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Impfungen bei Chronikern, immunsupprimierten und immunseneszenten Patienten Lehrtext

Impfungen bei Chronikern, immunsupprimierten und ... · Erstimpfungen als auch Boosterimpfungen sind von den immun-seneszenzbedingten Veränderungen betroff en [4]. Bei vielen impfpräventablen

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Impfungen bei Chronikern, immunsupprimierten und immunseneszenten Patienten Lehrtext

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1. Impfungen bei immunseneszenten Patienten 3

1.1 E inleitung .......................................................................................................................................31.2 Immunseneszenz ...........................................................................................................................31.3 Impfen bei Immunseneszenz ..........................................................................................................4

2. Impfungen bei immunsupprimierten Patienten 6

2.1 E inleitung .......................................................................................................................................62.2 Patienten mit kongenitalen Immundefekten...................................................................................62.3 Patienten mit chronischem Nierenversagen und Hämodialyse ......................................................62.4 L eberzirrhose .................................................................................................................................72.5 Hämato-onkologische Patienten ....................................................................................................72.6 Patienten nach allogener Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation..................................92.7 Patienten nach Organtransplantation ............................................................................................92.8 Funktionelle Asplenie und Splenektomie .....................................................................................102.9 Impfungen bei HIV .......................................................................................................................112.10 Impfungen unter immunsuppressiver Therapie bei Patienten mit

rheumatologischen und Autoimmun-Erkrankungen ...................................................................122.11 Weitere Maßnahmen ..................................................................................................................13

Fußnotenverzeichnis 14

Kooperationspartner:Die Fortbildung wird unterstützt durch die folgenden Kooperationspartner:

Bayerischer Hausärzteverband (BHÄV), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (bvkj)

Forum Impfen e. V., RG - Kongresse - Tagungen - Events

Hinweis:Wenn aus Gründen der Lesbarkeit die männliche Form eines Wortes genutzt wird („der Arzt“),

ist selbstverständlich auch die weibliche Form („die Ärztin“) gemeint.

3

Ein adäquater Impfschutz älterer Personen stellt eine besondere

Herausforderung für den impfenden Arzt dar. Im Rahmen immu-

nologischer Prozesse schwächt sich die Funktion des körpereige-

nen Immunsystems im Alter fortschreitend ab. Dieser Prozess

wird als Immunseneszenz bezeichnet. Die Folge sind höhere Er-

krankungsraten, verbunden mit einer erhöhten Mortalität, beson-

ders bei Infektionskrankheiten. Damit verbunden ist auch eine

eingeschränkte Immunantwort bei Impfungen. In Studien an äl-

teren Menschen konnten nicht nur niedrigere spezifi sche Anti-

körpertiter nach Impfungen, sondern auch ein schnelleres Ab-

sinken der Antikörperkonzentration nachgewiesen werden. Trotz-

dem lässt sich durch gezielte Impfungen ein guter Schutz gegen

viele Erkrankungen, die besonders im Alter relevant sind, erzielen.

HerdenimmunitätDurch hohe Durchimpfungsraten bei Kindern und jüngeren Er-

wachsenen lässt sich durch Herdenimmunität ein wirksamer

Schutz für Ältere, zum Beispiel im Bereich der Pertussisimpfung,

erreichen. Auch im Bereich der Grippeimpfung kann der Schutz

der Älteren deutlich verbessert werden. Modellrechnungen legen

nahe, dass eine Impfquote von mindestens 20 Prozent bei den

5- bis 18-Jährigen die infl uenzabedingte Mortalität bei den über

65-Jährigen stärker reduziert als eine Impfquote von über 90

Prozent bei den Senioren [1]. Gerade bei durch Immunsenes-

zenz Betroff enen ist es wichtig, die häufi g vernachlässigten

Standardimpfungen (zum Beispiel Tetanus) regelmäßig durchzu-

führen.

1. Impfungen bei immunseneszenten Patienten

1.2 Immunseneszenz

1.1 Einleitung

Die Immunseneszenz betriff t sowohl das unspezifi sche angebo-

rene als auch das erworbene lymphozytenbasierte Immunsys-

tem [2]. Neutrophile Granulozyten, Makrophagen, dendritische

Zellen, natürliche Killerzellen, B-Zellen und T-Zellen sind betrof-

fen, wobei sich weniger die Phagozytosekapazität und die Anzahl

der Zellen als die Funktionalität der Zellen reduziert. Rezeptor-

abhängige Funktionen wie Chemotaxis, Superoxidproduktion

oder Apoptosis verringern sich mit zunehmendem Alter deutlich.

Eine entscheidende Rolle für Impfungen spielen die T-Lymphozy-

ten. Durch fortschreitende Abnahme des Thymusgewebes redu-

ziert sich die Anzahl naiver T-Lymphozyten, die darüber hinaus

nur noch eine eingeschränkte Funktionsfähigkeit besitzen [3].

Dagegen akkumulieren hochspezifi sche T-Eff ektorzellen, wodurch

die Kapazität des adaptiven Immunsystems deutlich reduziert

wird. Als Auslöser werden lebenslange Antigenstimulation im

Rahmen subklinischer Infekte, zum Beispiel bei persistierenden

Infektionen mit CMV oder Herpes zoster, vermutet [2, 4].

Im Alter reduziert sich außerdem die Anzahl naiver B-Zellen, bei

gleichzeitigem Anstieg der B-Eff ektorzellen. Die Folge ist eine nur

noch eingeschränkte humorale Immunreaktion bei geringerer

Variabilität der Immunantwort durch B-Zellen [4]. Auch die Kom-

munikationsfähigkeit zwischen B- und T-Zellen schwächt sich mit

zunehmendem Alter ab. In der Folge kann das Immunsystem auf

neue Antigene nicht mehr adäquat und fl exibel reagieren. Dies

wird zum Beispiel als Ursache für das Ausbrechen im Organismus

persistierender Erkrankungen wie Varizella zoster (Gürtelrose)

diskutiert.

4

Neben gehäuften akuten wie chronischen Erkrankungen resul-

tiert aus der Immunseneszenz auch eine reduzierte Immunant-

wort auf Impfungen [5]. Die Antikörperreaktion ist vermindert

und eine induzierte Immunität wird schneller abgebaut. Sowohl

Erstimpfungen als auch Boosterimpfungen sind von den immun-

seneszenzbedingten Veränderungen betroff en [4]. Bei vielen

impfpräventablen Erkrankungen ist sowohl die Mortalität als

auch die Morbidität in der vulnerablen Gruppe der älteren Men-

schen hoch, weshalb eine adäquate Immunisierung hier beson-

deren Stellenwert hat [6]. Epidemiologische Studien sprechen

für eine Wirkung von Impfungen auf Mortalität und Morbidität

bei Älteren [7, 8]. Da die Älteren eine wachsende Gruppe in der

Bevölkerung sind, wurde in den letzten Jahren ein Schwerpunkt

im Bereich der Impfungen auf diese Thematik gelegt. Mit alter-

nativen Applikationswegen, neuen Adjuvantien, höheren Antigen-

dosen und virosomalen Impfstoff en versucht man eine verstärk-

te Immunantwort zu induzieren und die Eff ektivität der Impfun-

gen bei Älteren zu steigern.

Infl uenzaIn den letzten zehn Jahren hat sich bei den Älteren eine eher

schlechte Durchimpfungsrate um die 50 Prozent gezeigt [9]. Die

von der WHO geplante Zieldurchimpfungsrate von 75 Prozent

bis zum Jahr 2010 wurde nicht erreicht [10]. Im Rahmen der Im-

munseneszenz reduziert sich die Impfeff ektivität deutlich. Nach

Infl uenzaimpfung konnte bei geimpften Personen über 65 Jahren

eine Reduktion der Mortalität um 48 Prozent sowie eine Reduk-

tion von Krankenhauseinweisungen wegen Grippe oder Pneumo-

nie um 27 Prozent nachgewiesen werden [11]. Es stehen einfa-

che Spaltimpfstoff e sowie virosomale und adjuvantierte Spalt-

impfstoff e aus Oberfl ächenantigen zur Verfügung. In Studien

konnten mit einem intradermalen Impfstoff bei allerdings erhöh-

ten lokalen Nebenwirkungen deutlich höhere Seroprotektionsra-

ten erzielt werden als mit intramuskulärer Gabe [12]. Durch die

STIKO wird eine jährliche Impfung im Herbst mit einem Impf-

stoff mit der von der WHO empfohlenen Antigenkombination als

Standardimpfung für alle Personen ab 60 Jahre empfohlen. Ge-

nerell handelt es sich hier um einen trivalenten Impfstoff mit einer

Kombination aus zwei A und einem B Virustypen. Seit der Saison

2013/2014 steht in Deutschland auch ein tetravalenter Impf-

stoff zur Verfügung, der zwei A und zwei B Virustypen abdeckt.

Da die Kozirkulation beider B-Stämme weltweit zunimmt, emp-

fi ehlt die WHO Empfehlung, sich nicht mehr auf den trivalenten

Impfstoff zu beschränken. Die jährliche Impfung sollte auch bei

unveränderter Antigenzusammensetzung des Impfstoff s (gegen-

über der vorhergehenden Saison) erfolgen. Es wird davon ausge-

gangen, dass eine jährliche Impfung die Immunantwort verbes-

sert, da sich bestehende hohe Antikörpertiter positiv auf den

Antikörpertiter nach Impfung auswirken [13].

1.3 Impfen bei Immunseneszenz

Alter in vollendeten Jahren

Erstimpfung Wiederimpfung

Jährlich

60 61

Abbildung 1: Impfschema Infl uenza

5

PneumokokkenVon der STIKO wird für Personen ab 60 Jahre eine einmalige

Impfung gegen Pneumokokken mit einem 23-valenten Pneumo-

kokken-Polysaccharidimpfstoff empfohlen. Zur Wiederholungs-

impfung, außer bei besonderen Indikationen, wird derzeit nicht

geraten [14]. Da es sich um einen Polysaccharidimpfstoff han-

delt, lässt sich keine T-Zellantwort induzieren. Die Impfung wird

damit auch nicht zur Boosterung empfohlen. Nach Impfung wird

ein zirka 60-prozentiger Schutz gegen invasive Verläufe postu-

liert [15]. Insbesondere bei älteren Patienten ist jedoch mit einer

im Alter ansteigenden deutlich schlechteren Immunantwort und

einer rasch abfallenden protektiven Wirkung zu rechnen [16].

Trotzdem ist die Impfung auch in Bezug auf die Kosteneff ektivität

sinnvoll [17]. Seit 2011 ist ein konjugierter 13-valenter Pneumo-

kokkenimpfstoff für Erwachsene ab 50 Jahren zugelassen. Der

Gemeinsame Bundesausschuss hat die ausschließliche Empfeh-

lung des Polysaccharidimpfstoff es inzwischen aufgehoben, so-

dass die Kosten des Konjugatimpfstoff s von den Krankenkassen

übernommen werden. Die bisherigen Studien sprechen für eine

gute Wirksamkeit des Impfstoff es und eine positive Nutzen-Kos-

ten-Relation. Drei bi fünf Jahre nach einer Konjugatimpfung kann

eine Auff rischimpfung auch mit dem Polysaccharidimpfstoff er-

folgen (umgekehrt ist das nicht möglich). Deshalb sollte man

derzeit die Pneumokokkenimpfung bevorzugt mit dem Konjugat-

impfstoff durchführen. Dieses Vorgehen ist insbesondere für Ri-

sikogruppen (angeborene oder erworbene Immundefekte mit T-

und/oder B-zellularer Restfunktion, chronische Nierenkrankhei-

ten/nephrotisches Syndrom) empfehlenswert. Hier kann eine

Wiederholungsimpfung alle fünf Jahre erfolgen [14]. Durch eine

Kombination von Grippe und Pneumokkenimpfung lässt sich eine

additive Wirkung auf Hospitalisierungsraten und Mortalität er-

zielen.

ZosterDie Immunseneszenz scheint hier eine bedeutende Rolle zu

spielen, da eine endogene Reaktivierung des in Ganglien persis-

tierenden Herpes-Zoster-Virus bei Älteren besonders häufi g auf-

tritt. Ein Impfstoff wurde für Personen über 50 Jahre entwickelt

und zugelassen. In Studien ließ sich eine signifi kante Reduktion

der Erkrankungsrate, der Erkrankungsschwere sowie des Risi-

kos für eine Postzosterneuralgie um mehr als 50 Prozent nach-

weisen. Schwere Nebenwirkungen konnten nicht beobachtet

werden [18, 19]. Auch hier ist bei zunehmendem Alter mit einer

reduzierten Immunantwort zu rechnen. Der Impfstoff ist trotz

Zulassung in Deutschland aktuell nicht verfügbar.

Dr. Markus Frühwein

Alter in vollendeten Jahren

Standardimpfung Wiederimpfung

Alle 6 Jahre

60 66

Abbildung 2: Impfschema Pneumokokken bei Risikogruppen

6

2.2 Patienten mit kongenitalen Immundefekten

2.3 Patienten mit chronischem Nierenversagen und Hämodialyse

Primäre Defekte des Immunsystems sind durch einen Verlust

der humoralen oder zellulären Abwehr charakterisiert. So füh-

ren beispielsweise primäre T-Zell-Defekte wie das DiGeorge

Syndrom je nach Schweregrad zu chronischen Virusinfektionen

in Lunge und Gastrointestinaltrakt sowie zu Infektionen mit

Pneumocystis jiroveci und chronischer Besiedelung mit Candida

albicans und Candida non-albicans [20, 21]. Diese Patienten

profi tieren von einer konsequenten Immunisierung mit Totimpf-

stoff en insbesondere Pneumokokken und Infl uenza. Aufgrund

des schwer abzuschätzenden Impferfolgs bei Tetanus und Pneu-

Bei Patienten mit (prä-)terminalem Nierenversagen unter Hämo-

dialyse besteht durch Übertragung von Blut oder Blutbestand-

teilen ein erhöhtes Risiko für eine Hepatitis B-Infektion. Jedoch

konnten mehrere Studien in diesem Patientenkollektiv ein abge-

schwächtes Ansprechen auf eine Immunisierung, zum Beispiel

gegen Hepatitis B, zeigen [23, 24]. Die Ursache liegt möglicher-

weise in einer verminderten Produktion von Antigen-spezifi schen

Eff ektor Gedächtnis CD4(+) T-Zellen, welche eine zentrale Rolle

bei der Entwicklung einer adäquaten humoralen Antwort spielen

[23]. Deshalb ist für diese Patientengruppe ein mit 40 μg (ge-

Das Immunsystem kann durch eine Vielzahl von angeborenen,

erworbenen oder therapieassoziierten Faktoren geschwächt

sein. Der Einsatz von immunmodulatorischen und immunsup-

pressiven Medikamenten bei rheumatologischen und hämato-

onkologischen Erkrankungen hat zusammen mit steigenden

Zahlen sowohl bei Organ- als auch Blutstammzelltransplantatio-

nen zu einer Zunahme von immunsupprimierten Patienten in der

ambulanten Versorgung geführt. Diese Patienten stellen durch

ein individuell erhöhtes Risiko für schwere und komplizierte In-

fektionserkrankungen eine Herausforderung für den behandeln-

mokokken ist eine Kontrolle der Impftiter zu empfehlen. Vor Ver-

abreichung von Lebendimpfstoff en sollte eine immunologische

Basisuntersuchung mit Immunglobulinbestimmung, Lymphozy-

tensubpopulation und -phänotypisierung sowie Bestimmung der

Mitogenantwort durchgeführt werden. Im Allgemeinen besteht

für Patienten mit kongenitalen Immundefekten eine Kontraindi-

kation gegen Lebendimpfstoff e. Diese sollten nur in enger Ab-

sprache mit der betreuenden Immundefektambulanz verab-

reicht werden [20, 22].

genüber 20 μg) höher dosierter Impfstoff zugelassen, der nach

dem 0-1-6 Monats-Impfschema appliziert wird. Nachdem für

Patienten unter Hämodialyse ein signifi kant schlechteres An-

sprechen auf eine Hepatitis B-Impfung beschrieben wird, wird

für dieses Patientenkollektiv eine Vakzinierung vor Beginn einer

Nierenersatztherapie empfohlen [25]. Dabei sollten regelmäßige

Titerkontrollen (Ziel > 10 IE/l) und – falls nötig – eine Auff rischung

erfolgen. Für Hämodialysepatienten wird aufgrund einer signifi -

kant erhöhten Mortalität zudem eine Immunisierung gegen In-

fl uenza und Pneumokokken empfohlen [24, 25].

den Arzt dar. Die durch die Grunderkrankung und dadurch er-

forderlichen Therapien bedingte meist schwächere Immunant-

wort auf Vakzinierungen erfordern meist besondere Impfstrate-

gien. Dabei hängen sowohl Impfschutz als auch Impfrisiko von

der Grunderkrankung selbst als auch von der zytotoxischen be-

ziehungsweise immunsuppressiven Therapie ab. Im Folgenden

sollen verschiedene Patientenkollektive mit klinisch relevanter

Immunsuppression hinsichtlich ihrer Besonderheiten bei Immu-

nantwort, Kontraindikationen und Zeitmanagement der Impfung

zusammengestellt werden.

2. Impfungen bei immunsupprimierten Patienten

2.1 Einleitung

7

2.4 Leberzirrhose

2.5 Hämato-onkologische Patienten

Unabhängig von ihrer Genese sind bei Patienten mit Leberzirrhose

Leukozytopenien, Thrombozytopenien, reduzierte Komplemen-

taktivität und eine verminderte zellvermittelte Immunität nach-

weisbar [26]. Aufgrund eines als erhöht zu wertenden Risikos

für Pneumonien und seltener auch durch Streptococcus pneu-

moniae verursachte spontan bakterielle Peritonitiden ist eine

Vakzinierung gegen Pneumokokken mit einem 23-valenten Poly-

saccharid-Impfstoff sinnvoll [26]. Des Weiteren profi tieren Pa-

tienten mit Leberzirrhose von der jährlichen Infl uenzaschutz-

impfung [22, 26]. Patienten mit Leberzirrhose ohne Immunität

Für Patienten mit einer hämato-onkologischen Erkrankung besteht

neben einer Immunsuppression durch die Grunderkrankung per

se auch ein durch die Therapie erhöhtes Infektionsrisiko. Dieses

ist prinzipiell während und nach einer zytotoxischen Chemothera-

pie, Therapie mit monoklonalen Antikörpern und/oder Bestrah-

lung besonders erhöht. Nachdem der Erfolg einer Impfmaßnahme

von der Funktionsfähigkeit des B- und T-Zellsystems abhängt, wird

im Allgemeinen von Impfmaßnahmen während oder unmittelbar

nach einer Chemotherapie abgeraten. Eine Ausnahme bildet hier

die Impfung gegen Infl uenza, die mindestens zwei Wochen vor Be-

ginn einer Chemotherapie oder zwischen Chemotherapiezyklen

appliziert werden kann [24]. Bei Patienten mit soliden Tumoren

wurde dabei in klinischen Studien für die Infl uenzavakzine eine bes-

sere Immunantwort nachgewiesen als bei Patienten mit Lymphom

oder Multiplem Myelom [28]. Prinzipiell hängen sowohl Zeit und

Ausmaß der Immunsuppression von der Grunderkrankung und

der Art und Dauer der Chemotherapie ab. Beispielsweise wurde

für den Antikörper Rituximab, der sich gegen CD-20 positive B-

Zellen richtet, bei einer Studie mit 67 Patienten nach Immunche-

motherapie bei keinem ein protektiver Impftiter gefunden [29].

In einer weiteren Arbeit konnte auch sechs Monate nach Thera-

pieabschluss eine deutlich niedrigere Immunantwort nachgewie-

sen werden [30]. Die STIKO empfi ehlt daher, für Totimpfstoff e ein

Intervall von drei Monaten nach Abschluss einer Chemotherapie

abzuwarten. Die Applikation von Lebend-impfstoff en wird für Pa-

tienten empfohlen, die sich zwölf Monate nach Abschluss einer

intensiven Chemotherapie in Remission befi nden und eine aus-

reichende Lymphozytenzahl von >1500/μl aufweisen [22].

gegen Hepatitis A und B sollten möglichst vor Entwicklung einer

Zirrhose geimpft werden, nachdem bei fortgeschrittener Leber-

zirrhose mit portaler Hypertension mit einer deutlich verminder-

ten Immunantwort zu rechnen ist. Folglich ist für die HBV-Imp-

fungen die doppelte Impfdosis von 40 μg zum Zeitpunkt 0 sowie

nach einem und 6 Monate empfohlen [22, 26, 27]. Entsprechen-

de Titerkontrollen sollten zudem den Impferfolg dokumentieren.

Aufgrund unzureichender Daten existiert noch keine einheitliche

Empfehlung für weitere Impfungen wie Herpes Zoster oder Hu-

manes Papillomavirus.

Für die Masern-, Mumps- und Röteln-Impfung (MMR) besteht

die Gefahr eines Verlustes des erworbenen Impfschutzes durch

eine Chemotherapie. Während der Therapie oder einer nicht in

Remission befi ndlichen Erkrankung sind jedoch Lebendimpfstof-

fe, wie bereits erwähnt, generell kontraindiziert [22, 28]. Die In-

dikation zur Masernimpfung wird daher im Allgemeinen durch

Titerbestimmungen nach Abschluss einer Chemotherapie bei in

Remission befi ndlicher Erkrankung gestellt [28].

Invasive Pneumokokkeninfektionen sind in diesem Patientenkol-

lektiv mit einer hohen Letalität behaftet, was vor allem durch

einen funktionellen Antikörpermangel erklärt werden kann. Dies

gilt besonders für Patienten mit Leukämie, Hodgkin-Lymphom

und Multiplem Myelom. Die STIKO empfi ehlt Patienten mit einer

hämatologischen Erkrankung eine Immunisierung mit einem

Pneumokokken-Konjugatimpfoff vor Therapiebeginn [22]. Nach-

dem aber Diagnosestellung und Therapiebeginn meist zusam-

menfallen, scheint dies wenig praktikabel. Eine Impfung sollte

dann frühestens drei Monate nach Therapieabschluss bei in Re-

mission befi ndlicher Erkrankung erfolgen [31]. Für Patienten mit

soliden Tumoren wird eine Impfung mit einem Pneumokokken-

Konjugatimpfoff nach Abschluss der systemischen Chemothera-

pie empfohlen [22, 28]. Entsprechend der Konsensuskonferenz

der Bayerischen Gesellschaft für Immun-, Tropenmedizin und

Impfwesen e.V. im Jahr 2013 sollte frühestens nach sechs Wo-

chen eine Nachimpfung mit dem 23-valenten Polysacheridimpf-

stoff erwogen werden, um eine breitere Schutzwirkung zu erzie-

len. Gesicherte Daten hierzu existieren derzeit nicht.

8

Für Haemophilus infl uenzae Typ b besteht ebenfalls ein erhöhtes

Infektionsrisiko in diesem Patientenkollektiv. Für Patienten mit

Hodgkin-Lymphom oder Leukämie wurde im Vergleich zu Gesun-

den eine abgeschwächte Impfantwort beobachtet. Die STIKO

empfi ehlt eine Impfung bei Patienten mit Hodgkin-Lymphom

und Kindern mit akuten Leukämien, wenn möglich zehn bis 14

Tage vor Therapiebeginn oder mehr als drei Monate nach Thera-

pieabschluss [22]. Einschränkend muss erwähnt werden, dass

derzeit kein für Erwachsene zugelassener Impfstoff zur Verfü-

gung steht [22].

Speziell für die Tetanusimpfung wird aufgrund einer eingeschränk-

ten Immunantwort bei hämato-onkologischen Patienten ein ver-

kürztes Impfi ntervall von fünf Jahren empfohlen [28].

Eine Infektion mit Varizellen durch eine endogene Reaktivierung

ist eine häufi ge und mit einer hohen Letalität vergesellschaftete

Komplikation bei hämato-onkologischen Patienten. Nachdem

der VZV-Impfstoff bislang nur als Lebendimpfstoff verfügbar ist,

darf eine Impfung bei als immunsupprimiert geltenden Patien-

ten nicht angewendet werden. Auch bei Angehörigen besteht

eine Einschränkung für diesen Impfstoff , da Virusübertragungen

auf immunsupprimierte Patienten beschrieben wurden [32].

Aktuell wird von einer Zunahme von Pertussisinfektionen bei Ju-

gendlichen und Erwachsenen berichtet [33]. Außerhalb der re-

gulären Grundimmunisierung gibt es jedoch keine offi zielle Emp-

fehlung für Patienten mit hämato-onkologischer Grunderkran-

kung. Umso mehr sollte in der hausärztlichen Versorgung auf

die frühzeitigen Auff rischimpfungen für Tetanus in Kombination

mit Diphtherie und azellulärer Pertussis insbesondere bei Ange-

hörigen geachtet werden.

Empfehlungen für eine Vakzinierung gegen Meningokokken be-

stehen vor allem für Patienten nach Splenektomie beziehungs-

weise funktioneller Asplenie. Auf dieses Patientenkollektiv wird

aufgrund der hohen Infektionsgefahr und Letalität in einem eige-

nen Kapitel gesondert eingegangen.

Patienten mit einer chronisch lymphatischen Leukämie (CLL)

kommt durch eine lange klinisch stabile Phase und einem ver-

gleichsweise spätem Beginn einer Chemotherapie eine Sonder-

rolle innerhalb dieses Patientenkollektivs zu. Jedoch besteht

durch die Grunderkrankung und eine häufi g im Verlauf auftre-

tende Hypogammaglobulinämie ein erhöhtes Infektionsrisiko.

Obwohl es derzeit keine spezifi schen Impfempfehlungen gibt,

empfehlen einige Autoren eine frühzeitige Vakzinierung gegen

Pneumokokken und jährlich gegen Infl uenza. Eine Impfung ge-

gen Varizella-Zoster wird trotz häufi ger klinischer Manifestation

aufgrund fehlender Daten zur Sicherheit nicht empfohlen und

sollte nur im Rahmen klinischer Studien durchgeführt werden

[24].

Abschließend besteht die Herausforderung in der Betreuung

und Behandlung dieses Patientenkollektivs in der Prävention

von Infektionserkrankungen sowie Erhaltung und Erhöhung be-

stehender Antikörperkonzentration entsprechend der normalge-

sunden Bevölkerung.

9

2.6 Patienten nach allogener Knochenmark- und Blutstammzelltransplantation

Eine allogene Knochenmark- oder Blutstammzelltransplantation

führt zu einem partiellen oder sogar vollständigen Verlust des

Impfschutzes. In den ersten drei bis zwölf Monaten nach Trans-

plantation sind B-Zellen im peripheren Blut massiv erniedrigt

oder fehlen sogar vollständig. Eine erniedrigte Anzahl an T-Zellen

fi ndet sich je nach Alter und Konditionierungstherapie in den

ersten drei Monaten. Die Dauer der Immunrekonstitution nach

Transplantation hängt dabei von der Grunderkrankung, der Kon-

ditionierungstherapie, von Nebeneff ekten wie der Graft-versus-

Host-Erkrankung und Art und Dauer der medikamentösen Immun-

suppression ab und kann bis zu zwei Jahre dauern [24, 28, 34].

Für die meisten Patienten wird eine erneute Primärimmunisierung

sechs Monate nach allogener Knochenmark- oder Blutstamm-

zelltransplantation empfohlen, wobei bevorzugt konjugierte Impf-

stoff e eingesetzt werden. Mit den empfohlenen Impfstoff en wird

auch unter bestehender Immunsuppression ein Impferfolg er-

reicht, welcher jedoch serologisch überprüft werden sollte. Le-

bendimpfstoff e dürfen dagegen frühestens zwei Jahre nach Trans-

plantation in Rücksprache mit dem Transplantationszentrum

und in Abwesenheit einer medikamentösen Immunsuppression

und einer chronischen Graft-versus-Host-Erkrankung eingesetzt

werden. Zusätzlich ist auf eine ausreichende Lymphozytenzahl

(>1500/μl) zu achten.

Eine jährliche Infl uenzaimpfung ist je nach Jahreszeit und epide-

miologischem Auftreten bereits nach vier Monaten möglich. In

dieser Situation sollte eine erneute Applikation nach vier Wochen

erfolgen [24, 34]. Für eine Varizella-Zoster-Impfung besteht eine

Kontraindikation nach alloHSZT. Ergebnisse aus laufenden klini-

schen Studien zur Sicherheit und Eff ektivität müssen abgewar-

tet werden [24, 35].

2.7 Patienten nach Organtransplantation

Im Vorfeld einer Organtransplantation wird der Impfstatus von

potenziellen Kandidaten durch das betreuende Transplantations-

zentrum überprüft und gegebenenfalls aufgefrischt. Nachdem

Lebendimpfstoff e nach einer Transplantation unter immunsup-

pressiver Therapie in der Regel kontraindiziert sind, sollten diese

nach Möglichkeit vor der Transplantation appliziert werden [36].

Im Gegensatz zur alloHSZT bleibt der Impfschutz auch nach einer

Transplantation durch vorangegangene Impfungen erhalten. Je-

doch führt eine immunsuppressive Therapie mit Glukokortikoiden

und Calcineurininhibitoren zu einer Schwächung der B- und T-Zell-

Funktion, was nicht nur zu einem erhöhtem Risiko für Infektions-

erkrankungen führt, sondern auch eine verminderte Impfantwort

auf nachfolgende Impfungen bedeuten kann. In den ersten sechs

bis zwölf Monaten nach Transplantation sind daher Impfungen

bei meist mehrfacher immunsuppressiver Therapie nicht sinn-

voll. Die Bedenken, dass eine Vakzinierung durch lymphozytäre

10

2.8 Funktionelle Asplenie und Splenektomie

Patienten mit funktioneller Asplenie (zum Beispiel Sichelzellanä-

mie, Thalassämie, rezidivierende Milzinfarkte) oder nach Splenek-

tomie haben ein lebenslang erhöhtes Risiko für schwere Infek-

tionserkrankungen. Dies betriff t vor allem bekapselte bakterielle

Erreger, wie Streptococcus pneumoniae (Pneumokokken), Haemo-

philus infl uenzae Typ B (HiB) und Neisseria meningitidis (Menin-

gokokken). Diese Erreger können zu einem lebensbedrohlichen

Postsplenektomiesyndrom (OPSI = overwhelming post-splenec-

tomy infection) mit einer Letalität von 38 bis 69 Prozent führen

[40]. Das Lebenszeitrisiko dieser Patienten beträgt etwa fünf

Prozent und kann durch eine konsequente Impfstrategie deutlich

reduziert werden [40]. In bestimmten Fällen und hohem Risiko

für ein OPSI wird zudem eine Antibiotikaprophylaxe, die in erster

Linie gegen Pneumokokken gerichtet ist, empfohlen. Dies betriff t

vorwiegend Kinder unter fünf Jahren sowie Patienten mit funkti-

oneller Asplenie, bei denen nicht von einem ausreichenden Schutz

durch die Pneumokokkenimpfung ausgegangen werden kann,

oder die zunächst nicht geimpft werden konnten [24, 40, 41].

Bei 50 bis 90 Prozent der Patienten mit Postsplenektomiesyndrom

sind Pneumokokken der verursachende Erreger [41]. Die Pneumo-

kokkenimpfung ist daher als Präventionsmaßnahme von zentraler

Bedeutung. Bei Kindern bis einschließlich des vierten Lebensjahrs

sollte die Grundimmunisierung mit dem Pneumokokkenkonjugat-

impfoff (PCV-13) erfolgen. In Abhängigkeit von Lebensalter und

Impfstatus können spätere Auff rischungsimpfungen mit PSV-23

durchgeführt werden. Erwachsene und Kinder ab dem fünften

Lebensjahr können mit PCV-13 oder PSV-23 immunisiert werden.

Für alle Patienten mit Asplenie sind Auff rischungsimpfungen für

PSV-23 alle fünf Jahre empfohlen.

Die Grundimmunisierung für Meningokokken besteht bei Kindern

aus dem Konjugatimpfstoff (MCV-C). Für Jugendliche ab dem

elften Lebensjahr und Erwachsene steht ein neuer, 4-valenter

Konjugatimpfstoff der Serotypen A, C, W135 und Y zur Verfügung.

Aufgrund einer durch die Verfügbarkeit des Kapsel-Konjugat-

impfstoff s (HibCV) sehr niedrigen Kolonisierungsrate in der All-

gemeinbevölkerung ist die heutige pathogenetische Bedeutung

von Haemophilus infl uenzae für das Postsplenektomiesyndrom

unklar. Soweit noch nicht als Kind erhalten, besteht hinsichtlich

einer Impfung mit HibCV von Patienten mit Asplenie eine STIKO-

Empfehlung. Eine Auff rischungsimpfung ist dabei nicht erforder-

lich. Leider ist jedoch kein Impfstoff für Erwachsene zugelassen.

Patienten mit Asplenie sollten zudem die jährliche Infl uenza-

immunisierung erhalten. Haben Patienten beispielsweise auf-

grund einer Notfalloperation nach Trauma vor Splenektomie oder

vor der Neudiagnose einer funktionellen Asplenie keine Impfung

beziehungsweise Auff rischimpfung erhalten, sollten die Vakzi-

nierungen schnellstmöglich nachgeholt werden [22, 24, 40-42].

Die aktuelle Leitlinie sowie Impfempfehlungen und weitere Infor-

mationen zur Infektionsprophylaxe bei Asplenie stehen unter

http://asplenie-net.org/ zur Verfügung.

Proliferation eine Organabstoßung triggern könnte, haben sich

für Totimpfstoff e in klinischen Studien nicht bestätigt [37].

Derzeit wird die Impfung mit Tetanus, Diphtherie, Polio, Hepati-

tis A, Hepatitis B und Pneumokokken (ein- bis zweimal Konjugat-

impfstoff , gefolgt von einem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff )

empfohlen [22, 24, 38]. Für die jährliche Infl uenzaimpfung wur-

den in Studien bei Patienten nach einer Nierentransplantation

deutlich reduzierte Ansprechraten gefunden [39]. Nachdem je-

doch schwere Infl uenzainfektionen prinzipiell auch Abstoßungs-

reaktionen verursachen können, wird die jährliche Impfung von

Patienten und Kontaktpersonen empfohlen.

11

2.9 Impfungen bei HIV

HIV-positive Patienten sind im Allgemeinen durch ihre Grunder-

krankung immunsupprimiert und haben hierdurch ein erhöhtes

Risiko, an impfpräventablen Infektionen zu erkranken. Unter hoch-

aktiver antiretroviraler Therapie (HAART) ist die Replikation des

HI-Virus gehemmt. In der Regel führt dies zu einem Anstieg der

CD4-positiven T-Zellen, der naiven und B-Zellen und der Memory-

B-Zellen. Dies sind wichtige Voraussetzungen für die Entwicklung

einer humoralen und zellulären Immunität gegen T-Zell-abhängige

und T-Zell-unabhängige Antigene. HAART verbessert so die Dau-

erhaftigkeit und das Ausmaß einer durch Infektion und/oder

Impfung entstandenen Immunantwort [43]. Zur Nutzen-Risiko-Ab-

schätzung von Impfungen bei HIV-positiven Patienten liegen bis-

lang keine publizierten Studien vor. Weltweit empfehlen Leitlinien

und Fachgesellschaften ein proaktives Impfmanagement für Tot-

impfstoff e. Abhängig vom Immunstatus, welcher mittels CD4-Be-

stimmung abgeschätzt werden kann, können auch Lebendimpf-

stoff e verabreicht werden. Eine MMR- Immunisierung wird für HIV-

positive und Masern-seronegative Erwachsene ab einem CD4+-

Count von >200/μl empfohlen. Gegen das Varizella-Zoster-Virus

(VZV) sollte frühzeitig eine Immunisierung mit zwei Impfungen im

Abstand von drei Monaten erfolgen, wenn der CD4+-Count mehr

als 25 Prozent der Gesamtlymphozytenzahl beträgt [22, 24, 44].

Aufgrund der erhöhten Rate an Hepatitis B-Infektionen und einem

erhöhten Risiko für eine Chronifi zierung ist eine Hepatitis B-Imp-

fung dringend und frühzeitig indiziert. Eine vierte Dosis kann laut

STIKO-Empfehlung gegebenenfalls appliziert werden, wobei laut

einer Studie bei über 11.000 HIV-positiven Patienten nur rund

55 Prozent aller Teilnehmer drei und mehr Impfungen erhalten

hatten [45].

Seit dem Einsatz von HAART sind invasive Pneumokokkener-

krankungen seltener geworden. Im Vergleich zu HIV-negativen

Individuen sind sie allerdings immer noch erhöht, sodass eine

Impfung von der STIKO als indiziert gesehen wird. Beide verfüg-

baren Impfstoff e bieten Schutz vor Infektionen mit Pneumokok-

ken bei guter Verträglichkeit. In den derzeit gültigen STIKO-Hin-

weisen zu Impfungen für Patienten mit Immundefi zienz aus dem

Jahre 2005 wird aufgrund einer besseren Immunantwort der

Konjugatimpfstoff (PCV-7) empfohlen. Dies betriff t Patienten

mit einem niedrigen CD4+-Count (< 200/μl). Generell ist die

Impfantwort unter 500/μl deutlich abgeschwächt. In der Briti-

schen Leitlinie (2008) wird für Patienten mit > 200/μl CD4+

Zellen der Polysaccharidimpfstoff (PPV-23) empfohlen [44, 46].

Des Weiteren wird HIV-infi zierten Patienten ab dem sechsten

Lebensmonat eine Immunisierung gegen Infl uenza empfohlen.

Hierzu gibt es keine Einschränkung bei niedrigem CD4+-Count,

jedoch ist bei einem CD4+-Count <100/μl mit einer schlechte-

ren Impfantwort zu rechnen [22, 46].

Nachdem für HIV-infi zierte Männer und Frauen ein erhöhtes Ri-

siko HPV-assoziierter Neoplasien besteht, wäre eine prophylak-

tische und/oder therapeutische Impfung gegen das humane Pa-

pillomvirus (HPV) plausibel [24]. Die Datenlage zur Sicherheit

und Eff ektivität der verfügbaren Impfstoff e ist derzeit jedoch

noch nicht ausreichend, um eine generelle Empfehlung auszu-

sprechen [24, 46].

Bei HIV-positiven Patienten sind Vakzinierungen mit Lebend-

impfstoff en gegen Tuberkulose, Typhus (oral), Infl uenza (intrana-

sal) und Poliomyelitis (oral) kontraindiziert [44, 46].

12

2.10 Impfungen unter immunsuppressiver Therapie bei Patienten mit rheumatologischen und Autoimmun-Erkrankungen

Chronisch entzündliche Erkrankungen gehen häufi g mit einer

zellulären Abwehrschwäche einher. Für Patienten mit Autoimmun-

erkrankungen, rheumatischen Erkrankungen oder chronisch ent-

zündlichen Darmerkrankungen besteht daher im Vergleich zu ge-

sunden Individuen ein erhöhtes Infektionsrisiko [47]. Zusätzlich

zu den empfohlenen Grundimmunisierungen profi tieren diese Pa-

tienten von einer Immunisierung gegen Pneumokokken und gegen

die saisonale Infl uenza. Für Patienten unter laufender immun-

suppressiver Therapie besteht, den allgemeinen STIKO-Empfeh-

lungen entsprechend, prinzipiell eine Kontraindikation gegen Le-

bendimpfstoff e. Dies betriff t Therapien mit hoch dosierten Glu-

kokortikoiden (mehr als 20 mg Prednisolonäquivalent pro Tag),

Methotrexat (MTX), Ciclosporin A, Lefl unomid, Cyclophosphamid,

Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, sowie sogenannte Biologicals,

wie die Tumornekrosefaktor-Alpha-Inhibitoren Etanercept, Infl ixi-

mab und Adalimumab. Während einer Therapie mit Sulfasalazin,

Chloroquin, Goldpräparaten, Penicillamin und niedrig dosierten

Glukokortikoiden (weniger als 20 mg pro Tag) sind Lebendimp-

fungen aufgrund einer geringeren Immunsuppression möglich

[47]. Soweit bei diesen Patienten planbar, sollten ausstehende

Impfungen mit Lebendimpfstoff en etwa vier Wochen vor dem

Behandlungsbeginn oder mindestens drei Monate nach Beendi-

gung der Therapie verabreicht werden [22, 47]. In diesem Patien-

tenkollektiv besteht häufi g zusätzlich die Sorge, dass eine Imp-

fung weitere Krankheitsschübe auslösen könnte [48]. Eine Akti-

vierung der Grunderkrankung oder eine Verschlechterung konn-

ten in großen Studien bisher jedoch nicht nachgewiesen werden

[49]. Im klinischen Alltag besteht in diesem Patientenkollektiv

leider eine geringe Impfrate: In einer Umfrage von 204 Patien-

ten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankung gaben nur 45

Prozent an, gegen Tetanus geimpft zu sein. Eine Infl uenzaimpfung

hatten 28 Prozent und eine Pneumokokkenvakzinierung neun

Prozent erhalten. Bei 18 Prozent der nicht-geimpften Patienten

wurde Angst vor Nebenwirkungen als Grund angegeben [50].

13

2.11 Weitere Maßnahmen

Um eine innerfamiliäre Übertragung zu vermeiden, sollten zu-

dem den nahen Angehörigen alle empfohlenen Impfungen ange-

raten werden. Eine Einschränkung besteht für eine Impfung ge-

gen Varizella-Zoster-Virus. Hier ist von Übertragungen auf stark

immunsupprimierte Patienten berichtet worden [28]. Die Impf-

empfehlungen für das familiäre Umfeld gilt insbesondere für Pa-

tienten, bei denen der Impferfolg aufgrund der Immunsuppres-

sion und/oder Grunderkrankung wenig zu erwarten beziehungs-

weise schwer vorhersehbar ist oder bei denen bestimmte Lebend-

impfungen kontraindiziert sind. Für diese Patienten stellt eine

konsequente und umfassende Impfung aller möglichen Kontakt-

personen in der Umgebung eine äußerst wichtige Schutzmaß-

nahme dar. Besonders hinzuweisen ist hier auf die Impfung ge-

gen Pertussis. Diese kann nur in Kombination mit der Tetanus-

impfung erfolgen. Auch hier ist diese Kombinationsimpfung un-

abhängig vom Abstand zu vorangegangenen Tetanusimpfungen

für Kontaktpersonen, zum Beispiel im Familienumfeld, zu emp-

fehlen.

Dr. Clemens Gießen

14

Fußnotenverzeichnis

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Impressum

Herausgeber:Kassenärztliche Vereinigung Bayerns

Elsenheimerstraße 39

80687 München

www.kvb.de

Autor:Dr. Markus Frühwein

Dr. Clemens Gießen

Redaktion, Grafi k und Layout:Referat Strategische Versorgung &

Sicherstellung

Stabsstelle Kommunikation

Bilder:iStockphoto.com (Titelseite,

Seite 4, 9, 12) .

Stand:Januar 2014