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KINDERARMUT IN DEUTSCHLAND
7. HOHENHEIMER TAGE DER FAMILIENPOLITIK 22.10. STUTTGART
Prof. Dr. Gerhard Bäcker Universität Duisburg-Essen
Institut Arbeit und Qualifikation
Prof. Dr. Gerhard Bäcker | Institut Arbeit und Qualifikation/IAQ der Universität Duisburg-Essen | www.sozialpolitik-aktuell.de
Übersicht
I. Was ist Armut, Kinderarmut? II. (Relative) Einkommensarmut von Kindern/Familien III. Grundsicherungsabhängigkeit von Kindern/Familien IV. Individuelle und gesellschaftliche Folgen V. Handlungsbedarfe, Reformforderungen
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I. Was ist Armut, Kinderarmut? Unterschiedliche Armutskonzeptionen und Messverfahren Einkommensarmut: Unzureichende Versorgung mit „Geld“ in einer Gesellschaft, in der fast alles gekauft werden muss. (I) Relative Einkommensarmut: = weniger als 60 % des (bedarfsgewichteten) pro-Kopf- Durchschnittseinkommens Altersspezifische Armutsrisikoquoten
(II) Einkommensarmut – Grundsicherungsniveau (Hartz IV): Unterschreiten oder Erreichen der Grundsicherungsschwelle (Regelleistung plus Kosten der Unterkunft, regional hoch unter- schiedlich) Grundsicherung als bekämpfte Armut?
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Die Verfügung über Geld ist nicht alles (III) Lebenslagenarmut: Unterschreiten des sozio-kulturellen Minimums in mehreren Lebensbereichen: Wohnung, Bildung, soziale Teilhabe, Gesundheit Kumulation von Risiken Konkretisierung vor Ort: Quartiersbezogene Betrachtung Es gibt auch Kinderreichtum!!
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II. (Relative) Einkommensarmut von Kindern/Familien Immer auf das Haushaltseinkommen bezogen Kinderarmut ist zwingend verbunden mit einer Armutslage des Haushalts, in dem bzw. der sie leben, Kinderarmut ist Ausdruck der Elternarmut (Ehepaar mit mehreren Kindern, Alleinerziehende) und damit abhängig von der Situation der Eltern
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Grenzen der statistischen Aussagefähigkeit Die Höhe des Armutsrisikos von Kindern hängt auch ab bei der relativen Einkommensarmut - vom Maß der Bedarfsgewichtung (ab 14 Jahren: 0,5) (unter 14 J.: 0,3) - von Annahme der Gleichverteilung der Einkommen unter den Haushalts- mitgliedern
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14,7 14,3 14,6 15,0 15,5 15,7 15,8 15,5
39,3 39,040,1
42,2 43,0 43,842,8
41,5
11,6 10,710,2 9,8 9,5 9,8
9,4 9,1
12,011,1 10,6 10,9 10,8 10,8
11,3 10,7
26,3
23,8 24,122,4
24,325,2
29,130,0
19,518,4 18,7 18,7 19,2 19,7 20,4 20,1
0
5
10
15
20
25
30
35
40
45
50
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Armutsgefährdungsquoten von Familien/Kindern, Deutschland 2005 - 2018
Alleinerziehendemit Kinder/Kindern
Paarmit 3 + mehr Kindern
Insgesamt
Paarmit 2 Kindern
Paarmit 1 Kind
Quelle: Statistisches Bundesamt (2019): Sozialberichterstatunng, Mikrozensus
unter 18
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12,912,1 12 11,9
12,9 13,2 13,1 13,2 12,6 12,7 13,414,7 14,7 14,6
16,5 16,715
15,917,6
18,7 18,4 18,920,2 20,4 20,5
19,721,2 21
15,5 15,4 15,8 15,716,6 16,3 16,3
18,517,4
16,4 16,9 16,4
21,323
33,4
30,832,4 31,8
32,7
34,8 34,6 35,3 35,9 36,1 35,8
38,7
33,734,7
6,7 6,3 6,5 6,27,2 6,8 6,6 6,2
4,35,7 5,7
8,4 7,9 7,3
10,6 10,1 10 10,2 10,9 11 11,1 11,1 11,4 11,4 11,8 11,9 12,1 11,9
0
5
10
15
20
25
30
35
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Armutsgefährdungsquoten Baden-Württember,Familien und Kinder, 2005 - 2018
Alleinerzie-hende
Paar3+ Kinder
18-25
<18
insgesamt
Paar2 Kinder
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Familien und Kinder:
Haushaltstyp in Tsd. in %
Haushalte insgesamt 41.304 100
Einpersonenhaushalte 17.263 41,8 Mehrpersonenhaushalte 24.041 58,2
- Lebensformen mit Kindern2) 11.575 28,0 darunter:
Ehepaare mit Kindern
7.902 19,1 Lebensgemeinschaften mit Kindern
1.055 2,6 Alleinerziehende 2.619 6,3
Kinder <18 8,250
Haushalte und Lebensformen 2017, in Tsd. und in % aller Haushalte
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III. Grundsicherungsbezug von Kindern/Familien Bezogen auf die Bedarfsgemeinschaft Kinderarmut ist zwingend verbunden mit einer Armutslage der Bedarfsgemeinschaft, in dem bzw. der sie leben, Kinderarmut ist Ausdruck der Elternarmut (Ehepaar mit mehreren Kindern, Alleinerziehende) und damit abhängig von der Situation der Eltern Grundsicherungsquote hängt ab - von den Regelbedarfssätzen für Kinder - von den Kosten der Unterkunft (insb. In Großstädten) - von der Dunkelziffer der „Nicht-Inanspruchnahme“
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13,1
15,4
13,5
12,3
13,1
14,214,6
14,2
0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018
Empfängerquoten Grundsicherung für Arbeitsuchende unter 18 Jahren 2005 - 2018
Quelle: BA (2018): SGBII Statistik
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31,4
26,4
22,4
21,5
20,8
14,1
14,5
14,4
13,4
12,5
12,2
13,2
12,0
8,7
7,8
20,1
17,1
13,1
13,3
13,1
9,0
9,4
10,6
8,3
8,2
8,1
8,8
7,0
6,0
5,0
0 5 10 15 20 25 30
Wilhelmshaven
Salzgitter
Osnabrück
Oldenburg
Region Hann.
Cuxhaven
Braunschweig
Lüchow-D.
Wolfsburg
Wolfenbüttel
Göttingen
Heidekreis
Friesland
Gifhorn
Emsland
Empfängerquoten Grundsicherung für Arbeitsuchende insg. und unter 18 Jahren 2018Ausgewählte Städte und Gemeinden in Niedersachsen
Quelle: BA (2019): SGBII Statistik
Unter 18 Jahren
Insgesamt
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Von allen Heranwachsenden mit Bezug von SGBII-Leistungen - lebt die Hälfte bei einem alleinerziehenden Elternteil (hier reicht nur eine Vollzeittätigkeit, um die Schwelle zu überschreiten) - werden gut ein Drittel in Familien mit drei oder mehr Kindern groß - sind Kinder aus Migrantenfamilien besonders stark betroffen
- Bedarfssätze für Flüchtlingskinder (Leistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz) liegen rund 10% unter dem SGBII/Sozialgeld-Niveau
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Deutsche und ausländische Kinder in SGBII-Haushalten (in Tausend)
Quelle: WSI-Verteilungsmonitor 2017.
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- Idealtypische Formen: Temporäre Einkommensarmut – Übergang in andere Einkommensposition Längere Betroffenheit – aber soziale Einbindung, gesellschaftliche Teilhabe Verhärtete Armut – soziale Ausgrenzung, dauerhafte Entbehrungen
IV. Individuelle und gesellschaftliche Folgen
Entscheidend ist die Dauer der Armutsbetroffenheit
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Je länger Kinder in Armut leben, desto problematischer sind die Folgen/Risiken - Gesundheitliche Beeinträchtigung, ungesunde Ernährung, - Soziale Isolation, Freizeit, Urlaub - Unzureichende Wohnraumversorgung, sozial-räumliche Segregation - Beeinträchtigte Entwicklungschancen, insbesondere in Haushalten mit
Migrationshintergrund Bildungsbenachteiligung
Gefährdung des gesamten Lebens- und Erwerbsverlaufs Hohe Gefahr: Jugendarmut, Arbeitslosigkeit, prekäre Beschäftigung „Vererbung von Armut“: Reproduktion einer gesellschaftlichen Unterschicht Soziale Spaltungen Vergeudung von Humankapital
IV. Individuelle und gesellschaftliche Folgen
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Indikatoren Kinder aus Haushalten mit einem geringen Einkommen und einem
niedrigen Bildungsniveau sowie Kinder mit Migrationshintergrund besuchen Kindertageseinrichtungen unterproportional häufig.
6,3 % aller Schüler_innen weisen keinen Hauptschulabschluss auf. 84 Prozent der Kinder, deren Eltern beide eine
Hochschulzugangsberechtigung haben, wechseln in ein Gymnasium. Kinder aus armutsgefährdeten Haushalten und/oder die bei einem
alleinerziehenden oder arbeitslosen Elternteil aufwachsen, besuchen mehrheitlich eine Haupt- oder auch Realschule – nicht aber das Gymnasium.
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In Deutschland leben rund 21 Prozent aller Kinder mindestens fünf Jahre dauerhaft oder wiederkehrend in einer Armutslage. Für weitere 10 Prozent ist das ein kurzzeitiges Phänomen. (Bertelsmann 2018)
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Verbesserung der Lebens-, Arbeits- und Einkommenssituation der Eltern
Teilhabe am Arbeitsmarkt, Wiedereinstiegsförderung gesichertes Erwerbseinkommen, Mindestlöhne, vollzeitnahe Teilzeitarbeit Vereinbarkeit von Beruf und Kindererziehung Soziale Infrastruktur für Kinder und Familien Kindertagesstätten (Rechtsanspruch, Gebührenfreiheit), Familienzentren, Ganztagsschulen, Übergang in den Beruf, Qualifizierung Sport- und Freizeitangebote Spezielle (sozial-pädagogische) Fördermaßnahmen
V. Handlungs- und Reformbedarfe
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Verbesserter Familienleistungsausgleich Anhebung Regelbedarfe und Kindergeld Kinder: Raus aus Hartz IV (unzureichende Wirkung des Kinderzuschlags) geringe Inanspruchnahme Bildung und Teilhabe „Starke Familien-Gesetz“ Verbesserung des Kinderzuschlags (Höhe, Dynamisierung, Einkommens- anrechnung, Abschaffung der oberen Einkommensgrenze) = mehr Leistungsempfänger + höhere Leistungen Verbesserung von Leistungen Bildung und Teilhabe (soziale Teilhabe, Schulmaterialien, Wegfall Eigenanteile)
V. Handlungs- und Reformbedarfe
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1. und 2. Kind: 204,00 € 3. Kind: 210,00 € 4. und weitere Kinder: 235,00 €
415 €
14 bis unter 18 Jahren: 322,00 € 6 bis unter 14 Jahren: 302,00 € Unter 6 Jahren: 245,00 €
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Ausgewählte familienpolitische Leistungen 1. Direkte Transfers aus öffentlichen Haushalten - Ausbildungsförderung (ohne Darlehen) - Elterngeld und ElterngeldPlus - Kinder in der Grundsicherung/Sozialgeld - Kinder in deGrundsicherung/anteilige Kosten der Unterkunft - Mehrbedarfszuschläge für Alleinerziehende bei der Grundsicherung - Kinderzuschlag - Beiträge des Bundes für Kindererziehungszeiten an die GRV - Berücksichtigung von Kindern beim Anspuch auf Wohngeld - Familienkomponente beim sozialen Wohnungsbau - Unterhaltsvorschuss 2. Steuerliche Förderung - Familienleistungsausgleich: Kindergeld/Kinderfreibeträge - Ausbildungsfreibetrag - Absetzbarkeit von Unterhaltsaufwendungen - Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten/Sonderausgaben - Entlastungsfreibetrag für allein Erziehende - Absetzbarkeit der Aufwendungen für haushaltsnahe Dienstleistungen - Kinderzulage beim Aufbau einer privaten Altersvorsorge - Ehegattensplitting 3. Leistungen im Rahmen der Sozialversicherung - Familienhilfe in der Kranken- und Pflegeversicherung - Waisenrenten in der Renten- und Unfallversicherung - Kinderkomponente beim Arbeitslosengeld - Berufsausbildungsbeihilfen SGB IIII - Krankengeld bei Erkrankung eines Kindes
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Diskussion um Kindergrundsicherung offene Fragen: • Leistungsniveau und Struktur • Dynamik • Wegfall anderer Leistungen • Empfängerkreis • Empfangsberechtigte, Elterneinkommen, Kindereinkommen • EU-Export • Einkommensanrechnung • Besteuerung
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Kinder (und Jugendliche) sind unsere Zukunft
600 aktuelle und kommentierte Infografiken
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