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Konzept Z.A.M. Zentralstelle für Arbeit und Bildung für Menschen mit Komplexer Behinderung ein Angebot des Assistenzdienstes „Mayer-Reif-Scheck ambulante Pflege und Betreuung GmbH“ Assistenz für Menschen mit Beeinträchtigungen ambulante Pflege und Betreuung Mayer-Reif-Scheck GmbH Anerkennung Bildung Arbeit „Das Beste in jedem Menschen möchtest du so gern ans Licht rufen? Das wirst du unfehlbar durch Anerkennung und Vertrauen.“ Friedrich Rittelmeyer

Konzept Z.A.M....5 vgl. hierzu Theunissen & Hoffmann, 1999 6 in Anlehnung an das Assistenzkonzept nach Hoffmann/Theunissen, vgl. ebd. 5 Assistenten; unterstützende Dialoge mit anderen

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Konzept

Z.A.M.

Zentralstelle für

Arbeit und Bildung für Menschen

mit Komplexer Behinderung

ein Angebot des Assistenzdienstes „Mayer-Reif-Scheck ambulante Pflege und Betreuung GmbH“

Assistenz für Menschen mit Beeinträchtigungen

ambulante Pflege und Betreuung Mayer-Reif-Scheck GmbH

Anerkennung

Bildung Arbeit

„Das Beste in jedem Menschen

möchtest du so gern ans Licht

rufen?

Das wirst du unfehlbar durch

Anerkennung und Vertrauen.“

Friedrich Rittelmeyer

Inhaltsverzeichnis Einleitung .................................................................................................................................... 2

Leitbild ........................................................................................................................................ 3

Prinzip Anerkennung ............................................................................................................. 3

Assistenz und Selbstbestimmung ........................................................................................... 4

Inklusion, Teilhabe und Teilgabe ............................................................................................ 5

Personzentrierung und Sozialraumorientierung .................................................................... 5

Zielsetzung .................................................................................................................................. 8

Lebensbereiche Bildung und Arbeit ....................................................................................... 8

Bildung .................................................................................................................................... 8

Arbeit ...................................................................................................................................... 9

Zielgruppe ............................................................................................................................. 10

Bedürfnisorientierung .......................................................................................................... 11

Sinnvolle Tages- und Lebensraumgestaltung ....................................................................... 13

Methoden und Inhalte ............................................................................................................. 15

Suchen .................................................................................................................................. 15

Finden ................................................................................................................................... 16

Reflexion ............................................................................................................................... 17

Rahmenbedingungen ............................................................................................................... 18

Auftrag und Leistungsspektrum ........................................................................................... 18

Personal ................................................................................................................................ 18

Räumlichkeiten und Ausstattung ......................................................................................... 19

Finanzierung ......................................................................................................................... 20

Qualität ..................................................................................................................................... 21

Qualität der Pädagogik ......................................................................................................... 21

Qualität der Pflege ............................................................................................................... 24

Qualität der Hauswirtschaft ................................................................................................. 24

Qualität des Personals .......................................................................................................... 24

Schlusswort .............................................................................................................................. 25

Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 26

Abbildungsverzeichnis .............................................................................................................. 27

Anhang...................................................................................................................................... 28

Impressum ................................................................................................................................ 30

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Einleitung Assistenz passend und stimmig für Menschen mit Beeinträchtigungen zu erarbeiten, anzubieten und zu verwirklichen, ist der grundlegende Anspruch, dem sich der Assistenzdienst „Mayer – Reif – Scheck ambulante Pflege und Betreuung GmbH“ verschrieben hat. Die reichhaltigen Erfahrungen und Leistungen, die diesem Anspruch gemäß im Bereich des Wohnens und Freizeit für Menschen in und um Prien sowie Rosenheim bereits gelungen sind, veranlassen uns das Angebot an Assistenz zu erweitern. Wir wollen damit umfassend den Ansprüchen und Anforderungen derjenigen Menschen gegenüber gerecht werden, denen wir im Alltag und Leben assistieren und unsere Leistungen anbieten wollen. Es zeigte sich, dass vor allem Menschen mit schweren Beeinträchtigungen in den Lebensbereichen Arbeit und Bildung unzureichende Möglichkeiten in unmittelbarer Nähe des Wohnortes finden. Ein leicht zugängliches und passendes Angebot zur Gestaltung des eigenen Tagesablaufes mittels Assistenz außerhalb des unmittelbaren Wohnumfeldes scheint notwendig. Im Sinne der Lebensqualität unserer Auftraggeber sehen wir es als unsere Verpflichtung an, dies als Assistenzdienst anbieten zu können. Die Zusammenarbeit und der Austausch mit dem Verein „Leben mit Handicap e.V.“ in Prien bestätigte uns dies. So entstand das gemeinsame Anliegen einer Etablierung eines solchen Angebotes in Prien. Daraus ergab sich der Wunsch und das Ziel ein ansprechendes Angebot für Menschen mit Beeinträchtigungen im Umkreis von Prien zu verwirklichen. Dabei nehmen wir Bezug auf die verschriftliche Vision1 des Vereins. Wir verstehen diese Bemühungen im Sinne der Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen2. Das Angebot verschreibt sich insbesondere dem Artikel 3 (Allgemeine Grundsätze), Artikel 8 (Bewusstseinsbildung), Artikel 24 (Bildung) im Sinne der Erwachsenenbildung und Artikel 27 (Arbeit und Beschäftigung). Weiterhin werden in Teilen den Artikeln 30 (Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport; Satz 1-4) und 19 (unabhängige Lebensführung und Einbeziehung in die Gemeinschaft; Abschnitt b) Rechnung getragen. Als Grundlage dient das vorliegende Konzept, welches allen Beteiligten den Aufbau, die Struktur und den Anspruch des Angebots vermittelt. Dazu wird ein Leitbild vorgestellt, in dem Grundlagen und die Ausrichtung der Arbeit im Miteinander dargestellt sind. Danach wird auf die übergeordnete Zielsetzung des Angebots inklusive einer Beschreibung der Zielgruppe eingegangen. Anschließend folgt die Darstellung der Rahmenbedingungen, um dann allgemein auf die Methodik und Inhalte des Angebots zu sprechen zu kommen. Zuletzt wird dem Qualitätsanspruch Rechnung getragen und dabei thematisiert, woran sich Qualität erkennen lässt und wie diese nachvollziehbar erhalten und entwickelt werden kann. Es sei erwähnt, dass dieses Konzept lebendig, also vom Autor veränderbar, ist und einer ständigen Aktualisierung und Überprüfung hinsichtlich der praktischen Umsetzung und Erfahrung unterliegt. Aus aktueller Sicht bietet die Konzeption einen notwendigen Rahmen, um das neuartige Angebot entstehen und wachsen zu lassen. Prien im August 2017

1 Die Vision ist einsehbar unter der Internetpräsenz des Vereins: www.handicap-rosenheim.de 2 Vereinte Nationen, 2006

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Leitbild

Prinzip Anerkennung 3 Als grundlegendes Leitprinzip der konzeptionellen Ausrichtung und praktischen Umsetzung ist Anerkennung maßgeblich. Dies bedeutet nicht bloß eine gefühlsmäßige Respektierung des Menschen, sondern eine sinn- und identitätsstiftende Anerkennung, die geprägt ist von gegenseitiger Wahrnehmung und einer annehmenden Beziehung zueinander. Die gesellschaftliche Anerkennung wird durch Liebe, Recht und Wertschätzung erfahrbar und zeigt sich auf drei Ebenen, die sich anhand der imaginären Aussagen der anerkannten Person beschreiben lassen:

„Ich bin geliebt und gesehen. Ich liebe und sehe.“ (emotionale Zuwendung) Dies kommt in persönlichen Nahbeziehungen mit nahestehenden Personen und der Bezugsperson (Assistenzgeber) zur Geltung.

„Ich habe Rechte und Pflichten.“ (Zuerkennung von Rechten) Dies ist von Bedeutung im gesellschaftlichen Leben in den Wirkkreisen der Tagesgruppe, der Nachbarschaft, der Gemeinde und der Region.

„Ich teile Werte mit meinen Mitmenschen. Ich bin ein Teil des Ganzen.“ (Gemeinsame Orientierung an Werten)

Dies wird in der Kultur lebendig bezogen auf die Tagesgruppe, Nachbarschaft, Gemeinde, Region, Land und Welt. Diese Formen gesellschaftlicher Anerkennung ermöglichen den Erwerb und die Entwicklung der eigenen Identität über die Bildung von Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstwertgefühl.

Formen gesellschaftlicher Anerkennung

erfahrbar durch

im Bereich bewirkt ermöglicht Entwicklung von

ist grund-legend für

Liebe „Ich bin geliebt und gesehen. Ich liebe und sehe“

emotionale Zuwendung

Nah-beziehungen

Anerkennung individueller Bedürfnisse und Wünsche ⇒ vertrauens-voller Selbstbezug

Selbstvertrauen

Bildung von

Identität

Recht „Ich habe Rechte und Pflichten“

Zuerkennung von Rechten

gesellschaft-liches Leben

moralische Gleichbehandlung ⇒ eigene Achtung würdigen

Selbstachtung

Wertschätzung „Ich teile Werte mit meinen Mitmenschen. Ich bin ein Teil des Ganzen.“

gemeinsame Orientierung an Werten

Kultur

Anerkennung des Individuums ⇒ Wertschätzung der eigenen Fähigkeiten

Selbstwertgefühl

Abbildung 1: Von der Anerkennung zur Identität, eigene Darstellung

3 vgl. Fornefeld 2008, S. 128-147

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In der tabellarischen Übersicht sind die Zusammenhänge zwischen gesellschaftlichen Formen der Anerkennung und der Bildung von Identität dargestellt. In diesem Sinne stellt Anerkennung die Grundlage des Leitbildes dar. Aus dieser ergeben sich weitere handlungsleitende Prinzipien, die im Folgenden aufgeführt und relevante Aspekte dabei benannt werden.

Assistenz und Selbstbestimmung Es wird angenommen und zugesprochen, dass jeder Mensch selbst am besten weiß, welche Unterstützung benötigt wird, um selbstbestimmt leben zu können. Insofern stellt das vorliegende Angebot eine Assistenz zur Gestaltung des eigenen Tages-, Wochen-, Jahresverlaufs und einer bestimmten Lebensphase dar. Dabei tritt der Mensch mit Beeinträchtigung als Auftragsgeber4 und Assistenznehmer, die mitarbeitenden Personen als Auftragsempfänger und Assistenzgeber auf. Das Verhältnis ist geprägt durch eine gleichberechtigte Partnerschaft. Es besteht die Annahme, dass der Mensch mit Beeinträchtigung grundsätzlich seine Interessen und Bedürfnisse ausdrücken kann. Der Assistent hört, liest und deutet im Miteinander den Ausdruck. Er bietet die notwendige Unterstützung in der Begleitung des Entwicklungsprozesses und ermöglicht dies durch Erarbeitung und Umsetzung passender Angebote, die dem Entwicklungs- und Bedürfnisstand gerecht werden. Die ständige bedarfsgerechte Überprüfung des Angebots ist dabei selbstverständlich. Um die besondere Situation von Menschen mit Lernschwierigkeiten zu berücksichtigen, ist eine umfänglichere Assistenz5 geboten. Dies bedeutet, dass der Assistent zugleich Helfer und Bezugsperson ist. Dabei nimmt der Assistent diverse Rollen6 ein, die sich in verschiedenen Formen der Unterstützung ausdrücken. Der Assistent tritt folglich auf als …

- Helfer (lebenspraktische Assistenz) - Vertrauensperson (dialogische Assistenz) - Anwalt (advokatorische Assistenz) - Wegbegleiter zur Gesellschaft (sozialintegrierende Assistenz) - Berater (konsultative Assistenz) - Bildungsbegleiter (facilitatorische Assistenz) - Lernbegleiter (lernzielorientierte Assistenz) - Beschützer (intervenierende Assistenz)

Die Zielrichtung der gemeinsamen Arbeit ist immer die Ermöglichung und Umsetzung der selbstbestimmten Lebensgestaltung. Hierzu werden ausgehend von der Beziehung zwischen Mensch mit Beeinträchtigung und Assistent grundlegende Voraussetzungen im gegenseitigen Austausch geschaffen und erweitert. Dies findet in folgenden Bereichen statt:

- Kommunikation: Fähigkeiten des Beeinträchtigten ausbauen; Deuten und Lesen der verbalen sowie nonverbalen Kommunikation und Verhaltensweisen von Seiten des

4 Um den Lesefluss nicht zu beeinträchtigen, wird hier und im gesamten Text nur die männliche Form genannt. Dabei ist aber stets die weibliche Form gleichermaßen mitgemeint, ebenso wie Menschen, die sich keinem Geschlecht zuordnen. 5 vgl. hierzu Theunissen & Hoffmann, 1999 6 in Anlehnung an das Assistenzkonzept nach Hoffmann/Theunissen, vgl. ebd.

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Assistenten; unterstützende Dialoge mit anderen Menschen im Umfeld und in der Öffentlichkeit

- die eigene Meinung: wahrnehmen, ausdrücken und vertreten, gegebenenfalls mit Assistenz

- Reflexionsfähigkeit wird nach individuellen Maßstäben erlernt Der Mensch mit Beeinträchtigung erfährt dadurch die Stärkung seiner Entscheidungskompetenz. Die Entwicklung des Selbstbewusstseins und der Selbstverwirklichung werden dadurch ermöglicht. Der Ausbau von Selbstakzeptanz und Selbstvertretung wird gefördert und zeigt sich in Form von Begegnungen auf Augenhöhe. Weiter gefasst ermöglichen sich dadurch ein Teilwerden zur inklusiven Gesellschaft sowie die politische und gesellschaftliche Partizipation. Somit können sowohl die Chancen der Selbstbestimmung wahrgenommen sowie selbstwirksam umgesetzt und erfahren werden. Gleichzeitig werden aber auch Grenzen der Selbstbestimmung kennen gelernt, wie beispielsweise soziale und gesellschaftliche Normen, Gesetze, Regeln und Wertevorstellungen.

Inklusion, Teilhabe und Teilgabe Ein gesellschaftliches Miteinander mit allen Menschen zu ermöglichen und zu leben, ist Ziel von Inklusion. Um zu diesem gesamtgesellschaftlichen Auftrag beizutragen, fördert das Angebot die Entwicklung von individuellen Voraussetzungen und den Aufbau von sozialen Beziehungen im nahen und weiteren Umfeld. Dabei geht es um eine wechselseitige Unterstützung von Individuum und sozialem Umfeld durch die Schaffung und Begleitung von sozialen Kontakten und Entwicklung gegenseitiger Akzeptanz. Die Zielrichtung ist dabei immer eine Vorstellung von inklusiver Gesellschaft, die jeden Menschen individuell und selbstverständlich wertschätzt und jedem das gleiche Recht auf Beteiligung zugesteht. Dazu ist es nötig, Teilhabe und Teilgabe in den Kontexten von Bildung und Arbeit zu ermöglichen und umzusetzen. Dies bedeutet für den Menschen mit Beeinträchtigung dazu beizutragen Barrieren gemeinsam mit Assistenz und mit dem Umfeld gemeinschaftlich zu erkennen und abzubauen. Es geht dabei nicht nur um bauliche, sondern auch um soziale, intellektuelle, sprachliche und andere Barrieren, die den Zugang zum gesellschaftlichen Leben hemmen. Darüber hinaus gilt es nicht nur einfach dabei zu sein, sondern sich aktiv und passiv beteiligen zu können und dadurch mit seinen individuellen Möglichkeiten einen wertvollen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten. Die Begriffe der Teilhabe und Teilgabe verdeutlichen diese beiden gewichtigen Momente der sozialen Interaktion. Die Assistenz bietet dabei die notwendige Unterstützung durch Stärkung individueller Fähigkeiten und die Unterstützung des sozialen Umfeldes des Menschen mit Beeinträchtigung. Dies gelingt unter anderem durch den Aufbau und die Begleitung von sozialen Netzwerken und Unterstützerkreisen sowie die delegierbare Assistenz bei den Maßnahmen und Tätigkeiten.

Personzentrierung und Sozialraumorientierung Für die vorangegangenen Prinzipien ist die Personzentrierung verbunden mit einer Sozialraumorientierung von elementarer Bedeutung. So wird die Person mit Beeinträchtigung prinzipiell als ein Mensch wahrgenommen mit individuellen Ressourcen und Fähigkeiten, die

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es zu entdecken und zu entfalten gilt. Mögliche Hemmnisse oder Einschränkungen dieser menschlichen Entwicklung, wie etwa Krankheit, Alterung, mangelnde Förderung, Behinderung, Traumata oder Ähnliches werden dabei mitberücksichtigt, stehen aber nicht im Fokus der Weiterentwicklung im Sinne eines Kompensierens von Defiziten. Vielmehr gilt es das (verschüttete) Potential zu aktivieren, folglich sich nicht auf das zu konzentrieren „was fehlt“ (Defizite), sondern auf das „was ist“ (Gaben und Fähigkeiten). Anhand dieser Perspektive wird Entwicklung ermöglicht. Dazu muss auch immer die Frage gestellt werden, was benötigt wird, um das vorhandene Potential zu verwirklichen, sprich mögliche innere und auch äußere Ressourcen7 aufzuspüren und zu nutzen. In diesem Sinne ist das Einbeziehen des Sozialraums unablässig. Jeder Mensch steht mit seiner Umwelt in Kontakt und ist mit ihr verbunden. Es gilt diesen Sozialraum kennenzulernen und zu aktivieren. Insofern ist der Aufbau und der Erhalt des eigenen sozialen Netzwerkes ein wichtiger Bestandteil bei der Selbstentfaltung in allen Lebensbereichen, speziell im Kontext Bildung und Arbeit. Der Assistent unterstützt hierbei den Mensch mit Beeinträchtigung je nach individuellem Bedarf. Es ist selbstverständlich, dass der Assistent grundsätzlich eine personzentrierte Haltung einnimmt, die sich durch einfühlendes Verstehen, Wertschätzung und Echtheit8 auszeichnet. Darüber hinaus spielt emotionale Wärme, Rücksichtnahme, Achtung sowie förderndes, nicht dirigierendes Verhalten9 eine grundlegende Rolle in der Beziehungsgestaltung. Das Verhältnis zwischen dem Mensch mit Beeinträchtigung und dem Assistenten entspricht dem Verständnis nach Pörtner10 gemäß dem Konzept „Ernstnehmen, Zutrauen, Verstehen“. Die von Pörtner beschriebene personzentrierte Haltung, woraus sich der entsprechende Umgang ableitet, findet grundlegend Anwendung in der Zusammenarbeit beider Assistenzpartner. Ausgehend von dem Grundprinzip der Anerkennung, das sich in drei gesellschaftlichen Dimensionen abbilden lässt, leiten sich die weiteren genannten Prinzipien des Leitbildes ab. Diese sind wiederum miteinander verknüpft und es ergeben sich dabei Überschneidungsbereiche. Die folgende Darstellung soll diese Zusammenhänge grafisch verdeutlichen:

7 innere Ressourcen = innerhalb der Person; äußere Ressourcen = außerhalb der Person, im Umfeld 8 vgl. Rogers, 1983 9 vgl. Tausch & Tausch, 1979 10 vgl. Pörtner, 2017

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Abbildung 2: Übersicht des Leitbildes, eigene Darstellung

AnerkennungLiebe

Recht

Wertschätzung

Inklusion

Sozialraum-orientierung

Person-zentrierung

Assistenz

Selbst-bestimmung

Teilhabe & Teilgabe

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Zielsetzung

Lebensbereiche Bildung und Arbeit Das Angebot ist darauf ausgerichtet, Menschen mit schweren Beeinträchtigungen eine sinnvolle Teilhabe und -gabe in den Lebensbereichen Arbeit und Bildung zu ermöglichen und umzusetzen. Aus Sicht des Nutzers grenzt es sich damit klar vom Lebensbereich Wohnen und Freizeit ab. Die Unternehmensstruktur von „Mayer – Reif – Scheck ambulante Dienste“ ist entsprechend so aufgebaut, dass vor Ort keine organisatorischen oder personellen Vermischungen zwischen den Kontexten Arbeit/Bildung und Wohnen/Freizeit stattfinden. Als Ausnahme ist lediglich der übergeordnete pädagogische Fachdienst sowie Pflege- und Hauswirtschaftsleitung zu nennen. Damit ist für den Assistenznehmer das Erleben eines weiteren unabhängigen Lebensbereichs gewährleistet. Neue Inhalte, andere Bezugspersonen und Assistenten sowie der Wechsel des Aufenthaltsortes bieten im Sinne der Normalisierung das Wahrnehmen eines neuen Lebensraums.

Bildung Das Angebot versteht sich als eine Bildungsstätte. Sie bietet einen Rahmen, in dem die Auseinandersetzung mit sich und der Welt stattfinden kann. Es werden dazu Bildungsanlässe geschaffen durch gezielte bedarfsgerechte Angebote für Einzelpersonen oder eine Interessensgruppe. In dem Bewusstsein, dass sich bildende Prozesse nicht erzwingen lassen und eine freie Bereitschaft des Menschen notwendig ist, stellt folglich das bloße Darbieten von Anlässen noch keine Gewähr für Bildungsprozesse dar. Es ist Auftrag des Pädagogen im Sinne der Hebammenkunst dieses menschliche Bedürfnis zu wecken und einen Rahmen für dessen Verwirklichung zu schaffen. Bildung kann aber auch zufällig und unscheinbar geschehen. Es gilt dann den Bildungsprozess zu erkennen, zu zulassen, zu begleiten und gegebenenfalls dabei zu assistieren. Dabei ist mit Bildung nicht eine reine Vermittlung von Kulturgütern oder gar eine weitere nachholende Aneignung von Kompetenzen gemeint, sondern die freie und subjektiv sinnvolle Auseinandersetzung mit der Welt11. Dies können neue Eindrücke, Irritationen im Erleben oder auch eine Auseinandersetzung mit anderen Menschen und Situationen bedeuten. Die Schaffung und Begleitung solcher bildenden Verhältnisse ist Aufgabe des Pädagogen. Damit werden Bedingungen kreiert, die es ermöglichen sich selbst und den Lebenskontext für sich günstig zu verändern12. Die folgenden erdachten Umschreibungen von Momenten aus Sicht der sich bildenden Person verdeutlichen dieses Verständnis:

„Wenn ich Möglichkeiten habe mit Menschen in eine Auseinandersetzung durch die zufällige oder gezielte Begegnung zu kommen, kann ich mich bilden. Wenn ich im Zuge eines Arbeitsauftrages eine Hausadresse finden will, kann ich mich bilden. Wenn ich mich heute unüblich nach links zum Fenster drehe, weil ich dort Sonnenstrahlen entdecken kann, kann ich mich bilden.

11 vgl. hierzu transitive (Bildungskanon, Bildungssystem) versus reflexive Bildung (intrapersonale, intentionale Auseinandersetzung) nach Ackermann, 2013, S. 9ff 12 Stinkes, 2008, S.102ff

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Wenn ich bewirke das ein Stück Ton zu einer Schale wird, kann ich mich bilden. Wenn ich beim Mittagessen in der Tischgemeinschaft den Löffel mit Handführung verwende, kann ich mich bilden. Wenn ich Musik spüre und höre, die es mir ermöglicht zu mir und in Kontakt zu meinen eigenen Gefühlen zu kommen, kann ich mich bilden.

Immer verhalte ich mich dabei zu den Verhältnissen, in denen ich mich aufhalte und verändere mich und mein Umfeld, kurzum: Ich bilde mich.“ (Autor)

Diesem Verständnis gemäß ist ein Beitrag zur inklusiven Erwachsenenbildung im nahen Lebensumfeld möglich und erstrebenswert. Es gilt also dem Bildungsverständnis entsprechend die Teilhabe an allgemeinen Bildungsangeboten anderer Bildungsstätten für Menschen mit Komplexer Beeinträchtigung mit möglich zu machen. Dies kann durch die Assistenz bei der Wahrnehmung von Angeboten geschehen oder durch die Unterstützung der Bildungsanbieter durch Information und Bewusstseinsentwicklung von Barrieren und deren Abbau. Dadurch wird zum Gelingen des lebensortnahen Ausbaus von inklusiver Bildung13 beigetragen. Es ist ebenfalls denkbar sich bei bestimmten ‚internen‘ Angeboten der Öffentlichkeit zu öffnen und Menschen, die das Assistenzangebot nicht explizit nutzen, teilhaben zu lassen und so ein gemeinsames Lernen zu ermöglichen.

Arbeit Neben der beschriebenen Möglichkeit zur Bildungspartizipation, bietet das Angebot auch das Potential die Teilhabe an Arbeit zu verwirklichen. Um diesem Anspruch für die Zielgruppe gerecht zu werden, ist ein Verständnis von Arbeit grundlegend, das über die Vorstellung hinausgeht, dass Arbeit gleichbedeutend mit Erwerbsarbeit ist. Wenn also Arbeit nicht nur darauf beschränkt betrachtet wird, Geld für eine Leistung oder ein Produkt zu bekommen, wird der dahinterliegende Sinn von Arbeit sichtbar. Dieser ist für alle arbeitenden Menschen von Bedeutung und lässt sich in folgenden Merkmalen beschreiben. Arbeit ist …

- für sich selbst und andere sinnvoll tätig sein - mit der Arbeitswelt inklusive ihrer Tugenden, Orte und Umfeld in Verbindung treten - sich bemühen und anstrengen - eine Beschäftigung mit Herausforderungen - sich auf eine Auseinandersetzung mit einem Gegenstand oder Sachlage einlassen - Erfahrung von Selbstwirksamkeit - sich selbst entfalten und verwirklichen können - Anerkennung erfahren - in den Austausch mit anderen Menschen treten

Arbeit findet in diesem Sinne in verschiedenen Arbeitsformen14 statt. Diese ermöglichen einen individuellen Zugang zu Arbeitswelterfahrungen gemäß den individuellen und sozialen Voraussetzungen. Es wird sich nicht immer eine eindeutige Zuschreibung einer bestimmten

13 Vgl. hierzu Ackermann, 2013, S.12-18 14 Die Beschreibungen von Arbeitsformen sind beeinflusst durch das Modell von Arbeit und Begegnung e.V., siehe Kistner & Juterczenka, 2013, S.114

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Tätigkeit zu einer Arbeitsform treffen lassen. Allerdings bieten die Beschreibungen eine Orientierungshilfe für alle Beteiligten. Folgende Arbeitsformen lassen sich mit den vorrangigen Kontexten in Klammern beschreiben:

- Fähigkeiten und Fertigkeiten fördern und ausbauen (Berufsbildung) - Arbeitsweltbezogene Erfahrungen (Berufsbildung/Arbeitswelt) - Arbeitsweltorientierte Tätigkeiten (Berufsbildung/Arbeitswelt) - Arbeitsweltbezogene Tätigkeiten (Arbeitswelt) - Arbeitsprozessbezogene Tätigkeiten (Arbeitswelt) - Mit- und Zuarbeit (Arbeitswelt) - Tätigkeiten mit üblicher Arbeitsleistung (Arbeitswelt)

Alle beschriebenen Formen werden gleichwertig als Arbeit anerkannt und wertgeschätzt. Dies wird in dieser Weise möglichen Kunden und Auftragsgebern vermittelt. Es ist dabei selbstverständlich, dass der Anerkennung für die individuelle Arbeitsleistung Ausdruck verliehen wird durch unterschiedliche Gegenleistungen informeller und formeller Art. Dieser Austausch sollte fair, transparent, für alle Beteiligten nachvollziehbar und sinnvoll gestaltet sein. Der steigende Grad an „verwertbarer“ Arbeitsleistung in den genannten Arbeitsformen sollte sich in der Zunahme an üblichen monetären Anerkennungsformen widerspiegeln. Grundsätzlich ist eine Entwicklung der Möglichkeiten und des Arbeitssettings hinzu einer Arbeitsform der Festeinstellung erstrebenswert im Sinne eines möglichst üblichen Arbeitsverhältnisses. Das vorrangige Ziel bleibt allerdings die individuelle und sozialräumliche Stimmigkeit des Angebots unter der Maßgabe der ständigen Passungsüberprüfung.

Zielgruppe Die Zielgruppe sind Menschen mit Komplexer Behinderung. Dabei bezieht sich der Begriff nach Fornefeld15 einerseits auf die individuelle Lage der Person, sprich es liegt zum einen eine körperliche, geistige und/oder seelische Beeinträchtigung vor („eine Behinderung haben“). Zum anderen lässt sich feststellen, dass durch Verhaltensweisen und Voraussetzungen der Umwelt und Gesellschaft die Partizipation erschwert ist („behindert werden“). Ein Zusammenspiel der individuellen und gesellschaftlichen Faktoren führen insgesamt zu einer solch starken Beeinträchtigung der Teilhabe, dass ein Mensch mit Komplexer Behinderung nicht im ausreichenden Sinne in der Gesellschaft arbeiten und sich bilden kann. Diesen Zusammenhang zwischen inneren und äußeren Faktoren, die zu einer schweren Behinderung führen, wird mit dem Begriff Komplexe Behinderung dargestellt. Das Angebot arbeitet folglich daran, möglichst Barrieren innen wie außen abzubauen und eine möglichst hohe und hochwertige Teilhabe zu ermöglichen. Für Menschen mit folgenden Erfahrungen und Lebenswirklichkeiten16 ist das Konzept ausgelegt. Diese Merkmale sind als Anzeichen dafür zu sehen, dass das Angebot passend ist.

- es besteht der Wunsch ein sinnvolles Angebot zur Tages- und Lebensgestaltung wahrzunehmen

15 Fornefeld, 2008, S.59-64 16 die beschriebenen Punkte sind teilweise angelehnt an die Beschreibung von Lebenswirklichkeiten nach Fornefeld (vgl. 2008, S. 58)

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- es besteht der Wunsch und die Bereitschaft den Lebensbereich Arbeit und Bildung außerhalb der eigenen Wohnung mit Erfahrungen und Sinn zu füllen

- andere Angebote zur Arbeits- und Bildungsteilhabe wie Tagesförderstätte, Werkstätte für behinderte Menschen, Tagespflege oder Ähnliches sind unpassend und/oder die Teilnahme ist aus Sicht des Nutzers unzumutbar und unzureichend

- es liegt ein besonderer und hoher Hilfebedarf in der pädagogischen, pflegerischen und hauswirtschaftlichen Alltagsbewältigung vor

- es besteht eine Gefahr der Exklusion - die Kommunikation und Wunschäußerung ist erschwert in Ausdruck und

Fremdwahrnehmung - das eigene Verhalten wird als (stark) abweichend wahrgenommen - es gibt Erfahrungen vom Scheitern und Abbrüchen sozialer Beziehungen - es gab in der Vergangenheit viele unkoordinierte Interventionen medizinischer,

pädagogischer, psychologischer oder anderer Art - Gefahr als „Pflegefall“ betrachtet zu werden - Gewalterfahrungen, Möglichkeit von Traumata

Wie sich zeigt, stellen die Angebotsnutzer eine äußerst heterogene Gruppe dar. Prinzipiell ist das Angebot für jeden Menschen mit Komplexer Behinderung geeignet. Die Qualifikation des Personals und die Zielvorstellung des Angebots stoßen allerdings an die Grenzen der Umsetzbarkeit, wenn eine Person absehbar auf längere Zeit einer psychiatrischen oder psychologischen Behandlung Bedarf. Dies kann sich unter anderem in stark auffälligen, problematischen Verhaltensweisen sowie Selbst- und Fremdaggression oder starkem Suchtverhalten zeigen. Wenn angezeigt ist, dass ein Mensch einer intensiven psychologischen oder psychiatrischen Begleitung bedarf, so wird die pädagogische Fachkraft im Zusammenschluss mit dem zuständigen Fachdienst einen vorübergehenden Ausschluss und eine Verweisung auf psychologisch-psychiatrische Angebote vornehmen. Als Grundbedingung ist zu nennen, dass der Nutzer ein trägerübergreifendes persönliches Budget beantragt und bewilligt hat17 oder die Assistenzleistungen selbst finanziell begleichen kann.

Bedürfnisorientierung Die tägliche Zusammenarbeit zwischen Assistenznehmer und –geber ist grundsätzlich auf die Befriedigung von Grund- und Wachstumsbedürfnissen18 ausgerichtet. Dabei wird berücksichtigt, dass zunächst physiologische und Sicherheitsbedürfnisse erfüllt sein müssen. Erst danach sind in der Regel andere Aktivitäten zur Befriedigung von Sozial-, Anerkennungs- und Selbstverwirklichungsbedürfnissen möglich. Die Situation der beeinträchtigten Person erfordert vom Assistenten die Bedürfnislage gut zu erkennen und zu deren Erfüllung mittels Assistenz beizutragen. Hierzu ist es notwendig pädagogische, pflegerische und hauswirtschaftliche Maßnahmen im Miteinander oder übernehmend auszuführen. Es müssen hierfür die notwendigen Fachkenntnisse des Personals, sowie Zeit und entsprechend ausgestattete Räume19 bereit stehen.

17 siehe hierzu „Rahmenbedingungen“→ „Finanzierung“ 18 vgl. Maslow, 1943 19 vgl. hierzu Kapitel „Rahmenbedingungen“ und „Qualität“

12

Die Maßnahmen sind dabei immer auf die Ermöglichung von Bildungs- und Arbeitsprozessen ausgerichtet. Vor allem in der zeitlich teilweise aufwändigen Pflege gilt immer der Anspruch folgender (basaler) Bildungsziele nach Klauß20:

- Kultur vermitteln - Wahrnehmung fördern - Kompetenzen erwerben - Selbstständigkeit fördern - Kommunikative Fähigkeiten verbessern - Selbstbestimmung ermöglichen - Umwelt gestalten

Darüber hinaus werden die Maßnahmen und Tätigkeiten an sensomotorischen Lebensweisen nach Mall21 orientiert. Dieses Modell dient dabei als Orientierung für den Assistenten das aktuelle Thema und individuellen Sinn im Dialog mit vor allem stark beeinträchtigten Menschen erkennen und deuten zu können. Dementsprechend können sich Bedürfnisse ableiten, die das Folgehandeln und die Weiterentwicklung des Entwicklungsprozesses beeinflussen. Die folgende Übersicht22 über sensomotorische Lebensweisen veranschaulicht diese Deutungshilfe:

7. Sich mitteilen und sich einfühlen

⇑ 6 .Sich einbringen und teilhaben

⇑ 5. Eigene Wirksamkeit erleben

⇑ 4. Die Umwelt mit den Sinnen entdecken

⇑ 3. Den Körper in Bewegung erleben

⇑ 2. Überleben. Sicherung der Vitalfunktionen

⇑ 1.Einheit in Beziehung – Sicherheit – Vertrauen

Es wird deutlich, dass die im gemeinsamen Austausch erzeugten Angebote, Maßnahmen und schließlich Tätigkeiten immer vom einzelnen Menschen aus entwickelt werden. Diesem Anspruch der Bedürfnisorientierung verpflichtet sich das Assistenzangebot in höchstem Maße unabhängig vom Ausmaß der Beeinträchtigung des Menschen.

20 Klauß, 2003 zitiert nach Schlichting & Damag, 2013 21 vgl. Mall , 2016, S.68 22 vgl. ebd.

13

Sinnvolle Tages- und Lebensraumgestaltung Aus Sicht des Nutzers bietet das Angebot einen Rahmen, in dem eine subjektiv sinnvolle Gestaltung des Alltags hinsichtlich Arbeit und Bildung möglich ist. Durch die personorientierte Ermittlung des Bedarfs und der eigenen Interessen bildet sich für jeden Nutzer ein individueller Tages-, Wochen – und Jahresplan. Dieser ist mit Aktivitäten und Angeboten ausgestattet, die regelmäßig und entwicklungsgemäß umgesetzt werden. Es ist dabei selbstverständlich, dass die Angebote immer im Dialog mit dem Nutzer wandelbar sind und sich so an die jeweiligen und aktuellen Bedürfnisse anpassen. Die Individualität und Passgenauigkeit des Angebots für den Assistenznehmer schließt dabei nicht aus, dass Gruppenaktivitäten stattfinden. Im Gegenteil ist es für manches Vorhaben sinnvoll und sogar notwendig dies in einer heterogenen Lern- und Arbeitsgruppe durchzuführen. Dabei können die verschiedenen vorhandenen Ressourcen der Gruppe miteinander zum Gelingen beitragen23. Zum besseren Verständnis soll dieser exemplarische und fiktive Wochenplan dienen. Dieser kann den Bedürfnissen des Nutzers entsprechend unterschiedlich in Vielfalt, Anzahl und Länge der Angebote ausfallen:

Montag Dienstag Mittwoch Donnerstag Freitag

Morgen

Morgendialog* und Wochen-Überblick (Gruppe)

Morgendialog* (Gruppe)

Großer Dialog (Gruppe)***

Morgendialog* (Gruppe)

Morgendialog* (Gruppe)

Vormittag

Probe für inklusives Theaterstück (Einzel)

Arbeits-beteiligung bei Supermarkt (Einzel)

Stärkung der verbalen Kommunikation mit Logopäden (Einzel)

Helfen bei Essensausgabe der Priener Tafel (Einzel)

Mittag Mittagessen und Pause, Pflegezeit

Mittagessen und Pause, Pflegezeit

Mittagessen und Pause, Pflegezeit

Mittagessen und Pause, Pflegezeit

Mittagessen und Pause, Pflegezeit

Nachmittag

Probe für inklusives Theaterstück (Gruppe)

Teilhabe-gespräch mit Bezugs-assistent**

vereinbarter „kurzer Tag“; frühere Fahrt zur Wohnung

Verwaltungs-arbeiten: Post und E-Mail-Anfragen bearbeiten (mit einem Kollegen)

Kultur-nachmittag (Gruppe): Museumsbesuch mit „Barrierefreiheits-Check“

Fahrt zur Wohnung

Fahrt zur Wohnung

Fahrt zur Wohnung

Fahrt zur Wohnung

Abbildung 3: Exemplarischer Wochenplan, eigene Darstellung

* Gespräch zwischen Kollegen, kollegialer Austausch der Nutzer, Besprechung der Tagesplanung (mit Assistenz), Organisatorisches zum Tag

** Themen: Reflexion und Weiterentwicklung der aktuellen individuellen Angebote; Reflexion und Änderungswünsche für Gruppenangebote, aktuelle Situation und Wohlbefinden, Ausblicke und weitere eigene Visionen, Vorbereitung und Reflexion der Persönlichen Zukunftsplanung, gemeinsame Reflexion und Anpassung der Zielarbeit gemäß Zielvereinbarung (Persönliches Budget)

*** Themen: ausführlicher Austausch aller Nutzer mit Reflexion aktueller (Gruppen-)Angebote, Bearbeitung neuer Anfragen, neue Angebotsentwicklung, Ideen und Visionen für die nahe Zukunft, Ergebnisse aus den individuellen Teilhabegesprächen, Einladung von Experten des Sozialraums

23 Siehe hierzu „Methoden und Inhalte“

14

Dieser Plan ist eingebettet in einen Jahreskreislauf, der zu einem fixen Zeitpunkt im Jahresverlauf erstellt und regelmäßig (quartalsweise) reflektiert wird. Es finden regelmäßige, das heißt wöchentlich bis monatliche Auftrags- und Teilhabegespräche zwischen Assistenznehmer und –geber statt. Dabei werden neben dem Wohlbefinden die Art, Umfang und Anzahl der Assistenzangebote betrachtet und gegebenenfalls angepasst.

15

Methoden und Inhalte Entsprechend der Zielsetzung leitet sich die Methodik ab, die sich in drei aufeinander bezogene Grundabsichten unterteilen lässt.

Abbildung 4: Methodischer Kreislauf, eigene Darstellung

In der Praxis gehen diese Kategorien fließend ineinander über, wodurch ein Dreiklang der Methoden entsteht, der wie folgt näher beschrieben wird.

Suchen Das erste Methodenbündel steht unter dem Motto „Suchen“. In dieser Kategorie dienen die Herangehensweisen vor allem dazu, passende Angebote für Arbeit und Bildung und deren Rahmenbedingungen zu ermitteln und zu schaffen. Vordergründig sind hier diese Methoden zu nennen24:

- Persönliche Zukunftsplanung/Zukunftskonferenz25 - Ressourcendialoge (Gespräche, Interaktionen, Beobachtung und Deutungen des

Assistenten im Dialog mit dem Menschen mit Beeinträchtigung zur Ermittlung der Talente und Interessen der Person sowie der Ressourcen der Umwelt)

- Sozialraumerkundung und -aktivierung (Kennenlernen und Kontaktaufnahme hinsichtlich möglicher sozialräumlicher Ressourcen und Partner, Inanspruchnahme der Möglichkeiten)

24 Es besteht grundsätzlich eine methodische Offenheit für neue und andere Ansätze. Daher besteht bei dieser Aufzählung kein Anspruch auf Vollständigkeit 25 Die folgenden Methoden können Teile der Persönlichen Zukunftsplanung (PZP) darstellen oder im Zusammenhang mit Zukunftskonferenzen (PZK) eingesetzt werden. Dies kann sich im Sinne der Vor- und Nachbereitung der Konferenz vollziehen. PZP und PZK können auch extern begleitet und durchgeführt werden. Es wird dann auf die ermittelten Anforderungen und Ergebnisse Bezug genommen und dementsprechend umgesetzt.

Suchen•Ermitteln und

Schaffen von Teilhabeangeboten

•organisatorische und praktische Assistenz

Finden•Durchführen und Umsetzen der

Angebote

•praktische und organisatorische Assistenz

Reflexion•Austausch mit

Beteiligten

•Austausch mit Bezugsassistent

16

- Netzwerkarbeit (Aufbau und Pflege eines Unterstützerkreises) - Neuland: Einzel- und Kursangebote zu neuen und anderen Arbeits- und

Bildungsmöglichkeiten

Finden Sind Methoden und daran anschließend Maßnahmen gefunden, so gilt es sie in die Tat umzusetzen und damit ein Erleben von Teilhabe und Teilgabe zu ermöglichen. Die Umsetzung kann sowohl inner- oder außerhalb des Zentralgebäudes erfolgen. Weiterhin werden diese bedarfsgerecht als Einzel- oder Gruppenmaßnahmen angeboten und können folgenden Bereichen von Arbeit und Bildung26 zugeordnet werden. Zum besseren Verständnis des thematischen Überblicks werden einige exemplarische Tätigkeiten genannt.

Arbeit Bildung

Garten- und Landschaftspflege

Rasenmähen

Gemüse anbauen

Abfallwirtschaft und Recycling

Altglas sammeln

Holz

Schleifen eines Namensschildes

Lebensmittel und Gastronomie

Bestellungen annehmen

Vorspülen

Brot backen

Kunsthandwerk

Tonschalen herstellen

Büro und Verwaltung

Botengänge

Posteingangsstempel setzen

Hauswirtschaft

Staubsaugen

Kochen

Medien und Kommunikation

Kurierdienst

Flyer verteilen

Kunst

Skulpturen gestalten

ein Aquarellbild gestalten

Fotografieren

Musik

im Chor singen

Harfe spielen

Theater und Schauspiel

sich maskieren

Bühnenbild herstellen

Improvisationstheater spielen

Arbeitswelt

Hobel kennenlernen

Teig kneten

Sprache

internationalen Gast begrüßen

sich ohne Worte unterhalten

Gesundheit

andere Körperhaltung einnehmen

Entspannung

Fußball spielen Politik, Umwelt, Gesellschaft

Barrierefreiheit im Restaurant testen

26 Die tabellarische Übersicht ist nicht vollständig. Es besteht eine Offenheit und Erweiterungsmöglichkeit der Bereiche, Maßnahmen und Tätigkeiten.

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Produktion

Montagetätigkeit

Religion und Philosophie

Weihnachtsgeschichte hören

Plakat über sich selbst gestalten

Diese Übersicht dient der Orientierung, um Maßnahmen und Tätigkeiten anspruchsgemäß Arbeits- und Bildungsbereichen zuordnen zu können. In der praktischen Umsetzung kann es dabei auch zu Überschneidungen und Zusammenführungen einzelner Bereiche kommen. So können Bildungserfahrungen im Kontext Arbeit und umgekehrt stattfinden. Insofern beziehen sich in der praktischen Tätigkeit die beiden Bereiche Arbeit und Bildung teilweise aufeinander.

Reflexion Die regelmäßige Reflexion einer Maßnahme findet anschließend auf unterschiedlichen Ebenen statt. Zum einen im Dialog mit dem Bezugsassistenten, bei dem die Passung des Angebots hinsichtlich der Anforderungen und Rahmenbedingungen überprüft wird. Dabei werden unter anderem die Länge und Einsatzzeit, der Ort und Raum, die Tätigkeit als solche, notwendige Hilfsmittel oder Assistenzleistungen, die Anerkennungsform27 sowie das soziale Gefüge thematisiert. Darüber hinaus findet in ähnlicher Weise ein Erfahrungsaustausch mit den Beteiligten der Arbeits- oder Bildungskonstellation statt. Dabei kann der Assistent als Stellvertreter auftreten und das Interesse des Nutzers darstellen. Dieser Austausch mit Unterstützern, Arbeitgebern, Kursleitern oder Ähnlichen dient dazu die Sichtweise und mögliche Schwierigkeiten dieser zu erfahren. Im Sinne einer Konsensentscheidung kann dann eine Änderung der Rahmenbedingungen oder der Tätigkeit an sich vollzogen werden. Es sei darauf verwiesen, dass die Gestaltung einer individuellen Wochen- und Jahresstruktur auf Grundlage üblicher Arbeits- und Bildungsbereiche wie dargestellt geschieht. Dies trägt einerseits dem Anspruch bedarfsgerechter Angebote Rechnung und garantiert gleichzeitig eine hohe Qualität. Der Mensch mit Beeinträchtigung kann sich folglich sicher sein, dass seine Interessen, Talente und Begabungen gesehen und gefördert werden unter der Folie eines allgemeinen und sinnerfüllten Bildungs- und Arbeitsverständnisses.

27 siehe „Zielsetzung“ → „Arbeit“

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Rahmenbedingungen Die beschriebene Zielsetzung und Methodik verlangt bestimmte Bedingungen, die wie folgt beschrieben sind. Diese Standards dienen der Qualitätssicherung des Angebots und tragen so zu einer erfolgreichen Umsetzung bei.

Auftrag und Leistungsspektrum Das Angebot bedient Leistungsarten, die Menschen mit Behinderung zustehen und über die Beauftragung eines Assistenzdienstleisters im Sinne des persönlichen Budgets geltend gemacht werden können. Zu Beginn des Angebots wird ein vertraglich geregelter Assistenzauftrag nach Wunsch des Nutzers vereinbart. Dieser Vertrag beinhaltet eine Nutzungszeit des Angebots und eine Beauftragung zur Zielerreichung. Das Angebot steht in der Regel von Montag bis Freitag von 8:30-16:00 Uhr zur Verfügung. Bei Bedarf kann eine Leistungserbringung vor oder nach diesen Zeiten individuell vereinbart werden. Die Vergütung der vereinbarten, aber nicht genutzten Buchungszeit aufgrund von Abwesenheit des Nutzers wegen Krankheit oder Urlaub werden im entsprechenden Nutzungsvertrag geregelt. Die laufenden Fixkosten wie die anteilige Miete, Wartungskosten bleiben in gleicher Höhe bestehen. Die beauftragte Assistenz setzt sich aus pädagogischen, pflegerischen und hauswirtschaftlichen Leistungen zusammen. Es werden dabei die Anteile des täglichen Bedarfs an Pflege und Hauswirtschaft in der Zeit der Beauftragung veranschlagt, erbracht und berechnet. Pädagogische Leistungen werden nach Beauftragung des Nutzers gestaltet, geleistet und in Rechnung gestellt. Der Nutzer benennt dazu bestimmte Ziele, die aufgrund der Zielvereinbarung für das persönliche Budget mit dem Kostenträger bestehen. Entsprechend werden Assistenzleistungen in Form von Methoden, Maßnahmen und Tätigkeiten formuliert und erbracht, die der Zielerreichung dienen.

Personal Die Anzahl der Assistenten und deren Beschäftigungsausmaß richten sich nach dem Gesamtbedarf aller Nutzer. Das Personal setzt sich interdisziplinär aus Fachkräften der Pädagogik, Pflege und Hauswirtschaft zusammen. Die leitende Stelle wird von einer vorzugsweise pädagogischen Fachkraft besetzt. Es gibt jeweils eine zugeordnete Pflege- und Hauswirtschaftsleitung sowie einen Mitarbeiter des pädagogischen Fachdienstes28. Diese Personen fungieren als übergeordnete Ansprechpartner vor allem für die Leitung und Fachkräfte. Darüber hinaus werden Nicht-Fachkräfte für delegierbare Leistungen eingesetzt. Auch die Mitwirkung von ehrenamtlichen und freiwilligen Unterstützern wird gefördert und fachlich begleitet. Wenn der Auftrag des Nutzers eine Kompetenz verlangt, die das Team nicht fachlich ausreichend abbilden kann, so können auch auf Wunsch des Nutzers entsprechend Honorarkräfte

28 Solange das Angebot noch nicht eine wirtschaftlich tragfähige Größe erreicht hat, können diese übergeordneten Personalien als Stabstellen sowohl für den Unternehmensbereich ‚Wohnen und Freizeit‘ als auch ‚Bildung und Arbeit‘ zuständig sein.

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zeitweise akquiriert und vermittelt werden. Diese unterstehen dann der Leitung des Angebots. Das Kernteam umfasst eine Leitungskraft (Fachkraft) und die Teammitgliedern bestehend aus Fachkräften und Nichtfachkräften. Das erweiterte Team setzt sich zusätzlich aus nicht hauptamtlichen Personen (Ehrenamtliche und freiwillige Unterstützer) und gezielt eingesetzten Experten (Honorarkräfte) zusammen. Das folgende Organigramm verdeutlicht die Personalstruktur.

Abbildung 5: Organigramm der Personalstruktur, eigene Darstellung

Räumlichkeiten und Ausstattung Die Anforderungen an die zentralen Räume des Angebots richten sich nach dem Bedarf aller Beteiligten. Folglich ist die Barrierefreiheit für alle, insbesondere der Nutzer, zu gewährleisten. Dies meint unter Anderem den Zugang und Aufenthalt in den Räumen, ausreichend ausgestattete Pflege- und Sanitärbereiche sowie eine barrierefreie Küche und Hilfsmittel, die allgemein zur Verfügung stehen (zum Beispiel ein „Lifter“). Die Nutzfläche sollte bei circa 20 m2 pro Nutzer liegen. Die Räume sollten aus großen Gemeinschafts- und kleineren Arbeitsräumen bestehen, damit die Gruppen- und Einzelangebote zeitlich parallel durchgeführt werden können. Eine flexible Gestaltung der Raumaufteilung ist wünschenswert, um auf den wechselnden Bedarf der Nutzer eingehen zu können. Daneben wird ein Büroraum für die Assistenten benötigt, der die Möglichkeit zu Besprechungen und Dokumentation bietet. Ebenso sind Lagerräume und –flächen zu berücksichtigen. Je nach Zusammensetzung der Nutzergruppe stehen gemeinschaftlich nutzbare29, aber auch spezielle, individuelle Hilfsmittel zur Verfügung.

29 die gemeinschaftliche Nutzung wird unter den tatsächlichen Hilfsmittelnutzern geregelt

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Es steht auch bedarfs- und angebotsgerechtes Mobiliar, Ausstattungen und Maschinen30 zur Verfügung.

Finanzierung Es fallen grundsätzlich Kosten für die Raumnutzung sowie die beschriebenen Assistenzleistungen31 an. Diese stellen sich in bestimmten vertraglich geregelten fixen und variablen Kosten dar. Zu den Fixkosten zählen die anteiligen Raumnutzungskosten. Hierzu wird der individuelle Anteil nach Buchungszeit im Verhältnis zur Gesamtbuchungszeit der Nutzergruppe ermittelt und berechnet. Die Raumnutzungskosten ergeben sich aus Miete, Nebenkosten sowie Wartungs- und Erhaltungskosten der Räume und Ausstattung. Variable Kosten sind die berechneten Assistenzleistungen, die sich nach Buchungszeit und Zielerreichungsauftrag ergeben. Nicht genutzte Buchungszeit aufgrund von Krankheit, Urlaub oder anderweitiger Abwesenheit wird im Sinne der vertraglich geregelten Stornokosten berechnet. Die Assistenz wird in pädagogischen, pflegerischen und hauswirtschaftlichen Leistungen erbracht, dokumentiert und in Rechnung gestellt. Die fälligen Beträge sind wiederum vom persönlichen Budget bezahlbar, nachdem eine Zustimmung zur Kostenübernahme des Kostenträgers erfolgte.

30 als mögliche Beispiele sind hier zu nennen: Mobiliar: Schränke, Tische, Stühle, Schreinerbank

Ausstattungen: Musikinstrumente, Kunstbedarf, Computer, Gartengeräte Maschinen: Webstuhl, 3D-Drucker, Küchenmaschine

31 Siehe „Rahmenbedingungen“ → „Auftrag und Leistungsspektrum“

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Qualität Zur Sicherstellung der Qualität der Arbeit zwischen Assistenznehmer und -geber dienen die folgenden Standards. Diese sind in Bezug auf die Leistungsarten sowie das Personal hin beschrieben.

Qualität der Pädagogik Die pädagogische Qualität kann hinsichtlich der einzelnen Prozesse und im Sinne der Gesamtheit des Angebots wie folgt dargestellt werden:

Qualität der Prozesse Um eine hochwertige Assistenzleistung anzubieten, bedarf es dem dialogischen Austausch von Assistenznehmer und –geber. Diese finden in allen Bereichen eines pädagogischen Prozesses statt, der sich wie folgt im Sinne eines sich wiederholenden Kreislaufes aufgliedern lässt:

Orientie-rung

Planung

Durch-führung

Erfahrung

Reflexion

Abbildung 6: Momente des pädagogischen Prozesses, eigene Darstellung

Auf-nahme

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Aufnahme So spielt in der Orientierungsphase grundsätzlich das Eingangsverfahren zu Beginn der Angebotsnutzung eine entscheidende Rolle. Bei der Aufnahme eines Nutzers liegt ein standardisiertes Verfahren vor, welches den aktuellen Entwicklungsstand des Nutzers erfasst. Dabei werden Ressourcen und Fähigkeiten, sowie Interessen und Begabungen kennengelernt. Dies geschieht individuell durch Methoden wie Interviews mit dem Nutzer und nahestehenden Personen, Gespräche mit professionellen Helfern aus anderen Lebensbereichen oder auch Unterlageneinsicht von Zeugnissen, Hilfebedarfserfassungen, Diagnosen und Ähnliches. Ebenfalls wird auf eine eventuell vergangene Zukunftsplanung Bezug genommen oder die Umsetzung dieser in naher Zukunft empfohlen und dabei assistiert.

Orientierung Neben den inneren Ressourcen haben die äußeren Ressourcen des Sozialraums für ein Vorhaben eine gewichtige Bedeutung. Deshalb gilt es im Sinne der Sozialraumerkundung, Netzwerkarbeit und Ausstattungsgewährleistung32 diese zu entdecken. Dies kann durch eigenes Erkunden oder über das soziale Umfeld und deren Kontakte und Wissen gelingen. Wenn bestimmte Ausstattungen und Hilfsmittel notwendig sind, so gilt es diese zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls individuell anzupassen. Die Qualität der Orientierungsphase lässt sich folglich anhand des Umfangs und Nützlichkeit der erkannten und einsetzbaren Möglichkeiten feststellen.

Planung Diese ermittelten äußeren und inneren Ressourcen fließen in die Prozessplanung mit ein, welche für alle Beteiligten überschaubar und nachvollziehbar sein muss. Darüber hinaus verschreibt sich eine sinnvolle Planung einer Entwicklungs- und Situationsangemessenheit sowie dem Ermöglichen von sinnvollen Erfahrungs- und Erlebensräumen. Es ist eine Flexibilität und Anpassung der (erneuten) Planung notwendig, die sich wiederkehrend aus den Ergebnissen der Reflexionsphase ergibt. Unter Umständen ist eine teilweise erneute Betrachtung der sozialen und/oder individuellen Bedingungen notwendig. Dies bedeutet, dass die Orientierungsphase nochmals in Teilen vollzogen wird und Ergebnisse daraus in die Planung einfließen.

Durchführung Die Durchführung eines Arbeits- oder Bildungsprozesses orientiert sich an den Grundsätzen des Leitbildes. Der Gewinn an Erfahrung findet zum Teil gleichzeitig und zum anderen Teil erst nach dem unmittelbaren Erleben statt und nimmt Einfluss auf die Reflexion des Prozesses.

Reflexion Die Qualität eines Prozesses kann in der Reflexionsphase evaluiert und entsprechend angepasst werden. Hierzu gibt es einen kritischen Assistenzdialog zwischen Assistent und Auftraggeber, bei dem die Form, Art und Umfang der Assistenz und des Angebots an sich betrachtet wird. Als Orientierung hierzu dienen zwei Leitfäden, die Fragen zu den Handlungsgrundlagen sowie die alltägliche Umsetzung beinhalten33. Unter Beteiligung von

32 Als Beispiele für die methodische Umsetzung sind zu nennen: Netzwerkkarte, Kontaktpflege oder Ressourcenkarte 33 Siehe hierzu Anhang 1 „Handlungsgrundlagen“ und Anhang 2 „Alltägliche Umsetzung“; die Leitfäden sind von Marlies Pörtner (Pörtner, 2017, S. 132f) adaptiert

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Assistenznehmer und -geber werden Veränderungen vorgenommen, aber auch stabilisierende Faktoren bewusst beibehalten. Es finden darüber hinaus Gespräche und der Austausch mit weiteren Beteiligten statt. Hierbei wird die Sichtweise anderer Beteiligter (Kunden, Arbeitgeber, Kollegen, ehrenamtliche Helfer, et cetera) und deren Rahmenbedingungen angesprochen und gemeinsam konsensfähige Veränderungen erarbeitet und umgesetzt.

Kreislauf und Dokumentation Letztlich fließen die gewonnen Erkenntnisse und Erfahrungen aller Beteiligten in die neue Planung mit ein. In dieser Weise passen sich die Bedingungen des Prozesses immer mehr den inneren und äußeren Ressourcen an. Ein ständiges Bestreben, die besten Möglichkeiten zu erkennen und einzusetzen, zeichnet die Qualität des Prozesses insgesamt aus. Um die Qualität des Angebotes nachvollziehbar zu gestalten, werden die Informationssammlungen und Dialoge dokumentiert. So gibt es für das Eingangsverfahren, sowie die Assistenzdialoge und Reflexionen mit Beteiligten entsprechende Formulare. In diesen werden die angesprochenen Themen, Inhalte und Ergebnisse, die für den weiteren Verlauf notwendig sind, festgehalten. Als zusätzliche Maßnahme zur Qualitätssicherung liegen die dokumentierten Prozesse dem pädagogischen Fachdienst vor. Es besteht die Möglichkeit den Fachdienst in beratender Funktion zu Gesprächen hinzuzuziehen, sofern dies von einem Beteiligten erwünscht ist. Die Aufgabe des Fachdienstes liegt darin, den Prozess dahingehend zu reflektieren, ob dem Leitziel und den Qualitätskriterien gemäß gearbeitet wird. Grundsätzlich steht das Angebot einer externen Qualitätsüberprüfung offen gegenüber, insbesondere wenn die vorangegangen Qualitätssicherungsmaßnahmen nicht greifen sollten und ein entsprechendes Beschwerdeanliegen vorliegt.

Qualität des Gesamtangebots und Konzeptes Neben dieser Qualitätssicherung der einzelnen Prozesse findet in regelmäßigen Abständen ein Austausch zwischen (pädagogischem) Personal und dem Fachdienst statt. Dabei wird übergreifend die allgemeine Qualität aller Angebote hinsichtlich der Konzeptgemäßheit (Leitbild und Qualitätskriterien) und den allgemeinen Rahmenbedingungen kritisch überprüft. Dabei werden neben der Arbeitsweise auch die Ausstattung, Hilfsmittel, Orte und Räume sowie zeitlichen Rahmenbedingungen der Bildungs- oder Arbeitsangebote betrachtet. Diese Gesamtüberprüfung geschieht mindestens einmal pro Jahr. Die beschriebene Evaluation dient auch der konzeptionellen Entwicklung des Angebotes. Dabei werden notwendige Änderungen des Konzepts vom Fachdienst vorgenommen. Diese fließen anschließend durch Schulung und Information an die Leitung und das Personal weiter, die für die Umsetzung verantwortlich sind. Einer externen Qualitätsüberprüfung des Gesamtangebots und Konzeptes wird mit Offenheit begegnet. Dieser Reflexionsrahmen wird darüber hinaus im Sinne einer konstruktiv-kritischen Weiterentwicklung begrüßt.

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Qualität der Pflege Die Qualität der pflegerischen Maßnahmen erfolgt gemäß dem Pflegehandbuch des ambulanten Dienstes34. Dieses ist über die Pflegedienstleitung anforderbar. Es wird ein Exemplar in der Zentralstelle verwahrt und kann dort ebenfalls eingesehen werden. Die Aufsicht der pflegerischen Qualität und Dokumentation unterliegt der Pflegedienstleitung. Liegt eine Pflegebedürftigkeit eines Nutzers vor, so erfolgt im Zuge des Eingangsverfahrens eine Pflegeanamnese. Die Pflege- und Dokumentationsstandards erfolgen auf Grundlage des Qualitätshandbuches.

Qualität der Hauswirtschaft Wenn im Alltag und bei den Angeboten hauswirtschaftliche Tätigkeiten stattfinden, so unterliegen diese aktuellen hauswirtschaftlichen Hygiene- und Dokumentationsstandards. Diese sind einsehbar im genannten Qualitätsmanagementhandbuch in den Teilen „Dienstleistung Hauswirtschaft“ (C), „Essen auf Rädern/Küche“ (D) sowie „Hygiene“ (I). Die Hauswirtschaftsleitung beaufsichtigt und gewährleistet die Qualität hauswirtschaftlicher Leistungen.

Qualität des Personals Das Personal setzt sich, orientiert an den Leistungen, aus verschiedenen Fachbereichen zusammen, entsprechend der beschriebenen Personalstruktur35. Folgende Maßnahmen werden getroffen, um die pädagogische, neben pflegerischer und hauswirtschaftlicher Qualität zu gewährleisten:

Standardisierte Einarbeitung neuer Mitarbeiter

Teambesprechungen

regelmäßige Mitarbeitergespräche zwischen Leitung und Teampersonal

kollegiale Fallberatung

pädagogische (Fall-)Beratung durch den Fachdienst

regelmäßige Fort- und Weiterbildungen (intern/extern)

fallbezogene oder allgemeine Fortbildungen des pädagogischen Fachdienstes, Pflegedienstleitung, Hauswirtschaftsleitung

Supervision

34 Dies findet sich im „Qualitätsmanagementhandbuch Ambulanter Dienst“, Teil B: Pflegehandbuch 35 siehe „Rahmenbedingungen“ → „Personal“

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Schlusswort Das vorliegende Konzept dient dem Anspruch und der Überzeugung, dass „Bildung und Arbeit für alle“ nicht nur möglich, sondern eine verpflichtende Aufgabe unserer Gesellschaft ist. Insofern versteht sich das beschriebene Angebot für Menschen mit Komplexer Behinderung als ein Beitrag zum Gelingen dieser gesamtgesellschaftlichen Anforderung. Gleichzeitig bezieht sich das Angebot auf das Ausleben der individuellen Rechte auf Arbeit, Bildung und freie Persönlichkeitsentfaltung eines jeden Menschen, wie sie schon im Grundgesetz und als Menschenrechte36 beschrieben sind.

Bildung und Arbeit für alle!

Diese Aussage darf nicht länger eine fragende, sondern nur noch eine fordernde und feststellende sein. Nicht ein „ob“, sondern das „wie“ dies gelingen kann, steht nun im Raum. Das Konzept, das die notwendigen Rahmenbedingungen und Ansätze beschreibt, gibt hier eine Antwort. Eine Antwort, die es zu leben gilt, die nach einer Umsetzung schreit und die getreu dem (bayrischen) Motto unter Mithilfe aller Beteiligten Wirklichkeit werden kann:

Pack‘ ma’s ZAM o!37

36 siehe Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Artikel 2 und 12 (Parlamentarischer Rat, 1949) sowie Menschenrechterklärung Artikel 3, 22, 23, 26 (Vereinte Nationen, 1948) 37 hochdeutsche Übersetzung: Gehen wir es gemeinsam an! (Packen wir es zusammen an!)

26

Literaturverzeichnis Ackermann, K.-E. (2013). "Schule aus - was nun?". In N. Maier-Michalitsch, & G. Grunick

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für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf. In N. Maier-Michalitsch, & G. Grunick (Hrsg.), Bildung und Arbeit von Erwachsenen mit schweren und mehrfachen Behinderungen (S. 110-132). Düsseldorf: verlag selbstbestimmtes lernen.

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Maslow, A. (1943). A theory of human motivation. Psychological Review, S. 370-396. Parlamentarischer Rat. (1949). Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Grundgesetz

für die Bundesrepublik Deutschland in der im Bundesgesetzblatt Teil III, Gliederungsnummer 100-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, das durch Artikel 1 des Gesetzes vom 13. Juli 2017 (BGBl. I S. 2347) geändert worden ist.

Pörtner, M. (2017). Ernstnehmen - Zutrauen - Verstehen. Personzentrierte Haltung im Umgang mit geistig behinderten und pflegebedürftigen Menschen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Rogers, C. (1983). Der neue Mensch. Stuttgart: Klett-Cotta. Schlichting, H., & Damag, A. (2013). Bildung im (Pflege-)Alltag von Erwachsenen mit schweren

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Stinkes, U. (2008). Bildung als Antwort auf die Not und Nötigung, sein Leben zu führen. In B. Fornefeld (Hrsg.), Menschen mit Komplexer Behinderung (S. 82-107). München: Ernst Reinhardt.

Tausch, A.-M., & Tausch, R. (1979). Gesprächspsychotherapie. Einfühlsame hilfreiche Gruppen- und Einzelgespräche in Psychotherapie und alltäglichem Leben. (7. Ausg.). Göttingen, Toronto, Zürich: Verlag für Psychologie.

Theunissen, G., & Hoffmann, C. (1999). Assistenz - ein Schlüsselbegriff nicht nur für Menschen mit einer Körperbehinderung. (Bundesverband evangelische Behindertenhilfe e.V., Hrsg.) Orientierung(1999/3).

Vereinte Nationen. (1948). Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Resolution der Generalversammlung, UN Doc. GA/RES 217A(III).

Vereinte Nationen. (2006). Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderung (Stand 2017 Ausg.). (Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Hrsg.)

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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Von der Anerkennung zur Identität, eigene Darstellung ...................................... 3

Abbildung 2: Übersicht des Leitbildes, eigene Darstellung ........................................................ 7

Abbildung 3: Exemplarischer Wochenplan, eigene Darstellung .............................................. 13

Abbildung 4: Methodischer Kreislauf, eigene Darstellung ...................................................... 15

Abbildung 5: Organigramm der Personalstruktur, eigene Darstellung ................................... 19

Abbildung 6: Momente des pädagogischen Prozesses, eigene Darstellung ............................ 21

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Anhang Anhang 1: „Handlungsgrundlagen“ 38

Leitfaden zu Handlungsgrundlagen Gleichgewicht Rahmen – Spielraum

Ist der Rahmen den einzelnen Personen angemessen? Zu eng? Zu weit?

Bleibt ihnen genügend Spielraum Ist er zu groß, zu klein?

Klarheit

Wie klar sind Mitarbeitende in ihrer Ausdrucksweise und in ihrem Handeln? Nicht was fehlt ist entscheidend, sondern was da ist

Können Mitarbeitende die Ressourcen eines Menschen erkennen, oder orientieren sie sich vorwiegend an seinen Defiziten wie „Problemverhalten“, Symptomen, Beeinträchtigungen?

Die kleinen Schritte

Können Mitarbeitende kleine Entwicklungsschritte sehen und benennen und dem Nutzer deutlich machen?

Ermutigen → nicht nur auf Ziele fixiert sein Selbstverantwortung

In welchen konkreten Punkten - kann der Nutzer selber entscheiden? - Wird ihm/ihr die Verantwortung überlassen?

38 Adaption des Leitfadens nach Pörtner 2017, S. 132

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Anhang 2: „Alltägliche Umsetzung“39

Leitfaden zur Alltäglichen Umsetzung Erfahrungen ermöglichen

Ermöglichen Mitarbeitende den Nutzern genügend eigene Erfahrungen? Oder neigen sie dazu, für sie zu entscheiden und zu handeln? Wie werden negative Erfahrungen aufgefangen?

Auf das Erleben eingehen

Verstehen und berücksichtigen Mitarbeitende, wie die jeweilige Situation vom Nutzer erlebt wird?

Eigenständigkeit unterstützen

In welchen konkreten Punkten wird die Eigenständigkeit des Nutzers unterstützt und respektiert?

Überschaubare Wahlmöglichkeiten

Welche Wahlmöglichkeiten werden dem Nutzer geboten? Ausreichend? Zu wenig? Kann der Nutzer sie nutzen? Ist er überfordert?

Stützen für selbstständiges Handeln

Werden den Nutzern die Stützen geboten, die sie brauchen? Sind sie angemessen? Den eigenen Anteil erkennen

Sind Mitarbeitende fähig und bereit, das eigene Handeln zu reflektieren? Zuhören/ Ernstnehmen/ die Sprache des Gegenübers finden

Sind Mitarbeitende fähig und bereit, ihre eigenen Vorstellungen beiseite zu stellen und sich auf die Welt des anderen Menschen einzulassen?

39 Adaption des Leitfadens nach Pörtner 2017, S. 133

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Impressum Text und Inhalt: Oliver Strauß

Fachdienst Pädagogik Behindertenhilfe Mayer-Reif Scheck (Unternehmung der Mayer-Reif-Scheck ambulante Pflege und Betreuung GmbH)

Kontakt: Hochriesstraße 26, 83209 Prien am Chiemsee

08051 – 96 77 97 222 [email protected]

www.behindertenhilfe-mrs.de Beauftragung durch Geschäftsführung der Mayer-Reif-Scheck ambulante Pflege und

Betreuung GmbH: Stefan Mayer, Alois Reif, Stefan Scheck

Kontakt: [email protected] www.mrs-ambulant.de www.behindertenhilfe-mrs.de

Genehmigung durch Geschäftsführung der Mayer-Reif-Scheck ambulante Pflege und

Betreuung GmbH: Stefan Mayer, Alois Reif, Stefan Scheck Urheber und copyright: © 2017 Oliver Strauß Stand: 16.10.2017