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Kants Theorie der asthetischen Einstellung von Cierold Prauss’ Zusammenlassung Spatestens seit Schopenhauer herrscht das Missverstandnis, die asthetische Beziehung eines schonen Objekts zu einem Subjekt verstehe Kant so, dass sie vom Objekt ausgehe, und zwar allein soweit das Subjekt in entsprechend asthetischer Einstellung bleibe, namlich willenlos-passiv in rein rezeptiver Kontemplation. Es unterlauft indes allein darum, weil dabei nicht geniigend be- riicksichtigt wird, was Kant unter praktischer und vor allem theoretischer Einstellung versteht, auf denen er die asthetische gerade dadurch begriindet, dass er iiber jene als Fundamente diese in bestimmter Weise noch hinausgehen Iasst. Holt man dies nach, so wird auch klar, dass asthetische Einstellung nach Kant keineswegs in jener Rezeptivitat bestehen kann, sondern sogar noch iiber theoretische und praktische hinaus als eine ganz besondere Spontaneitat und Intentionalitat erge- hen muss und damit gerade aus ausserster Freiheit als ausserstem Willen. Summary Certain people, and this misunderstanding goes back as far as Schopenhauer, attribute to Kant the idea that in an aesthetic relationship between a subject and a beautiful object, it is the object which is active and which affects the subject, in as much as the subject adopts an aesthetic attitude, i.e. a passive contemplation from which will is absent. However these do not ta.ke suffi- ciently into account that which Kant means by an attitude in a practical and more especially theoretical attitude, on which he bases an aesthetic attitude which extends and exceeds them. The purely receptive attitude leaves thus place to a particular spontaneity and intentionality and thus leads to an extreme freedem and will. Resume Certains, et ce malentendu remonte au nioins a Schopenhauer, attribuent a Kant I’idee que, dans la relation esthetique entre un sujet et un objet bean, c’est I’objet qui est actif et affecte le sujet pour autant que celui-ci adopte une attitude esthktique, c’est-a-dire de contemplation pas- sive et d’absence de volonte. Mais ils ne tiennent pas suffisamment compte de ce que Kant entend par attitude pratique et surtout theorique, sur lesquelles il base une attitude esthktique qui les pro- longe et les dkpasse. L’attitude purement receptive fait ainsi place B une spontaneite et intentiona- lit&et debouche sur une liberte et une volonte extrtmes. * Philosophische Fakultat der Universitst Koln Alberius-Magnus-Platz, D-5000 Koln- Lindenthal. Dialectica Vol. 35, Nn 1-2 (1981)

Kants Theorie der ästhetischen Einstellung

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Kants Theorie der asthetischen Einstellung von Cierold Prauss’

Zusammenlassung Spatestens seit Schopenhauer herrscht das Missverstandnis, die asthetische Beziehung eines

schonen Objekts zu einem Subjekt verstehe Kant so, dass sie vom Objekt ausgehe, und zwar allein soweit das Subjekt in entsprechend asthetischer Einstellung bleibe, namlich willenlos-passiv in rein rezeptiver Kontemplation. Es unterlauft indes allein darum, weil dabei nicht geniigend be- riicksichtigt wird, was Kant unter praktischer und vor allem theoretischer Einstellung versteht, auf denen er die asthetische gerade dadurch begriindet, dass er iiber jene als Fundamente diese in bestimmter Weise noch hinausgehen Iasst. Holt man dies nach, so wird auch klar, dass asthetische Einstellung nach Kant keineswegs in jener Rezeptivitat bestehen kann, sondern sogar noch iiber theoretische und praktische hinaus als eine ganz besondere Spontaneitat und Intentionalitat erge- hen muss und damit gerade aus ausserster Freiheit als ausserstem Willen.

Summary Certain people, and this misunderstanding goes back as far as Schopenhauer, attribute to

Kant the idea that in an aesthetic relationship between a subject and a beautiful object, it is the object which is active and which affects the subject, in as much as the subject adopts an aesthetic attitude, i.e. a passive contemplation from which will is absent. However these do not ta.ke suffi- ciently into account that which Kant means by an attitude in a practical and more especially theoretical attitude, on which he bases an aesthetic attitude which extends and exceeds them. The purely receptive attitude leaves thus place to a particular spontaneity and intentionality and thus leads to an extreme freedem and will.

Resume Certains, et ce malentendu remonte au nioins a Schopenhauer, attribuent a Kant I’idee que,

dans la relation esthetique entre un sujet et un objet bean, c’est I’objet qui est actif et affecte le sujet pour autant que celui-ci adopte une attitude esthktique, c’est-a-dire de contemplation pas- sive et d’absence de volonte. Mais ils ne tiennent pas suffisamment compte de ce que Kant entend par attitude pratique et surtout theorique, sur lesquelles il base une attitude esthktique qui les pro- longe et les dkpasse. L’attitude purement receptive fait ainsi place B une spontaneite et intentiona- lit& et debouche sur une liberte et une volonte extrtmes.

* Philosophische Fakultat der Universitst Koln Alberius-Magnus-Platz, D-5000 Koln- Lindenthal.

Dialectica Vol. 35, Nn 1-2 (1981)

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Im Rahmen seiner Asthetik in der Kritik der Urteilskraft (KU) mochte Kant die asthetische Einstellung als eine eigentumliche Art der Einstellung ei- nes Subjekts zu einem Objekt in Anspruch nehtrien. Und er meint, dieser An- spruch sei auch insoweit begrundet, als asthetische sowohl von praktischer wie auch von theoretischer Einstellung eines Subjekts zu einem Objekt sich ab- grenzen lasse. Bei dem Versuch indessen, diese Abgrenzung und damit Be- grundung der spezifisch asthetischen Einstellung tatsachlich zu vollziehen, ge- rat Kant in erhebliche Schwierigkeiten, die offenbar bisher noch gar nicht auf- gefallen sind. Das durfte damit zusammenhangen, dass man sich noch immer nicht hinreichend klarmacht: Selbst hier in der KU ist Kant noch weit entfernt von dem Ziel, seine neuen Ansatze zu einer Theorie der Subjektivitat des Sub- jekts auch durchzufuhren. Von der Aufdeckung dieser Schwierigkeiten ist da- her zu erwarten, dass sie nicht nur zu weiterer Klarung, sondern auch zu weite- rer Durchfuhrung dessen beitragen konnte, wozu Kant zunachst nur ansetzt, zu theoretischer Entfaltung dieser Subjektivitat.

Keine Schwierigkeit, so scheint es, bereitet Kant die Abgrenzung astheti- scher Einstellung von theoretischer, die er sogleich im ersten Paragraphen der KU vornimmt. Dabei geht er aus von etwas, das beiden gemeinsam ist: So- wohl der asthetischen Einstellung, ausgedruckt zum Beispiel durch ein Urteil wie ctDiese Tulpe ist schbn)), als auch der theoretischen Einstellung, beispiels- weise ausgedruckt durch ein Urteil wie ctDiese Tulpe ist rot)), liegen jeweils sinnlich-anschauliche ctVorstellungenn zugrunde (203,10)1, jene Sinnesdaten, Sinneseindriicke, Sinnesempfindungen in der privaten Innenwelt eines Sub- jekts.

Gegenuber dieser Gemeinsamkeit sol1 der Unterschied beider in folgendem bestehen. In einem Urteil wie trDiese Tulpe ist rot)) und damit in theoretischer Einstellung tcbezieht)) das Subjekt solche Vorstellung ctauf ein Objekt)) (vgl. ebd.). Das heisst: Aus einer Rotempfindung, zum Beispiel, gewinnt ein Sub- jekt durch Bildung eines Begriffes wie ccrot)) und durch Verwendung desselben zu einem Urteil wie ((Dies ist rot)) nicht etwa seine subjektive Empfindung selbst zum Gegenstand dieser Erkenntnis, sondern nur aus solcher Empfin-. dung heraus etwas anderes, ein rotes Objekt.

In einem Urteil wie ttDiese Tulpe ist schon)) dagegen sol1 dies nicht gesche- hen. Die Vorstellung, die dabei ebenso zugrunde liegt wie bei theoretischer Einstellung, bezieht das Subjekt in dieser asthetischen nicht auf das Objekt, sondern auf sich selbst, das Subjekt, namlich auf sein ttGefuhl der Lust und

Zahlen in Klarnrnern beziehen sich hier und irn folgenden auf Bd. 5 der Akadernieausgabe der Werke Kants, und zwar bezeichnet die Zahl vor dern Komrna jeweils eine Seite der KU und die Zahl nach dem Komrna jeweils eine Zeile dieser Seite.

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Unlust)) (203, 12). Mit einem Urteil wie ccDiese Tulpe ist rot)) bringt ein Sub- jekt eine objektive Erkenntnis von diesem Ding zum Ausdruck, mit einem Ur- teil wie tcDiese Tulpe ist schon)) dagegen nur ein subjektives Wohlgefallen an diesem Ding (204, 6ff.).

Doch so verstandlich dieser Unterschied der asthetischen gegenuber der theoretischen Einstellung auch erscheinen mag, er ist es keineswegs. Verstand- lich erscheint er vielmehr nur, solange Kant ausschliesslich diese beiden Ein- stellungen selber im Blick hat. Sobald er aber zudem noch die praktische mit in den Blick fasst, um auch ihr gegeniiber den Unterschied der asthetischen Einstellung hervorzuheben, wird deren Unterschied gegeniiber der theoreti- schen, der zunachst so verstandlich erscheint, geradezu unverstandlich.

Anders als theoretische Einstellung, welche in objektiver Erkenntnis von einem Ding besteht, soll asthetische Einstellung in einem subjektiven Wohlge- fallen an einem Ding bestehen. Solches Wohlgefallen aber tritt zunachst ein- ma1 als cdnteresse)) auf, das heisst als ein Wohlgefallen, das ctzugleich Bezie- hung auf das Begehrungsvermogen>) hat (204, 22ff.). Solches Interesse an Dingen aber bildet gerade die praktische Einstellung eines Subjekts zu Dingen. Und dieser geht es immer um die Existenz oder Wirklichkeit dessen, worauf sie sich richtet, weil dergleichen wie das Begehren von etwas immer erst in der Existenz oder Wirklichkeit dieses Etwas seine Befriedigung findet (vgl. 204, 27; 205, 9 ff.).

Auch von solcher praktischen Einstellung indessen soll asthetische sich nach Kant unterscheiden. Obwohl sie in Gestalt eines Urteils wie ((Diese Tulpe ist schon)) sich faktisch durchaus auf ein existierendes Ding beziehen mag, soll das subjektive Wohlgefallen, das sie darin zum Ausdruck bringt, kein interes- siertes Wohlgefallen sein, das heisst keines, das an der Existenz oder Wirklich- keit seines Gegenstandes interessiert und somit davon auch abhangig ware. Es soll vielmehr ein wninteressiertes)) oder ccinteresseloses)) Wohlgefallen sein, das von der Existenz oder Wirklichkeit seines Gegenstandes unabhangig ist (vgl. 205, 19; 211, 3 f.).

Diesen zunachst nur negativen Kennzeichnungen aber sucht Kant durch entsprechend positive dann auch noch einen eigentiimlichen Inhalt zu geben. Das Spezifische der asthetischen Einstellung gegenuber der praktischen soll danach in folgendem bestehen. In praktischer Einstellung ist ein Subjekt stets auf die Existenz von etwas aus, indem es versucht, im weitesten Sinne des Wortes etwas noch nicht Wirkliches allererst zu verwirklichen. In asthetischer Einstellung dagegen ist ein Subjekt, nach Kant, an der Existenz von etwas tcuninteressiert)) in dem Sinne, dass es dabei in ctblossem Urteil)) uber etwas begriffen ist, in ccblosser Betrachtung)) oder in {cblosser Kontemplationn (vgl. 207, 3; 204, 29; 209, 22 ff.).

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Damit aber verwickelt sich Kant, o b er selbst es nun bemerkt oder nicht, in Schwierigkeiten. Denn besteht in diesem Sinne nicht auch theoretische Einstel- lung eines Subjekts zu etwas in einem ccblossen Urteil)) uber dieses Etwas, in tcblosser Betrachtung)) oder ccblosser Kontemplation)) dieses Etwas? Hat nicht auch theoretische Einstellung ihren eigentumlichen Charakter darin, dass sie ebensowenig wie asthetische auf Verwirklichung von etwas ausgeht? Und ist sie demgemass nicht auch im Unterschied zur praktischen, die darin gerade besteht, an der Existenz oder Wirklichkeit von etwas ebenso ctuninteressiert)) wie asthetische? In genau dem Masse jedenfalls, in dem der spezifische Unter- schied der asthetischen gegenuber der praktischen Einstellung verstandlich wird, musste danach der Unterschied dieser asthetischen gegenuber jener the- oretischen wieder unverstandlich werden. Mag auch immer jener aufgezeigte Unterschied zwischen ihnen bestehen, ja mag es zwischen ihnen auch noch ei- ne Reihe weiterer Unterschiede geben, - gerade als spezifisch-theoretische bzw. als spezifisch-asthetische waren diese Einstellungen danach nicht mehr verstandlich. Mag es diesen Unterschieden entsprechend auch noch so vie1 ver- schiedene Arten tcblosser Kontemplation)) oder ctblosser Betrachtungn von et- was geben, - sie konnten als solche ctBetrachtung)) oder ttKontemplation)) selber nicht mehr verschieden sein. Sie ctasthetisch)) oder cctheoretisch}) zu nennen, ware dann letztlich gleichgultig und damit willkurlich: Wollte man solche ((Betrachtung)) oder ccKontemplation)) etwa eine ctasthetische)) Einstel- lung nennen, so ware die cctheoretischei) allenfalls noch als eine Unterart von dieser ccasthetischeni) unterscheidbar, keinesfalls aber noch spezifisch von ihr unterschieden, und umgekehrt2.

Angesichts dieser Schwierigkeit aber darf man eines nicht aus den Augen verlieren. Sie entsteht keineswegs deshalb, weil etwa Kant selbst seine Kenn- neichnung der asthetischen Einstellung auf die theoretische ubertruge. An kei- ner Stelle laisst sich auch nur der geringste Hinweis finden, als fasste Kant etwa selber die theoretische Einstellung gleicherweise als ctblosse Betrachtung)) oder ctblosse Kontemplation)) von etwas auf. Diese Schwierigkeit entsteht vielmehr allein dadurch, dass Kant die asthetische Einstellung in Abgrenzung zur prak- tischen zwar ausdrucklich in dieser Weise bestimmt, dass er dabei die theoreti- sche Einstellung aber in dieser Hinsicht offenbar unbestimmt lasst. Sie bleibt damit gleichsam in einem Vakuum, wo sie diese Bestimmung der asthetischen

2 Soweit ich sehe, war es Heidegger, der als erster dem Missverstandnis entgegentrat, jene dnteresselosigkeitn der asthetischen Einstellung einfach mit ctWillenlosigkeit>) gleichzusetzen (vgl. Niet-che, Bd. 1, Pfullingen 1961, S. 126 ff.), ein Missverstandnis, das seit Sthopenhauer herrscht und dessen Herrschaft offenbar trotz Heidegger bis heute ungebrochen ist (vgl. Anm. 6, 9 und 12). Heideggers grundsatzlich richtige Einsicht vermag sich offenbar nicht durchrusetzen, weil er sich dabei dern eigentlichen Problem der asthetischen Einstellung, nxmlich ihrem Unter- schied gegeniiber der theoretischen iiberhaupt nicht stellt.

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Einstellung geradezu zwangslaufig auch auf sich ziehen muss. Denn war es nicht immerhin Aristoteles, der diese Bestimmung gerade fur theoretische Ein- stellung in Anspruch genommen, der gerade ctTheoria)) als blosse ((Betrach- tung,) oder ((Kontemplation)) von etwas bestimmt hatte, als ccruhiges Verwei- len b e h etwas, wie Heidegger dies treffend ausdruckt, als ccreines Vernehmen van)) etwas3? Wenn Kant dies nun, wie es scheint, fur die asthetische Einstel- lung in Anspruch nimmt (vgl. 247,26; 258, 12), muss dies dann nicht erst recht und zuallererst fur die theoretische Einstellung gelten, zumal wenn Kant, wie es ebenfalls scheint, sie hier in keiner Weise davon ausnimmt4?

Indessen braucht man dies nur aufzuwerfen, um zu sehen, dass es auf kei- nen Fall zutreffen kann. Denn wenigstens insoweit durfte doch wohl Einigkeit bestehen, dass Kant gerade diese Rezeptivitatsauffassung, kurz gesprochen, durch eine Spontaneitatsauffassung der theoretischen Einstellung ersetzt. Das wurde dann aber bedeuten, dass hier in der KU etwas Bemerkenswertes ge- schieht . Den Charakter rezeptiver Kontemplation, den Kant bereits in der Kri- f ik der reinen Vernunft der theoretischen Einstellung abspricht, liesse er damit keineswegs etwa einfach fallen, wie es dort leicht den Anschein haben kann. Vielmehr sprache er ihn dieser theoretischen dort lediglich ab, um ihn hier in der KU, so scheint es, der asthetischen Einstellung zuzusprechen. Als Kritik an Aristoteles formuliert, wurde dies bedeuten, mit seiner Bestimmung der Theoria sei Aristoteles eine unzulassige Asthetisierung des Theoretischen un- terlaufen; er habe einen Charakter, der eigentlich allein asthetischer Einstel- lung zukomme, auf theoretische ubertragen.

Ausser dieser historischen hatte das aber auch noch sachlich-systematische Bedeutung fur die KU selbst. Vornehmlich in diesem Kontrast zum anschei- nend rezeptiven Charakter asthetischer Einstellung miisste theoretische mit ih- rem spontanen Charakter besonders deutlich hervortreten. Bei ihrer Abgren- zung von solcher asthetischen miisste die theoretische durch ihre Spontaneitat der praktischen Einstellung nahertreten. Genau in dieser Hinsicht aber fuhrt Kant seine Ansatze nicht durch. Ja selbst die Ansatze dazu, die bei ihm vorlie- gen, werden als solche erst eigentlich sichtbar, wenn der Blick fur sie durch die im vorigen entfaltete Problematik bereits gescharft ist. Dann aber lassen diese Ansatze sich tatsachlich in einer Weise durchfuhren, welche Kants Theorie der Subjektivitat im ganzen erhellt, das Wesen der theoretischen und praktischen ebenso wie das der asthetischen Einstellung dieser Subjektivitat.

Vgl. Sein und Zeit, 11. Aufl. Tiibingen 1967, S. 25 f., S. 33, S. 61, S. 138, S. 158, S. 170 ff., s. 357 ff.

In dieser schwierigen Idage, in die er sich damit selber bringt, unterlaufen ihm dann gele- gentlich auch Formulierungen, die den Eindruck erwecken konnten, als ob Kant seine Auffassung der theoretischen Einstellung als einer Spontaneitat hier geradezu verleugne (vgl. 2. B. 267, 32; 442, 20 ff.).

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Wie eng die Spontaneitat, die Kant bereits in theoretischer Einstellung er- blickt, tatsachlich mit derjenigen praktischer Einstellung zusammengehort, tritt erst stellenweise in der KU mit hinreichender Deutlichkeit hervor. Das ist kein Zufall. Denn auch erst hier im Rahmen von Teleologie und Asthetik wird Kant dazu herausgefordert, sich volle Rechenschaft daruber abzulegen, in welchem Sinne er seit der Kritik der reinen Vernunft die Subjektivitat als Spontaneitat in Anspruch nimmt: Nicht zufallig kennzeichnet er deshalb erst an einigen Stellen dieser KU auch theoretische Spontaneitat ausdrucklich als Intentionalitat.

So nimmt Kant an einer Stelle das Thema dieser theoretischen Spontanej- tat wieder auf, indem er noch einmal auf unsere ((Erkenntniskrafte)) zu spre- chen kommt. Und dabei sagt er kurzerhand, es sei Leistung (tunserer absichtli- chen Tatigkeit, womit wir jene ins Spiel setzen)) (218, 27 ff.). Und diese Aus- drucke der ((Absicht)) und ((Absichtlichkeit)), wofiir er stellenweise auch ((In- tention)> und dntentionalitat)) sagt (vgl. z.B. 390, 36; 392, 24), benutzt Kant in der KU standig, wenn es gilt, zwischen solchem zu unterscheiden, was zweckgerichtet ist und was nicht.

Doch diese Intentionalitat, die er hier in aller Deutlichkeit auch fur die the- oretische Einstellung der Erkenntnis in Anspruch nimmt, fiihrt er gerade fur sie nicht mehr weiter durch. Holt man dies aber nach, so lassen sich gerade die zentralen Teile seiner Theorie der Erkenntnis klarer formulieren und besser begrunden. Ich habe dies ausfuhrlicher in meiner kurzlich erschienenen Ein- fiihrung in die Erkenntnistheories versucht, aus der ich hier nur thesenhaft einiges herausgreifen kann:

So etwas wie eine Intention, von welcher Art auch immer sie sei, inten- diert als solche selbst von vornherein Erfolg und nichts als Erfolg. Sie muss daher, sofern sie nur immer ergeht, auch entweder erfolgreich oder erfolglos sein, den intendierten Erfolg tatsachlich erzielen oder verfehlen. Eine Intention hat man nicht dadurch, dass man sie selbst, diese Inten- tion, etwa allererst intendiert; eine Absicht hat man nicht dadurch, dass man etwa diese Absicht selbst beabsichtigt. Eine Absicht hat man viel- mehr dadurch, dass man irgendetwas beabsichtigt, eine Intention hat man, indem man irgendetwas intendiert, und das heisst dann: irgendet- was anderes als diese Intention oder Absicht selbst. Aus 1) und 2) zusammen folgt dann zwingend: Was jede Intention inten- diert, ihren Erfolg, intendiert sie von vornherein als etwas anderes ausser sich selbst, so dass sie diesen Erfolg, wenn sie ihn tatsachlich erzielt, auch nur als etwas anderes ausser sich selbst zu erzielen vermag.

5 Darrnntatit 1980.

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Besteht nun aber auch theoretische Spontaneitat in solcher Intentionalitat, was ist dann dasjenige, was Erkenntnis als Intention von vornherein als ande- res ausser sich selbst intendiert? Die Antwort darauf, welche Kant bereits in der Kritik der reinen Vernunft gegeben hat, vermag ihren Vollsinn erst zu ent- falten, nachdem nun auch die entsprechende Frage ausdrucklich gestellt ist: Unsere theoretische Spontaneitat ist das, wodurch wir ((a priori auf Objekte gehen)) (A 79 B 105), und das heisst, wodurch wir a priori auf Objekte ausge- hen, wodurch wir von vornherein Objekte intendieren.

Die letzte und entscheidende Frage aber stellt sich dann wie folgt: Wenn Erkenntnis diese Objekte, die sie intendiert, auch tatsachlich erzielt, was ge- nau ist dann eigentlich als dieser Erfolg von Erkenntnis zu betrachten? Un- kantische Auffassungen, zu denen man nicht nur vor, sondern auch nach Kant in dieser Frage zunachst einmal neigt, sind an der Antwort erkennbar, ihren Erfolg habe Erkenntnis jeweils darin, dass sie etwas zum Gegenstand ge- winne, namlich etwas immer schon Wirkliches lediglich noch vergegenstandli- che.

Demgegenuber lautet die Kantische Auffassung vielmehr genau umge- kehrt: Ihren Erfolg hat Erkenntnis jeweils darin, etwas, das sie immer schon vergegenstandlicht, auch zu verwirklichen. Nicht schon darin, dass durch sie ein Ding der Aussenwelt gegenstandlich wird, ist Erkenntnis erfolgreich, son- dern erst darin, dass dies in jedem Falle gegenstandliche Ding auch wirklich wird. Und das Argument, das Kant dabei auf seiner Seite hat, ergibt sich aus einern Faktum, das schwerlich zu leugnen sein durfte: Dass Erkenntnis ihren Erfolg nicht in der Vergegenstandlichung von etwas, sondern in der Verwirkli- chung dieses vergegenstandlichten Etwas hat, dies muss so sein, weil die Ver- gegenstandlichung von etwas auch bei Misserfolg von Erkenntnis, auch bei falscher Erkenntnis auf jeden Fall vorliegt: Auch in Sinnestauschung, Halluzi- nation oder Traum von etwas ist uns dieses Etwas auf jeden Fall gegenstand- lich. Darum sind alle diese Falle auch nicht etwa deshalb Falle von falscher Er- kenntnis, weil uns dabei nichts gegenstandlich wiirde, sondern weil das, was uns sehr wohl dabei gegenstandlich wird, nicht auch wirklich wird, obwohl seine Wirklichkeit dabei intendiert ist.

Theoretische Spontaneitat besteht als Intentionalitat somit darin, durch Vergegenstandlichung von etwas gerade die Verwirklichung dieses Etwas zu intendieren. Deshalb besteht auch sogenannte <tWirkfichkeitn, die uns immer schon als ein ttAnsichseini) vorgegeben scheint, in Wahrheit nur als ccVerwirk- lichtheit)), namlich als ein Erfolg unserer Intentionalitat selbst.

An einer weiteren Stelle der KU, wo Kant auch theoretische Spontaneitat als Intentionalitat herausstellt, wird dies besonders deutlich (484, 7 ff.). Hier sagt er von ihr geradezu, dass er diese ctKausalitat des Menschen in Ansehung

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gewisser Produkte, welche nur durch absichtliche Zweckmassigkeit erklarlich sind, dadurch bestimme)), dass er sie ctals einen Verstand desselben denke)). Intentionalitat aber wird hier so entschieden zur Geltung gebracht, dass man dies zunachst uberhaupt nicht als Kennzeichnung von Erkennen, sondern so- gleich ganz selbstverstandlich als Kennzeichnung von Handeln versteht: ((Pro- dukte)), welche nur durch ((Kausalitat)) als ccabsichtliche Zweckmassigkeit er- klarlich sind)), - das konnen doch nur Dinge sein wie Stuhle, Tische und Hauser, die durch menschliches Handeln hergestellt sind.

Erst seine unmittelbar folgende Begrundung erzwingt dann die Einsicht, dass Kant hier dennoch nicht von diesen Produkten menschlichen Handelns spricht, sondern von jenen Produkten menschlichen Erkennens. Als Begrun- dung namlich fugt er kurzerhand hinzu: crDenn ich weiss, dass Anschauungen den Sinnen des Menschen gegeben und durch den Verstand unter einen Begriff und hiermit unter eine Regel gebracht werden)). Nicht das, was durch jenes menschliche Handeln, sondern das, was durch dieses menschliche Erkennen verwirklicht wird, das Erkenntnisobjekt, kennzeichnet Kant hier als ein ((Pro- dukt)), das m u r durch absichtliche Zweckmassigkeit erklarlich)) sei.

Unter dieser Auffassung aber gewinnen jene Ausfuhrungen Kants uber theoretische Einstellung, die er in dieser Hinsicht unbestimmt und dadurch fur den Sinn aristotelischer ((Theoria)) offen lasst, sofort einen ganzlich anderen Sinn. Theoretische Einstellung ist nach Kant keineswegs in dem Sinne theore- tisch, dass sie etwa wie aristotelische Theoria in praktischer Hinsicht gleich- Sam noch ganzlich harmlos und unschuldig ware. Unbeschadet ihres theoreti- schen Charakters ist sie als Intentionalitat vielmehr etwas, worin Subjektivitat ebenso wie in praktischer Einstellung auf Verwirklichung von etwas ausgeht.

Der Unterschied liegt ausschliesslich darin, dass Subjektivitat in prakti- scher Einstellung etwas Wirkliches lediglich mittelbar und abgeleitet zu ver- wirklichen sucht: Ihre Praxis vollzieht sich immer nur in der Weise, dass Sub- jektivitat bei Wirklichem immer schon ist und lediglich noch versucht, dieses immer schon Wirkliche durch Veranderung in anderes Wirkliches umzuwan- deln. Im Unterschied zu solcher mittelbaren und abgeleiteten ist eine unmittel- bare und ursprungliche Verwirklichung von Wirklichem durch praktische In- tentionalitat der Subjektivitat uberhaupt nicht moglich, denn dies musste dann c r e d o ex nihilo bedeuten. Die einzige Weise, wie Subjektivitat etwas Wirkliches unmittelbar und urspriinglich verwirklichen kann, wie sie uber- haupt dergleichen wie Wirklichkeit ursprunglich und unmittelbar zu gewinnen vermag, ist vielmehr ihre theoretische Intentionalitat,

Deshalb ist es auch so wichtig, mit Kant daran festzuhalten: Diese Ver- wirklichung besteht als Erkenntnis von Aussenwelt darin, solche Aussenwelt aus Innenwelt, aus Sinnesdaten zu verwirklichen. Eben dadurch namlich stellt

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Erkenntnis das Eigentumliche einer Verwirklichung dar, welche Wirkliches einerseits ursprunglich und unmittelbar und dennoch anderseits nicht einfach aus nichts verwirklicht und damit auch nicht das Unding einer creatio ex nihi- lo bildet.

Auf diese Weise aber stellt sich heraus: Unsere praktische Einstellung steht unlosbar in Abhangigkeit von unserer theoretischen. Denn zu jener mittelba- ren und abgeleiteten Verwirklichung von Wirklichem in unserem Handeln sind wir uberhaupt nur in der Lage auf Grund dieser unmittelbaren und ur- spriinglichen Verwirklichung von Wirklichem in unserem Erkennen. Und das bedeutet umgekehrt: Dergleichen wie die theoretische Einstellung unseres Er- kennens entspringt iiberhaupt nur als der Versuch zur Erfiillung dieser not- wendigen Vorbedingung fur die praktische Einstellung unseres Handelns und steht insofern dieser praktischen tatsachlich weit naher als jener asthetischen: Als theoretische ist unsere Intentionalitat von vornherein nichts anderes als der notwendige Schritt zur praktischen hin.

Genau dies ist gemeint, wenn Kant sagt, anders als im asthetischen Urteil werde im theoretischen das Sinnesdatum von vornherein durch Bildung und Verwendung eines Begriffes ctauf ein Objekt bezogen)). Hinter diesem un- scheinbaren ctBeziehen)) verbirgt sich der ganze Nachdruck jener Intentionali- ta t , die durch einen Begriff im Erkennen ein Objekt uberhaupt nur zu ver- wirklichen sucht, um im Handeln daraus etwas anderes zu verwirklichen. Ein Objekt von dieser oder jener ‘Eigenschaft’ verwirklichen wir im Erkennen durch diesen oder jenen Begriff ausschliesslich in dem Sinne, dass wir dadurch dieses Objekt als ‘geeignet’ oder ‘ungeeignet’ zu diesem oder jenem Handeln verwirklichen. Was scheinbar bloss theoretische ‘Eigenschaft’ eines Objekts ist, bildet in Wahrheit eine praktische ‘Geeignetheit’ oder ‘Ungeeignetheit’ ei- nes Objekts fur diese oder jene Handlung. Schon in der Wahrnehmung als Ur- sprung unserer Erkenntnis von etwas erblicken wir dieses Etwas jeweils nie- mals bloss als solches, bloss theoretisch als Tulpe oder als rot und dergleichen. Wir erblicken es vielmehr von vornherein praktisch, als etwas namlich, das als solches, als Tulpe oder als rotes, fur diesen oder jenen Zweck unseres Han- delns brauchbar oder unbrauchbar, nutzlich oder schadlich, geeignet oder un- geeignet ist. Der Begriff, der dies leistet, ist deshalb auch niemals bloss theore- tisch, sondern als solcher selbst zugleich schon praktisch, indem er namlich als Begriff nichts anderes als zweckgerichteter Vorgriff auf Objekte ist, wodurch Subjekte sich diese Objekte zum Zwecke ihres Handelns selbst zur Verfugung stellen.

1st damit nun aber geklart, dass nach Kant jene theoretische Einstellung als solche selbst diesen praktischen Sinn besitzt, so wird damit auch klar, dass asthetische Einstellung sich nicht nur von jener praktischen, sondern auch von

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dieser theoretischen unterscheidet. Indem namlich nicht erst praktische, son- dern bereits theoretische im genannten Sinne zweckgerichtet ist und damit in- teressiert, muss asthetische Einstellung, die als bloss kontemplative Betrach- tung vielmehr uninteressiert, zweckungerichtet sein soll, von beiden auch grundverschieden sein.

Erst diese Klarung aber stellt dann auch klar, in welch ein sachlich- systematisches Problem Kant gerat, indem er versucht, zu jener theoretischen und praktischen auch die asthetische noch als eigentumliche Einstellung der Subjektivitat zu begrunden. So weit ich sehe, hat man bisher jedoch in Erman- gelung dieser Klarung auch dieses Problem nicht bemerkt.

Dies erhellt bereits daraus, dass man sich bis heute immer wieder dazu ver- leiten Iasst, die asthetische Einstellung, wie sie Kant vorschwebt, in einem fun- damentalen Sinne misszuverstehen. Wenn Kant sie als ctblosse Betrachtungn oder ctblosse Kontemplationi) bezeichnet, welche in Form des asthetischen Ur- teils lediglich als wninteressiertes Wohlgefallen)) zum Ausdruck kornrne, so pflegt man dies sogleich in der Weise zu verstehen, als fasse Kant die astheti- sche Einstellung uberhaupt nicht ccals Intention auf einen Gegenstand)) auf, sondern lediglich ccals ein Gefallen aus Anlass eines Gegenstandess)).

Erst aus jener Klarung, wonach asthetische sich nicht nur von praktischer, sondern vor allem auch von theoretischer Einstellung unterscheiden miisste, geht dann hervor: Mag es auf den ersten Blick auch noch so sehr diesen An- schein haben, - aus sachlich-systematischen Griinden ist es dennoch schlech- terdings ausgeschlossen, Kant konnte die asthetische Einstellung als jene Pas- sivitat eines blossen Gefallens oder einer blossen Kontemplation im aristoteli- schen Sinne verstehen.

Dies zeigt sich unter anderem bereits an der Struktur, die Kant dem asthe- tischen Urteil zugrunde legen muss. Dass er sich immer wieder an Beispielen vom Typ ctDiese Tulpe ist schon)) orientiert, ist kein Zufall. Mit Recht namlich erblickt er das Problem des asthetischen Urteils in folgendem: Anders als Aus- driicke wie ccrot,) in Urteilen wie ((Diese Tulpe ist rob) steht ein Ausdruck wie ctschon)) in einem Urteil wie ccDiese Tulpe ist schon)) nicht fur einen Begriff von diesem Objekt. Und dementsprechend ist Schonheit auch nicht wie Rote eine Eigenschaft dieses Objekts, obwohl in beiden Fallen zweifellos von der Tulpe selbst, von diesem Objekt die Rede ist (vgl. z.B. 290, 17 f.; 347, 6 f . ) . Eben daraus aber entspringt das Problem des asthetischen Urteils, naimlich was in einem Urteil wie ccDiese Tulpe ist schon)) uber diese Tulpe dann uber- haupt ausgesagt werde.

6 Dieter Henrich, Kunst und Nalur in der idealisiischen Asihetik, in: Nuchuhrnung und I l lu- sion, hrsg. v. H.R. Jauss, Miinchen 1964, S. 129.

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Dieses Problem jedoch vertieft sich geradezu ins Fundamentale, sofern man dafur die im vorigen geklarte Auffassung Kants vom theoretischen Urteil zugrunde legt. Denn daraus ergibt sich sogleich, dass strenggenornmen ein Ur- teil wie ((Dies ist schon)) noch gar kein vollstandiges asthetisches Urteil ware, indes ein Urteil wie ((Dies ist rot)) sehr wohl ein vollstandiges theoretisches Ur- teil ist. Sol1 namlich crschon)) kein Begriff von einem Objekt sein und dement- sprechend Schonheit auch keine Eigenschaft eines Objekts, so bleibt auch aus- geschlossen, dass durch ein Urteil wie ((Dies ist schom uberhaupt von einem Objekt die Rede sein konnte, wahrend das bei einem Urteil wie ((Dies ist rob) sehr wohl der Fall ist. Um tatsachlich uber ein Objekt zu urteilen, muss daher ein asthetisches Urteil, ob nun in expliziter oder impliziter Form, grundsatz- lich eine Struktur vom Typ ((Diese Tulpe ist schon)) besitzen, also eine Struk- tur, deren voile Explikation gerade nach Kant nur lauten kann ((Dies ist eine Tulpe und ist schoni). Denn auch ein Urteil wie ((Diese Tulpe ist rot)) besitzt nach Kant in voller Explikation die Form ((Dies ist eine Tulpe und ist rot)).

1st aber solch ein Urteil als ein theoretisches bereits kornplex, so ist dage- gen ein Urteil wie ((Diese Tulpe ist schon)), selbst in seiner expliziten Form ((Dies ist eine Tulpe und ist schon)), als ein asthetisches Urteil elernentar: Al- lein in solcher Form ist ein asthetisches uberhaupt erst ein vollstandiges Urteil. Das heisst jedoch: Ein jedes asthetische Urteil enthalt notwendigerweise als solches selbst schon imrner ein theoretisches Urteil. Denn allein auf Grund ei- nes solchen theoretischen Urteils kann ein asthetisches uberhaupt ein Objekt besitzen.

Damit jedoch muss schon allein die Moglichkeit von so etwas wie astheti- scher Einstellung fragwurdig werden, und zwar aus sachfch-systernatischen Griinden. Denn ein Objekt besitzen wir im theoretischen Urteil jeweils nur auf Grund der ganzen Spontaneitat und Intentionalitat, mit der wir schon durch solche Theorie uns ein Objekt uberhaupt nur verwirklichen, urn es uns fur un- sere Praxis 7ur Verfugung zu stellen. Nur als ein Korrelat zu solcher Zweckge- richtetheit und Interessiertheit, die auch in theoretischer Einstellung schon im- mer am Werk ist, kann es ein Objekt fur uns iiberhaupt geben.

Wie aber konnte es dann moglich sein, ausgerechnet zu einem solchen Ob- jekt, das allein fur imrner schon interessierte theoretische Einstellung uber- haupt Objekt wird, eine uninteressierte asthetische Einstellung einzunehmen, und dies jeweils auch noch innerhalb eines einzigen elementaren Urteils? Wie kann so etwas wie asthetische Einstellung iiberhaupt moglich sein, wenn sie notwendig mit solcher theoretischen in Einheit bestehen muss?

1st diese Frage, und das heisst das Problem der asthetischen Einstellung erst einrnal in dieser vollen Explikation gestellt, so ergibt sich die Antwort dar- auf wie von selbst, zunachst als negative, dann aber auch sogleich als positive.

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Auf keinen Fall kann asthetische Einstellung zu einem Objekt etwa in dem Sinne als ctkontemplatives Wohlgefallen)) an ihm moglich werden, dass solche Konternplation in blosser Passivitat gegeniiber ihrern Objekt bestunde. Denn solche Passivitat liegt nicht einmal irn Falle theoretischer Einstellung vor, wel- che ihrerseits vielrnehr Aktivitat ist, namlich an Wirklichkeit interessierte In- tentionalitat. Entsprechend konnte so etwas wie Wohlgefallen, trate es im Zu- samrnenhang mit Kontemplation im Sinne dieser theoretischen Einstellung auf, auch immer nur interessiertes Wohlgefallen sein. 1st dabei jene ganze Spontaneitat und Intentionalitat der interessierten theoretischen Einstellung bereits am Werk, so kann asthetische Einstellung vielmehr im Gegenteil nur moglich werden als eine ganz besondere Aktivitat, als eine solche namlich, welche jene Aktivitat der theoretischen Einstellung noch uberbietet, indem sie sie uberwindet.

Hat man sich das soweit klargernacht, so hat man sich damit auch den Blick gescharft fur den Sinn einer Reihe von Stellen, an denen Kant zur Kenn- zeichnung der asthetischen Einstellung weit spezifischere Ausdrucke heran- zieht als die der blossen Kontemplation und des blossen Gefallens, die ihnen gegeniiber vie1 zu unspezifisch sind und damit systematisch irrefuhrend.

Zum Beispiel sagt Kant wiederholt, asthetische Einstellung zu einem Ob- jekt bestehe eigentlich in ((Bewunderung)) fur dieses Objekt, j a sogar in (<Lie- be)) zu diesem Objekt (vgl. 267, 36; 299, 10). Schon daran zeigt sich klar, dass asthetische Einstellung, so gewiss ihr sinnlich-passives Gefallen zugrunde liegt, in solcher Passivitat doch keinesfalls aufgeht. Daruber hinaus besteht sie vielmehr durchaus als eine Aktivitat, die durch einen erheblichen Anteil an Spontaneitat als Intentionalitat sehr wohl auch selbst auf ein Objekt gerichtet ist, ebenso wie theoretische und praktische Einstellung ihrerseits. Das wird noch deutlicher, wenn Kant sagt, asthetische Einstellung zu einem Objekt ge- he dahin, diesem Objekt jeweils ((Beifall zu widmen)) (vgl. 207,7; 210, 14; 210, 21) oder ((Gunst)) zu erweisen (vgl. 210, 16; 380, 31).

Alle diese Ausdriicke komrnen darin uberein, dass asthetische Einstellung zu einem Objekt weit hinausgeht uber ein bloss kontemplatives Gefallen an diesern Objekt. Sowohl als ((Liebe)) und ((Bewunderung)) wie vor allem auch als ((Beifall)), der crgewidrnet)) oder ccgespendet)) wird, sowie als ((Gunst>), die cterwiesen)) wird, ist asthetische Einstellung vielmehr ohne Zweifel auch ihrer- seits eine spontane Intention auf ein Objekt.

Dies lasst sich nicht allein in dieser sprachlichen, sondern auch noch in sachlich-systematischer Hinsicht verdeutlichen. Sieht man namlich von dem Sinn, den sie hier im Zusammenhang der Asthetik bekommen, einmal ab, so zeigt sich sofort: Zunachst besitzen alle Ausdrucke wie ((Liebe)), ((Bewunde- rung)), ctBeifal1)) und ((Gunst)) einen praktischen Sinn. Cemeinsam ist ihnen

Kants Theorie der asthetischen Einstellung 277

aber nicht nur, dass sie damit in den Zusammenhang der Praktischen Philoso- phie gehoren, gemeinsam ist ihnen auch der ausgezeichnete systematische Ort, den sie hier einnehmen. Denn sie bezeichnen grundsatzlich Handlungen, je- doch gerade solche, zu denen Subjektivitat grundsatzlich niemals moralisch verpflichtet sein kann. Vielmehr gehen Handlungen wie die der Liebe, der Be- wunderung, des Beifalls oder der Gunst iiber jegliche moralische Verpflich- tung weit hinaus und werden aus diesem Grunde von Kant ((Verdienste)) oder werdienstlich)) genannt 7.

Mit dieser Kennzeichnung aber hebt Kant an solchen Handlungen nichts anderes hervor, als dass in ihnen gerade ein Hdchstmass jener Spontaneitat und Intentionalitat, die er Freiheit nennt, sozusagen eine potenzierte Freiheit am Werke ist. Von dem, der solche verdienstlichen Handlungen vollbringt, gilt schon allein umgangssprachlich: Das ist sein freier Wille, das tut er ‘aus freien Stucken’, dazu ist er durch nichts gezwungen, das heisst nicht einmal durch das Moralgesetz, das selbst bereits allein der Freiheit entstammt.

Halt man dies fest, so wird auch klar: Wenn Kant die Ausdrucke fur diese besondere praktische Einstellung auf asthetische ubertragt, so erzielt er damit Metaphern, die zur Kennzeichnung dieser spezifischen Einstellung sich tat- sachlich eignen, weil diese sich von jener praktischen sowohl unterscheidet als auch mit ihr etwas gemeinsam hat.

Wenn Kant auch asthetische Einstellung als ((Bewunderung)), ((Liebe)), (t Beifall)) oder ((Gunst)) kennzeichnet, so fallt durch diese Ubertragung selbst der Sinn des ((Verdienstes)) aus diesen Ausdriicken weg. Als etwas spezifisch Praktisches bleibt der Charakter des ((Verdienstlichen)) dabei zuruck und auf den praktischen Bereich beschriinkt, so dass in dieser Hinsicht sich asthetische von praktischer Einstellung sogleich unterscheidet. Und in der Tat: Wenn der Besitzer eines Waldes angesichts einer ctsch6nenn Buche sich nicht dem Ge- danken uberlasst, was dieser Baum ihm als Kaminholz oder gar als Rohstoff fur Mobel einbringen konnte, sondern stattdessen in Bewunderung oder Lie- be, in Gunst oder Beifall vor dieser Buche verharrt, dann erwirbt er sich damit keine Verdienste. Und zwar allein schon deshalb nicht, weil er damit in prakti- sche Einstellung gar nicht eintritt: Er versucht dadurch schlechterdings nichts zu verwirklichen, weder theoretisch durch Erkennen noch praktisch durch Handeln; in solche Einstellung tritt er dabei nicht nur nicht ein, sondern er tritt dadurch vielmehr gerade aus ihr zuriick.

Nicht afs eine verdienstlich-praktische, wohl aber wie eine solche bezieht er diese gsthetische Einstellung indes ausschliesslich dadurch, dass er dazu ein Hochstmass an Freiheit, ein Hochstmass jener Spontaneitat und Intentionali-

Vgl. z .B. Kritik der praktischen Vemunft, Akad.-Ausg. Bd. 5, S. 82-85.

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tat aktiviert. Nur indem man jene freiheitliche Spontaneitat und Intentionali- tat, mit der man sich bereits in theoretischer Einstellung immer schon auf praktische richtet, aus eben dieser spontanen und intentionalen Freiheit her- aus wieder ruckgangig macht und ohne jeden interessierten Seitenblick auf ein Objekt als solches richtet, erst damit hat man sich in asthetische Einstellung zu diesem Objekt gebrach?.

Das heisst dann aber weiter: Nicht jene theoretische, die ihrerseits an Wirklichkeit schon immer interessierte Einstellung ist, sondern allenfalls diese asthetische bildet dergleichen wie Theoria oder Kontemplation eines Objekts als solchen. Nur ist sie dies danach freilich nicht in dem Sinne, als fiele sie ei- nem passiven Subjekt einfach zu, sondern eben als eine besondere Einstellung zu einem Objekt, das heisst als eine besondere Intention auf dieses Objekt, in welche ein Subjekt aus freier Spontaneitat heraus sich allererst bringen muss. Sofern sie ihm uberhaupt gelingt, stellt asthetische Einstellung hiernach im wahrsten Sinne des Wortes eine Errungenschaft dar, die ein Subjekt sich sel- ber abgerungen hat. Denn gerade dies, Subjekt eines Objekts, ist es zunachst einmal als jenes theoretische und praktische Interesse an diesem Objekt und muss sich somit zu asthetischer Einstellung letztlich selbst uberwinden.

Aus dieser Perspektive hatte jene Kritik von Kant an Aristoteles genauer zu lauten: Durch seine Idee der Theoria wird theoretische Einstellung nicht al- lein in unzulassiger Weise asthetisiert; daruber hinaus ist diese Asthetisierung als solche selbst auch noch irrefiihrend. Denn ein ccruhiges)) Vernehmen von Objekten in ttBetrachtung)) oder ctKontemplationn ist nicht einmal asthetische Einstellung, ja sie sogar am allerwenigsten etwa im aristotelischen Sinne. Alle diese Ausdrucke, die Kant ubernimmt, bekommen bei ihm vielmehr einen grundsatzlich anderen, ja letztlich sogar umgekehrten Sinn. Dergleichen wie ctTheoria)) als ttRuhe)) blosser ttKontemplation)) oder ((Betrachtung)) eines Objekts in asthetischer Einstellung ist etwas, das ein Subjekt, wenn uber- haupt, dann nur durch eine letzte und hochste Anstrengung seiner Spontanei- tat und Intentionalitat gerade noch zustandebringt als ein standig labiles und daher stabil zu haltendes Ergebnis einer Leistung.

Eben diese Spontaneitat und Intentionalitiit, die allein auf Freiheit beru- hen kann, nimmt Kant fur asthetische Einstellung auch tatsachlich in An- spruch, namlich fur sie als jene ctGunstn oder jenen ctBeifal1)) fur ein Objekt. Was in einem asthetischen Urteil daruber zum Ausdruck komme, sei (tfreier Beifall)) (210, 21 f., kursiv von mir), sei ((Gunst)) fur ein Objekt, die Kant ttdas einzige freie Wohlgefalleni) an einem Objekt nennt (210, 16 f . , kursiv von mir). Dass damit tatsachlich Freiheit im Sinne der im vorigen entwickelten Spontaneitat und Intentionalitat gemeint ist, zeigt sich daran, dass bei unacht- samer Formulierung diese Freiheit leicht in Konflikt geraten kann mit jenem

Kants Theorie der asthetischen Einstellung 279

sinnlich-passiven Gefallen, das dabei ebenfalls zugrunde liegt. In geradezu ku- rioser Wortverbindung sagt Kant an einer Stelle, in asthetischer Einstellung werde einem Gegenstand ccein Wohlgefallen gewidmet)) (vgl. 211, 17 f.). Ein sinnlich-passives Wohlgefallen indessen kann man als solches nur haben oder nicht haben, aber doch wohl schwerlich ((widmen)).

Dennoch ist klar, dass Kant damit lediglich in Umschreibung jene Gunst oder jenen Beifall bezeichnet, worin sinnlich-passives Gefallen zwar mit vor- liegt, worin jedoch die Freiheit jener Spontaneitat und Intentionalitat auf ei- nen Gegenstand den Vorrang hat. Eben dafur findet Kant eine endgultig-klare Formulierung, wenn er sagt, asthetische Einstellung zu einem Gegenstand er- reichen wir als {{Freiheit, uns selbst irgend woraus einen Gegenstand der Lust zu machem (210, 19 f. , kursiv von mir).

Daraus geht hervor, dass die asthetische Beziehung zwischen einem Objekt und einem Subjekt auf keinen Fall vom Objekt ausgeht und das Subjekt etwa als passives voraussetzt oder sogar passiv macht, wie zum Beispiel Schopen- hauer meint, der Kant hier durchwegs missverstehtl. Sie geht vielmehr allein vom Subjekt aus, weil sie im Gegenteil seine h6chste Aktivitat erfordert. In solche Beziehung zu einem Objekt vermag ein Subjekt allein insoweit einzutre- ten, als es in der Lage ist, sich von der Spontaneitat, mit der es immer schon in praktisch interessierte theoretische Einstellung zu diesem Objekt tritt und tre- ten muss, um es uberhaupt zum Objekt zu gewinnen, aus Spontaneitat heraus wieder zu befreiens.

Von allen Konzeptionen, welche die asthetische Beziehung vom Objekt ausgehen lassen, ist die Kantische Konzeption somit nicht nur deutlich ver- schieden, so deutlich jedenfalls, dass unverstandlich bleibt, wie man sie selbst

So riihrnt er ihm zum Beispiel nach: ccKaeten aber war auch hier das Verdienst aufbehal- ten, die Anregung selbsf, infolge welcher wir das sie veranlassende Objekt schon nennen, ernstlich und tief zu untersuchen.)) (Die Welt als Wille und Vorstellung, in: Sdmtliche Werke, hg. von Lbh- neysen, Bd. 1, Stuttgart/Frankfurt a. M. 1960, S. 709 f.). Oder noch deutlicher: ccBeim Schonen hat das reine Erkennen ohne Kampjdie Oberhand gewonnen, indem die Schonheit des Objekts . . . den Willen und die seinem Dienste franende Erkenntnis . . . ohne Widerstand . . . aus dem Bewusstsein enfjernte und dasselbe als reines Subjekt des Erkennens iibrig liessn (ebd. S. 287, im zweiten Zitat Kursives von mir).

Lange vor jenem Missverstandnis Schopenhauers hat offenbar zumindest einer wenigstens geahnt, wie sehr gerade asthetische Einstellung nach Kant allein durch spezifische Intentionalitat sich beziehen lasst. In Fichtes Versuch eines erkfarenden Auszugs aus Kants Kritik der Urfeils- kraft von 1790/91 finden sich rnindestens zwei in dieser Hinsicht bernerkenswerte Formulierun- gen. Zunachst setzt Fichte zii einem Text der KU (222, 33-37) hinzu, dass das Gemiit ctsich hinge- gen bei der Betrachtung des Schonen akfiv verhalta (Fichte, Gesamtausgube, 11, 1, Stuttgart-Bad Cannstadt 1962, S. 366, kursiv von rnir). Und einen andern Satz der KU (231, 11-14) forrnuliert er kurzerhand urn zu folgender treffenden Kennzeichnung der lsthetischen Einstellung: ccIn der Beurteilung eines Dinges, dessen Zweck allgerneingiiltig bestimmt ist, muss man . . . absichtlich von i h n abstrahieren, urn ein reines Geschmacksurteil iiber es [im Text falschlich: ihn] zu fallen (a.a.O., S. 373, kursiv von mir).

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im Sinne jener Konzeptionen durchwegs missverstehen konnte 10. Diese Kanti- sche Konzeption ist auch allen jenen andern deutlich uberlegen, weil sie ein Faktum der asthetischen Beziehung, das jene nicht erklaren kOnnen, zu erkla- ren vermag. Es ist ein Faktum, dass nicht wenige Subjekte an der Schijnheit von Objekten der Natur oder Kunst, mag sie auch noch so makeilos sein, im- mer wieder vorbeigehen, ja dass selbst die andern, wenn auch nicht immer, so doch immer noch oft genug daran vorbeigehen.

Fur alle Konzeptionen, welche die asthetische Beziehung auf eine Wirkung zuruckfuhren, die vom schOnen Objekt ausgehell, muss dieses Faktum letzt- lich unerklarbar bleiben. Fur die Kantische aber ist es erklarbar: Soweit Sub- jekte nicht in der Lage sind, sich von ihrer praktisch interessierten Intentiona- litat, die gerade auch in theoretischer Einstellung schon immer diese Ausrich- tung hat, spontan aus sich selbst heraus zu befreien, genau so weit sind sie fur ein Gefallen an so etwas wie Schonheit auch prinzipiell nicht empfanglich. Je- ne Spontaneitgt ist die notwendige Voraussetzung fur diese Rezeptivitat, Al- lein durch solche Selbstbefreiung, die ein Subjekt aus Spontaneitat heraus zu leisten hat, erijffnet es sich selbst den Horizont, worin allererst ein Objekt als schones in Erscheinung zu treten vermag.

Mit dieser Konzeption will Kant aber auch nicht etwa auf eine empirisch- psychische oder empirisch-soziale Abhangigkeit asthetischer Einstellung hin- aus, so als sei nur der Reiche solch einer Einstellung fahig. Dem steht namlich das weitere Faktum entgegen, dass zu solcher Einstellung sehr wohl auch der Arme imstande ist. Dementsprechend hangt nach Kant iisthetische Einstellung auch nicht von empirischer Subjektivitat ab, sondern allein von nichtempiri- scher. Gleich der Frage, ob ein Subjekt die Moralitat, zu der es grundsatzlich in der Lage ist, tatsachlich praktiziert oder nicht, ist eben auch die Frage, ob es die asthetische Einstellung, zu der es grundsatzlich in der Lage ist, tatsach- lich bezieht oder nicht, ausschliesslich eine Sache der Freiheit und damit auch der Unergrundlichkeit.

Dem entspricht gewissermassen auch das, was ein Subjekt nach Kant zum Ausdruck bringt, indem es ein Objekt als ccschbn,, bezeichnet. Bekanntlich hat er versucht, den Inhalt dieses Pradikats als ein bestimmtes Verhaltnis zwischen Sinnlichkeit und Verstand, also der Einbildungskraft des Subjekts zu kOnStFU-

10 Auch Stellen wie z. B. die in 267, 35 durfen nicht in diesem Sinne verstanden werden. Ihre diesbezuglich irrefuhrende Formulierung ist allein dadurch bedingt, dass Kant hier versucht, das Schone vom Erhabenen abzugrenzen.

So sagt zum Beispiel Henrich durchaus beifallig: crAngeregt durch die Kantische Bestim- mung hat Schopenhauer das Wesen des Asthetischen geradezu in die Befreiung vom Willen zu set- zen vermocht . . . Alles Streben ist vielmehr gerade in ihm [dem Schbnen] zur Ruhe gekommen. Das Subjekt findet sich befreit und herausgehoben aus allen Tatigkeiten.)) Zeitschr. f. philos. Forschung, Bd. 11, 1957, S. 530 (kursiv von mir).

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ieren, eine Konstruktion, deren Schwierigkeit und Abstraktheit einen eigenen Vortrag erforderte. Zumindest an drei Stellen aber deutet Kant wenigstens an, was dieses abstrakte Koristrukt konkret bedeutet (vgl. 220, 17-31; 240, 24-241, 3; 306, 14-23). In voller Entfaltung ihres Sinns besagen diese Stellen folgendes: Nennt ein Subjekt ein Objekt ctschon),, zum Beispiel eine Tulpe oder Buche, so sagt cs damit soviel wie: Hatte ich diese Tulpe oder Buche hervorbringen sollen, so hatte ich sie genau so hervorbringen wollen, wie sie sind. Darin liegt als erstes das Eingestandnis dieses Subjekts, dass es dieses Objekt jeweils in diesem absoluten Sinne jedenfalls nicht hervorgebracht hat. Damit zugleich liegt darin aber auch noch eine Anerkennung dessen, wodurch dieses Objekt hervorgebracht ist. Welcher Name diesem Hervorbringer auch immer gebuh- ren mag, zu seiner Anerkennung bedarf es in jedem Falle jener Erhebung, die aus Freiheit zwar prinzipiell moglich, daraus noch weiter zu ergrunden aber offenbar ebenso schwer ist wie dieser Hervorbringer selbst.

Dialectica