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5/10/2018 Ideologiekritik Und Existenzphilosophie - slidepdf.com
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Ideologiekritik und Existenzphilosophie. Philosophische Stellungnahme zu Th. W. Adornos"Jargon der Eigentlichkeit"Author(s): Thomas HärtingSource: Zeitschrift für philosophische Forschung, Bd. 21, H. 2 (Apr. - Jun., 1967), pp. 282-302Published by: Vittorio Klostermann GmbHStable URL: http://www.jstor.org/stable/20481617 .
Accessed: 23/09/2011 05:10
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE
Philosophische Stellungnahme zu Th. W. Adornos ,,Jargon der EigentlichkeitM)
Von Thomas H a r t i n g, Berlin
Mit zunehmendem Wohlstand steigt auch die Zahl philosophischer Ver
offentlichungen. Was ist noch lesenswert, was nicht? Zu den ungew6hnlichen
Neuerscheinungen der juingsten Zeit geh6rt Th.W. Adornos ,Jargon der
Eigentlichkeit'; eine erfreulich kurze Schrift mit dem Untertitel ,Zur deutschen
Ideologie'2). Es lohnt sich, von ihr Notiz zu nehmen. Die Titel uiberfliegend
denkt man an Marx, Hegel, Heidegger und hat so Adornos Thema bereits
im vagen UmriB3 philosophisch und gesellschaftlich handelnder Charaktere vor
sich. Doch auch Tucholsky bringt sich in Erinnerung; nicht zu vergessen Karl
Kraus, der Oskar Ewald mit frechem VerriB zum bleibenden traurigen Nach
ruhm verhalf: ,Die Philosophie halte ich mir vom Leib, weil ich das Gefuihl
habe, daB sich hier tagaus tagein das Schlimmste begibt, und weil ich zu gut
informiert werden k6nnte. Denn hier scheint ein Rotwiilsch eigens erfunden,
um den Unwert jener, die sich dem Gewerbe ergeben, als Schleichgut in die
Kultur zu schmuggeln. Man muB nur den Mut haben, dem Jargon zu miB
trauen..., so wird man auf einen betulichen Reporter stoBen, der... Feuille
tons im Dutzend liefert3)".Was will Adorno? ,,Jargon der Eigentlichkeit", heiBt es im Vorspruch,
,,setzt sprachkritisch an, ist aber ideologiekritisch im strengen Sinn, Unter
suchung eines falschen BewuBtseins, wie es in einem sehr bestimmten neu
deutschen Wortschatz sich offenbart. Dabei wird zunachst die Sprachform auf
ihren Ausdrucksgehalt hin analysiert und dann dieser aus der Unwahrheit
der Philosophie abgeleitet, die jenen Wortschatz pragt." (1)4).Der Vorspruch
ist schlecht. Seine schulmdBige Enge wirkt abstoBend und verstellt die Sicht.
Adorno versucht sich an einer Frage, die seit jeher zu den philosophischen
Leitfragen gehort. Um Kritik des Bestehenden ist es ihm zu tun; zumindest
vordergriindig. Die Kritik wird im Vorgang der ,neuen' Gesellschaft unter
nommen, die sich ab 1945 imWesten Deutschlands einrichten konnte. Inmittenabermals geanderter Verhaltnisse entfaltet sich ein philosophisches Denken,
das schon vordem begriindet wurde. Man nennt es ,Existenzphilosophie' und
versteht darunter vielerlei. Fur Adorno ist es vorderhand nur geistloser
Widerschein sozialer Zustande, deren abgruindige Verkommenheit sich darin
verbirgt. So die Ausgangsposition; sie ist eindeutig marxianischer Abkunft
und verleugnet das nicht. Ihr gangiges Prajudiz wird von einem radikal auf
tretenden Sozialdeterminismus geprigt. Ermochte Kausalitat aus Freiheit von
vornherein in Abrede stellen. Existenzphilosophie und gesellschaftliche
Wirklichkeit bedingen sich umschichtig im schlecht-unendlichen ProgreB ihrer
1) Eine Erwiderung auf diesen Diskussionsbeitrag, verfa?t von dem Adorno-Sch?ler Hermann
Schweppenh?user, folgt im n?chsten Heft. _? , , .aDie Redaktion
2) Edition suhrkamp 91? (1964).
3) K. Kraus, Werke, Bd. 8, S. 94.
4) In Klammern (...) gesetzte Zahlen im Text geben die Seite im .Jargon der Eigentlichkeit' an.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 283
Sinnlosigkeit. Das wird im wesenlosen Schein von ,Sein' nur notdiirftig ver
huillt. Diesen Schein zu durchstoBen ist das erklarte Geschaft der Kritik. Ihr
Soziologismus hat die neue Wirklichkeit ldngst verstanden. Nun schickt er
sich an, die grundlose philosophische Apologie der Wohlstandsgesellschaft
zunichte zu machen. Das muB vom Phanomen her geschehen. Existenzphilo
sophie nimmt eine zwielichtige Ftihrungsposition im 6ffentlichen BewuBtsein
ein. Sie wirkt sprachbildend; ihre Vokabeln verfallen gemeinem Gebrauch.
Es entsteht ein besonderes, teils gehobenes, teils durchschnittliches Gerede,
der Jargon der Eigentlichkeit'. Er verdankt einen GroBteil seiner Leitworte
und -wendungen dem Denken Heideggers, der ,Eigentlichkeit' ausdruicklich
ins Thema existential-ontologischer Untersuchungen stellt5). Im Hintergrunddes Jargons der Eigentlichkeit steht ihre Philosophie. Der phanomenale Befund
IdBt die Auseinandersetzung mit Heidegger unvermeidlich scheinen. Das
,Jargon' geheil3ene ideologische Gerede weist vor allem auf Heideggers
pratenti6se ,Daseins'-Bestimmung zuruick. Dementsprechend konzentriert sich
die Kritik imwesentlichen auf Destruktion dieses Begriffs.
Hatte die Jargonschrift nichts anderes vor, als was der kleinliche Dogma
tismus des Vorspruchs verkulndet, so ware sie langweilig. Das ist sie nicht.
Die ,ideologiekritische' Bestreitung existenzphilosophischen Denkens versteht
sich als Mittel zum Zweck. Sie ist teils Vorwand, teils Vehikel im Austrag
einer philosophischen Fundamentaldifferenz. Von ihren philosophischen Ur
spriingen abgeschnuirt, wird Ideologiekritik zwangslaufig selbst ideologisch.
Der Endlichkeit seinsfremden wissenschaftlichen Forschens verfallen, hort sie
auf, sinnvoll zu sein. Adorno meidet diesen Verfall. Er versucht nicht, den
,Gedankensuimpfen der Metaphysik' (Geiger)6) zu entfliehen; schon eher, daB
er sie austrocknen m6chte. So behalt er die Kritik letztendlich doch als dienst
bares Verhaltnis philosophischen Vorbringens im Griff. Ihr Gehalt ist nicht
minder ,metaphysisch' wie die angefochtene existential-ontologische Kontra
position. Was imMedius ideologiekritischen Destruierens zutiefst beabsich
tigt wird, aIBtsich nicht ohne weiteres aus dem Kontext der Jargonschrift ent
nehmen. Schrittweise Einzelauslegung ist vonn6ten, um ihre philosophische
Grundintention vollauf zu verstehen.
Worin besteht sie? Die Frage entzieht sich formelhaft vorwegnehmendem
Bescheid. Adorno macht es einem nicht leicht, seiner Sache auf den Grund
zu kommen. Das Leitzeug seines Philosophierens ist die Reflexion' (Hegel)7),
die sich aufs Neinsagen versteift. Sie durchschaut, daB existenzphilosophisches
Denken auf einer fragwiirdigen Voraussetzung beruht: auf dem ,Dasein' des
Seins im Seienden namlich. Irgendein endlich Seiendes muB als ,Dasein' an
gesprochen werden k6nnen. Wo nicht, ware der existential-ontologische Denk
ansatz vor allem Heideggers grundlos. Die problematische Voraussetzung ist
im Prinzip nicht neu. Adorno kennt sie von Hegel her, dem er das meiste ver
dankt. Kommt sie einer bloBen Festmachung gleich? Adorno bejaht das. Er
streicht den ,Daseins'-Charakter des fraglichen Seienden durch. Danach bleibt
5) S + Z 178/79 (Heideggeir, .Sein und Zeit', 8. Aufl. 1957 bei Max Niemeyer, T?bingen, S. 178/79).
6) Theodor Geiger, .Vorstudien zu einer Soziologie des Rechts', S. 40 d. dt. Ausg. bei Hermann
Luditerhand (1964) (Soziologische Texte, Bd. 20).
7) H 1.50 f. (Hegel, ed. Glockner, Bd. 1, S. 50 f).
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284 DISKUSSION
an diesem nur mehr seine in Nichts sich verlierende Endlichkeit iibrig. Nun
behauptet Existenzphilosophie den endlichen Menschen in seiner Subjektivitat
als Dasein' des Seins. Adornos negierende Reflexion besagt das Gegenteil und
halt daran fest. Das tut sie nicht nur obenhin, sondern teils aus wohlerwoge
nen Grunden. Absurd wird sie erst, wo sie sich aufs bloBe Gegenteil ver
grenzt, das seinen Widerpart nicht ausraumen kann, ohne sich selber infrage
zu stellen. Das aber unterbleibt. Daher bestatigt die ,Negation' am Ende, was
sie widerlegt; und widerlegt, was sie bestatigt wissen m6chte. Einseitig am
,Entgegengesetzten' festhaltend, ist sie schlieBlich nur noch das ,Vermogen'
der ,Beschrankung', nicht mehr des ,Seins'8). Sie gerat zum unf6rmigen Selbst
widerspruch und verliert die eigene Ausgangsfrage vollig aus dem Blick.Das zeigt sich bereits an der Sprachform. Adornos Terminologie ist viel
fach erlesen und dabei vor allem an Hegel orientiert. Schon das begriindet,
warum er immer wieder von Hegel her beurteilt werden muB. Im Jargontext
bemiiht sich Adorno, satirisch zu schreiben. Teils leiten bewahrte Vorlagen
die Unternehmung an. Nichtsdestotrotz miBlingt der Versuch satirischen Ab
sagens ans existentiale Seinsdenken so gut wie ausnahmslos. Er scheitert aus
sachlichen, methodischen und pers6nlichen Gruinden. Die Moglichkeit von
Satire ist imMiBverhaltnis von Ideal und Wirklichkeit begruindet. ,In der
Satire wird die Wirklichkeit als Mangel dem Ideal als der h6chsten Realitat
gegenbfiergestellt9)." Dieser Satz Schillers trifft auch die philosophische Satire.
Stellt man sowohl das Ideal' als auch die ,Wirklichkeit' infrage, so entzieht
man der Satire den Boden, auf dem sie gedeihen konnte. Das ist Adornos
Fall; daher verunglickt die Jargonschrift alleweil ins PamphletmlBige, sobald
sie die Bahnen professoralen Reflexionsstils verlaBt. Dieser ist zwar nicht
wenig gekuinstelt und lauft unvermeidlich ins Formlose aus. Aber er bleibt
doch meist sachverbunden und laBt das Denken gewahren. Die satirisch sein
sollenden Manierismen wirken ungemein st6rend. Sie verunstalten den
Text uiberall; indexmaBig kaum zu erfassen, ruinieren sie jedes ernsthafte
philosophische Vorbringen alsbald zu widerlicher Possenspielerei. Das Abglei
ten in gewolltes, aber nicht gekonntes Pobeln beschreibt Ludwig Marcuse
unter anderem so: ,,Wie Karlheinz Deschner, der aber etwas riskiert, arbeitet
auch Adorno mit Grobianus-Worten wie ,Quatsch' und ,schwadronieren' und
gedenkt des existentialen Brimboriums'. Manchmal ,krempelt sich die Sprache
die Armel hoch'. Haufiger treten Wendungen auf, von denen man sagen
k6nnte (um den Autor zu zitieren): sie seien ,vorweg gehdssig"0)." Man muB
es sagen. Die Geduld wird vom schmihsiichtigen Vorsatz hart gepriift. Er er
schwert den Zugang zum Problem und verwehrt ihn wom6glich; als ob es
darauf ankommen duirfte.Man k6nnte versucht sein, Geschmacklosigkeit mit
Geschmacklosigkeit zu erwidern; oder aber, den unsauberen Text einfach
beiseite zu legen, als ginge einen die Sache nichts an. Beides ware verfehlt.
Die artifizielle Kraftsprache hypertropher Reflexion bekundet verzweifelte
8) H 1.50.
9) Schiller, ,Uber naive und sentimentalische Dichtung' (1795); Bd. 12, S. 194 d. S?kularausgabeb. Cotta.
10) Ludwig Marcuse, .Unsere hehren Wendriners', Rezession d. Jargonschrift in ,Die Welt der
Literatur' v. 24. 12. 64 (Jahrg. 1, Nr. 21, S. 715).
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Schwache, nicht aushebende Macht. ImMangel der Form kommt auch die
Sache zu leiden, und es zeigt sich, daB die ,Reflexion' ihr Thema nicht bewaltigt haben kann. Das ausfallige Benehmen m6chte unzulangliches Denken
verbergen. Offenbar fiirchtet Adorno nichts so sehr wie die M6glichkeit, daB
ihm Gerechtigkeit widerfahren und seine Sache nach Verdienst beurteilt wer
den konnte.
Ludwig Marcuse nennt die Jargonschrift ein ,verkapptes' Pamphlet'").
Wieso verkappt? Da frisiert' Buber den kierkegaardschen Begriff des Existen
tiellen zu einer Haltung schlichthin (17). Da ,schmettert' Jaspers das Gegen
teil der bollnowschen Geborgenheit heraus' (26). Triebfeindliche Tabus ,toben
zumal in den Biichern von Jaspers sich aus'; wohl, weil auch er ,sich um Freud
herumdriicken' m6chte (64.59). Vollends Heidegger: seine philosophische
Sprache redet Gewalt'; daB, worauf sie hinaus will, einig ist mit dem Zustand,
den er verklagt, hat im hitlerischen Reich sich bestitigt' (86). Adorno ist stets
versucht, Heidegger fur einen bloBen Nazi' zu halten. Heidegger soll als
Rektor der sogenannten Gleichschaltung verteufelt werden, dessen braune
Imago Guido Schneebergers ,Nachlese"t2) so eindrucksvoll dokumentiert.
Aber philosophisch heiBt das: ein Kind mit dem Bade ausschultten. Adorno
weiB das sehr wohl, im Gegensatz zum nachlaufenden soziologischen Trans
vestitentum seiner ,intellektuellen' Anhangerschar. Auch Manner von Cha
rakter k6nnen irren. Gunther Anders hat diesen schiefen Standpunkt langst
vor Adorno eindeutig formuliert: schlieBlich entwirft er (Heidegger) die
Heilslehre, die neben derjenigen Hitlers und noch nach dessen Sturz Europaerobert'13). Hier sieht man, wie der Soziologismus, von widrigem pers6n
lichen Geschick begiinstigt, selbst noch die besten K6pfe verwirrt. Merk
wiirdigerweise kommt kaum einer auf den Gedanken, Heidegger in derselben
Manier mit Adenauer zu vergleichen. Das muiBte diesem trostlosen Gleich
schaltungsdenken doch erst recht oder mindestens ebenso naheliegen. Be
sonders klaglich widerspricht Adorno sich,wo er vorgibt, dem philosophischen
,Blubo-Freund' die Ablehnung des Rufs nach Berlin ,nachfuhlen' zu k6nnen
(48.47).Woher mit einem Mal das innige Verstehen des personlichen und
politischen Motivs inHeideggers ,Provinz'-Aufsatz? (47)14).Der intimere Sach
verhalt schwebt Adorno in einer Art von schulerhafter Ahnung vor. Aber er
bleibt auBerstande, ihn zu erfassen. Dafur sorgt schon der iiberschieBendeHohn auf Heideggers ,alemannisch-schwdbische Bodenstandigkeit' (48). Die
Verh6hnung ist teils recht amusant. Zweifellos hat sie einige gute Griinde
fur sich. Allerdings ,dankt das Kleinbauerntum seine Fortexistenz einzig
Gnadengeschenken jener Tauschgesellschaft', die seine Subsistenz vermit
telt (49). Aber rustikale Bodenstandigkeit ist eben deshalb immer noch mog
lich und sicherlich nicht nur zum Schaden der ,Tauschgesellschaft'. Das ist es,
was urbanes Gespott und weltlaufige soziologische Besserwisserei einfach nicht
wahrhaben wollen. Von ihnen bekommt man einen Heidegger vorgefuihrt, der
im Herrgottswinkel Pfeife raucht und, wenn er nicht gerade schmollend
11) A.a.O.
12) Guido Schneeberger, .Nachlese zu Heidegger', Bern 1962.
13) G?nther Anders, .Nihilismus und Existenz', zit. n. Schneeberger, S. 265.
14) Heidegger, .Warum bleiben wir in der Provinz?' (1934); zit. n. Schneeberger, S. 216? 218.
19 ZphF XXI/2
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286 DISKUSSION
schweigt, fiber die neumodischen Skifahrer schimpft (48). Die verstadterte
Borniertheit kann das nur lacherlich finden. Sie meint, statt eines Philosophen
eine ebenso alberne wie drgerliche Figur vor sich zu haben, die teure Sub
ventionen in provinzielle Illusionen ummuinzt. ,,Die Zuschuisse, die den Bauern
gezahlt werden, sind der Seinsgrund dessen, was die urigen Jargonworte zu
dem hinzuschieBen, was sie bedeuten (49)." Heideggers Denksprache ist also
nichts weiter als dichtende Rehwinkelei. Sie setzt das ,sich anbiedernde Ge
schwatz angesichts landwirtschaftlicher Umgebung' gleichsam auf hdherer
Ebene fort (48). Hat man sich erst einmal so weit verirrt, so ist die problema
tische Bodenstandigkeit schon wieder problemlos geworden. Diese Verblen
dung kann unmoglich verstehen, daB Heidegger ausgerechnet durch seinebauerische Verwurzelung vor dem schlimmsten Fall, namlich, ein wirklicher
,Naziphilosoph' zu werden, bewahrt worden ist. Das war die bedrohliche
Moglichkeit im Ruf nach Berlin. Dem widerstreitet nicht, daB der Heidegger
des ,Provinz'-Aufsatzes die bevorstehende Gefahr noch nicht vollends durch
schaut haben kann. Das vorgegebene natuirliche und soziale Lebenselement
trug Vorsorge, daB es bei allem offenkundigen ,politischen Versagen' doch
nicht zum Selbstverlust kam. Dafulr steht die Gestalt des alten Schwarzwald
bauerleins im ,Provinz'-Aufsatz. Heideggers Freund' rat zum Hierbleiben (48).
Adorno hdlt dieses zweifelhafte Hist6rchen fuireine blode Geschichte; Boden
stindigkeit plustert sich auf' (48). Der Bauer erinnert ihn ,an die ausgelaug
testen Clich6s von Sciollenromanen aus der Zone Frenssens' (49). So greift
man am Wesentlichen entschlossen vorbei. Danach gelangt man zwangslaufig
zu einem Heidegger, der ,mit der Peitsche' des Militarismus knallt', wenn er
sein sprachliches Brimborium' verschuldet (75.74). ,,Freilich kippt es, als
nichtige Veranstaltung, immer wieder aus den Pantinen und stolpert in
Quatsch (74)."
Das sind nur einige Beispiele dieses Gep6bels, das sich immer schon selbst
widerlegt. Marcuse tragt in seiner Rezension noch sehr viel mehr zusammen,
um die durchschnittliche Redeweise der grundlosen Aggression deutlich zu
machen. ,Verkappt' ware die Schmahung doch nur zu nennen, wenn sie ihr
Ziel unter Verzicht aufs ,verhetzende Vokabular' ideologischer Gossensprache
anstreben wollte15). Was fuirein Ziel? Die ,hundertjahrige Existenzphilosophie
als nazistisch zu diffamieren'16). Leider trifftMarcuse damit den Punkt. Dahin
laufen alle Verbalinjurien und Verdachteleien unterschiedslos zusammen. Wer
gegen diesen Standpunkt fur Distinktionen plddiert, gerat selbst in den Ver
dacht, entweder ,Nazi' oder ,Existentialist', im Grunde aber beides zu sein.
Mit verleumderischer Nachrede zu rechten, verbietet sich von selber, zumal
in philosophischen Dingen. Aber es muB doch gesagt werden, daB die Ehre
der Reflexionsphilosophie seit jeher darin besteht, die Kunst des Unter
scheidens zu pflegen. Wird das versaumt, so verkommt ,Reflexion' zu praten
tioser Ineinsdenkerei. Das affektgeladene Geschwatz, das sich als Totalkon
zeption aufspreizen will, fdillt ausschlieBlich auf seinen Urheber zuruck.Wennman, wie Adorno, ein Grenzganger zwischen Philosophie, Antiphilosophie und
Unphilosophie ist, so sollte man besonders vorsichtig sein. Er ware zu fragen,
15) L. Marcuset, vgl. Anm. 9.
16) a. a. O.
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ob er die von ihm verschuldete Krankung seines eigenen philosophischen Typus
wiedergutmachen will. Wo nicht, mag die Denkgeschichte seiner Generation
ihn schweigend iibergehen. Es sei denn, sie hielte ein Bild von ihm fest, das
an den hai3lichsten Menschen erinnert, der je nach Ilios fuhr: ,Alles saB nun
ruhig umher, auf den Sitzen sich haltend, nur Thersites erhob sein zuigelloses
Geschrei noch, dessen Herz mit vielen und t6richten Worten erfillt war, immer
verkehrt, nicht der Ordnung gemdB, mit den Fuirsten zu hadern'"7).
Uber der larmenden Springflut ideologischen Afterdenkens gerat die sach
liche Streitfrage zwischen negativer Reflexion und existentialem Seinsdenken
leicht aus dem Sinn. Kritik des Bestehenden bedeutet noch immer Kritik der
alten, heiligen Welt. Hier setzt Adorno den Hebel an. Das Denken dieser ,Welt'
wird als angemaBte Absolutheit aufgefaBt und dementsprechend vom Blickpunkt der Endlichkeit her infrage gestellt (46). Der kritische Ansatz ist inso
weit begruindet. Aber er kommt von der geschichtlichen Vermittlung seiner
Problemstellung im linken' Hegelianismus des vorigen Jahrhunderts nicht los.
Das verdirbt die Gedankenfiihrung von Anfang an. Adornos eine Hauptvor
lage ist die ,Kritik der neuesten deutschen Philosophie' von Friedrich Engels
und Karl Marx. ,,Wie sie gegen Feuerbach, Bauer, Stirner ,und Consorten'
vorgingen, so suchte Adorno gegen Jaspers, Heidegger, Bollnow und ,TroB'
zu prozedieren18).' Marcuse IuBtHegel unerwahnt. Die Angriffe der alteren
Ideologieschrift sind stets auch gegen Hegel gerichtet; gegen ihn zu allererst.
Er gilt als Auktor des absoluten Geistes', der im eigenen ,VerfaulungsprozeB'
bloBgestellt werden soll19).Nun greift Adornos Ideologiekritik die Verwesung
des ,eigentlichen Geistes' an, sozusagen. Der historisierende Schematismus im
Zugehen aufs Problem ist evident; begruindet wird er freilich nicht. Die juingste
Ideologiekritik qualt sich, Heidegger unter Vorzeichen zu sehen, die Marxens
Verhaltnis zu Hegel bestimmen. Danach tritt Heidegger als eine Art Hegel
redivivus auf, aber in zwergwuichsiger MiBgestalt. Das analogisierende Den
ken legt Heidegger von vornherein imDiminutiv reaktionairen Epigonentums
fest. Daher geht die Interpretation mitunter sehr gewaltsam vor; was den
zwangshaften Historismus des abstrakten Vergleichens aber durchaus nicht
verst6rt. In Adornos sozialphilosophischer Schule gehort das Hegel-Problem
zum iiberlieferten Bestand. Man schleppt es seit Marx mit sich herum und
arbeitet stets von neuem daran. Aber man dringt nicht durch. Die ,Aufhellung
der hegelschen Haupttexte' soll immer noch ,ausstehen', Adorno zufolge; sie
wird wohl auch nie ,geleistet' werden k6nnen (Drei Studien; Vorrede)20). Das
bestandige Vorsichherschieben der Hauptaufgabe macht innerlich unfrei. Man
wird unduldsam gegen sich und andere, deren Denken einem wom6glich etwas
voraus haben k6nnte. Diese Vorstellung ist besonders unausstehlich. Sie pra
judiziert den Zugang zum neu hinzukommenden Heidegger-Problem im Ge
habe einer Hegel-Orthodoxie, die sich selbst am allerwenigsten traut. Die
imNamen Hegels und Heideggers auftretenden Fragenkreise werden mitein
1*7)Ilias 2.211 (J.H. Vo?).
18) L.Marcuse, vgl. Anm. 9.
19)Marx-Engels, ,Die deutsche Ideologie', S. 13 d. Ausg. v. 1957 bei Dietz.
20) Adorno, .Drei Studien zu Hegel', S. 9; edition suhrkamp 38 (1963).
19*
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288 DISKUSSION
ander verbunden. Die Verbindung k6nnte wohl erwogen sein; sie lieBe sich
durchgangig begruinden. In ihrmtiBte nach dem Umgreifenden gesucht werden,
das in gemeinsamen Ziigen beider Systeme' zu ihrem einigen Ursprung hin
fuhrt. Diesem Einsatz widerspricht jedoch die falsche Unzufriedenheit, die
schon Hegel und erst recht Heidegger gleichsam a priori unertrdglich finden
will.
Immerhin, die gesuchte Gemeinsamkeit besteht offenbar in der ,idealisti
schen' Grundkonzeption. Adorno legt Heidegger ,verkappten Idealismus' zur
Last: ,Ihmwird die Dialektik zwischen Seiendem und Begriff im Subjekt zum
Sein hoherer Ordnung und damit (ist) Dialektik sistiert. Was sich ruihmt,
hinter die Reflexionsbegriffe Subjekt und Objekt zuriickzugreifen auf ein
Substantielles, verdinglicht bloB die Unaufloslichkeit der Reflexionsbegriffe,
die Irreduktibilitat des einen auf den anderen, zum Ansich. Das ist die philo
sophische Normalform der Erschleichung...'" (101). So spricht eine sich aufs
bloB Endliche einengende ,Reflexion'21). Sie wendet gegen Heidegger imGrund
zug dasselbe wie gegen Hegel ein. Danach sind feinere Unterscheidungen von
vornherein auf ihren wesentlichen Gehalt festgelegt. Heidegger macht' es
etwas anders als Hegel. Aber es bleibt beim alten Zeugs, das mit verdachtiger
Raffinesse aufpoliert wird. So vor allem, wenn Heidegger ,unausdriicklich und
ohne Theologie vindiziert, Wesenhaftes sei wirklich - und mit demselben
Streich: Seiendes sei wesenhaft, sinnvoll, gerechtfertigt' (101).Dazu muB man
den Hegel der Berliner Rechtsphilosophie horen: ,Was vernuinftig ist, das
ist wirklich; und was wirklich ist, das ist verniinftig22)." Zu diesem Vorbringen
gelangt Hegel allerdings nicht ohne Theologie'. Aber angenommen, man
k6nnte sich auf den zugrunde liegenden Zwangsvergleich zwischen hegelscher
,Wirklichkeits'-Erfahrung und heideggerschem ,Daseins'-Verstandnis einlas
sen: ware Heidegger die behauptete Rechtfertigung des ,Seienden' (,Dasein')
ohne religi6ses Vorverstindnis moglich gewesen? (98 f). Adorno mulBte die
Frage rundum verneinen; zudem weiB er recht wohl, daB die unterschiedliche
Begruindungsart im einstimmigen Ergebnis unwichtig wird. Nichtsdestoweniger
st6rt es ihn, daB ,Existentialontologie' Hegel fur sich reklamiert' (Aspekte)23).
Warum sollte sie nicht? Weilgegen
die ,unwiederbringliche hegelsche Meta
physik' jede weitere abfallen muB (116).Hier hat man nun den rechtgliubigen
Hegelkenner Adorno vor sich, der in verzweifelter Nahe zu Michelets un
widerlegtem Weltphilosophen' gerit24). Hegel wird je so gedreht, wie man
ihn braucht.Wonotig, posiert man auch in andichtigem Andenken ans ,Abso
lute'. Desto besser kann man die Nach- oder Mitwelt ihrer unvergleichlichen
Minimalitat und Nichtigkeit versichern. Je spiter der Idealismus, desto
schlechter ist er. Das Meiste hat schon Hegel viel besser gewuBt. Seine Kritik
der Neugier beispielsweise ist weit eindringender' als die heideggersche (93).
Auf den Standpunkt ,verharteter Innerlichkeit' degeneriert, bleibt der neueste
Idealismus freilich nicht mehr nur hinter Hegel zuruick (63). In der ,Willkur
des Subjekts, das sich selbst eigentlich ist',wird der ,rechtsprechende Anspruch
21) H 1.50; vgl. Anm. 6.
22) H 7.33.
23) Adorno, .Drei Studien zu Hegel', S. 45.
24) Karl Ludwig Michelet, ,Hegel, der unwiderle?gte Weltphilosoph', Leipzig, 1870.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 289
der Vernunft' nicht langer gewahrt, den noch Husserl ,anmeldete' (105). Bei
ihm reiBt der Faden legitimer Nachfolge endguiltig ab. In die Tradition Hegels
tritt nun ein anderes Denken ein, das alles noch viel besser weil3 als Hegel
selbst. Die Identitat des jiingsten Besserwissens kann nicht zweifelhaft sein.
Die Bestreitung konzentriert sich demnach darauf, ,Existentialontologie' als
Philosophie der bloBen Subjektivitat abzutun. Das Rtistzeug des Bestreitens
wird Hegel entnommen; wie k6nnte es auch anders sein. Fur Hegel ist die
,Subjektivitft der Willkuir' gleichbedeutend mit ,Ignoranz'; in ihr kann man
selbstverstandlich keinen philosophischen Standort begrilnden25). Hier wird
bloB noch die ,eigentiumliche Partikularitat ausgeheckt'; die Unphilosophien
eines Reinhold, Fries, Bouterwerk oder Krug verdeutlichen das26). Bei ihnen
verwechselt faule Vernunft Originalitat mit Selbstdenkerei. ,... Originalitat
ist, etwas ganz Allgemeines zu produciren. Die Marotte des Selbstdenkens ist,
daB Jeder Abgeschmackteres hervorbringt, als ein Anderer27)." Das enthalt
Hegels scharfstes philosophisches Verdikt. Adorno bricht den Leitgedanken
heraus und gebraucht ihn zu Heideggers Hinrichtung; sie geschieht paradig
matisch fuir Existenzphilosophie insgesamt. Ein offeneres Beispiel fur den
Vorgang philosophischen Plagiierens wird selten gefunden. Vom bl6den
Subjektivismus der Bouterwerk und Genossen unterscheidet sich die soge
nannte Existentialontologie lediglich im schlimmeren Motiv, das ihr zugrunde
liegen soll. Das ,spatbuirgerliche Denken' der Heidegger und Konsorten ist nur
mehr auf ,nackte Selbsterhaltung' aus; es bildet sich zum ,fruihburgerlich-spinozistischen sese conservare' und noch weiter in Richtung auf den absoluten
Nullpunkt zuruick (102). Die verstockte ,Eigentlichkeit' schneidet sich ab von
der Welt und Iauft so auf ,pure Identitat' mit sich hinaus (101). Aber die
,losgeloste, fixierte Selbstheit wird erst rech-t zu einem AuuBerlichen, das Sub
jekt zu seinem eigenen Objekt, das es pflegt und erhalt' (102). ,,Das ist die
ideologische Antwort darauf, daB der gegenwartige Zustand allerorten jene
Ich-Schwache produziert, die den Begriff von Subjekt als Individualitat aus
loscht (102)."
Es ist lehrreich zu sehen, wie Adorno zuerst Hegel gegen Heidegger zu
kehren sucht; danach soll der von Marx herkommende Soziologismus Heideg
ger wom6glich vollends erledigen. Das Herumdenken in kontraren, teils tlber
holten Positionen istMethode. Ungeschichtlich, dabei weder neu noch origi
nell, verschlieBt es die M6glichkeit inwendigen Verstehens von vornherein.
Von Immanenz im Sinne Hegels kann nicht die Rede sein28). Das Denken
verharrt im schlechten Apriori uber der Sache, anstatt ,in die Kraft des
Gegners einzugehen und sich in den Umkreis seiner Starke zu stellen' (He
gel)29). Trotzdem gelangt Adorno verschiedentlich zu ungewbhnlichen Einsich
ten. Das verdankt er seinem urspriinglichen philosophischen Sinn, der die
verhohlene Bindung ans Seinsdenken Hegelis insgeheim stets aufrechterh<.
So wird das schon in sich kontradiktorische Verstandesdenken vor dem
25) H 19.645.
26) a. a. O.
27) a. a. O.
28) H 5.9.
29) H 5.11.
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290 DISKUSSION
auBersten Verkommen bewahrt. Sich selber uiberlassen, distrahiert es in eine
Vielzahl von Extremen, die nicht geeint, sondern nur widerspruichlich zusam
mengesetzt werden konnen. Methodische Selbstpruifung ware vonnoten, um
aus dem absurden Polylemma der inneren Zwietracht herauszugelangen. Bis
dahin muB der bestandige Selbstwiderspruch sich in fremdes Denken verlegen;
Projektion ersetzt die Negation der eigenen Unm6glichkeit. Das Denken ver
fdllt der Manie des Neinsagens, die sich weder von Hegel noch von Heidegger
noch von irgendeiner anderen philosophischen Theologie aufhalten IiBt. Der
Dogmatismus ,prinzipieller Abweisung von Konstanten innerhalb der Men
schengeschichte' (Marcuse)30) hat mit Kritik nichts mehr zu tun. Sein Vernei
nen ist undialektisch, weil es nicht aus Griinden der Sache hervorgeht, sondern lediglich das eigene abseitige Unwesen betreibt. Die ,Kritik' ist freilich
auch dort meist nicht stichhaltig, wo sie ihre pauschalen Praokkupationen hin
ter sich zu lassen sucht. Ihr verstiegener Denkstolz bleibt im ,Allgemeinen'
hangen und kommt nur selten auf den Punkt. Gew6hnlich versucht sie, ihren
Gegenstand zu erledigen, ,indem sie ihn von oben her einem Begriff als
dessen bloBen Reprdsentanten subsumiert'. Das ist Adornos eigene, in der
iiblichenManier an Hegel ankniipfende Charakteristik ohnmachtig ,rasonie
render' Kritik (Erfahrungsgehalte)31). Adorno weiB mit derlei allgemeinen
Einsichten offenbar nichts Rechtes anzufangen. Der Theorie ,bestimmter Ne
gation'32), wie er sie versteht, lauft die Praxis des Interpretierens bestandig
davon. Das Vorgehen der negativen Reflexion ersch6pft sich so vor allem
darin, kontradiktorische Allgemeinheiten zu setzen, die ins schlechte Unend
liche ihres Widerspruchs vermittelt werden. Dem je Gesetzten wird das Ent
gegengesetze vorgehalten. Dabei kommen oft nur ,sogenannte' kontradiktori
sche Begriffe (Hegel)33) zustande. Die Reflexion findet das nicht weiter anst6lig;
ihr ist es um Festmachung irgendeines ,Gegenteils' zu tun, das sich nicht auf
heben liBt. Widerspruch soll sein, Affirmation hingegen nicht. Diese Fest
legung entspringt einer ontotheologischen Vorentscheidung, die sich in erster
Linie gegen Hegel richtet. Dieser meint, ,daB es beim Widerspruch nicht sein
Bewenden haben kann und daB derselbe sich durch sich selbst aufhebt'34). Das
ndchste Ergebnis der als Widerspruch gesetzten Entgegensetzung' sei der
,Grund'35).Hegel versteht ihn als die ruhige Einheit aller formalen Reflexions
bestimmungen, zuletzt des Widerspruchs, der sich imGrund ,aufl6sen' muB36).
Anders Adorno: seine Griinde, oder, was man so nennen k6nnte, sind gleich
falls Kontradiktionen, in denen das Antidenken sich endlos umtreiben m6chte.
Hauptsache, der von Hegel verlangte Ruickgang ins Sein als Grund wird
vermieden37). Das Allgemeine steht wider das Besondere, Abstraktes wider
Konkretes, Subjekt wider Objekt, Ich gegen Man, Geist gegen Gesellschaft -
und soweiter und so fort; lauter disparate Gedankendinge. Die festgefahrenen
30) Vgl. Anm. 9.
31) Adorno, ,Drei Studien zu Hegel', S. 96.
32) a. a. O.
33) H 8.277.
34) H 8.280.
35) a. a. O.
36) H 4.537 f.
37) H 4.551.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 291
Gegensatze werden erst vom grundlosen Totalwiderspruch zusammengebracht,
der jede Distinktion ausloscht. So geht das Neinsagen zunehmend in Nichts
sagen verloren. Die widerspruichliche Bestimmung verfallt ins Bodenlose, aus
dem nichts mehr herauskommen kann. Zuletzt bliebe nur noch das eigene
nichtende Denken zu negieren oder zumindest infrage zu stellen. Aber Nega
tion', die sich selber problematisch vorkame, erfiihre von der M6glichkeit
des ,Affirmativen', die doch angeblich nicht statthaben soll. Die ,Negation des
Negativen', namlich des eigenen kontradiktorischen Denkvollzugs, wird daher
gar nicht erst in Angriff genommen. Die Kritik hitet sich wohl, ihr grundle
gendes methodisches Prinzip in Zweifel zu ziehen. Mit dolosem Vorbedacht
geht sie dem jederzeit moglichen Wagnis der Selbstkritik aus dem Weg.Gerade im extremsten Versagen wird Adornos widerwilliges Gebunden
sein an Hegel spuirbarwie sonst nirgendwo. Das Festhalten am ,Widerspruch,
der nicht aufgelbst ist, sondern immer nur als vorhanden ausgesprochen
wird', begruindet nach Hegel den schlechten ,ProgreB ins Unendliche'38). ,,Dieser
ProgreB tritt allenthalben ein, wo relative Bestimmungen bis zu ihrer Ent
gegensetzung getrieben sind, so daB sie in untrennbarer Einheit sind, und
doch jeder gegen die andere ein selbststandiges Daseyn zugeschrieben wird39).'
Hegel l6st den Widerspruch ins ,Affirmative' auf40).Die ,Negation der Nega
tion resultiert sich zur Affirmation' und kehrt so zur urspruinglichen Wahrheit
aller Entzweiung zurtick41).Dabei vollzieht sich im ,zweiten' Negativen, dem
,Negativen des Negativen', wie es auch heiBt42), die Aufhebung des Wider
spruchs. Im ,einfachen Punkt der negativen Beziehung auf sich' glaubt Hegel,
die ,dialektische Seele' vor sich zu haben43). Tatsachlich ist hier die innerste
Umkehr seines Denkens erreicht. Diese ,Beziehung' negiert sich selber und
erhebt sich so ins Sein. Dagegen behauptet Adorno: ,Der Nerv der Dialektik
als Methode ist die bestimmte Negation.' (Erfahrungsgehalte)44). Das hat den
Sinn absichtlichen Stehenbleibens bei Hegels ,erstem' Negativen, ohne die
M6glichkeit der Umkehr mit einzubeziehen. Von Hegel aus gesehen heiBt
das: ,Dialektik' ihrer ,Seele' berauben. Es ist gleichsam so, als werde ein
kopfloser Kadaver wie ein ganzer Mensch vorgestellt. Die Reflexion verktirzt
das Sichdenken des Seienden im Sinne Hegels um die entscheidende Moglich
keit. Der Affront dieses Minusdenkens bedient sich hegelscher Terminologie,
um Hegel und den in dieser Frage zuerst maBgeblichen Spinoza desto unver
fanglicher miBdeuten zu k6nnen45). Der ardornosche ,Nerv der Dialektik' ist
zundchst ein Falsifikat, wie es nur in bewuBter Desinterpretation des Grund
sachverhalts zustande kommen kann. ImErgebnis steht die verwickelte Falsch
wahrheit, mit deren Hilfe der eigene methodische Standort aufbereitet werden
soll. Aber mit vorbedachter Verfehlung des nervus rerum ist der unwieder
bringlichen Metaphysik des unwiderlegten Weltphilosophen doch ganz gewiB
38) H 4.164.
39) a. a. O.
40) H 4.158 f.
41) H 4.177.
42) H 5.342.
43) a. a. O.
44) Adorno, ,Drei Studien zu Hegel', S. 96.
45) Spinoza, 50. Brief, Abs. 4; H 19.374.
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292 DISKUSSION
nicht beizukommen. Adorno mochte Hegel unterlaufen'; das gelingt ihm tat
sfdhlich, freilich im schlechten Sinn dieses Worts. Im Versuch, sich methodisch
zu begriinden, fdllt die Kritik auf einen seltsam verdrehten Spinozismus zuriick.
Von hier aus setzt sie dem von ihr gewahnten Dogmatismus der Versohnung
einen sfkularen Dogmatismus des Unversohntseins entgegen. Die ,volle Ver
sohnung durch den Geist inmitten der real antagonistischen Welt ist bloBe
Behauptung' (Aspekte)46). Als ob das je behauptet worden ware und das
Gegenteil nicht ebenso ,bloBe' Behauptung sein konnte.
In alledem ist Adornos Verhaltnis zu Hegel von einer merkwiirdigen HaB
liebe gezeichnet. Sie macht unfrei bis zur Horigkeit, die sich freilich nicht als
solche wahrhaben will. Die Kontradiktion gibt vor, ihren historischen Widerpart zu meistern und bleibt ihm doch nolens volens getreu. Sie argumentiert
wider die Riesengestalt ihres ,Herrn'mit dem Elend der Welt und nicht aus
den schlechtesten Gruinden. Von trostlicher Prasenz des Seins im Seienden
nicht uiberzeugt, hdlt sie das Gegenteil, die bloBe Endlichkeit des Seienden,
fur wahr. Das hat seinen Grund weit eher im Glauben als im Denken. Zwar
m6chte Adorno Religion um keinen Preis ,aus autonomem Denken beschworen'
wissen (7). Desungeachtet schldgt auch bei ihm die religiose Vorentscheidung
immer wieder durch. Sie gibt seinem Denken die unverlierbare Grundrichtung
und verfiigt fiber den Soziologismus gemiB dem ihr vorschwebenden Ziel.
Aber diese Vermittlung ist an sich duBerlich und hatte unter anderen Bedin
gungen zu demselben Ende ebensogut durch eine andere ersetzt werden
konnen. Einmal mehr kampft philosophischer Judaismus gegen Versohnungs
denken, das sich als christlich' versteht. Das ist der Kernpunkt des Zerwurf
nisses mit Hegel. Die grundlegende Differenz scheint unuiberbriickbar zu sein.
Sie ist es wirklich, solange im pseudo-rationalen Vehikel des gangigen Sozial
determinismus prozessiert werden soll. Das mag zeitgemaB sein; aber es ent
fernt von der wahren Streitfrage und verstellt sie schlieBlich unbeantwortet
im vorphilosophischen Tabu. Wozu das? Die ,Gesellschaft' kann keinerlei
zuverlassigen philosophischen Ansatz gegen das ,Absolute' im Sinne Hegels
begrulnden. Schon gar nicht die feine Gesellschaft, die sich unterdes von einem
Nichtungskrieg zum ndchsten im alten Abendland und anderswo breitgemacht
hat.
In diesen Zusammenhfingen um Adornos Hegel muB man sich sozusagen a
priori auskennen, wenn anders das zunfchst nur borniert scheinende Ver
halten ,gesellschaftlicher' Reflexion zur Existenzphilosophie verstfindlich wer
den soll. Die nichtende Reflexion sozialen Scheins ist mit dem ihr vorgegebe
nen geschichtlichen Seinsdenken nicht fertig geworden. Weder kann, noch
will sie das; es ist ihr ndihrender Grund, auf den sie immer wieder zurtick
kommen muB. Eben deshalb gerat die Auseinandersetzung mit Jaspers,
Heidegger, Buber oder wem auch immer zwangslaufig zur prolongierten Dis
kussion des absoluten Geistes'. Zwar heiBt es schon Hegel gegenuiber: ,Der
Geist hat es nicht vollbracht." (Aspekte)47). Aber die professorenmaBig querulierende Verzweiflung am ,Geist' traut dem eigenen apodiktisch vorgetragenen
46) Adorno, ,Drei Studien zu Hegel', S. 39.
47) a. a. O.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 293
Credo nicht recht. Sie m6chte wohl, daB es ,vollbracht' werde und tragt dazu
bei. Es soll nur niemand merken, daB sie noch Fragen hegt; Fragen, die aller
dings nicht ohne weiteres gel6st werden k6nnen. Vor allem nicht durch unkri
tisches Zuruickgehen auf die unproblematische SeinsgewiBheit, die der uiber
lieferten Ontotheologie von Augustinus bis Hegel als Bedingung ihrer
M6glichkeit zugrunde liegt. Diese ,GewiBheit' liBt sich nicht mehr erlangen,
wenn sie uiberhaupt je etwas anderes als Illusion gewesen sein sollte. Gleich
wohl sucht Existenzphilosophie, sich in ihr zu begriinden. Das offenkundige
Scheitern aller diesbezuiglichen Bemuihungen wird mit Wortgeklingel uibert6nt
und durch haltlose Festmachungen in den Schein des Gelingens erhoben. Das
ist in kurzen Zuigen Adornosphilosophischer
Kardinalvorwurfgegen
die
,Patriarchen' des Jargons der Eigentlichkeit, denen ansonsten noch ganz andere
Dinge zur Last gelegt werden (67).
Tatsachlich scheint Adorno von hier aus die Leitphilosophie des Jargons
am empfindlichsten Punkt ihrer Begruindung zu treffen. ,,Wie bekannt, ersetzt
Heidegger die traditionelle Kategorie der Subjektivitat durch Dasein, dessen
Wesen Existenz sei (95)." Adorno bezieht sich auf S + Z ? 9: ,,Das ,Wesen' des
Daseins liegt in seiner Existenz48)." Als ,traditionelle' Kategorie der Subjek
tivitat ist der im Gefolge Kants vor allem von Hegel und nach ihm Kierke
gaard gepragte Begriff des endlichen Menschen gemeint. Hegel halt den Men
schen fur ein freies geistiges Wesen. An sich kann ,freie' und geistige'
Subjektivitat nur dem Absoluten selber zukommen49). Aber Gott und Menschsind ,versdhnt'50). Das begriindet den unendlichen' Wert des endlichen Men
schen51). Er darf sich ,nach seiner Freiheit und Subjektivitat' ins Sein selbst
einbezogen wissen, in dem Subjektivitat iiberhaupt von vornherein angelegt
ist52).Der versohnte Mensch vermag ,sowohl in ihm selber, als (auch) objektiv
Anteil zu nehmen an der Wahrheit, zurWahrheit zu kommen, in derWahr
heit zu sein, zum BewuBtsein derselben zu gelangen'53). Hegel sagt das
in religionsphilosophischem Kontext. Indes gilt der Leitgedanke allem ver
s6hnten' Glauben und Denken. Der absolute Geist ist nur in seinem Sein
fur den Geist'54). Im ,Zeugnis des Geistes, es werde nun gldubig oder
denkend oder noch anders vernommen, muB Gott sich dem endlichen Men
schen mitteilen55). Absolute Subjektivitat gewahrt sich in endlicher und
umgekehrt; denn ,der Mensch, das endliche BewuBtsein, ist der Geist in
der Bestimmung der Endlichkeit'56). Davon ist auch Kierkegaards subjekt
bezogene religi6se Reflexion uiberzeugt: ,,DerMensch ist Geist. Aber was ist
Geist? Geist ist das Selbst57)." Und was ist das ,Selbst'? Das allseits verbin
dende ,Verhaltnis', worin der endliche Mensch sich auf sich und aufs Sein des
48) S + Z 42.
49) H 16.7.
50) H 16.223/304.
51) H 16.313.
52) H 16.281.
53) H 16.331.
54) H 10.452 f.
55) H 17.105 + 16.202/03.
56) H 16.41.
57) Kierkegaard, ,Die Krankheit zum Tode', S. 11 d. Ausg. Diem-Rest b. Fischer (Fischer B?
cherei 1959).
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294 DISKUSSION
Seienden selber bezieht58). Kierkegaard uibernimmt die Kategorie ,Verhaltnis'
von Hegel. Dieser gebraucht sie als durchgreifende Form philosophischen
Glaubens (,religibses' Verhiltnis)59). Sie besagt ,Beziehung von Geist zu
Geist'60). In ihr werden Glauben, Wissen und Denken gegruindet. Daran kniipft
Kierkegaard ausbauend an, so weit die Formen dieser umgreifend mediieren
den Kategorie von Hegel aus gesehen eher ,psychologischer' Art zu sein
scheinen61). Adorno halt Kierkegaards ,sich zu sich selber verhaltendes Ver
hdltnis' fuir etwas, unter dem sich nichts mehr denken liBt' (64).Warum nicht?
Weil der Logos des im ,Verhaltnis' gedachten Aufeinanderbezogenseins von
Sein und Seiendem inzwischen abgebaut worden sein soll. Das ,Transzenden
talsubjekt', wie es anderwarts heiBt, sei ,demontiert' worden (96). Von wem?Und woher weiB die Reflexion das so genau? Das dazu notige principium
negationis muiBte doch wohl im Sein des Seienden selber angelegt sein. Andem
falls kbnnte von Abbau und Abbruch des mediierenden Wesens nicht ge
sprochen werden, das noch Kierkegaard als ,Verhaltnis' begreift. Entweder,
es nichtet sich selber; was auch durch den endlichen Menschen geschehen mag;
oder, es wird iiberhaupt nicht demontiert', wie Adorno wahrhaben will. Wie
dem auch sei, der antitheologische Theologismus vom zugrunde gerichteten
Transzendentalsubjekt kann unmoglich begruindet werden, so lange kritisches
Fragen sich auf den Gesichtskreis der Endlichkeit vergrenzt. Genau das tut
die adornosche Reflexion jedesmal, wo sie vor einen m6glichen Horos des
Seienden kommt. Anstatt weiterzufragen, kehrt sie um und lauft ins markt
gangige gesellschaftliche Gerede davon.
So weit zum herkommlichen Begriff der Subjektivitat, den Heidegger durch
,Dasein' ersetzt haben soll. Subjektivitat im hier maBgeblichen traditionellen
Verstandnis meint Sein und Seiendes ineins als Person, wobei das vermit
telnde ,Verhaltnis' unumschrankt wesentlich ist. Nur davon als im dialekti
schen Medius der Subjektivitat wird Dasein' des Seins im Seienden erm6g
licht. Nun heiBt ,Dasein' die eine, wie unproblematisch zugrunde gelegte
Ausgangsposition in S + Z (? 4)62).Vorerst undiskutierter Anfangsgrund, wird
,Dasein' des weiteren im Geleit der ,Seinsfrage' entfaltet; und zwar in Rich
tung aufs ,Sein des Seienden bzw. (den) Sinn des Seins iiberhaupt'63). Noch
Hegel setzt ,Dasein', teils unter Berufung auf Anselm, ins subjektiv-endliche
Denken, ebensowohl ins endliche Seiende tiberhaupt64). In S + Z hingegen
wird das ,Sein des Menschen' von vornherein zum ,Dasein' erklart65). Zu
fragen ware, ob das einen wesentlichen Unterschied zur traditionellen onto
theologischen ,Daseins'-Konzeption begruindet. Freilich sagt Heidegger: ,,Die
ses Seiende, das wir je selbst sind und das unter anderem die Seinsmoglichkeit
des Fragens hat, fassen wir terminologisch als Dasein66)." Wir ,nennen' den
58) a. a. O., S. 11 13.
59) H 15.114 f.
60) a. a. O.
61) H 15.128.
62) S + Z 11 f.
63) S + Z 25/27.
64) Anselm. Prosl. c. 2; H 6.115 f. + 16.40 + 4.122 f.
65) S + Z 25.
66) S + Z 7.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 295
endlichen Menschen Dasein'67). Aber handelt es sich dabei wirklich nur um
vorlaufiges Anheften einer Vokabel, deren Bedeutung mit dem Gedankenzug
an sich nichts zu tun haben kbnnte? Keineswegs; es geht nicht bloB um
EBenennung in diesem Einsatz. Die provisorische Beschilderung gibt zweideu
tige Auskunft. Sie nennt beim moglicherweise gleichguiltigen Namen und setzt
doch im selben Zug die geschichtsmachtige ,Bestimmtheit' eines Begriffs. Wird
damit eine Frage gleich eingangs uiberspielt, die von rechtswegen bis zuletzt
offengehalten werden muiBte? Die Frage namlich, ob der endliche Mensch
uiberhaupt ,terminologisch' oder sonstwie als ,Dasein' angesprochen werden
darf? Es sieht so aus; dieser zuerst unverfanglich anmutende Notbehelf ist
nichts weniger als unproblematisch. Er weist auf eine weitreichende Vor
entscheidung in Bezug aufs Wesen des endlichen Menschen zuruick. Sie ware
noch zu begruinden, wenn anders das ,Daseins'-Pradikament nicht als unm6g
liche ,Voraussetzung' im Sinne Hegels bestehen bleiben soll. Heidegger ver
folgt den ,ontisch-ontologischen Vorrang des Daseins' iber Thomas und
Aristoteles bis auf Parmenides zurUck68).Damit scheint er selbst zu bestatigen,
daB der Terminus ,Dasein' nicht von seiner geschichtlichen Bestimmung los
gel6st werden kann. Begriff und Vokabel ineins, bringt Dasein' seine uiber
kommene Auslegung ins je fuir sich von vorn anfangende endliche Denken
mit ein. Das ist imWesen des Denkens begruindet. Dem unterliegt auch
Heidegger, wenn er den Menschen vorerst ,terminologisch als Dasein fassen'
m6chte69). Der Terminus ist nicht minder geschichtlich wie dieses Seiende'(Mensch), dem es in seinem Sein um dieses Sein selbst geht'70). Die in S + Z
versuchte Auslegung des endlichen Menschen als ,Dasein' entwachst geschicht
lichem ,Daseins'-Denken. Dahinein als ins eigene vorwegnehmend-nachlau
fende Wesen wird sie schlieBlich auch zuruickgenommen.
Dieser Hinweis auf die heimholende Geschichtlichkeit der Daseins'-Kon
zeption hat mit begriffsgeschichtlicher Relativie;rung nichts zu tun. Er besagt
nicht: die heideggersche Daseins'-Interpretation ist weder urspruinglich noch
n6tig; wohl aber: sie muB sich die Einwendung ehedem gewahrter Daseins'
Bestimmung gefallen lassen. Nicht erst der von auswarts kommende Adorno
erfaBt das, sondern schon Heidegger selber. Die sogenannte Seinsfrage ist das
primum movens bei ihm. Sie stellt vor die Schwierigkeit, einen ,neuen', d. h.
ebenso geschichtlichen wie ungeschichtlichen oder noch geschichtslosen Anfang
zu finden. Das zugrunde liegende ,methodische' Problem ist altbekannt. Hegels
exemplarische Ausfuihrungen dazu sind noch nicht uiberholt. Was er als
,moderne Verlegenheit um den Anfang' bezeichnet, erweist sich bei naherem
Hinblicken als perennierende Kalamitat7l). Noch jedes denkerische Beginnen
muB von sich selber verlangen, daB sein ,Prinzip auch Anfang und das, was
das Prius furs Denken ist, auch das Erste imGang des Denkens' sei72).Diese
Forderung scheint gleichbedeutend mit der nach Quadratur des Zirkels zu
67) S + Z 17.68) S + Z 14.
69) S + Z 11.
70) S + Z 12.
71) H 4.70.
72) a. a. O.
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296 DISKUSSION
sein. Aber, wird ihr nicht nachgekommen, so verfangt das Denken sich im
schlechten Kreisgang eines sich selber undurchsichtigen Voraussetzens. Hei
degger weiB um die damit verbundene Gefahr; daher seine Frage: ,Zuvor
Seiendes in seinem Sein bestimmen muissen und auf diesem Grunde dann die
Frage nach dem Sein erst stellen wollen, was ist das anderes als das Gehen
imKreise?73) " Es ist nichts anderes; indes, Heidegger gerat schlieBlich doch in
den offenbaren Zirkel', den er vermieden haben will74). Aufgabe sei es, im
Fragen nach dem Sinn von Sein zuerst eine ,vorgangige angemessene Expli
kation eines Seienden (Dasein) hinsichtlich seines Seins' vorzunehmen75). Aber
werde so ,ffir die Ausarbeitung der Frage nicht schon vorausgesetzt, was die
Antwort auf diese Frage allererst bringen soll'?76) Nein, meint Heidegger:,,Seiendes kann in seinem Sein bestimmt werden, ohne daB dabei schon der
explizite Begriff vom Sinn des Seins verfiigbar sein miil3te77).' Das geht am
Problem vorbei. Nicht dieser Begriff' ist anfangs zu verlangen; sondern die
Frage, ob der endliche Mensch schlicht vorneweg als ein ,Seiendes', noch
dazu (,terminologisch') als Dasein' ausgegeben werden darf. Furs durch
schnittliche Seinsverstandnis ,ist' er zwar und ist er auch ,da'. Aber das riumt
den Einspruch der agrippinischen Tropen von Zirkel' und ,Voraussetzung',
um die es hier geht, noch keineswegs aus78).Heidegger denkt zu kurz, wenn
er das skeptische Bedenken in den Bereich sogenannter ,Prinzipienforschung'
verweist79). ,Steril', wie er meint, sind die beiden einschlagigen Tropen doch
nur im sinnverfehlenden bloBen Verstandesgebrauch80). An sich mochten siejeder Verdinglichung des Fragens bei einem endlichen Prius vorbeugen, das
selbst erst noch infrage gestellt werden miiBte, um sich als wahr zu erweisen.
Das ist ihr urspriingliches Vorhaben; also gerade nicht, was in transzendenzfeindlichen Argumentationen endlichen Verstehens mit ihrer hohlen Form
beabsichtigt wird. Den endlichen Menschen mit vorsorglichem terminologischen Geschick zum ,Dasein' ernennen, bedeutet womoglich, vorzeitiger undeher daneben greifender Dingfestmachung des Gesuchten verfallen. Einmal
ausgesprochen, miiBe die Ernennung umgehend ins Thema des Fragens ge
hoben werden. Andernfalls bleibt die M6glichkeit vorderhand bedenkenlos
offen, daB der endliche Mensch doch nicht ,Dasein' sein k6nnte, sondern letzt
endlich unaufgehoben zugrunde gehen muB. In dieser Moglichkeit sistiert sichAdornos kritische Reflexion erwartungsgemaB im Gegenzug zu Heidegger.
Die Reflexion sieht das reale Nichts des endlichen Menschen. Deshalb ver
wahrt sie sich entschieden gegen seine vorgangige Erhebung zum ,bestimmten'Sein des Seienden, d. h. zum Dasein' inHegels Terminologie8t). Die Verwah
rung ist offenbar nicht vollig unbegruindet. Hegel beginnt beim absolut vor
gingigen reinen Sein82).Heidegger jedoch fangt in der systematischen Exposi
73) S + Z 7.
74) a. a. O.
75) a. a. O.
76) a. a. O.
77) a. a. O.78) Diog. Laert. IX. 88. 89.
79) S + Z 7.
80) a. a. O.
81) H 4.122 f.
82) H 4.72/73.
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IDEOLOGIEKRITIKUND EXISTENZPHILOSOPHIE 297
tion mit dem ausgezeichneten Sein eines Seienden an. Beide Einsatze werden
durch die intermediierende Subjektivitat des Subjekts ermoglicht. Abend
Iandisches Seinsdenken hat sich noch nie anders begruindet; das kann auch
nicht sein. Hegel beruft sich,offen auf diese Vermittlung. Heidegger redet vom
bisherigen durchgangigen ,Versaumnis der Seinsfrage uiberhaupt und im Zu
sammenhang damit (dem) Fehlen einer thematischen Ontologie des Daseins,
kantisch gesprochen, einer vorgangigen ontologischen Analytik der Subjek
tivitat des Subjekts'83). Gemeint ist zunachst die Subjektivitat des endlichen
Subjekts. Der Mensch soll untersucht werden, um eine behauptete Liicke im
iiberkommenen ontotheologischen Denkgefuige zu schlieBen. Er soll in die
Frage genommen werden, nicht nach seiner Endlichkeit, sondern nach seinem,Dasein' oder Subjektsein. Dazu halt die ,Seinsfrage' an84). Sie muB ihr Ge
suchtes in einer bestimmten endlichen Bestimmtheit ingriff bekommen. An
dernfalls bliebe sie womoglich unbeantwortet. Schon in der leitenden Frage
nach Sein ist die Unmoglichkeit angelegt, beim Dasein' als bloB endlichem
Subjekt stehen zu bleiben. Das Gesuchte ist an sich nichts Endliches. Der Begriff
vom Sinn des Seins kann daher nur im Transzendieren der Endlichkeit des
Subjekts gewonnen werden. Der Medius des Transzendierens ist das Sichauf
heben endlichen Personseins in numinose und transzendentale Subjektivitat.
Dadurch kame das endliche Fragen, das beim menschlichen Fuirsichsein als
,Dasein' anfangt, in sein wesentliches Bezugnehmen aufs Sein.
Oberflachlich besehen verzichtet Heidegger darauf, die geschichtlich be
griindete Vermittlung der Subjektivitat zu gebrauchen. Adornos Ansicht, er
habe sie durch ,Dasein' ,ersetzt', klingt zunachst uiberzeugend; aber sie im
pliziert doch den Vorwurf der Hehlerei: etwas wurde verschwiegen, das
eigentlich hatte gesagt werden muissen. Dazu ware zu bemerken, daB es auf
dasselbe hinauskommt, ob von Dasein' oder von Subjektivitat geredet wird.
Transzendierende Subjektivitat zeichnet das bestimmte Sein dieses Seienden
(,Dasein') in seinWesen aus. Dasein' heiBt Subjektsein im angegebenen Sinn;
und umgekehrt. Das steht nicht erst seit Hegel fest und hat seinen Grund
in der apriorischen Subjektivitat des Seienden selbst. Ontologie ist wesentlich
Ontotheologie. Die Befiurchtung, fur einen philosophischen Theologen gehal
ten zu werden, mag mit dazu beigetragen haben, daB Heidegger den Ausdruck
Subjektivitat vermeidet. Auch an andere eher zeitbedingte Gruinde ware zu
denken. Aber in seiner Frage gibt es kein Fortkommen ohne das herkomm
licherweise als Subjektivitat gewahrte Verhaltnis von Sein und Seiendem.
Gesucht ist das ,Seiende, das sich je schon in seinem Sein zu dem verhalt,
wonach in dieser Frage gefragt wird'85). Die Seinsfrage kann also nur beant
wortet werden von einem Seienden her, das sich in seinem Sein als Seiendes
zum Sein des Seienden selber ,je schon' irgendwie ausnehmend ,verhalt';
ndmlich in der ausgezeichneten Weise des Fragens nach Sein. Das sich so
,verhaltende' Seiende ist der endliche Mensch. Die Tatsache des Einbezogen
seins ins ,Verhaltnis' begriindet sein unverwesliches Wesen. In seinem Fragen, besonders nach Sein, gehort er der Subjektivitat des Subjekts immer
83) S + Z 24.
84) S + Z 23.
85) S + Z 15.
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298 DISKUSSION
schon an. Er ist insoweit Subjektsein im recht verstandenen ontotheologischen
Sinn dieses Wortes. Danach ist vorderhand gleichguiltig, ob man ihn dement
sprechend benennt oder nicht. Aber war es nun wirklich n6tig, ihn gleich
eingangs terminologisch' als Dasein' zu fassen? ,Dasein' heiBt Sein mit
einer, Bestimmtheit' (Hegel)86).Das vorgangige konkrete Fuirsich der Bestimmt
heit, gleichsam die bestimmte Bestimmtheit, ist bei Heidegger das Fragen. Als
,Dasein' fragt Sein nach sich selbst. Nun wird der endliche Mensch unmittelbar
zum bestimmten Sein oder Dasein' erhoben. Offenbar heiBt das, fiber seine
endguiltige Bestimmung schon zum voraus verfugen. Sein kann unmoglich sein
eigenes ,Dasein' verlieren. So weit Sein ist, so weit ist es auch da', um, wie
Hegel formuliert, ,mit sich selber zusammenzugehen'87). Der endliche Menschbliebe so in jedem Fall vor der M6glichkeit totalen Seinsverlusts bewahrt.
Heidegger, meint Adorno, zeige ein Seiendes vor und nenne es ,Dasein', ,das
zugleich nicht nur Seiendes ware, sondern (auch) dessen reine Bedingung' (95).
Das stimmt; und vermoge der Absolutheit des Bedingenden ist das Bedingte
selbst absolut. Das heiBt die Seinsfrage zur Heilsfrage umwenden und sie in
dieser Gestalt, die sie zweifellos annehmen kann, vorzeitig fuir geschlossen
erklaren. Danach ware der Abgrund der Endlichkeit schon tibersprungen, noch
bevor er uiberhaupt in Sicht kommen konnte. Das ist absurd und verdreht in
den schlechtesten aller Zirkel, in denen ontotheologische Grundlegung sich
verfangen kann. Solchem ,Gehen im Kreise' verfallt Hegel in der fraglosen
Aprioritat ,an sich' bereits geschehener Versbhnung88). Im Kreisgang vorgegebenen Geeintseins von Sein und Seiendem oder, noch bestimmter: von Gott
und Mensch, verliert sich offenbar auch Heidegger. Er tut das auf seine Weise,
ohne ,Theologie', mit Adorno zu reden. Namlich durch absichtliches Absehen
von der seinsgeschichtlich begruindeten Subjektivitat des sich im endlichen
,Dasein' nur zu sich verhaltenden Seins. Unvermeidlich gerat das Subjektsein
des Seins zum Subjektsein des Seienden, das je ins Dasein' aufgenommen
wird. Der endliche Mensch ware als ,Dasein' zu einem unverweslich Seienden
inqualiert. Erware seines bloBen' Seins als an und fuir sich nichtiges endliches
Wesen ein- fuir allemal uiberhoben. Die dazu n6tige Verftigung kann unmog
lich von philosophischem Denken im terminologischen Vorgriff einer Grund
legung ,vorausgesetzt' werden. ImVorab von S + Z ist sie freilich eher inbe
griffen als gesetzt. Aber das begriindet keinen Unterschied. MaBgeblich ist
allein die seinsgeschickliche Struktur des Begriffs von moglichem ,Dasein'
uiberhaupt. Sie inhariert jedem ontologischen und erst recht jedem ontotheo
logischen Gebrauch dieser Bestimmung von vornherein. Auf den Eigensinn
des je fragenden Denkens kommt es insoweit nicht an.
ImAnfang mit ,Dasein' wird ein allseits vermitteltes Prius zugrunde gelegt.
Seine geschichtlichen und dialektischen Implikationen sind nichts weniger als
schlicht verstandlich. M6glicher Anfang des Subjekts, weist Dasein' unabseh
bar fiber sich hinaus. Dem endlichen Menschen dtirfte diese ausnehmende
Qualitat daher vorderhand nur problematisch zugestanden werden. S + Z
lIBt in den einschldgigen Stuicken der vorwegnehmenden Grundlegung eine
86) H 4.84 f.
87) H 4.157 f.
88) H 16.304 f.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 299
angemessen vorsorgliche Verwahrung vermissen. Das nahrt den von Adorno
immer wieder vorgetragenen Verdacht, die Dialektik des Seins zum Tode'
denke amWichtigsten vorbei, ndmlich an der Endlichkeit des endlichen Men
schen (109 f)89).Adornos Zweifel lieBe sich freilich auch im Ruickgang aufs
wirkliche Apriori von S + Z nicht ausraumen. Nicht ,Dasein', sondern Sein
ist das absolut Vorgangige. Adorno weiB das und behauptet nun, Heidegger
habe es nicht fur notig befunden, Sein zu einem ,Gesetzten' zu machen (95).
In diesem an Hegel geschulten Sprachgebrauch heiBt ,Dasein' so viel wie ge
setztes oder entfaltetes Sein. Adornos Einwendung ist zumindest in Bezug auf
die terminologische Aprioritat von ,Dasein' berechtigt. Aber die in Soziologis
men verstrickte Reflexionvermag das nicht einleuchtend zu begruinden. Stattdessen gefallt sie sich in Pobelei: ,,Er (Heidegger) kuriert das Dasein von der
Wunde des Sinnlosen und zitiert das Heil aus der Ideenwelt ins Dasein (96)."'
So geht es nicht. Adorno sieht das absolute Prius Sein. Sein ist das Erste und
wfre demgemiB als das ,Prinzip' anzusprechen, das Heidegger mit Hegel
gemeinsam hat90). Das Zweite ist kein wunschglaubiges Herbeiwahnen des
Heils, sondern ein bestimmtes endliches Fragen. Nach Sein wird gefragt91).
Dieses Fragen hat seine ,Direktion' immer schon vorweg vom ,Gesuchten'
empfangen92). Das Paradoxon apriorischer Anleitung ist offenbar nicht leicht
zu losen. Sein soll ein fragendes Suchen nach ihm zu sich selber hindirigieren
konnen. Wie das? Anscheinend setzt das Vermogen richtunggebender Ein
weisung den Seinsursprung eben dieses ausgezeichneten Fragens voraus. Seinselbst muB Grund und Anfang des ,darauf gerichteten Fragens sein. Paradox
formuliert: dieses Fragen geht von dem aus, worauf es ausgeht. Aber im Fra
gen nach ... ist die urspruingliche Differenzidentitat von Sein und Fragen doch
bereits gelost. Abstand, Differenz, Vermittlung sind gesetzt, wobei das Fragen
selber die ,Vermittlung' im Sinne Hegels sein muB. Es ist noch nichts anderes
als Sein und sein Fragen, das sich von Anfang an zu ihm ,verhalt'. Demnach
ware Fragen nach Sein (oder Fragen uiberhaupt) sowohl Form als auch Inhaltder unmittelbar distanzierenden Verhdltnisbeziehung. Fragend nimmt Sein
auf sich selber Bezug. Das zweite Prius Fragen lieBe sich mit Hegel als kon
krete Negation' denken, die sich ins Sein umwenden muB. Zwischen Sein
und Fragen wird so gleichsam ein Zirkel beschrieben; das eine Erste erm6glicht das andere und umgekehrt. Aber dieser Kreisgang ist vom widersinnigen
Gedrehe in endlichen Aprioritaten durchaus unterschieden. Hier sind ,Subjekt'und ,Objekt' wesenseins darauf aus, die ursprulngliche Differenzidentitat je
stets aufs neue zu verwirklichen. So handelt es sich um den dialektischen
Kreislauf des Seins in sich, der aller Ontotheologie als Bedingung ihrerMog
lichkeit vorausgehen muB.
Heidegger hat das fundamentale dialektische Verhdltnis eindringlich be
dacht. Schon die immer wieder problematische Einleitung zu S + Z redet
davon (?? 2- 4). Der dialogische Logos von ,Sein' und Fragen' durchzieht
sein gesamtes philosophisches Tun von Anfang an. Seine EinsichtinsWesen
89) S + Z 235 f.
90) Vgl. Anm. 70.
91) S + Z 5?7.
92) S + Z 5.
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300 DISKUSSION
endlichen Fragens erreicht zuletzt noch im Nietzsche'93) uiberragende Tiefe.
Dem widerstreitet nicht, daB die Stellung des zweiten zum ersten Prius ein
gangs von S + Z doch noch nicht scharf genug aufgefaBt wird. Sein heiBt das
von sich ausgehende Vorab, Fragen das zweite, negative, das sich zu Sein
nur durch sich selber vermittelt ,verhdlt'. Das geht aus dem einschlagigen
textlichen Befund eindeutig hervor. Aber imGegenzug dazu erklart Heidegger,
das endlich-menschliche Dasein' sei dasjenige ,Seiende, das sich je schon in
seinem Sein zu dem verhalt, wonach (in der Seinsfrage) gefragt wird'94). Offen
bar stimmt hier etwas nicht. Das erste sich ,Verhaltende' ist doch das Fragen
selber und nicht der endliche Mensch. Er ,verhalt' sich nur durch sein Fragen
zu Sein. Sein Bezugnehmen aufs ,Absolute' Heideggers wird in der Vermittlung des Fragens ermoglicht; aber nicht, daB er das Fragen allererst setzt.
Desungeachtet erh6ht Heidegger ihn in den Rang des zweiten Prius (,Dasein'),
der an sich dem Fragen zusteht. Das geschieht in eben jenem ,terminologischen'
Handumdrehen, das dem Denken die feste Basis des nachmaligen systemati
schen Vorgehens als Analytik des Daseins' verschafft (?? 9 f). Von hier aus
nimmt die Verwirrung ums schlechte Apriori ,Dasein' ihren Lauf. Auf Grund
seiner vollig unvermittelten Seinsndhe wdire dem Fragen der gesuchte ,ontisch
ontologische Vorrang'95) noch vor allem anderen ,Seienden' zuzusprechen.
Danach kbnnte das Fragen im Sinne Heideggers als Dasein' terminiert werden,
zumindest vorlaufig. Aber selbst diese Sprachregelung bliebe bedenklich, so
lange die Subjektivitat des Fragens noch nicht vollends ergruindet worden ist.K6nnte Philosophie es nochmals mit ,ontologischem' oder eigentlich ontotheo
logischem Beweisen Gottes versuchen, so mtiBte sie dazu im Sichfragen des
Seienden selber ansetzen, das wom6glich Gestalten endlichen Seins annehmen
kann. Im Ergebnis ware ein ,zetetischer' Beweis zu erhoffen. Er lieB3e die
ebenso abgestandene wie unwegsam gewordene Begruindung im Gedanken'
(Hegel)96) weit hinter sich oder gar nicht erst zu. Obwohl die Heuristik der
Einleitung zu S + Z noch sehr rudimentar ist, zeigt sie doch schon, wo Ansfitze
in dieser Richtung zu finden sein k6nnten.
Aus der ihm an sich zukommenden Stellung im problematischen ,Vorrang'
verdrdngt, wird das Fragen zu einem akzidentellen Sichverhalten des mensch
lichen Daseins' heruntergedruickt. Man konnte das eine grundlose Umstellung
der urspriinglichen Rangordnung nennen, in der das Menschenwesen nur als
mogliches Vehikel zeitlichen Fragens auftritt. Heidegger unterscheidet Fragen
nach Sein von Fragen schlichthin. In bezug auf die Seinsfrage heiBt es, ,das
Fragen dieser Frage sei als Seinsmodus eines Seienden', des Menschen nam
lich, von Sein selbst wesenhaft bestimmt'97). Aber das menschliche ,Dasein'
hat die ,Seinsm6glichkeit des Fragens' tiberhaupt an sich, freilich nur ,unter
anderem'98). Demnach konnte der Mensch auch noch anders sein' als fragen
derweise. Der Medius des Fragens ware in Ermoglichung seines Seins als
93) Heidegger, .Nietzsche/1, Bd. 1, S. 450 f. (1.Aufl. 1961).94) S + Z 14/15.
95) S + Z 12 f.
96) H 16.421 f.
97) S + Z 7.
98) a. a. O.
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IDEOLOGIEKRITIK UND EXISTENZPHILOSOPHIE 301
Seiendes nicht unbedingt vonn6ten. Der Mensch fragt ,unter anderem' und ,ist'
so ,unter anderem' auch. Zu dieser Uberzeugung gelangt man zwangslaufig,wenn das bestimmte, ausgezeichnete Sein als Dasein' vorausgesetzt wird.
Danach ist die M6glichkeit zu sein iiberhaupt immer schon ergriffen und
braucht nicht erst fragenderweise gesucht und somit aktualisiert zu werden.
Die Vorverlegung des ,Daseins' macht, daB Fragen so nebenher daran herum
spielen mag; in diesem Extrem, das Heidegger zweifellos zulaBt, zumal, wenn
er das Seinsfragen zu einem Modus verschlechtert, kann die ,Notwendigkeit'
(Hegel) des Fragens fur den endlichen Menschen nicht iiberzeugend dargetan
werden. Tatsachlich verbringt Heidegger die Seinskategorien ,Mensch', ,Da
sein' und ,Fragen' am kritischen Punkt in eine a posteriori kaum mehr auf
zul6sende Zusammensetzung. Sie ist unvergleichlich bedeutsam; denn das
Gesamtgefuige des in S + Z entfalteten Denkens lastet auf ihr. Bricht dieser
Atlas verm6ge seiner inneren Fragwiirdigkeit zusammen, so ist alles weitere
zumindest ,formal' haltlos geworden. DaB er briichig sein konnte, erhellt zuerst
im Bedenken der ,Seinsm6glichkeit' zu fragen, die ,wir' ,unter anderem' ,haben'
sollen99). Der vordringlichste Einwand lieBe sich kurz so andeuten: nicht ,wir'
,haben' diese M6glichkeit, sondern sie ,hat' uns; wenn anders ,wir' iiberhaupt
dieM6glichkeit zu sein haben k6nnten. Das heiBt, das einzig wesentliche ,esse'
des endlichen Menschen ist ans Fragen gebunden. Ob besagte Seinsmbglich
keit dem Menschen wesensgemaB eher zukommt denn anderem Seienden'
(Heidegger), mag im Zusammenhang dahingestellt bleiben; nicht aber, daB
der Aufstieg ins strikt ontotheologisch verstandene ,Dasein' erst im ergriffenen Anwesen dieser ausgezeichneten M6glichkeit freigelegt werden kann.
,Primar' geh6rt sie zum Sein des Seienden selbst. Sie ist das an sich unmittel
bare ,Verhaltnis' des Seins in sich und so noch nicht unterschieden von dem,
was im Nachgang zu Heidegger die Seinswirklichkeit des Fragens genannt
werden k6nnte. Die seit Aristoteles tradierte Unterscheidung von ,Potenz' und
,Akt' greift imAnsichsein nicht durch. Die Vorstellung der Seinsunmittelbar
keit des Fragens als ,reiner Tatigkeit' wird noch von Hegel so gut wie vollig
iibersehen100). Er ergreift das wesentliche Sichzusichselberverhalten des Seien
den erst im ,reinen Wissen' als ,bei sich selbst seiender Tfitigkeit"01). M6g
licherweise ist es darauf zuriickzufuihren, daB Adorno der Problematik radi
kalen', d. h. ,ergriindenden' Fragens (Uygur) verstandnislos gegeniibersteht
(27.47)102).
Die zuletzt angesichts des Anfangs mit ,Dasein' in S + Z ausgewiesenen
Denkm6glichkeiten brauchen im Zusammenhang der adornoschen Kritik an
Heideggers systematischer Grundlegung nicht weiter verfolgt zu werden.
Bereits das fragmentarische Andeuten zeigt, daB ein an Hegel ankniipfendes
Denken zu noch ganz anderen Einsichten am existential-ontologischen Aprio
ritatengefuige gelangen k6nnte, als Adornos dubioser Hegelianismus wahr
haben will. Allerdings erfaBt seine ,Negation' die je vorhandenen Verfalls
99) a. a. O.
100) H 16.228.
101) a. a. O.
102) Nermi Uygur, ,Das Problem der Ergr?ndung in der Philosophie', S. 284 f. d. .Zeitschrift
f. phil. Forschung*, Bd. XVIII, Heft 2 (1964).
20 ZphF XXI/2
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302 DISKUSSION
m6glichkeiten eines philosophischen Fragens mit auBergew6hnlichem Scharf
blick. Aber dabei bleibt es auch; die Negation sistiert sidh im bloB Negativen.
Sie scheut das Positive und halt es nicht aus. Die bei Hegel angelernte Un
fahigkeit, inM6glidhkeiten zu denken, verwehrt das Offenhalten von Fragen,
die kein ,existenzphilosophisches' und erst recht kein ,ideologiekritisches'
Dekret zu schlieBen imstande sein kann. Hinzu kommt der Hang zu maBloser
Ubertreibung. Er gerat zum Verhangnis und verdirbt so jedes sinnbezogene
Konzept; etwa in der These, Heidegger wolle ,von einem Seienden ausgehen',
das, ,wie einst das Ich des spekulativen Idealismus, mehr sein soll denn bloB
faktisch' (95). Dieser Vorgang ist exemplarisch. Wiurde es hier heiBen: ,das
mehr sein k6nnte denn bloB faktisch', so ware schon alles gewonnen. Aberdas erfahrungsfeindliche Insichreflektieren halt sich beim realen Seink6nnen
eines endlichen ,Diesen' (Hegel) lieber gar nicht erst auf. Die Feindschaft er
wdchst aus Verzweiflung. Adorno ist Iangst am offenbaren zeitlichen Elend
des endlichen Menschen gescheitert. Danach wird vom ,Geist', der es nicht
,vollbracht' haben soll, absolute Distanz ausgesagt. Auf der anderen Seite des
Abgrunds verbleibt das Menschenwesen aussichtslos gefangen inmitten zeit
licher Not. Vergebens auf Erl6sung harrend, hat es keinerlei Zukunft vor sich.
Von den anonymen Ubermdchten seiner radikal vergesellschafteten Gesell
schaft' (Aspekte)103) darf es sich ja erst recht nichts erhoffen. Der so weit vor
getriebene Sozialdeterminismus ontologisiert die zeitliche Erl6sungsnot.
,Absolut' gesetzt, wird sie zum grundlosen Graben, uiber dem Endliches undUnendliches im Sinne Hegels nicht mehr ,zusammengebracht' werden k6n
nen104).Damit ist fiber das MiBlingen philosophischen Transzendierenwollens
stets schon zum voraus entschieden. Die Seinslosigkeit des vergesellschafteten
Menschen MIRt sich auch so nicht bezwingen. Bis hierhin hat Adorno philo
sophiert. Was er sonst noch verbringt, geh6rt zur Unphilosophie, ist ,Reflexion
ins leere Ich', das seine durch Hegel vermittelte Seinsbindung mutwillig zer
st6rt105).
MARXISMUS UND DAS MENSCHLICHE INDIVIDUUM
Kritische Betrachtungen zum gleichnamigen Budh von A. Schaff
(Fortsetzung von S. 88; SchluB)
Von Otto B aumhauer, K61n
Schaff kommt nodh einmal auf die Frage des menschlichen Gliicks zuriic:
,,Jedes entwickelte System des Humanismus enth< seine eigene Theorie des
Glitcks... Der marxistische Humanismus bildet in dieser Hinsicht keine Aus
nahme.' (S. 232). Allerdingsschrdnkt
erein, sie sei dort nur implizite enthalten,und betont die Notwendigkeit, sie explizite darzulegen. Eben das tut er aber
103) Adorno, .Drei Studien zu Hegel', S. 40.
104) H 4.175 f.
105) H 2.55.