Joachim von Fiore und die Krise desMittelalters

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    SONDERDRUCK US

    ~ t o t t ~ t f c b t r b t u b t n k t t

    EIN ZYKLUS

    T INGER V O R L S U ~ G N

    Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins

    Tbingen und Stuttgart

    MONUMENT GERM NI E

    HISTORI C

    Bibliothek

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    Von Augustin bis zum

    hohen

    Mittelalter ist ein weiter Weg. Er fhrt

    aus

    der

    christlichen Sptantike ber die Vlkerwanderung, sieht als

    ihr Ergebnis den Untergang des westrmischen Reiches, die allmh

    liche Entstehung

    der

    romanisch-germanischen Vlker, die germani

    schen Staatsgrndungen mit ihren Landeskirchen, mit einem Wort:

    das Abendland. Aus diesen strmischen Jahrhunderten ist uns kaum

    geschic:P,tliches Denken und geschichtliche Reflexion berliefert.

    Auch

    nach dem germanisch-rmischen Imperium Karls des Groen

    sind

    es

    nur

    gelegentliche Anstze, von denen wir

    Kunde

    haben.

    Erst

    die groe Reform des

    n Jahrhunderts

    bringt in ihrer geistigen Aus

    wirkung das eigentliche Mittelalter hervor: das sogenannte Hohe

    Mittelalter mit dem tragenden Grundgedanken des Ordo,

    ~ r

    rech

    ten

    Ordnung in

    Welt

    und

    Kirche. Das Geschichtsdenken dieses Mit

    telalters fehlt hier in der Ringvorlesung;

    es

    wre ein vermessener

    Gedanke, den weiten geistigen Raum etwa einleitungsweise um

    schreiten zu wollen.

    Nur

    ein paar Bemerkungen seien beim ber

    gang zum spten Mittelalter

    zum

    Verstndnis des groen Sprunges

    vorausgeschickt.

    Wenn ie Forschung auch neuerdings von divergierenden Krften

    im Geschichtsbild des lz.Jahrhunderts zu berichten wei, so ist doch

    die herkmmlich e christlich-universale Betrachtungsweise noch all

    gemeine Voraussetzung. Eine Geschichtsanschauung, die dem ge

    schichtlichen Ablauf selbst entnommen oder aus der Reflexion ber

    das Geschehen stammte, also in irgendeinem Sinne empirisch wre,

    gibt es nicht. Alle Geschichtsbetrachtung ist durch ie Inhalte der

    Offenbarung und Tradition bedingt und daher wohl als philoso

    phisch-konstruktiv zu bezeichnen. Im Verlauf des Geschehens wird

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    KARL AUGUST

    FINK

    nur das wiedergefunden was nach der christlichen Geschichtsauf

    fassung vorhanden sein mu. Grundstzlich

    ist

    die Weltgeschichte

    mit Christus eigentlich schon abgeschlossen; man steht am

    Ende

    des

    irdischen Geschiehtsahlaufes

    und

    das Gottesreich die Parousie ist

    nahe Zukunft. Zahlreich sind von ~ n Anfngen an die Versuche

    trotz des Herrenwortes vom Nichtwissen

    von

    Tag und Stunde dieses

    bevorstehende Ende

    zu

    bestimmen und zu berechnen. So ist bei die

    ser endzeitliehen Denkweise die Frage nach dem Ende nie ver

    stummt wenn auch

    in

    verschiedener Strke gestellt worden da all

    mhlich weitere Kreise sich an die Dauerhaftigkeit dieser vergehen

    den Welt Zll gewhnen pflegten. Nachdem seit dem sechsten nach

    christlichen Jahrhundert die Zeitrechnung praktisch auf die Zeiten

    wende umgerechnet wurde ist die nachchristliche Zeit die letzte

    Weltzeit als das sechste Weltzeitalter bezeichnet wenn man wie fast

    allgemein blich das Sechstagewerk zugrunde legte. Nur ber die

    Einteilung der

    Zeit

    vor

    Christus konnte man verschiedener Ansicht

    sein. Politisch formuliert heit das also da das Imperium Roma

    num das rmische Weltreich das letzte Reich hinieden ist; das r

    misch-christliche Reich: denn Christus war ja unter Augustlils gebo

    ren und damit irgendwie Rmer geworden und umgekehrt wurde

    dieses rmische Reich dann christlich. Dante hat mit seinem be

    rhmten Worte: Quella Roma onde Cristo eRarnano > in eindrck

    licher Weise einen Gedanken gefat der

    bis

    heute

    in

    der

    christlich

    rmisch-kurialen Reichsdeutung von groer Lebendigkeit und von

    groem Nachhall geblieben ist So lassen sich auch aus dem Bedrf

    nis nach Kontinuitt trotz uerlich anscheinend verschiedener

    Ent-

    wicklungsformen die Theorien ber die translatio imperii verstehen;

    denn das rmische Reich ist eben das letzte vor dem Ende. Im Ge

    schichtsdenken des Mittelalters beginnen die Differenzierungen schon

    im

    12

    Jahrhundert;

    die eigentliche Krise aber ist verbunden mit

    dem Namen des Joachim von Fiore dem deutsche und italienische

    Forscher seit zwei Jahrzehnten ihre besondere Aufmerksamkeit ge

    schenkt und damit diese eindrucksvolle Gestalt zu neuem Leben

    erweckt haben.

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    JOACHIM VON FlORE

    Joachim von Fiore (de Flore)

    ist

    gegen die Mitte des xz.Jahrhun

    derts

    in

    Celico in der Nhe von Cosenza

    in

    Kalabrien geboren,

    in

    einer auch heute noch verlassenen und beinahe unbekan11ten Gegend

    des schnen Italien. Damals war die groe Einsamkeit der fast unzu

    gnglichen Hochebenen

    mit

    ihren reichen Pinien-

    und

    Kastanien

    wldern

    nur

    da und

    dort von

    klsterlichen Siedlungen unterbrochen.

    Der

    Landstrich

    von

    wilder Schnheit,

    der

    viele Jahrhunderte unter

    dem Einflu der griechis-chen Kultur

    und

    der byzantinischen Kirche

    gestanden, dessen .Ksten oft von den Sarazenen heimgesucht, sah

    im xz.Jahrhundert den vollen Ausbau

    der

    stolzen normannischen

    Herrschaft. Die Probleme der Kultur:msammenhnge sind in neue

    ster Zeit durch die grndlichen Forschungen des hochverdienten

    Historikers

    und

    Kunsthistorikers Paolo Orsi untersucht

    und

    be

    leuchtet worden. Waren noch bis ins u Jahrhundert die auch kunst

    g ~ s h i h t l i h

    so bedeutsamen Klster

    der

    Basilianermnche herr

    schend, so setzte sehr bald, noch seit der Mitte dieses n Jahrhun-

    derts, die Rckfhrung der kirchlichen Organisation zur lateinischen

    Kirche ein als Folge

    der

    groen Reform der rmischen Kirche und

    Kurie seit den deutschen Ppsten, ein Proze, der m wesentlichen

    m xz Jahrhundert

    zum

    Abschlu gekommen ist fr den ganzen

    Sden Italiens war diese Relatinisierung von groer Bedeutung und

    von

    erheblichen Folgen. Sicher verbrgte Kenntnis ber die Her

    kunft

    Joachims haben

    wir

    nicht. Man

    hat

    ihm normannisches Blut

    nachgesagt, man hat seine merkwrdige Geistigkeit

    mit

    abendlndi

    schen Faktoren allein nicht meinen erklren zu knnen, sondern

    die

    Hilfe zu den uralten Quellgrnden griechischer Kirchenweisheit ge

    nommen. Das alles sind Vermutungen und Deutungen, die aus den

    berlieferten Quellen

    nicht

    in jeder Hinsicht belegt werden knnen.

    Im Dunkelliegt so auch die Geschichte seiner Jugendjahre. Reisen

    in

    den Orient, nach Byzanz und dem hl. Lande hat

    er

    wahrschein

    lich unternommen, bevor er

    in

    den neuen Orden der Zisterzienser

    in

    der Abtei

    von Sambudna

    eintrat;

    von

    dem berwltigenden Sieges

    zug unter Bernhard

    von

    Clairvaux legen die Ruinen zisterziensi

    scher

    Grndungen m

    entlegenen Kalabrien noch heute ein beredtes

    99

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    KARL AUG

    UST

    FINK

    Zeugnis ab. In jungen Jahren wurde er Abt des Zisterzienserklosters

    in

    Corazzo, trennte sich dann bald

    vom

    Orden und grndete nach

    kurzem Eremitenleben in Floris eine eigene Abtei

    und

    Genossen

    schaft, die auch die ppstliche Besttigung erhielt und von der stau

    fisch-normannischen Herrschaft wohlwollend gefrdert wurde. War

    J oachim als Mnchsvater

    und

    asketische Persnlichkeit - eine

    von

    den vielen des

    1

    z. Jahrhunderts - zu seinen Lebzeiten zwar nicht

    unbekannt, so beruht seine geschichtliche Bedeutung doch

    auf

    ande

    ren Qualitten: in seiner

    von

    Ppsten angeregten

    und

    gebilligten

    Schrifterklrung, die

    ihn

    aber erst nach seinem Tode

    zu

    einer der

    am

    meisten umstrittenen Gestalten des

    hohen und

    spten Mittelalters ge

    macht hat. Die

    Neuheit seiner Anstze und das Revolutionre seiner

    Gedankengnge sind

    ihm

    selbst

    wohl nicht immer

    ganz klar gewor

    den. Seine nicht mehr vollstndig erhaltenen uerungen zur Trini

    ttslehre hat schon das IV Laterankonzil verworfen, und Thomas

    vonAquin

    SeinenAnschauungen ber die

    Trinitt

    die schulgerechte

    Widerlegung der scholastischen Wissenschaft entgegengestellt. Eine

    ppstliche Kommission hat

    in

    Anagni

    um

    die Mitte des

    I; Jahrhun-

    rlerts, also etwa

    50

    Jahre nach seinem Tode, sich mit seinen Schriften

    grndlich befat aus einem Anla, den

    wir

    noch kennenlernen wer

    den,

    und

    einiges zurckgewiesen. War er so immerhin nach seinem

    Tode verdchtigt

    und

    berprft, andererseits in seinem

    Orden

    als

    beatus Joachim, spiritu dotatus prophetico, decoratus intelligentia

    errore

    procul

    haeretico, dixit futura

    ut

    praesentia gefeiert, so sind

    weder

    das e :i.ne noch das andere zutreffende Kategorien fr diesen

    Mann der prophetischen Schau und theologischen Geschichtsdeu

    tung.

    it

    der eigentlichen Aufgabe des Theologen und Geistesmannes,

    nmlich mit der Erklrung und Deutung der hl. Schrift hat er sich in

    lebenslanger Bemhung

    und

    ~ e d i t t i o n

    beschftigt.

    Ihr

    sind seine

    Hauptwerke gewidmet: Concordia Novi

    et

    Veteris Testamenti,

    E:x:-

    positio

    in

    Apocalypsim, Psalterium decem cordarum, Tractatus super

    quatuor

    evangelia.

    In

    diesen Schriften finden wir zunchst Stil und

    Formen der

    mittelalterlichen Schrifterlqrung. Wem mittelalterliches

    1

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    JO CHIMVON

    FlORE

    Denken

    und theologisches Spekulieren nicht gelufig sind, wer sich

    nicht hineinzustellen vermag in die geistige Welt des mittelalterlichen

    Menschen und Theologen, dem erscheinen die exegetischen Werke

    des

    Sehers aus Kalabrien l) gar nicht interessant, sondern eher lang

    weilig,

    von

    ermdender Breite und angefllt mit abstrusen Einzel

    heiten und willkrlichen Zahlenspielereien. Die Studien ber

    Jo-

    achim

    von

    Floris

    von

    Grundmann haben in scharfsinniger Analyse

    die Kenntnis

    und

    die Vertrautheit des Abtes mit der mehr als tau

    sendjhrigen hermeneutischen Tradition der christlichen Wissen

    schaft aufgezeigt. Alle gelufigen Formen der patristischen und

    mittelalterlichen Schrifterklrung, die allegorische, tropologische,

    typologische sind bei

    ihm

    vertreten, sind von ihm souvern ange

    wandt, ausgestaltet und umgeformt, ihre Anwendung selbst hat

    er

    in

    subtiler Weise beschriebeq. Sehr bezeichnend beschrnkt sich

    J oachim fast ausschlielich

    auf

    die geschichtlichen Bii_cher der hl. :7 r fe.. .'

    Schrift: Historie

    in

    seinem Sinne der Heilsgeschichte ist ja sein ur-

    eigenstes Anliegen. Wenn man verstanden hat, da er aber ber das

    Mittelalter weit hinausgreifend den Entwicklungsgedanken in seine

    Geschichtstheologie einfhrt, dann wird das ganze System der Zu

    sammenhnge

    und der

    Entsprechungen geschichtlicher Epochen

    klar, oder besser: aus dem scheinbar zgellosen Symbolismus

    von

    grter

    Virtuositt, aus

    der

    endlosen Hufung geschichtstrchtiger

    Vorbilder des einen status fr den folgenden.

    und ihn

    ablsenden, aus

    der

    Konstruktion phantastischer Beziehungen, die geradezu Orgien

    feiert, aus der Flle immer

    neuer

    Bilder,

    an

    denen

    er

    sich berauscht:

    aus diesem scheinbar so wirren Durcheinander erhebt sich wirklich

    ein System neuer Geschichtsdeutung.

    Wie viele Geschichtsdeuter des Mittelalters beschftigt sich auch J o

    achim mit der Endzeiterwartung, ohne da man

    ihn

    deshalb, wie

    fters

    und

    auch neuerdings npch geschehen, einen Chiliasten nennen

    darf. n dem Pflogsterlebnis unbekannten Jahres whrend eines

    lngeren Aufenthaltes

    in

    der Zisterzienserabtei von Casamari in der

    Campagna wird sein langes Bemhen durch pltzliche Erleuchtung

    gelohnt,

    und

    so der Anla

    und

    die Einsicht

    fr

    das Psalterium de-

    IOI

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    KARL AUGUST FINK

    cem cordarum gegeben. Solche wundersam erscheinenden Vorgnge

    sind

    als

    Frucht instndiger Meditation

    in

    der Geschichte des Geistes

    lebens wohl bekannt. Der Vorgang wiederholt sich whrend einer

    Osternacht und f iihrt zum jahrelang gesuchten Verstndnis einer

    Stelle der Apokalypse und

    zur

    Zusammenschau der hl. Schrift.

    Er

    selbst

    hat

    es uns also beschrieben: Inmitten der nchtlichen Stille,

    wohl

    zur Stunde,

    da

    unser Lwe aus dem Stamme

    Juda

    auferstanden

    ist, empfing ich nach kurzem Meditieren Erleuchtung, die

    mit

    strah

    lender Helligkeit die Augen des Geistes ffnete, ber die ganze Flle

    der Weisheit dieses Buches

    und

    ber den ganzen Zusammenhang des

    Alten und des Neuen Testamentes (Expositio

    in

    Apoc. fol. 39 c).

    , Jetzt hat

    er

    die so lange gesuchte Concordia oder Konkordanz zwi

    schen den Epochen der Heilsgeschichte gefunden: eine neuartige

    Deutung von groer Konsequenz fr ihn und sein System und

    von

    noch greren Folgen fr die Geschichtsdeutung des spten Mittel

    alters.

    Er

    geht

    aus

    von

    der

    Trinitt.

    Den

    drei gttlichen Personen:

    Vater, Sohn und Hl. Geist entsprechen drei Zeitalter: Altes Testa

    ment, Noues Testament und das Zeitalter des hl. Geistes oder des

    Geistes ganz allgemein.

    Der

    Heilsplan wiederholt sich also in hn

    lichen und

    deshalb voraussehbaren Zyklen, die zueinander

    in

    viel

    seitiger Parallelitt stehen, aber so, da die fortschreitende Entwick

    lung

    gleichsam spiralenf.rmig

    in

    die

    Hhe

    fhrt, der eine status

    Vorbild ist, der folgende Erfllung. F r diese

    in

    aller Krze formu

    lierte Theorie geben seine Schriften

    in

    oft ermdender Breite

    und

    scheinbar endloser Wiederholung Stellen, Belege und Vergleiche:

    Auf

    d rei Weltordnungen - status weisen uns die Geheimnisse der

    hl. Schrift: auf die erste,

    in

    der wir unter dem Gesetz waren,

    auf

    die

    zweite,

    in der

    wir unter der Gnade sind, auf die dritte, welche wir

    schon aus de r Nhe erwarten,

    in

    der wir unter einer reicheren Gnade

    sein werden, weil Gott, wie J ohannes sagt, uns Gnade fr Gnade

    gab, nmlich den Glauben fr die Liebe und beide gleicherweise.

    Der

    erste status also steht in der Wissenschaft, der zweite in der teil

    weise vollendeten Weisheit, der dritte in der Flle der Erkenntnis.

    Der

    erste in der Knechtschaft der Sklaven, der zweite in der Knecht-

    IOZ

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    K RL

    UGUST FINK

    ihre Normen, ihr Recht, i r ~ Institutionen. Das

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    JOACHIM

    VON FlORE

    Hierarchie des Klerus

    und

    der Prlaten; an deren Stelle treten

    im

    dritten status die

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    KARL AUGUST FINK

    eines reinen Toren, in weiten Kreisen zu seinen Lebzeiten und

    auch

    in

    den Jahrzehnten nach seinem Tode kaum bekannt; und

    von

    denen, die davon erfuhren, in seinem tiefen Gehalte und seiner gro

    en Gefhrlichkeit kaum erfat.

    Das Wort Nietzsches

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    JOACHIM VON FlORE

    jetzt von

    dem

    Franziskaner Gerhard von

    Borge

    San Donnino

    in

    die

    1 Wttklichkeit umgesetzt: nichts anderes als die drei Hauptschriften

    J oachims selbst sind nachihm das evangelium aeternum ;

    mit

    einem

    liber introductorius versehen wird es von der Kommission

    von

    Anagni verurteilt und ist bald verschollen. Es ist

    die

    felsenfeste ber

    zeugung dieser ekstatischen Gruppe: das

    Ende

    des zweiten Weltzeit

    alters ist gekommen der Anbruch des dritten status steht unmittel

    bar

    bevor

    in den Jahren zwischen 1150 und u6o ganz so wie Jo-

    achim es vorausgeschaut und vorherverkndet. Alle Zeichen spre

    chen dafr: der ordo iustorum des hl. Pranz die

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    KARL

    AUGUST FINK

    die Kardinle den ppstlichen Stuhl bestieg, wollte man in ihm den

    vorhergesagten Hirten des dritten status sehen;

    zu

    lebendig war die

    Idee des

    Engelpapstes

    als da man

    nicht

    nach seiner Abdankung,

    nach einer uerlich vllig milungenen Regierung von

    nur

    wenigen

    Monaten, immer noch das Idealbild in der Gestalt dieses einfachen

    Mnches verkrpert wute.

    Im

    Geschichtsbild Dantes,

    von

    dem ein eigener Vortrag handelt,

    spielt]oachim eine grere Rolle als sein einmaliges Auftreten ahnen

    lt: m 2.. Gesang des Paradiso, im Sonnenhimmel unter den Theo-

    logen und Philosophen in geheimnisvoller Anordnung: Il Calabrese

    abate Gioacchino i spirito profetico dotato (nach der liturgischen

    Formel seines Ordens). Von neueren Forschern wird sein Einflu

    sehr stark unterstrichen in den Figuren des Veliro und des Dux. Ein

    Joachim selbst zugeschriebener libro delle figure knnte, wenn

    die Zuweisung richtig ist, in Dante deh genialen Ausgestalter der

    ]oachitischen Schriften und prophetischen Gesichte erkennen lassen.

    Den Versuch, Ideen ]oachims und der Spiritualen in die Politik um-

    zusetzen, zeigt die rtselvolle Persnlichkeit des Volkstribunen Cola

    di Rienzo, candidatos spiritus sancti miles >> Kein Zufall, da zu Be-

    ginn der.Reformation die wichtigsten Schriften Joachims in Venedig

    zum

    erstenmal im Druck erscheinen. Hat schon das I 3 ]ahrhundert,

    das klassische]ahrhundert der abendlndischen Kirchengeschichte>>,

    seit ]oachim seine.. gefhrlichen Verlautbarungen, so fhrt das

    14.

    Jahrhundert zur

    ausgesprochenen Krise des Geschichtsdc::nkens und

    der Geschichtsdeutung. Es genge hier der Hinweis auf die Theo-

    rien zum Kirchenbegriff und auf die skularisierte Staatslehre der

    Publizisten dieser Zeit. Das spte Mittelalter

    ist

    voll von dieser Pro-

    blematik. Nur aus dem Zusammenbrechen des eigentlich mittelalter-

    lichen Geschichtsbildes ist es wohl zu verstehen, da man eine solche

    Katastrophe wie das groe abendlndische Schisma in seiner langen

    Dauer innerlich ertragen konnte. Indifferenz und Neutralitt gegen

    das Papsttum: eine Kirche ohne erkennbares rechtmiges Papst-

    tum das bedeutet eine starke Resignation der vornehmsten Institu-

    tion der Kirche gegenber. Aber immer wird

    n

    Zeiten der Krise und

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    JOACHIM VON

    FlORE

    der Enttuschung der Gegensatz zwischen Sein und Sollen, zwi-

    schen Ideal und Wirklichkeit im Christentum besonders stark emp-

    funden werden.

    Auf

    spirituelle Fundamente allein ist freilich keine

    irdische Institution zu begrnden. Jede irdische Kirche ist an die

    Gegebenheiten des menschlichen Lebens gebunden, zu diskutieren

    bleibt nur der Umfang dieser Bindung. Die Geschichte ist nicht die

    Verwirklichung der reinen Ideen, sondern eine oft sehr bittere Rea-

    litt.

    Der

    vielgepriesenen Harmonie des Mittelalters war, wen,n

    es

    sie ber-

    haupt gegeben hat,

    nur

    eine kurze Lebensdauer beschieden. Nach

    kritischen Versuchen des

    1

    z Jahrhunderts zerbricht J oachim immer-

    hin als erster das anscheinend so wohlgefgte Gebude der traditio-

    nellen mittelalterlichen Geschichtsanschauung. Zwar ist

    es

    oft nur

    Theorie, aber eine neue Theorie gegenber der immer mehr der Ge-

    schichte sich entfremdenden Scholastik, die Interesse nur daran zu

    haben schien,. wie die Dinge sein sollten, aber nicht wie sie in Wirk-

    lichkeit waren. Darin beruht das Eigenartige, wenn man will Mo-

    derne, da er dem Ordo und der Statik die religise irdische Ent-

    wicklung gegenberstellt; nicht gilt mehr frderhin die perennitas

    des philosophischen Weltbildes fr das Geschichtsdenken, sondern

    die n

    der

    geschichtlichen Realitt fortschreitend manifest werdende

    transfiguratio. So bietet der

    ~ h r

    aus Kalabrien einen einzigartigen

    Aspekt im Rahmen der mittelalterlichen Geschichtsdeutung: durch

    ihn ist das Mittelalter radikal durchbrachen und in gewisser Hinsicht

    auch e e n d ~ t worden. Er der in mystischer Versunkenheit die Ge-

    heimnisse des knftigen Reiches Gottes geschaut, hat nicht gesiegt.

    Und

    es

    war vielleicht

    gut

    so. Deswegen ist aber der Feuerb+and, den

    er mit dem heien Atem seiner eigenartigen Apokalyptik entfacht

    hat, doch nicht erloschen. Immer wird die

    ecclesia spiritualis >, die

    geheime, die kommende Kirche das Ideal innerlicher Menschen sein

    knnen;

    ihr

    wird die

    groe

    Liebe aller derer gehren, die in der Ge-

    schichte des Christentums nicht nur die Statik der Institutionen, son-

    dern

    auch die Dynamik des Heiligen Geistes sehen.

  • 7/24/2019 Joachim von Fiore und die Krise desMittelalters

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    ANMERKUNG

    Die wichtigste Literatur sei hier kurz angefhrt:

    H Grundmann, Studien ber Joachim von Floris

    (1927),

    besonders wichtig sind

    die Ausfhrungen

    ~ r

    die Schriften Joachims, die handschriftliche berlieferung

    und die Drucke; Neuausgabe der wichtigsten Schriften ist von Grundmann ge

    plant. Von demselben: Dante urld Joachim von Fiore, Deutsches Dante-Jahr

    buch

    14 (1932).

    E Benz, Ecclesia spiritualis

    (1934).

    ] Chr. Hllt k, Joachim von

    Floris

    und

    die Joachitische Literatur

    (1938). E Buonaiuti,

    Gioacchino da Fiore

    (1931);

    von demselben herausgegeben: Tractatus super quatuor evangelia

    (1930)

    =Fonti

    per

    Ia storia d ltalia

    67,

    und

    De

    articulis fidei

    (1936)

    = Fonti per Ia storia

    d Italia

    78;

    neueste Zusammenfassung von Buonaiuti in Storia dd Cristiane

    simo

    T (1943)

    cap.

    XIV

    Il

    messaggio Gioacchimita.

    W.Nigg,

    Das Ewige Reich

    (1944).

    Die

    neuen italienischen Werke

    von

    F

    Foberli,

    Gioacchino

    da

    Fiore e

    l

    Gioacchinismo antico e moderno

    (1942)

    und

    L.Tondelli,

    Illibro delle figure dell

    abate Gioacchino da Fiore (Beziehung zu Dante) konnte

    ich

    noch nicht einsehen.

    Zum mittelalterlichen Geschichtsdenken: H Grundmamz, Die Grundzge der

    mittelalterlichen Geschichtsanschauungen, Archiv fr Kulturgeschichte

    24 (1934).

    ]

    Sprl, Grundformen hochmittelalterlicher Geschichtsanschauung

    (1935)

    und

    F

    Baelhgen, Der

    Engelpapst

    (1943).

    11