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  • Siebentes Kapitel

    Am siebenundzwanzigsten September verlieBen wir mit Tagesanbruch jeneschonen Gefilde, welche der Simois und der Skamander bewiissert und der Idabeschattet, und steuerten nach Canakkale oder dem a!ten SchloB der Dardanel-len:

    "Portus relinquo et campos, ubi Troja fuit."

    Hier auf der asiatischen Kiiste, unweit des Rhoteischen Vorgebirges (Intepe) istdie Stelle, wo Konstantin der GroBe die Hauptstadt des R6mischen Reiches imOsten zu erbauen gedachte. Schon war das Werk begonnen, und hohe Tiirmeund Mauern stiegen wie durch einen Zauberschlag auf seinen Wink empor, dasoil dem Kaiser im Traum die ihn beschiitzende Gottheit erschienen sein. SiemiBriet den Bau der schon angelegten Stadt, und ganz wiirdig ihrer hoherenWeisheit war die Wahl der gliicklichen Lage von Konstantinopel, die sie ihremLiebling soil angeraten haben.

    N6rdlich von dem Rhoteischen Vorgebirge breitet sich der Kanal bedeutendaus und bildet auf der asiatischen Kiiste eine ansehnliche Buehl. Hier war es, woirn Jahre 1401 der franzosische Marschall Boucicaut mit einem Geschwader vonvier Kriegsschiffen, welche er dem griechischen Kaiser Emanuel zu Hilfe fuhr-te, eine tiirkische Flotte zum Weichen brachte, welche ihm den Durchgangdurch den Hellespont streitig zu machen suchte. Der Paladin setzte vierhundertfranz6sische Ritter und eintausendundsechshundert Bogenschiitzen bei Kon-stantinopel ans Land, und mit dieser so geringen Schar wuJlte er ein ganzes Jahrhindurch das geschwiichte Reich der Palaiologen gegen die furchtbare Machtder Osmanen zu beschirmen. Dieser gliinzende Feldzug des friinkischen Heidenerinnert an den Krotoner Milon, der mit kriiftiger Faust ein zusammensturzen-des Gebiiude eine Zeitlang aufrecht zu erhalten vermochte.

    Die Venezianer sind mit Recht stolz auf die von ihren Voreltem irn Helles-pont erfochtenen Siege. Im siebzehnten Jahrhundert, wiihrend der Belagerungvon Kandia, ernteten ihre Seehelden in diesen Gewiissem zu wiederho!ten Ma-len gliinzende Lorbeeren.

    Hier griff Lasarus Mocenigo im Jahre 1655 die der seinigen weit uberlegenetiirkische Flotte an und eroberte nach einem heftigen Kampf dreiundzwanzigfeindliche Galeeren. Hier schlug Franz Morosini im Jahre 1656 eine aus acht-

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  • undneunzig Kriegsschiffen bestehende tiirkische Armada. Zum zweiten Malfuhrte Lasarus Mocenigo die Venezianer im Jahre 1657 an. Der tiirkische Ad-miral war ihm entgegengesegelt und griff die Venezianer an. Noch war der Siegunentschieden, da trieb ein heftiger Windstoll beide Flotten durcheinander. Esgelang dem erfahrenen venezianischen Seemann, einen Teil seines Geschwaderszu sammeln. Das tiirkische wurde zerstreut, und Mocenigo, den giinstigen Um-stand benutzend, bescWoll, durch die Meerenge zu segeln, die feindlichen Schif-fe teilweise anzugreifen und zu vernichten und seinen Sieg bis unter die Mauemvon Konstantinopel zu verfolgen. In dieser verhiingnisvollen Stunde brach eineFeuersbrunst auf seinem Schiff aUS.Eine Segelstange, deren Taue die Flammeverzehrt hatte, fiel dem Feldherrn auf das Haupt und brachte ihm eine todlicheWunde bei. Mullos iiber den Verlust des Befehlshabers geworden, verliellen dieVenezianer die Meerenge, und ziirnend nahm Mavor den Ihnen bereits zuge-

    dachten Siegeskranz zuriick.Nach dem Riickzug der venezianischen Flotte liell der um die Sicherheit der

    Hauptstadt besorgte Divan zwei neue Festen zur Verteidigung des Hellespontserbauen. Eine derselben, Kumkale genannt, liegt an der Miindung des Simois.Die andere, jener gegeniiber, deck! die europiiische Kiiste.

    Irn siebzehnten Jahrhundert, als Venedigs Seemacht hauptsiichlich nur ausRuderschiffen bestand, konnten wohl diese von den Tiirken erbauten festenPliilze den mit wenigem Geschiitze bewaffnelen Galeeren und Galeassen krafti-gen Widerstand leisten; gegen die neueren Zwei- und Dreidecker aber diirftendiese nur aus Mauerwerk aufgefiihrten und mit kleinen Erdwallen bedeckrenKastel!e ihrem Endzweck nur sehr unvollkommen entsprechen.

    In dem Krieg von 1770, nach der Niederlage der tiirkischen Flotte bel i;e~-me erhielt der Baron von Tott von seilen der tiirkischen Regierung denAuftrag,. .die Meerenge gegen einen etwaigen Angriff des russischen Geschwaders inerteidigungszustand zu setzen. Der franz6sische Ingenieur wullte sehr ge-hiclet seine MaBregeln den nautischen OrlSumstiinden anzupassen und legte

    auf den mei ten \lorspringenden Punkten an der asiatischen sowohl als an dereuropiiischen Kiiste niedrige, mit schwerem Geschiitz versehene Strandbattenen(batteries rasantes) an. Bekanntlich ist die Striimung im Hellespont so stark,da~die us dem Agiiischen Meer nach Konstantinopel gehenden Schiffe aile Segelufspannen mUssen, um die entgegenstrebende Wirkung derselben zuh~~~::e;den Je greBer nun die Aiiche der aufgespannten Segel 1st, um so ~er Kano-muB die irlcung der mit Traubensch~en ~nd Kettenkugelnd:~~r~~;rm vonnen und H ubitz.en sein. mit welchen die Schlffe aus den von. nur mittelma-

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  • sieht angelegten Festungswerke mag dem Admiral Duckworth bei seinem Un-temehmen im Jahre 1807 sehr zustatten gekommen sein.

    Gegen Mittag stieBen wir bei Canakkale ans Land. Der dasige russischeKonsul, ein reicher Jude, nahm mich gastfreundlich auf und erkaufte mir durchein geringes Geschenk die Erlaubnis, das SchloB Canakkale und die Kiistenbat-terien in Augenschein zu nehmen. Das Schlof selbst ist ein langliches von Mau-erwerk aufgefiihrtes und mit Tiirmen umgebenes Viereck. Der etwa vierzig FuBbreite Graben ist so seicht, daB man ihn an allen Stellen durchwaten kann. Urnso furchtbarer ist das Geschiitz dieser Festung. Samtliche Kanonen und Morsersind von Bronze und von einem sehr schweren Kaliber. Das merkwiirdigsteStiick darunter ist ein achtzehn FuB langes Kammergeschiitz, dessen steinernesiebenundzwanzig Zoll im Durchmesser starke Kugel eintausendeinhundertPfund wiegt. Dieser Kolof ist vor einen marmomen Pfeiler gestellt, so daB ernach dern Schull nicht zuriickprallen kann.

    Man hat in unseren europaischen Zeughausern die friiher gebrauchten Kar-taunen, schweren Feldschlangen, Kulevrinen usw. langst umgeschmolzen, weilman gefunden hat, daB ihr Gebrauch ihrer ungeheuren Schwere wegen mit vie-len Schwierigkeiten verbunden ist. So begriindet auch diese Einwendung seinmag, so unbezweifelt sind die Vorteile, welche ein solches Geschiitz bei einerzweckmailigen Einrichtung desselben in Seeplatzen und Kiistenbatterien gewah-ren kann, Eine einzige tausendpfiindige Kugel wie die der tiirkischen Haubitzein Canakkale muB das groBte Schiff entmasten oder dasselbe in den Grund boh-ren. Der hollandische Admiral Kingsbergen, welcher im achtzehnten Jahrhun-dert die festen Platze des Archipelagus und des Hellesponts besichtigt hat, zahltan den Ufem dieser Meerenge zweihundertundfiinfzig schwere Kanonen, Hau-bitzen und Morser.

    Der gastfreie russische Konsul hatte mich nebst mehreren in der Stadt ansas-sigen Kaufleuten zu einem Gastmahl geladen. Das Essen war ziemlich auf tiir-kische Art zugerichtet und aufgetragen. Ein niedriger Tisch wurde mit lackier-tern Leder anstatt eines Tischtuches bedeckt. Neben den Gedecken lagen zierli-che von Elfenbein gearbeitete Leffel. Bekanntlich gebrauchen die Tiirken keineGabeln und fiihren am Gurtel ihre langen Messer, derer sie sich im Kriege wiebei der Mahlzeit bedienen. Nachstehende Gerichte wurden schnell nach einan-der in zinnemen Schiisseln aufgetragen. Auf eine diinne Reisbriihe folgte Ham-melfleisch, welches unser Wirt mit einem sabelartigen Vorlegemesser in kleineStiicke schnitt und seinen Gasten darbot. Das murbe gekochte Fleisch wurde mitden Fingem zerlegt. Hierauf wurde eine Art sehr groBer mit gehacktem Fleischgefiillter Gurken oder vielmehr Kiirbisse aufgetischt und gleich darauf ein Jaurt(Joghurt), d.h. saure Milch mit Zucker. Dieses in den osmanischen Landern all-gemein beliebte Gericht leiten die tiirkischen Peinzungler von ihren Stammel-tern, den Tiirkmenen, her I welche in ihrer Heimat meistens nur von zahlreichenHerden sich nahrten. Endlich brachte man gekochte Eier mit Zitronen, was die

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    Tiirken ein Pismis tavuk yumurtasi limonlan nennen, und einen Kebab oder ge-bratenes Hariunelfleisch. Dieses letzte Gericht wiirde ich ohne Bedenken in un-sere Kiichenzettel aufzunehmen raten. Hier ist die Art seiner Zubereitung, sowie sie mir der Koch des Konsuls mitgeteilt hat. Man schneidet das Fleisch indiinne Scheiben, steckt dasselbe nebst Zwiebelschnitten auf einen SpieB undbrat es bei einem sehr heftigen Feuer. Unser Nachtisch bestand in Weintrauben,Feigen und Granatapfeln und war, der vorziiglichen Giite des Obstes wegen, derTafel eines Lucullus wiirdig. Die Granatiipfel waren mir vorziiglich merkwiir-dig, da ich selbige in unseren Gewachshausem noch nie gesehen halle. IhrerForm nach ist diese Frucht einer Quitte ahnlich, doch ist die Haut oder vielmehrdie Schale derselben fast so dick wie die einer Melone. Der genieBbare Teil be-steht aus einer unzahligen Menge purpurroter Beeren, welche dicht aufeinanderliegen und einen angenehrnen sauerlichen Geschrnack haben.

    Wahrend des Mittagessens harte ich einen der Gaste, einen jiidischen Kauf-mann, sehr geliiufig spanisch mit dem Konsul sprechen und vemahm von dem-selben, daB er aus einer spanischen Familie stanunte, welche sich im siebzehn-ten Jahrhundert in Canakkale niedergelassen hatte. Die unduldsamen MaBregelnPhilipps IV. hatten die meisten Juden gezwungen, ihr Vaterland zu verlassen.Sie begaben sich haufenweise nach Frankreich, Savoyen, Genua und Venedig.Eine nicht unbedeutende Anzahl derselben suchte ihre Zuflucht in den osmani-schen Staaten, wo Ihnen die weisere Staatskunst des Divans die freie Ubung ih-rer Religion zusicherte und wo sie seit zweihundert Jahren ihrer ehernaligenMuttersprache, ihren Sitten und Gebrauchen treu geblieben sind. In eben dieserZeit und aus denselben Griinden wanderten viele jiidische Familien aus Neapelund Sizilien nach den jonischen Inseln, woselbst sie ihre vormalige calabresi-sche Mundart bis jetzt sollen beibehalten haben.

    Wir verlieBen noch vor Abend unseren gastfreien Wirt und begaben uns aufunseren Kaik. Der Anker wurde gelichtet, und bald hatten wir das Vorgebirgeerreicht, auf welchem im Altertum die Stadt Abydos stand. Hier, wo sich derHellespont bis auf einige hundert Klafter verengt, haben franzosische Offiziereim Monat April 1807. Schanzen und Batterien angelegt, urn die Hauptstadt voreinem aberrnaligen Uberfall und Angriff der englischen Flotte unter AdmiralDuckworth zu sichem, welchen man damals in Konstantinopel zu befurchtenschien.

    Der vielen Festungswerke ungeachtet, welche hier in neuen Zeiten von euro-paischen Ingenieuren erbaut worden, scheint mir das Verteidigungssystem derDardanellen-StraBe se~nem Endzweck nicht vollkonunen zu entsprechen, unddas Beispiel des Act.mlrals Duckworth diirfte leicht auch kiinftighin einen See-mann ~~lzen, das ..kii~e Unternehrnen zum zweiten Mal zu wagen und mit ei-nem gunstigen Sudwmd durch den Hellespont in das Marmara-Meer und bisnach Konstantinopel vorzudringen. Die Hauptstadt wiirde nach meiner Uber-zeugung dann erst von der Agaischen See her fur unangreifbar geiten konnen,

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  • wenn die Regierung mitten in dem Kanal seiber vermittels versenkter Kasten(par encaissement) eine Grundmauer auffiihren und auf derselben eine turmar-tige, in mehreren Abstufungen mit schwerem Geschiitz versehene Feste erbauenlieBe. Ein solches Zentralfort wiirde den Kanal noch urn die Hiilfte verengenund in einer Entfemung von etwa zwolfhundert Schritt schwere Kugeln mit denauf beiden Ufem angelegten Strandbatterien wechseln. Die Schwierigkeiten ei-nes solchen Baues sind nicht zu leugnen, doch beweisen die schon friiher in Ci-vita-Vecchia und anderen Hafen und vor kurzem noch in Cherbourg und Ply-mouth angelegten Hafendamme, daB er keineswegs fiir unausfiihrbar zu achtenist. Die Sicherstellung aber der Hauptstadt muB der osmanischen Regierung sowichtig sein, daB fiir diesen Zweck keine Kosten gescheut werden sollten. Eben-so kraftig miiBten Congrevische Raketen zur Verteidigung des Hellesponts mit-wirken. Je mehr Segel die aus dem Agaischen Meer nach Konstantinopel gehen-den Schiffe aufspannen miissen, urn die ihnen entgegenwirkende Strornung zuiiberwinden, je breiter ist das Ziel, welches sie diesen verderblichen Ziindungs-zwecken bieten.

    Hier, wo einst des Xerxes Flotte beide Weltteile verband, erblickten wir ei-nen stattlichen vor Anker liegenden Dreimaster, auf welchem sich mehrere hun-dert Pilgrime eingeschifft hatten, urn nach Jerusalem zu wallfahrten.

    Der einst bei allen Christen so lebhafte Wunsch, das Grab des Heilands zubesuchen, an seiner Geburtsstiitte sich Gliick und Segen zu erflehen, diesermiichtige Trieb, der im elften, zwolften und dreizehnten Jahrhundert unseren be-geisterten Voreltern das geweihte Schwert an die Seite schnallte, ist bei denChristen der Levante, sie mogen rornisch-karholischer Konfession oder Grie-chen, Nestorianer, Armenier usw. sein, noch keineswegs erloschen. Aile Jahregehen mehrere Schiffe von Konstantinopel nach dem syrischen Hafen Jaffa un-ter Segel, von wo die Pilgrime nach Ramla und von dart nach Jerusalem wan-demo Diese sogenannten Pilger-Schiffe fiihren eine eigene Flagge mit demWappen des im Mittelalter so bekannten Konigreichs Jerusalem. Ein rotesKreuz teilt die groBe vom Flaggenstock herabfallende weiBe Flagge in vier Fel-der; in jedem derselben erscheint wieder ein ahnliches Zeichen. Mit Ehrfurchtbetrachtete ich auf dieser Fahne das helle Kreuz, das Zeichen, welches so vieleVOlkerseit Jahrhunderten verehren, und glaubte, das mystische Labarum des er-sten Konstantins, die lorbeerbekranzten Standarten zu sehen, welche einst Gott-fried von Bouillon und Tankred auf Zions Tiirme pflanzten.

    Gegen Sonnenuntergang, als wir an Lapseki voriibersegelten, sprang derWind urn und wehte aus dem Norden gleich so heftig, daB unser Boot sich aufdie Seite legte und zum Teil mit Wasser fiillte. Eine rasche Wendung mit demRuder brachte dasselbe wieder in Gleichgewicht. Wir steuerten bei dem nun-mehr Widrig gewordenen Wind nach Gelibolu, woselbst uns der sichere Hafenerne vollkommene Zuflucht gewahrte.

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  • Die Lage dieser nicht unbedeutenden Stadt, welche das Altertum Kallipolis,die schone Stadt, nannte, rechtfertigt vollkommen den schmeichelhaften Beina-men. Der Anblick des Hellesponts, der wie ein machtiger Strom die iippigenund wohlangebauten Gefilde bewassert, ist iiber alle Beschreibung reizend. DieStadt selbst, die im Mittelalter fur eine Vormauer von Konstantinopel gegenAsien galt, wird seit einem Jahrtausend fur den Hauptort der thrakischen Halb-insel betrachtet. Die Landschaft scheint im Altertum unendlich mehr bev61kertgewesen zu sein, als sie es gegenwartig ist.

    Der Erdbeschreiber Skylax, ein Zeitgenosse Platens, zahlt auf derselben elfStadte, deren einige im dritten Jahrhundert vor Christi Geburt den Ptolemaernhuldigten. Diese Stadte hieJlen: Cardia, Ide, Paeon, Alopaeconesus, Araplus,Aelaeus, Sestus, Cressa, Crethote, Pactiai und Agora. Diese an der westlichenKiiste des Hellesponts gelegene Provinz war von jeher in politischer und strate-gischer Riicksicht gleich bedeutend; um so mehr hat sie in den haufigen Kriegengelitten, deren Schauplatz sie in alteren sowohl als in neueren Zeiten gewesen.Dem Forscher der Landesgeschichte ist die oftere Namensveranderung der um-liegenden Stadte merkwiirdig, die fnihere Geschichtsschreiber erwahnen, spareraber mit Stillschweigen ubergehen, indem sie andere an deren Stelle anfuhren.Soeben habe ich bemerkt, daJl Skylax elf Stadte auf dem Chersones erwahnt.Strabo zahlt deren zwei, Plinius fiinf, Pomponius Mela vier, Ptolemaios undProcopius sechs, Hierokles endlich und der Kaiser Konstantin Porphyrogenne-tos nur zwei. Dieser so auffallende Abstand diirfte vorziiglich verheerendenKriegen zuzuschreiben sein.

    Die Zeit der Erbauung der Stadt Kallipolis ist unbekannt, doch ist der Ort imersten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung nur klein gewesen. Der damalslebende Strabo nennt ihn ein Stadtchen (oppidulum). Sparer wurde es viel be-deutender. Der Kaiser Justinian scheint diese Stadt als einen Zentralpunkt derProvinz betrachtet zu haben, und nachdem er die Landenge der Halbinsel be-festigt hatte, legte er hier ein Hauptmagazin aller Kriegs- W1dMundvorrate furdie Besatzung der iibrigen festen Platze der Chersones an.

    Im Jahre 1204, nachdem die Franzosen und Venezianer Konstantinopel ero-bert und die wichtigsten Provinzen des Osmanischen Reiches unter sich verteilthatten, wurde die umliegende Gegend unter dem Namen eines GroJlherzogtumsvon Gelibolu zu einem besonderen Staat erhoben, mit welchem die RepublikVenedig zwei ihrer Nobili, den Markus Dandolo und Jakob Viaro, belehnte.

    Zu Anfang des vierzehnten Jahrhunderts eroberte eine Schar Katalonier dieseStadt. Die von einer geringen Zahl dieser Abenteurer iiber die zahlreichen grie-chischen Heere erfochtenen Siege bringen dem Leser unwillkiirlich die fabel-haften Taten der Ariostischen Heiden ins Gedachtnis und liefem auffallende Be-weise der Charakterlosigkeit der griechischen Kaiser und der feigen Abspan-nung der Griechen in jener Zeit. Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet mag die

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  • Kriegs- oder vielmehr Raubergeschichte der Katalonier an den Ufern des Hel-lesponts dem Leser der byzantinischen Annalen einiges Interesse gewahren,

    1m Jahre 1104 warb Andronikos Palaiologos, in einen gefahrlichen Krieg mitden Tiirken verwickelt, eine bedeutende Heerschar Katalonier, unter dem Ober-befehl eines gewissen Roger de Flor, der sich in den sizilianischen Fehden jenerZeit durch sein Feldherrntalent ausgezeichnet hatte. Die Katalonier, denen ihreStandquartiere auf der asiatischen Kiiste bei Cyzicus angewiesen wurden, zeich-neten sich ebensosehr aus durch den unerschiitterlichen Mut, mit welchem siedie vorriickenden Tiirken zum Riickzug zwangen, als durch die Ziigellosigkeitund Pliinderung der griechischen Provinzen, welche sie beschiitzen sollten. IhreBefehlshaber gaben ihnen das gefahrliche Beispiel des Ungehorsams, und einerderselben, mit Namen Fernando Xymenes, weigerte sich, dem Feldherrn zu fol-gen, als eben ein neues tiirkisches Heer die Grenzen des griechischen Kaiser-tums bedrohte. Roger de Flor, dem die Leitung des Feldzuges anvertraut war,fiihrte die schon mutlos gewordenen griechischen Soldner gegen den Feind,stellte seine Spanier an die Spitze, griff die Tiirken an und brachte sie mit unge-heurem Verlust zum Weichen. Die Nachricht von dem erfochtenen Sieg ver-breitete eine allgemeine Freude in Konstantinopel; doch nur bald wurden dieGriechen durch die veriibten Gewalttiitigkeiten der Katalonier dergestalt erbit-tert, daJl Ihnen nunmehr die Tiirken selbst weniger gehassig waren als diese ihreBundestruppen. Kaiser Manuel, der seinem Vater Andronikos auf dem Thronvon Byzanz gefolgt war, scheint diese Stimmung seines Volkes keineswegs ge-miJlbilligt zu haben: er ergriff alle MaJlregeln, das gefahrliche Hilfsheer zuschwachen und lieJl endlich den mutigen de Flor heimlich ermorden, der nachKonstantinopel gekommen war, urn den riickstiindigen Sold seiner Krieger ein-zuziehen.

    Rache dem verehrten Feldherrn, HaJl dem gekronten Morder war nunmehrdas Losungswort der emporten Katalonier. Sie kiindigten dem Kaiser Michaeleine blutige Fehde an, setzten sich auf der Halbinsel Gelibolu fest und fordertendie Tiirken zurn Beistand auf. Der Kaiser ging ihnen mit einem bedeutendenHeer entgegen. So unverhiiltnismiiJlig auch die Zahl der Katalonier war, erfoch-ten diese dennoch unweit Gelibolu einen entscheidenden Sieg, welchen sie mitdem ihnen eigenen Nachdruck verfolgten und selbst die naheren Umgebungenvon Konstantinopel verheerten. Bald darauf belagerte der Kaiser, im Vertrauenauf eine genuesische Hilfsflotte, die Halbinsel Gelibolu zum zweiten Mal, dochscheiterte sein Untemehmen abermals, und er verlor bei einem niichtlichen Aus-fall der Katalonier einen Teil der griechischen und genuesischen Flotte, welchedieselbe verbrannten. Das griechische Heer wurde zum Riickzug gezwungen,und ein panischer Schrecken verbreitete sich in den umliegenden Provinzen. DieKatalonier wuJltendieses zu benutzen, sie nahmen mehrere Stiidte in Romaniamit Sturm ein, veriibten aber daselbst so viel Grausamkeiten, daJl ihnen dasVolk den Beinamen Kakodaimones, d.h. bose Geister, gab. Der Papst sprach

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    iiber sie den Bann aus, ein Teil von Griechenland und mehrere Stadte vonKleinasien verbiindeten sich gegen den gemeinschaftlichen Feind, und ein ge-nuesischer Admiral leitete die Belagerung von Gelibolu. Doch behaupteten dieKatalonier auch hier den Vorzug. Der genuesische Admiral veri or in dem ge-fahrlichen Kampf sein Leben, die Belagerer zogen sich zuriick, und die Grie-chen seIber pliinderten die Umgebungen von Konstantinopel, urn dadurch diebeutegierigen Katalonier abzuhalten, sich dieser Hauptstadt zu nahern. Diesehatten nunmehr die ganze Schwache des Ostromischen Reiches kennengelemt,sie beschlossen, dieselbe noch mehr zu benutzen, verlieBen die Stadt Gelibolu,fielen in Griechenland ein und stifteten daselbst mehrere unabhangige Staaten.Der ansehnlichste darunter war das Herzogtum Athen, welches sein politischesDasein bis in das fiinfzehnte Jahrhundert hinein behauptete, wo endlich die ver-weichlichten Nachkornmlinge der mutigen Katalonier dem furchtbaren Schwertdes Siegers von Konstantinopel erlagen.

    Am achtundzwanzigsten September, da der ungiinstige Nordwind meinerRiickreise zur See Hindemisse in den Weg legte, begab ich mich zu dem schwe-dischen Konsul, dem ich von seinem Gesandten in Konstantinopel empfohlenwar. Der wiirdige Greis nahrn mich gastfreundlich auf und aufserte den Wunsch,mich mit den bedeutenderen in der Stadt wohnenden Tiirken bekannt zu rna-chen. Sein Anerbieten war mir sehr willkornmen, und wir begaben uns vorzug-lich zu Hasanbey, dem Befehlshaber dieser Stadt, mit welchem der Konsul aufeinem freundschaftlichen FuBe stand. Die Unterhaltung 109 sich in die Lange,wobei ich in den Bewegungen und dem Mienenspiel des Statthalters etwas Ge-zwungenes bemerkte, was mir urn so mehr auffiel, als die Tiirken irnmer ernstzu bleiben pflegen und dem Fremden eher feierlich als tandelnd und affektierterscheinen. Der schwedische Konsul versicherte mich daB diese Unart eine Pol-ge der Erziehung irn Serail des Grollherm sei, wo Hasanbey seine Jugend ver-lebt hatte. Eine gewisse Geziertheit soli daselbst fur einen Weltton, Einfachheitd~r Haltung aber fur Indolenz gelten. Ebenso gekiinstelt ist die bei den jungenHoflmgen des Serails gebrauchliche Mundart. Die daselbst erzogenen Mannerpflegen, wenn. sie tiirkisch reden, so viel arabische und persische Worter einzu-mischen, als sie nur konnen; was daselbst fur einen hoheren Grad der Kultur giltund in de~ Pro~inzialstadten nachgeatn wird. Diese gezierte Sprache erinnertemich an emen ahnhchen in Deutschland und Polen im siebzehnten Jahrhundertallge~ein .gewordenen MiBbrauch. Die Schriftsteller jener Zeit pflegten be-kannthch ihren polnischen und deutschen Werken lateinische Worter und Re-densarten beizumischen .

    . Ich beklagte mich bei Hasanbey, daB ich des ungiinstigen Windes wegennicht zur See nach Konstantinopel gehen konnte. Er munterte mich auf, dieseReise ~u Lande zu machen, und fiigte das Versprechen hinzu, mir am folgendenTage emen Wegweiser und Reitpferde zu schicken. Diese Dienstfertigkeit einesMannes, den Ich me zuvor gesehen hatte, riihrte mich; ich glaubte mich ver-

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  • pflichtet, Hun meine Dankbarkeit zu erkennen zu geben, wobei ich die Gastfrei-heit erwahnte, mit welcher ich auf meiner Reise von seinen Glaubensgenossenwar aufgenommen worden. Die Warme, mit der ich sprach, machte ihn vertrau-ter, und er erwiderte mit einem bedeutenden Lacheln: "Wie ich sehe, miJlfalltdir unser Land nicht, seine Einwohner haben dich liebevoll aufgenommen: blei-be doch hier, du sollst uns ein Landsmann, ein Bruder werden." Ich glaubte hierdie Unterredung abbrechen zu rnussen und verlieJl alsbald den wohlmeinendenProselytenmacher.

    Unser zweiter Besuch galt dem Yusuf Pasa, der unter Selim III. GroJlwesirgewesen war, im Jahre 1812 aber seiner Wiirde entsetzt und nach Gelibolu ver-bannt wurde, weil der Verdacht auf ihn fiel, daJler bei einer wichtigen Verhand-lung von einem fremden Kabinett sich hatte bestechen lassen. Ich traf den GroJl-wesir in einer von mehreren Baumen beschatteten Laube auf einem Divan gela-gert. Ein zahlreicher Schwarm zierlich gekleideter Bedienter umgab ehrfurchts-voll den Greis, seine Befehle erwartend. Der Konsul kiiJlte den Saum seinesKleides, stellte mich demselben vor und lieJl sich auf der Laubentreppe auf dieKnie nieder. Der im Orient allgemeinen Sitte gemiiJlwurde alsbald Kaffee auf-getragen. Man hatte mich gewamt, daJl Yusuf Pasa, einer strengen Aufsicht un-terworfen, alle Unterredung uber seine fruheren Verhaltnissc am Hofe, uberStaatsverwaltung und Politik sorgfaltig vermiede. Dieser Vorsicht ungeachtet,glaubte ich wahrnehmen zu konnen, daJl er dem russischen Hof ganz vorziiglichgeneigt war; denn er erwahnte mit sichtbarem Vergniigen die Siege, welche rus-sische Truppen in Frankreich vor kurzem erfochten hatten. Diese bei einem Tiir-k.en so unpolitische Tendenz glaubte ich der Erinnerung an den Feldzug inAgypten zuschreiben zu rnussen, in welchem das tiirkische Heer unter YusufPasa, von dem franzosischen aufs Haupt geschlagen, diese Provinz raumenmuJlte. Die Stadt Gelibolu zahlt nach der Angabe des schwedischen Konsulszehntausend Hauser und gegen vierzigtausend Einwohner, ist aber ebensoschlecht gebaut als alle die ubrigen Stadte, die ich bisher im Osmanischen Reichgesehen hatte.

    Das die Frauen betreffende Gesetz des Islam befindet sich im dreiunddrei-Jligsten Kapitel des Koran, in welchem Muhammad die Frauen ermahnt, sichvor fremden Mannern zu verhullen: "0 Prophet, sprich zu deinen GattiImen unddeinen Tochtern und den Frauen der Glaubigen, daJl sie sich in ihren Uberwurfverhullen. So werden sie eher (als anstandige Frauen) erkannt und werden mchtverletzt. Und Allah ist verzeihend und barmherzig." Dieses Gebot, dem zufolgedie Frauen von keinem fremden Mann sich mit enthiilltem Gesicht sehen lassendiirfen, hat, so paradox es auch erscheinen mag, einen groJlen EinfluJl auf dieBauart der tiirkischen Stadte, Die Eifersucht der Muslime erlaubt ihnen nicht,fremden Mannern in ihren Hausern Wohnungen zu vermieten. Dernnach konnennUrvermogende Familien ansehnliche Hauser erbauen, die sie ganz zu ihrern el-

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  • genen Gebrauch einrichten. Armere fiihren schlechte Hiitten auf, welche sieebenfalls ausschlieJllich mit ihren Weibem und Kindem bewohnen.

    Am ersten Oktober vor Tagesanbruch schickte mir Hasanbey die versproche-nen Reitpferde nebst einem Wegweiser. Nachdem ich mein Gewehr in fertigenStand gesetzt hatte, fragte ich meinen neuen Begleiter, ob wir in den Gebirgenbei Rodosto keine Rauber zu befiirchten hatten, "Herr", antwortete er und legtedie Hand auf seinen Turban, "dieser Kopf haftet dem Bey fiir deine Sicherheit",Die kiihne Behauptung des einzelnen Mannes schien mir allerdings etwas ge-wagt; dennoch bat ich den schwedischen Konsul, dem Bey in meinem Namenfiir seine kraftige Empfehlung zu danken, welche ich be~ der AuJlerung desWegweisers voraussetzen muBte.

    Kaum einige tausend Schritte jenseits Gelibolu kam ich auf eine gepflasterteStraJle, welche durch ein mooriges Tal nach dem Dorf Bolayir fiihrt. Dieser un-bedeutende Ort liegt auf der Erdzunge der thrakischen Halbinsel auf derselbenStelle, wo einsr die Stadte Kardia am Agaischen Meer und Paktia am Hellespontlagen. Die Erdzunge selbst is! nach Herodots Berechnung sechsunddreiJlig Sta-dien breit. Auf der Grundlage beider soeben erwahnter Stadte erbaute der make-donische Feldherr Lysimachus nach dem Tode Alexanders des GroJlen eineStadt, welche er nach seinem Namen Lysimachia nannte. 1m ersten Jahrhundertder christlichen Zeitrechnung war dieser Ort entvolkert und stellte dem Be-schauer einen traurigen Anblick veriideter Ruinen dar. Unter der Regierung desKaisers Hadrian kam sogar der Name Lysimachia in Vergessenheit. Der Erdbe-schreiber Ptolemaus, der damals diese Gegend beschrieben hat, fiihrt die alterenNamen Kardia und Paktia an und iibergeht die Stadt Lysimachia ganz mit Still-schweigen.

    Die Erdzunge der thrakischen Halbinsel ist als ein wichtiger strategischerPunk! im Altertum zu verschiedenen Malen sorgfaltig befestigt gewesen. NachHerodot haben die Dolonzer, ein thrakischer Stamm, im sechsten Jahrhundertvor Christi Geburt zur Zeit, da Pisistratus Athen beherrschte, eine Mauer aufdieser Erdzunge errichtet, verrnittelst derer sie sich vor den Einfallen der ihnenbefeindeten Absintier, eines anderen thrakischen Stammes, zu sichem glaubten.1m sechsten Jahrhundert der christlichen Zeitrechnung lieJl Kaiser Justinian andieser Stelle hohe Erdwalle und eine doppelte Mauer auffiihren und auJlerdemnoch die Stadte der Halbinsel Aphrodisias, Cyberis und das an dem MeerbusenMelas gelegene SchloJl Tesci befestigen. Der Kraftlosigkeit des OstriimischenReiches, vielleicht auch seiner eigenen sich bewuJlt, ergriff dieser Monarch aileMaJlregeln, urn die rornischen Provinzen vor den Einfallen der Barbaren zu si-chern, denen er nur Mauern, nicht Romer mehr entgegenzustellen hatte. Vondiesen zu verschiedenen Malen hier angelegten Festungswerken ist nunmehrkeme Spur vorhanden. Ungleich vorteilhafter fiir diese Landschaft diirfte einiiber die Erdzunge geleiteter Kanal werden, zur Verbindung des Agaischen

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  • Meeres mit dem Hellespont. Ein solches Unternehmen miiJlte den Seehandel desmittaglichen Teiles von Romania und der benachbarten Provinzen ungemein be-giinstigen und wiirde, bei der geringen Breite der Erdzunge, urn so wenigerkostspielig sein, da ich auf derselben nur einen Bergriicken gesehen habe, dersolchem Werk ein Hindernis in den Weg legen konnte,

    Nach Sonnenuntergang kehrte ich in ein am Wege gelegenes Gasthaus ein,welches in der grofumoglichen Einfachheit erbaut, Menschen und Pferde indemselben Behaltnis aufnahm. Der Hausherr, eifrig bemiiht, den Raum nachMoglichkcit zu benutzen, hatte auf der einen Seite den Stall angelegt. Die ande-re fiir die Gaste bestimmte Halfte dieser echt spanischen Posada war einige Stu-fen iiber den Stall erhaben, mit einem Gitter umgeben und mit Matten versehen,welche die Stelle alles iibrigen Zimmergerates vertreten muJlten. Ich traf in die-sem Gasthaus einen Derwisch aus Rodosto, mehrere Matrosen und einen ausGelibolu nach Konstantinopel zuriickkehrenden Kaufmann. Die verschiedenar-tigen Beschaftigungen dieser Menschen, deren einige ihre Pferde versorgten,andere ihr Abendessen zubereiteten, noch andere Kaufmannsgiiter, Ballen undKisten ordneten, stell ten ein Bild zusammen, welches dem einsamen art vielLeben mitteilte und dem unbeschaftigten Fremdling eine angenehme Unterhal-tung gewahrte, Der Derwisch hatte eine Art Rosenkranz in der Hand, an wel-chern er inbriinstig betete. Dieses Werkzeug der Frommigkeit, von den TiirkenTesbih genannt, ist seiner aulleren Form nach ziemlich dem im romisch-katholi-schen Kultus gebrauchlichen Rosenkranz ahnlich. Er besteht aus dreiunddreiJligoder sechsundsechzig oder neunundneunzig k1einen Kugeln von Holz oder Steinoder auch von jener wohlriechenden Masse, welche die Franzosen pastille duserail nennen. Der fromme Muslim laJlt ein Kiigelchen nach dem anderen an derSchnur fallen und spricht bei jedem derselben mit einer Art von StoJlseufzereine der Eigenschaften aus, welche die muslimischen Gottesgelehrten demhochsten Wesen beilegen, z.B.: "Gott ist einzigl a Barrnherziger, a Unendli-cher!" usw.

    Nach einem Abendessen, das eben so einfach war als die uns angewieseneWohnung, brachte unser geschaftiger Wirt das zum Kaffeekochen gehiirige Ge-rat herbei und bereitete das Getrank auf einem k1einen Herd, welchen er, etwaachtzehn Zoll breit, in der Ecke seiner Hiitte angebracht hatte. Die Art, wie dieTiirken ihren Kaffee kochen, weicht etwas von der bei uns gebrauchlichen aboDen in einem steinernen Morser zu Pulver gestoJlenen Kaffee stellen sie in ei-nem Topf ans Feuer: Sobald das Wasser aufgekocht ist, wird der Topf abgesetztund nach einigen Sekunden zum zweiten und dritten Mal auf die Kohlen ge-bracht und ebenso schnell wieder zuriickgeschoben, sobald das Wasser aufge-kocht hat. Bei dem dritten Mal werden einige Tropfen kaltes Wasser hineinge-gossen, vermittelst dessen sich der Kaffee schneller und besser setzt; und somitist das Getrank fertig.

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  • Die Kaufleute in Konstantinopel und in mehreren anderen bedeutenden Stad-ten des Osmanischen Reiches lassen ihr Porzellangeschirr und besonders dieKaffeetassen aus Meillen in Sachsen kornmen, wo eine bedeutende Anzahl Ar-beiter ausschlielllich mit der Verfertigung derselben beschiiftigt wird.

    Am zweiten Oktober verfolgten wir unsere Reise weiter nach Rodosto. Wirbestiegen mit Sonnenaufgang ein steiles Gebirge, welches die Geographen zuden Nebenarmen des Balkan ziihlen und welches sich siidlich von Rodosto andas Marmara-Meer senkt. Diese bergige Gegend ist unbebaut; nur hie und dabemerkte ich elende Dorfer von wenigen Hiitten. Die dieser felsigen Gegend ei-gene Steinart ist ein Spat, dessen waagerechte Schichten sich so glatt ablosen,dall die Stralle mit geschliffenem Marmor gepflastert zu sein scheint. Ich be-gegnete in diesem Gebirge mehreren Kaufleuten, welche in einer Karawane mitKamelen von Gelibolu nach Rodosto zogen. Diese so niitzlichen Lasttiere gehenin der Karawane, so zahlreich diese auch sein mag, immer nur in einer Linieund tragen ein Gepiick von sechs- bis siebenhundert Pfund. Ihr Schritt ist lang-sam und bediichtig, doch sicher, sie stolpem selten und legen an einem Tag vierbis fiinf Meilen zuriick. Bekanntlich sind die Dromedare ungleich schneller, da-gegen tragen sie bei wei tern nicht so grolle Lasten.

    Gegen Abend verlieBen wir die einsame und menschenleere Gebirgsgegendund kamen in die freundliche Gegend von Rodosto, auf welcher ich viele zier-lich gebaute Dorfer und breite wohlbestellte Felder bemerkte. Die Reise vonGelibolu nach Konstantinopel gab mir einen neuen Beweis, wie irrig die in Eu-ropa allgemeine Meinung ist, von dem verwahrlosten Zustand der osmanischenProvinzen und dem Druck, unter welchem ihre Bewohner, selbst die Muslime,seufzen. lch will mich keineswegs zum unbedingten Lobredner der tiirkischenRegierung aufwerfen. Unverzeihlich ist die Bedriickung, welche die Christen inmehrerer Hinsicht trifft, unverzeihlich das Feilbieten der Amter, die Vemach-liissigung der Kriegswissenschaft, die Gleichgiiltigkeit gegen die Pest, die Straf-losigkeit der ihre Gewalt millbrauchenden Statthalter und vor allem das despo-tische, oft grausame Verfahren des Divans und des Grollherm. Aller dieserMiingel ungeachtet, welche das allgemeine Beste notwendig storen miissen, ha-be ich die Lage der Provinz, welche ich durchreiste, in mancher Riicksicht be-neidenswiirdig gefunden. Die Landleute sind Eigentiimer ihrer Grundstiicke,von denen sie nur einen gewissen Zins entrichten. Ihr Landwirtschaftssystem istfreilich sehr beschriinkt, sie kennen jene theoretischen Grundsiitze nicht, durchderen zweckmiiBige Anwendung der Landmann in Europa seinen Ertrag ver-doppelt: dennoch sah ich ihre wohlbestellten Felder mit iippigen Saaten be-deckt; zahlreiche Herden starker wohlgeniihrter Rinder und Biiffel waren mirein hinliinglicher Beweis, dall auch dieser wichtige Zweig der Landwirtschafthier keineswegs vemachliissigt wird; endlich behaupten ihre Obstgiirten undWeinberge vor den unsrigen einen Vorzug, den sie ihrem gJiicklichen Him-

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    melsstrich, i.hrem milde~. freundlichen Klima verdanken. Kein Wirtschaftssy-stem kann em Land beglucken, wenn dem Landmann nicht ein sicherer Absatzseiner Friichte zugesichert wird. In dieser Hinsicht bleibt dem Bewohner dieserLandschaft nichts zu wiinschen ubrig. In einer Kiistenlange von hochstens drei-Jlig Meilen zwischen Gelibolu und Konstantinopel zahlt man vier grofsere undzwei kleinere Stadte, die samtlich ansehnliche Fabriken haben und einen bedeu-tenden Handel zu Lande und zur See treiben. Darunter zahlen Gelibolu und Ro-dosto acht- bis zehntausend Hauser und gegen vierzigtausend Menschen, Silivriund Eregli haben fiinfzehntausend, Buyuk Cekmece und Kiiciik Cekrnece zehn-tausend Einwohner. Die Stadte, so planlos sie auch gebaut sind, fiihren samtlicheinen bedeutenden Handel mit Wolle, Baumwolle, Wachs, Tiichern, Leder, Saf-fian, Seidenzeugen und bekanntlich ausgezeichnet schonen Gold- und Silber-stoffen. Endlich erleichtem KunststraJlen die Versendung von Waren und deninneren Verkehr.

    Ebenso irrig scheint mir die ungiinstige Meinung und der Tadel zu sein, wel-cher die Muslime riicksichtlich ihres Charakters im westlichen Europa trifft.Schon mehrrnals habe ich die Gastfreundschaft erwahnt, mit welcher ich vonden Einwohnem dieses Landes bin aufgenommen worden. Ihre Redlichkeit undTreue in Geschaften, ihre Teilnahme an den Leiden ihrer Mitmenschen, vonwelcher die haufigen milden Stiftungen zeugen, die man in allen Stadten findet,rnussen dieses Volk in den Augen jedes unparteiischen Beobachters in ein sehrvorteilhaftes Licht setzen.

    Den sichersten Beweis ihrer geselligen Tugenden sowie die festeste Stiitzeihres Gliicks gewahren meiner Uberzeugung nach die festen Bande, welche beidiesem Yolk die verschiedenen Mitglieder einer Familie aneinanderketten. DasVerhaltnis zwischen Eltem und Kindem ist ohne Zweifel das starkste Band derbiirgerlichen Gesellschaft. Dies aber glaube ich nirgends so fest, so zartlich ge-funden zu haben als hier. Taglich habe ich in der Gegend von Konstantinopel inPrivathausern oder in der schonen Natur der Taler von Biiyukdere, Tarabya,Hiinkar Iskelesi, lstinye Familienvereine gesehen, die aus drei bis vier Genera-tionen bestanden, vom UrgroJlvater bis zum Urenkel herab. Sohne und Enkelumgaben mit ehrfurchtsvoller Zartlichkeit den hochbejahrten Greis, das Hauptder Familie, Urenkel umgaukelten ihn, auf denen sein geriihrter Blick schwebte,ein Blick, in welchem Liebe und Segen unverkennbar waren.

    Was die Geistesbildung des Volkes betrifft, so habe ich schon friiher be-merkt, daJl in der untersten Klasse fast alle Manner, etwa Soldaten und Seeleuteausgenommen, lesen und schreiben konnen. In den hOheren Standen, vorziiglichaber bei den Ulema, die sich der Gottesgelahrtheit und Jurisprudenz widmen,sind Gelehrte nicht selten: nur miissen diese vom Europaer aus dem rechten Ge-sichtspunkt und ohne Vorurteil betrachtet werden. Von den klassischen Werkendes Altertums, von den griechischen und ramischen Dichtem und Geschichts-

  • schreibem wissen die Morgenlander nur wenig, von den herrlichen Geisteser-zeugnissen der verschiedenen Volker des westlichen Europa fast gar nichts: unddoch glaube ich, daf man ihren Gelehrten diesen Namen nicht streitig machenkann; denn auch sie haben ihre literarischen Quellen, die sie mit Auswahl undKritik zu benutzen wissen; und sie mogen ebenso viel Geschichtsschreiber undDichter aufzuweisen haben als nur irgendein gebildetes Yolk der christlichenWelt. DaB wir Europaer diese nur sehr unvollkommen kennen, daran mogen wirunsererseits Unrecht haben, ohne deshalb gerade den Vorwurf der Barbarei oderUnwissenheit zu verdienen, deren wir doch die Osmanen beschuldigen, weilihnen unsere Literatur unbekannt ist.

    Kein unparteiischer Beobachter dieses Volkes wird ihm Scharfsinn, einenrichtigen Blick in Geschiiften und noch weniger einen lebhaften regen Eifer furVaterland und Glauben absprechen. Ich habe haufig in und urn KonstantinopelDerwische, Soldaten oder Handwerksleute sehr richtig ihre ungliicklichenFeldzuge gegen RuJlland beurteilen und sich mit der Hoffnung schmeichelngehort, die seit 1773 verlorenen Provinzen wieder zu gewinnen. Zwar haben sieUnrecht, daB sie ihre wiederholten Niederlagen dem vermeintlichen Verrat ihrerFeldherren und Staatsbeamten zuschreiben, ohne einsehen zu wollen, daB derGrund derselben in der fehlerhaften Taktik liegt, bei welcher sie doch hart-nackig beharren.

    Sooft man Tiirken von Krieg oder diplomatischen Verhandlungeneuropaischer Machte reden hort, so pflegen sie alles ausschlieJllich auf ihr Va-terland zu beziehen und dessen Ruhm oder Vorteil dabei zu beachten.

    Gegen Abend, da wir uns Rodosto genahert hatten, begegneten wir einemEilboten, der wohlberitten von Gelibolu nach Konstantinopel eilte. Auf allenHauptstraBen des Osmanischen Reiches und in allen Richtungen sind Poststa-tionenangelegt, auf denen die Staatsboten immer eine gewisse Anzahl bereit-stehender Reitpferde finden. Auch Privatreisende konnen diese Anstalt benut-zen, doch miissen sie eine eigene Erlaubnis dazu haben, welche in der Staats-kanzlei ausgefertigt wird. Die tiirkische Post geht sehr schnell, nur sind die Sta-tionen zu weit von einander entfemt, so daBbei dem schnellen Rill der Eilbotendie Pferde oft iiber ihre Krafte angegriffen werden.Am Abend traf ich in Rodosto ein. Da ich mit einem Empfehlungsschreiben

    an den dasigen schwedischen Konsul versehen war, so kehrte ich in sein Hausein, ohne die Winke und geheimnisvollen Gebarden seiner Hausgenossen zu be-achten, bis endlich einer derselben mir das Schreckenswort Hastalik (epidemi-sche Krankheit) ins Ohr raunte. lch verlieB alsobald die gefahrliche StraBe undbegab mich in einen entfemt liegenden Han oder offentliche Herberge.

    Schon friiher hatte ich die Bemerkung gemacht, daB die Tiirken nicht gemvom Tod, von der Pest oder anderen ahnlichen Ungliicksfallen reden; wenig-stens bedienen sie sich nie der ausdriicklichen Worte, sondern erwahnen die Sa-

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    che mit einiger Umschweife. Dieser Landessitte gemall sagte mir bei dieser Ge-legenheit der gute und wohlmeinende Tiirhiiter des schwedischen Konsuls nichtYurnurcak, welches die Pest bedeutet, sondem bediente sich des Wortes Hasta-hk, mit welchem man die Krankheit im allgemeinen bezeichnet. Die Muslimeglauben, das Aussprechen eines Ungliicks ziehe dem Redenden das UngliickseIber herbei, Ebenso aberglaubisch scheinen die Romer gewesen zu sein, wel-che bekanntlich an.Traume und Vorbedeutung glaubten. Wem ist wohl die scho-ne Stelle aus Vergils Dichtung unbekannt?

    "Wer wagt es, die Sonne triigerisch zu nennen?Oft warnt sie auch vor Aufruhr, der im Verborgenen andringt,und vor Krieg, der offen anschwillt.Ais Casar ermordet war, war sie auch von Leid urn Rom ergriffen,da sie ihr glanzendes Haupt mit dunklem Bleigrau iiberzog und dasgottlose Zeitalter ewige Nacht befiirchten mullte.Allerdings gaben zu jener Zeit auch die Erde und die Weite desMeeres und dreckige Hunde und widerliche Vogel Zeichen."

    Die offentlichen Herbergen im Osmanischen Reich sind aile in demselbenStil erbaut und haben dieselbe Einrichtung. Die Stalle fiir Pferde, Maultiere,Biiffel und Kamele nehmen den unteren Stock des viereckigen geraurnigen Ge-baudes ein. 1m oberen Gescholl fiihrt ein Korridor zu samtlichen fiir die Gastebestimrnten Stuben. Eine solche sehr zweckmaflige Einrichtung ist ziemlich dieunserer Kloster in Polen und Deutschland. Der innere Hofraum des Hans in Ro-dosto war mit Lasttieren, Warenkisten, Ballen und Fassern angefiillt, welchemehrere Kaufleute nach Konstantinopel fuhrten, Mit recht patriarchalischerWiirde wies ein bejahrter HanCIoder Aufseher des Hans jedem Reisenden seineZelle, den Pferden die notige Stallung an und schlichtete, indem er sich den Ian-gen grauen Bart mit der Hand strich, die etwaigen Zwistigkeiten, die zwischenden Reisenden und deren Begleitem vorfallen mochten. Eine wechselseitigeMitteilung der kleinen Reiseabenteuer, die eingezogenen Nachrichten iiber dasSchicksal entfernt wohnender Freunde und Anverwandten, iiber Warenpreise,Frachten, Handelsschiffe und Karawanen gibt einer zahlreichen Zusamrnen-kunft von Kaufleuten und Reisenden in einem Han ein sehr lebhaftes Interesse.Dieser Abend den ich in Rodosto verlebte, erinnerte mich an die arabischenMarchen der ~esprachigen Scheherezade, worin so oft von Karawanserails undden darin zusammentreffenden Reisenden aller Art die Rede ist. Reisen gilt iib-rigens im Morgenland fiir die beste Handelsschule. Auf diesem Weg lemen diesoleher Bestimmung sich weihenden Jiinglinge die verschiedenartigen Handels-artikel, ihren Wert, Absatz und Zollgebiihren kennen, und der stets wechselndeUmgang mit fremden Menschen mag nicht der geringste Vorteil dieser Erzie-hungsmethode sein.

  • "In einem Kaffeehaus neben dem Han traf ich mehrere bemittelte Tiirken,welche von mir Nachrichten iiber den gerade damals in Wien versammeltenKongrell einzuziehen suchten. Diese Versammlung der christliehen Monarehenmachte die Tiirken besorgt.

    Am dritten Oktober verliell ich in aller Friihe Rodosto und verfolgte meinenWeg weiter naeh Silivri. Gegen Mittag stiellen wir auf einen wohlangebautenWeinberg. Die Sonnenhitze war sehr groll und der Weg besehwerlich. Durstigfragte mein Reisegefahrte einen im Schatten einiger Baume gelagerten Greis, obes wohl erlaubt ware, hier einige Trauben zu pflucken. "Der Weinberg istmein", erwiderte er einsilbig, "pfliicket und esset!'' Wir eilten, die gastfreundli-che Einladung zu benutzen, und der Eigentlimer nahm gleichgiiltig die ihrn an-gebotene Entschadigung an. Ieh bemerkte, dall dieser TUrke einen griinen Tur-ban trug. Dieses ist das Umerscheidungszeichen der Emire oder Abkommlingedes Propheten. Seine Nachkommensehaft, welche bereits ein Dreilligstel dersamtlichen Bevolkerung des Osmanischen Reiches betragen soll, ist darum sozahlreich, weil die Abstammung in weiblieher Linie hier eben dieselben Vor-teile gewahrt als die der mannlichen. Demnach darf der Sehwiegersohn einesEmirs den griinen Turban nicht tragen, doch sind seine Kinder geborene Ernire,und seine Tochter teilen abermals dasselbe Vorrecht ihren Kindem mit. DieTiirken leben in dem Wahn, dall ein Emir nicht verarmen kann; und trifft einsolches Ungliick einen derselben, so fallt sogleich der Verdaeht auf ihn, dall ersich einen solchen Vorrang widerrechtlich angemallt hat. Er mull alsdann seinHerkommen genealogisch erweisen; und kann er dies nicht, so wird er mit Ge-fangnis bestraft.

    Nachmittags stieBen wir auf einen an der LandstraBe angelegten Spring-brunnen. Wohl wiirdig des vollen Beifalls eines aufgeklarten Menschenfreundesist der Sinn und die Sorgfalt, mit welcher die E,inwohner dieses Landes an denbedeutenderen StraBen, oft sogar an geringen wenig besuehten Stegen, Wasser-kimste anlegen. leh habe in der Umgebung von Konstantinopel einen von einerarmen Frau erbauten Springbrunnen gesehen, welche, nachdem sie ihre Kinderverloren hatte, ihr ganzes kleines Vermogen dem edlen mensehenfreundliehenWerk weihte. Mit Vergnligen und oft segnend ruhte ich bei dem siillen Gernur-mel des sich ergieBenden Wassers, an das sieh der Wanderer und sein miidesRoll mit gleicher Begier drangen, Solche.Wasserklinste habe ieh auf der InselLesbos, in der Umgebung von Konstantinopel, an der Kiiste der Propontis unddes Hellesponts in mannigfaltiger Form gesehen. Meistens findet man an den-selben eine Inschrift mit dem Namen des wohltatigen Erbauers in Marmor ein-gegraben.

    Unleugbar ist Menschlichkeit die Haupttriebfeder bei der Anlage ahnlieherWasserwerke, welche in bergigen Gegenden oft nur mit bedeutenden Kostenausgefiihrt werden konnen; doeh ebenso tatig mag dabei der bei den Muslimenungemein rege religiose Eifer rnitwirken.

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    Bekanntlich rnuf ein Tiirke, bevor er eine Moschee betritt, seinen Abdestverrichten, d.h., er muB seine Hande und FiiBe, sein Gesicht und seinen Kopfsorgfaltig waschen. AuBer diesen fiinfmal an jedem Tag zu verrichtenden Rei-nigungsmitteln gibt es viele Falle, wo sich der Muslim als unrein betrachtenmub, bevor er sich nicht abermals gewaschen hat. Dazu gehoren Eheleute in ih-rem Umgang und aile diejenigen, die eine Leiche beriihrt oder sich mit Weinund Blut befleckt haben. Demnach glaubt der Erbauer einer Wasserkunst anoffentlicher Strafe, sich das religiose Verdienst zu erwerben, seinen Glaubens-genossen die Erfiillung ihrer Pflicht zu erleichtem.

    Vor Abend trafen wir in Silivri ein. Ich bemerkte vor der Stadt eine zahlrei-che Gesellschaft wohlberittener Tiirken, welche Cirit spielten. Man behauptet,dieses unserem Karussell oder Turnier nicht unahnliche Kampfspiel sei im Mor-genland vor Muhammads Zeiten bekannt gewesen, und dieser Gesetzgeber soligesagt haben, er erlaube seinen Jiingern zwei Vergniigen, Frauenliebe und denCirit. Dieses ritterliche Spiel hat folgende Regeln. Mehrere Reiter jagen ein-ander in einem weiten Kreis nacho Ein jeder ist mit einem stumpfen holzemenWurfspief versehen, den er auf seinen Vordermann schleudert; sobald dies ge-schehen ist, wendet er sein Pferd, und der getroffene Vorderrnann sucht sei-nerseits den fliehenden Feind mit seinem Cirit zu treffen. Bewundernswiirdig istdie Behandigkeit, mit welcher die dahinsprengenden Reiter den feindlichen Ge-schossen auszuweichen wissen. Kaum ist der WurfspieB aus des Gegners Handgefahren, so sieht rnan den Fliehenden sich mit Blitzesschnelle bis zur Erdebiicken, wahrend der feindliche SpieB iiber ihn wegfliegt. Die Sklaven und Be-dienten nehrnen an dem Vorteil ihrer Gebieter den warmsten Teil. Der eigenenGefahr vergessend, stiirzen sie sich unter die Hufe der schnaubenden Rosse, urndie auf der Erde liegenden Cirit aufzuheben und ihrem Herrn zu reichen. Dieseritterlichen Ubungen sind mit einiger Gefahr fur die Spielenden verbunden. Derin der Geschichte von Agypten bekannte Alibey, welcher im achtzehnten Jahr-hundert sich unabhangig von der Pforte zu machen suchte und diese Unabhan-gigkeit mehrere Jahre lang wirklich behauptete, war so geschickt und so stark,daB er mehreren Mamluken, die gegen ihn als Gegner aufgetreten waren, dieArrne zerschrnetterte. Yusuf Pasa Kor, den ich schon friiher erwahnt habe, ver-lor auf ebendiese Art ein Auge.

    Umsonst war mein Streben, in Silivri Uberbleibsel des altertiimlichen Glan-zes dieser ehernals merkwiirdigen Stadt zu sehen. lch fand nichts, was nur er-wahnt zu werden verdiente. Der griechische Kaiser Kantakuzenos hatte hiereinen Palast erbaut, dessen Spuren aber nicht mehr zu erkennen sind.

    Am fiinften Oktober verlieB ich Silivri. Jenseits dieses Ortes, gegen Konstan-tinopel hin, glaubte ich die Uberbleibsel jener Mauer zu finden, welche der grie-chische Kaiser Athanasios angelegt hatte, in der Absicht, seine Hauptstadt vordem Andrang barbarischer Volker zu sichern, und welche man die lange Mauer

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    (makron teichos) nennt. Man versicherte mich in Konstantinopel, dall nochUberreste derselben tiefer im Lande gegen das Schwarze Meer hin zu sehen wa-ren. Bei Silivri habe ich dieselben vergebens aufgesucht. Merkwiirdig bleibt esdem Forscher der Geschichte, dall kein Volk in der ersten Periode seines politi-schen Daseins, so gefiihrlich auch immer seine ortliche Lage sein mochte, zusolchen Verteidigungsmittteln seine Zuflucht nahm. Sie waren immer das Werkentarteter Volker, welche das Vertrauen zu sich selber verloren hatten und ihreSicherheit toten Quadem anvertrauen zu mussen glaubten. Wie anders und wiegroller dachten die Spartaner, welche die Grenzen ihres Freistaates so weit hin-ausriickten, als die gestiihlten Spitzen ihrer Speere reichten.

    Vor Mittag gelangten wir nach Buyuk Cekmece. Dieser Ort ist also benanntvon einer herrlichen mehr denn tausend Schritt langen steinernen Brucke, wel-che Selim II. im Jahre 1568 uber einen iiberschwemmten Grund hat bauen las-sen. Gleich interessant fur den Bauverstiindigen ist die unerschiitterliche Festig-keit und der reine zierliche Stil, welche bei diesem Bau unverkenntlich sind.Dieses Werk tragt ein Gepriige der Grofle, welche einst Griechen und Romer inder schonen Epoche des klassischen Altertums ihren architektonischen Werkenzu geben wuBten.

    Urn Mittag erreichten wir das Stadtchen Kiicuk Cekmece, wo wir tiber eineandere Briicke fuhren, die aber in keiner Riicksicht mit der ersten verglichenwerden kann. Das anmutig erbaute Stadtchen Kucuk Cekmece liegt auf der gro-Ben von Konstantinopel nach Adrianopel fiihrenden Stralle, welche die TiirkenDivan Yoli, die DivanstraBe, nennen, und welche gepflastert und wohl erhaltenis!. Obgleich die Chausseen im Osmanischen Reich mit den unsrigen nicht ver-glichen werden konnen, so ist doch in dieser Riicksicht auch schon manches ge-schehen.

    Nachmittags kamen wir der Kiiste des Marmara-Meeres naher. Die Aussichtvon hier auf die asiatischen Gebirge und die Fiirsten-Inseln ist unendlich rei-zend. In einiger Entfemung von Aya Stefano lagerten wir uns in einem dunklenHain und brachten hier im Schatten iippig belaubter Platanen einige Stundenrecht angenehm zu. Dieser einsame erfrischende Ruheplatz zog mich urn somehr an, als ich auf meiner ganzen Reise in diesem Land keinen Wald gesehenhatte, die bergige Gegend urn Belgrad und Pyrgos etwa ausgenommen.

    An der See bemerkte ich bedeutende Getreidevorrate, welche die Regierungeinem verjahrten, hochst verderblichen Finanzsystem zufolge von den umlie-genden Landleuten zwangsweise aufgekauft hatte, urn sie mit bedeutendem Ge-winn de.n Backern der Hauptstadt wiederzuverkaufen. Dieses so gehassige Mo-nopol dient uberdem noch unziihligen Bedriickungen der Einwohner zum will-kommenen Decktnante!. Der beeintrachtigte Eigentumer sucht umsonst Schutzund Gerechtigkeit bei den hoheren Behorden, welche, wie man versichert, den. unerlaubten Gewinn mit ihren Unterbeamten teilen und bei vorkommenden Kla-gen dieselben in Schutz nehmen.

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    Die unbebaute und unbevolkerte Umgebung von Konstantinopel erinnertemich an die menschenleeren Steppen von Bessarabien. Die Vernachlassigungdes Anbaus in dieser Gegend fiel mir auf. Ich hatte die Landschaft bei Rodostound Silivri in einem bliihenden Zustand gefunden und durfte voraussetzen, dafdie naher bei Konstantinopel wohnenden Landleute ihren GewerbefleiB nochauf einen hoheren Grad gebracht hatten. lch glaube, daB dieser nachteilige Ab-stand den haufigen Pestanfallen zuzuschreiben ist, welche in der Nahe derHauptstadt unendlich -mehr Menschen wegraffen als in den entfernten Provin-zen.

    Gegen Sonnenuntergang traf ich wieder in der Hauptstadt ein. Die Torhiiterwarfen kaum einen fliichtigen Blick auf meinen Ferman, und mit manchen un-sere Mautsysteme betreffenden Bemerkungen drangte ich mich nach Pera durchdie in den StraBen wimmelnde Menge.

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  • Achtes Kapitel

    Das tiirkische Heer hat in den letzten Jahrhunderten seinen alten bewahrten]{uhm verloren. Die Janitscharen wissen in Friedenszeiten nichts von jenenUbungen, welche im westlichen Europa den Soldaten fur den Krieg bilden, undsind jetzt ihrem eigenen Monarchen weit furchtbarer als dem auswartigenFeind. Man hat in Konstantinopel bis zu achtzigtausend Janitscharen gezahlt,welche gegen den ungliickJichen Selim III. zu den Waffen gegriffen hatten; indem tiirkischen Hauptheer an der Donau sind sie nie fUnfzigtausend Mann starkgewesen. Ihr hartnackiges Beharren bei der alten Taktik stoBt, mit dem fanati-schen Gefiihl des Hasses gegen alles Fremdartige, jede Verbesserung von sich,welche die neueren osmanischen Kaiser einzufiihren vergeblich sich bestrebthaben.

    Es ist bekannt, daB Sultan Orhan im Jahre 1330 die ersten Janitscharen ge-worben hat. Dieser Monarch kannte den Widerwillen seiner Tiirkmenen, zu FuBzu dienen, und er sah sich genotigt, urn sein Heer mit einer Schar geiibter Infan-terie zu verstarken, einige tausend gefangener ChristenskJaven zu diesem Behufanzuwerben. Haci Bektas, ein in jener Zeit durch seine Gelehrsamkeit und reli-giosen Eifer bekannter Derwisch, weihte ihre Fahnen dem Dienst des Islam undgab ihnen den Namen Yeni Ceri, d.h. neueSoldaten. Muslimische Prediger (Ha-tip) wurden bei jedem Orta oder Fahne angestellt, mit der Anweisung, die jun-gen Soldaten fiir den muslimischen Glauben zu gewinnen. Sparer erlaubte Mu-rat III. den Befehlshabem der Janitscharen, ihre Erganzungsmannschaft ohneRiicksicht auf Stand und Glauben anzuwerben.

    Samtliche Janitscharen sind in zweihundertneunundvierzig Fahnen oder Or-tas eingeteilt und bilden vier Brigaden. Die Brigade Cemaat zahlt hundert Ortas,von welchen vier, unter der Benennung Solak, einen Teil der Leibwache desGrollherm ausmachen. Die Brigade Baliik ist einundsechzig Ortas stark. Sieriihmt sich der Auszeichnung, dall der Grollherr in ihrer Stamrnrolle als gemei-ner Janitschar eingeschrieben steht. Der Ba~~uhadar oder Garderobem:'eister er-hebt einmal des Jahres in der Kaserne den dem Monarchen in dieser Eigenschaftzukornmenden Sold. Die Brigaden Segmen und Acemi Oglan sind in vierund-dreiJlig Ortas eingeteilt. Die letztere bildet eine Art von KnegsschuI~, worm dieAngeworbenen den notigen Unterricht erhalten. Da jedoch die turkischen Sol-

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  • daten nichts von jenen Bewegungen wissen, welche den europaischen Kriegernihre auf Mathematik gegriindete Taktik vorschreibt, so besteht die Bildung destiirkischen Infanteristen in der Anweisung zum FlintenschieJlen, KugelgieJlenund Besorgung des graJlen Kochkessels. Nach Verlauf von fiinf Jahren, welcheder Angeworbene in der Brigade Acemi Oglan bleiben muJl, wird er einer ande-ren Brigade einverleibt, deren Fahnen in den groJleren Stadten und den Grenz-festungen verteilt sind. InBelgrad stehen zwolf Ortas, in Vidin sechzehn. Bag-dad in Asien hat eine Besatzung von zwanzig Fahnen.

    Die tiirkische Regierung hat zu verschiedenen Malen die Zah! der in glei-chern MaJle niitzlichen und gefahrlichcn Janitscharen vermehrt und verringert.Mehmet II. hatte ihre Zahl auf zwolftausend Mann festgestellt. Siileyman II.verstarkte sie auf vierzigtausend und Murat II. auf sechzigtausend Mann. Meh-met III., den Drohungen der emporten Truppen weichend, vermehrte sie aufhunderttausend Mann. Endlich wurde ihre Zahl unter Mehmet IV. noch verdop-pelt. Dieser Monarch sah die Notwendigkeit ein, eine Heerschar zu schwachen,welche dem Beispiel der romischen Pratorianer folgen zu wollen schien. Es ge-lang ibm, eine bedeutende Anzah! Fahnen aufzulosen, und er behielt kaum acht-zigtausend unter Waffen. Gegenwartig zahlen die Stammrollen kaum vierzig-tausend Mann in Friedenszeiten, doch ist die Zahl der wirklich Diensttuendennoch bedeutend kleiner.

    Ein langst verjahrter MiJlbrauch verhindert die Regierung, die Zahl ihrerTruppen genau zu kennen, indem die an der Spitze der verschiedenen Abteilun-gen stehenden Befehlshaber weit mehr Soldaten auf ihren Starnmlisten angeben,als wirklich gegenwartig sind. Ein Soldzettel (mehuz) gibt seinem Inhaber dasRecht, die Lohnung eines Janitscharen zu beziehen. Die Beamten des Serails,die Ulema, die Minister, ja die Sultaninnen selbst suchen von den Befehlshabernder Ortas eine Anzahl solcher Soldzettel zu gewinnen, worauf sie den Sold derdarin falschlich benannten Soldaten fiir sich beziehen und dem Staat ebenso vielKrieger entziehen. Die Regierung des Sultans Abdulhamid zeigt ein auffallen-des Beispiel dieses emporenden MiJlbrauchs. 1m Jahre 1778 ward der GroBwesirCelebi Mehmet Pasa seines Amtes entsetzt. Man fand unter seinen Papiereneine so bedeutende Anzahl Soldzettel, daB der darauf vermerkte Sold, den sichdieser Minister zugeeignet hatte, jahrlich achtunddreiJligtausend Piaster betrug.Sein Kahya oder Haushofmeister bevorteilte den Staat auf dieselbe Art jahrlichurn fiinfundzwanzigtausend Piaster.

    Der Aga der Janitscharen ist der Oberbefehlshaber samtlicher vier Brigaden.Sein EinfluJl ist um so grober, als er in Friedenszeiten die Stelle eines Militar-gouverneurs der Hauptstadt bekleidet. Nach ihm folgt in dem Generalkomrnan-do der Jamtsch~ren der Segmen Basi oder das Oberhaupt der Brigade dieses Na-mens, welcher in Abwesenheit des Janitscharen-Aga dessen Stelle vertritt, undnach diesern der Kulkahya oder Brigadier des ersten Orta der Brigade Boliik,und hierauf der Zagarci Basi, der Samsuncu Basi und der Turnaci Basi. Samtli-

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    che hier soeben benannten Befehlshaber bilden nebst dem Serhad Aga oder Be-fehlshaber der Festungsbesatzungen den Kriegsrat oder Divan der Janitscharen.An der Spitze der Ortas oder Fahnen stehen die Corbaci. Diese Truppenabtei-lungen sollen der Vorschrift gemlill in der Hauptstadt hundert Mann, in anderenStadten zwei- bis dreihundert und im Kriege samtlich fiinfbundert Mann starksein. Jedes Orta zahlt nur vier Offiziere und fiinf Unteroffiziere, und ungeachtetder Verstarkung der Mannschaft in Kriegszeiten bleibt ihre Zahl immer die-selbe.

    Der Sold eines Janitscharen betragt nach Mallgabe seiner Dienst jahre, derbewahrten Tapferkeit und der erhaltenen Wunden von drei bis hundertzwanzigAsper (von zwei Pfennigen bis sechs gute Groschen). In der Brigade AcemiOglan dienen die Soldaten in den drei ersten Jahren unentgeltlich, sparer erhal-ten sie taglich von zwei bis neununddreiJlig Asper. Dieser Sold deckt urn so we-niger die notwendigsten Ausgaben des Soldaten, als die Regierung auf samtli-che Janitscharen-Ortas nur zwolftausend Uniformen jahrlich verteilt, welcheden Veteranen und Unteroffizieren vorzugsweise gegeben werden. Deshalb ler-nen die Janitscharen, wenn sie sonst kein ererbtes Vermogcn haben, durchgan-gig irgendein Handwerk. Der Sold der Offiziere eines Orta ist verhaltnismafiignoch geringer als der der Soldaten. Sie erhalten, die Corbaci oder Fahnenbe-fehlshaber mit inbegriffen, taglich nur hundertzwanzig Asper (einen Piasteroder sechs gute Groschen); und diesen Sold beziehen, wie ich schon gesagt ha-be, auch Veteranen, die ehrenvolle Wunden davon getragen haben.

    Der Kulkahya hat ein jahrliches Einkommen von achttausend Piastern, derZagarci Ba~1 hat zwolftausend Piaster, der Samsuncu Ba~1 und der Turnaci Basihaben jeder achttausend Piaster. Sogar der Janitscharen-Aga, der Oberbefehls-haber der samtlichen Linieninfanterie des Osmanischen Reiches, bezieht jahr-lich nur vierundzwanzigtausend Piaster, also kaum fiinftausend Taler. Urn sobedeutender sind seine Nebeneinkiinfte. Das Gesetz erlaubt ibm, gewisse Pro-zente von jedem Offizier zu ziehen, der zu einem hoheren Rang befordert wird,und dieser einzige Artikel soll jahrlich tiber zweihunderttausend Piaster abwer-fen, von denen aber secbsundsechzigtausend dem Kulkahya zuflieJlen. AuJler-dem pflegen die Befehlshaber der Ortas zwolf Prozent von dem Sold des ganzenCorps abzuziehen, und die daraus gelosten ungeheuren Summen teilt der Jani-tscharen-Aga mit den Befehlshabem der Fahnen. Den groJlten Vo~ei1 jedochgewahrt das militarische Erbrecht, dem zufolge der Jamtscharen-Aga in Ken-stantinopel jeden mit Tod abgegangenen Janitscharen beerbt, dessen NachlaJlnicht auf zwolftausend Piaster abgeschlitzt worden ist, Wenn dieses stattfmdet,so fallt die ganze Erbschaft dem GroJlherrn zu. Auch wenn d_erSterbende recht-mliJlige Erben hinterlassen hat, bezieht der Iamtscharen-Aga em Zehntel desNachlasses welches er mit dem Corbaci zu teilen pflegt.

    Die ttirklschen Soldaten werden ihrer Dienstzeit nach zu hoheren Stellen be-fordert, bis zu dem Grad eines Leutnants (Oda Ba~I). Die Besetzung der hoheren

  • Stellen ist der Willkiir des Regenten uberlassen. Jedes Orta hat eine Standarte(Bayrak), welche die Soldaten mit Aufopferung ihres Lebens zu verteidigenverbunden sind. Doch legen sie einen weit grolleren Wert auf die kupfemenKessel, in denen das Essen fiir die ganze Fahne zubereitet wird, und deren Ver-lust im Kriege in der offentlichen Meinung fiir sehr schimpflich gilt. In derglei-chen Hillen verlieren die Offiziere ihre Stell en, und wenn sie auch spater wiederzu denselben gelangen, so konnen sie doch nie mehr in demselben Orta dienen.

    Die ubrigen zu Full dienenden tiirkischen Truppen sind die Artilleristen(Topcu) und die Handwerker-Kompanien (Cebeci), denen die Anfertigung derMunition, die Fortschaffung und Bedeckung aller Kriegsvorrate obliegt. Diesedrei Corps fiihren gegen zwolftausend Mann auf ihren Stammlisten.

    Die tiirkische Reiterei besteht aus Sipahis und Silahdars. Jene stehen unterdem Sipahi Aga und vier Unterfeldherren, welche Bas Kaliya, Kahya Yeri, BasCavus und Bas Bohik Basi genannt werden. Sie zahlen gegen zwolftausendMann und sind in Schwadronen eingeteilt, welche Boliik genannt werden. DieSilahdars sind ebenso stark. Der Sold eines tiirkischen Reiters betragt, nach denJahren seiner Dienstzeit, zwischen sechs und neunundneunzig Asper.

    Die Fehden der Osmanen gegen die Russen im achtzehnten Jahrhundert undder Feldzug gegen die Franzosen in Agypten haben, wie es scheint, dem Divandie Uberzeugung gegeben, dall die plan los fechtenden Janitscharen und Sipahis,ihres personlichen Mutes ungeachtet, wohlgeiibten europaischen Truppen nichtzu widerstehen vermogen. Sultan Selim III. lief dernnach ein neues Corps wer-ben, welches er Nizami cedid benannte und in der europaischen Taktik geiibtwerden sollte. Wie traurig dieser erste Versuch ausgefallen, ist bereits oben be-merkt worden. Gliicklicher ist Selim in der Anordnung der Flotte gewesen, wel-che jetzt, was die Bauart der Schiffe und ihre Bewaffnung betrifft, in einem sehrguten Zustand sich befindet. Ich wiinschte die tiirkische Marine in ihrem Detailkennenzulernen und begab mich deshalb nach dem Kriegshafen mit dem HerrnBenoit, einem franzosischen Marine-Ingenieur, welcher seit mehreren Jahrenden Schiffbau in den Werften von Konstantinopelleitet.

    Die tiirkische Flotte, aus siebzehn Linienschiffen (Alay gemisi) und neunFregatten (Karavel) bestehend, konnte bei weitem starker sein wenn die tiirki-sche Regierung ihre Seemacht im Verhaltnis der unendlichen Hilfsquellen ver-mehren wollte, die sich ihr darbieten. Die Walder bei Nikomedien (lzrnit), Kaz-dagr und Bandirma enthalten eine ungeheure Menge des schonsten Schiffsbau-holzes. Die Eisenhammer in Samakow, lnada (= Igneada) und Kavala sind ver-pfhchtet, eme bedeutende Quantitat Eisen fur das Seearsenal zu verarbeiten.Teer und Pech wird auf der lnsel Negroponte (= Egriboz), in Kazdagi und Fossagewonnen. An den Kiisten des Hellesponts verfertigen die Einwohner ein sehrg~tes Segeltuch. Endlich ist die Gegend bei Uniye vorziiglich an Hanfbau reich.Diese Provmzen smd verbunden, eine bestimmte Quantitat der oben erwahntenProdukte und Fabrikate fur einen sehr geringen Preis an das Seearsenal ZU

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    liefern. Diese im sechzehnten Jahrhundert festgesetzten Preise sind seitdem, ob-wahl die Lebensmittel im Preis gestiegen und der Munzfuf mehrmals herunter-gesetzt worden, aller Vorstellungen der bedriickten Einwohner ungeachtet nichterhoht worden. Die notwendige Folge einer so fehlerhaften Einrichtung ist dieVerarrnung der Lieferungspflichtigen und der Nachteil fur die Marine, welchedie bestimmten Materialien aullerst schlecht erhalt.

    Herr Benoit, den ich friiher erwahnt habe, baut die tiirkischen Kriegsschiffeauf der leisen Abdachung eines unmittelbar an der Seekiiste liegenden Hugels,Der Hafen ist an dieser Stelle so tief, daB der vom Stapel gelassene Dreidecker,sobald er das Wasser beruhrt, auch gleich die notige Tiefe findet, um sich flottzu erhalten. Zur Ausbesserung der Kriegsschiffe lieBSultan Selim III. durch denschwedischen Ingenieur -Offizier Rode eine sogenannte Schiffsdocke anlegen.Bekanntlich ist dieses ein Behaltnis, welches das auszubessemde Schiff auf-nimmt. Eine sorgfaltig kalfaterte TUr schlieBt dasselbe zu, und nachdem das inder Docke befindliche Seewasser verrnittelst Pumpen ausgeleert ist, wird zurAusbesserung des nunmehr auf dem Trockenen stehenden Schiffes geschritten.1st dieses geschehen, so wird die Docke verrnittels angebrachter Rohren wiedermit Wasser gefiillt, und der seinem Element zuriickgegebene KoioB wird in denHafen bugsiert.

    Die verschiedenen Magazine aller zum Seewesen erforderlichen Vorrate zie-hen sich langs des Hafens in Tershane in der Ausdehnung einer Viertelmeilehin. Geraumige Werkstatten sind zur Verfertigung der Lafetten, Kloben, Pum-pen und Segel eingerichtet. Die Bemastungsmaschine ist von Freiherrn von Tottangegeben, und in der Seilspinnerei werden zwalfhundert FuB lange und acht-undzwanzig Zoll im Umfang starke Ankertaue gedreht.

    Der Kapudan Pasa steht bekanntlich an der Spitze der osmanischen Flotteund verwaltet dabei das Amt eines Ministers des Seewesens. Auf ihn folgen derKapudan, Patron a und Riyale, welche mit unserem Admiral, Vizeadmiral undKonteradmiral gleichen Rang haben.

    Das Admiralsschiff des Kapudan Pasa fiihrt hundertdreiBig schwere Kano-nen. Seine Mannschaft besteht aus zweihundert Aylakci oder erfahrenen Matro-sen, vierhundertfiinfzig Artilleristen und gemeinen Seeleuten, achtzig SkJavenund ebenso viel Ruderknechten. An Ober- und Unteroffizieren zahlt das Schiffgegen sechzig, worunter der Imam oder Schiffskaplan und der MUezzin oderAusrufer mit begriffen sind. Der letztere besteigt feierlich fUnfm~l des. Tagesdas Halbdeck des Schiffes und ruft von diesem erhohten Standort die Glaubigenzum Gebet auf.

    Wer die Lage von Konstantinopel und der benachbarten Provinzen in nauti-scher Hinsicht betrachtet seinen herrlichen von allen Wmden gesicherten Hafenund die von geschickten Baumeistem eingerichteten Schiffswe~ten gesehen hat,muB sich mit Recht wundem die osmanische Plagge mcht slegrelch auf demSchwarzen Meer wehen zu sehen, an welchem die Russen weit weniger Kiisten

  • besitzen demnach weniger Seeleute aufbringen kiinnen, und deren Flolle, zuweit vom Sitz des Monarchen entfemt und nur einen Teil seiner Seemacht aus-machend, seine volle Aufmerksamkeit unrniiglich auf sich ziehen kann. Dievemachlassigung der Kiinste und Wissenschaften, die Bestechbarkeit und Ge-winnsucht der Beamten entkriiften alle Vorteile der osmanischen Marine, dieich soeben erwahnt habe, und kiinnen sowohl in diesem wie iiberhaupt in allenanderen Zweigen ihrer Staatsverwaltung als ein Hauptgrund ihrer gegenwarti-gen Schwache angesehen werden. Die oft kostbaren Geschenke, welche die See-offiziere ihren Schiffskapitanen, diese den Admiralen, diese wieder dem Kapu-dan Pasa und auch dieser endlich dem Grollherrn darzubringen verpflichtet sind,scheinen mir die zur See so niitige Mannszucht zu untergraben, indem sie imvoraus dem etwa Schuldigen die Nachsicht seines Oberen zusichem.

    Das Einkommen des Kapudan Pasa ist auf die Steuem der dreiunddreilligkleineren Inseln des Archipelagus angewiesen, welche jahrlich dreihunderttau-send Piaster abwerfen; doch werden von dieser Summe fiinfundachtzigtausendPiaster abgezogen, welche der Privatkasse des Grollherrn zufliellen. Am Tage,da der Grolladmiral Konstantinopel verlalit, urn an der Spitze seiner Flotte inSee zu stechen, erhalt er von dem Grollherrn tausend Dukaten, wofiir er die flirdie Mannschaft niitigen Arzneimittel anzukaufen verpflichtet ist; hingegen ist erverbunden, vierzigtausend Piaster dem Schatzmeister des Groflherrn unter demNamen eines Doseme behasi zu erlegen, wofur die Geratschaft des Saals (Kii~k)soli in Stand erhalten werden, in welchem der Grollherr dem unter Segel gehen-den Admiral und seinen Seeoffizieren ihre Abschieds-Audienz erteilt. Auller-dem erhalten der Grollherr, seine Frauen und oberen Staatsbeamten an den zweiBairam-Festen kostbare Geschenke von dem Grolladmira!. Der Kapudan oderStellvertreter des Kapudan Pasa hat ein Gehalt von viertausendfiinfhundert Pia-stern. Der Patrona hat dreitausendflinfhundert Piaster, der Reala dreitausendPiaster. Auller dieser so geringen Besoldung beziehen sie noch den Sold jedervon zehntausend Seeleuten, von welchem sie aber wieder ihrem Oberbefehls-haber gewisse Prozente zu berechnen haben. Die Schiffskapitane beziehen jahr-lich nur tausend Piaster. Doch gewinnen sie bedeutende Summen am Sold ihrerMatrosen, deren sie bei weitem weniger erhalten, als ihre Starnmrollen aufwei-sen. Der Kapu.dan Pasa sieht diese Millbrauche urn so gleichgiiltiger an, als erseIber ansehnliche Geschenke von seinen Schiffskapitanen bezieht, welche de-ren gesetzmafsigen Sold bei weitem iibersteigen und oft zehntausend Piaster be-tragen.

    Der Sold eines tiirkischen Matrosen betragt einen Taler sechzehn Groschenrnonatlich. Aullerdern erhalt er taglich anderthalb Pfund Zwieback auch werdenibm alle Monate fiinf Metzen Linsen, fiinf Metzen Reis und anderthalb PfundBaumel berechnet.

    Freiherr von Toll hatte im achtzehnten Jahrhundert eine nautische Schule irnSeearsenal errichtet. Diese so zweckmiillige Einrichtung, von welcher man die

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  • Vervollkommnun~ der tiirkischen Marine erwarten konnte, hat aile Hoffnungenvaterlandischer Turken getauscht. Die Befehlshaber der osmanischen Flotte bie-ten ihre Offiziersstellen auf den Kriegsschiffen feil oder suchen damit ihre eige-nen Privatdiener zu belohnen. Herr Benoit machte mich in Tershane mit einemFregattenkapitan bekannt, der noch vor zwei Jahren Lakai (Cuhadar) des Kapu-dan Pasa gewesen war. Auch die strengste Mannszucht kann die iiblen Folgennicht verhindern, die eine so fehlerhafte Beforderungsrnethode nach sich ziehenmull.

    Die Mannszucht bei den tiirkischen Land- und Seetruppen pflegt urn sostrenger zu sein, ais sie auf keinen gewissen Grundsatzen beruht, sondem derWillkiir der Befehlshaber iiberlassen ist. Man versicherte rnich, dall nach demfiir die Tiirken ungliicklich ausgefallenen Seegefecht im Jahre 1807 gegen dieRussen der Kapudan Pasa vier seiner Schiffsbefehlshaber ohne Kriegsgerichtkopfen liell, welche die Ihnen wahrend des Seetreffens zugedachten Manovernicht haben ausfiihren wollen oder konnen. Ungehorsam ist allerdings strafwiir-dig, doch sollte Unwissenheit in einem Land von der Strafe verschont bleiben,wo die Regierung Unwissende befordert.

    Am neunten Oktober, vor Tagesanbruch, brannte in Pera ein Teil der Stralleab, die ich bewohnte. Das durchdringende Geschrei der Stadtwachter, welchemit den Worten Yangm var (es brennt) den Bewohnem die Ihnen drohende Ge-fahr verkiindigten, weckte mich auf. lch eilte sogleich nach der Wohnung desenglischen Gesandten, von wo aus ich das brennende Stadtviertel und die vonallen Seiten herbeieilenden Spritzenmeister mit einem Blick iiberschaute. lchkonnte diesen Leuten meine Bewunderung nicht versagen, als ich sie in engeGassen sich hinein wagen sah, wo von beiden Seiten herabstiirzende brennendeBalken mit einem qualvollen Tod bedrohten. Urn so mehr ist ein Millbrauch zuriigen, den eine lange Verjahrung zu einem Vorrecht der Spritzenmeister ge-macht zu haben scheint. Wenn die immer mehr urn sich greifende Feuersbrunstdas Haus irgendeines begiiterten Mannes bedroht, so behandeln die Spritzen-meister mit dem Eigentiimer die kraftigere Verteidigung desselben und lassensich ungesaumt die bedungene Summe zahlen, welche auch wohl verdoppeltwird, wenn aller Anstrengung ungeachtet das Feuer mehr urn sich gegriffen hatund die Loschung des Gebaudes mit mehr Schwierigkeit ~nd Gefahr verbundenist. Ein solches Benehmen der Spritzenmeister, wovon ich Zeuge war, schienmir ebenso tadelnswert als gesetzwidrig zu sein; ein neben mir stehender be-jahrter Tiirke aber dem ich meine Bemerkungen hieriiber mitteilte, erwidertemit der grolsten Kaltbliitigkeit: "das Handwerk mull den Meister nahren".

    Bald nachdem die Feuersbrunst ausgebrochen war, trafen der Bostancl Pasa,der Janitscharen-Aga, der Grollwesir und endlich der Sultan selber ill Pera ein.Der Grollherr war von einem Schwarm von Oienerschaft umgeben. Em

  • glaubte ich zu bemerken, daBdie ve:W0hnten Tolumbaci diese Gabe weit weni-ger als ein Geschenk denn als einen I~en ~chu1dlgenSold ?etrachteten.

    Interessant war mir die rastlose Tatigkeit, rnit welcher sich die oberen Staats-beamten, die Minister, ja der GroBwesir selbst, der Loschanstalten bei einerFeuersbrunst annehmen. Ich habe den Janitscharen-Aga, das Oberhaupt dersamtlichen Unien-Infanterie des Osmanischen Reiches, Feuerspritzen in engenGassen aufstellen gesehen, deren Hauser bereits zu beiden Seiten brannten. Vor-ziiglich aber soli sich der jetzige Kapudan Pasa bei ahnlichen Unglucksfallendurch se!tenen Mut und Geistesgegenwart auszeichnen. Im Jahre 1811 war eineFeuersbrunst in einem der volkreichsten Stadtviertel von Konstantinopel ausge-brochen. Der Kapudan Pasa bernerkte ein groBes Eckhaus, das eben in Brandgeraten wollte. Die ganze StraBe war verloren, wenn dieses Gebaude nicht ge-rettet wurde. Durch lange Anstrengung ermattet, war bereits ein Teil der Sprit-zenmeister und Janitscharen von der Brandstatte gewichen. Um sie zur Tatigkeitaufzumuntem, begibt sich der entschlossene Admiral auf den Giebel des be-drohten Gebaudes und ruft von dort den Janitscharen zu: "Es ist mein unaban-derlicher Vorsatz, nicht von dieser so wichtigen Stelle zu weichen: wollt ihr esgleichgultig ansehen, daB ich hier eines fiirchterlichen Todes sterbe?" SeineAufforderung tat die gewiinschte Wirkung: die Tolumbaci und Soldaten dran-gen wieder mit ihren Loschanstalten vor, und bald ward die Flamme geloscht.Ein solehes echt spartanisches Benehmen scheint mir den Kapudan Pasa zumHelden zu stempeln.

    Es geschieht in Konstantinopel wie in unseren europaischen Stadten, daBdieDiebe bei den Feuersbriinsten geschaftig sind, auch manchmal selber wahl sol-che anstiften, urn den bei dieser Gelegenheit verbreiteten Schrecken zu benut-zen. Dieses Verbrechen wird in den osmanischen Staaten auf der Stelle selbst,wo es begangen ist, bestraft. Der auf der Tat ertappte Mordbrenner wird vonRechts wegen, doch ohne weitere Rechtsformen in die Flammen geworfen.

    Die Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts weist mehrere Beispiele auf,daB eine einzige Feuersbrunst in Konstantinopel bis zu achtzehntausend Hauserve.~chtel hat. Urn diese Stadt kiinftig vor iihnlichen Unglucksfallen zu sichem,muBten die StraBen breiter angelegt und die Hauser von Ziegeln oder Stemenerbaut werden; aber die Regierung weigert sich den zur Erweiterung der Stra-Ben notigen Grund anzukaufen, und dernnach sucht der Ungliickliche, der seinHaus verioren hat, angstlich die Stelle wieder auf die er bewohnte wo er viel-leicht als Knabe auf den Triimmem eines friiheren Brandes gespielt hat, undstellt auf diesem seinem Herzen teuren Platz eine neue noch schlechtere Hulleauf. J. Man versicherte mich, daB weIUI der GroBherr einige Zeit lang sein Serail

    nicht verlassen hat und das iiber irgendeine Verordnung unzufriedene Volk kei-ne Gelegenheit findet, sich bei ihm daniber zu beschweren, so ziindet irgendelnPatnot in wohlmemender Absicht die Stadt an, und da der GroBherr es nie ver-

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  • ('

    Plan von Troas nach [lias und OdyssecEntworfen von E. Raczynski, gestochen von K. Kolbec in Berlin

  • Blick auf die Dardanellen bei CanakkaleSkizziett von L. Fuhrmann, gestochen von Hirt in Wien

  • Blick auf eine kleine MoscheeGezeichnet von Graf Atanazy Raczynski, skizziert von L. Fuhrmann, gestochen von Kolbe in Dessau

  • Blick auf den BosporusSkizziert von L. Fuhrmann, geslochen von Dobler in Prag

  • saumt, sich a~f die Brandstelle zu begeben, so finden die Bedriickten Gelegen-heit, ihm ihr Ubel zu klagen. Vorziiglich sind es alsdann die Frauen, welche dasWort fiihren und mit harten unziemlichen Ausdriicken ibm derbe Wahrheitensagen. Auf di"se Art soli Selim III. die erste Naehricht von der Landung derFranzosen in Agypten erhalten haben, die ihrn seine Mutter und die mit dersel-ben einverstandenen Minister einige Tage lang verheimlichten, urn ihn auf dieunangenehme Botschaft vorzubereiten. Die Nachricht hatte sich seit mehrerenTagen in der Hauptstadt verbreitet, und noeh sah man keine Vorkehrungen zueinem Kriegszug gegen die Franken treffen; die Stadt wurde dernnach in Brandgesteckt, und als der GroBherr herbeigeeilt war, sah er sich von einem SchwarmWeiber aus den niedrigen Volksklassen umgeben, die ihm bestandig zuriefen:Mism siktiler, istanbula sikecekler! "Du hast Agypten verloren, du wirst dochgar Konstantinopel verlieren!" Der tiirkische Ausdruck, ebenso kraftig als unan-standig, laBt sich nieht buchstablich iibersetzen.Am zehnten Oktober begab ich mieh naeh Besiktas, einem am Bosporus ge-

    legenen Stadtchen, welches der GroBherr im Sommer zu bewohnen pflegt. Ichhorte hier sein gegen fiinfzig Mann starkes Orehester auf dem Kai ein Konzertauffiihren, Meine ganze Aufmerksamkeit war gespannt, doch war es mir un-moglich, nur eine Idee des Komponisten, nur einen gefalligen Satz, nur einetaktrnaliige Einteilung der aufgefUhrten Musik wahrzunehmen. Mein Ohr warvon einem schmettemden Gerausch der Musiker betaubt, die aus voller Brustauf Klarinetten, Flaten, Oboen und Pfeifen bliesen. Das Orchester des GroB-herm besteht aus sechzehn Oboisten, sechzehn Trommelschlagern, zwolf Trom-petern, vier Paukenschlagem und acht Zimbelspielern. Diese Zahl wird verdop-pelt, wenn der Monarch an die Spitze seines Heeres tritt. Die Hofsitte des Os-manischen Hofes gibt genau die Zahl der Musiker an, welche jeder Staats-beamte halten darf. Die Pasas von drei RoBsehweifen und der GroBwesir diirfennur neun Musiker haben. Der letztere darf sein Orehester mit einem Pauken-schlager nur dann verstarken, wenn er an der Stelle des GroBherm den Oberbe-fehl des tiirkischen Heeres ubernimmt.

    Den Grundton sollte eine ungeheure Trommel geben, die zwei Klafter irnUmfang hatte und auf einem eigenen mit zwei Biiffeln bespannten Wagen her-gesehleppt war.

    Ich weilte etwa eine halbe Stunde in derNahe des kaiserlichen Palastes undglaubte in den Fenstern des Hinterfliigels, welcher seinem Harem eingeraumtist, weibliche Ziige zu bemerken. Da ich dieselben nieht zu unterscheiden ver-mochte, so fragte ich meine Ruderleute, ob sie dieselben schon fanden, Besturztiiber die Frechheit eines Unglaubigen, der es wagte, einen Blick auf die Gelieb-ten des Padischah zu werfen, stieBen sie zornig vom Ufer abo

    Dieses Land ist keineswegs das Land der Galanterie. Ein geheirnes Verhalt-nis eines Tiirken mit der Ehefrau eines anderen wird mit dem Tode bestraft: bei-de Schuldigen rniissen nach dem Gesetz gesteinigt werden, wenn beide gesund

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  • III

    IIII

    I,

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    an Leib und Geist, frei, volljahrig und im muslimischen Glauben erzogen sind.Das tiirkische Kriminalgesetz ist in dieser Riicksicht strenger als der Koran,welcher die schuldige Frau zu lebensliinglichem Gefangnis im Haus ihres Man.nes verurteilt. So streng in dieser Riicksichr die tlirkischen Gesetze sind, so be.hutsam gehen sie bei den Untersuchungen zu Werke. Vier Zeugen von unbe-scholtenem Lebenswandel, denen es sagar frei steht, der Aufforderung des Be.leidigten ungeachtet, sich nicht vor Gericht zu stellen, mussen einstimmig be.zeugen, dall sie das Verbrechen begehen gesehen haben. Ihr abzulegendes Zeug-nis mull ohne alle beschonigende Redensarten in diesen Worten abgefaBt sein:"Ich habe gesehen k'el mil f'il mikhale (stylum in pyxide)." Die geringste Ab-weichung ihrer Zeugnisse macht den Beklagten frei. Werden aber die Verklag-ten zum Tode verurteilt, so ist Steinigung die gebrauchliche Todesart. Folgen-des schreibt der Koran vor: "Diejenigen, welche zlichtige Frauen verleumdenund hernach nicht vier Zeugen beibringen, die geillelt mit achtzig Hieben undnehmet nie mehr ihr Zeugnis an, denn es sind Frevler." "Und diejenigen, welcheihre Gattinnen verleumden und keine Zeugen haben auller sich seiber - vier-mal soli ein jeder sein Zeugnis vor Allah beteuern, dall er wahrhaftig ist, undzum funftenrnal, dall Allahs Fluch auf ihn komme, so er ein Liigner sei." "Aberabwenden soli es die Strafe von ihr, wenn sie viermal vor Allah bezeugt, daf erein Lugner ist, und das funfte Mal, dall Allahs Zorn auf sie kornme, wenn er dieWahrheit gesprochen."

    Die strengen Kriminalgesetze der Tiirken bestrafen dem Geist des Koranszufolge sogar die Liebesintrigen unverheirateter Personen. Die diesem Gesetzzum Grunde liegende Verordnung des Korans lautet folgendermallen: "Die Hu-re und den Hurer, geillelt jeden von beiden mit hundert Hieben; und nicht solieuch Mitleid erfassen zuwider dem Urteil Allahs, so ihr an Allah glaubt und anden Jiingsten Tag." Ein Christ hat in iihnlichem Fall einen grausameren Tad zuerwarten. Er wird lebendig auf einen Pfahl gesteckt, wenn er sich weigert, denmuslimischen Glauben anzunehmen. Die drohende Gefahr hielt vor erwa drei-llig Jahren einen jungen Venezianer nicht ab, das Abenteuer zu bestehen. DieserJiing1ing diente bei einem hochbejahrten italienischen Arzt, welchen die be-nachbarten tiirkischen Frauen bei ihren Krankheiten zu Rate zu ziehen pflegten.Eine reiche Tiirkin sah den Venezianer und empfand fur ihn die heftigste Nejgung. Sie wullte geschickt die Gelegenheil zu finden, den Jungling allein zusprechen und ihn zu bewegen, dall er sie zu entflihren und zu ehe1ichen ver-sprach. Der Genius der Liebe nahm sich des Paares an. Die Tiirkin schlich sich10 Mannskleidern unbemerkt auf ein europiiisches Schiff und beide gelangtennach Italien. '

    EiT!geheimes Liebesverstiindnis eines Europiiers in diesem Land ist auBer~er.fruher erwiihnten Gefahr noch mit vie len Schwierigkeiten verbunden, der reo~:sen Vorurtelle wegen, welche die weniger kultivierten Mus1iminnen gegen

    sten hegen. Einige Reisende wollen die Bemerkung gernacht haben, daB

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  • man sie ihrer sehr regsamen Empfindlichkeit wegen beim zufalligen Zusam-mentreffen, an einsamen Stellen, dennoch gewinnen kann.

    Die Tiirken, dem Beispiel anderer fur aufgekliirt geltenden Nationen folgend,pflegen, wenn sie heiraten, die Vermogensumstande und die ubrigen Verhalt-nisse der Familie, mit welcher sie sich zu verbinden wiinschen, sehr genau zubereehnen; doch ist in diesem Land, wie bekannt, der Ehemann nicht auf seineGattin beschrankt, und der Koran erlaubt ihm einen freien Umgang mit Skla-vinnen, deren man alle Jahre in Konstantinopel eine groBe Anzahl feilbietet.

    Der Koran sagt dazu: "Wohl ergeht es den Gliiubigen, die sich demutigen irnGebet, (...) und die sieh der Frauen enthalten - es sei denn ihrer Gattinnen oderderer, die ihre Reehte besitzt (~ Sklavinnen)." Noch ein graBeres Vorrecht hatteMuhammad seiber, dem, wie er behauptete, Gott dureh den Engel Gabriel fol-gendes Recht verliehen hatte: "0 Prophet, wir erlauben dir deine Gattinnen, de-nen du ihre Mitgift gabst, und (die Sklavinnen.) die deine Rechte besitzt vondem, was dir Allah an Beute gab, und die Tochter deines Oheims und deinerTanten vaterlicherseits sowie die Tochter deines Oheims und deiner Tantenmutterlicherseits, die mit dir auswanderten, und jede gliiubige Frau, wenn siesieh dem Propheten schenkt, so der Prophet sie zu heiraten begehrt: ein beson-deres Privileg fur dich vor den Gliiubigen."

    Den Ort, wo diese Frauen hingebraeht und Muslimen zur beliebigen Wahlaufgestellt werden, nennt man Avrat Pazan oder Frauenmarkt. Noch vor dreiJligJahren stand der Zutritt zu demselben auch Europiiern offen. Der strenge Abdul-hamit verweigerte ihnen denselben. Eine achtzehnjahrige Jungfrau wird mitzweihundert Dukaten erkauft; ihr Preis steigt bis auf aehthundert Dukaten, naehMaBgabe ihrer Reize und der Bildung, die sie im Avrat Pazan erhalten hat, wodie Miidchen irn Tanzen, Singen, Gitarrespielen und Sticken unterriehtet wer-den. Wahrend meines Aufenthalts in Konstantinopel wahlte sieh einer meinerBekannten mit Namen Sah Efendi eine Gefahrtin im Avrat Pazan. Dieser Mannhatte eine alte und, wie er behauptete, sehr boshafte Frau, die er ihres Verma-gens wegen geheiratet hatte. Die Erfahrung hatte ihn weiser gemaeht, und er sahnunmehr ein, daB Sanftmut und Giite in einem trauliehen Verhaltnis allen ande-ren Vorteilen vorzuziehen sei; er ging also einen Vertrag mit dem Eigentumerdes Avrat Pazan ein, der ihm junge Miidehen anvertraute, die Sah Efendi ruck-siehtlieh ihres Charakters auf die Probe stellen wollte. Der erste und zweite Ver-such schlug ganzlich fehl, und Sah Efendi behauptete, die ibm anvertrautenMadchen waren urn nichts besser als seine Gattin gewesen. Er nahm also einedritte zu sich, und inwiefern diese seinen Erwartungen entsprochen, ist mir un-bekannt geblieben. Sah Efendi hatte dem bedachtigen Kaufmann die Tugendder anvertrauten Schdnen verbiirgt, und sein reifes Alter machte jenen ebensosicher als der bekannte Biedersinn des Liebe verlangenden, gequiilten Efendi.

    Bekannt ist die Strenge der muslimisehen Gesetze gegen die Frauen. Doehmaehen hierin die Sehwestern oder Tochter der Sultane eine besondere Aus-

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    nalune. Sie genieBen eine groJle Freiheit, und die Hofsitte des Serails sich~rt ih-nen Vorrechte zu welche dem Geist des Korans widersprechen, Ihre Mannerdiirfen sich von ihnen ohne die Erlaubnis des Sultans nicht scheiden lassen;auch konnen sie keine anderen Frauen mehr heiraten. Diejenigen sogar, welchesie friiher geehelicht hatten, sind sie bei Vollziehung der gliinzenden Verb in-dung zu verstoJlen genotigt, . .

    Die Pasas von drei RoJlschweifen, welehe ausschliefllich das Recht haben,Prinzessinnen von kaiserliehem Gebliit zu heiraten, erkaufen sehr teuer die ih-nen vorbehaltene Ehre: die Sultanin bezieht aus dem Schatz eine Apanage vonhochstens zehntausend Talern, ihre