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NZZ Global Risk: Katalonien und Spanien – Einseitiger Bruch oder brüchige Einheit? Szenario 1 «Katalexit», gütlich oder im Streit Szenario 2 Rasches «Happy End» unter spanischer Flagge Szenario 3 Katalonien bleibt spanisch, und die Luft bleibt dick Aus Barcelona berichtet NZZ-Korrespondent omas Fischer Donnerstag, 9. November 2017 Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit Wahrscheinlichkeit

Katalonien und Spanien – Einseitiger Bruch oder brüchige Einheit? · 2018. 2. 27. · Eine starke kulturelle Identität und Unbehagen über die Höhe der Nettozahlungen an die

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Page 1: Katalonien und Spanien – Einseitiger Bruch oder brüchige Einheit? · 2018. 2. 27. · Eine starke kulturelle Identität und Unbehagen über die Höhe der Nettozahlungen an die

NZZ Global Risk:

Katalonien und Spanien –Einseitiger Bruch oder brüchige Einheit?

Szenario 1

«Katalexit», gütlich oder im Streit

Szenario 2

Rasches «Happy End» unter spanischer Flagge

Szenario 3

Katalonien bleibt spanisch, und die Luft bleibt dick

Aus Barcelona berichtet NZZ-Korrespondent Thomas FischerDonnerstag, 9. November 2017

Wahrscheinlichkeit

Wahrscheinlichkeit

Wahrscheinlichkeit

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Management Summary

Spanien hat die viertgrösste Volkswirtschaft der Euro-Zone. Als reichste Region des Landes erbrachte

Katalonien bisher 19% von dessen Bruttoinlandprodukt.

Eine starke kulturelle Identität und Unbehagen über die Höhe der Nettozahlungen an die Zentralmacht

nähren seit Jahrzehnten Kataloniens Nationalismus.

Das Autonomiestatut von 1979 ging vielen Katalanen nicht weit genug. 2006 billigte das spanische

Parlament eine Revision, die das Verfassungsgericht 2010 in wichtigen Punkten aber kippte. In der

Folgezeit erstarkten die Kräfte, die nach der Unabhängigkeit rufen.

Die Zentralmacht lehnt die Unabhängigkeit Kataloniens ab, nicht zuletzt aus Angst vor «Kettenreaktionen»,

etwa im Baskenland.

Richtig hitzig ist der Streit seit der illegalen Volksbefragung, die die Regionalregierung am 9.

November 2014 abhielt. Eine – wohl nicht repräsentative – 80%-Mehrheit votierte für die Bildung einer

unabhängigen Republik.

Bei der Neuwahl des Regionalparlaments am 27. September 2015 verfehlten separatistische Kräfte

knapp die absolute Mehrheit der Stimmen, sie bekamen aber 72 der 135 Sitze. Wenig später billigte

dieses Mehr eine Resolution für die Bildung eines eigenen Staates.

Bei einem verbotenen Referendum am 1. Oktober 2017, das die Zentralmacht mit harter Polizeigewalt

zu verhindern suchte, stimmte eine – wiederum wohl nicht repräsentative – 90%-Mehrheit für die

Unabhängigkeit, bei 43% Stimmbeteiligung.

Am 27. Oktober proklamierte das Regionalparlament in Barcelona einseitig die Unabhängigkeit. Die

Zentralmacht reagierte mit der weitgehenden Aussetzung der Autonomie unter Rückgriff auf Artikel

155 der spanischen Verfassung von 1978. Mehrere Mitglieder der abgesetzten Regierung wurden

festgenommen. Regional-Regierungschef Carles Puigdemont und einige weitere Minister setzten sich

nach Belgien ab. Spanien wünscht ihre Auslieferung. Puigdemont rief aus Belgien zum friedlichen

Widerstand auf.

Angesichts der angespannten Lage haben im Oktober rund 2000 katalanische Unternehmen ihre

Firmensitze in andere Regionen verlegt. Aber auch Spaniens Wirtschaft insgesamt leidet.

Die Zentralmacht hat für den 21. Dezember eine vorzeitige Neuwahl des Regionalparlaments anberaumt.

Eine grundlegende Änderung der Mehrheitsverhältnisse hat sich bisher nicht abgezeichnet.

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AusgangslageWas für Schottland das Nordseeöl ist, das sind für Ka-talonien eine offene und innovative Wirtschaft und der rege Fremdenverkehr. Katalonien ist die «europä-ischste» und reichste von Spaniens 17 Regionen. Ihr Pro-Kopf-Einkommen liegt 19% über dem Landes-durchschnitt. Wie das Baskenland und Galicien hat sie eine besonders ausgeprägte eigene Identität, zu der die eigene Sprache gehört. Unter der Franco-Diktatur (1939–75) wurde deren Pflege unterdrückt, was bis heute Ressentiments nährt.

Sowohl bürgerliche Kräfte als auch Linksrepublikaner und extreme linke Kräfte rufen nach Unabhängigkeit. Viele Katalanen fühlen sich erstens als Angehörige einer eigenen Nation und sehen zweitens wirtschaft-liche Nachteile durch die Zugehörigkeit zu Spanien; die Unabhängigkeit wirkte drittens den Nutzniessern von Klüngel und Korruption entgegen. Es gibt «ein-gefleischte» Sezessionisten und solche, die wegen der starren Haltung der Zentralmacht in dieses Lager wechselten. Letztere liessen sich mit mehr Selbstbe-stimmungsrecht vielleicht umstimmen.

In Katalonien gab es öfter – bisher friedliche – Demons-trationen für die Unabhängigkeit, der sich die Zentral-macht und alle systemtragenden nationalen Parteien widersetzten. Vergeblich versuchten die Separatisten, die sich zunehmend isoliert sehen, den Konflikt durch Vergleiche mit Kosovo zu internationalisieren.

In den letzten Wochen, insbesondere seit den harten Polizeieinsätzen gegen das illegale Referendum am 1. Oktober und der Festnahme von zwei Führern se-paratistischer Bürgerbewegungen, kam es zudem zu Streiks und anderen Protestaktionen. In jüngerer Zeit fanden auch Demonstrationen für den Verbleib bei Spanien statt.

Die Sezessionisten wünschen sich eine unabhängige Republik als Mitglied der EU, erhielten diesbezüg-lich aber eine klare Abfuhr aus Brüssel. Unterdessen erklingen Warnungen, nach denen ein ungeordneter «Katalexit» für die Region, für Spanien und für die EU schlimmer als der Brexit wäre. Immerhin wäre Katalo-nien mit seinen 7,5 Millionen Einwohnern grösser als 13 andere EU-Länder, wie zum Beispiel Irland oder Slowenien.

Die Fronten zwischen der Regionalregierung in Barcelona und der Zentralmacht in Madrid haben sich in den letzten Wochen deutlich verhärtet, wobei beide Seiten eine Eskalation befördert haben. Unterdessen haben zahlreiche Unternehmen, darunter die grossen Banken Caixa und Sabadell, ihre Firmensitze aus Ka-talonien in andere Regionen verlegt. Die Zentralbank in Madrid warnte in einer Studie davor, dass eine Ver-schärfung der politischen Krise die gesamte spanische Volkswirtschaft empfindlich treffen könnte.

Seit die Zentralmacht unter Berufung auf Artikel 155 der spanischen Verfassung die Autonomie der Region suspendiert und deren Regierung abgesetzt hat, liegen die Nerven erst recht blank. Mehrere Minister der ab-gesetzten Regierung sind in U-Haft. Andere befinden sich in Belgien, von wo Spanien ihre Auslieferung begehrt, um ihnen den Prozess wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder machen zu können.

Spanien erlebt seine schwerste politische und insti-tutionelle Krise seit dem Inkrafttreten der demokra-tischen Verfassung. Die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Wunden, die sich seit den jüngsten Tur-bulenzen vertieft haben, dürften erst über lange Jahre verheilen.

2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015

14000

18500

23000

27500

€32000

Katalonien Spanien Eurozone EU

Katalonien: Näher an der Eurozone als an Spanien

Quelle: Idescat, Eurostat

Bruttoinlandsprodukt pro Kopf, in Euro

sus. / NZZ-Infografik

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Die Region im Nordosten Spaniens erlangt die Unabhängigkeit. Nur im Falle einer – höchst

unwahrscheinlichen – gütlichen Trennung von Spanien kann eine Republik Katalonien auf Aufnahme in die EU

hoffen.

Spanien findet sich aber mit der einseitig erklärten Unabhängigkeit der Region nicht ab. Es folgen

institutionelle Konfrontationen und möglicherweise gewalttätige Unruhen.

Sowohl für Restspanien als auch für das unabhängige

Katalonien ist die Trennung mit Kosten verbunden.

Szenario 1

«Katalexit», gütlich oder im Streit

Wahrscheinlichkeit

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In Katalonien und Spanien insgesamt überschlagen sich die Ereignisse. Im September haben sich sezessi-onistische Kräfte über Recht und Verfassung hinweg-gesetzt und im Schnellverfahren die Abhaltung eines Referendums über die Unabhängigkeit am 1. Oktober beschlossen. Bei diesem vom spanischen Verfassungs-gericht verbotenen Urnengang ergibt sich eine 90%-Mehrheit für die Unabhängigkeit, bei 43% Stimmbe-teiligung. Von einer normalen Abstimmung kann aber keine Rede sein. Einerseits sind eine transparente Abhaltung des Plebiszits und eine nachvollziehbare Auszählung der Stimmen nicht gewährleistet, anderer-seits haben harte Polizeieinsätze das Abstimmungsge-schehen behindert.

Die Regionalregierung von Carles Puigdemont bekräf-tigt ihren sezessionistischen Kurs. Als Reaktion stellt die Regierung in Madrid die Weichen zur weitgehen-den Aussetzung der Autonomie nach Artikel 155 der spanischen Verfassung von 1978. In Erwartung dieses Schrittes proklamiert das Parlament in Barcelona am 27. Oktober einseitig die Unabhängigkeit der Region. Am gleichen Tag wird «155» aktiviert, die Regional-regierung aber gibt sich nicht geschlagen. Auf den Strassen jubeln die Befürworter der Unabhängigkeit, jedoch betreten auch prospanische Bewegungen die Szene.

Kein Land erkennt das unabhängige Katalonien an. Und einen richtigen Staat haben die Sezessionisten ohnehin noch nicht geschaffen. Hierfür bliebe noch viel zu tun.

Die Sezessionisten haben Illusionen über einen angeblich leichten Weg in die Unab-hängigkeit Vorschub geleistet. Sollte diese unvermeidbar sein, wäre eine einvernehmli-che Trennung aber das kleinere Übel

Den Sezessionisten erschien alles verblüffend einfach. Katalonien wird unabhängig und gehört, wie sie ver-sicherten, automatisch zur EU und zur Euro-Zone. Erstens wird Spanien die Unabhängigkeit aber nicht

schlucken, und zweitens hat die EU klargestellt, dass sie ein unabhängiges Katalonien keinesfalls automa-tisch aufnähme. Mehr noch, Spanien würde sich auf EU-Ebene gegen eine Aufnahme Kataloniens wohl erfolgreich wehren. Bis dato hat sich jedenfalls kein EU-Regierungschef auf die Seite der Katalanen ge-schlagen.

Nun steht die Region unter Zwangsverwaltung durch Madrid. Am 21. Dezember soll das Regionalparlament neu gewählt werden. Wenn die sezessionistischen Kräfte erneut eine Mehrheit der Sitze erhalten, dürften sie auf der Unabhängigkeit beharren.

Sollte das Auseinandergehen unvermeidbar sein, so wäre eine einvernehmliche Scheidung das kleinere Übel. In diesem utopisch anmutenden Szenario könnte Katalonien simultan die Unabhängigkeit von Spanien und den Beitritt zu EU, Euro-Zone und Schengen-raum anstreben. Weil die Verhandlungen einige Zeit in Anspruch nähmen, kämen die unausweichlichen Ver-änderungen für die Wirtschaft nicht abrupt.

Es gäbe wie bisher keine Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, Waren, Dienstleistungen und Kapital. Katalonien würde den Euro behalten, müsste also keine neue Währung einführen. Katalanische Banken könnten sich nach wie vor über die Europäi-sche Zentralbank finanzieren. Ganz spurlos aber dürfte schon diese sanfte Trennung am wirtschaftlichen Austausch nicht vorbeigehen.

Selbst ein geordneter «Katalexit» hätte negative Folgen für Spanien, auf politischer wie wirtschaftlicher Ebene

Nach der Loslösung der Region, die fast ein Fünftel des BIP erwirtschaftet und deren Pro-Kopf-BIP um 19% über dem durchschnittlichen Pro-Kopf-BIP des Landes liegt, ist Spanien aber nicht nur etwas weniger wohlhabend als bis anhin. Es hat in der internationalen Politik weniger Gewicht und stellt im EU-Parlament weniger Abgeordnete als heute.

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Selbst dieser geordnete «Katalexit» hat Folgen für die Staatsfinanzen in Spanien. Dem Land entgehen die Nettozahlungen des relativ reichen Katalonien, die rund 5% des katalanischen BIP (also rund 1% des spanischen BIP) ausmachen. Katalonien muss derweil erst einmal ohne die Steuereinnahmen der in den letzten Wochen abgewanderten Unternehmen auskommen. Es muss darauf hoffen, dass viele von ihnen ihre Firmen-sitze zurückverlegen.

Lesetipp: Viele gehen, einige für immer (NZZ)

Katalonien müsste indessen für einen festzulegenden Anteil der spanischen Staatsschuld von jetzt rund 98% des BIP einstehen. Ob aber die Gläubiger überhaupt akzeptieren, dass das unabhängige Katalonien als Schuldner an die Stelle Spaniens tritt, hängt von einer Risikoanalyse ab. Katalonien muss womöglich seinen Anteil der Schuld an Spanien zahlen, so dass Spanien der Part bleibt, der gegenüber den Gläubigern in der Pflicht ist. In diesem Fall steigt Spaniens Schuldenquo-te zunächst an, weil das BIP um ein Fünftel gefallen ist. In dem Masse allerdings, wie Katalonien seinen Anteil an der Schuld abzahlt, geht die spanische Schulden-quote zurück.

Nach einer Scheidung im Streit verlässt Ka-talonien nicht nur die EU und damit den Bin-nenmarkt, sondern auch die Euro-Zone und den Schengenraum

Eine gütliche Einigung erscheint aber kaum denkbar. Vorstellbar ist höchstens eine Trennung im Streit. Katalonien beginnt, einen Staat mit allen nötigen Institutionen aufzubauen. Spanische Institutionen, wie etwa Steuerbehörden, rivalisieren mit denjenigen der abtrünnigen Region, der die meisten Länder in Europa und Übersee die Anerkennung als unabhängigen Staat verweigern.

Die Folgen der Abnabelung Kataloniens von Spanien und der EU sind in mancherlei Hinsicht einschnei-

dender als die Auswirkungen des Brexit. Katalonien verlässt ja nicht nur die EU und ihren Binnenmarkt, sondern auch den Schengenraum und die Euro-Zone, denen das Vereinigte Königreich nie angehört hat. Selbst wenn die junge Republik von sich aus die Grenzen offen hält, muss sie sich auf Zölle und auf Passkontrollen an ihrer Grenze einstellen. Immerhin gehen zwei Drittel ihrer Exporte in Länder der EU. Und schliesslich könnte die Zentralmacht die Region behindern wollen, um ein Exempel zu statuieren und sezessionistischen Gelüste in anderen Regionen einen Dämpfer zu verpassen.

Der bisherige hohe Überschuss in der katala-nischen Handels- und Dienstleistungsbilanz kann dahinschmelzen

Katalonien kann theoretisch den Euro als Zahlungsmit-tel behalten – nach dem nur bedingt gültigen Vorbild einiger sehr viel kleinerer Staaten wie Montenegros, Monacos, Andorras und des Vatikans. Nur können sich die Banken des jungen Staates mit einer sehr offenen Volkswirtschaft nicht mehr über die Europäische Zent-ralbank finanzieren. Möglicherweise braucht Kataloni-en eine eigene Währung, die nicht unbedingt schwach und für Abwertungen anfällig sein muss. Immerhin meldete die Region für 2016 einen Überschuss in der Waren- und Dienstleistungsbilanz von 12% seines BIP, höher noch als der relative Überschuss in Deutschland. Im Idealfall fliessen also reichlich Devisen ins Land, zumal Katalonien mit der pulsierenden Metropole Barcelona auch ein Top-Reiseziel ist.

Ob Katalonien weiterhin solche Überschüsse ausweisen kann, ist jedoch unsicher, solange keine neuen Frei-handelsabkommen unter Dach und Fach sind. Obwohl die Demonstrationen für die Unabhängigkeit bisher friedlich verliefen und die formell abgesetzte Regio-nalregierung dazu aufgerufen hat, diese konziliante Tradition zu bewahren, springt der Funke irgendwann über. Möglicherweise gewalttätige Unruhen und Streiks machen Touristen zu schaffen (schon jetzt kursieren

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Klagen über Stornierungen). Nach der Einführung von Zöllen auf katalanische Exporte, einem möglichen Boykott von katanischen Produkte im restlichen Spanien, einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit, der Flucht von Unternehmen und einem Mangel an neuen Investitionen setzen rezessive Effekte ein. Letztlich kann der aussenwirtschaftliche Überschuss also zu-sammenschmelzen oder gar in ein Defizit umschlagen.

Was fehlt für den Aufbau eines eigenständigen Staates? Und wie stünde es um dessen Finanzen? Schon jetzt hat die Region ihre eigene Polizei. Sie garantiert Dienstleistungen wie die Bildung und das Gesund-heitswesen. Sie müsste diverse andere Funktionsträger erst ins Leben rufen – vom Zoll über die Verteidigung bis hin zur Luftraumkontrolle. Ob das Geld, das Ka-talonien nicht mehr an die Zentralmacht abführt, zur Finanzierung von all dem reicht, steht dahin. Auf er-tragreiche Jahre kann sich der Finanzminister eines unabhängigen Katalonien also noch nicht freuen.

Nur 2 von Spaniens 17 autonomen Regionen weisen noch höhere Schuldenquoten auf als das relativ reiche Katalonien

Einen schweren Stand hätte die Republik an den Fi-nanzmärkten. Ihre Schuld beläuft sich derzeit auf rund 77 Mrd. €, somit rund 35% ihres BIP. Unter Spaniens 17 Regionen hat ausgerechnet das relativ wohlhaben-de Katalonien die dritthöchste Schuldenquote.

Gläubiger von über zwei Dritteln der Schuld ist der Zentralstaat, der 2012 im Zuge der Finanzmarktkrise eingesprungen ist, um den Regionen die Finanzierung zu ermöglichen. Anstelle der Regionen verschuldet sich der Staat, der den Fondo de Liquidez Autonómico (FLA) ins Leben gerufen hat und den Regionen unter die Arme greift.

Über diese schon bestehende Schuld an den spani-schen Staat hinaus könnte sich die junge Republik dazu bereit erklären, einen Anteil an der Schuld des Zentralstaats zu übernehmen. Sie hätte hier einerseits ein Druckmittel in der Hand, dürfte andererseits aber nicht daran interessiert sein, ihr Vertrauen an den Märkten ganz zu verspielen. Schon jetzt stuft keine der drei führenden Rating-Agenturen die katalanische Schuld auf «Investment Grade» ein. Obendrein ist die Haushaltslage erschwert, da Katalonien die Steuerzah-lungen abgewanderter Unternehmen fehlen.

Kein Geringerer als der katalanische Wirtschaftsmi-nister der Jahre 2010 bis 2016, Andreu Mas-Colell, hat sich vom pragmatischen Befürworter der Un-abhängigkeit zum Skeptiker gewandelt. Weder die Regierung noch das Volk seien derzeit in der Lage, die Unabhängigkeit lebensfähig zu machen, sagte er in einem Interview nur wenige Tage vor der einseitigen Erklärung der Unabhängigkeit.

Ein einvernehmlicher und sanfter «Katalexit» ist unvorstellbar. Ein harter «Katalexit», den die Zentralmacht aus irgendwelchen Gründen schlucken würde, bringt schwere Turbulenzen, die an den Finanzmärkten und womöglich auch auf der Strasse spürbar wären. Wenn etwa Touristen fernbleiben oder die Wirtschaftsleistung infolge der Abwanderung von Unterneh-men einbricht, dann wird die derzeit noch überdurchschnittlich reiche Region Katalonien um ihren Stand kämpfen müssen.

Fazit Szenario 1

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Bei der Neuwahl des katalanischen Parlaments am 21. Dezember bekommen die Sezessionisten keine

Mehrheit mehr. Es beginnt ein Dialog über die Zukunft der Region als Teil von Spanien.

Eine Reform der spanischen Verfassung von 1978

kommt katalanischen Wünschen nach mehr Autonomie entgegen. Auch über die Nettozahlungen der Region an

den Zentralstaat wird neu verhandelt.

In einem Klima der sozialen und politischen Entspannung verlegen viele der in den letzten Wochen abgewanderten Unternehmen ihre Firmensitze nach

Katalonien zurück.

Szenario 2

Rasches «Happy End» unter spanischer Flagge

Wahrscheinlichkeit

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In diesem Wunschszenario glätten sich die Wogen. Nach Jahren der Eskalation entsteht ein Ambiente der Aussöhnung, in dem auch die katalanischen Störma-növer mit Einfluss auf die Wirtschaft und die politi-sche Stabilität des gesamten Landes nachlassen.

Die Ausgangslage ist aber denkbar schwierig. Nach einer von beiden Seiten geschürten Eskalation werden die Wunden dieses Konfliktes – so ist in der Region zu hören – noch über Jahre hinweg nicht verheilen. Nicht nur die Akteure in der Politik sind zerstritten, sondern auch Familien und Freundeskreise. Seit dem Rückgriff auf Artikel 155 – ob die konkreten Massnah-men verhältnismässig sind oder nicht, sei dahingestellt – haben sich die Fronten weiter verhärtet.

Die Zentralmacht hofft, dass prospanische Kräfte bei der Wahl des Regionalparlaments am 21. Dezember die Oberhand gewinnen, aber dafür müssen Madrid und die systemtragenden Parteien ‒ sofern sie den auf-müpfigen Kräften in Katalonien nicht irgendwie die Kandidatur erschweren wollen – viel Überzeugungsar-beit leisten. Zudem dürfte ein Wahlkampf mit einigen schwer vorhersehbaren Sondereffekten bevorstehen. Falls sich der abgesetzte Regierungschef, Carles Puig-demont, wieder zur Wahl stellt und nicht schnell nach Spanien ausgeliefert wird, müsste er von Belgien aus um Stimmen werben.

Bei der letzten Wahl am 27. September 2015 hatten sezessionistische Kräfte mit knapp 48% die absolute Mehrheit der Stimmen zwar knapp verfehlt, aber mit 72 Sitzen die absolute Mehrheit der Mandate erobert. Zu diesem Lager gesellen sich sehr unter-schiedlich ausgerichtete Kräfte wie die bürgerliche Partei PDeCAT, die linksrepublikanische ERC (beide

Gruppen gehörten 2015 zum Wahlbündnis «Junts pel Sí») und die linksextreme CUP. In Katalonien waren dagegen die systemkonformen landesweiten Parteien bisher in der Minderzahl. 2015 errang die bürgerliche Partei Ciudadanos (C’s) 25 Sitze, während die Sozia-listen (PSC) 16 und der konservative Partido Popular (PP) von Ministerpräsident Mariano Rajoy 11 Mandate erhielten.

Dass sich die Mehrheitsverhältnisse bei der Wahl grundsätzlich ändern, ist laut jüngeren Umfragen fraglich. Es erscheint möglich, aber nicht sicher, dass die sezessionistischen Kräfte die Mehrheit der Sitze verlieren. Aber auch dann müsste sich eine konstruk-tive Mehrheit im Parlament finden.

Auch der Weg zu einem «Happy End» ist steinig. Er erfordert viel Fingerspitzengefühl und Balance

Was könnte die Zentralmacht tun, um katalanischen Wünschen nach mehr Selbstbestimmung zu ent-sprechen und den Drang nach Unabhängigkeit zu bändigen? Nichts ist einfach, seit das nationale Verfas-sungsgericht 2010 wichtige Teile eines neuen Statuts der Region gekippt hat. Immerhin könnte das eine oder andere Zugeständnis zwar nicht eingefleischte Sepa-ratisten überzeugen, wohl aber jene Bürgerinnen und Bürger, die jüngst die Sezession befürwortet haben, weil sie bei der Zentralmacht die Bereitschaft zum Dialog vermissten.

Es wäre durchaus möglich, der Region zusätzliche Kompetenzen auf dem Gebiet von Sprache und Kultur zuzugestehen, meint Xavier Arbós, Verfassungsrecht-ler an der Universität Barcelona. Hierzu bedürfe es der

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60%-Mehrheit in beiden Kammern des spanischen Parlaments. Gegner einer solchen Änderung könnten aber die Abhaltung eines landesweiten Referendums über diese Frage verlangen – und die Folgen eines Nein-Votums wären möglicherweise «desaströs».

Der Staat könnte Katalonien einen höheren Grad an steuerlicher Hoheit gewähren, ohne etwaige Regelun-gen beliebig neu zu «erfinden». Seit dem 19. Jahr-hundert haben zwei Regionen – das Baskenland und Navarra – einen als «régimen foral» bekannten his-torischen Sonderstatus. Sie treiben selbst die Steuern ein, von denen sie einen Anteil an die Zentralmacht abführen, der auf dem Verhandlungsweg erst festzule-gen ist. Demgegenüber entrichten die Katalanen ihre Steuern einstweilen an den Zentralstaat, bis sie einen feststehenden Teil davon zurückerhalten.

Die Rahmenbedingungen für Zugeständnis-se an Katalonien haben sich in den letzten Monaten verschlechtert

So gut wie alle Parteien im spanischen Parlament sind grundsätzlich offen für eine Revision der Verfassung

von 1978. In diesem Rahmen liesse sich unter anderem etwa der Finanzausgleich zwischen den Regionen neu regeln. Allerdings könnte die Ausgangslage mittler-weile schwieriger sein als vor einigen Monaten. Im Zuge des Konflikts um Katalonien sei ein «spanischer Nationalismus» erwacht, sagt Arbós.

Es bedarf aber nicht nur der Änderungen am gesetz-lichen Rahmen des Verhältnisses zwischen Zentral-macht und Region. Voraussetzung für eine Aussöh-nung sind Dialog und Vertrauen – in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Hierfür müssen die Zentralmacht in Madrid ebenso wie die sezessionistisch orientier-ten Kräfte in Katalonien ihre harten Fronten abbauen und Bereitschaft zu Zugeständnissen zeigen. Es käme womöglich auch zum Ruf nach einer Amnestie für jene katalanischen Spitzenpolitiker, gegen die bereits Straf-verfahren wegen Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Gelder anhängig sind.

Mit einer einhergehenden Veränderung der Grosswet-terlage könnten auch manche der abgewanderten Un-ternehmen eine Rückkehr erwägen.

Mehr Recht auf Selbstbestimmung für Katalonien wäre eine Bedingung für eine Beruhigung der Lage. Es bedarf aber auf beiden Seiten der in den letzten Jahren aufgebauten Barrika-den der allgemeinen Bereitschaft zu Dialog und Aussöhnung. Selbst dann ist an ein rasches «Happy End» aber schwer zu denken.

Fazit Szenario 2

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Szenario 3

Katalonien bleibt spanisch, und die Luft bleibt dick

Katalonien ist weiterhin ein Teil von Spanien. Die Neuwahl des Regionalparlaments am 21. Dezember schafft politisch keine klaren Verhältnisse. Infolgedessen verlängert sich die

Zwangsverwaltung.

In einem Klima der politischen Abrechnung beginnt obendrein ein strafrechtliches Nachspiel zur Konfrontation zwischen Sezessionisten und Zentralmacht. In Katalonien

beeinträchtigen Unruhen, Streiks und ziviler Ungehorsam den wirtschaftlichen Alltag.

In Madrid hat die Minderheitsregierung von Ministerpräsident

Rajoy einen zunehmend schweren Stand. Vorzeitige Neuwahlen gelten aber als unwahrscheinlich.

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Vom Katalonien-Konflikt ausgehende Schockwellen sind auf nationaler Ebene schon jetzt spürbar. Mi-nisterpräsident Mariano Rajoy vom konservativen Partido Popular führt eine Minderheitsregierung, die im Parlament nur auf die bürgerlichen Ciudadanos als festen Partner zählen kann. Für die absolute Mehrheit im Parlament mit 350 Sitzen ist sie darüber hinaus aber auf die Stimmen kleinerer Gruppierungen an-gewiesen, etwa auf jene der baskischen Nationalisten (PNV), die 5 Abgeordnete stellen. Diese haben Rajoy die Unterstützung für die Verabschiedung des Staats-budgets 2018 infolge seiner Haltung zu Katalonien vorerst entzogen.

Die Regierung hat gegenüber der EU bisher nur einen Budgetplan vorgelegt. Sie veranschlagt für 2018 wegen der Krise in Katalonien nur noch ein BIP-Wachstum um 2,3% anstatt der ursprünglich erwarteten 2,6%. In einer neuen Schätzung der spanischen Zentralbank werden aber auch drastischere Folgen nicht ausge-schlossen. Ökonomen des Banco de España haben errechnet, dass im Falle neuer politischer Verwerfun-gen und anhaltender Unsicherheit die spanische Wirt-schaft zwischen 2017 und 2019 um 2,5 Prozentpunk-te weniger wachsen könnte als derzeit prognostiziert. Damit würde Spanien um 60% langsamer wachsen als zurzeit erwartet. Laut einem weniger dramatischen Alternativszenario, in dem die Wahl im Dezember zu einer Beruhigung der Lage führt, ist hingegen nur mit einem relativen Wachstumsverlust von 0,3 Prozent-punkten zu rechnen. Im Oktober ist zudem die Ar-beitslosigkeit in Katalonien stärker gestiegen als in anderen spanischen Regionen.

Lesetipp: Finanzstabilitätsbericht der spanischen Zentralbank, inklusive einer Studie zu den

Auswirkungen der politischen Unsicherheit in Katalonien (PDF)

Die Oppositionsparteien – allen voran die Sozialisten und die linke Protestpartei Podemos – versuchen, aus der Schwäche Rajoys einen Vorteil zu schöpfen. Es gilt aber als wenig wahrscheinlich, dass sich früher oder später vorzeitige Neuwahlen aufdrängen werden – es sei denn, die Zwangsverwaltung Kataloniens durch die Zentralregierung erwiese sich als völliges Desaster. Wenigstens bis jetzt hatte Rajoy beim Rückgriff auf den Artikel 155 grundsätzlich die Unterstützung der Sozialisten (PSOE) und der bürgerlichen Ciudadanos.

Die europäischen Partner haben den Streit um Katalo-nien bisher als eine interne spanische Angelegenheit gesehen. Allerdings droht der spanischen Regierung ein Druck von Teilen der öffentlichen Meinung in anderen Ländern – wie etwa schon in Belgien.

Lesetipp: Belgien und das katalanische «Kuckucksei» (NZZ)

Das politische Gezerre um und in Katalonien kann auch nach der Regionalwahl weiter- gehen

Es ist möglich, dass die sezessionistischen Kräfte bei der vorgezogenen Neuwahl des Regionalparlaments am 21. Dezember ihre bisherige Mehrheit verlieren. Die Ausgangslage eines zersplitterten Parlaments, in

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dem regionale wie auch landesweite Parteien vertreten sind, dürfte jedoch bestehen bleiben. Damit ist die Bildung einer handlungsfähigen und konstruktiven Mehrheit erschwert.

Das Klima der politischen und sozialen Konfrontation in der Region kann sich noch verschärfen, etwa wenn die Zwangsverwaltung der Region durch die Zen-tralmacht auf unbestimmte Zeit andauert und in der Politik eine Atmosphäre der Abrechnung aufkommt. Das strafrechtliche Nachspiel der von der Regional-regierung begangenen Verstösse gegen Recht und Verfassung kann ein Übriges zur Zuspitzung der Lage beitragen. Immerhin drohen dem abgesetzten Regie-rungschef Carles Puigdemont und den anderen Mit-gliedern seiner Regierung bis zu 30-jährige Haftstra-fen.

Einen Hang zur Gewalt haben Gruppen, die sich für die Unabhängigkeit einsetzen, bisher nicht an den Tag gelegt. Auch sind gewalttätige Zusammenstösse zwischen Befürwortern und Gegnern der Unabhän-gigkeit ausgeblieben. In Katalonien gab und gibt es – anders als im Baskenland – keine Terrorgruppen. In einem Ambiente, in dem die Nerven blank liegen, könnte dennoch irgendwann «der Funke übersprin-gen». Ein denkbarer Auslöser wären harte Polizei-einsätze wie jene, mit denen die Zentralmacht den Versuch anstellte, die Abhaltung des Referendums am 1. Oktober zu verhindern.

Die katalanische Wirtschaft spürt wachs-tumshemmende oder sogar rezessive Effekte

Katalonien und – wenngleich in geringerem Masse ‒ Spanien insgesamt geraten wirtschaftlich und finanziell zunehmend unter Druck. Nachdem viele katalanische Unternehmen ihre Firmensitze in andere Regionen verlegt haben, gehen Investoren gegenüber Katalonien und teilweise auch Spanien auf Distanz. Obwohl die Verlagerung von Unternehmenssitzen nicht unbedingt die Schliessung von Fabriken mit sich bringt, könnten doch Produktionsverlagerung, Personalabbau und damit Arbeitslosigkeit drohen. International tätige Un-ternehmen könnten Teile ihrer Produktion an andere Standorte verlagern. Aus Angst vor Unruhen können manche Touristen fernbleiben.

Die Eskalation des Konflikts beeinträchtige die Kre-ditwürdigkeit sowohl Spaniens als auch diejenige Ka-taloniens, konstatierte kürzlich die Rating-Agentur Moody’s, die in der nordöstlichen Region eine rapide Verschlechterung des Geschäftsklimas erfasst.

So kann die politische in eine wirtschaftliche und soziale Krise münden – dies möglicherweise mit der Folge, dass die Zentralmacht einspringen müsste, um eine allenfalls angespannte soziale Lage in dieser ei-gentlich relativ wohlhabenden Region zu entschärfen.

Es bedarf der Besonnenheit auf allen Seiten, um eine weitere Zuspitzung der Lage in Kata-lonien zu vermeiden. Aber auch ohne eine zusätzliche Verschärfung dürften die Spannungen lange nachwirken – mit Folgen nicht nur für Katalonien, sondern für Spanien insgesamt.

Fazit Szenario 3

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Was heisst dies für die Schweiz und Schweizer Unternehmen?

Auch die Schweiz hat allen Grund, die Entwicklung in Katalonien im Auge zu behalten. Im Mai dieses Jahres waren 344 Unternehmen aus der Schweiz in der Region im Nordosten Spaniens niedergelassen. Gemessen an der Zahl der Unternehmen nahm die Schweiz im Länderranking der Auslandsinvestoren in Katalonien damit den achten Rang ein.

Währenddessen gab die Zurich Insurance Group am 18. Oktober bekannt, dass sie den Sitz ihres spani-schen Ablegers, der sich bisher in Barcelona befunden hat, «aus Gründen der Rechtssicherheit» nach Madrid verlegen werde. Eine Änderung des Geschäftsmodells und -betriebs bringe diese Verlagerung nicht mit sich, teilt die Gruppe mit; die bisherigen Arbeitsplätze in Katalonien blieben erhalten.

Weitaus die meisten schweizerischen Unternehmen in Katalonien scheinen ausharren zu wollen. Seit dem Rückgriff auf Artikel 155 habe sich die Aufregung gar etwas gelegt, ist aus Wirtschaftskreisen zu hören.

Über die Hälfte der spanischen Exporte in die Schweiz kommen aus Katalonien

Im Aussenhandel ist die Schweiz mit keiner anderen spanischen Region so eng verflochten wie mit Kata-lonien. Von den schweizerischen Warenimporten aus Spanien, deren Wert 2016 um 5,8% auf 2,16 Mrd. € stieg, kamen 54,1% aus der Nordostregion. Diese liefert der Schweiz vor allem Pharmaprodukte (68,6%), Fahrzeuge (6,4%) und chemisch-organische Produkte (4,2%).

Im Jahr 2016 stieg der Wert der katalanischen Importe aus der Schweiz um 26,8% auf 1,92 Mrd. €. Den grössten Anteil machen die chemisch-organischen (39,6%) und pharmazeutischen (37%) Produkte sowie Maschinen (6,2%) aus.

Mindestens bis zur Neuwahl des katalanischen Re-gionalparlaments im Dezember lassen sich laut dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) in Bern die weiteren Folgen der Lage in Katalonien für Exporteure aus der Schweiz «nicht seriös vorhersagen».

Wirtschaftsverbände haben den Rückgriff auf Artikel 155 der spanischen Verfassung mit dem Ziel, die rechtliche Ordnung in Katalonien wiederherzustellen, weitgehend begrüsst.

Für das EDA sind die katalanischen Bestrebungen nach Unabhängigkeit «eine innenpolitische Angele-genheit Spaniens», dessen Souveränität die Schweiz uneingeschränkt respektiere. Die Schweiz habe die einseitige Erklärung der Unabhängigkeit aus Kataloni-en «zur Kenntnis genommen».

Eine Anerkennung der katalanischen Unabhängigkeit durch die Schweiz gilt als ausgeschlossen. Im Oktober war die Schweiz derweil als denkbare Mittlerin zwischen der inzwischen abgesetzten Regionalregie-rung in Barcelona und der Zentralmacht in Madrid im Gespräch. Nur hätten beide Seiten um diese Vermitt-lung ansuchen müssen. Aber nur die katalanische Seite – darum bemüht, den Konflikt zu internationalisieren – hatte ein diesbezügliches Interesse signalisiert.

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Wegen des Katalonien-Konflikts erlebt Spanien seine schwerste institutionelle Krise seit dem Inkrafttreten der Verfassung von 1978

und die stärksten Spannungen seit einem Putschversuch im Jahr 1981. Noch nie war Artikel 155 aktiviert worden. Die Sorge über die weitere

Entwicklung ist begründet. Panik wäre aber unangebracht, solange sich Befürworter und Gegner weiterhin friedlich zu Wort melden. Es ist zu

hoffen, dass dies trotz der jüngsten Eskalation so bleibt.

Auf dem Spiel stehen nicht nur die Einheit des Landes und die wirtschaftliche Stabilität. Innenpolitisch muss die Regierung des konservativen Partido Popular angesichts von Korruptionsaffären

um wichtige Figuren in der Partei von Ministerpräsident Rajoy ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis stellen. Wenn sie schon die

Bestechlichkeit in den eigenen Reihen nicht unter Kontrolle bringen kann, so wäre ein Erfolg in Katalonien für sie umso wichtiger.

Was in Katalonien geschieht, entfaltet möglicherweise Signalwirkung in anderen EU-Ländern mit «abtrünnigen» Regionen. Es ist zu wünschen,

dass die Akteure in Katalonien es trotz allen gegenwärtigen Spannungen letztlich doch verstehen, ein Beispiel für die gütliche Lösung eines

Konfliktes zu geben – auf dass andere Länder von Katalonien etwas lernen können.

Zum Schluss: Drei Dinge, die Sie nicht

vergessen dürfen

1

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Facts & Figures

SPANIEN (Madrid)

Fläche 506 000 km2

Wechselkurs ($) 0,904

Bevölkerung (Mio.) 46,47

BIP (Mrd. $) 1 232,1

BIP pro Kopf ($, kaufkraftbereinigt) 36 302

BIP-Wachstum (%) 3,2

Inflation (%) -0,20

Arbeitslosigkeit (%) 19,60

Leistungsbilanz (%) 2,00

Direktinvestitionen (Mrd. $) 533,3

Direktinvestitionen in % des BIP 2,20Pma./NZZ-Infografik

SPANIEN

FRANKREICH

PORTUGALMADRID

Barcelona

Valencia

Sevilla

200 Kilometer

KATALONIEN

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Umwelt Soziales Governance

Reputationsrisiken Spaniens

RepRisk-Index

100

80

60

40

20

0

2014 2015 2016 2017

Höchster RRI: 34 (August 2017)

NZZ-Infografik/Pma.

Durchschnitt alle Länder: 37,5

Facts & Figures

In welchen Bereichen hat Spanien die grössten Reputationsrisiken?Die Daten von RepRisk geben Auskunft. Der Informationsdienst RepRisk recherchiert täglich Daten zu Umwelt-, Sozial- und Governan-

ce-Risiken und erstellt daraus Risikoprofile für Unternehmen, Infrastrukturprojekte, Sektoren und Länder weltweit. Der RepRisk Index

erstreckt sich von 0 (niedrigster Wert) bis 100 (höchster Wert), je höher der Wert, desto höher ist das Reputationsrisiko in einem Land.

Als Richtwert gilt: 0-24: tiefes Risiko, 25-49: mittleres Risiko, 50-59: hohes Risiko, 60-74: sehr hohes Risiko, 75-100: extremes Risiko.

Bauwirtschaft

Automobile

Reisen und Freizeit

Engineering

Transport

Banken

Chemie

Verteidigung

Metalle

Glücksspiel

In welchen spanischen Branchen schlummern die grössten Reputationsrisiken?

40 40

40 40

38 38

38 38

37 37

37 37

37 37

36 36

36 36

36 36

2 Jahren 4 Jahren

Höchster RepRisk-Index-Wert (0–100) in den vergangenen

NZZ-Infografik/Pma.

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Facts & Figures

«NZZ Global Risk»: Das Weltgeschehen in Szenarien

Profitieren Sie vom globalen Wissen des weltweiten Korrespondentennetzes der «Neuen Zürcher Zeitung». Jede Woche analysieren die NZZ-Korrespondenten die geopolitischen und wirtschaftlichen Herausforderungen in den wichtigsten Regionen der Welt. Diese exklusi-ven Inhalte ermöglichen einen Wissensvorsprung, der auch für Ihren Erfolg entscheidend sein kann. Schreiben Sie uns Ihr Feedback: [email protected]: Lukas Sustala Illustrationen: Karsten Petrat Copyright: NZZ Mediengruppe November 2017

Wettbewerbsfähigkeit Spaniens

Wirtschaftliche Performance

Binnenkonjunktur

Aussenhandel

Internationale Investitionen

Beschäftigung

Preise

Effizienz der Regierung

Öffentliche Finanzen

Fiskalpolitik

Institutionelle Rahmenbedingungen

Gesetzgebung

Gesellschaft

Unternehmenseffizienz

Produktivität

Arbeitsmarkt

Finanzen

Management

Werte

Infrastruktur

Basisinfrastruktur

Technologie

Forschung

Gesundheit und Umwelt

Bildung

NZZ-Infografik/Pma.

Ranking

Rang

29

19

14

60

22

55

43

35

34

21

26

50

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26

20

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Das IMD World Competitiveness Center gibt Auskunft über die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes, indem es ein

Wettbewerbsfähigkeits-Ranking von 61 Ländern in verschiedenen Bereichen aufstellt. Ein tiefer Rang bedeutet demnach

einen guten Platz im Wettbewerbsfähigkeits-Ranking.