aischylos angelegten Versöhnung durch den Freispruch für Orest nicht abfin-den. In Essen wird die Gerichtsszene in der Inszenierung von Roger Vontobel völlig verändert. In den Choephoren hat sich durch Dauer-regen viel Dreck und Schlamm angesammelt, in dem sich Orest und Elektra wälzen. In den Eumeniden tauchen Agamemnon, Kassandra und Klytaimestra noch einmal auf. Sie bekommen Richterperücken aufgesetzt; offenbar sollen sie am Gerichtsverfahren aktiv mitwirken. Aber noch bevor ein Stimmstein geworfen wird, heißt es in Abwei-chung von Text und Übersetzung (Stein): »Für welchen Staat ist dieser Mann noch tragbar?« Es gibt keinen Freispruch; Orest ist zu ewiger Flucht verdammt. Er flieht vor den Erinyen und entfernt sich in dieser Inszenierung zugleich von Aischylos.In der Nürnberger Orestie, inszeniert von Georg Kasch, stehen die Ge-stalten schon im Agamemnon im Dauerregen. Volk von Argos ist auf der Bühne, während der Chor aus Kindern besteht, wie schon in der Frankfurter Orestie von Karin Neuhäuser.3 Entsprechend sieht man Papierschiffchen in den Regenpfützen. Agamemnon begrüßt die erste Parkettreihe mit Handschlag. Zu den weiteren Merkwürdigkeiten ge-hört die Gerichtsszene. Das Publikum darf in der Pause abstimmen. Es

3 Vgl. Flashar (22009) 311f.

Page 16: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

16 Inszenierung der Antike

wird dann aber gar nicht ausgezählt, sondern Athena findet in grober Schätzung die beiden Stimmsteinhaufen gleich groß und legt ihren Stimmstein hinzu. Die Spannung der Auszählung ist verpufft. Die Inszenierung von Kay Neumann in Ingolstadt ist konventioneller und verzichtet auf schwer einsehbare Regiegags. Schon das Bühnenbild mit der leichten Schräge auf der Vorbühne, dahinter zwei verstellbare Wände und dahinter in perspektivischer Projektion die Akropolis von Athen, lässt ein ruhiges Spiel erwarten. Dass in den Eumeniden Athena auf dem Sockel eines Denkmals der Justitia posiert, Orest ängstlich ihre Knie umklammert und Apoll im weißen Anzug mit Pyjamaschnitt barfuß auftritt (sich gelegentlich an den Zehen kratzend), soll das in angemessener Tonlage so schwer zu treffende Burleske dieses dritten Stückes der Trilogie zum Ausdruck bringen.Die junge Regisseurin Sandrine Hutinet versteht die Orestie in Karls-ruhe vor allem als Leiden der Klytaimestra. Alles Männliche wird in die Nähe der Farce gerückt. Unter Verwendung der Übersetzung von Dietrich Ebener4 wird viel gebrüllt. Agamemnon hält eine Mikrophon-ansprache an sein Volk¸ der Jubel am Ende der Trilogie wird als selbst-gerecht und unglaubwürdig dargestellt und ganz am Schluss taucht Klytaimestra noch einmal auf. Um sie geht es.Gegenüber all diesen Inszenierungen ist diejenige von Christine Eder am Münchner Volkstheater (1.2.2010) leichtgewichtig. Entsprechend der Intention des Hauses wird die Orestie (Textbasis: die Nachdichtung von Walter Jens) ›unters Volk‹ gebracht. Das geschieht so: Am griechi-schen Strand ist eine Party. Ein Lagerfeuer flackert, daneben sieht man Plastikstühle, Schlafsäcke und sieben tanzende junge Menschen. Sie formieren sich zu einem Chor und rufen: »Krieg, Krieg, Krieg«, begin-nen sich Geschichten zu erzählen, öffnen beim Bericht von Troias Fall Bierdosen und fangen dann an zu agieren in einem Durcheinander von ernster Bemühung und Albernheiten.Was ist das Resümee? Die Orestie, relativ spät überhaupt erst auf die Bühne gekommen, hat in neuester Zeit fast die sonst so beliebte Antigone verdrängt. Die dichte Folge der Inszenierungen in den letzten Jahren zeigt die Aktualität der alten Dichtung in zumeist erschreckender Wei-se. Der Gegensatz von Alt und Neu, zwischen archaischen Formen des Racheprinzips und einer sich auf Rechtsnormen berufenden Demo-kratie erweist sich in der dichterischen Gestaltung und dabei in dem

4 Vgl. Flashar (22009) 196.

Page 17: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

17Supplement I

Ineinander von Fiktionalität und Wirklichkeit als ein Modell, in dem moderne Regisseure Bruchstellen suchen und daraus teils affirmative, teils skeptische Lösungen finden, teils alles offen lassen. Auch die Perser bleiben in mehreren Inszenierungen auf dem Spiel-plan, spektakulär in einer Produktion, in der das System ›Bürgerchor‹ auf die Spitze getrieben ist. Die Initiatoren des Braunschweiger Thea-terfestivals 2008 waren auf die Inszenierung der Perser durch Claudia Bosse in Genf und in Wien5 aufmerksam geworden, deren Prinzip die Aufhebung der Distanz zwischen Mitwirkenden und Publikum ist, welche am besten durch einen Chor erreicht wird, der der Zahl der Besucher gleichgewichtig ist. Der zu diesem Zweck ausgelöste Aufruf an die Braunschweiger Bürger, sich zu beteiligen, hatte durchschlagen-den Erfolg. Von den fast 600 Anmeldungen wurden 310 Bürgerinnen und Bürger im Alter von 12 bis 79 Jahren engagiert, die aufgeteilt in zehn Gruppen mehrere Monate lang die Chortexte (Übersetzung von Peter Witzmann/Heiner Müller)6 einschließlich Stimm- und Körper-training übten. Bei der Aufführung am Braunschweiger Staatstheater (6.6.2008) wurde das Parkett geschlossen. Das Publikum stand das ganze Stück über auf dem Bühnenraum um den Chor herum in dich-tem Gedränge und war mitunter genötigt, dem mit ungeheurer Kraft agierenden Chor auszuweichen. Das Gemeinschaftserlebnis war total, eine ritualisierte Kollektiverfahrung. Beim Bericht des Boten über die Niederlage der Perser bei Salamis geht der Chor nach und nach zu Boden und liegt dort wie ein Leichenmeer, umstanden vom Publikum. Hinter diesen starken Szenen tritt das durchaus lebendige Spiel mit einer barbusigen Königsmutter Atossa auf hohem Kothurn, mit einem Xerxes, der splitternackt über die Bühne läuft, eher etwas zurück.Ganz anders angelegt ist die Züricher Inszenierung von Stefan Pucher (1.11.2008), der am gleichen Ort 2004 die Orestie auf die Bühne ge-bracht hatte.7 Damals hatte Pucher die Orestie in amerikanisches Milieu getaucht, jetzt kommen Assoziationen zum Irakkrieg hinzu. Dareios und Xerxes wirken wie Bush senior und junior, der persische Königssitz nimmt sich aus wie der Palast von Saddam Hussein. Video-clips von den Wänden und die Reduktion des Chores auf eine Person gehören zu den allenthalben reichlich benutzten Regiemitteln. Dunkle

5 Vgl. Flashar (22009) 321.6 Vgl. Flashar (22009) 316.7 Vgl. Flashar (22009) 309.

Page 18: Hellmut Flashar Antikes Drama – Moderne Bühne · antike Drama auf die Bühne der Gegenwart bringt und damit als un-verzichtbaren Bestandteil einer lebendigen Tradition wachhält

Lese

probe

(c) R

omba

ch V

erlag

18 Inszenierung der Antike

Vögel flattern im Hintergrund; im Meer sind schwankende Schiffe zu sehen. Zugrunde liegt die Übersetzung von Durs Grünbein,8 die aber durch allerlei Zusätze angereichert wird, etwa wenn der Bote mit dem Bericht über die Niederlage der Perser den Song »The man who sold the world« zu singen beginnt, oder wenn Atossa die Beschwörung des Dareios aus der Unterwelt in wildem Tanz mit »No, no, no, you don’t love me and I know« begleitet und wenn Xerxes mit einer Wendung an das Publikum (einen Chor gibt es nicht) ruft: »Seid jetzt mein Echo. Schreit, wenn ich schreie«. Die Übersetzung von Durs Grünbein liegt auch der Mainzer Inszenie-rung von Philip Tiedemann zugrunde (8.5.2010), der am gleichen The-ater schon den König Oedipus inszeniert hatte (11.10.2008). Nicht un-geschickt wird als zusätzliche Figur der Geschichtsschreiber Herodot eingefügt, der vom Bühnenrand her das Geschehen (Hdt. VIII,40–96)kommentiert während in der Marburger Inszenierung von Manfred Gorr (10.5.2008) zu Beginn am Pool des persischen Königspalastes in Susa sich zwei Ungenannte (es sind die Schauspieler, die später Dareios und Xerxes verkörpern) zu schaffen machen. Der Chor ist auch hier auf eine Person reduziert; im Zentrum der im Übrigen dunklen Büh-ne ist eine rechteckige blaue Fläche zu sehen, die Ägäis. Die Perser in Dortmund in der Übersetzung von Durs Grünbein und der Regie von Marcus Lobbes (3.10.2010) sind ganz auf das Heute gestellt. Auf der Bühne steht ein gelber Bagger – wohl als Symbol für den tiefen Graben der Niederlage und der Gefallenen –, auf den Xerxes einschlägt und auf dem Dareios bei seinem kurzen Auftritt sitzt, während Atossa Kaf-feebecher aus Plastik ordnet. Insgesamt zeigt sich, wie stark in letzter Zeit Aischylos gegenüber den beiden anderen Tragikern auf der Bühne an Boden gewinnt.

Sophokles

Antigone als Symbol des gewaltfreien Widerstandes gegen ein Un-rechtsregime – das ist mit dem Zusammenbruch der osteuropäischen Diktaturen und der DDR nicht mehr von der gleichen konkreten Aktu-alität. Gleichwohl erscheint die Antigone auch weiterhin häufig auf den Bühnen, meist mit einer gewissen Akzentverschiebung. Es geht jetzt

8 Vgl. Flashar (22009) 318f.