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S 45 Konsensus | Review article Interdisziplinäre Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der extrazerebralen Amyloidosen Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Amyloid-Krankheiten e.V. (www.amyloid.de) Autoren C. Röcken J. Ernst E. Hund H. Michels J. Perz W. Saeger O. Sezer S. Spuler F. Willig H. H.-J. Schmidt 1 Einleitung 5 In den vergangenen Jahrzehnten hat es eine Rei- he neuer Erkenntnisse bezüglich der Pathogene- se, Diagnostik und Therapie der Amyloidosen ge- geben. Die Amyloidose führt zu variablen und unterschiedlich ausgeprägten Symptomen und stellt das Resultat verschiedener zugrunde lie- gender Erkrankungen dar. Einige Amyloidosen sind sekundär erworben, bei anderen liegt eine genomische Mutation kausalpathogenetisch zu Grunde. Amyloid und Amyloidosen treten häufi- ger auf, als sie weithin wahrgenommen werden. Zu den häufigen lokalen Formen zählen z.B. die zerebrale Amyloidose beim Morbus Alzheimer, die mit Vorhofflimmern assoziierte isolierte Herzvorhofamyloidose und die mit dem Diabe- tes mellitus vergesellschaftete Inselamyloidose des Pankreas. Zu den häufigsten systemischen extrazerebralen Amyloidosen zählt die AL Amy- loidose, die oft eine sehr schlechte Prognose hat und unbehandelt rasch zum Tode führen kann. Systemische Amyloidosen des Kindesalters sind dahingegen meistens AA Amyloidosen, die bei Progredienz bereits im frühen bis mittleren Er- wachsenenalter zum Tode führen können. Amy- loidosen sind behandelbar, und ein befriedigen- der Therapieerfolg hängt maßgeblich von einer frühzeitigen Diagnose und korrekten Klassifika- tion des Amyloids ab. In der differentialdiagnos- tischen Abklärung muss der Nachweis des Amy- loids geführt und einer Krankheitsentität, der Amyloidose im engeren Sinne, zugeordnet wer- den. Die methodisch-technischen Entwicklun- gen haben auch Einzug in der Diagnostik und der Therapie gehalten. Die frühzeitige Diagnose und die korrekte Klassifikation des Amyloids sind un- verändert von größter Relevanz, da sich daraus unterschiedliche klinische und therapeutische Konsequenzen und damit verbunden Lebens- qualität und Mortalität ableiten. Das therapeuti- sche Spektrum ist vielfältig und schließt Organ- transplantationen, Chemotherapie und antiin- flammatorische Strategien ein. Zukünftig sind auch gentherapeutische Optionen denkbar [138, 162, 163]. 2 Methodik 5 Die Erstellung dieser Leitlinie basiert auf Daten- bank-gestützten Literaturrecherchen, vornehm- lich PubMed und Medline. In die Literaturre- cherche wurden auch Handsuche und sog. graue Literatur (z. B. Kongressprotokolle) sowie Erfahrungen von Experten unterschiedlicher Fachdisziplinen mit aufgenommen. Die Aktualität der Leitlinien wird auch nach deren Veröffentlichung jährlich überprüft. Die dazu not- wendigen Informationen werden auf der Homepa- ge der Deutschen Gesellschaft für Amyloid-Krank- heiten e.V. bekannt gegeben (www.amyloid.de). Die Bewertung der Studienlage wird entspre- chend der Agency for Health Care Policy and Re- search (AHCPR) und der Empfehlungsklassen der Ärztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherung angegeben (Tab. 1). 3 Definition und Nomenklatur (Tab. 2) 5 Amyloid ist definiert als Ablagerung eines homo- gen eosinroten Materials im Gewebe, das in der Kongorotfärbung und im polarisierten Licht eine charakteristische apfelgrüne Polarisationsfarbe erkennen lässt. Elektronenmikroskopisch finden sich starre, nichtverzweigte Fibrillen unter- schiedlicher Länge mit einem Durchmesser von ca. 10 nm [26]. Amyloid ist unterschiedlicher Herkunft. Es wurden bisher über 26 verschiede- ne Proteine identifiziert, die Amyloid bilden kön- nen ( Tab. 2). Es ist zu erwarten, dass noch weite- re Proteine identifiziert werden. Die Vorläufer- proteine der Amyloidproteine unterscheiden Schlüsselwörter q Amyloid q Leit linien q Diagnostik q Therapie Key words q Amyloid q Guidelines q Diagnostics q Therapy Bibliografie DOI 10.1055/s-2006-947836 Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: S45–S66 · © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0012-0472 Korrespondenz Prof. Dr. med. Christoph Röcken Institut für Pathologie Charité – Universitätsmedizin Berlin Charitéplatz 1 10117 Berlin Tel. 030/450536115 Fax 030/450536914 eMail [email protected]

Interdisziplinäre Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der … · 2006. 11. 10. · Begriff sekundäre Amyloidose nicht mehr verwendet. Die Aβ 2M Amyloidose stellt eine Form der

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  • S 45Konsensus | Review article

    Interdisziplinäre Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der extrazerebralen AmyloidosenHerausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Amyloid-Krankheiten e.V. (www.amyloid.de)

    Autoren C. Röcken J. Ernst E. Hund H. Michels J. Perz W. SaegerO. Sezer S. Spuler F. Willig H. H.-J. Schmidt

    1 Einleitung 5

    In den vergangenen Jahrzehnten hat es eine Rei-he neuer Erkenntnisse bezüglich der Pathogene-se, Diagnostik und Therapie der Amyloidosen ge-geben. Die Amyloidose führt zu variablen undunterschiedlich ausgeprägten Symptomen undstellt das Resultat verschiedener zugrunde lie-gender Erkrankungen dar. Einige Amyloidosensind sekundär erworben, bei anderen liegt einegenomische Mutation kausalpathogenetisch zuGrunde. Amyloid und Amyloidosen treten häufi-ger auf, als sie weithin wahrgenommen werden.Zu den häufigen lokalen Formen zählen z.B. diezerebrale Amyloidose beim Morbus Alzheimer,die mit Vorhofflimmern assoziierte isolierteHerzvorhofamyloidose und die mit dem Diabe-tes mellitus vergesellschaftete Inselamyloidosedes Pankreas. Zu den häufigsten systemischenextrazerebralen Amyloidosen zählt die AL Amy-loidose, die oft eine sehr schlechte Prognose hatund unbehandelt rasch zum Tode führen kann.Systemische Amyloidosen des Kindesalters sinddahingegen meistens AA Amyloidosen, die beiProgredienz bereits im frühen bis mittleren Er-wachsenenalter zum Tode führen können. Amy-loidosen sind behandelbar, und ein befriedigen-der Therapieerfolg hängt maßgeblich von einerfrühzeitigen Diagnose und korrekten Klassifika-tion des Amyloids ab. In der differentialdiagnos-tischen Abklärung muss der Nachweis des Amy-loids geführt und einer Krankheitsentität, derAmyloidose im engeren Sinne, zugeordnet wer-den. Die methodisch-technischen Entwicklun-gen haben auch Einzug in der Diagnostik und derTherapie gehalten. Die frühzeitige Diagnose unddie korrekte Klassifikation des Amyloids sind un-verändert von größter Relevanz, da sich darausunterschiedliche klinische und therapeutischeKonsequenzen und damit verbunden Lebens-qualität und Mortalität ableiten. Das therapeuti-sche Spektrum ist vielfältig und schließt Organ-transplantationen, Chemotherapie und antiin-

    flammatorische Strategien ein. Zukünftig sindauch gentherapeutische Optionen denkbar[138, 162, 163].

    2 Methodik 5

    Die Erstellung dieser Leitlinie basiert auf Daten-bank-gestützten Literaturrecherchen, vornehm-lich PubMed und Medline. In die Literaturre-cherche wurden auch Handsuche und sog.graue Literatur (z. B. Kongressprotokolle) sowieErfahrungen von Experten unterschiedlicherFachdisziplinen mit aufgenommen.

    Die Aktualität der Leitlinien wird auch nach derenVeröffentlichung jährlich überprüft. Die dazu not-wendigen Informationen werden auf der Homepa-ge der Deutschen Gesellschaft für Amyloid-Krank-heiten e.V. bekannt gegeben (www.amyloid.de).

    Die Bewertung der Studienlage wird entspre-chend der Agency for Health Care Policy and Re-search (AHCPR) und der Empfehlungsklassen derÄrztlichen Zentralstelle für Qualitätssicherungangegeben (Tab. 1).

    3 Definition und Nomenklatur (Tab. 2) 5

    Amyloid ist definiert als Ablagerung eines homo-gen eosinroten Materials im Gewebe, das in derKongorotfärbung und im polarisierten Licht einecharakteristische apfelgrüne Polarisationsfarbeerkennen lässt. Elektronenmikroskopisch findensich starre, nichtverzweigte Fibrillen unter-schiedlicher Länge mit einem Durchmesser vonca. 10 nm [26]. Amyloid ist unterschiedlicherHerkunft. Es wurden bisher über 26 verschiede-ne Proteine identifiziert, die Amyloid bilden kön-nen (Tab. 2). Es ist zu erwarten, dass noch weite-re Proteine identifiziert werden. Die Vorläufer-proteine der Amyloidproteine unterscheiden

    Schlüsselwörter

    qAmyloid

    qLeitlinien

    qDiagnostik

    qTherapie

    Key words

    qAmyloid

    qGuidelines

    qDiagnostics

    qTherapy

    BibliografieDOI 10.1055/s-2006-947836Dtsch Med Wochenschr 2006;131: S45–S66 · © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York · ISSN 0012-0472

    KorrespondenzProf. Dr. med. Christoph RöckenInstitut für PathologieCharité – Universitätsmedizin BerlinCharitéplatz 110117 BerlinTel. 030/450536115Fax 030/450536914eMail [email protected]

  • S 46 Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    sich hinsichtlich ihrer Primärstruktur und Funktion. Den einzi-gen gemeinsamen Nenner, den alle aufweisen, ist ihre Fähigkeit,unter bestimmten Bedingungen Amyloid zu bilden. Die Amyloi-dose beschreibt den Krankheitszustand, der aus der Ablagerungdes Amyloids resultiert.

    Die Nomenklatur der Amyloidosen orientiert sich am Amyloid-protein und wird nach den Empfehlungen des „InternationalNomenclature Committee on Amyloidosis“ und der Weltge-sundheitsorganisation (WHO) mit einem Buchstabencode ver-schlüsselt [104]: Amyloid-Fibrillenproteine werden durch denAnfangsbuchstaben „A“ gekennzeichnet. Dem Buchstaben „A“folgt, ebenfalls durch einen Buchstabencode kenntlich gemacht,ohne Leertaste die Kennzeichnung des Vorläuferproteins: z.B.ATTR. Das „TTR“ steht für das Vorläuferprotein Transthyretin(siehe Tab. 2). Der Begriff primäre Amyloidose für die AL Amylo-idose ist obsolet, da diese Bezeichnung in Abgrenzung zu denzwischenzeitlich identifizierten hereditären Amyloidosen ver-wirrend ist. Entsprechend wird auch für die AA Amyloidose derBegriff sekundäre Amyloidose nicht mehr verwendet. Die Aβ2MAmyloidose stellt eine Form der Amyloidose dar, die bei chroni-scher Hämodialyse bei niereninsuffizienten Patienten auftretenkann. Die Weiterentwicklung der Dialysemembranen hat bin-nen der letzten 10 Jahre diese ehemals klinisch relevante Son-derform der Amyloidose ausgelöscht.

    4 Klinik der Amyloidosen 5

    Amyloid betrifft beide Geschlechter und kann in jedem Lebens-alter auftreten. Auch Kinder können, wenngleich sehr selten,bereits an einer Amyloidose erkranken. Jenseits des 85. Lebens-jahres findet sich seniles Amyloid bei jedem Individuum. DieSymptomatik und Klinik hängt von der Verteilung und dem

    Ausmaß der Amyloidablagerungen ab. Amyloid kann jedes Or-gan und jeden Gewebetyp befallen. Es tritt lokal oder syste-misch auf. Das Verteilungsmuster des Amyloids hängt maßgeb-lich von der Grunderkrankung bzw. dem Typ des abgelagertenAmyloidproteins ab (siehe auch Tab. 2).

    Es fehlen konkrete epidemiologische Angaben zur Inzidenz undPrävalenz der verschiedenen Formen der Amyloidosen in derBundesrepublik.

    Die Klinik der verschiedenen Amyloidosen ist sehr unterschied-lich und häufig unspezifisch, so dass eine Amyloidose leichtübersehen werden kann. Die Verfasser gehen von einer Dunkel-ziffer nicht diagnostizierter Amyloiderkrankungen aus. Darüberhinaus kann ein einzelner Patient gleichzeitig an verschiedenenAmyloidosen erkranken. Häufig ist es der Pathologe, der dieAmyloidose zuerst diagnostiziert. Eine bestimmte Konstellationklinischer Symptome kann den Verdacht auf das Vorliegen einerAmyloidose erheben. Die häufigen amyloidassoziierten klini-schen Symptome sind, unterteilt nach den Amyloidformen,nachfolgend aufgeführt:

    4.1 Klinik der AA Amyloidose (Tab. 3)Die AA Amyloidose ist eine der Hauptgruppen der generalisier-ten, systemischen Amyloidosen. Die Bezeichnung AA Amyloido-se leitet sich vom Vorläuferprotein Serum-Amyloid A (SAA), ei-nem Akutphaseprotein, ab. Dieser Typ der Amyloidose ist in denmeisten Fällen eine schwerwiegende Folgeerscheinung persis-tierender Entzündungsaktivität, die oftmals mit entsprechenderKlinik einhergeht, aber auch inapparent verlaufen kann. Ver-schiedenartige Krankheitsbilder können bei Chronizität einerEntzündungsaktivität eine AA Amyloidose entwickeln (Tab. 3).

    In den letzten Jahrzehnten ist ein Wandel in der Ätiologie derzugrundeliegenden Erkrankungen eingetreten. Während in den40er Jahren bakterielle Infektionen als Ursache einer AA Amylo-idose mit 63,3% überwogen [23], sind in den letzten Jahrzehn-ten, zumindest in den westlichen Ländern, entzündlich-rheu-matische Erkrankungen als Ursache einer AA Amyloidose ganzeindeutig dominierend mit Angaben zwischen 66–76%[21, 60, 61, 67, 68]. In Ländern mit hoher Inzidenz für das famili-äre Mittelmeerfieber wie in der Türkei hingegen ist dieses dieHauptursache der AA Amyloidose [42, 208]. Die Tuberkulosespielt heutzutage eine eher untergeordnete Rolle, soweit Datenverfügbar sind. Unter den entzündlich-rheumatischen Erkran-kungen ist es vornehmlich die rheumatoide Arthritis, die zu die-ser schweren Komplikation führen kann. Bei den Kollagenosen,insbesondere beim systemischen Lupus erythematodes, der ge-wöhnlich ohne die erhöhten Akutphaseproteine CRP und SAAeinhergeht, stellt die Entwicklung einer AA Amyloidose eine Ra-rität dar [165].

    Weitere Erkrankungen als Ursache der AA Amyloidose sind ent-zündliche Darmerkrankungen und maligne Erkrankungen (z.B.Hodgkin-Lymphom, Non-Hodgkin-Lymphom, Nierenzellkarzi-nom, u.a.) mit Angaben zwischen 3–9% bzw. 3–4%[21, 60, 61, 67, 68, 226]. Weiterhin tritt die AA Amyloidose beider Castleman-Krankheit [53, 98] und bei den hereditären peri-odischen Fiebersyndromen auf [38, 75]. Vier Typen hereditärerFiebersyndrome konnten bisher differenziert werden: 1. das fa-miliäre Mittelmeerfieber (FMF, OMIM 249100), 2. das Tumorne-krose-Faktor-Rezeptor-assoziierte periodische Fiebersyndrom

    Tab. 1 a) Evidenzgrade zur Bewertung der Studien nach Agency for HealthCare Policy and Research (AHCPR). b) Empfehlungsklassen nach der ÄrztlichenZentralstelle für Qualitätssicherung.

    a)

    Evidenzgrad

    Art der Evidenz

    Ia Metaanalysen randomisierter, kontrollierter Studien

    Ib mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie

    IIa mindestens eine gut angelegte kontrollierte Studie

    ohne Randomisierung

    IIb mindestens eine andere Art von gut angelegter,

    quasiexperimenteller Studie

    III gut angelegte, nicht-experimentelle, deskriptive Studie

    IV Berichte von Expertenausschüssen oder Expertenmeinun-

    gen und/oder klinische Erfahrungen anerkannter Autoritä-

    ten

    (b)

    Klasse

    Erläuterung

    A belegt durch schlüssige Literatur guter Qualität, die mindes-

    tens eine randomisierte Studie enthält (Evidenzgrade Ia, Ib)

    B belegt durch gut durchgeführte, nicht randomisierte

    klinische Studien (Evidenzgrade IIa, IIb, III)

    C belegt durch Berichte und Meinungen von Expertenkreisen

    und/oder klinischer Erfahrung anerkannter Autoritäten

    (Evidenzgrad IV).

  • S 47Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    (TRAPS, OMIM 142680), 3. das Muckle-Wells-Syndrom (OMIM191900) und das Familial Cold Autoinflammatory Syndrome(FCAS, OMIM 120100) sowie [4] die HyperimmunglobulinämieD mit periodischem Fiebersyndrom (HIDS, OMIM 260920)[141]. FMF ist eine autosomal-rezessiv vererbte Erkrankung mitrezidivierenden Fieberschüben und Serositiden, bei der Mutati-onen im MEFV Gen gefunden werden. Es ist das häufigste here-ditäre rekurrierende Fiebersyndrom und tritt gehäuft bei Mit-telmeerbewohnern, sephardischen Juden und Armeniern auf.Die AA Amyloidose ist die wichtigste Komplikation des FMF.TRAPS wird autosomal dominant vererbt und wird durch Muta-tionen des TNF-Rezeptor-1-Gens verursacht. Dem Muckle-Wells-Syndrom und FCAS liegen unterschiedliche Mutationenim CIAS1-Gen zu Grunde, das für das Cryopyrinprotein kodiertund auf Chromosom 1q44 gelegen ist.

    4.1.1 A A Amyloidose bei entzündlich-rheumatischen Erkran-kungen Aufgrund der großen Bedeutung entzündlich-rheuma-tischer Erkrankungen als Ursache der AA Amyloidose werdenderen Aspekte eingehend behandelt.

    Angaben über die Prävalenz der AA Amyloidose bei entzünd-lich-rheumatischen Erkrankungen variieren in Abhängigkeitvon verschiedenen Faktoren, wie z.B. diagnostischen Verfahren,klinischem Status, zugrundeliegenden Erkrankungen, Studien-design sowie Herkunftsland, und schwanken zwischen 2 und10%. Nach einer finnischen Studie verstarben im Jahr 1987 1666Patienten mit rheumatoider Arthritis, davon hatten 97 Patien-ten eine AA Amyloidose. Dieses entspricht einer Prävalenz derAA Amyloidose von 5,8% [137]. Bei der Spondylitis ankylosanswird eine Prävalenz von etwa 2–6% angegeben [74].

    Nach dem klinischen Eindruck ist die Inzidenz der AA Amyloido-se in den letzten Jahren rückläufig. Zudem manifestierte sich dieAA Amyloidose klinisch in den 60er Jahren im Mittel nach 16-jäh-riger Krankheitsdauer, in den 90er Jahren dagegen erst im Mittelnach 19-jähriger Krankheitsdauer. Mehrere Gründe werden hier-für diskutiert. Zwei Arbeitsgruppen aus Finnland [102, 116] beob-achten seit Mitte der 90er Jahre eine Verringerung neuer AAAmyloidosefälle in ihrem Krankengut bei entzündlich-rheumati-schen Krankheitsbildern, führen dies auf einen Wechsel des The-rapieregimes mit frühzeitigem Einsatz potenter, immunsuppres-siver Substanzen zurück und bewerten dies als einen Rückgangder Inzidenz. Hazenberg [84] hält neben der Intensivierung me-dikamentöser und operativer Therapiemaßnahmen die effektiveBehandlung möglicher Begleitinfektionen und vornehmlich dieVerlängerung der präklinischen Phase infolge geringerer Entzün-dungsaktivität für den scheinbaren Rückgang der Inzidenz ur-sächlich für verantwortlich. Auszuschließen ist sicherlich eineÄnderung der Risikogruppe der rheumatoiden Arthritis, die eineAmyloidose entwickeln [84].

    Die Angaben über die Häufigkeit der Organbeteiligung variierenin Abhängigkeit pathologischer oder klinischer Studien. Bei derAA Amyloidose sind hauptsächlich die parenchymatösen Orga-ne, wie Leber, Milz und Niere betroffen [60, 99, 172, 179]. In die-sen Organen sind in 80–100% der Fälle Amyloidablagerungennachweisbar [121, 130, 131]. Bei renalem Befall lagert sich Amy-loid vornehmlich zwischen der Basalmembran und dem Endo-thel der Glomeruli ab, wobei das Mesangium der erste Ort derAmyloidablagerung ist. Im weiteren Verlauf kann der Glomeru-

    Tab. 2 Humane Amyloidproteine und ihre Vorläuferproteine. Die Nomenkla-tur folgt den Empfehlungen des „International Nomenclature Committee onAmyloidosis“ und der Weltgesundheitsorganisation [104].

    Amyloid-

    protein

    Vorläufer-

    protein

    Systemisch [S]

    oder lokal [L]

    Amyloidose/Grunderkrankung

    AL Immunglobulin

    Leichtkette

    S, L Multiples Myelom,

    Primäre AL Amyloidose

    AH Immunglobulin

    Schwerkette

    S, L Multiples Myelom,

    Primäre AL Amyloidose

    ATTR Transthyretin S Familiäre Amyloidpolyneuropathie

    (Portugiesischer Typ),

    senile kardiovaskuläre Amyloidose

    L? Sehnen/Sehnenscheiden

    Aβ2M β2-Mikro-globulin

    S

    L?

    Chronische Hämodialyse

    Gelenke

    AA Serum

    Amyloid A

    S Sekundär, reaktiv

    AApoAI Apolipoprotein

    A-I

    S

    L

    Hereditäre systemische Amyloidose

    Arteriosklerose*

    AApoAII Apolipoprotein

    A-II

    S Hereditäre renale Amyloidose

    AGel Gelsolin S Familiäre Amyloidpolyneuropathie

    (Finnischer Typ), gittrige Hornhaut-

    dystrophie

    ALys Lysozym S Familiäre viszerale Amyloidose

    AFib Fibrinogen

    α-Kette

    S Hereditäre systemische Amyloidose

    ACys Cystatin C S Familiäre Amyloidose (Island-Typ)

    ABri ABriPP

    (oder Bri-L)**

    S Familiäre Demenz (Britischer Typ)

    ADan ADanPP

    (oder Bri-D)**

    L Heredopathia

    ophthalmo-oto-encephalica

    (Dänischer Typ)

    Aβ Aβ Vorläufer-protein (AβPP)

    L Senile Demenz vom Alzheimer-Typ,

    Down Syndrom,

    Amyloidangiopathie

    APrP Prion Protein L Spongiforme Enzephalopathie

    ACal (Pro)Calcitonin L Medulläres Schilddrüsenkarzinom

    AIAPP Inselamyloid

    Polypeptid

    L

    L

    Langerhans-Inseln

    (Diabetes mellitus)

    Insulinom

    AANF Atrionatriureti-

    sches Peptid

    L Herzvorhof, Vorhofflimmern

    APro Prolaktin L

    L

    Hypophyse

    Hypophysenadenome

    AIns Insulin L Iatrogen

    AMed Lactadherin L Amyloid der Aortenmedia

    AKer Kerato-

    epithelin

    L Kornea, gittrige Hornhaut-

    dystrophie

    APin FLJ20513-asso-

    ziiertes Protein

    L Pindborg Tumor

    ALac Lactoferrin L Korneales Amyloid (Trichiasis)

    ASeg Semenogilin I L Samenblase

    ATau Tau Protein L Hirn

    *nicht-hereditäres Amyloid mit Ablagerung des Wildtyp-Proteins; ** das Amylo-

    idprotein leitet sich vom selben Gen ab. Unterschiedliche Mutationen kodieren

    verschiedene Amyloidproteine, die sich am C-terminalen Ende um 12 Aminosäu-

    ren voneinander unterscheiden.

  • S 48 Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    lus vollständig mit AA Amyloid ausgefüllt sein. Dieser Typ derAmyloidablagerung kommt bei der rheumatoiden Arthritis inetwa 90% vor. Amyloidablagerungen im Glomerulus führen vor-nehmlich zur Proteinurie. Bei etwa 10% der Patienten mit AAAmyloidose findet sich ganz wenig oder gar kein Amyloid imGlomerulus, dagegen aber in kleinen und mittleren Gefäßen so-wie im Interstitium. Dieser Typ der Amyloidablagerung führtzur Nierenfunktionsstörung, jedoch nicht zur Proteinurie. Dasklinische Leitsymptom ist bei der AA Amyloidose die Proteinu-rie mit Angaben zwischen 85–94%. Die Nierenfunktionsein-schränkung dagegen ist meist in einem geringeren Maße nach-weisbar. Exakte Angaben fehlen und liegen je nach Definitionzwischen 18–85% [82, 99]. Amyloidablagerungen im Gastroin-testinaltrakt sind zunächst häufig asymptomatisch. Im fortge-schrittenen Stadium kommt es zu Diarrhoen, z. T. im Wechselmit Obstipation und zu einer Malabsorption. Gelegentlich ent-wickelt sich auch eine Pseudoobstruktion. Außerdem könnenschwere gastrointestinale Blutungen auftreten, die sich durchAmyloid der gastrointestinalen Mukosa und damit einherge-hender erhöhter Mukosafragilität erklären lassen. Trotz quanti-tativ erheblicher Amyloidablagerung in Leber, Milz oder Neben-niere können die klinischen Zeichen in diesen Fällen vergleichs-weise gering, u.U. auch asymptomatisch sein. In seltenen Fällenkann eine Leberamyloidose Zirrhose-ähnliche Komplikationenverursachen. Im Gegensatz zur AL Amyloidose wird in älterenVeröffentlichungen die Herzbeteiligung bei der AA Amyloidose< 10% angegeben [99]. Eine kürzlich erschienene Studie gibt al-lerdings eine sehr viel höhere Herzbeteiligung an [202]. In die-ser Studie wurden 42 Patienten mit AA Amyloidose bei ent-zündlich-rheumatischen Erkrankungen bis zu 18 Jahre verfolgt.Innerhalb von 10 Jahren verstarben 24 Patienten, bei denen 11

    eine AA Amyloidose des Herzens aufwiesen (26,2%). Die 5-Jah-res-Überlebensrate bei Herzbeteiligung beträgt 31% und beifehlender Herzbeteiligung 63% [202]. Eine Pankreasbeteiligungkann sich exzeptionell in einer Pankreatitis und eine Schilddrü-senbeteiligung in einer Amyloidstruma und/oder Hypothyreosemanifestieren [126].

    4.1.2 AA Amyloidose bei chronisch-entzündlichen Darmer-krankungen (CED) Die AA Amyloidose ist bei der CED eine sel-tene, aber wichtige Folgeerkrankung [29]. Bei der Colitis ulcero-sa stellt sie eine Rarität dar. Wahrscheinlich erkranken wenigerals 0,1% der Patienten mit einer Colitis ulcerosa an einer AAAmyloidose. Sehr viel häufiger tritt sie als Folge des MorbusCrohn auf (1–5%). Allerdings fehlen größere epidemiologischeDaten auch hier [217]. Eine der besten Untersuchungen stammtaus dem Mount Sinai Hospital, New York [76]. 25 von 3050 Pati-enten mit CED entwickelten eine AA Amyloidose. Davon litten22 an einem Morbus Crohn und nur drei an einer Colitis ulcero-sa. Überwiegend Männer erkrankten an einer AA Amyloidose(16 (73%) von 22; wobei im Gesamtkollektiv das VerhältnisMänner zu Frauen ausgeglichen war). Bei den Patienten warenin abnehmender Häufigkeit die Niere, der Gastrointestinaltrakt,die Milz, Leber, Pankreas und Herz betroffen. Klinisch ist zu-meist die Nierenbeteiligung krankheitsführend mit nephroti-schen Syndrom und Proteinurie, aber auch eine Kardiomyopa-thie kann im Vordergrund stehen. Ein Darmbefall kann seiner-seits zu Diarrhoen und Malabsorption führen und ist leicht mitder Crohn-Symptomatik zu verwechseln [220]. Von einer Dun-kelziffer nicht diagnostizierter Amyloiderkrankungen bei CEDist auszugehen.

    Die Manifestation der AA Amyloidose als Folge einer CED trittzwischen 10 und 20 Jahren nach Ausbruch der Grunderkran-kung auf. Die inflammatorische Aktivität des Morbus Crohn be-einflusst maßgeblich den klinischen Verlauf. Die therapeutischeIntervention einschließlich operativer Beseitigung seiner Kom-plikationen, wie z.B. Fisteln, kann als Folge der Antiinflammati-on das Voranschreiten der AA Amyloidose verlangsamen oderstoppen.

    4.2 Klinik der AL AmyloidoseDer Amyloid-Leichtketten(AL)-Amyloidose liegt eine klonalePlasmazellerkrankung zugrunde. Pathophysiologisch kommt esnach der Expansion eines Plasmazellklons im Knochenmark zurBildung von monoklonalen Leichtketten oder Leichtkettenfrag-menten, die sich u.U. im Interstitium verschiedener Organe zuFibrillen zusammenlagern, die Organfunktion beeinträchtigenund schließlich zum Organversagen führen können. Bei ca. 80%der Patienten mit AL Amyloidose liegt eine monoklonale Gam-mopathie und bei 20% ein Multiples Myelom vor. Umgekehrtfindet sich bei ca. 10% der Patienten mit Multiplem Myelomeine AL Amyloidose. Die am häufigsten betroffenen Organe sindNiere, Herz, Darm, Leber und autonomes Nervensystem [47].Das klinische Bild kann je nach Befallsmuster verschiedener Or-gane sehr variieren [183] und die Diagnosestellung erschweren,insbesondere wenn primär nicht an eine Amyloidose gedachtwird, da es sich um eine sehr seltene Erkrankung handelt. DieInzidenz beträgt in der nordamerikanischen Bevölkerung 5–13Personen pro Million im Jahr [183]. Für die europäische Bevöl-kerung existieren keine epidemiologischen Daten.

    Tab. 3 Zugrundeliegende Erkrankungen der AA Amyloidose.

    Entzündlich-rheumatische Erkrankungen

    3Rheumatoide Arthritis

    3 Juvenile chronische Arthritis

    3Spondylitis ankylosans

    3Arthritis psoriatica/Spondarthritis psoriatica

    3Polymyalgia rheumatica mit Arteriitis temporalis

    3Adulter Morbus Still

    3M. Behcet

    Andere chronische Entzündungen

    3Sarkoidose

    3Entzündliche Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa,

    Colitis indeterminata)

    3Chronische Pankreatitis

    3Sprue

    3M. Whipple

    3Mukoviszidose

    3Familiäres Mittelmeerfieber

    3Tumornekrose-Faktor-Rezeptor-assoziiertes periodisches Fiebersyndrom

    3Familial Cold Autoinflammatory Syndrome

    3Muckle-Wells-Syndrom

    3Hyperimmunglobulinämie D mit periodischem Fiebersyndrom

    Chronisch-infektiös

    3Tuberkulose

    3Bronchiektasen

    3Osteomyelitis

    3Dekubitus

    3Chronische Pyelonephritis bei Paraplegikern

    3HIV-Infektion

  • S 49Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    Die häufigste Erstmanifestation der AL Amyloidose ist das ne-phrotische Syndrom mit Unterschenkelödemen, Proteinurie,später Pleuraergüssen und Aszites. Im Frühstadium ist die Nie-renfunktion nicht beeinträchtigt, später kann es zur Nierenin-suffizienz mit Fortschreiten bis zur Dialysepflichtigkeit kom-men. Unterschenkelödeme unklarer Ursache können ein Früh-symptom sein [182]. Bei der führenden kardialen Beteiligung istdie Belastungsdyspnoe das führende Erstsymptom. UnklarerAbfall der körperlichen Leistungsfähigkeit wie plötzliches Un-vermögen, Treppen zu steigen, aber auch Belastungsdyspnoesind hier die Frühsymptome. Herzrhythmusstörungen, insbe-sondere hochgradige ventrikuläre Herzrhythmusstörungen mitventrikulärer Extrasystolie und Pausen mit Synkopen als Früh-symptom können auftreten. Im Spätstadium der kardialen ALAmyloidose kommt es zur rasch fortschreitenden Herzinsuffizi-enz. Nicht selten ist die myokardiale Funktionsstörung mit einerStörung des autonomen Nervensystems gepaart. Dies kann zurschweren posturalen Hypotonie und vagalen Dysregulation füh-ren. Bei führender gastrointestinaler Beteiligung kommt es ini-tial zu abdominellen Beschwerden, oft einhergehend mitDurchfällen, Völlegefühl und ggf. zum raschen Gewichtsverlust.Die Leberamyloidose manifestiert sich in der Regel mit Hepato-megalie und kann zum Ausfall der Leberfunktion mit Synthese-störung, Kachexie und Aszites bis zum Leberversagen führen.Therapieresistente Pleuraergüsse können durch Pleurabeteili-gung bedingt sein [16]. Die seltene AL Amyloidose der Milz äu-ßert sich in der Organvergrößerung und birgt die Gefahr derRuptur. Die Beteiligung der Lunge und des Bronchialsystems istselten und kann sich mit Hämoptysen und Reizhusten manifes-tieren, aber auch zur restriktiven Ventilationsstörung führen.

    Das Auftreten einer Polyneuropathie ist für die AL Amyloidosesowie für die ATTR Amyloidose (s.u.) typisch. Insgesamt tritt siebei 15–35% der Patienten auf, und ist bei etwa 10% das Erst-symptom. Die Neuropathie beginnt mit schmerzhaften Dysäs-thesien in den Beinen und ist progredient. Schmerz und Tempe-raturempfinden sind typischerweise vermindert bevor die Pall-ästhesie oder Berührungsempfinden betroffen sind. Später fol-gen auch distal symmetrische Paresen. Fast alle Patientenentwickeln im Verlauf eine autonome Mitbeteiligung mit Völle-gefühl bis zur Gastroparese, Störung der Harnblasenfunktionund Darmentleerung, erektile Funktionsstörung, Blutdruckre-gulationsstörung und Neigung zu vagalen Synkopen. Etwa 25%der Patienten erkranken im Verlauf an einem assoziierten Kar-paltunnel-Syndrom, das durch Amyloidablagerungen im Retina-culum flexorum des Handgelenks verursacht wird. Die Konstel-lation aus schmerzhaften distalen Dysästhesien, autonomerDysfunktion und einem uni- oder bilateralen Karpaltunnel-Syn-drom in der Vorgeschichte sollte Anlass sein, eine Amyloidosedifferentialdiagnostisch zu erwägen. Von der AL Amyloidneuro-pathie sollte die Amyloidmyopathie mit langsam progredienterproximal symmetrischer Muskelschwäche abgegrenzt werden.Die Amyloidmyopathie ist meist mit einer AL Amyloidose asso-ziiert, ist aber auch bei ATTR- und AGel Amyloidosen beschrie-ben worden [193, 194].

    Selten manifestiert sich die AL Amyloidose in Form von Lymph-knotenschwellungen und kann sowohl periphere als auch zen-tral gelegene Lymphknoten befallen. Relativ selten ist das Kar-paltunnel-Syndrom das erste Zeichen der Erkrankung, sollteaber immer Anlass zur weiteren Abklärung geben, da es der sys-temischen Manifestation einer AL Amyloidose oder eines Mul-

    tiplen Myeloms zeitlich vorausgehen kann. Pathognomonischfür eine AL Amyloidose ist die Beteiligung der Zunge (Makro-glossie).

    4.3 Klinik der hereditären systemischen Amyloidosen (ATTR, AApoAI, AApoAII, AFib)4.3.1 Klinik der ATTR Amyloidose Die ATTR Amyloidose stelltdie häufigste erbliche Amyloiderkrankung dar. Der Vererbungs-modus ist autosomal dominant. Transthyretin (TTR; früher Prä-albumin) ist ein Transportprotein und bindet das Retinol-bin-dende Protein und Thyroxin im Plasma. Amyloidogene Varian-ten des TTR führen in der Regel zu keiner klinisch relevantenBeeinträchtigung der Schilddrüsenfunktion oder der Homöosta-se des Vitamins A. Die Synthese der amyloidogenen TTR-Varian-ten scheint herunterreguliert zu sein, die Plasma-Halbwertzeitbeträgt ca. 50 Stunden [177]. TTR wird überwiegend in der Le-ber synthetisiert, zu geringen Mengen auch in der Retina undim Plexus choroideus.

    TTR (OMIM #176300) stellt ein Protein mit 127 Aminosäurendar. Das Gen ist auf dem Chromosom 18q11.2-q12.1 lokalisiert.Mehr als 75 amyloidogene TTR-Varianten sind bis heute be-kannt [127]. Die häufigste Mutation (GTG zu ATG) bedingt eineSubstitution von Valin durch Methionin (Val30Met). Die ATTRAmyloidose tritt gehäuft in Portugal, in Nordschweden und be-stimmten Regionen Japans (Arao, Ogawa) auf [178]. In Portugalund Schweden kommt nahezu ausschließlich die TTRVal30Met-Variante als Ursache der ATTR Amyloidose vor. Die Prävalenz er-reicht in einigen Regionen Portugals bis zu 1:1000 Einwohner.Obwohl eine definitive Genotyp/Phänotyp Relation nicht belegtist, gibt es bestimmte Mutanten, die zu einem frühzeitigerenund progredienteren Verlauf insbesondere mit Herzbeteiligungneigen.

    Die erste familiäre ATTRVal30Met Amyloidose beschrieb 1952 An-drade in der Region Oporto in Portugal [8]. Im Vordergrund ste-hen die Amyloidablagerungen im peripheren und autonomenNervensystem, weshalb die Erkrankung früher auch als Familiä-re Amyloidpolyneuropathie (FAP I) bezeichnet wurde. Die pro-gredient verlaufende sensomotorische und autonome Polyneu-ropathie geht oftmals im Alter zwischen 30 und 70 Jahren miterektiler Dysfunktion, gastrointestinalen Beschwerden, Malab-sorption und restriktiver Kardiomyopathie einher. Bei derATTRVal30Met Amyloidose ist das Karpaltunnel-Syndrom unty-pisch, dabei ist das Karpaltunnel-Syndrom ein Leitsymptom derATTRIle84Ser Amyloidose (früher FAP II), bei der es wiederumnicht zu einer autonomen Mitbeteiligung kommt. In Abhängig-keit von der geographischen Region, sind Alter der Erstsympto-matik, Verlauf der Erkrankung und dessen phänotypische Er-scheinungsbild unterschiedlich [159].

    Bis vor einigen Jahren wurde die hereditäre Amyloidose als sel-tene portugiesische Erkrankung betrachtet. Inzwischen weißman, dass sie überall in der Welt vorkommt. Die Inzidenz zeigtdabei beträchtliche geographische Unterschiede, teilweise mitausgeprägten regionalen Häufungen. Die häufige Met30-Varian-te zeigt einen frühen (Beginn um das 30. Lebensjahr, portugiesi-scher Typ) und einen späten (Beginn 50.–70. Lebensjahr, schwe-discher Typ) Altersgipfel. In Deutschland kommen beide For-men vor. Unbehandelt hat die ATTR Amyloidose eine schlechtePrognose. Innerhalb weniger Jahre bestimmen Invalidisierungdurch Polyneuropathie, schwere Herzrhythmusstörungen, Sym-

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    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    ptome der Kardiomyopathie, kaum zu beeinflussende Diarrhö-en mit Malabsorption und Kachexie und ausgeprägte orthosta-tische Hypotonien das klinische Bild [7]. Eine restriktive Kardio-myopathie tritt gehäuft auf. Herzrhythmusstörungen könnenauch ohne Zeichen einer Kardiomyopathie auftreten und beinicht rechtzeitiger Diagnose und Intervention zum Tod führen.

    Patienten mit der sich früh manifestierenden Met30-Mutationzeigen Symptome von Seiten des Magen-Darm-Traktes [203].Bei einer großen Familie im südhessischen Raum standen ne-ben autonomen Symptomen Übelkeit, Völlegefühle und Blä-hungen am Beginn der Symptomatik. Im weiteren Verlauf ent-wickelt sich eine Obstipation, die später von Durchfällen durch-brochen wird [204]. Bei japanischen Patienten stehen dagegenDurchfälle am Beginn der gastrointestinalen Symptomatik[203]. In späteren Stadien bestimmen Malabsorption und Man-gelernährung mit der Folge von Gewichtsverlust und Infekti-onsneigung das klinische Bild [200]. Ein schlechter Ernährungs-zustand, gemessen als Body Mass-Index (BMI), korreliert mit ei-ner schlechten Prognose. Bereits 1962 wurde die ATTRLeu111MetAmyloidose beschrieben (Frederiksen-Syndrom), bei der derHerzbefall im Vordergund steht [52].

    Auch die Nieren sind bei ATTR Amyloidosen häufig betroffen.Der Befall manifestiert sich aber erst in späteren Stadien und istprognostisch weniger entscheidend. Der Verlauf der Nierena-myloidose bei ATTR Amyloidosen unterscheidet sich damitgrundlegend von dem der AL Amyloidosen, bei denen der Nie-renbefall als prognostisch sehr ungünstig einzustufen ist, unddemjenigen bei den AApoAI Amyloidosen, bei denen der Nie-renbefall sogar im Vordergrund steht (s.u.). Dialysepflichtigwerden nach den portugiesischen Erfahrungen nur etwa 10%der Patienten [17]. Der Verlauf kann durch aufsteigende Blasen-infektionen kompliziert werden, die ihrerseits oft Folge von Bla-senentleerungsstörungen sind. Auf Zeichen einer Blaseninfekti-on sollte daher sorgfältig geachtet und im Bedarfsfall die ent-sprechenden Schritte eingeleitet werden. Eine fortgeschritteneNiereninsuffizienz stellt eine Indikation zur kombinierten Le-ber-Nieren-Transplantation dar. Die Lebertransplantation (LTx)bei ATTR Amyloidose stoppt das Fortschreiten der Niereninsuf-fizienz nach der passageren postoperativen Verschlechterung[18].

    Eine weitere typische Manifestationen ist der Befall des Auges.Ablagerungen finden sich in der Bindehaut, Iris und dem Glas-körper [80]. Klinisch resultieren Glaskörpertrübungen (Nach-weis durch Spiegelung im polarisierten Licht) und Glaukome[105]. ATTR Amyloidosen stehen in dieser Hinsicht in deutli-chem Gegensatz zu den AGel Amyloidosen, bei denen der Au-genbefall regelmäßig ein Frühsymptom ist. Da das Augenamylo-id vornehmlich aus der Retina stammt, hat die LTx hier keinenprotektiven Effekt [7]. Die Therapie besteht im Glaskörperersatzin Verbindung mit einer intraoperativen Laserkoagulation derRetina [109].

    Selten gibt es ATTR Amyloidosen, bei denen Amyloid bevorzugtim ZNS abgelagert wird [19]. Sie werden je nach Symptomatikals familiäre leptomeningeale oder meningovaskuläre Amyloi-dosen bezeichnet [14, 41, 156]. Das klinische Bild ist von De-menz, Ataxie, Spastik, Krampfanfällen, Sehstörungen und Hy-drozephalus, aber auch rezidivierenden intrazerebralen oder

    subarachnoidalen Blutungen gekennzeichnet [51, 124]. Auch dieMet30-Mutation kann in Einzelfällen zu massiven leptomenin-gealen Ablagerungen führen [90, 173].

    4.3.2 Klinik der A ApoAI- und AApoAII Amyloidose Apolipo-proteine stellen den Proteinanteil der Lipoproteine im Blut darund zeichnen sich durch amphiphile Strukturen aus. Interessan-terweise scheint im Rahmen der Proteolyse von Apolipoprotei-nen durch die Generierung N-terminaler hydrophiler Fragmen-te eine Amyloidneigung zu bestehen, die im Falle bestimmterMutationen zu einer frühzeitigen Amyloidose führen kann [9].Interessanterweise konnte bisher keine extrazerebrale Amyloi-dose für eine Variante des Apolipoprotein E nachgewiesen wer-den. Apolipoprotein AI (ApoA-I) ist die Hauptproteinkomponen-te des Lipoproteins hoher Dichte. Amyloidogen sind N-termina-le Fragmente mit genetisch bedingten Änderungen [57]. Bishersind elf verschiedene Mutationen bekannt (OMIM #107680).Schon 1969 wurde die AApoAIGyl26Arg Amyloidose publiziert(früher FAP III), bei der die Polyneuropathie der Füße und Hän-de dominiert [212]. Die anderen mit diesen Mutationen assozi-ierten Amyloidosen befallen vorwiegend die Niere („hereditäreNierenamyloidose“), das Herz und die Leber. Im Alter könnenAmyloidherde auch nicht-mutiertes ApoA-I enthalten.

    AApoAII Amyloidosen manifestieren sich als langsam progredi-entes nephrotisches Syndrom. Bisher sind vier Mutationen be-kannt (OMIM 107670). Interessanterweise gibt es verschiedeneHinweise über die Beteiligung von ApoA-II an senilen und syste-mischen Amyloidosen [210].

    4.3.3 Andere erbliche Amyloidosen Fünf weitere Proteine sindbekannt, bei denen genetische Veränderungen zu systemischenoder organbezogenen Amyloidosen führen. Hierzu zählen dieAGel Amyloidose (AGelAsp187Asn Amyloidose, früher FAP IV mitBefall der Cornea, der Haut und der Hirnnerven), die ALys- undAFib Amyloidose sowie die familiären meningovaskulären Amy-loidosen, die durch mutantes Cystatin C (ACys Amyloidose; is-ländischer Typ) und durch Mutationen im BRI-Gen (ABri Amylo-idose; familiäre Demenz vom britischen Typ) bedingt sind.

    5 Diagnostik – Klinische Untersuchungsverfahren (Tab. 4) 5

    Die verschiedenen Amyloidosen rufen sehr unterschiedlicheklinische Krankheitsbilder hervor, können teilweise auch sehrvariabel in ihrer Ausprägung sein und müssen differentialdiag-nostisch gegen sehr viele Krankheiten abgegrenzt werden. Ausdiesem Grunde sollte der Umfang der klinischen Diagnostiksorgfältig abgewogen werden. Die Diagnose „Amyloid“ kann nurhistologisch gesichert werden. Die Klassifikation des Amyloid-proteins oder der hohe klinische Verdacht (z.B. bei dazu passen-der Vorerkrankung oder Familienanamnese) sollte dann dasweitere diagnostische Prozedere bestimmen. Tab. 4 gibt einenÜberblick über die Basisdiagnostik, spezifische Diagnostik undorganbezogene Diagnostik und ordnet sie auch den verschiede-nen Amyloidosen zu. Darüber hinaus dient sie auch dazu, nachz.B. histologischer Diagnosesicherung das Ausmaß der Erkran-kung bzw. das Krankheitsstadium und damit auch die Prognosezu bestimmen. Die für die verschiedenen Amyloidosen gezielteinzusetzenden Untersuchungen werden dann nachfolgendnoch gesondert behandelt.

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    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    5.1 Prozedere bei Verdacht auf AA Amyloidose bei ent-zündlich-rheumatischen Erkrankungen und hereditä-ren FiebersyndromenDer prognostisch entscheidende Faktor bei der AA Amyloidosequoad vitam ist der Nierenbefall mit den klinischen Zeichen derProteinurie und der Kreatininerhöhung. Diese Symptome wei-sen bereits auf eine manifeste Nierenamyloidose hin. Für dieFrühdiagnose der Nierenamyloidose müssen deshalb andereKriterien herangezogen werden. Da klinische Zeichen fehlen, istdie Diagnose einer Amyloidose im präklinischen Stadium nurhistologisch möglich. Als Screening-Methode eignet sich z.B.eine Fettaspirationsbiopsie (s.u.).

    Um die Indikationsfindung zur Biopsie zu optimieren, wurde ineiner prospektiven Studie [43, 44] ein sog. Aktivitätsindex unterBündelung der üblichen Screening-Entzündungsparameter mitdem Ziel einer hohen Sensitivität erstellt (BSG < 45 mm n.W.,CRP < 50 mg/l, Alpha-2-Globulin > 11,6 rel.% (bzw. >1,04 g/dl),Serum-Albumin < 55,7 rel.% (bzw. < 3,36 g/dl)).

    Im pädiatrischen Krankengut wird bei hohem klinischen Ver-dacht ebenfalls zunächst eine Fettaspirationsbiopsie (s.u.) emp-fohlen. Wenn Amyloid nicht nachweisbar ist, kann ein Proben-sammelfehler durch eine zweite Fettaspirationsbiopsie über-prüft werden. Falls bei weiter bestehendem Verdacht auch diezweite Fettaspirationsbiopsie kein Amyloid nachweisen konnte,wird die Organbiopsie eines klinisch symptomatischen Organsempfohlen, das das geringste Risiko einer punktionsassoziiertenKomplikation trägt.

    5.2 Prozedere bei Verdacht auf AL AmyloidoseDie Diagnostik der lambda(λ)- oder kappa(κ)-Leichtkettenamy-loidose beruht auf histologischer Untersuchung des Biopsiema-terials aus den betroffenen Organen. Es sollte sowohl die Kongo-rotfärbung als auch die Immunhistochemie durchgeführt wer-den [79, 80]. Die Diagnose wird unterstützt durch den systemi-schen Nachweis der klonalen Plasmazellerkrankung mittelspositiver Immunfixation im Serum oder im 24-Stunden-Sam-melurin. Der Nachweis einer klonalen Plasmazellvermehrungim Knochenmark oder der Nachweis einer pathologischen Ver-teilung der freien Serumleichtketten können ebenfalls zur Diag-nostik beitragen.

    Die Diagnostik der systemischen Ausbreitung und der Organbe-teiligung ist eine interdisziplinäre Aufgabe. Idealerweise solltenalle Patienten durch einen Spezialisten für Hämatologie, Kardio-logie, Nephrologie, Hepatogastroenterologie und Neurologieund je nach Bedarf durch Spezialisten anderer Disziplinen un-tersucht werden. Die aufwendige Diagnostik dient zur Beurtei-lung der systemischen Ausbreitung, zur Einschätzung der Prog-nose und zur Festlegung der optimalen Therapiemodalität.

    5.2.1 Spezielle Hinweise zur oben genannten Diagnostikliste:

    Anamnese: Müdigkeit, Gewichtsverlust, Ruhe- oder Belastungs-dyspnoe, körperliche Belastbarkeit, Leistungsknick, Gehstrecke, Fä-higkeit zum Treppensteigen, Nykturie, Völlegefühl, Diarrhoe, Ge-wichtszunahme bei Ödemen, erektile Dysfunktion, vagale Synko-pen, tachykarde Herzrhythmusstörungen, kardiale Synkopen, Kar-paltunnel-Syndrom, de Quervain-Syndrom (= Tendovaginitisstenosans), schmerzhafte Polyneuropathie, Muskelschwäche, Blu-tungsneigung, Thrombosen, Familienanamnese.

    Tab. 4 Klinische Diagnostik der Amyloidosen.

    Basisdiagnostik AA AL ATTR Andere

    Hereditäre

    Anamnese einschließlich Familienanamnese x x x x

    Körperliche Untersuchung x x x x

    Differentialblutbild, ggf. Blutausstrich x x x x

    Elektrolyte, Kreatinin, Harnstoff x x x x

    Gesamteiweiß, Proteinelektrophorese, Bilirubin x x x x

    AP, GGT, ASAT, ALAT, CHE, Albumin, INR x x x x

    TSH, FT3, FT4 x x x x

    CRP, BSG x x x x

    Elektrokardiogramm x x x x

    Röntgen Thorax x x x x

    Spezifische Diagnostik

    24 Stunden Urinanalyse für Kreatinin Clearance,

    Proteinurie, Albuminurie, Bence Jones Proteinurie,

    Proteinelektrophorese und Immunfixation im Urin

    (ggf. eingeengt)

    x x x x

    Proteinelektrophorese im Serum, Immunfixation

    im Serum, quantitative Immunglobuline

    x

    Globale Gerinnungstests wie PTT, speziell:

    Faktor X Aktivität [24, 135]

    x

    Knochenmarkzytologie und Histologie: Plasma-

    zellanteil, lymphoproliferative Erkrankungen

    (M. Waldenström, B – NHL), Amyloidnachweis

    im Knochenmark

    x

    In klinischen Studien bei AL Amyloidose:

    Freie Leichtketten im Serum

    (serum free light chains) [115]

    x

    Organbezogene Diagnostik

    Röntgen des Skeletts (Pariser Schema, nicht Kno-

    chenszintigraphie, diese meist unergiebig)

    x

    Echokardiographie mit Beurteilung der Septum-

    dicke und Herzwanddicke, der linksventrikulären

    Pumpfunktion und insbesondere der diastolischen

    Funktion (restriktive Funktionsstörung,

    myokardiale Texturstörung)

    x x x x

    ggf. weiterführende kardiologische Diagnostik x x x

    Kardiale Labordiagnostik: kardiale Troponine TNT,

    TNI, N–terminales pro-BNP haben nach neuesten

    Studien prognostische Bedeutung und ermögli-

    chen Risikostratifizierung; evtl. Myokardbiopsie

    x x x

    Kipptischuntersuchung (RR Verhalten zur

    Beurteilung der Kreislaufdysregulation)

    x x x x

    Langzeit EKG (ventrikuläre Herzrhythmus-

    störungen, Frequenzvariabilität)

    x x x

    eventuell elektrophysiologische Untersuchung x x x x

    Lungenfunktionsprüfung bei Symptomatik x

    Sonographie des Abdomens: Lebergröße und -

    struktur, Milzgröße, Nierengröße und Nieren-

    parenchymstruktur, Restharnvolumen, Aszites

    x x x x

    Nervenleitgeschwindigkeit abhängig von der

    Symptomatik

    x x x

    Augenspiegeluntersuchung im polarisierten Licht x x

    Myographie abhängig von der Symptomatik x x x

    Spezielle Diagnostik

    Molekulargentik x x x

  • S 52 Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    Körperliche Untersuchung (ausgewählte diagnostische Hinwei-se): Bestimmung des Performance-Status nach WHO, Bestim-mung des Ernährungsstatus inklusive BMI, posturale Hypotonie,Hautveränderungen (subkutane Blutungen), Blutungsneigung,Nageldystrophie, Haarwuchsstörung, Beinödeme, Anasarka, Ju-gularvenenfüllung, Herzauskultationsbefunde, Aszites, Pleura-ergüsse, Hepatomegalie, Splenomegalie, Lymphknotenvergröße-rung, Makroglossie, submentale Weichteilschwellung, Polyneu-ropathiezeichen, Polyneuropathiegang.

    Laboruntersuchungen und apparative Untersuchungen: siehe Tab. 4

    Diagnostische Kriterien für das Vorliegen einer Organbeteili-gung bei AL Amyloidose [59]: Kardiale Beteiligung ist wahr-scheinlich, wenn in der Echokardiographie die Septumdickeoder die Hinterwanddicke von mehr als 11 mm in Abwesenheiteiner hypertensiven oder valvulären Herzerkrankung gefundenwird und/oder wenn im Elektrokardiogramm eine Niedervolta-ge von < 0,5 mV in den Brustwandableitungen vorliegt.

    Renale Beteiligung ist wahrscheinlich bei Vorliegen einer Prote-inausscheidung im Urin von mehr als > 500 mg/Tag. Bei der ALAmyloidose besteht die Proteinurie, im Gegensatz zum Multip-len Myelom, hauptsächlich aus Albumin und ggf. einem gerin-gen Anteil an Bence-Jones-Protein. Periphere Ödeme oder Se-rumkreatinin von mehr als 2 mg/dl in Abwesenheit einer ande-ren Nierenerkrankung deuten auf eine Nierenbeteiligung hin,wenn AL Amyloidose bereits in einem anderen Organ diagnosti-ziert wurde.

    Eine Hepatomegalie (>15 cm in der MCL) ohne eine Herzinsuffi-zienz und/oder eine Erhöhung der alkalische Phosphatase aufmehr als das 1,5fache der oberen Normgrenze machen eine ALAmyloidose der Leber wahrscheinlich.

    Auf eine gastrointestinale Beteiligung können Diarrhoen und/oder ein ungewollter Gewichtsverlust von mehr als 10% desKörpergewichts hinweisen.

    Eine neurologische Beteiligung ist wahrscheinlich bei Zeicheneiner distal betonten sensomotorischen Polyneuropathie oderbei Zeichen einer autonomen Polyneuropathie, insbesonderewenn orthostatische Hypotension, Störung der Herzfrequenzva-riabilität, Herzfrequenzstarre, Magenentleerungsstörung mitVöllegefühl und Übelkeit, chronische Diarrhoe, Harnblasenent-leerungsstörung oder erektile Dysfunktion vorliegt.

    5.3 Prozedere bei Verdacht auf hereditäre AmyloidoseAuf dem Boden eines klinischen Verdachts ist auch bei den he-reditären Formen zwingend der Nachweis des Amyloids aus Ge-weben zur Diagnosesicherung zu führen, selbst dann, wenneine positive Familienanamnese vorliegt. Bei Erstdiagnose ist imFalle eines Amyloidnachweises die weitere Typisierung erfor-derlich. Wird ein Amyloidprotein identifiziert, das einer heredi-tären Amyloidose zugeordnet werden kann, sollte diese durcheine sorgfältige Familienanamnese geprüft werden. Eine unauf-fällige Familienanamnese schließt eine hereditäre Amyloidosenicht aus. Die zu Grunde liegende Mutation kann molekularbio-logisch gesichert werden. Sollte wie beim Transthyretin ursäch-lich eine Proteinvariante festgestellt werden, die im Wesentli-chen durch die Leber synthetisiert wird, gibt es die Option der

    Lebertransplantation. Hierfür ist jedoch zur Bestätigung derGenmutation die weitere proteinchemische und/oder geneti-sche Abklärung eine zwingende Voraussetzung.

    Bei bekannter familiärer Amyloidose ist eine präsymptomati-sche und pränatale Diagnostik genetisch möglich. Da die Erst-symptomatik in der Regel erst im Erwachsenenalter auftritt undweiterhin die symptomatische Therapie neben der Lebertrans-plantation lediglich als Optionen vorhanden sind, kann einScreening auf genetisch betroffene Personen in Familien vonidentifizierten Genträgern auf individueller Basis z.B. ab 18 Jah-ren empfohlen werden.

    6 Diagnostik – Histologische Untersuchungsverfahren 5

    Per definitionem kann Amyloid nur morphologisch diagnosti-ziert werden. Es gibt bislang keinen klinischen, serologischenoder radiologischen Test, der die histologische Untersuchung ei-ner Gewebeprobe ersetzt.

    6.1 Die KongorotfärbungDie Kongorotfärbung gilt als Goldstandard für den Nachweis desAmyloids. Puchtlers Kongorotfärbung in Verbindung mit der Po-larisationsmikroskopie ist hochspezifisch für den Nachweis desAmyloids [164]. Es hat jedoch eine begrenzte Sensitivität.Kleinste Amyloidablagerungen werden leicht übersehen. DieSensitivität lässt sich durch Anfertigen dickerer Paraffinschnittesteigern (5–10 µm anstatt der 2–5 µm dicken Schnitte). Diekongorotgefärbten Schnittpräparate können auch im Fluores-zenzmikroskop ausgewertet werden: Amyloid weist eine gelb-orange Fluoreszenzfarbe auf [120]. Es muss jedoch ausdrücklichangemerkt werden, dass die Fluoreszenz nicht spezifisch ist undeine grüne Polarisationsfarbe im polarisierten Licht gesuchtwerden muss.

    6.2 ElektronenmikroskopieElektronenmikroskopisch besteht Amyloid aus starren, nicht-verzweigten Mikrofibrillen variabler Länge, mit einem Quer-durchmesser von 10 nm. Der Nachweis extrazellulärer Mikrofi-brillen wurde lange als diagnostisch für Amyloid gewertet. In-zwischen ist bekannt, dass eine Reihe von Erkrankungen mit bi-ochemisch unterschiedlichen Ablagerungen von Mikrofibrilleneinhergehen [110]. Einige dieser Erkrankungen weisen Ähnlich-keiten mit „typischen“ Amyloidfibrillen auf. Die Kongorotfär-bung und der immunhistologische Nachweis von Amyloid P-component erlauben die Unterscheidung zwischen Amyloidund anderen, nicht-amyloidogenen Fibrillopathien [110].

    6.3 Fettaspirationsbiopsie (FAB)Die Diagnose Amyloid kann prinzipiell an jedem amyloidhalti-gen Gewebe gestellt werden. Hierzu eignet sich u.a. die Fettas-pirationsbiopsie (FAB) [219]. Subkutanes Fettgewebe wird mitHilfe einer Einmalspritze und einer Kanüle mit einem Innen-durchmesser von 0,7–1,2 mm aspiriert, auf einem Glasobjekt-träger ausgestrichen, getrocknet und mit Kongorot gefärbt. EineLokalanästhesie ist i.d.R. nicht erforderlich. Es sollte darauf ge-achtet werden, dass auch wirklich Fettgewebsfragmente ge-fasst werden und nicht nur „Fettaugen“. Die FAB wird meistensvon der Bauchdecke entnommen. Für den Nachweis von Amy-loid ist die FAB eine einfache Methode. Man benötigt keine spe-zielle apparative Ausstattung und kann eine Probe unter ambu-

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    lanten Bedingungen gewinnen. Auch wiederholte Probeent-nahmen sind möglich. Die FAB birgt bei korrekter Anwendunglediglich die Gefahr eines Hämatoms und ist gerade für denEinsatz im pädiatrischen Krankengut wegen seiner geringenKomplikationsrate besonders geeignet. Amyloid wurde mit ei-ner Inzidenz von 6–11% in FABs nachgewiesen [10, 39, 58, 125].Die FAB ist somit nicht als genereller Screeningtest geeignet[58, 111]. Der große Vorzug der FAB liegt in ihrem prädiktivenWert (nahezu 100%) für das Vorliegen einer systemischenAmyloidose. Die FAB kann auch dann noch eingesetzt werden,wenn die Leber- oder Nierenbiopsie wegen eines zu hohenKomplikationsrisikos schon kontraindiziert ist. Nachteilig ist,dass die FAB eine geringere Sensitivität aufweist als die Nieren-und Rektumbiopsie. Studien mit angemessenen Kontrollenwiesen der FAB eine Sensitivität für das Vorliegen einer syste-mischen Amyloidose von 35–84% zu. Die Sensitivität der FABhängt dabei von der Menge des gewonnenen Gewebes ab. Ver-schiedene Amyloidtypen ließen sich bislang mit der FAB nach-weisen. Hierzu zählen die AA-, AApo AI-, AApoAII- [224], AFib-[209], AL-, ALys- [153] und ATTR Amyloidose. Bestimmte For-men systemischer Amyloidosen scheinen dem Nachweis zuentgehen, wie z.B. das Aβ2M-Amyloid [145, 214] und die mitdem familiären Mittelmeerfieber einhergehende AA Amyloido-se [205]. Das mit einer FAB gewonnene Material kann auchelektronen- und immunelektronenmikroskopisch untersuchtwerden [11]. Es gestattet den Einsatz der Immunhistologie, Im-mundiffusion [218], des enzymgekoppelten Immunabsorpti-onsassays [83, 144, 145], der Gelelektrophorese und des Wes-tern Blots [103]. Die begrenzte Anzahl an Objektträgern, diemit einer FAB gewonnen werden kann, begrenzt den Einsatzvon Zusatzuntersuchungen, wie z.B. der Immunhistologie.

    6.4 Biopsien aus der Mundhöhle und dem Gastrointesti-naltraktFür den Nachweis von Amyloid bieten sich auch Biopsate ausder Mundhöhle und dem Gastrointestinaltrakt an. Die Biopsieder Gingiva [32, 114] und kleinen Speicheldrüsen [31, 32, 48, 49]benötigt kein Endoskopiebesteck. Dahingegen benötigt man fürdie Biopsie der Magen-, Dünndarm-, Dickdarm- und Rektum-schleimhaut wahlweise ein starres oder flexibles Endoskopie-besteck. Bezüglich der Sensitivität des Amyloidnachweises lie-gen Magen-, Duodenum- und Rektumbiopsien höher als dieFAB. Weiterhin sind umfangreichere immunhistologische Un-tersuchungen möglich [20, 48, 111]. Amyloid liegt vaskulär undinterstitiell vor und kann in allen Schichten der Magen-Darm-wand auftreten. Amyloid findet sich dabei häufiger in der Sub-mukosa als in der Muscularis mucosae und Mukosa[168, 169, 222]. Die Rektumbiopsie ist ein Standardverfahren fürden Nachweis von Amyloid [55]. Die Sensitvität des Nachweisesschwankt von 69–97% und wird maßgeblich von der Menge desgewonnenen Biopsates beeinflusst [2, 48, 65, 106, 114]. Es ist inbis zu 60% der Fälle mit einem falsch negativen Nachweis zurechnen, wenn die Submukosa nicht enthalten ist [169]. Amylo-id lässt sich auch in Biopsaten des Magens und Duodenumsnachweisen. Bei ca. 7–13,3% der Patienten mit einer rheumatoi-den Arthritis wird hier Amyloid abgelagert [107, 111].

    6.5 Die Suralnerv- und MuskelbiopsieZur Abklärung einer amyloidinduzierten peripheren Neuropa-thie werden häufig Suralnervbiopsien eingesetzt. Amyloid fin-det sich in etwa 1,2% aller Suralnervbiopsate, die zur Untersu-chung einer peripheren Neuropathie entnommen worden sind

    [166]. Amyloid zeigt sich in Gefäßwänden und interstitiell imEndoneurium, Perineurium und Epineurium [94, 97, 166, 188].Es kann in etwa einem Drittel der Fälle mit einem Verlust dermyelinisierten Axone, axonaler Degeneration und einem chro-nischen Entzündungsinfiltrat verknüpft sein [97, 166]. Die Amy-loidproteine können sich bei den familiären Polyneuropathienvon z.B. TTR, ApoA-I oder Gelsolin ableiten. Systemische AA-[94] und AL Amyloidosen [94, 97] manifestieren sich auch anden peripheren Nerven: An einer peripheren Neuropathie lei-den 15–35% der Patienten mit einer systemischen AL Amyloido-se. Bislang liegt jedoch keine systematische Studie vor, die dieSensitivität der Suralnervbiopsie in der Erkennung einer Amylo-idpoylneuropathie untersucht hat. Simmons et al. [188] berich-ten von sechs Fällen amyloidassoziierter peripherer Neuropa-

    Tab. 5 Empfehlungen zur Therapie der AA Amyloidose bei entzündlich-rheu-matischen Erkrankungen.

    Therapie Dosierung Evidenz-

    grad

    Klasse der

    Empfehlung

    Chlorambucil in vielen Fällen

    effektiv

    0,04 – 0,2 mg/kg KG/d IIb B

    Cyclophosphamid mit oder

    ohne Cortison in vielen Fällen

    effektiv

    20 mg – 100 mg/Tag IIb B

    MTX in vielen Fällen effektiv

    bei normaler Nierenfunktion

    7,5 mg – 15 mg/Wo. IIb C

    TNF-α-Blocker-Therapie in vielen Fällen effektiv

    Übliche Standarddosis

    IIb B

    Etanercept 2 x 25 mg/Wo. IIb B

    Infliximab 3 mg/kg/KG, nach

    Erstinfusion 2 und 6

    Wo., danach alle 8 Wo.

    IIb B

    Für Azathioprin und Colchicin

    liegen keine ausreichenden,

    sicheren Studienergebnisse vor

    III C

    Cortisonmonotherapie zur

    Behandlung der AA Amyloidose

    nicht geeignet; Low-dose-Corti-

    sontherapie als zusätzliche

    Maßnahme zur raschen Reduk-

    tion hoher Krankheitsaktivität

    empfehlenswert

    III C

    Unterstützende Maßnahmen

    bei Nephrotischem Syndrom:

    Schleifendiuretika,

    Salzrestriktion

    Arteriellem Hypertonus:

    Einsatz nephroprotektiver

    Substanzen

    ACE-Hemmer

    AT1-Rezeptor-Antagonisten

    III C

    Bei terminaler Niereninsuffizi-

    enz wird ein Dialyseverfahren

    empfohlen

    IIb B

    Eine Nierentransplantation

    sollte von Fall zu Fall erwogen

    werden

    IIb B

  • S 54 Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    thien, bei denen das initiale Biopsat kein Amyloid nachwies.Wie bei allen anderen Biopsieverfahren unterliegt auch die Su-ralnervbiopsie der Gefahr eines Probensammelfehlers.

    Amyloid kann auch in einem Muskelbiopsat nachgewiesen wer-den. Prayson fand Amyloid in 16 von 3937 untersuchten Mus-kelbiopsaten (0,004%) [161]. Amyloid findet sich wiederum inden Gefäßwänden, sowie im Peri- und Endomysium. Der Nach-weis von Amyloid kann mit einer neurogenen Atrophie und sel-tener mit verstreuten degenerierten Muskelfasern und einemchronischen Entzündungsinfiltrat vergesellschaftet sein [161].Der gleichzeitige Nachweis von Amyloid im Nerven und Muskelist beschrieben worden [161, 166].

    6.6 NierenbiopsieAmyloid wird in etwa 0,002–8,4% der Nierenbiopsate nachge-wiesen [25, 48, 176, 207]. Bei nicht-diabetischen Erwachsenenmit nephrotischem Syndrom findet sich Amyloid als Ursache inimmerhin 12% der Biopsate [22]. Amyloid liegt als glomeruläre,tubulointerstitielle und vaskuläre Ablagerungen vor. Jede Formeiner systemischen Amyloidose kann die Niere befallen. DieNierenbiopsie ist außerdem die sensitivste Methode zum Nach-weis einer nicht-neuropathischen hereditären Amyloidose. Diemeisten Nierenamyloidosen sind jedoch auf eine AA- oder ALAmyloidose zurückzuführen. Bei der systemischen AA- und ALAmyloidose ist die Niere nahezu immer betroffen [62]. Nierena-myloid findet sich bei 19–30% der Patienten mit rheumatoiderArthritis und pathologischem Urinbefund und/oder Nierenin-suffizienz [85, 140]. In einer fortlaufenden, nichtselektierten Au-topsieserie fand sich renales AA Amyloid mit einer Prävalenzvon 0,86% [122].

    6.7 ZytologieAmyloid kann auch an zytologischen Präparaten diagnostiziertwerden [78, 79]. Die Kongorotfärbung kann auf zytologischeProben angewendet werden. Wiederum ist der Nachweis dergrünen Polarisationsfarbe gefordert [77, 79]. Bislang liegen je-doch keine systematischen Studien vor, die die Sensitivität inausreichendem Maße hinterfragt haben.

    6.8 Weitere GewebeAmyloid kann an jeder amyloidhaltigen Gewebeprobe diagnos-tiziert werden. In der Tat gibt es keinen Gewebetyp und kein Or-gan, in dem Amyloid nicht auftreten kann. Im Einzelfall ist esdie Aufgabe des Pathologen und Klinikers, die Bedeutung desnachgewiesenen Amyloids abzuklären. Es muss überpüft wer-den, ob es sich um eine lokale oder systemische Erkrankunghandelt. Es muss die Grunderkankung eruiert werden (z.B. Plas-mozytom bei AL Amyloidose; ggf. genomische Mutation zumNachweis einer hereditären Amyloidose), um dann weitere dia-gnostische und therapeutische Konsequenzen ableiten zu kön-nen. Man muss sich auch darüber im klaren sein, dass nicht alleAmyloidablagerungen klinisch relevant sind. Als Faustregel soll-te man sich merken, dass Amyloid in FABs, Biopsaten aus demGastrointestinaltrakt, Herzen (ausgenommen Herzvorhöfe) undden parenchymatösen Organen (Leber, Lunge, Milz, Niere) biszum Beweis des Gegenteils als eine systemische Erkrankung an-gesehen werden muss.

    6.9 Lokales tumorartiges AmyloidIm Gegensatz zu den meisten lokalen Amyloidablagerungen(Tab. 2), die nur mikroskopisch fassbar sind, können in einigenOrganen größere knotige, klinisch relevante Amyloidmassenmit makroskopisch tumorartigem Aspekt vorkommen. Es han-delt sich dabei meistens um AL Amyloidosen. Dabei sollte danngezielt nach einem, möglicherwiese auch extraossär gelegenenPlasmozytom gesucht werden. Zur Sicherung der Diagnose ei-ner lokalen AL Amyloidose sollte das Vorliegen einer systemi-schen AL Amyloidose ausgeschlossen werden.

    Lokale Amyloidosen können sich in der Haut befinden [221],wobei im weiteren Verlauf Übergänge in eine generalisierteAmyloidose vorkommen. Sie können im Kehlkopf [69] sowie inder Lunge bzw. der Trachea [157, 201, 211] zu finden sein, wobeiAssoziationen mit Asbestbelastungen beschrieben wurden [91].Selten finden sich isolierte Amyloidtumoren im Knochen, wo sieals Folge eines solitären Plasmozytoms [150] entstehen, ohnedass daraus eine generalisierte Amyloidose werden muss. Sel-ten liegen sie auch in der Harnblase [117] oder im Nierenbecken[56], in der Mamma [118], in der Parotis [215] oder in einem pe-ripheren Nerv [158]. Auch in der Cervix uteri können Amyloid-tumoren sich entwickeln [223], wobei diese dann aber von lo-kalem Amyloid zu trennen sind, das als Keratin-Abkömmlingsich in einem Plattenepithelkarzinom entwickeln kann [71].

    7 Klassifikation 5

    Nachdem Amyloid diagnostiziert worden ist, muss es klassifi-ziert werden, d.h. das abgelagerte Amyloidprotein muss identi-fiziert werden (Tab. 2) [169]. Damit kann die zu Grunde liegen-de Erkrankung zugeordnet und die klinische Relevanz abge-schätzt werden. Es gibt keine verlässlichen histomorphologi-schen Kriterien, die es erlauben, die 26 verschiedenenAmyloidproteine und fast 30 verschiedenen Amyloidosen von-einander zu unterscheiden. Die früher gebräuchliche Unter-scheidung in Kaliumpermanganat-resistente und -nichtresis-tente Formen ist angesichts der Vielfalt der Amyloidproteineverlassen worden. Auch die Unterteilung in periretikuläre undperikollagenäre Amyloidablagerungen reicht bei weitem nichtmehr aus [86]. Es sind eine ganze Reihe spezifischerer Metho-den entwickelt worden, die eine Identifikation des Amyloidpro-teins erlauben. Hierzu zählen die Immunhistologie, der WesternBlot, ELISA und die Aminosäurensequenzierung aufgereinigterAmyloidproteine. Jede dieser Methoden hat Vor- und Nachteile.

    7.1 Immunhistologische VerfahrenIn zahlreichen Studien ist der Nutzen der Immunhistologie undImmunelektronenmikroskopie für die Klassifikation des Amylo-ids belegt worden [169]. Da jedoch die Zahl der Amyloidprotei-ne stetig gestiegen ist, stellt sich die Frage nach ihrer Relevanzfür die klinische Pathologie. Viele Amyloidproteine treten nurstreng lokal auf. Es ist nicht sinnvoll, diese Amyloidproteine beieiner systemischen Amyloidose zu überprüfen (Tab. 2). Wieder-um kann als eine Faustregel definiert werden, dass die häufigs-ten potenziell systemisch auftretenden Amyloidosen ausgetes-tet werden sollten. Hierzu zählen das AA-, AApoAI-, AFib-, AL-,ALys- und ATTR Amyloid. Weiterhin empfehlen wir eine im-munhistologische Färbung mit gegen Amyloid P-component ge-richteten Antikörpern. Diese Immunreaktion hilft bei der Zu-ordnung des Amyloids in immunhistologisch gefärbten Schnit-

  • S 55Konsensus | Review article

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    ten und bei der Unterscheidung der Leicht- und Schwerkettena-blagerungskrankheit von Amyloid. Die immunhistologischeKlassifikation des Amyloids sollte durch erfahrene Pathologenerfolgen.

    7.2 Proteinbiochemische VerfahrenDie zweifelsfreie Identifizierung des Amyloidproteins gelingtnur mit biochemischen Verfahren. Das Amyloidprotein mussaus dem Gewebe extrahiert und seine Primärstruktur sequen-ziert werden. In den meisten Fällen werden biochemische Ver-fahren zum Erfolg führen, sind jedoch bislang nicht für die klini-sche Routinediagnostik einsetzbar.

    7.3 Molekularbiologische VerfahrenEine hereditäre Amyloidose sollte nach immunhistochemi-schem Nachweis des abgelagerten Proteins durch direktes Se-quenzieren auf genetischer Ebene abgeklärt werden. Nach derIdentifikation des Amyloidproteins und der genetischen Mutati-onsdiagnostik ist eine humangenetische Beratung erforderlich.Eine ausschließliche molekularbiologische Untersuchung ohnemorphologisches oder proteinbiochemisches Korrelat für dasVorliegen einer Amyloidose sollte mit äußerster Vorsicht gewer-tet werden. Der Nachweis einer genomischen Mutation in ei-nem ein Amyloidvorläuferprotein kodierenden Gen ist kein Be-weis für das Vorliegen einer hereditären Amyloidose. Stets istzuerst der Nachweis des Amyloids an einem Biopsat oder Re-sektat zu führen. Generell sollte bei hereditären Amyloiderkran-kungen insbesondere in Anbetracht der möglichen therapeuti-schen Interventionen inklusive Organtransplantation eine gene-tische Diagnose erfolgen.

    8 Therapie 5

    8.1 Therapie der AA Amyloidose bei entzündlich-rheu-matischen Erkrankungen (Tab. 5)Haupttherapieziel bei der AA Amyloidose ist die Synthesehem-mung und Unterdrückung des Amyloidvorläuferproteins SAA.Grundsätzlich gilt, dass eine Substanz, die die Aktivität derGrunderkrankung reduziert bzw. in Remission führt, auch effek-tiv in der Behandlung der AA Amyloidose ist. Bei den entzünd-lich-rheumatischen Erkrankungen sind dies die DMARDs (Di-sease Modifying Anti-Rheumatic Drugs). Um eine rasche Unter-drückung der Krankheitsaktivität zu erreichen, müssen deshalbsehr potente DMARDs mit sehr schnellem Wirkungseintritt ein-gesetzt werden. Bei den über die Literaturrecherche identifi-zierten Publikationen zur Behandlung der AA Amyloidose beientzündlich-rheumatischen Erkrankungen handelt es sich miteiner Ausnahme um offene Studien, nur z.T. kontrolliert, undum Kasuistiken. Metaanalysen fehlen völlig. Die Vergleichbar-keit der Studienergebnisse ist aufgrund der Verschiedenartig-keit der verwendeten Zielkriterien stark eingeschränkt.

    8.1.1 Alkylanzien Insgesamt wurden 12 Publikationen bewer-tet. Eine randomisierte Studie und zwei offene, kontrollierteStudien [2, 23, 28] belegen eindeutig die Wirksamkeit von Chlo-rambucil und Cyclophosphamid gegenüber unbehandeltenKontrollgruppen zur Therapie der AA Amyloidose. Auch mehre-re offene, nicht kontrollierte Studien sowie Kasuistiken zeigenähnliche Ergebnisse [12, 15, 18, 123, 134, 139]. Die 5-Jahres-Überlebensrate wurde bei Kindern unter Chlorambucil mit100% und bei Erwachsenen unter Chlorambucil oder Cyclophos-

    phamid mit 89%, eine 10-Jahres-Überlebensrate mit 86% ange-geben. Die Rate an Therapieversagen i.S. einer terminalen Nie-reninsuffizienz liegt zwischen 6,7 und 33% und Todesfälle zwi-schen 7 und 41%, wobei die unterschiedlich lange Beobach-tungszeit hierbei berücksichtigt werden muss. Welche Substanzunter den Alkylanzien die AA Amyloidose effektiver beeinflus-sen kann, muss offenbleiben.

    Wenig detaillierte Angaben finden sich in diesen Publikationenüber Nebenwirkungen. Chlorambucil kann besonders zuschwerwiegenden hämatologischen Komplikationen führen. Indiesen Studien sind Leukopenien mit 75% und eine letaleThrombozytopenie beschrieben worden. Keine Angaben findensich über ein erhöhtes Malignom-Risiko, wie das Blasenkarzi-nom unter Cyclophosphamid. Bei Kindern und Jugendlichen istdie Infertilität besonders problematisch [30]. Langzeitbeobach-tungen unter Chlorambucil oder Cyclophosphamid hatten erge-ben, dass keiner der männlichen Patienten Vater geworden war[180]. Die Inzidenz dieser Nebenwirkungen ist nicht exakt be-kannt. Trotz Therapieversagen und Toxizität gelten auch heutenoch die Alkylanzien als Standardtherapie zur Behandlung derAA Amyloidose im Rahmen entzündlich-rheumatischer Erkran-kungen.

    Tab. 6 Empfehlungen zur Therapie der systemischen AL Amyloidose.

    Therapie Dosierung Evidenz-

    grad

    Klasse der

    Empfehlung

    Melphalan

    Prednison

    (MP nach [4])

    8 mg/m2 Prednison

    60 mg/m2

    Tag 1–4

    alle 28 Tage

    Ib A

    Melphalan

    Dexamethason

    (M-Dex nach [148])

    8 mg/m2

    40 mg Tag 1–4

    alle 28 Tage

    IIa B

    Vincristin

    Adriamycin

    Dexamethason

    (VAD nach

    [13, 72, 155, 184])

    1,6 mg/96 Std

    36 mg/m2/96 Std

    40 mg

    Tag 1–4, 9–12, 17–20

    alle 28 Tage

    IIb B

    Dexamethason

    (Dex nach [33, 66])

    40 mg

    Tag 1–4, 9–12, 17–20

    alle 35 Tage

    IIa B

    Hochdosis Melpha-

    lan (HDM) und

    autologe Stammzell-

    transplantation

    (ASCT) (nach

    [27, 189])

    HDM 100–140–200 mg/m2

    ASTC > 2,0 x 106 CD34+/kg

    IIa B

    Thalidomid

    (nach [37])

    Dexamethason

    (Thal-Dex nach

    [149])

    100 mg/d Steigerung auf

    400 mg/Tag

    20 mg Tag 1–4

    alle 21 Tage

    IIa B

    Bortezomib

    Ergenisse sind

    abzuwarten

    klinische Studien IV C

  • S 56 Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    Die schwerwiegenden Nebenwirkungen und auch die Therapie-versager unter den Alkylanzien erfordern deshalb alternativeTherapien.

    8.1.2 Methotrexat Wenige Veröffentlichungen finden sichüber Methotrexat zur Behandlung der AA Amyloidose[3, 43, 50, 60]. Die geringe Zahl an Publikationen ist nicht zuletztauf den Umstand zurückzuführen, dass bei der aktiven rheuma-toiden Arthritis und anderen entzündlich-rheumatischen Er-krankungen Methotrexat das Mittel der 1. Wahl ist und dass beiPatienten mit einer AA Amyloidose dieses Medikament meistschon ausgeschöpft ist. Dennoch gibt es Krankheitsfälle ohneEinsatz dieser Substanz. Zwei Grupppen [43, 50] analysiertendie Resultate der Methotrexat-Therapie auf die Beeinflussungder Aktivität der Grunderkrankung und der klinischen Zeichender Nierenamyloidose in Abhängigkeit vom Serumkreatinin-Wert. Sofern eine weitgehend normale Nierenfunktion vorliegt,kann unter dieser Therapie eine deutliche Regredienz der klini-schen Zeichen der AA Amyloidose eintreten. Bei einem Kreati-nin ≥2 mg/dl ist kein positiver Effekt mehr zu erwarten. DerVersuch einer Methotrexat-Therapie ist bei normwertigem Kre-atinin durchaus vor Einsatz der Alkylanzien gerechtfertigt.

    8.1.3 TNF-α-Blocker In Deutschland sind seit Herbst 1999 dieTNF-α-Blocker Infliximab und Etanercept, seit 2003 auch Adali-mumab zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis zugelassen.Sieben Publikationen zur Behandlung der AA Amyloidose konn-ten identifiziert werden. Neben 4 Kasuistiken mit insgesamtgünstigem Effekt [40, 181, 190, 216] sind 3 offene, prospektiveStudien, nicht randomisiert und nicht kontrolliert [73, 146, 206],erschienen. Bei einem Kreatinin von 1,7±0,4 mg/dl wurde in ei-ner Studie [206] ein Rückgang der Krankheitsaktivität und derklinischen Zeichen der Nierenamyloidose nachgewiesen. In denzwei anderen Studien [73, 146, 206] mit 6 bzw. 15 Patientenkommt es nur in der Hälfte der Fälle zu einer positiven Beein-flussung der genannten Kriterien. Zu berücksichtigen ist, dassbei diesen drei Studien bereits zu Beginn der TNF-α-Blocker-Therapie eine eingeschränkte Nierenfunktion bestand. Die Beo-bachtungszeit bei diesen Substanzen ist erwartungsgemäßnoch recht kurz.

    8.1.4 Azathioprin und Colchicin Vereinzelt finden sich Publika-tionen [100, 185] über Azathioprin zur Behandlung der AA Amy-loidose bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Wäh-rend in einer Kasuistik [185] eine Remission der klinischen Zei-chen der AA Amyloidose unter der Azathioprin-Therapie beob-achtet wurde, wird in einer offenen retrospektiven,kontrollierten Studie [100] ein sehr schlechtes Ergebnis, ver-gleichbar mit der unbehandelten Kontrollgruppe, nachgewie-sen.

    Drei Kasuistiken [45, 46, 101] beschreiben unter einer Colchicin-Therapie in einem Fall in Kombination mit Sulfasalazin einenpositiven Effekt auf den Verlauf der AA Amyloidose.

    Aufgrund jedoch der spärlichen Datenlage kann eine Therapiemit Azathioprin und Colchicin zur Behandlung der AA Amyloi-dose bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen nicht emp-fohlen werden. Grundsätzlich anders ist dies beim familiärenMittelmeerfieber mit und ohne einer begleitenden AA Amyloi-dose. Hier stellt Colchicin die Standardtherapie dar (siehe ent-sprechenden Abschnitt).

    8.1.5 Cortison Der Einsatz einer Cortisontherapie wird kontro-vers diskutiert. Wenngleich in einer Kasuistik [126] unter eineralleinigen Cortisontherapie (initial 40 mg Prednisolon mit Re-duktion im Verlauf) die klinischen Zeichen der AA Amyloidoserückläufig waren, so ist die Monocortisontherapie zur Behand-lung der AA Amyloidose üblicherweise nicht geeignet. Eineniedrigdosierte Cortisontherapie aber als zusätzliche Maßnah-me zur raschen Reduktion hoher Krankheitsaktivität ist durch-aus empfehlenswert [60, 82].

    8.1.6 Unterstützende Maßnahmen Unterstützende Maßnah-men sind beim nephrotischen Syndrom Schleifendiuretika so-wie Salzrestriktion, beim arteriellen Hypertonus der Einsatz ne-phroprotektiver Substanzen, wie ACE-Hemmer und auch AT1-Rezeptor-Antagonisten [34, 82, 142, 154, 170, 171, 176].

    8.1.7 Dialyse und Nierentransplantation Im Falle einer termi-nalen Niereninsuffizienz werden auch bei der AA Amyloidoseim Rahmen entzündlich-rheumatischer Erkrankungen Dialyse-verfahren und die Nierentransplantation eingesetzt. Die 5-Jah-res-Überlebensrate beträgt bei den Dialyseverfahren nach eineroffenen retrospektiven Studie 30% [133].

    Keine Unterschiede sind bezüglich der Überlebensrate bei ver-schiedenen Amyloidosetypen und bezüglich verschiedener Dia-lyseverfahren nachweisbar. Die Zahl der Todesfälle ist beson-ders am Anfang der Dialyse sehr hoch. Die Infektionsrate mit38% als Todesursache ist bei der AA Amyloidose bei entzünd-lich-rheumatischen Erkrankungen höher im Vergleich zu ande-ren Grunderkrankungen.

    In einer offenen kontrollierten Studie aus dem Jahr 1986 [151]werden die Ergebnisse der Nierentransplantation in Abhängig-keit von der zugrundeliegenden Erkrankung verglichen. Die 3Jahres-Überlebensrate wird bei der Amyloidose nur mit 51%, beianderen zugrundeliegenden Erkrankungen mit 79% angegeben.Zwei weitere offene Studien aus dem Jahr 1992 [81, 225] habeneine 3- bzw. 5-Jahres-Überlebensrate von 62% bzw. sogar von65% ermittelt. Infektionen sind in 61% der Fälle die Todesursa-che, im ersten Jahr sogar in 75% [81]. Das Auftreten von Amyloi-dablagerungen in der transplantierten Niere ist in 13 bzw. 14%nach einer Zeitspanne zwischen 11 und 216 Monaten nachge-wiesen worden.

    8.2 Therapie der AL AmyloidoseDie Behandlung der AL Amyloidose sollte immer interdiszipli-när erfolgen. Die Therapiestrategien können je nach Ausmaßund Lokalisation des Befalls sehr unterschiedlich sein. Die loka-lisierte Amyloidose wird primär lokal, vorzugsweise chirurgischmittels Exzision oder Lasertherapie behandelt. Der lokalisierteBefall der Haut, der Schleimhaut, des Nasopharynx und der Tra-chea ist selten. Der Befall weiterer Organe sollte bei Verdachtauf isolierte lokale AL Amyloidose sehr sorgfälltig ausgeschlos-sen werden. Die lokale Amyloidose kann zwar zu lokalen Rezi-diven neigen, hat aber generell eine sehr gute Prognose.

    Die kausale Behandlung der generalisierten AL Amyloidose be-steht in der systemischen Chemotherapie zur Remissionsinduk-tion der Plasmazellerkrankung. Abhängig vom Alter und Allge-meinzustand des Patienten sowie vom Ausmaß des Organbe-falls stehen als Alternativen für die initiale Therapie der Erkran-kung sowohl standarddosierte Chemotherapieschemata als

  • S 57Konsensus | Review article

    Dtsch Med Wochenschr 2006; 131: 45–66 · C. Röcken et al., Interdisziplinäre Leitlinien zur …

    auch die Hochdosischemotherapie mit Melphalan und autolo-ger Stammzelltransplantation zur Auswahl (siehe unten undTab. 6). Bei jüngeren Patienten mit isoliertem Organbefall (ins-besondere kardialem Befall) sollte die Organtransplantation(speziell Herztransplantation) interdisziplinär diskutiert wer-den. Im Falle eines Rezidivs nach der Primärtherapie könnenverschiedene konventionell dosierte Therapieschemata einge-setzt werden. In geeigneten Fällen kann auch die erneute Hoch-dosis-Chemotherapie mit autologer Stammzelltransplantationindiziert sein.

    8.2.1 Melphalan/Prednisolon (MP) Als herkömmliche Thera-pie gilt die Behandlung mit oralem Melphalan (8 mg/m2) undPrednison (60 mg/m2) für 4 Tage wiederholt alle 28 Tage [4] mitinsgesamt 6 Zyklen. Durch diese Behandlung kann bei 28–30%der Patienten ein hämatologisches Ansprechen erreicht werden[112]. Die mediane Überlebenszeit konnte in einer Phase-III-Studie durch die Behandlung mit MP auf 18 Monate verlängertwerden [112]. Die Behandlung mit MP kann länger als 6 Monate,zum Beispiel als Erhaltungstherapie bei Patienten mit gutemAnsprechen gegeben werden. Die MP-Therapie wird vor allemfür Patienten gewählt, die für die Hochdosis-Chemotherapie mitMelphalan wegen ihres Alters (>65 Jahre), wegen eines schlech-ten Allgemeinzustandes (WHO >3) oder des Ausmaßes der Or-ganbeteiligung nicht in Frage kommen.

    8.2.2 Melphalan/Dexamethason (M-Dex) Als Alternative zuMP wurde vor kurzem in einer Phase-II-Studie die Behandlungmit 6 Zyklen oralem Melphalan (8 mg/m2) und Dexamethason(40 mg tgl. an 4 Tagen) wiederholt alle 28 Tage untersucht[148]. Es konnte ein hämatologisches Ansprechen der Plasma-zellerkrankung bei 67% der behandelten Patienten erreicht wer-den, 33% erreichten eine komplette hämatologische Remission[148]. Bei 48% der Patienten zeigte sich eine Besserung der Or-ganfunktionen. Während der gesamten Therapie wurde die Pro-phylaxe mit Ciprofloxacin und Itraconazol durchgeführt.

    8.2.3 Vincristin, Adriamycin und Dexamethason (VAD) Durchdie VAD Chemotherapie mit kontinuierlicher Infusion von Vin-cristin 1,6 mg und Adriamycin 36 mg/m2 über 96 Stunden undoralem Dexamethason 40 mg an den Tagen 1–4, 9–12 und 17–20 [13] kann ein hämatologisches und klinisches Ansprechen inder Primärtherapie der AL Amyloidose erreicht werden, auchwenn größere kontrollierte klinische Studien bisher fehlen. Esliegen überwiegend Ergebnisse zur Behandlung mit VAD undanschließender Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan undautologer Stammzelltransplantation vor. Insbesondere bei Pati-enten mit AL Amyloidose und nephrotischem Syndrom konntedurch diese Therapie eine Remission der Plasmazellerkrankungund eine klinische Verbesserung des nephrotischen Syndromserzielt werden [72, 184]. Die VAD-Chemotherapie hat bei Pati-enten mit AL Amyloidose eine hohe Toxizität mit 7% therapieas-soziierten Todesfällen gezeigt [155]. Die Stammzellsammlungist bei Patienten mit AL Amyloidose im Anschluss an die Be-handlung mit VAD möglich [155, 184, 213], so dass diese Chemo-therapie für Patienten in Frage kommt, die potenzielle Kandida-ten für Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan sind. Bei Pati-enten mit Polyneuropathie wird empfohlen, VAD ohne Vincris-tin durchzuführen. Bei Patienten mit kardialer Amyloidosemuss die Indikation zur Therapie mit VAD mit dem behandeln-den Facharzt fur Kardiologie diskutiert werden.

    8.2.4 Dexamethason (Dex) Mit der Induktionstherapie mit De-xamethason in der Dosis 40 mg/Tag an den Tagen 1–4, 9–12 und17–20 alle 35 Tage für insgesamt 3 Zyklen und der anschließen-den Erhaltungstherapie mit Dexamethason in der Dosis 40 mg/Tag für 4 Tage alle 4 Wochen zusammen mit Interferon alpha 5Millionen IE subcutan dreimal in der Woche konnte in einerStudie die Remission der Organfunktion bei 45% der Patientenund die hämatologische Response bei 53% der Patienten (24%komplette Remission) erreicht werden [33]. Die Organresponse-rate war am höchsten bei Patienten mit Nierenamyloidose(39%) und am niedrigsten bei Patienten mit Neuropathie (3%).Hochdosis-Dexamethason kann in der initialen Therapie alsMonotherapie oder in Kombination mit anderen Substanzenund in der Rezidivtherapie eingesetzt werden [64]. Die prophy-laktische Gabe von Antibiotika und Antimykotika sowie PPIwird während der gesamten Therapie empfohlen.

    8.2.5 Hochdosis-Chemotherapie mit Melphalan (HDM) und autologe Stammzelltransplantation (ASCT) In zahlreichenPhase-II-Studien konnte gezeigt werden, dass mit der Hochdo-sis-Chemotherapie mit Melphalan in der Dosis 140–200 mg/m2

    (Reduktion auf 70–100 mg/m2 bei Niereninsuffizienz) und an-schließender autologer Stammzelltransplantation bei ca. 50%der Patienten ein hämatologisches Ansprechen der Plasmazel-lerkrankung erreicht wird. Patienten mit hämatologischem An-sprechen nach der Hochdosis-Chemotherapie zeigten ein signi-fikant längeres Überleben im Vergleich zu Patienten ohne An-sprechen [27, 189]. Auch wenn bis heute Phase-III-Studien zumVergleich von MP und HDM fehlen, wurde kürzlich eine Fall-Kontroll-Studie durchgeführt, die einen Überlebensvorteil fürdie mit HDM und ASCT behandelten Patienten zeigte [36]. DieMöglichkeit zur Behandlung mit HDM und ASCT sollte bei je-dem Patienten mit systemischer Amyloidose überprüft werden.Die Indikation sollte in Abhängigkeit vom Alter (in derRegel < 70 Jahre), Organfunktion (Grad der Herzinsuffizienz,Ausmaß der Niereninsuffizienz, Ausmaß der Hepatopathie) so-wie Allgemein- und Ernährungszustand gestellt werden [13].Die Toxizität von HDM und ASCT wird in unterschiedlichen Stu-dien mit 13–40% angegeben [27, 63, 155, 189] und ist von der Er-fahrung des Transplantationszentrums abhängig. HDM undASCT sollte wegen der hohen Toxizität nur in Zentren durchge-führt werden, die über eine besondere Erfahrung in der Be-handlung von AL Amyloidosepatienten verfügen. Nach einerneueren Untersuchung [174] bringt die initiale zusätzliche Be-handlung mit 2 Zyklen Melphalan und Prednison (MP) vor an-schließender HDM und ASCT keinen Vorteil hinsichtlich des hä-matologischen Ansprechens und Überlebens.

    8.2.6 Neuere Therapieansätze: Thalidomid, Bortezomib ZurBehandlung der AL Amyloidose mit Thalidomid liegen bishernur wenige Berichte vor. Eine der klinischen Studien zur Thali-domid-Monotherapie musste nach Einschluss von 12 AL Amylo-idosepatienten wegen einer besonders hohen Nebenwirkungs-rate abgebrochen werden. Thalidomid wurde mit einer hohenRate an peripheren Ödemen, Dyspnoe, tiefer Beinvenenthrom-bosen, Schwindel, kognitiven Funktionsstörungen, Synkopenbei insgesamt 80% der behandelten Patienten in Verbindung ge-bracht [37]. Mit der Kombinationstherapie aus Thalidomid(100 mg/Tag und Steigerung alle 2 Wochen bis 400 mg/Tag) undDexamethason (20 mg an den Tagen 1–4) alle 21 Tage konnte ineiner anderen klinischen Studie bei 31 Patienten, die auf Pri-märtherapie nicht angesprochen haben, eine Ansprechrate von

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    48% und eine komplette Remissionsrate von 26% bei einer Ne-benwirkungsrate von 65% erreicht werden [149]. Da ThalidomidEffektivität bei Plasmazellerkrankungen zeigt, ist es trotz derhohen Nebenwirkungsrate in Einzelfällen gerechtfertigt, einenTherapieversuch bei Patienten mit AL Amyloidose zu wagen.

    Eine potenzielle Möglichkeit zur Beeinflussung der Plasmazel-lerkrankung liegt in der Behandlung mit dem Proteasomeninhi-bitor Bortezomib. Hier werden Ergebnisse der zur Zeit laufen-den multizentrischen, klinischen Studien erwartet.

    Die Behandlung mit Colchicin ist bei der AL Amyloidose obsolet[112].

    8.2.7 Behandlung der Organmanifestationen (disziplinspezi-fisch und stichwortartig) Nierenamyloidose: Behandlung desnephrotischen Syndroms mit Diuretika, ACE-Hemmern, AT1-Re-zeptorantagonisten und Behandlung der Niereninsuffizienz ein-schließlich Hämodialyse. Cave Antikoagulation beim nephroti-schen Syndrom! Bei Patienten mit nephrotischem Syndrom istes möglich, eine klinische Remission der Nierenerkrankungdurch die kausale Behandlung der Plasmazellerkrankung mitChemotherapie zu erreichen. Die Therapie ist besonders erfolg-reich bei Patienten ohne Niereninsuffizienz zum Zeitpunkt desTherapiebeginns. Die hämodialysepflichtige Niereninsuffizienzschließt die Behandlung mit Chemotherapie, insbesondere mitHochdosis-Chemotherapie mit Melphalan und ASCT nicht aus.

    Kardiale Amyloidose: Therapie der Herzinsuffizienz mit ACE-Hemmern und Diuretika. Der Stellenwert der ICD-Implantationzur Behandlung der Herzrhythmusstörungen ist unklar (größe-re Studien fehlen). Kalzium-Antagonisten und Digitalis geltenhistorisch als kontraindiziert bei AL Amyloidosepatienten, auchwenn ausreichende Studien auf diesem Gebiet fehlen. Zur Herz-transplantation bei AL Amyloidkardiomyopathie liegen Fallbe-richt-Zusammenstellungen vor [5]. Das Überleben nach derHerztransplantation wird negativ beeinflusst durch die hoheRezidivrate der AL Amyloidose im Transplantatherzen wegender fortbestehenden systemischen Plasmazellerkrankung. Zu-dem liegen einzelne Berichte über die systemische Behandlungder AL Amyloidose mit HDM und ASCT 6 Monate im Anschlußan eine erfolgreiche Herztransplantation vor [132].

    Intestinale Amyloidose: Symptomatische Durchfallbehandlungmit Loperamid, Octreotid, Opiumtinktur, Opioiden. Bei Kachexieenterale und parenterale Ernährung.

    Leberamyloidose: Symptomatische Behandlung der Komplikati-onen, parenterale Ernährung, Behandlung des Aszites mit Flüs-sigkeitsrestriktion, salzarmer Kost und Diuretika.

    Amyloidose des Nervensystems: Symptomatische Behandlungder Komplikationen der sensorischen, motorischen und autono-men Polyneuropathie.

    Weichteilamyloidose und Makroglossie: Einzelne Fallberichteüber die erfolgreiche HDM und ASCT zur Behandlung der Ma-kroglossie liegen vor [152]. Die Zungenreduktionsoperationbleibt spezialisierten Zentren vorbehalten [129].

    8.2.8 Hämatologische und organbezogene Remissionskriteri-en zur Erfassung des Therapieansprechens. [17, 59]

    Komplette hämatologische Remission (CR): CR liegt vor, wenndie Plasmazellerkrankung im Knochenmark nicht nachgewie-sen werden kann (weniger als 5% Plasmazellen und kein Nach-weis einer klonalen Dominanz der κ- oder λ-Leichtketten) undwenn gleichzeitig die monoklonale Gammopathie im Serumund Urin nicht nachgewiesen werden kann (unauffällige Prote-inelektrophorese, negative Immunfixation im Serum und Urin,unauffällige Ratio der freien κ- und λ-Leichtketten ).

    Partielle hämatologische Remission (PR): PR ist definiert alsmindestens 50%ige Reduktion der Konzentration des monoklo-nalen Proteins im Serum und/oder 50%ige Reduktion der Aus-scheidung der Leichtketten im 24-Stunden-Urin (wenn die initi-ale Leichtkettenausscheidung im 24-Stunden-Urin > 100 mg/Tag betrug). Die 50%ige Reduktion der freien Leichtketten imSerum wird als partielle Remission gewertet, wenn die initialeKonzentration über 10 mg/dl lag.

    Klinisches Ansprechen: Klinisches Ansprechen wird für den„performance status“ nach WHO und für jedes Organ gesondertbetrachtet [59].

    Klinisches Ansprechen der kardialen Amyloidose ist definiertals die Abnahme der Wandverdickung des Septums um 2 mmund/oder die 20% Zunahme der Ejektionsfraktion und/oder kli-nische Verbesserung um zwei Grade in der NYHA Klassifikationder Herzinsuffizienz ohne Erhöhung der Diuretikadosis bzw.um einen Grad bei einer Verringerung der Diuretikadosis um50%.

    Klinisches Ansprechen des nephrotischen Syndroms ist defi-niert als die Abnahme der Eiweißausscheidung im 24 StundenSammelurin um mehr als 50% bei gleichzeitig fehlender Ver-schlechterung der Kreatinin-Clearance. Die Proteinurie mussdabei mindestens um 0,5 g/Tag zurückgegangen sein und initialmehr als 0,5 g/Tag betragen haben.

    Klinisches Ansprechen der Leberamyloidose ist definiert als dieAbnahme der Konzentration der Alkalischen Phosphatase imSerum um mehr als 50% und/oder die Reduktion der Lebergrö-ße um mindestens 2 cm in Ultraschalluntersuchung des Abdo-mens.

    8.3 Therapie der hereditären Amyloidosen8.3.1 Therapie der ATTR Amyloidose Lebertransplantation(LTx): Die orthotope LTx stellt die Therapie der Wahl bei derATTR Amyloidose dar (Evidenzgrad IIa, Klasse B) [89]. Mit ihrwird der Hauptsyntheseort des mutierten TTR entfernt und dieKrankheitsprogression dadurch in vielen Fällen gestoppt [108].Die bei der LTx zu beachtenden Kriterien zur Indikationsstel-lung sind individuell abzuwägen. Ethische und medizinischeAspekte sind dabei besonders sorgfältig zu klären und solltendeshalb lediglich von ausgewiesenen Spezialärzten durchge-führt werden. Enorme Bedeutung hat die Festlegung des Zeit-punktes der LTx. Die Wartezeit auf einer Transplantationslisteerschwert die Wahl des geeigneten Zeitpunkts. FortgeschritteneMalabsorption sowie eine fortgeschrittene Polyneuropathie li-mitieren den postoperativen Verlauf und erhöhen das periope-rative Risiko. Eine sorgfältige Evaluation des Herzens (Langzeit-

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    EKG, Echokardiographie, ggf. Linksherzkatheter und Myokard-biopsie) sollte u.a. frühzeitig eine Indikation zur Implantationeines Herzschrittmachers klären [95]. Bei Patienten, bei denendie Herzbeteiligung führt, kann eine Herztransplantation, gege-benenfalls auch eine kombinierte Herz-/Lebertransplantation,erforderlich werden. Diese sind bei Amyloidosepatienten bishernur vereinzelt erfolgt. Amyloidablagerungen sind in transplan-tierten Herzen nach bislang maximal 5-jähriger Beobachtungs-zeit nicht beobachtet worden [197]. Grundsätzlich ist die Indi-kation zur LTx daher früh zu stellen, d.h. beim Auftreten ersterfunktionell bedeutsamer Symptome [88], auch um ggf. eineHerz- bzw. kombinierte Herz-/Lebertransplantation zu vermei-den. Ist eine Herzamyloidose klinisch manifest oder liegen kli-nisch relevante autonome Störungen vor, hat eine alleinige LTxnur noch einen begrenzten therapeutischen Effekt. Bei der Indi-kationsstellung sind der klinische Status des Patienten, die Cha-rakteristika der spezifischen TTR-Variante bzw. der zugrunde-liegenden Mutation (neuropathischer vs. kardialer Manifestati-onstypus; z.B. besonders rasche Progression b