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(Aus der Psyehiatrischen und Nervenklinik der Wiener Universit~t [Vorstand: Prof. Wagner-Jauregg~ und der ~eurologischen Abteiluag des Wiener St~dtisehen Sieehenhauses [Vorstand: Prof. PaTpenheim].) Klinische Untersuchungen fiber die Stfitzreaktionen. Von Dr. Sam Parker (New-York) und Dr. Erwin Stengel (Wien). (Eingegangen am 17. Oktober 1927.) Magnus hat vor einem Jahre beim Tiere folgende statische Reaktionen beschrieben: 1. Durch Druck auf den Zehenballen im Sinne der Dorsal- flexion erfolgt eine Fixation der Extremit~t in Streckstellung (positive St.R.). Unter Umst~nden kann der gleiehe Effekt durch bloBe Bertih- rung der Zehenballen erzielt werden (Magnetreaktion). 2. Die starre S~ule wird durch Beugung des Endgliedes der Ex- tremit~t in ein bewegliches Instrument verwandelt (negative St.R.). Magnus fand die St.R. beim normalen Tier, beim Thalamustier und beim kleinhirnlosen Tier. Beim decerebrierten Tier land er nur die negative St.-R. auslSsbar. Rademaker zeigte, dab besonders kleinhirnlose Tiere eine Enthem- mung dieser statischen Reaktionen aufweisen. Schoen und Pritchard haben sich in eingehenden experimentellen Untersuehungen mit diesen Ph~nomenen befal3t und bewiesen, daB es sich hier nicht etwa um mechanische Wirkungen handelt. Auch Schoen wies nach, dab sowohl exteroeeptive wie proprioceptive Reize die positive St.R. ausl6sen kSnnen. Die negative St.R. k6nne dagegen nur dureh proprioceptive Reize ausgelSst werden. Schwab war der erste, der die St.R. am Menschen untersuchte. Er konnte sie in klassischer Reinheit bei 2 Fi~llen von Kleinhirnsch~digung auf der Seite der Erkrankung nachweisen. Schwab hat auch kiirzlich berichtet, dab er homolaterale St.R. bei F~llen yon frontalem Hirn- tumor beobachtet hat und auf die Bedeutung dieser Erscheinung ftir die sehwierige Seitendiagnose dieser Tumoren hingewiesen. Der gleiche Autor spraeh die Meinung aus, dab der Mayersche Finger-Grundgelenk- reflex sowie das L~risehe Ph~nomen aufs engste mit der negativen St.R. verwandt sind. Diese Annahme stimme mit der Beobachtung von Magnus und Schoen fiberein, dab bei decerebrierten Tieren nur die negative St.R. auslSsbar sei. P6tzl hal die Meinung ausgesprochen,

Klinische Untersuchungen über die Stützreaktionen

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Page 1: Klinische Untersuchungen über die Stützreaktionen

(Aus der Psyehiatrischen und Nervenklinik der Wiener Universit~t [Vorstand: Prof. Wagner-Jauregg~ und der ~eurologischen Abteiluag des Wiener St~dtisehen

Sieehenhauses [Vorstand: Prof. PaTpenheim].)

Klinische Untersuchungen fiber die Stfitzreaktionen. Von

Dr. Sam Parker (New-York) und Dr. Erwin Stengel (Wien).

(Eingegangen am 17. Oktober 1927.)

Magnus hat vor einem Jahre beim Tiere folgende statische Reaktionen beschrieben: 1. Durch Druck auf den Zehenballen im Sinne der Dorsal- flexion erfolgt eine Fixation der Extremit~t in Streckstellung (positive St.R.). Unter Umst~nden kann der gleiehe Effekt durch bloBe Bertih- rung der Zehenballen erzielt werden (Magnetreaktion).

2. Die starre S~ule wird durch Beugung des Endgliedes der Ex- tremit~t in ein bewegliches Instrument verwandelt (negative St.R.). Magnus fand die St.R. beim normalen Tier, beim Thalamustier und beim kleinhirnlosen Tier. Beim decerebrierten Tier land er nur die negative St.-R. auslSsbar.

Rademaker zeigte, dab besonders kleinhirnlose Tiere eine Enthem- mung dieser statischen Reaktionen aufweisen. Schoen und Pritchard haben sich in eingehenden experimentellen Untersuehungen mit diesen Ph~nomenen befal3t und bewiesen, daB es sich hier nicht etwa um mechanische Wirkungen handelt. Auch Schoen wies nach, dab sowohl exteroeeptive wie proprioceptive Reize die positive St.R. ausl6sen kSnnen. Die negative St.R. k6nne dagegen nur dureh proprioceptive Reize ausgelSst werden.

Schwab war der erste, der die St.R. am Menschen untersuchte. Er konnte sie in klassischer Reinheit bei 2 Fi~llen von Kleinhirnsch~digung auf der Seite der Erkrankung nachweisen. Schwab hat auch kiirzlich berichtet, dab er homolaterale St.R. bei F~llen yon frontalem Hirn- tumor beobachtet hat und auf die Bedeutung dieser Erscheinung ftir die sehwierige Seitendiagnose dieser Tumoren hingewiesen. Der gleiche Autor spraeh die Meinung aus, dab der Mayersche Finger-Grundgelenk- reflex sowie das L~risehe Ph~nomen aufs engste mit der negativen St.R. verwandt sind. Diese Annahme stimme mit der Beobachtung von Magnus und Schoen fiberein, dab bei decerebrierten Tieren nur die negative St.R. auslSsbar sei. P6tzl hal die Meinung ausgesprochen,

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748 S. Parker und E. Stengel:

dab mSglicherweise das Symptom yon paradoxer tonischer Kontraktion in Ileopsoas und Quadriceps bei Beugung im Hiiftgelenk, das er bei Stirnhirnerkrankung beobachtete, mit der St.R. verwandt sei.

Wir haben nun gleichfalls die Magnusschen St.R. am Kranken- material untersucht und sind zu Resultaten gekommen, die die bis- herigen Befunde tefls best~tigen, teils erg~nzen. I.eider sind unsere Beobachtungen an Kleinhirn- und Frontalhirnsch~digungen bisher sehr spi~rlich.

Die Prfifung der St.R. beim Menschen wird in der Weise vorge- nommen, daI~ bei halbgebeugtem Bein die Zehen oder der Vorderful~ passiv dorsal flektiert werden (positive St.R.). Bei der negativen St.R. werden die Zehen oder der Vorderful~ plantar flektiert. Schwab hat darauf hingewiesen, dal3 nicht nur Tonusab- oder -zunahme erfolgen, sondern dab auch gewisse Bewegungen reaktiv im Sinne der Beugung oder Streekung hinzutreten.

1. Frontalhirntumor. Es handelt sich um eine Pat. mit Moria, allgemeinen Hirndruckerscheinungen und Stauungspapille. Die Halb- seitensymptome (frontale Ataxie, Parese) spraehen ffir einen Sitz des Tumors im linken Frontallappen. Der encephalographisehe Befund spraeh eher ffir einen Sitz im rechten Frontallappen. Pat. wies nun an der rechten unteren Extremit~t eine positive und negative St.R. m~l~igen Grades auf. Mit Rficksicht auf die klinischen Erscheinungen wurde fiber dem linken Frontallappen breit aufgeklappt. Ein Tumor wurde dort nicht gefunden, jedoch eine Resistenz in der Tiefe getastet. H~lt man diesen Palpationsbefund fiir beweisend, so wiirde die St.R. bei Stirnhirnerkrankung kontralateral dem Herd liegen. Doeh hat Schwab die Ansieht vertreten, dab die St.R. dem Stirnhirnherde homolateral sei 1.

2. Kleinhirnsch~digung. In einem Falle, in dem die klinisehen Symptome fiir einen rechtsseitigen Kleinhirntumor sprachen, der auch im RSntgenbild durch eine zentrale Verkalkung naehweisbar war (Tuberkel ?), lieB sieh an der gleiehseitigen unteren Extremiti~t deutlich eine positive und negative St.R. naehweisen.

In einem Falle von multipler Sklerose mit vorwiegend Hnksseitigen sehweren eerebellaren Erscheinungen zeigte sieh gleiehfaUs links eine ziemlich deutliche positive und negative St.R. an der unteren Ex- tremit~t.

3. Wir haben unsere Untersuchungen nieht nur auf die schon be- sehriebenen Sch~digungen beschr~nkt, sondern sie auch auf andere Erkrankungen ausgedehnt. Es fiel uns bald auf, da]3 diese St.R. in

1 Anmer]cung bei der Korrektur: Die Pat. starb im Dezember 1927. Die Obduktion ergab einen m~chtigen rechtseitigen Frontalhimtumor, der den linken Frontallappen stark komprimierte. Die St.R. war also, entsprechend den Angaben yon Schwab, homolateral.

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Klinisehe Untersuohungen fiber die Sttitzreaktionen. 749

ausgepr~gter Weise vor allem bei den choreatisehen BewegungsstSrungen nachweisbar sind. Aueh bei der Athetose haben wir ~hnliche Beob- achtungen gemacht. Unser Untersuchungsmaterial betrifft 15 FKlle von Chorea versehiedenen Grades und verschiedener Genese, sowie 4 F~lle yon Athetose. Wir wollen es uns ersparen, die Krankengesehichten dieser F~lle anzufiihren. Es handelte sich durehwegs um F~lle, deren Diagnose nicht zweifelhaft war.

A. Chorea. Unsere erste Beobachtung betrafe in 12jKhriges M~dchen, das im AnschluB an eine fieberhafte Angina an einer schweren Chorea erkrankte. Bei Ausiibung der entspreehenden Reize wies sie konstant die positive und negative St.R. auf. Wir konnten aber beobaehten, da$ die positive St.R. - - und zwar weniger konstant - - auch dann aus- 15sbar war, wenn man nieht den typischen Reiz ausfibte, sondern z. B. dureh Anfassen an der Wade eine passive Streckung des Beines hervorrief. Es wurde auch dann der Effekt der St.R. (starre S~ule) erzielt. Durch Plantarflexion konnte diese starre S~ule jederzeit beseitigt werden. Mitunter konnten wir auch das Vorhandensein dieser starren S~ule ohne Ausfiihrung eines Reizes durch den Untersueher feststellen. I m Verlaufe der 2 Monate, die Pat. in der Klinik verbrachte, kam es zu einem steten Riickgang der choreatischen Erscheinungen, die schliei~lich vollkommen sistierten. Wir konnten nun folgendes beobaehten: Zuerst verlor sich die ohne Reiz von seiten des Untersuchers auftretende Spannung. Pat. wies dann blo~ die auf typische und atypische Reize entstehende positive sowie die negative St.R. auf. Mit zunehmender Besserung konnte die St.R. nur mehr auf typisehe Weise ausgelSst werden. SchlieBlich wurde auch diese inkonstant. Als Pat. geheilt die Klinik verliel~, war noch mitunter eine Andeutung der positiven und negativen St.R. nachweisbar. Die Pat. zeigte zu Beginn der Erkrankung auch das yon Gordon beschriebene Ph~nomen einer kurzen tonischen Streekung der unteren Extremit~t im Anschlul~ an die Priifung des Patellarsehnenreflexes.

Bei den fibrigen F~llen von Chorea minor zeigten sich die gleichen Ph~nomene, doch insofern in beschr~nktem Ausmal~e, als wir die ohne Untersuehungsreiz auftretende starre S~ule nur bei den ganz schweren F~llen bzw. bei diesen nur auf dem HShepunkte der BewegungsstSrung nachweisen konnten. Nach den Untersuehungen von Eitelberg zeigen sich besonders ausgesproehene tonische Erscheinungen bei der Chorea mollis.

Zwei yon unseren F~llen hat ten eine Hemiehorea und bei diesen war die St.R. nur auf der Seite der BewegungsstSrung nachweisbar 1.

In 3 der von uns beobaehteten Fi~lle handelte es sich um eine Hunting- tonsche Chorea. Bei diesen konnten wir die St.R. nur auf typische Weise

1 Die Kenntni~ eines dritten Falles yon ttemiehorea mit einseitiger Stfitz- reaktion verdanken wir einer Mitteilung yon Herrn Dozenten E. Pollak.

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750 S. Parker und E. Stengel:

auslSsen. - - Um zu zeigen, dab der St.R. bei der Chorea unter Um- st/inden aueh eine diagnostische Bedeutung zukommen kann, mSchten wir folgenden Fall hervorheben: Bei einer schwer verwirrten Pat. mi t paranoiden Wahnideen und Halluzinationen, bei der ein geordnetes Examen nicht mSglieh war, zeigten sich in m/~Bigem Grade die ftir Chorea typischen BewegungsstSrungen. Trotzdem war an die MSglich- keit zu denken, dab es sich hier um BewegungsstSrungen handelte, die, zum Bilde der Psychose gehSrend, als psyehogene zu betraehten w~ren. Die beiderseits deutliche St.R. an den unteren Extremit~ten war ein wichtiger Behelf ffir die Annahme des organisehen Charakters der BewegungsstSrung.

Bei 2 FMlen yon seniler Chorea konnten wir die St.R. nieht nach- weisen 1.

An den oberen Extremit/~ten konnten wir eine der positiven St.R. entsprechende Reaktion bei der Chorea nicht nachweisen.

Vom Gesiehtspunkte der AuslSsbarkeit der St.R. kSnnen wir also unsere F/~lle von Chorea in 4 Gruppen einteilen:

1. F/~lle mit fehlender St.R. 1. 2. F~lle mit ausschliel~lich auf typischen Reiz auslSsbarer St.R. 3. F/ille, bei denen sowohl durch typische als aueh dureh atypische

Reize die St.R. auslSsbar waren. 4. FMle, bei denen durch typische und atypische Reize sowie auch

spontan die starre S/~ule zustande kam. Wir mSchten noeh hervorheben, dal~ die St.R. - - wie auch andere

Reflexe - - nicht immer auf den ersten Reiz auslSsbar war, sondern mitunter erst nach dessen 2--3mal iger Wiederholung auftrat. Die Reaktion war auch vielfaeh leicht erschSpfbar, bei den leiehten FMlen sowie im Heilungsstadium inkonstant. Die der St.R. entspreehende Streckspannung wird natiirlich schnell vom choreatischen Bewegungs- spiel unterbrochen.

B. Athetose. Wir konnten 4 FMle yon Ath6tose double untersuchen. Beim ersten Fall waren die St.R. an den unteren Extremit~ten auf den typischen Reiz hin deutlich vorhanden. Ferner wies dieser Fall auch an den oberen Extremit/~ten klassische Stfitzph/~nomene auf. Bei Dorsal- flexion der Hand kam es langsam - - etwa entspreehend dem Tempo des athetotischen Bewegungsspieles - - zur Streekung im Ellbogengelenk. Der Arm bildete nun eine starre S/~ule, die durch die der negativen St.R. entspreehende Volarflexion der Finger oder der Hand gel5st werden konnte. Auch bei einem zweiten Fall von Athetose machten wir die

1 Dieser negative Befund, den wir bei zwei senilen Pat. erhoben, darf fiir die senile Chorea nicht verallgemeinert werden. W/~hrend der Drueklegung dieser Arbeit hatten wir Gelegenheit, bei einer senilen Chorea deutliche Sr nach- zuweisen.

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Klinische Untersuchungen tiber die Stiitzreaktionen. 751

gleiche Beobachtung. Es handelte sich um einen 18jahrigen Pat., der seit seinem ersten Lebensjahr an athetotisehen BewegungsstSrungen leidet. Diese sind an der Gesichtsmuskulatur und den oberen Extremi- taten in ausgepragter Weise, an den unteren Extremitaten nur spurweise vorhanden. Dieser Pat. zeigte ausgesproehene St.R. nu t an den oberen Extremitaten. Die anderen 2 Falle von Athdtose double - - es handelte sieh in beiden Fallen um Patienten im Alter yon fiber 60 Jahren - - zeigten an den unteren Extremitaten mitunter eine Andeutung der St.R., an den oberen Extremitaten aber waren die Stfitzphanomene nicht auslSsbar.

Unsere Untersuchungen erstreekten sich aueh auf Falle von Pyra- midenspasmen, wir konnten aber zu eindeutigen Resultaten nicht go_ langen. Infolge des Vorhandenseins des Pyramidenspasmus ist ein reines Hervortreten der positiven St.R. im vorhinein ausgeschlossen. Dagegen hatten wir bei einigen Fallen den Eindruck, dai~ Streekspasmen bei Einwirkung des der negativen St.R. entsprechenden Reizes nachlieBen. Die Mitteilung yon Pette fiber die besonders gute AuslSsbarkeit der St.R. bei Vorhandensein von Pyramidenlasion neben einer eerebellaren StSrung kSnnen wir also nicht bestatigen.

Wir fassen unsere Beobaehtungen zusammen : Unsere Falle bestatigen die Befunde yon Schwab betreffs des Auftretens von Stiitzphanomenen bei Kleinhirn- und Frontalhirnsehadigung. Das Phanomen ist der Kleinhirnschadigung offenbar homolateral. Ob die Angabe yon Schwab

fiber die Homolateralitat des Phanomens bei Frontalhirnschadigung zutrifft, kSnnen wir, da unser Fall nieht endgfiltig geklart ist, nicht ent- scheiden 1. Wir konnten ferner ein auiterordentlich haufiges Vorkommen der St.R. bei Chorea und Athetose nachweisen.

Die Tatsache, dab ein vorwiegend bei Kleinhirnschadigung naeh- gewiesenes Symptom sich mit gewissen Modifikationen auch bei Chorea und Athetose findet, entspricht vollkommen unseren Kenntnissen fiber die Mitbeteiligung des Kleinhirns beim Zustandekommen dieser Be- wegungsstSrungen. Betrachten wir die Beschreibungen Rademalcers fiber das Verhalten kleinhirnloser Tiere, so finden wir in bestimmten Charakteren eine gewisse ~hnlichkeit mit den choreatisch-athetotisehen BewegungsstSrungen. Es heiltt da:

,Kleinhirnlose Tiere zeigen fortwahrend unbeherrsehte Bewegungen. Sie stehen keinen Moment ruhig, sondern tanzen fortwahrend auf ihren Pfoten. Die unbeherrschten Bewegungen hSren nicht auf bei VerschluB der Augen, bei Fixieren des Kopfes oder des Beekens . . . Die Pfoten knicken bald zu viel ein, bald werden sie zu stark ges t reekt . . , usw."

Es ist zu vermuten, da~ die Tatsache, dal] beim Thalamustier die St.R. deutlich nachweisbar sind, auf der Ausschaltung des Striatum- einflusses beruht, der ja bei der Chorea gleichfalls gelitten hat.

1 S. Ful3note S. 748. Z. f. d. g. Neut . u. Psych . 112. 49

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752 S. Parker und E. Stengel:

Betrachten wir nun die verschiedene Art der Ausl6sbarkeit der S~.R. bei der Chorea, die wir oben hervorgehoben haben. Wit erkennen hier Erscheinungen des choreatischen Syndroms wieder, die bereits vielfach beschrieben worden sind. Foerster fiihrt als vierte Komponente dieses Syndroms an: inkonstante, fliichtige Fixationsspannung der Muskeln. Wir haben gezeigt, da6 in vielen F~illen die der St.I~. ent- sprechende starre S~ule auch auf atypische Reize hin ausl6sbar ist. Diese Streckspannung geh6rt zweifellos zu dem yon Foerster in obiger Weise charakterisierten Symptom der vorfibergehenden Fixationsspan- nung, die also nach unseren Beobachtungen zum Tell als reflekto- rische im Sinne der St.R. zu betrachten ist. In die gleiche Gruppe geh6rt wohl auch das bei Chorea wiederholt beobachtete Symptom des tonisch verl~ngerten Patellarreflexes.

Wir haben ferner darauf hingewiesen, da~ die starre Saule auch ohne Reiz yon seiten des Untersuchers nachweisbar ist. Es kommt mitten im choreatischen Bewegungsspiele zu einer exzessiven Streckung, die fiir eine Weile als starre S~ule festgehalten wird. Auch diese Erscheinung ist den Beschreibern der Chorea nicht entgangen. Sie entspricht dem, was z. B. Lewy beschreibt: beim Erreichen der maximalen Beugung ein pl6tzliches Umschlagen in exzessive Streckung. Diese Bewegungsfolge wird im klinischen Sprachgebrauch als Spasmus mobilis bezeichnet. Lewy hat in instruktiven Kurven diese Erscheinung demonstriert.

Wir glauben nun zu der Behauptung berechtigt zu sein, dal~ sowohl jener Streckspasmus, der durch fiir die Ausl6sung der St.l~. nicht typische Reize hervorgerufen wird als auch jener, der ohne unser Hinzutun ent- steht, mit der St.R. identisch ist. Wir stfitzen unsere Annahme auf Analogien mit anderen Reflexmechanismen, wo mitunter gleichfalls ein sonst nut durch einen typischen Reiz ausl6sbares Ph~nomen auch durch einen atypischen Reiz oder spontan entstehen kann. Eine Vorbedingung dafiir schafft die bekannte 1Jbererregbarkeit des gesamten motorischen Apparates bei tier Chorea und Athetose. Je sehwerer die St/Stung, desto vielfi~ltiger die AuslSsbarkeit des Ph/~nomens. Man nimmt in solchen Fi~llen eine abnorme Ausbreitung der reflexogenen Zone an.

Wir kSnnen ungezwungen annehmen, dab auch die scheinbar spontan entstandene starre S~ule ein reflektorisch auftretendes Stiitzphi~nomen ist, dessen extero- oder proprioceptive l~eizgrundlage wir eben nicht fassen kSnnen, ebensowenig wie bei anderen scheinbar spontan auf- tretenden Reflexen. Die yon uns supponierte Erweiterung der reflexo- genen Zone entspricht vollkommen der Beobachtung yon Magnus und Rademaker, da6 bei schwereren Formen der Sch/~digung zu dem proprioceptiven noch der exteroceptive Reizweg hinzukommt. Durch das Bewegungsspiel der Chorea strSmt eine Summe der vielfi~ltigsten proprio- und exteroceptiven Reize zentralw/~rts, yon denen ein Tell

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wohl den St.Reflex hervorruft. In gleichem Sinne sprechen die Beob- achtungen yon Mayer, der dutch wiederholte passive Bewegungen bei der Chorea Streckspasmen auslSsen konnte.

Wir glauben also gezeigt zu haben, in welch enger Beziehung die bei der Chorea beschriebene Form des Spasmus mobilis zur St.R. steht. Die exzessive Streckung des Spasmus mobilis bei der Chorea ist als St.R. aufzufassen. Es wird wohl auch bei anderen Formen von Spasmus mo- bilis, z. B. bei dem der Athetose, ein ~hnlicher Mechanismus in Betracht kommen. Schon Lewandowsky hat die Vermutung ausgesprochen, da ] der Spasmus mobilis der Athetose reflektorischer Genese sein diirfte.

Bei der senilen Chorea kann die St.R. offenbar fehlen. Es zeigt sich da vielleicht eine gewisse Sonderstellung dieser Erkrankungsform im Rahmen der choreatisehen Bewegungsst(irungen. Sie steht, wie Jalcob u. a. hervorheben, der Huntingtonschen Chorea nahe. Wie oben er- w~hnt, war bei dieser die AuslSsbarkeit der St.R. auf den typischen Reiz beschr~nkt. Allerdings bediirfen unsere Beobaehtungen bezfiglich dieser Sonderformen der Chorea noch weiterer Erg~nzung.

Wir kommen nun zur Frage der AuslSsbarkeit der St.R. bei der Ath6tose double. F~lle von symptomatischer Athetose konnten wir leider nicht beobachten. Die Tatsache, daB, zum Unterschied yon der Chorea, hier auch an den oberen Extremit~ten eine deutliche St.R. naehweisbar ist, scheint bemerkenswert. Es wird heute allgemein an- genommen, dal~ wir es bei der Athetose ,,mit dem Wiederfreiwerden eines phylo- und ontogenetisch tieferstehenden Bewegungsmeehanismus zu tun haben" (v. Economo). Foerster hat gezeigt, da~ diese Hyper- kinesen den Kletter-, Greif- und Gangmechanismen der Primaten nahe- stehen. Die Ausl5sbarkeit der St.R. an den oberen Extremit~ten bei der Athetose wiirde daffir sprechen, dab bier unter den an den oberen Extremit~ten freigewordenen Mechanismen die Stfitzfunktion eine gewisse Rolle spielt. Die AuslSsbarkeit der St.R. bei der Athetose entspricht auch der fiberaus starken Beeinflul~barkeit des motorischen Apparates durch sensible und sensorische Reize bei dieser Erkrankung. Von welcher Bedeutung die Wirkung oder das Fehlen zentripetaler Reize ffir das ganze Krankheitsbild sein kann, zeigt in ausgesprochener Weise ein Fall yon Schilder und Stengel, bei welchem bei doppelseitiger L~sion des Pallidums Athetose nur an den in der Sensibilit~t geseh~- digten Extremit~ten auftrat.

Zur versuchten Identifizierung des Mayerschen und vor allem des L~rischen Ph~nomens mit der negativen St.R. mSchten wir folgendes bemerken. Beim Ldrischen Ph~nomen kommt es zu einer tonischen Be- wegung im Ellbogengelenk und aueh Schwab betont, da~ in seinem Falle die Volarflexion der Hand zu einer brfisken Beugung im Ellbogen- gelenk mit toniseher Anspannung des Biceps gefiihrt hat. Beim gleiehen

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75~ S. Parker und E. Stengel: Untersuchungen fiber die Stfitzreaktionen.

Fal l sah er aueh eine tonisehe A n s p a n n u n g der Beuger ira Knie- u n d Hiiftgelenk. Nach der Darstel lung von Magnus und Rademalcer liegt aber das Wesentl iche der nega t iven St. R. in einer Ablbsung der tonischen

Erscheinungen der posi t iven St.R. durch e inen hypo~onisehen Zustand. Schwab erklar t die hyper tonischen Erscheinungen damit , dab die Re- ak t ion verst~rkt sei. Es ist n u n n ich t ohne weiteres einleuchtend, dab

Verst~rkung eines hypotonischen Phfinomens zu hyper tonischen Er- scheinungen fiihren soll. Wir g lauben demnach, dab die Verwandtsehaf t

dieser Ph/ inomene keine sehr enge sein dfirfte. Auch Stie/ler ist n ich t

geneigt, eine solche Beziehung anzunehmen. Wir resumieren: Die bisherigen kl inischen Beobaehtungen fiber

Stf i tzph~nomene konn t en wir best~tigen. Wir haben diese auBerdem bei

der Chorea und der Athetose beobachtet . E in enger Zusammenhang zwischen dem Mayerschen und L~rischen Reflex mi t der St.R. erscheint uns zweifelhaft. Hingegen besteht eine Beziehung zu bes t immten

tonischen Ersche inungen der Chorea.

Literaturverzeichnis. v. Economo, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 43. 1918. - - Eitelberg,

Im Erscheinen. - - Foerster, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 73. 1922. - - Diskussionsbemerkung zum Vortrag yon Stie/ler (s. u.). - - Jakob, Die extrapyra- midalen Erkrankungen. Berlin 1923, Julius Springer. - - Lewandowsky, Hand- buch der Neurologie. Allg. Tell. Bd. II. - - Lewy, F. H., I)er Tonus und die Be- wegung. Berlin, Springer 1923. --Magnus, Zentralbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 44. 1926; Jahresvers. d. Ges. dtsch. Nerven~rzte. - - Mayer, Dtsch. Zeitschr. f. Nervenheflk. 1927. - - Pette, Klin. Wochenschr. S. 1682, 1927. - - Pbtzl, Diskussions- bemerkung zum Vortrag von Stie]ler (s. u.) - - Pritchard, Pfliigers Arch. f. d. ges. Physiol. 213. 1926. - - Rademaker, Zentralbl. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 44. 1926; Jahresvers. dtseh. Nerven~rzte, Dfisseldorf. - - Schilder, Diskussionsbemerkung zum Vortrag yon Stie]ler (siehe unten). - - Schilder und Stengel, Uber athetotische Bewegungen bei Tabes. Im Erscheinen. - - Sehoen, Pflfigers Arch. f. d. ges. Physiol. 213. 1926. - - Schwab, Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psychiatrie 108. H. 4. 1927. - - Diskussionsbemerkung zum Vortrag yon Stie/ler. - - Stie/ler, Vortrag, gehalten auf der Jahresversamml. d. Ges. dtsch. Nerven/irzte in Wien 1927. Zentrlbl. f. d. ges. Neurol. u. Psyehiatrie 47, 810. 1927.