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Institut für Physik Physikalisches Grundpraktikum
Messung, Auswertung und Darstellung
experimenteller Ergebnisse in der Physik
„Fehleranalyse“
Zitate
In nichts zeigt sich der Mangel an mathematischer
Ausbildung mehr als an einer übertrieben genauen
Rechnung.
Carl Friedrich Gauß
(1777-1855)
Wenn Sie für Ihr Experiment Statistiken brauchen,
dann sollten Sie lieber ein besseres Experiment
machen.
Lord Ernest Rutherford of Nelson
(1871-1937)
Messung physikalischer Größen Physikalische Größe:
qualitative und quantitative Aussage über messbares Merkmal eines
physikalischen Objektes
Messung einer physikalischen Größe:
Vergleich der zu messenden Größe mit zuvor willkürlich festgelegter
Einheit (d.h. Ermittlung des Zahlenwertes, der angibt, wie oft die Einheit
in der zu messenden Größe enthalten ist).
mehrmalige Wiederholung liefert i.a. unterschiedliche Messwerte, die
um Mittel- bzw. Erwartungswert „streuen“.
Auswahlkriterien für Einheiten:
• Unveränderlichkeit und Reproduzierbarkeit
• möglichst hohe Definitionsgenauigkeit der Messanordnung
Verbesserung der Genauigkeit durch neue Messverfahren macht u.U.
neue Einheitendefinition möglich!
Physikalische Größe (Symbol) = Zahlenwert ⋅ Einheit (ggf. mit Präfix)
G = {Z} ⋅ [E]
Beispiel: Transkonduktanz eines FET
gM = 10-5 A·V-1 = 10 µS
Einheiten physikalischer Größen (I)
Sieben Basiseinheiten des Internationalen Einheitensystems (SI):
1 Meter ist gleich der Länge der Strecke, die Licht im Vakuum während der Dauer von
1/299792458 Sekunden durchläuft. (17. CGPM 1983)
1 Kilogramm ist die Masse des internationalen Kilogrammprototyps in Paris, einem Zylinder
aus Platiniridium (90% Pt) von ca.39 mm Höhe und gleichem Durchmesser. (3. CGPM 1901) *
1 Sekunde ist die Zeitdauer von 9192631770 Schwingungsperioden der Strahlung des
ungestörten Nuklids 133Cs beim Übergang zwischen den Hyperfeinstrukturniveaus F=4, mF=0
und F=3, mF=0 des 2s-Grundzustandes. (13. CGPM 1967)
1 Ampere ist die Stärke eines zeitlich unveränderlichen elektrischen Stromes, der durch zwei
im Vakuum parallel in Abständen von 1 m voneinander angeordnete, geradlinige, unendlich
lange Leiter von vernachlässigbar kleinem Querschnitt fließend, zwischen diesen Leitern
elektrodynamisch eine längen-bezogene Kraft von 2∙10-7 Newton je 1 m Leiterlänge
hervorrufen würde. (9. CGPM 1948)
1 Kelvin ist der 273,16te Teil der thermodynamischen Temperatur des Tripelpunktes von
reinem Wasser natürlicher Isotopenzusammensetzung. (13. CGPM 1967)
1 Candela ist die Lichtstärke einer monochromatischen Strahlungsquelle der Frequenz
fn = 540∙1012 Hz, deren Strahlstärke in die herausgegriffene Richtung IE = 1/683 W∙sr-1 beträgt.
(16. CGPM 1979)
1 Mol ist die Stoffmenge eines Systems, das so viel Teilchen enthält, wie Atome in 0,012 kg
des Kohlenstoffnuklids 12 enthalten sind. Diese Zahl NA = 6,0221367∙1023 Atome/Mol heißt
Avogadro-Zahl. (14. CGPM 1971)
* Derzeit wird weltweit daran gearbeitet, das Kilogramm neu zu definieren.
Vgl. ISO 1000, DIN 1301
Einheiten physikalischer Größen (II)
Zwei ergänzende SI-Einheiten (nur bis zur 20. CGPM 1995):
1 Radiant (rad) ist der Winkel zwischen zwei Kreisradien, die aus dem Kreis
einen Bogen von der Länge des Radius ausschneiden. (11. CGPM 1960)
1 Steradiant (sr) ist der Raumwinkel, den eine vom Mittelpunkt einer Kugel vom
Radius r ausgehende Strahlenschar bildet, die auf der Kugeloberfläche die
Fläche A = r 2 ausschneidet. (11. CGPM 1960)
25. CGPM 2014 (Versailles) Conférence Générale des Poids et Mesures
Einheiten physikalischer Größen (III)
Abgeleitete SI-Einheiten:
Rolf Sievert
Nikola Tesla
Blaise Pascal
Michael Faraday
Einheiten physikalischer Größen (IV)
Erlaubte SI-fremde Einheiten (Auswahl):
Seit 1. Januar 2010 ist es unzulässig, Produkte mit anderen Einheiten als SI-
Einheiten zu versehen! (Verwirrung vieler Verbraucher vorhersehbar)
Vorsätze für Maßeinheiten (SI-Präfixe)
Symbol Name Wert
Y Yotta (103)8 = 1024 1 000 000 000 000 000 000 000 000 Quadrillion
Z Zetta (103)7 = 1021 1 000 000 000 000 000 000 000 Trilliarde
E Exa (103)6 = 1018 1 000 000 000 000 000 000 Trillion
P Peta (103)5 = 1015 1 000 000 000 000 000 Billiarde
T Tera (103)4 = 1012 1 000 000 000 000 Billion
G Giga (103)3 = 109 1 000 000 000 Milliarde
M Mega (103)2 = 106 1 000 000 Million
k Kilo 103 1 000 Tausend
h Hekto 102 100 Hundert
da Deka 101 10 Zehn
– Einheit 100 1 Eins
d Dezi 10-1 0,1 Zehntel
c Zenti 10-2 0,01 Hundertstel
m Milli 10-3 0,001 Tausendstel
μ Mikro (10-3)2 = 10-6 0,000 001 Millionstel
n Nano (10-3)3 = 10-9 0,000 000 001 Milliardstel
p Piko (10-3)4 = 10-12 0,000 000 000 001 Billionstel
f Femto (10-3)5 = 10-15 0,000 000 000 000 001 Billiardstel
a Atto (10-3)6 = 10-18 0,000 000 000 000 000 001 Trillionstel
z Zepto (10-3)7 = 10-21 0,000 000 000 000 000 000 001 Trilliardstel
y Yokto (10-3)8 = 10-24 0,000 000 000 000 000 000 000 001 Quadrillionstel
Vorsicht bei Binärpräfixen:
Kilo 210 = 1.024; Mega 220 = 1.048.576; Giga 230 = 1.073.741.824 usw. usf.
(11.-19. CGPM)
Prinzipielle Bemerkung: „Führende Nullen“ lassen sich vermeiden!
Beispiel: Statt 0,0001 V besser 100 µV schreiben!
Elementares Beispiel: Volumenmessung
h
d
Zylindervolumen:
Durchmesser: d = (25,65 ± 0,01) mm - gemessen mit Bügelmesschraube
Höhe: h = (82,4 ± 0,1) mm - gemessen mit Messchieber
Ergebnis: V = (42578,644548207473283808232921516 ± ?) mm3
Probleme: Signifikante Stellenzahl? Genauigkeit bzw. Unsicherheit des
Ergebnisses?
hdV 2
4
Grundsätzliche Überlegungen
Zylindervolumen:
Durchmesser: dmax = 25,66 mm dmin = 25,64 mm
Höhe: hmax = 82,5 mm hmin = 82,3 mm
Ergebnisse: Vmax = 42663,564153828495587388807019148 mm3
Vmin = 42493,818467799748348372367856777 mm3
∆V = Vmax – Vmin = 169,74568602874723901643916237 mm3
Problem: Welche wirklich signifikante Stellenzahl?
max
2
maxmax4
hdV
min
2
minmin4
hdV
In nichts zeigt sich der Mangel an mathematischer Ausbildung mehr als an einer
übertrieben genauen Rechnung (C.F. Gauß)
Einige Grundregeln
Multiplikation, Division, Radizieren:
Die signifikanten Stellen des Resultats sind durch die Zahl mit den wenigsten
signifikanten Ziffern gegeben. Hier 3, also folgt V = (4,26 ± 0,02)∙104 mm3.
Addition, Subtraktion:
Das Endergebnis hat nach dem Komma so viele signifikante Stellen wie die
Zahl mit den wenigsten signifikanten Stellen. Fehlerfortpflanzung?
Weitere offene Fragen
Höhe und Durchmesser des Zylinders wurden mit verschiedenen Meßmitteln
(d.h. auch mit unterschiedlicher Genauigkeit!) gemessen. Welche Folgen hat das
für das Endergebnis? Ist die bisherige Betrachtung mit Hlfe der signifikanten
Stellen wirklich ausreichend sachgerecht?
Der Durchmesser geht quadratisch in das Ergebnis ein; seine Unsicherheit hat
also “größere“ Folgen für das Endergebnis und seine Unsicherheit. Wie ist das
zu berücksichtigen?
Die Volumenbestimmung geht von der Annahme eines “idealen” Zylinders aus. In
welcher Weise könnte eine mögliche Abweichung von der Rotationssymmetrie
und ebenso der Boden- bzw. Deckfläche von der Planparallelität sowie die
Oberflächenqualität wichtig sein und berücksichtigt werden?
Wie “zuverlässig” und “genau” sind die eingesetzten Messmittel wirklich? Sind
die einzelnen Messergebnisse reproduzierbar? Welche Messbedingungen sind
wichtig und zu beachten? Sind die Messmittel kalibriert oder haben sie evtl.
systematische Abweichungen wie “Nullpunktverstellung” oder “Skalenabwei-
chungen”?
Eine Temperaturänderung verursacht bei Festkörpern eine thermische Längen-
änderung: Welche Umgebungsbedingungen können das Endergebnis beeinflus-
sen und wie ist ihre Wirkung qualitativ und quantitativ einzuschätzen?
Analyse der Messunsicherheit („Fehleranalyse“)
Wichtige Grundbegriffe der Metrologie (I)
Messabweichung:
• Differenz (Abweichung) zwischen einem der Messgröße zuzuordnenden Wert
(Messwert) und dem unbekannten wahren Wert (Kann durchaus Null sein, ohne
dass es bekannt ist!)
Messunsicherheit:
• von der Messabweichung begrifflich klar zu unterscheiden
• Maß für die Genauigkeit der Messung; kennzeichnet die Streuung oder den
Bereich derjenigen Werte, die der Messgröße „vernünftigerweise“ als
Schätzwerte für den wahren Wert zugewiesen werden können
• beschreibt Unkenntnis (Unsicherheit) einer Messgröße
• nach einem einheitlichen Verfahren berechnete und in einer bestimmten Weise
mitgeteilte Messunsicherheit drückt die Stärke des Vertrauens aus, mit der
angenommen werden darf, dass der Wert einer gemessenen Größe unter den
Bedingungen der Messung innerhalb eines bestimmten Wertintervalls liegt
Messungen liefern, wie sorgfältig und wissenschaftlich sie auch geplant
und durchgeführt werden, niemals fehlerfreie und beliebig genaue
Ergebnisse!
DIN 1319 bzw. ENV 13005
Wichtige Grundbegriffe der Metrologie (II)
Systematische Messabweichung:
• bei Wiederholung der Messung reproduzierbar in Vorzeichen und Betrag
• oft schwer erkennbar und z.T. korrigierbar
Zufällige (statistische) Messabweichung:
• nicht reproduzierbar, sondern stochastisch (zufällig)
• positive und negative Abweichungen möglich
• statistische Streuung um einen Mittel- bzw. Erwartungswert
• (meist) abnehmende Häufigkeit für wachsende Abweichungen
• beschreibbar mit mathematischer Statistik
Messunsicherheit:
• umfaßt Unsicherheit eines Messergebnisses infolge beider Arten von möglichen
Messabweichungen
DIN 1319 bzw. ENV 13005
GUM (ISO) bzw. INC
Standardunsicherheit vom Typ A:
• entspricht der (statistischen) Standardabweichung bei wiederholten Messungen
Standardunsicherheit vom Typ B:
• wissenschaftliche Beurteilung aller Informationen über die mögliche Streuung der
Messgrößen wie Fehlergrenzen, Herstellerangaben etc. etc.
Annahmen über die statistische „Verteilungsfunktion“
Angabe einer sog. „kombinierten Standardunsicherheit“
Grobe Fehler
Grobe Fehler bzw. Irrtümer, wie sie sich
• aus Missverständnissen oder Fehlüberlegungen bei der Bedienung der
Messapparatur,
• aus falscher Protokollierung von Messdaten oder auch
• aus Programmfehlern in Auswerteprogrammen ergeben,
werden nicht als Messunsicherheiten betrachtet.
In diesen Fällen sind die Messungen oder Auswertungen falsch und
müssen wiederholt werden. Einzelne Messwerte, die als mit groben
Fehlern behaftet erkannt werden, brauchen u. U. bei der Auswertung nicht
berücksichtigt zu werden („Streichen“).
Das Vorhandensein grober Fehler erkennt man nur durch kritisches
Überprüfen und Kontrollieren der Ergebnisse.
Vermeiden kann man sie durch sorgfältiges Experimentieren.
Objektivität des Experimentators
Eine nicht zu unterschätzende Fehlerquelle sind die Experimentatoren
selbst. Dazu gehört insbesondere eine mangelnde Objektivität. Falsche
Messresultate entstehen oft auch dadurch, dass der Experimentator das
Resultat aus unzureichenden Daten herausliest, das er haben will: „Der
Wunsch ist der Vater des Gedankens.“
DPA-Meldung vom 11.06.2004
Universität Konstanz entzieht Physiker Jan Hendrik Schön Doktortitel
Konstanz (dpa) - Die Universität Konstanz hat dem durch schwere Fälschungsvorwürfe
belasteten Physiker Jan Hendrik Schön den Doktortitel entzogen. Wie der in Konstanz
erscheinende Südkurier (Freitagsausgabe) berichtet, begründet die Universität ihre
Entscheidung mit den zahlreichen spektakulären Manipulationen Schöns in seiner Zeit bei
den Bell-Laboratorien in den USA. Dadurch habe sich der einst international als Top-Forscher
gefeierte Schön des Titels als unwürdig erwiesen.
Die Universität bezieht sich ausdrücklich nicht auf Fehler in der Doktorarbeit selbst. Sie stützt
ihre Entscheidung auf das baden-württembergische Universitätsgesetz, das einen Titelentzug
auch auf Grund späteren unwürdigen Verhaltens zulässt. Der bereits als Nobelpreis-Kandidat
gehandelte Schön hatte aus den US-amerikanischen Labors heraus von 1998 bis 2001
laufend sensationelle Ergebnisse veröffentlicht. Eine Kommission des Labors hatte ihm 2002
schließlich in 16 Fällen Manipulation von Daten nachgewiesen.
Ein Beispiel zur Illustration
Falls aber z. B. Messunsicherheit Δe = ± 0,015∙10-19 C; dann zwar ein viel
präziseres Ergebnis - aber eindeutig im Widerspruch zum Referenzwert!
Schlußfolgerung:
Entweder hier eine sensationelle Entdeckung (Nobelpreis?) oder (sehr viel
wahrscheinlicher!) falsche Messung bzw. eine wichtige und dominierende
Fehlerquelle in der Fehleranalyse nicht berücksichtigt.
Ergebnis:
Die Angabe eines Messwertes allein reicht nicht aus! Die Angabe der
Messunsicherheit ist unbedingt notwendig, um auf die Aussagekraft der
Messung zu schließen!
Stellenzahl stets sinnvoll
reduzieren – Rundung!
Messung der Elementarladung (Versuch nach R.A. Millikan, 1911):
Ergebnis sei e = (1,65 ± 0,15)∙10-19 C in sehr guter Übereinstimmung mit
dem “wahren” Wert (vgl. CODATA 2002 - Referenz)
von e = (1,60217653 ± 0,00000014)∙10-19 C.
1,4 1,5 1,6 1,7 1,8
Elementarladung e (10-19
C)
Messung
CODATA
Schlussfolgerungen
Die Messung einer physikalischen
Größe ist ohne die Angabe der Mess-
unsicherheit (wissenschaftlich) wert-
und sinnlos.
Die Angabe der Messunsicherheit ist
kein Negativkriterium oder Mangel,
sondern beschreibt die tatsächliche
Qualität bzw. Sicherheit eines erziel-
ten Messergebnisses.
Vollständige Darstellung von Messergebnissen
Das Messergebnis kennzeichnet ein Werteintervall, innerhalb dessen der
unbekannte wahre Wert mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit
(↓Statistik) bzw. Sicherheit erwartet werden kann.
Beispiele:
Elementarladung nach CODATA 2002 – Referenz
e = (1,60217653 ± 0,00000014)∙10-19 C
Volumenangabe für ein Glasgefäß
V = 2,5 l ± 5%
Messwert = (Wahrscheinlichster Wert ± Messunsicherheit) ∙ Einheit
oder mit
relative Messunsicherheit = Messunsicherheit/Wahrscheinlichster Wert
auch
Messwert = Wahrscheinlichster Wert ∙ Einheit ± relative Messunsicherheit (%)
Unterscheidung von systematischen und zufälligen Messabweichungen
Zufällige Messabweichungen liefern ein unsicheres, systematische
Messabweichungen ein falsches Ergebnis.
Erkennung systematischer Abweichungen
Gezielte Veränderung der Messbedingungen:
Änderung von Parametern, die keinen Einfluss auf die unbekannte Mess-
größe besitzen
Beispiel: Bestimmung des Ohmschen Widerstands aus Strom- und
Spannungsmessung
• Verwendung anderer Messinstrumente (Innenwiderstände, Eichung)
• Messung bei verschiedenen Strömen und Spannungen
(Kontaktwiderstand)
• Umpolung oder Verwendung von Wechselstrom (thermoelektrische
Störpotentiale)
Wahl einer anderen Messmethode:
Vergleich beider Messergebnisse - falls keine Diskrepanz (Übereinstim-
mung innerhalb der Messgenauigkeit) dann mit großer Wahrscheinlichkeit
keine oder vernachlässigbare systematische Messabweichungen
Spezielle Messverfahren zur Vermeidung: „Kompensationsverfahren“
Beispiel: Messung elektrischer Spannungen durch Kompensation
(Vergleich der unbekannten Spannung mit einem geeichten Spannungs-
normal).
Verwerfen von Messwerten („Ausreißern“)
Frage bzw. Problem:
Darf man (einzelne) Messwerte, die innerhalb einer Messreihe signifikant
abweichen, verwerfen? Zumindest kann in diesem Fall ein grober Fehler
oder eine einmalig aufgetretene (z. B. durch Umwelteinflüsse) systema-
tische Messabweichung vermutet werden.
Kritische Betrachtung:
Ein „Ausreißer“ in einer Messung kann das Ergebnis verfälschen. Aber: Ein
neuer physikalischer Effekt kann dadurch leicht übersehen werden.
Jede Daten-Manipulation ist grundsätzlich fragwürdig. Eine starke
Abweichung kann nur sachlich begründet als Fehlmessung interpretiert
werden!
Schlussfolgerungen:
Es ist besser, die betreffende Messung zu wiederholen (Reproduzierbar-
keitstest!). Eine Überprüfung und kurze Zwischenauswertung während der
Messung ist immer ratsam!
Alle Kriterien, die entwickelt wurden, um große Messabweichungen zu
verwerfen, sind als fragwürdig anzusehen. Keinesfalls verwenden!
Vgl. auch Stichwort „Objektivität des Experimentators“
Messgerätefehler
Fehlergrenzen:
Höchstwerte für positive oder negative Abweichungen des Messwertes (Anzeige bzw.
Ausgabe einer Messeinrichtung) vom wahren Wert; abhängig vom technischen Aufwand
sowie prinzipiellen technisch-physikalischen Einschränkungen und meist bestimmend
für den Preis von Messtechnik
Garantiefehlergrenzen:
vereinbarte bzw. garantierte Fehlergrenzen beim Gebrauch der Geräte unter
festgelegten Bedingungen
Genauigkeitsklasse:
Klasse von Messgeräten, die vorgegebene messtechnische Forderungen so erfüllen,
dass die auftretenden Messabweichungen innerhalb festgelegter Grenzen bleiben
Eichfehlergrenze:
maximal zulässige Fehlergrenze von eichpflichtigen Messgeräten (Als Eichung
bezeichnet man eine gesetzlich vorgeschriebene und auf nationale Standards
rückführbare Kalibrierung. Oft wird der Begriff Eichung fälschlich für Kalibrierung
verwandt.)
Verkehrsfehlergrenze:
maximal zulässige Fehlergrenze von eichpflichtigen Messgeräten während des
Einsatzes innerhalb der Eichgültigkeitsdauer; beträgt nach gesetzlicher Regelung das
Doppelte der Eichfehlergrenze
Längenmessmittel (Auswahl)
Messmittel Betrag des Teilungsfehlers ∆L für gemessene Länge L
Büromaßstab 200 µm + 10-3·L
Stahlmaßstab 50 µm + 5·10-5·L
Messschieber 50 µm + 10-4·L
Bügelmessschraube 5 µm + 10-5·L
Messung mit einer Bügelmessschraube
Skalenhülse mit zweifacher Teilung → Ablesung 5,5 mm
Skalentrommel mit Teilung von 0 bis 50; eine volle Umdrehung
der Trommel entspricht 0,5 mm → 0,01 mm pro Teilstrich (noch
1/2 Teilstrich schätzbar); Ablesung der Skalentrommel 0,28 mm
Messwert: l = 5,78 mm
Abschätzung der Unsicherheit: ∆l = 5 µm + 10-5·5,78 mm ≈ 5
µm
vollständiges Messergebnis: l = (5,780±0,005) mm
Zeitmessmittel (Auswahl)
Analog-Stoppuhr: Messzeit t, Eichfehlergrenze ∆t (s)
Zeigerumlauf (s) 30 60
∆t (s) 0,2 s + 5·10-4·t 0,4 s + 5·10-4·t
Digital-Stoppuhr: Messzeit t, Eichfehlergrenze ∆t (s)
∆t (s) 0,01 s + 5·10-4·t
Messung mit einer Digital-Stoppuhr (Auflösung 0,01 s)
Anzeigewert: 0:03:26.34
Messwert: t = 206,34 s
Messunsicherheit: ∆t = 0,01 s + 0,103 s ≈ 0,11 s
vollständiges Messergebnis: t = (206,34 ± 0,11) s
→ Nicht die Auflösung bestimmt die Messunsicherheit!
(Verzögerung durch „Reaktionszeit“ aber noch gar nicht
berücksichtigt.)
Elektrische Analog-Messgeräte
Messung mit Analog-Voltmeter (Drehspulinstrument in senkrechter Lage)
Anzeigewert: 160 V (Wechselspannung wegen ~)
Genauigkeitsklasse: 1,5 % (immer vom Messbereichsendwert!)
Messunsicherheit: ∆U = 1,5 % · 300 V = 4,5 V
vollständiges Messergebnis: U = (160,0 ± 4,5) V
→ Für eine Messung nach Möglichkeit Messbereich ausnutzen, um die relative
Messunsicherheit gering zu halten! („Schätzfehler“ der Ablesung unberücksichtigt.)
Elektrische Digital-Messgeräte
Messung mit Digital-Multimeter
Anzeigewert: 127,64 V (Wechselspannung wegen AC)
Gebrauchsanweisung:
für Messbereich eine Genauigkeit von 3 % + 5 Digit
(fast immer in % vom aktuellen Messwert gemeint)
Messunsicherheit:
∆U = 3 % · 127,64 V + 5 · 0,01 V = (3,8292 + 0,05) V
∆U ≈ 3,88 V
vollständiges Messergebnis: U = (127,64 ± 3,88) V
→ Meist ist nicht der Digitfehler signifikant!
Falls gar keine Angabe, dann mit ±1 Digit (LSD) als
Mindestfehler abschätzen!
Analog-Oszilloskop
Messung eines Dreieckssignals
Anzeigewert Spitze-Spitze: 1,9 cm (im Messbereich 50 mV/cm) → Uss = 95 mV
Anzeigewert Periodendauer: 4,6 cm (im Messbereich 0,2 ms/cm) → T = 0,92 ms
Gebrauchsanweisung:
für U-Messbereich eine Genauigkeit von 5 % (typischer Wert)
für t-Messbereich eine Genauigkeit von 3 % (typischer Wert)
Messunsicherheiten:
∆U = 5 % · 95 mV ≈ 5 mV und ∆T = 3 % · 0,92 ms ≈ 0,03 ms
Ablesefehler: 2 ∙ 0,1 cm → ∆U = 10 mV und ∆T = 0,04 ms
(hier größer als die o.g. Unsicherheit der Vertikal- bzw. Horizontalablenkung!)
Was lernen wir aus den Beispielen?
1. In der Experimentalphysik gibt es grundsätzlich keine Messtechnik bzw.
Messgeräte, die wir als „Black Box“ (d.h. ohne jegliche Kenntnis der verwen-
deten Messprinzipien bzw. –verfahren mit ihren unvermeidlichen „Unzuläng-
lichkeiten“) „blind“ nutzen sollten.
2. Es gibt keine „fehlerfreien“ Messgeräte; auch digitale Messgeräte können nicht
„beliebig genau“ arbeiten. Die „Digits“ (Stellenzahl) suggerieren oft eine irreale
Messgenauigkeit!
3. Eine „unkritische“ Verwendung von Messtechnik (d.h. ohne Betrachtung der
konkreten Messabweichungen bzw. Messunsicherheiten) führt zwangsläufig
zu (wissenschaftlich) mindestens fragwürdigen Ergebnissen.
4. Nur bei genauer Kenntnis von Geräten und Verfahren (und insbesondere ihren
Grenzen, d.h. in Bezug auf die erzielbaren Messunsicherheiten!) gelangen wir
letztendlich zu einer realistischen Beurteilung von erzielten Messergebnissen.
Sei grundsätzlich misstrauisch und kritisch gegenüber Messergebnissen,
das gilt auch und besonders für die eigene Arbeit!
In der VL Experimentalphysik auch öfter mal nachfragen: „Wie misst man das denn
in der Praxis?“ Nicht alles war/ist so „einfach“, wie die VL und auch Lehrbücher es oft
„glauben“ lassen…