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Historische Bemerkungen zum Problem Charakter und K~rperbau 1). Von Hans W. Gruhle (Heidelberg). (Aus dcr Psychiatrischen Kllnlk der Universit~t Heidelberg.) (Eingegangen am 15. Februar 1923.) Die griechische Lehre von den Temperamenten entsprang einer bestimmten biologisehen Theorie: einer ausgepr~gten Humoralbiologie. Rein theoretisch nahm man als wesentliehes KonstitutioDsmcrkmal die S~ftemischung (~QSat~) an, und man betrachtete im Anschlul] an die Empedokleische Lehre yon den vier Elcmentcn vier solcher S~fte als wichtig: die sehwarze und gelbe Galle, das Blut und den Schleim. Ein Schema veranschaulicht am klarsten die Beziehungen: Erde -- warmtrocken -- gelbe Galle -- cholerisches (biliSses) Temperament Wasser -- erst kaltfeucht, dann kalttrocken- schwarze Galle -- melancho. lisehes (nervSses) Temperament. Feuer -- warmfeucht -- Blut -- sanguinisches Temperament. Luft -- kaltfeucht -- Sebleim -- phlegmatisches (lymphatiscbes) Temperament. Das jeweilige Temperament ist eben, wie dieses Wort besagen will, eine Mischung (mit Vorwiegen eines der vier Stoffe). Ein ,,reiner Fall", ein Intemperamentum, kommt nicht oder nur als pathologische Abart vor (~vo~ao[a). Hiervon ging die ganze hellenische Konstitutionslehre aus; sie wendete ihre Aufmerksamkeit wetter darauf, die ~uBeren Merkmale und Formen zu finden, die diese innere Saftestruktur verrieten. So unter- suchte Galen z.B. die Ernahrung, die Hautbeschaffenheit, die Haar- farbe, um regelmal~ig wiederkehrende Beziehungen zwischen diesen ~omenten und den Konstitutionstypen zu finden. Sanguiniker2) sollten z. B. ffiseh, etwas hektisch, Phlegmatiker stumpfblal3 und auf- gesehwemmt aussehen, Melancholiker sollten hager sein, eine dunkle Haut und einen diisteren oder leidenden Blick haben, Choleriker waren x) Die Belege und Quellenangaben werden einer sp~teren grSBeren Arbeit tiber das gleiche Thema vorbehalten. 2) Das Wort ist, wie sein Latein andeutet, spateren Ursprungs (zuerst wolff gegen 850).

Historische Bemerkungen zum Problem Charakter und Körperbau

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Historische Bemerkungen zum Problem Charakter und K~rperbau 1).

Von Hans W. Gruhle (Heidelberg).

(Aus dcr Psychiatrischen Kllnlk der Universit~t Heidelberg.)

(Eingegangen am 15. Februar 1923.)

Die griechische Lehre von den Temperamenten entsprang einer best immten biologisehen Theorie: einer ausgepr~gten Humoralbiologie. Rein theoretisch nahm man als wesentliehes Konsti tutioDsmcrkmal die S~ftemischung (~QSat~) an, und man betrachtete im Anschlul] an die Empedokleische Lehre yon den vier Elcmentcn vier solcher S~fte als wichtig: die sehwarze und gelbe Galle, das Blut und den Schleim. Ein Schema veranschaulicht am klarsten die Beziehungen:

Erde - - warmtrocken - - gelbe Galle - - cholerisches (biliSses) Temperament Wasser - - erst kaltfeucht, dann kal t t rocken- schwarze Galle - - melancho.

lisehes (nervSses) Temperament. Feuer - - warmfeucht - - Blut - - sanguinisches Temperament. Luft - - kaltfeucht - - Sebleim - - phlegmatisches (lymphatiscbes) Temperament.

Das jeweilige Temperament ist eben, wie dieses Wort besagen will, eine Mischung (mit Vorwiegen eines der vier Stoffe). Ein ,,reiner Fall", ein In temperamentum, kommt nicht oder nur als pathologische Abar t vor (~vo~ao[a).

Hiervon ging die ganze hellenische Konstitutionslehre aus; sie wendete ihre Aufmerksamkeit wetter darauf, die ~uBeren Merkmale und Formen zu finden, die diese innere Saftestruktur verrieten. So unter- suchte Galen z .B. die Ernahrung, die Hautbeschaffenheit, die Haar- farbe, um regelmal~ig wiederkehrende Beziehungen zwischen diesen ~omen ten und den Konst i tut ionstypen zu finden. Sanguiniker2) sollten z. B. ffiseh, etwas hektisch, Phlegmatiker stumpfblal3 und auf- gesehwemmt aussehen, Melancholiker sollten hager sein, eine dunkle Hau t und einen diisteren oder leidenden Blick haben, Choleriker waren

x) Die Belege und Quellenangaben werden einer sp~teren grSBeren Arbeit tiber das gleiche Thema vorbehalten.

2) Das Wort ist, wie sein Latein andeutet, spateren Ursprungs (zuerst wolff gegen 850).

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durch einen straffen KSrperbau und ein lebhaftes Kolorit gekenn- zeiehnet. -- Zu diesen Merkmalen des K6rpers als dem Ausdruck der Konstitution traten als Nebenbefund psychisehe Momente: so galt z. B. der Sanguirdker als often gegen die AuBenwelt, leicht sieh ~uBernd, ausgezeiehnet durch Freiheit des Geistes und Tiefe des Gemiits. Forseht man etwas genauer naeh diesen seelischen Merkmalen, so finder man freilieh mancherlei Widerspriiche in sich selbst oder doch Unklarheiten: die eben erwi~hnte Gemiitstiefe des Sanguinikers wird ein andermal bestritten, und es wird ihm nut leiehte Anspreehbarkeit zherkarmt. Aber darin ist sich die griechische Wissenschaft einig: die seelisehen Eigenschaften sind sekund~r, Folgen der nOdatr im Vordergrund des Interesses steht diese selbst. Und diese Einschatzung des Psyehisehen nut als eines Symptoms des K6rperliehen erh/~lt sich lange nach dem Verfall der antiken Kultur, gleiehgiiltig ob die Grundansichten der Humoralpathologie wechseln, oder ob im Mittelalter die drei alehy- mistischen Elemente Salz, Sehwefel und Quecksilber den K6rper kon- stituieren, oder ob in der Solidarpathologie der Zustand des Blutes und der Gewebe als wesentlieh angesehen wird (Stahl-Ho//mann). Ja, es ist interessant zu bemerken, dab selbst die Vierzahl der Tempera- mente vielfach beibehalten wird, obgleich die Empedokleischen Ge- danken, die sie erzeugten, l~ngst dem BewuBtsein der Autoren ent- schwunden waren. ,,Die Figuren des Mythus haben gewechselt, die Zahl und der Mythus blieb gleich" (Henle). Nicht anders verf~hrt heute Walter Jaensch, wenn er seine T-, B-, K- und iY[-Typen aufstellt, naeh deren entsprechendem KSrperausdruek sucht, gewisse seelisehe Begleitph~nomene findet und dann daraus sehlieBt: Sind jene Momente als Phanotypus vorhanden, dann habe ieh das Recht, daraus den tdiotypus zu erkennen. Zwischendurch abet trat diese Einstellung zuriiek, ja sie kehrte sieh urn, insofern man aus dem K6rpertypus zur/ick- sehlieBen wollte auf die seelische Struktur. Aueh bei Gall herrschen noch die alten vier Temperamente, aber sie sind gleichsam selbst~ndig ge- worden fiir die Betrachtung. Wie pr~gt sich der Geist ira K6rper aus -- das ist hier die Frage. Und so lehrt Gall, dab der Choleriker sehwarzes hartes Haar, dunkle Augen, gelbbraune Haut, maBige F/ilia, aber groBe Festigkeit des Fleisehes habe; seine Gesichtsziige seien seharf und aus- drucksvoll, die Umrisse des K6rpers seien stark gezeiehnet. Der Melancholiker habe weiehes diinnes Haar, zarte Haut, blasses Gesieht, feine Ziige, kleine Muskeln, schnelle Bewegungen und eine zarte Ge- sundheit. Der Phlegmatiker zeige eine gerundete Form des K6rpers, Weichheit der fleischigen Teile, einen angefiillten Zustand des Zell- gewebes und eine grol]e Unterleibsh6hle; sein Haar sei hell, die Haut sehlaft. Die K6rperformen des Sanguinikers seien bestimmt und aus- gesprochen, sein Fleiseh sei ziemlieh fest, die Brusth6hle groB, die

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Fiille des K6rpers nur m~Big; er habe nuBbraune Haare, blaue Augen, frische Gesichtsfarbe, belebtes Aussehen und vollen raschen Puls. Galls SchSxlellehre ist allgemein bekannt: Einzelformen des Seh~dels sollen bestimmte geistige Anlagen verraten. Es ist interessant zu erfahren, bei welcher Gelegenheit Gall seine ersten phrenologischen Ideen faBte: er glaubte als Schiller unter seinen Mitschfilern feststellen zu kSnnen, dab die beneideten Besitzer eines guten Gediichtnisses (besonders eines guten Wortged~chtnisscs) groBe vorstehende Augen hi~tten, und so schien ihm auch der umgckehrte SchluB nicht gewagt, dab Leute mit groBen vorstehenden Augen auch ein gutes Wortgedacht- nis haben miiBten! Ebenso war die Methode Lavaters, ebenso die Lombrosos. Alle drei waren auch darin einig, dab der intuitive Blick diese Einsichten beschere. So sagt Lavater: ,,Der bloB wissenschaft- liche Physiognomist miBt wie Dfirer, das physiognomische Genie miB~ und iilhlt wie Raphael." In unseren Tagen ist dies Verfahren wieder von Kretschmer aufgenommen worden: ,,Auf eine vollkommen kiinst- lerische, sichere Schulung unseres Auges kommt niimlich alles an. Das BandmaB sieht nichts."

Heute werfen Jaensch und Kretschmer Portr~ts an die Wand, ~hn- lich wie man sich zu Zeiten Lavaters Kupferstiche zuschiekte. Wenn Kretschmer i~uBert: Das Gesicht ist die Visitenkarte der individuellen Gesamtkonstitution, -- so ist dies ganz im Sinne Lavaters gedacht. Vor einem Kopfe Raphaels (Schule yon Athen) gebraueht Lavater die Worte : , ,Kampf und Sieg scheint mir in diesem Gesichte gleich sichtbar. Dies Gesicht ist reizend und reizbar. Aber es hat gesunden Sinn fiir Wahrheit, Recht, Ordnung und Re l ig ion . . . Es will und kann. Der Mund ki~mpft, das Auge siegt. Im Munde scheint angehauchter Hauch der Wollust zu atmen . . . . scheint yon dem Drange der Religion ver- folgt u~d vcrschlungen zu werden. Der Bogen des Augenlides ist wie die Stirn grog und stiirkereich." Lavater braucht sich nicht an der Erfahrung zu orientieren, er ,,weiB" a priori. Er weiB -- in heutige Ausdrucksweise fibersetzt -- aus dem k5rperlichen Phanotypus intuitiv den seelischen Idiotypus zu erschlieBen. Auf diesen kommt es ihm an.

Die Absonderlichkeit der Gallschen und Lavaterschen Ideen blieb schon den besonneneren Zeitgenossen nicht verborgen, l~ach der ersten Begeisterungswelle fiir die neuen und als geistvoll erkl~rten Ideen, die 1810--1820 besonders in Paris und Edinburg daherrauschte, kam es nut noch zu einer zweiten Erregung weiterer Anteilnahme, als 1842 von Heidelberg aus abermals eine Gall-Propaganda ausging. Aueh M6bius' Rettungsversuch iinderte an der ablehnenden Haltung der Wissenschaft nichts. Lavater hatte sich schon zu Lebzeiten der herbert Krit ik seiner Freunde zu erwehren gehabt. Und so erfreulich es war, dab jene gli~nzenden Phantasmata versanken, so gliicklich das schnelle

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Versinken auch des methodisch ~hnlich orientierten Lombroso die Ver- geudung wissensehaftlicher Energie verhiitete: immer wieder doch tauchte der Gedanke bei verschiedenen Forschern aui: Irgend etwas ist doch wahr an jenen ZusammenMingen. Die Ausdruckslehre jener vier Temperamente hatte zwar immer nur wenige befriedigt; sehr viel feiner schien schon das System der 17 Konstitutionen und 6 Tem- peramente yon Carus gebaut, aber gerade das Versehwinden aller dieser Methoden und Systeme, mochten sie nun feiner oder grSber orientiert sein, bewies: So geht es nicht; diese Wege sind falsch; das Wahre an jenen Beziehungen herauszubekommen, muB auf andere Weise ge- sucht werden. Daft etwas Wahres zu linden sei, bezweifelten wenige. ,,LaBt wohlbeleibte Manner um reich sein, mit glatten KSpfen, und die naehts gut schlafen. Der Kassius dort hat einen hohlen Blick; er denkt zu viel; die Leute sind gefahrlich." Es ist kein Zufall, dab dieses Shakespearesche Wort nicht nur yon Kretschmer zum Eingangsvers seiner Ausfiihrungen gew~hlt wurde, sondern auch yon seinen Vor- g~ngern Carus und Henle schon zitiert worden war. Die Fragestellung ist alt, sie wurde intuitiv geboren; -- jetzt bedarf es der intuitiven Blicke nieht mehr, sondern exakter Erfahrungen, um zu priifen, inwie- weit sich diese Frage wissenschaftlich iiberhaupt beantworten l~Bt. Es bedarf heute auch nicht mehr der geistreichen Satire Lichtenbergs yon den Schweine- und Hundeschwanzen, um jene bedenkliehen Me- thoden Lavaters ad absurdum zu fiihren. Die Wissenschaft ist selbst darfiber hinweggegangen. Heute wollen wit Naehweise, nicht Einf~lle: exakte Priifungen, nieht Vermutungen. Wir wollen aus der Geschichte lernen, wollen jene Fehler vermeiden. Kretschmer vermeidet sie nicht.

Kretschmer.s Gedankengang ist: Bei gewissen geistigen StOrungen linden sich kSrperliche Merkmale konstitutiver Art und seelische Merk- male konstitutiver Art; es ist wahrseheinlich, dab ~ihnliche kSrperliche Merkmale ~ihnlichen seelischen Momenten entspreehen werden, also auf gleicher Konstitution beruhen. In anderen Worten: Bei a findet sich b und c, folglich, wenn ich etwas J~nliches treffe wie b oder c, werde ieh auch a als vorhanden annehmen mtissen. Welch ein SchluB! Oder in noch anderen Worten: Weil ich bei einer Psychose kSrperliche Merkmale finde, muB ich, wo ich diese kSrperlichen Merkmale finde, auch jenen Idiotyp annehmen, den ich nicht etwa kenne, sondern den ich als der Psychose zugrunde liegend annehme! Hierzu kommen noch gef~hrliche Hilfstheorien. LaBt sich im einzelnen ein Zusammensein, ein l~eben- einander, nicht naehweisen, so wird es als ]riCher vorhanden angenommen (vollzogener Dominanzwechsel), oder es wird in Zukunft vorhanden sein (zu erwartender Dominanzwechsel), oder es stimmt zwar nicht bei diesem Individuum, aber bei einem andern aus seiner Verwandtschaft! Man wird recht ungeduldig, wean man sieht, wie junge Forscher sich

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so wenig vonder Geschichte beraten lassen und wiederum Methoden anwenden, die die Geschichte schon als unbrauchbar erwies.

Es ist also ein altes Problem, nach einem Einteilungsschema, nach einer Typenlehre der Menschheit zu streben und nach dem kSrperliehen Ausdruck dieser Typik zu suchen. Wie wenig beffiedigend, wenig ,,ver- bindlich" die zahlreichen so verschieden orientierten Versuche bisher ausgefallen sind, lehrt die Charakterologie. Abet unter den Gesichts- punkten dieser Typenlehre erscheint ein Kretschmerseher Gesichtspunkt als neu. Es ist seine Idee, die Gesichtspunkte der Generaleinteilung der Menschen dem Pathologischen zu entnehmen. Dies ist interessant. Es ist der Gedanke, dab das Krankhafte ja oft die l~bertreibung, ja die Karikatur des Normalen darstelle. Und Kretschmer wendet diese all- gemeine Erkenntnis, die dem Normalpsychologen schon manchmal erlaubte, das Verst~ndnis fiir ein bestimmtes normales Ph~nomen aus dem Abnormen zu entnehmen, auf die Charakterologie an. Freilieh hat er aueh hier -- wohl ohne es zu ahnen -- seine Vorl~ufer. O. Rosen- bach war vielleieht der erste, der pathologisehe Gesichtspunkte zur Lehre yon der Einteilung der normalen Typen benutzte (1883). Sein Schiller F. C. R. Eschle (1910) wollte Reihen konstruieren, an deren einem Ende ein uns gelgufiges seelisches Krankheitsbild, an deren anderem ein normaler Typus stehe. Dabei zieht er auch den hebe- lohrenen und cyelischen Typus in den Kreis seiner Betrachtungen. Und unabh~ngig yon ihm hatte Heinrich Stadelmann (1909) Ji_hnliehes (freilich recht flilchtig) versucht. Er nimmt etwa 5, Eschle 14 Grund- typen an (W. Jaensch mindestens 3--4), denen bei Kretschmer 2 groBe Konstitutionsgruppen gegenilberstehen, iKag nun jcnc, mag diese Einteilung befriedigender erscheinen: auch hier teilen fast alle Kun- digen die Meinung: nicht nur an den Beziehungen der Temperamente zum K/3rl0erbau, sondern auch an denen ihrer pathologisehen Kari- katuren zum KSrperbau ist etwas Wahres; es gilt nun, das Wesen und die Regelm~Bigkeit dieser Beziehungen aufzudecken. Und insofern Kretschmer einen ersten Schritt auf diesem Wege rut, verdient er unsern Dank. Alle obigen ernsten Einw~nde treffen nicht seine Feststellungen, treffen nut die Lavaterschen Schlilsse, die er aus ihnen zieht. Seine reine Feststellung: schizophrene Psychosen haben in x % diesen, in y % jenen KSrperbau, soll in keiner Weise bezweifelt werden. Abet diese Feststellung l~Bt hSchstens den SchluB zu, dab die Schizophrenie also mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit nut bei diesem KSrperbau vorkomme, keineswegs etwa, dab ilberall, wo dieser KSrperbau vor- k~me, der hypothetische schizophile Idiotyp zugrunde liege. Selbst wenn sieh die Prozentzahlen der Beteiligung des asthenischen, athle- tisehen, dysplastischen Typus an der Schizophreniegruppe in anderen Gegenden (mit anderer BevSlkerung) bestatigen so]lten, whre damit

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noch nichts fiber die Art dieser Beziehungen gesagt. Es war vielleieht nicht sehr glficklich, dab Kretschmer seinen 175 Sehizophrenen 85 Zirku- l~re kontrastierte : man w~re zu wesentlich sichereren Schlfissen gelangt, wenn 100 reine einwandsfreie schwi~bisehe Schizophrenien mittleren Alters mit 100 schwi~bischen Anginakranken gleichen Geschlechts und gleichen Atters verglichen worden wi~ren, oder wenn man als Gegen- probe vielleicht noeh besser eine soziale Gruppe, etwa 100 Zigarren- arbeiter, gewi~hlt hi~tte. Erst dann, wenn sehizophrene und zirkuli~re Gruppen mit solchen ,,normalen" Gruppen vergliehen werden kSnnen, lassen die gewonnenen Zahlen Deutungen zu. Die Erblichkeitsunter- suehungen Koller-Diems und besonders die Unehelichenforsehungen Boltes haben hier methodiseh den Weg gewiesen. Warum sollen immer wieder alte Fehler yon neuem gemacht werden ? Stellt sieh dann wirk- lieh heraus, dab bestimmte KSrperbautypen nut den schizophrenen oder zirkuli~ren Gruppen und nicht den sozialen Gruppen angehSren, dann ist zum mindesten eine gewisse ,,Affiniti~t" zwischen beiden Momenten erwiesen, wobei aber erst dutch weitere Untersuehungen zu kli~ren w~re, ob das eine das andere Moment kausal bedinge, oder ob beide wiederum yon einem dritten Faktor abh~ngen. Auch bliebe immer noch jene Beziehung zu erwi~gen, dal3 ein bestimmter KSrperbau zur Schizophrenie ,,disponiere" im Sinne einer hi~ufigen, aber nicht not- wendigen Jd-Koppelung.

Neue Gesichtspunkte zur Frage des Zusammenhanges zwischen KSrperbau und Charakter haben Rutz und HeUpach beigebracht; Rutz (1911) mit seinen Atmungstypen:

heiI3 weichfiihlend = Abdomina l typus = vorgeschobener UnterkSrper , heiB energisch = Ascendenztypus = aufs te igendangespanntesMuske lsys tem, kiihl energisch ~ Descendenztypus = R u m p f m u s k e l n angespann t nach un ten kiihl weichfiihlend = Thorakaltypus ~ hervorgehobene Brust . [gerichtet,

Wenn manehes an den Rutzschen Gedanken auch etwas abstrus ist und besonders den Arzt seltsam anmutet, so sind seine tats~ehliehen Beobaehtungen doeh sehr nachprfifungswert. Endlieh hat Hellpach (1922) neue Wege gewiesen mit seinen Studien fiber das fri~nkische Gesieht. Es handelte sich hier um den bemerkenswerten Versuch, aus dem Phi~notypus dutch Herausnehmen der Parabeziehungen den Idio- typ zu konstruieren oder i. a. W. aus dem Idiotypus durch Analyse der Parakinese den Phi~notypus zu erkli~ren. Hier zeigt sieh ein viel- verspreehender Anfang, die Einfliisse der Umwelt und der eigenen Seele auf den eigenen KSrper im strukturbestimmenden Sinne zu ergriinden und zu sehen, was dann vom Idiotyp noch fibrigbleibt.

Z. f. d. g. Neur. u. Psych. LXXXIV. 29