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Ort: Praktikumsraum der Physiologie MAFO Ebene 0 Raum 222 Süd Zeit: 1100 - 1700 Uhr gemäß Gruppenverteilungsplan Leitung: PD Dr. B. Eiben, PD Dr. M. Meins, Dr. W. Klein, Dr. S. Stemmler, Dr. S. Hoffjan, Dr. J. Kötting, Dr. A. Epplen, P. Szyld (Arzt) Humancytogenetik 3 Vorbemerkung: Zur erfolgreichen Teilnahme am Praktikum ist die Kenntnis dieses Skripts unerläss- lich. Dieses Skript kann jedoch kein Lehrbuch ersetzen und deshalb sollte die Vorbe- reitung auch mit einem Lehrbuch erfolgen. Dies ist insbesondere zur theoretischen Aufarbeitung der angeführten Lernziele erforderlich, die vor der Praktikumsteilnahme erfolgen muss! 1. Einleitung Die Humanzytogenetik befasst sich mit Veränderungen menschlicher Chromosomen und den daraus resultierenden Fehlbildungen bzw. Entwicklungsstörungen. Der Mensch hat 2n = 46 Chromosomen. Dies wurde erst 1956 von Tijo und Levan richtig erkannt. Bis dahin war man von 48 Chromosomen ausgegangen. Wesentlich zum Erfolg der genannten Forscher trug die Anwendung einer neuen Präparations- technik bei. Diese beruht darauf, sich teilende Zellen mit einer hypotonen Lösung zu behandeln, um eine bessere räumliche Trennung der Chromosomen zu erzielen. Bald nach Entdeckung der richtigen Chromosomenzahl gelang es, die Trisomie des Chromosoms 21 im Falle des Down Syndroms zu dokumentieren sowie Mono- und Trisomien der Geschlechtschromosomen zu entdecken. Weitere Verbesserungen der Präparationstechniken wie z.B. optimierte Zellkulturmedien, die Stimulation der Zell- teilungsaktivität durch Phytohämagglutinin (PHA) und die Arretierung der Chromo- somen durch Colchizin in der Metaphase folgten und ließen die Gewinnung von zahl- reichen, gut analysierbaren Metaphasechromosomen zur Routine werden. Trotz die- ser technischen Fortschritte war eine Identifizierung der menschlichen Chromosomen schwierig, denn sie sind zahlreich und klein und viele von ihnen zeigen eine sehr ähnliche Morphologie. Mit Hilfe der damals bekannten Färbetechniken, bei denen alle Chromosomen homogen angefärbt werden (siehe Abb. 1a), war nur eine sichere Identifizierung der Chromosomen 1-3, 16-18 und zumeist des Y Chromosoms mög- lich. Die Überwindung dieser Schwierigkeiten gelang erst Anfang der 70er Jahre mit der Entwicklung neuer Färbe- und Differenzierungsmethoden, den sog. Banden- oder Bänderungstechniken. Chromosomen, die mit diesen Techniken angefärbt wer- den, zeigen Muster aus unterschiedlich großen dunklen, hellen oder blass gefärbten Bereichen, den Banden (siehe Abb. 1b). Das Bandenmuster ist für jedes Chromo- som spezifisch; nur homologe, strukturgleiche Chromosomen zeigen ein gleiches Muster. Mit der Anwendung der Bandentechniken hat sich in der Medizin die Chro- mosomendiagnostik etabliert. Mit ihrer Hilfe kann bei einer Reihe von angeborenen Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen die chromosomale Ursache festgestellt oder eine vermutete Ursache ausgeschlossen werden. Damit ist es auch möglich, das Wiederholungsrisiko für Nachkommen zu berechnen sowie eine entsprechende

Humancytogenetik 3 - Ruhr-Universität Bochum · des peripheren Bluts das am besten geeignete und am meisten verwendete Aus- ... Der Karyotyp des Menschen zeigt normalerweise 22 Autosomenpaare

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Ort: Praktikumsraum der Physiologie MAFO Ebene 0 Raum 222 Süd Zeit: 1100 - 1700 Uhr gemäß Gruppenverteilungsplan Leitung: PD Dr. B. Eiben, PD Dr. M. Meins, Dr. W. Klein, Dr. S. Stemmler, Dr. S. Hoffjan, Dr. J. Kötting, Dr. A. Epplen, P. Szyld (Arzt)

Humancytogenetik 3

Vorbemerkung:

Zur erfolgreichen Teilnahme am Praktikum ist die Kenntnis dieses Skripts unerläss- lich. Dieses Skript kann jedoch kein Lehrbuch ersetzen und deshalb sollte die Vorbe- reitung auch mit einem Lehrbuch erfolgen. Dies ist insbesondere zur theoretischen Aufarbeitung der angeführten Lernziele erforderlich, die vor der Praktikumsteilnahme erfolgen muss!

1. Einleitung Die Humanzytogenetik befasst sich mit Veränderungen menschlicher Chromosomen und den daraus resultierenden Fehlbildungen bzw. Entwicklungsstörungen. Der Mensch hat 2n = 46 Chromosomen. Dies wurde erst 1956 von Tijo und Levan richtig erkannt. Bis dahin war man von 48 Chromosomen ausgegangen. Wesentlich zum Erfolg der genannten Forscher trug die Anwendung einer neuen Präparations- technik bei. Diese beruht darauf, sich teilende Zellen mit einer hypotonen Lösung zu behandeln, um eine bessere räumliche Trennung der Chromosomen zu erzielen. Bald nach Entdeckung der richtigen Chromosomenzahl gelang es, die Trisomie des Chromosoms 21 im Falle des Down Syndroms zu dokumentieren sowie Mono- und Trisomien der Geschlechtschromosomen zu entdecken. Weitere Verbesserungen der Präparationstechniken wie z.B. optimierte Zellkulturmedien, die Stimulation der Zell- teilungsaktivität durch Phytohämagglutinin (PHA) und die Arretierung der Chromo- somen durch Colchizin in der Metaphase folgten und ließen die Gewinnung von zahl- reichen, gut analysierbaren Metaphasechromosomen zur Routine werden. Trotz die- ser technischen Fortschritte war eine Identifizierung der menschlichen Chromosomen schwierig, denn sie sind zahlreich und klein und viele von ihnen zeigen eine sehr ähnliche Morphologie. Mit Hilfe der damals bekannten Färbetechniken, bei denen alle Chromosomen homogen angefärbt werden (siehe Abb. 1a), war nur eine sichere Identifizierung der Chromosomen 1-3, 16-18 und zumeist des Y Chromosoms mög- lich. Die Überwindung dieser Schwierigkeiten gelang erst Anfang der 70er Jahre mit der Entwicklung neuer Färbe- und Differenzierungsmethoden, den sog. Banden- oder Bänderungstechniken. Chromosomen, die mit diesen Techniken angefärbt wer- den, zeigen Muster aus unterschiedlich großen dunklen, hellen oder blass gefärbten Bereichen, den Banden (siehe Abb. 1b). Das Bandenmuster ist für jedes Chromo- som spezifisch; nur homologe, strukturgleiche Chromosomen zeigen ein gleiches Muster. Mit der Anwendung der Bandentechniken hat sich in der Medizin die Chro- mosomendiagnostik etabliert. Mit ihrer Hilfe kann bei einer Reihe von angeborenen Fehlbildungen und Entwicklungsstörungen die chromosomale Ursache festgestellt oder eine vermutete Ursache ausgeschlossen werden. Damit ist es auch möglich, das Wiederholungsrisiko für Nachkommen zu berechnen sowie eine entsprechende

Aufklärung und genetische Beratung anzubieten. Mit Hilfe der pränatalen Diagnostik kann schon vor der Geburt eine Chromosomenanalyse beim Fötus durchgeführt werden. Da die Identifizierung und Untersuchung von Metaphasechromosomen in der klinisch genetischen Diagnostik von zentraler Bedeutung ist, sollen im Praktikumsteil Human- zytogenetik Kenntnisse über die Darstellung und Analyse von mitotischen Metapha- sechromosomen vermittelt werden. Dazu gehört die Anfertigung eines Karyogramms eines Menschen. Außerdem soll anhand von Fallbeispielen die Auswirkung chromo- somaler Veränderungen auf den Anlageträger bzw. dessen Familie besprochen wer- den.

Abb. 1a: Metaphase mit homogen gefärbten menschlichen Chromosomen

Abb. 1b: Metaphase mit G-gebänderten menschlichen Chromosomen

1.1 Präparation von Metaphasechromosomen des Menschen Zur

routinemäßigen Gewinnung von Chromosomen des Menschen sind Lymphozy- ten

des peripheren Bluts das am besten geeignete und am meisten verwendete Aus- gangsmaterial (weitere Gewebe für die Chromosomenanalyse sind in Tabelle 1 auf- geführt). Heparinisiertes Blut wird in Kulturmedium bei 37° C drei Tage lang kultiviert. Dem Kulturmedium, wird Phytohämagglutinin (PHA) zugesetzt. PHA ist ein Mitogen und regt T-Lymphozyten, die normalerweise im peripheren Blut keine Teilungsaktivität zeigen, während der Kultur zu wiederholten Zellteilungen an. Etwa 30-90min vor dem Abbruch der Kultur fügt man Colcemid hinzu. Diese dem pflanzlichen Colchizin ähnli- che Verbindung unterbindet die Ausbildung des Spindelapparates der Zellen, so dass die Chromosomen im Metaphasestadium verharren. Dadurch kommt es zu ei- ner Anreicherung der Kulturen mit Lymphozyten, die Metaphasechromosomen ent- halten. Zu Beginn des sich dann anschließenden Aufarbeitungsprozesses werden die Zellen mit einem hypotonen Medium (0,56 % KCl) gemischt. Dieses Medium be- wirkt ein Anschwellen der Lymphozyten und ein Auseinderweichen der Metaphase- chromosomen. Dadurch wird die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sich die Chromo- somen einer Zelle beim Auftropfen von Zellsuspension auf einen Objektträger über- lagern und eine Karyotypanalyse erschweren. Vor dem Auftropfen der Lymphozyten auf die Objektträger wird die Lymphozytensuspension mit einem Gemisch aus Eises- sig und Methanol fixiert. Um das charakteristische Bandenmuster zu erhalten müssen die Chromosomen mit speziellen Techniken angefärbt werden. Die routinemäßig am häufigsten ange- wandte Technik ist die G-Banden-Technik (auch GTG-Technik genannt nach: G-

bands by Trypsin using Giemsa). Die auf den Objektträgern aufgetropften und ange- trockneten Metaphasechromosomen werden zur Erzeugung des Bandenmusters mit Trypsin (ein Enzym, das Eiweiß verdaut) vorbehandelt und dann mit einer Giemsa- Farbstofflösung gefärbt. Diese Technik erzeugt bei Chromosomen im Metaphasesta- dium etwa 300-600 hell und dunkel gefärbte Banden pro haploidem Chromosomen- satz. Die Anzahl der Banden ist abhängig vom Kondensationsgrad der Chromoso- men. Sie nimmt mit zunehmender Kondensation ab. In frühen Prophasechromsomen können bis zu 2000 Banden erkennbar sein. Die chemischen Reaktionen, durch wel- che die unterschiedlichen Bandentypen an den Chromosomen entstehen, sind noch nicht vollständig geklärt. Möglicherweise ergeben diejenigen Chromosomenbereiche mit einem hohen Nicht-Histon-Protein Anteil die dunklen G-Banden. Offenbar ent- halten diese dunklen G-Banden auch DNA Sequenzen mit einem relativ hohen Ade- nin-Thymin Gehalt, während die hellen Banden einen hohen Guanin-Cytosin Gehalt besitzen. In den hellen G-Banden wurden auch deutlich mehr Gene lokalisiert als in den dunklen. In der humanzytgenetischen Praxis werden nach der Bänderung die Chromosomenpräparate nach solchen Metaphasen durchsucht, bei denen die Chromosomen gut ausgebreitet und nicht überlagert sind sowie ein optimal differen- ziertes Bandenmuster zeigen.

1.2 Charakterisierung der menschlicher Chromosomen

Der Karyotyp des Menschen zeigt normalerweise 22 Autosomenpaare und 2 Ge- schlechtschromosomen (Gonosomen). Die beiden Geschlechtschromosomen der Frau sind einander homolog und werden als X Chromosomen bezeichnet; der Mann hat als Gonosomen ein einzelnes X Chromosom und das für das männliche Ge- schlecht charakteristische Y Chromosom. Diese Verteilung der Geschlechtschromo- somen bewirkt, dass Söhne ihr X Chromosom immer von der Mutter und ihr Y Chro- mosom vom Vater erhalten. Der Vater vererbt sein X Chromosom nur an seine Töchter. Jedes der 46 Metaphasechromosomen des Menschen wird durch die Zentromerregion (Spindelfaseransatzstelle), die üblicherweise als primäre Einschnü- rung sichtbar ist und an der die beiden Schwesterchromatiden noch zusammenhän- gen, in einen mit p bezeichneten kurzen und in einen mit q bezeichneten langen Arm unterteilt. Die Lage der Zentromerregion ist konstant. In der Humanzytgenetik werden die Chromosomen aufgrund der Lage der Zentromerregion in drei Gruppen eingeteilt:

1. metazentrische Chromosomen: Das Zentromer liegt in der Mitte des Chromo-

soms oder ist der Mitte sehr nahe. 2. submetazentrische Chromosomen: Das Zentromer ist deutlich von der Mitte

bzw. dem Ende des Chromosoms entfernt. 3. telozentrische Chromosomen: Das Zentromer befindet sich nahezu am Ende

des Chromosoms.

Abb. 2: Eingruppierung der Chromosomen nach Lage des Zentromers

Tabelle 1: Gewebe, die in der Routinediagnostik eingesetzt werden

Blut postnatale Chromosomenanalyse

Hautfibroblasten Nachweis von Chromosomenabberationen, die in

Lymphocyten nicht nachweisbar sind

Knochenmark Nachweis leukämieassoziierter Abberationen

Amnionzellen pränatale Diagnostik Chorionzotten

Abortgewebe Nachweis chromosomaler Ursachen für die Fehlgeburt

1.3 Molekulare Zytogenetik

Auch in der Zytogenetik werden in zunehmendem Maße molekulargenetische Tech- niken eingesetzt, um das Vorhandensein bestimmter Chromosomen, Gene oder DNA-Sequenzen zu überprüfen. Eine in der Humanzytgenetik häufig angewendete, diagnostische Testmethode ist die Fluoreszenz In Situ Hybridisierung (FISH). Das Prinzip dieser Methode besteht darin, eine DNA-Sequenz, die spezifisch für ein be- stimmtes Chromosom oder Gen ist, als Sonde zu verwenden und mit den Metapha- sechromosomen einer zu prüfenden Probe zu hybridisieren. Dabei muss zunächst sowohl die DNA der Sonde als auch der Chromosomenprobe durch Denaturieren in eine einzelsträngige Form überführt werden. Dann erfolgt für die in situ Hybridisie- rung die Zugabe der Sonden-DNA zu den Chromosomen. Bei Vorliegen komple- mentärer Stränge in Sonde und Chromosomenprobe bilden sich in den Chromoso- men DNA-Doppelstränge (Hybridstränge) aus Sonden- und Proben-DNA. Zum Zweck der Markierung wird die Sonden-DNA mit fluoreszierende Substanzen mar- kiert. Im Fluoreszenzmikroskop fluoreszieren dann diejenigen Chromosomen oder chromosomale Regionen, an welche die Sonde hybridisiert hat. Die FISH Methode

erlaubt es, auch an Interphasekernen nachzuprüfen, ob ein Karyotyp mit einer nume- rischen Chromosomenaberration vorliegt oder welche DNA-Sequenzen in Tumorge- weben amplifiziert wurden. Voraussetzung ist wieder die Verfügbarkeit einer chromo- somen- bzw. tumorspezifischen Sonden-DNA. Bei Trisomie 21 können z.B. unter Verwendung einer Chromosom 21 spezifischen DNA Sequenz als Sonde in den meisten Interphasezellen drei fluoreszierende Bereiche nachgewiesen werden. Der besondere Vorteil der FISH Methode besteht darin, dass eine pränatale Chromoso- menanalyse direkt an nicht kultivierten Interphasezellen der Amnionflüssigkeit vorge- nommen werden kann und eine zur Chromosomendarstellung bei diesen Zellen nö- tige, bis zu 14 Tage dauernde Zellkultur überflüssig wird. Chromosomenspezifische Nachweise an Interphasekernen sind inzwischen für alle Autosomen und die X und Y Chromosomen möglich. Durch Einsatz unterschiedlicher Sonden und verschiedener Fluoreszenzsubstanzen können in demselben Präparat auch gleichzeitig unter- schiedliche Chromosomen oder chromosomale Regionen mit verschiedenen Fluo- reszenzfarben charakterisiert werden (Vielfarben-FISH). Metaphasechromosomen erscheinen dann wie mit verschiedenen Farben angemalt (daher auch die Bezeich- nung: Chromosome painting).

2. Praktikum

2.1. Erstellung eines Karyogramms des Menschen

2.1.1. Lernziele

• Der Ablauf einer Chromosomenpräparation soll (in groben Zügen) beschrie- ben werden können.

• Die Anzahl der Autosomen und Gonosomen soll gekannt werden.

• Die Begriffe „Zentromer“, „Telomer“, „Satellit“ und „NOR“ sowie die Funktion dieser Strukturen sollen erklärt und am Chromosom gezeigt werden können.

• Die Chromosomen sollen nach Lage des Zentromers (metazentrisch, submetazentrisch, telozentrisch) eingeteilt werden können.

2.1.2. Theorie Um eine Chromosomenanalyse bei einem Menschen durchführen zu können, erstellt man ein Karyogramm dieses Menschen in Form eines geordnet arrangierten Chro- mosomensatzes. Dazu wurde früher von einer geeigneten Metaphase eine Fotogra- fie angefertigt. Die Chromosomen wurden dann aus dem Foto ausgeschnitten und in eine Karyogrammvorlage entsprechend der Reihung der standardisierten Bände- rungskarten nach der Pariser Nomenklatur (Paris Conference 1971) und dem Denver Schema eingeklebt. Zur Erstellung von Karyogrammen werden heute hochauflösende Mikroskope mit digitalen Kameras und Computern gekoppelt. Mit Hilfe einer speziellen Software können Chromosomen am Bildschirm bearbeitet und anschließend in ein Kary- ogrammvorlage einsortiert werden. Zeitraubende Arbeiten wie das photographische Aufnehmen von Metaphasen auf Filme, daran anschließende Dunkelkammertätig- keiten und das Ausschneiden und Aufkleben der Chromosomen in Karyogrammvor- lagen entfallen dadurch. Ein Beispiel für ein menschliches Karyogramm ist in Abb. 4 darfestellt. Nach internationaler Übereinkunft (Denver Convention, Paris Conference, sieh Abb. 3) werden die Chromosomen des Menschen entsprechend ihrer abnehmenden Länge von 1 bis 22 durchnummeriert. Chromosom 1 ist das größte Chromosom, Chromosom 21 das kleinste (nicht Chromosom 22 wie ursprünglich angenommen). Die Chromosomen 13, 14 und 15 sowie die kleinen Chromosomen 21 und 22 zeich- nen sich gegenüber den übrigen Chromosomen jeweils durch die telozentrische Lage der Zentromerregion, durch eine Nukleolus-Organisator-Region (NOR) und ei- nen endständigen Satelliten am kurzen Arm aus. In den NOR Regionen sind die Gene für die ribosomale RNA lokalisiert, ihre Position ist durch eine sekundäre Ein- schnürung markiert. Als Satelliten werden kleine, endständige (knopfähnliche) Chro- mosomensegmente bezeichnet, die durch die sekundäre Einschnürung vom Chro- mosomenkörper abgesetzt sind. Das Y Chromosom ist ebenfalls telozentrisch, trägt aber weder einen Satelliten noch ribosomale Gene. Chromosomen mit einer ähnli- chen Lage der Zentromerregion und ähnlicher Länge werden in Gruppen zusam- mengefasst. Insgesamt hat man 7 einzelne mit A bis G bezeichnete Gruppen gebil- det. Die Gruppe A enthält die größten Chromosomen; in den nachfolgenden Gruppen nimmt die Größe der Chromosomen ab; in der Gruppe G befinden sich die kleinsten Chromosomen.

Gruppe A: Chromosomenpaare 1, 2 und 3 (meta und submetazentrisch) Gruppe B: Chromosomenpaare 4 und 5 (submetazentrisch) Gruppe C: Chromosomenpaare 6 bis 12 und X (submetazentrisch) Gruppe D: Chromosomenpaare 13, 14 und 15 (telozentrisch) Gruppe E: Chromosomenpaare 16, 17 und 18 (submetazentrisch) Gruppe F: Chromosomenpaare 19 und 20 (metazentrisch) Gruppe G: Chromosomenpaare 21, 22 und Y (telozentrisch)

Die Erstellung des Karyotyps eines Menschen auf der Basis gebänderten Chromo- somen erfolgt im allgemeinen nach Maßgabe der standardisierten Chromosomen- bänderungskarten, wie sie bei der Paris Conference 1971 präsentiert wurden. Die Ziffern der Bandenkarte dienen zur genauen Lokalisation einer zu bezeichnenden Bande. Bei der international gebräuchlichen, formalen Bezeichnung normaler und aberranter Karyotypen geht man folgendermaßen vor: Zuerst wird die Gesamtzahl (2n) der Chromosomen angeführt, dann folgt nach einem Komma die Geschlechtschromoso- menkonstitution. Die genaue Bezeichnung einer eventuellen Aberration steht nach den Geschlechtschromosomen geschrieben und ist von diesen durch ein weiteres Komma getrennt. So lautet die Bezeichnung für einen normalen männlichen Karyo- typ 46,XY bzw. 46,XX für einen weiblichen. Ein Junge mit Down-Syndrom (freie Tri- somie 21) hat die Karyotypformel 47,XY,+21.

2.1.2. Durchführung

Da wir nicht jedem Studenten einen Computer mit entsprechender Software zur Verfügung stellen können, werden im Kurs Computerausdrucke von Metaphasen verwendet. Die vorbereiteten Chromosomen sollen in eine Karyogrammvorlage einsortiert und eine Beurteilung des erstellten Karyogramms vorgenommen werden (regelrechte Anzahl der Chromosomen? Numerische Abberation? Diagnose?).

Im Kursraum werden Mikroskope bereitstehen, mit denen Chromosomenpräparate aus der Diagnostik angeschaut werden können. Eine übersichtliche Metaphase ist bereits eingestellt. Deshalb sollten die Einstellungen des Mikroskops nur nach Rück- sprache mit einem Betreuer geändert werden.

Abb. 3: Pariser Nomenklatur (Paris Conference 1971) zur Bezeichnung der Banden

Abb. 4: Beispiel eines menschlichen Karyogramms

2.2. Chromosomenabberationen und ihre klinische Bedeutung

2.2.1 Lernziele

• Die unterschiedlichen Chromosomenabberationen sollen aufgezählt werden und das Prinzip ihrer Einteilung erklärt werden können.

• Entstehungsmechanismen der verschiedenen Abberationen sollen erklärt wer- den können.

• Die beim Menschen vorkommenden numerischen Abberationen, die mit dem Leben vereinbar sind, sollen benannt und deren wichtigsten Symptome be- schrieben werden können.

• Beispiele von Krankheitsbildern, die durch strukturelle Abberationen verur- sacht werden, sollten bekannt sein.

• Die Folgen struktureller Abberationen für Anlageträger und deren Angehörige sollen erklärt werden können.

2.2.2 Theorie

Seit der Einführung der neuen Präparations- und Bänderungstechniken ist eine Viel- zahl autosomaler und gonosomaler Chromosomenstörungen entdeckt worden. Zu- sätzlich konnten noch viele Chromosomenvariantionen entdeckt werden, die aber für die Entwicklung eines Individuums ohne Bedeutung sind. Mehr als 20% aller Kon- zeptionen beim Menschen haben Chromosomenstörungen. Durch spontane Aborte verringert sich der Anteil der Chromosomendefekte aber auf 0,6% bei Lebendgebur- ten. Zwei Kategorien von zytogenetisch erkennbaren Aberrationen können grund- sätzlich unterschieden werden:

• Numerische Chromosomenaberrationen

• Strukturelle Chromosomenaberrationen

2.2.2.1 Numerische Chromosomenabberationen

Numerische Chromosomenabberationen zeichnen sich durch eine Veränderung der Anzahl der Chromosomen aus. Dabei können ganze Chromosomensätze zusätzlich vorhanden sein (Polyploidie) bzw. einzelne Chromosomen betroffen sein (Aneuploi- die). Die numerischen Chromosomenaberrationen des Menschen haben ihre Hauptursa- che in der fehlerhaften Verteilung einzelner Chromosomen bei der Keimzellenbildung der Eltern. Diese Fehlverteilungen beruhen in überwiegendem Maße auf der Nicht- Trennung (Non-disjunction) zweier homologer Chromosomen in der 1. Reifeteilung, bzw. der Schwesterchromatiden eines Chromosoms in der 2. Reifeteilung. Das Re- sultat sind Keimzellen, denen das betreffende Chromosom fehlt und solche, die die- ses Chromosom zweimal besitzen. Nach der Vereinigung mit einer normalen, haploi- den Keimzelle liegt dann im ersten Fall eine Monosomie und im zweiten Fall eine Trisomie dieses Chromosoms vor. Monosomien sind beim Menschen leta l, mit der Ausnahme einer Monosomie für das X Chromosom. Neben Aneuploidien der Ge- schlechtschromosomen werden nur die autosomalen Trisomien der Chromosomen 13, 18 und 21 bei lebendgeborenen Kindern gefunden. Non-disjunction kann auch in der Mitose während der frühen Zellteilungsstadien des Keims vorkommen. Dies führt zu Karyotypen mit einem chromosomalen Mosaik. Hierbei können sowohl Zelllinien mit normalen als auch mit abberanten Chromoso- menzahlen entstehen. Mit zunehmendem Gebäralter der Mutter nimmt die Häufigkeit

numerischer Chromosomenaberrationen zu. Eine Ausnahme scheint das Turner- Syndrom zu sein. Der Zusammenhang zwischen dem Gebäralter der Mutter und der Häufigkeit einer numerischen Chromosomenaberration bei den Kindern ist für dieje- nige Form des Down-Syndroms, die durch drei ‘freie’ Chromosomen 21 hervorgeru- fen wird, in Abb. 5 dargestellt.

Abb 5.: Abhängigkeit des Risikos für ein Down-Syndrom vom Alter der Schwangeren.

2.2.2.2. Strukturelle Chromosomenabberationen

Bei den strukturellen Chromosomenabberationen ist die Anzahl der Chromosomen in der Regel unverändert. Allerdings sind bei einzelnen Chromosomen Veränderungen im Chromosomenaufbau nachweisbar. Dies ist an einer Veränderung des Banden- musters des jeweiligen Chromosoms erkennbar. Strukturelle Abberationen sind durch Bruchereignisse bedingt. Man unterscheidet:

Deletionen: Chromosomenstückverluste Duplikationen: Verdoppelung von Chromosomenabschnitten Inversionen : Umkehr der normalen Aufeinanderfolge von Chromosomenab-

schnitten Insertionen: Ein Stück eines Chromosoms befindet sich innerhalb eines

anderen Chromosoms Translokationen: Umbau von Chromosomenstücken zwischen verschiedenen

Chromosomen Zentrische Fusion: (Robertsonsche Translokation) zwei telozentrische Chromoso-

men fusionieren zu einem Chromosom

Bei Deletionen und Duplikationen kann der beteiligte chromosomale Abschnitt nur einfach bzw. dreifach vorhanden sein. Man bezeichnet dies als partielle Monosomie bzw. Trisomie (partiell, weil nur ein Abschnitt eines Chromosoms und nicht das kom- plette Chromosom betroffen ist). Derartige Chromosomenaberrationen sind Ursachen verschiedener klinischer Syndrome (z. B. Katzenschrei-Syndrom, Wolf-Hirschhorn- Syndrom). Deletionen können so klein sein, dass sie lichtmikroskopisch nicht sichtbar sind (bei einer durchschnittlichen Bandenauflösung entspricht das einer Größe von weniger als 5-10 Megabasen). Um auch solche Veränderungen zu erfassen kommen molekularzytogenetische Methoden wie die FISH-Hybridisierung zum Einsatz. Bei Inversionen und Translokationen kann die Gesamtmenge des Erbguts unverän- dert sein. D.h. es sind weder Gene verloren gegangen noch hinzugekommen. Es hat sich „nur“ die Abfolge der Gene verändert. Der Karyotyp wird in diesem Fall als „ba- lanciert“ bezeichnet. So sind Träger einer balancierten Translokation bzw. Inversion häufig symptomfrei (wenn allerdings ein Bruchpunkt innerhalb eines Gens liegt, kann daraus eine monogen vererbte Erkrankung resultieren). Allerdings kann eine balan- cierte Translokation bei einem Elternteil zu einem unbalancierten Karyotyp beim Kind führen, was eine Fehlgeburt auslösen kann bzw. zu Fehlbildungen und Behinderun- gen führen.

2.3. Durchführung

In Gruppenarbeit sollen anhand konkreter Fälle aus der Diagnostik und Beratung der Abteilung für Humangenetik die Folgen von numerischen und strukturellen Chromo- somenabberationen diskutiert werden. Vom zuständigen Betreuer wird das jeweilige Fallbeispiel vorgetragen und anschließend werden Karyogramme ausgehändigt, in denen die zugrunde liegende chromosomale Veränderung erkannt werden soll. Mit Hilfe von Chromosomenmodellen soll verdeutlicht werden, welche Fehlverteilungen in der Meiose auftreten können. Unter zu Hilfenahme von Stammbäumen soll über- legt werden, welche Auswirkungen diese Abberation auf andere Familienmitglieder haben kann und welche weiteren Untersuchungen ggf. angeschlossen werden soll- ten.

Literatur Hirsch-Kauffmann, M. und M. Schweiger (2004): Biologie für Mediziner und Naturwissenschaftler, (5. Auflage). Georg Thieme Verlag Stuttgart