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Herbsttagung 2013 - Fachausschuss Neurologie 15./16. Nov 2013 „Ergotherapie sucht Topmodelle": Der Slogan zur Herbsttagung 2013 des Fachausschusses Neurologie kündigte Aktuelles zu Theorie und Praxis einiger ET-Modelle an. Sowohl grundle¬ gende, als auch spezifische und anwendungsbe- zogene Vorträge bauten gut aufeinander auf und wurden engagiert präsentiert und diskutiert. Christiane Mentrup widmete sich in ihrem Vortrag (aus Krankheitsgründen verlesen von Birthe Hucke) dem Begriff Paradigma und den Schichten des Wissens in der Ergotherapie mit historischer Perspektive. Aktuell gilt das Para¬ digma der Betätigung, doch sie fordert „Betä¬ tigungsgerechtigkeit", ein für Deutschland eher noch visionäres Paradigma. Anschließend ging Sabine George der Frage nach, ob klientenzen¬ trierte und betätigungsorientierte Ergothera¬ pie zu einem Unterschied führt: entweder für die Klientinnen, für die Therapeutinnen oder die Wirkungen (Outcome) der Therapie. Ihre internationale Recherche ergab vor allem posi¬ tive Trends für die Betätigungsorientierung. Sie wies jedoch darauf hin, dass trotz begonnener Veränderungen in der Praxis „noch Luft nach oben" sei und sieht, die Ergotherapie zukünftig „client-driven" (Gage/Polatajko 1995), d.h. - bildlich gesprochen - mit den Therapeutinnen auf dem Beifahrersitz als Navigatorinnen und den Klientinnen am Steuer. Die Schweizer Kollegin Daniela Senn stellte das Occupational Therapy Intervention Process Modell vor (OTIPM, Anne G. Fisher 1998). Es ermöglicht die schrittweise Planung und Um¬ setzung von Ergotherapie nach dem Top Down Approach und kann mit dem Assessment of Motor and Process Skills (AMPS)sinnvoll er¬ gänzt werden. Dieses wurde anschließend von Melanie Hessenauer erläutert. Die Referen¬ tinnen dieser beiden Vorträge stellten Hinter¬ gründe und Besonderheiten deutlich heraus und gaben einige Praxisbeispiele. Vorteile von modellgeleiteter Ergotherapie präsentierte Gaby Kirsch aus eigener Praxis¬ erfahrung. Zunächst beschrieb sie prägnant die „CMOP-Welt" mit dem Messinstrument, seiner Entstehungsgeschichte und seinen Kern¬ elementen, dann die Weiterentwicklung zum CMOP-E durch Aufnahme des Aspekts Engage¬ ment/Eingebundensein in Betätigung. Es folgten ein Klientenbeispiel und der ausführliche Be¬ richt über die Implementierung modellgeleiteter Ergotherapie in einer ET-Praxis. Dem schloss sich Birgit Langer nahtlos an. Sie zeigte engmaschig an einem Klientenbeispiel, wie ein Prozessmodell (Canadian Practice Process Framework, CPPF) unter Einsatz des COPM und der Betätigungsanalyse die Ergo¬ therapie in der Neurologie strukturiert und er¬ leichtert. Ulrike Dünnwald lenkte in ihrem Vortrag den Blick auf das PRPP-System der Aufgabenanaly¬ se und Intervention (Chapparo/Ranka), das aus dem australischen Occupational Performance Model (OPMA) entstanden ist. PRPP steht für Perceive (wahrnehmen), Recall (erinnern), Plan (planen) und Perform (durchführen). Es handelt sich um ein betätigungs- und klientenzentriertes Instrument, das kognitiv bedingte Handlungs¬ störungen erfasst. Die Analyse kann mit den Elementen des Interventionssystems in die The¬ rapiegestaltung eingebunden werden. Kathrin Reichel und Katrin Böhme präsen¬ tierten mit dem Occupational Therapy Practice Framework (OTPF) ein Metamodell aus den USA, das Theorien, andere Modelle und Kon¬ zepte zusammenfasst. So entsteht eine Systema¬ tik, die den Gegenstandsbereich und den Pro- zess der Ergotherapie klären kann. Die Referentinnen zum CO-OP-Ansatz bei Er¬ wachsenen mit Schlaganfall, Sara McEwen, for¬ schende Physiotherapeutin aus Kanada, und Sa¬ bine Vinqion hatten ihren Vortrag zweisprachig aufgebaut. Sie stellten Forschungsergebnisse zur Therapie der Schlaganfallfolgen dar, wobei die Kombination von Motorik und Kognition eine besondere Bedeutung erhielt. Der CO-OP- Ansatz mit Ursprüngen in der Pädiatrie bietet den Klienten eine globale kognitive Strategie: „Ziel-Plan-Tu-Check" zum Problemlösen und zum Fertigkeitserwerb. Das Thema wurde nach der Tagung noch umfassend in einem Workshop vertieft. Am Ende hatte Dr. Gisela Beyermann die Aufga¬ be, den roten Faden herauszustellen und zu skiz¬ zieren, wie Modelle in der Ausbildung eingesetzt werden können. Es gelang ihr, von mehreren Seiten die Themen der Referentinnen zu syste¬ matisieren und mit ihrer Leitfrage auch kritisch zu verknüpfen. Sie sprach sich deutlich für mehr Systematik und Argumentation aus, damit z.B. die Auswahl der Modelle für Aus- und Weiter¬ bildung nicht von zufälligen Parametern gesteu¬ ert wird. Eine große Fülle theoretischer Grundlagen wur¬ de ansprechend vorgestellt und in die Praxis übertragen. Es beeindruckt, wie viel Theorie in der Praxis angekommen ist. Die typische Identifikation der neurologischen Ergotherapie über Kompetenzen in Behand¬ lungskonzepten scheint aufzuweichen. Es gab vermehrt die Auffassung, dass die Fähigkeit des „Spezialisierens" auf Fachbereiche oder Behand¬ lungskonzepte nur eine von zehn wesentlichen Enablement Skills der Therapeutinnen sei (siehe CMCE) und andere Fähigkeiten bzw. Aufgaben an Relevanz zunehmen werden, wie z.B. „Bera¬ ten", „Coachen", „Fürsprechen", „Koordinieren". Trotz hohem Anwendungsbezug der Beiträge ab Freitagnachmittag blieb das Spezifische der neu¬ rologischen Klientinnen leider eher blass. Die zahlreichen Fallbeispiele zeigten zwar die Rea¬ lisierung des Theorie-Praxis-Transfers in unter¬ schiedlichen Bereichen, aber dies wurde noch zu wenig vor dem Hintergrund der neurologischen Klientel und seiner Besonderheiten diskutiert. Auch hier ist noch „Luft nach oben", trotzdem sprechen inspirierte Teilnehmerinnen, intensive Diskussionen mit unterschiedlichen Positionen und erwartungsgemäß auch offengebliebene Fragen für eine Fortsetzung der Auseinanderset¬ zung - wo auch immer. Der Tagungsband mit den Vorträgen lohnt sich auch für Kolleginnen, die nicht dabei waren. Die Texte bieten teils mehr Fundierung, teils mehr Praxisbeispiele und reichlich Quellen zur weite¬ ren Vertiefung. Der Termin für die nächste Herbsttagung Neu¬ rologie steht bereits fest: 06./07. November 2015 in Bochum, das Thema ist noch offen. Cosima Pinkowski, Ergotherapeutin und Diplom-Medizinpädagogin pinkowski(ffihawk-hhg.de Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V. Et Reha 53. Jg., 20U, Nr. 1, Hrsg. DVE 39

Herbsttagung 2013 - Fachausschuss Neurologie 15./16. … · COPM und der Betätigungsanalyse die Ergo¬ ... (planen) und Perform (durchführen). Es handelt sich um ein betätigungs-

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Herbsttagung 2013 - Fachausschuss Neurologie 15./16. Nov 2013

„Ergotherapie sucht Topmodelle": Der Sloganzur Herbsttagung 2013 des FachausschussesNeurologie kündigte Aktuelles zu Theorie undPraxis einiger ET-Modelle an. Sowohl grundle¬

gende, als auch spezifische und anwendungsbe-

zogene Vorträge bauten gut aufeinander auf und

wurden engagiert präsentiert und diskutiert.

Christiane Mentrup widmete sich in ihremVortrag (aus Krankheitsgründen verlesen von

Birthe Hucke) dem Begriff Paradigma und denSchichten des Wissens in der Ergotherapie mithistorischer Perspektive. Aktuell gilt das Para¬digma der Betätigung, doch sie fordert „Betä¬tigungsgerechtigkeit", ein für Deutschland ehernoch visionäres Paradigma. Anschließend gingSabine George der Frage nach, ob klientenzen¬

trierte und betätigungsorientierte Ergothera¬pie zu einem Unterschied führt: entweder für

die Klientinnen, für die Therapeutinnen oderdie Wirkungen (Outcome) der Therapie. Ihreinternationale Recherche ergab vor allem posi¬

tive Trends für die Betätigungsorientierung. Siewies jedoch darauf hin, dass trotz begonnenerVeränderungen in der Praxis „noch Luft nach

oben" sei und sieht, die Ergotherapie zukünftig„client-driven" (Gage/Polatajko 1995), d.h. -bildlich gesprochen - mit den Therapeutinnenauf dem Beifahrersitz als Navigatorinnen undden Klientinnen am Steuer.

Die Schweizer Kollegin Daniela Senn stellte dasOccupational Therapy Intervention ProcessModell vor (OTIPM, Anne G. Fisher 1998). Esermöglicht die schrittweise Planung und Um¬setzung von Ergotherapie nach dem Top Down

Approach und kann mit dem Assessment ofMotor and Process Skills (AMPS)sinnvoll er¬gänzt werden. Dieses wurde anschließend von

Melanie Hessenauer erläutert. Die Referen¬

tinnen dieser beiden Vorträge stellten Hinter¬

gründe und Besonderheiten deutlich herausund gaben einige Praxisbeispiele.Vorteile von modellgeleiteter Ergotherapiepräsentierte Gaby Kirsch aus eigener Praxis¬

erfahrung. Zunächst beschrieb sie prägnantdie „CMOP-Welt" mit dem Messinstrument,

seiner Entstehungsgeschichte und seinen Kern¬

elementen, dann die Weiterentwicklung zum

CMOP-E durch Aufnahme des Aspekts Engage¬ment/Eingebundensein in Betätigung. Es folgtenein Klientenbeispiel und der ausführliche Be¬

richt über die Implementierung modellgeleiteterErgotherapie in einer ET-Praxis.

Dem schloss sich Birgit Langer nahtlos an. Sie

zeigte engmaschig an einem Klientenbeispiel,wie ein Prozessmodell (Canadian PracticeProcess Framework, CPPF) unter Einsatz des

COPM und der Betätigungsanalyse die Ergo¬therapie in der Neurologie strukturiert und er¬

leichtert.

Ulrike Dünnwald lenkte in ihrem Vortrag denBlick auf das PRPP-System der Aufgabenanaly¬

se und Intervention (Chapparo/Ranka), das ausdem australischen Occupational Performance

Model (OPMA) entstanden ist. PRPP steht fürPerceive (wahrnehmen), Recall (erinnern), Plan(planen) und Perform (durchführen). Es handeltsich um ein betätigungs- und klientenzentriertes

Instrument, das kognitiv bedingte Handlungs¬störungen erfasst. Die Analyse kann mit den

Elementen des Interventionssystems in die The¬

rapiegestaltung eingebunden werden.

Kathrin Reichel und Katrin Böhme präsen¬

tierten mit dem Occupational Therapy PracticeFramework (OTPF) ein Metamodell aus denUSA, das Theorien, andere Modelle und Kon¬

zepte zusammenfasst. So entsteht eine Systema¬

tik, die den Gegenstandsbereich und den Pro-zess der Ergotherapie klären kann.

Die Referentinnen zum CO-OP-Ansatz bei Er¬

wachsenen mit Schlaganfall, Sara McEwen, for¬

schende Physiotherapeutin aus Kanada, und Sa¬

bine Vinqion hatten ihren Vortrag zweisprachigaufgebaut. Sie stellten Forschungsergebnissezur Therapie der Schlaganfallfolgen dar, wobeidie Kombination von Motorik und Kognitioneine besondere Bedeutung erhielt. Der CO-OP-

Ansatz mit Ursprüngen in der Pädiatrie bietetden Klienten eine globale kognitive Strategie:„Ziel-Plan-Tu-Check" zum Problemlösen und

zum Fertigkeitserwerb. Das Thema wurde nach

der Tagung noch umfassend in einem Workshopvertieft.

Am Ende hatte Dr. Gisela Beyermann die Aufga¬

be, den roten Faden herauszustellen und zu skiz¬

zieren, wie Modelle in der Ausbildung eingesetztwerden können. Es gelang ihr, von mehreren

Seiten die Themen der Referentinnen zu syste¬

matisieren und mit ihrer Leitfrage auch kritischzu verknüpfen. Sie sprach sich deutlich für mehrSystematik und Argumentation aus, damit z.B.

die Auswahl der Modelle für Aus- und Weiter¬

bildung nicht von zufälligen Parametern gesteu¬ert wird.

Eine große Fülle theoretischer Grundlagen wur¬de ansprechend vorgestellt und in die Praxisübertragen. Es beeindruckt, wie viel Theorie inder Praxis angekommen ist.

Die typische Identifikation der neurologischenErgotherapie über Kompetenzen in Behand¬

lungskonzepten scheint aufzuweichen. Es gab

vermehrt die Auffassung, dass die Fähigkeit des„Spezialisierens" auf Fachbereiche oder Behand¬

lungskonzepte nur eine von zehn wesentlichen

Enablement Skills der Therapeutinnen sei (sieheCMCE) und andere Fähigkeiten bzw. Aufgabenan Relevanz zunehmen werden, wie z.B. „Bera¬

ten", „Coachen", „Fürsprechen", „Koordinieren".

Trotz hohem Anwendungsbezug der Beiträge abFreitagnachmittag blieb das Spezifische der neu¬rologischen Klientinnen leider eher blass. Diezahlreichen Fallbeispiele zeigten zwar die Rea¬lisierung des Theorie-Praxis-Transfers in unter¬

schiedlichen Bereichen, aber dies wurde noch zu

wenig vor dem Hintergrund der neurologischenKlientel und seiner Besonderheiten diskutiert.Auch hier ist noch „Luft nach oben", trotzdem

sprechen inspirierte Teilnehmerinnen, intensive

Diskussionen mit unterschiedlichen Positionenund erwartungsgemäß auch offengebliebeneFragen für eine Fortsetzung der Auseinanderset¬

zung - wo auch immer.

Der Tagungsband mit den Vorträgen lohnt sichauch für Kolleginnen, die nicht dabei waren. DieTexte bieten teils mehr Fundierung, teils mehrPraxisbeispiele und reichlich Quellen zur weite¬ren Vertiefung.

Der Termin für die nächste Herbsttagung Neu¬rologie steht bereits fest: 06./07. November 2015in Bochum, das Thema ist noch offen.

Cosima Pinkowski, Ergotherapeutin

und Diplom-Medizinpädagoginpinkowski(ffihawk-hhg.de

Deutscher Verband der Ergotherapeuten e.V. Et Reha 53. Jg., 20U, Nr. 1, Hrsg. DVE 39