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Der Schmerz 5•2000 | 351 Zusammenfassung Hintergrund. Kopfschmerzen gehören zu den häufigsten Gesundheitsproblemen von Kindern und Jugendlichen. Zwischen 50 und 90% aller pädiatrischen Patienten leiden während ihrer ersten beiden Lebensjahr- zehnte irgendwann einmal unter dem einen oder anderen Kopfschmerzsyndrom. Auf- grund wechselnder Prävalenzraten, mehr oder weniger komplizierten Klassifikations- systemen, inkonstanten bzw. intra- und interindividuell stark variierenden Behand- lungserfolgen und hohen Plazeboresponse- raten werden pädiatrische Kopfschmerz- patienten in der ärztlichen Praxis ungern gesehen, gilt ihre Betreuung als schwierig und undankbar. Diagnose und Therapie. Mit der Einführung des Klassifikationsschemas der Internationa- len Kopfschmerzgesellschaft, neuen Erkenntnissen über die Pathophysiologie verschiedener Kopfschmerzsyndrome und der Entwicklung neuer Optionen für die symptomatische und kausale Behandlung ergeben sich aktuell jedoch durchaus attrak- tive Möglichkeiten sowohl für eine pragma- tische differenzialdiagnostische Evaluation als auch für eine sinnvolle Behandlung pädiatrischer Kopfschmerzpatienten in Klinik und Praxis. Schlüsselwörter Kinder · Kopfschmerz · Migräne · Spannungskopfschmerz · Diagnostik · Therapie Kopfschmerzen gehören zu den häu- figsten Gesundheitsproblemen von Kin- dern und Jugendlichen in den Industrie- nationen der westlichen Welt [13]. Des- sen ungeachtet sind Kopfschmerzpati- enten in der kinder- und jugendärztli- chen Praxis nicht allzu gern gesehen, gilt ihre Betreuung doch als schwierig und undankbar. Mögliche Erklärungen hier- für sind sicherlich zum einen die auf den ersten Blick verwirrende Kopfschmerz- klassifikation (die immer wieder zu Pro- blemen in der diagnostischen Zuord- nung kindlicher Kopfschmerzen führen kann) sowie ausgeprägte Plazebo- bzw. inkonstante Verumeffekte in der Be- handlung pädiatrischer Kopfschmerz- patienten (die zur Persistenz wissen- schaftlich erwiesenermaßen unwirksa- mer Therapien führen und homöopathi- schen, naturheilkundlichen oder gar au- ßermedizinischen Therapierichtungen ein lukratives Schattendasein ermögli- chen). Epidemiologie Über die Prävalenz von Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter war lange Zeit nur wenig bekannt, und bis heute liegen eigentlich nur für erwachsene Kopfschmerzpatienten ausreichend va- lide Daten vor. Nach neueren Untersu- chungen zur Prävalenz von Kopfschmer- zen bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland berichten bereits bei der Einschulung >10% aller Schulkinder über eigene Erfahrungen mit Kopf- schmerzen von hohem Leidensdruck. In den folgenden Schuljahren erhöht sich diese Häufigkeit von 83% (bei 8- bis 9- Jährigen) und 90% (bei 11–12 Jahre alten Schülern) auf letztlich >93% (bei 15–16 Jahre alten Jugendlichen). Dabei leiden rund 60% aller Jugendlichen un- ter Kopfschmerzen vom Spannungstyp und nur etwa 10–12% unter rekurrieren- den Migräneattacken [19]. Kopfschmerzklassifikation und -diagnostik Akute und chronische Kopfschmerzen sind im Kindesalter häufig Begleitsym- ptome verschiedenster Infektionskrank- heiten mit oder ohne Fieber, können Folge systemischer Erkrankungen, Teil- aspekt einer akuten oder chronischen Störung des zentralen Nervensystems, psychisch bedingt, Unfallfolge oder – wie z. B. im Fall der Migräne bzw. der Spannungskopfschmerzen – Ausdruck einer eigenständigen Erkrankung sein. In der täglichen Praxis gilt es, abzu- wägen, ob die Kopfschmerzen harmlo- ses Symptom einer vorübergehenden bzw. behandelbaren Störung oder Aus- druck einer schwer wiegenden Erkran- kung sind. Auf der Grundlage anamne- stischer Angaben zum Erscheinungsbild der Kopfschmerzen und dem körperli- chen Befund ist zu entscheiden, ob die Kopfschmerzen sekundäres Symptom einer Erkrankung mit definiertem or- ganpathologischem Befund (so genann- te sekundäre Kopfschmerzen) oder Aus- druck einer eigenständigen Erkrankung Schwerpunkt: Schmerztherapie bei Kindern Schmerz 2000 · 14:351–361 © Springer-Verlag 2000 M. A. Überall 1 · H. Denecke 2 · B. Kröner-Herwig 3 1 Klinik für Kinder und Jugendliche, Universität Erlangen 2 Klinische Psychologie, Universität Düsseldorf 3 Klinische Psychologie und Psychiatrie,Georg-August-Universität Göttingen Kopfschmerztherapie im Kindes- und Jugendalter Priv. Doz. Dr. Michael A. Überall Oberarzt an der Abteilung für Neuropädiatrie, Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche, Loschgestraße 15, 91054 Erlangen E-mail:[email protected]. uni-erlangen.de

Kopfschmerztherapie im Kindes- und Jugendalter

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Der Schmerz 5•2000 | 351

Zusammenfassung

Hintergrund. Kopfschmerzen gehören zuden häufigsten Gesundheitsproblemen vonKindern und Jugendlichen. Zwischen 50 und90% aller pädiatrischen Patienten leidenwährend ihrer ersten beiden Lebensjahr-zehnte irgendwann einmal unter dem einenoder anderen Kopfschmerzsyndrom. Auf-grund wechselnder Prävalenzraten, mehroder weniger komplizierten Klassifikations-systemen, inkonstanten bzw. intra- undinterindividuell stark variierenden Behand-lungserfolgen und hohen Plazeboresponse-raten werden pädiatrische Kopfschmerz-patienten in der ärztlichen Praxis ungerngesehen, gilt ihre Betreuung als schwierigund undankbar.Diagnose und Therapie. Mit der Einführungdes Klassifikationsschemas der Internationa-len Kopfschmerzgesellschaft, neuenErkenntnissen über die Pathophysiologieverschiedener Kopfschmerzsyndrome undder Entwicklung neuer Optionen für diesymptomatische und kausale Behandlungergeben sich aktuell jedoch durchaus attrak-tive Möglichkeiten sowohl für eine pragma-tische differenzialdiagnostische Evaluationals auch für eine sinnvolle Behandlungpädiatrischer Kopfschmerzpatienten inKlinik und Praxis.

Schlüsselwörter

Kinder · Kopfschmerz · Migräne · Spannungskopfschmerz · Diagnostik · Therapie

Kopfschmerzen gehören zu den häu-figsten Gesundheitsproblemen von Kin-dern und Jugendlichen in den Industrie-nationen der westlichen Welt [13]. Des-sen ungeachtet sind Kopfschmerzpati-enten in der kinder- und jugendärztli-chen Praxis nicht allzu gern gesehen, giltihre Betreuung doch als schwierig undundankbar. Mögliche Erklärungen hier-für sind sicherlich zum einen die auf denersten Blick verwirrende Kopfschmerz-klassifikation (die immer wieder zu Pro-blemen in der diagnostischen Zuord-nung kindlicher Kopfschmerzen führenkann) sowie ausgeprägte Plazebo- bzw.inkonstante Verumeffekte in der Be-handlung pädiatrischer Kopfschmerz-patienten (die zur Persistenz wissen-schaftlich erwiesenermaßen unwirksa-mer Therapien führen und homöopathi-schen, naturheilkundlichen oder gar au-ßermedizinischen Therapierichtungenein lukratives Schattendasein ermögli-chen).

Epidemiologie

Über die Prävalenz von Kopfschmerzenim Kindes- und Jugendalter war langeZeit nur wenig bekannt, und bis heuteliegen eigentlich nur für erwachseneKopfschmerzpatienten ausreichend va-lide Daten vor. Nach neueren Untersu-chungen zur Prävalenz von Kopfschmer-zen bei Kindern und Jugendlichen inDeutschland berichten bereits bei derEinschulung >10% aller Schulkinderüber eigene Erfahrungen mit Kopf-schmerzen von hohem Leidensdruck. Inden folgenden Schuljahren erhöht sichdiese Häufigkeit von 83% (bei 8- bis 9-Jährigen) und 90% (bei 11–12 Jahre alten

Schülern) auf letztlich >93% (bei15–16 Jahre alten Jugendlichen). Dabeileiden rund 60% aller Jugendlichen un-ter Kopfschmerzen vom Spannungstypund nur etwa 10–12% unter rekurrieren-den Migräneattacken [19].

Kopfschmerzklassifikation und -diagnostik

Akute und chronische Kopfschmerzensind im Kindesalter häufig Begleitsym-ptome verschiedenster Infektionskrank-heiten mit oder ohne Fieber, könnenFolge systemischer Erkrankungen, Teil-aspekt einer akuten oder chronischenStörung des zentralen Nervensystems,psychisch bedingt, Unfallfolge oder –wie z. B. im Fall der Migräne bzw. derSpannungskopfschmerzen – Ausdruckeiner eigenständigen Erkrankung sein.

In der täglichen Praxis gilt es, abzu-wägen, ob die Kopfschmerzen harmlo-ses Symptom einer vorübergehendenbzw. behandelbaren Störung oder Aus-druck einer schwer wiegenden Erkran-kung sind. Auf der Grundlage anamne-stischer Angaben zum Erscheinungsbildder Kopfschmerzen und dem körperli-chen Befund ist zu entscheiden, ob dieKopfschmerzen sekundäres Symptomeiner Erkrankung mit definiertem or-ganpathologischem Befund (so genann-te sekundäre Kopfschmerzen) oder Aus-druck einer eigenständigen Erkrankung

Schwerpunkt: Schmerztherapie bei KindernSchmerz2000 · 14:351–361 © Springer-Verlag 2000

M. A. Überall1 · H. Denecke2 · B. Kröner-Herwig3

1 Klinik für Kinder und Jugendliche, Universität Erlangen2 Klinische Psychologie, Universität Düsseldorf3 Klinische Psychologie und Psychiatrie, Georg-August-Universität Göttingen

Kopfschmerztherapie im Kindes- und Jugendalter

Priv. Doz. Dr. Michael A. ÜberallOberarzt an der Abteilung für Neuropädiatrie,Universitätsklinik für Kinder und Jugendliche,Loschgestraße 15, 91054 ErlangenE-mail: [email protected]

Schwerpunkt: Schmerztherapie bei Kindern

M. A. Überall · H. DeneckeB. Kröner-Herwig

Therapy of headaches in childhood and adolescence

Abstract

Background. Headaches are one of themost common health problems of childrenand adolescents, afflicting between 50–90%of the pediatric population in some formsometimes during their first two decades oflife. Due to changing prevalence rates, moreor less complex classification systems, incon-sistent therapy responses with great inter-and intraindividual variabilities and highplacebo response rates, pediatric headachesyndromes are frequently thought to be toodifficult for the outpatient evaluation andtreatment in clinical practice.Therapy and prognosis. However, with theintroduction of the International HeadacheSociety classification system, the continu-ously expanding knowledge about thepathophysiology of different headachesyndromes and the development of newsymptomatic as well as causative treatmentoptions – covering both: pharmacologic andnon-pharmacologic approaches – a prag-matic diagnostic work up and the develop-ment of specific treatment schedules forpediatric headache patients is now possible.

Keywords

Children · Headache · Migraine · Tension-type headache · Diagnosis · Treatment

ohne wesentliche Organpathologie sind(so genannte primäre Kopfschmerzen).Dabei bereitet die Diagnostik kindlicherKopfschmerzen im Allgemeinen keinebesonderen Probleme,soweit sie sich aufden Ausschluss organischer Ursachenbezieht. Nicht selten befindet sich derPatient jedoch in der unbefriedigendenSituation,dass die zahlreich angewende-ten apparativen Verfahren unauffälligeBefunde ergeben haben, seine Be-schwerden jedoch unverändert andau-ern. Hier hat sich die Kenntnis der 1988von der International Headache Society(IHS) herausgegebenen Empfehlungenzur Klassifikation und Diagnostik vonKopfschmerzen als hilfreich erwiesen,die auch bei den primären Kopf-schmerzerkrankung ohne organpatho-logischen Befund eine positive Identifi-zierung erlaubt [9].

Hauptmerkmal dieser klar zwi-schen primären (IHS-Kode 1–4) und se-kundären Kopfschmerzerkrankungen(IHS-Kode 5–13) differenzierenden Leit-linien (Tabelle 1) ist die völlige Lösungvon ätiologischen Ordnungsprinzipien.Die strenge operationale Orientierungan der klinischen Phänomenologie derKopfschmerzattacken, dem körperli-chen Befund und wenigen anamnesti-schen Verlaufsparametern ermöglicht inaller Regel die Formulierung einer defi-nitiven Diagnose. Obwohl die IHS-Klas-sifikation bislang nur geringfügig zwi-schen Kindern und Erwachsenen unter-scheidet (Kopfschmerzdauer bei Patien-ten jünger als 15 Jahre 2–48 h vs. 4–72 h,weniger klar ausgeprägte Unilateralität)und somit weder die ausgeprägte Varia-bilität des Beschwerdebilds noch die al-tersspezifischen Besonderheiten kindli-chen Kopfschmerzempfindens, -erle-bens und -wiedergebens ausreichendberücksichtigen [6], stellt sie dennochdas am besten validierte und für die kli-nische Routine auch praktikabelsteKlassifikationsschema dar. Empfohlene(und wohl in der anstehenden Revisionder IHS-Kriterien) berücksichtigte Än-derungen betreffen die Attackendauer(„1–48 h“ statt bislang „2–48 h“), die Lo-kalisation [„bilateraler (frontaler/tem-poraler) oder einseitiger Kopfschmerz“statt bislang „einseitiger Kopfschmerz“]und die Begleitphänomene („Photopho-bie und/oder Phonophobie“ statt bislang„Photophobie und Phonophobie“). Un-ter Berücksichtigung dieser Änderun-gen konnten Studien für das Kindes-

und Jugendalter einen deutlichen An-stieg der Sensitivität ohne nennenswer-te Spezifitätsminderung nachweisen [6].

Pathophysiologie

Grundsätzlich sind im Kopfbereichschmerzempfindliche Gewebe sowohlextra- als auch intrakranial lokalisiert.Dabei muss berücksichtigt werden, dassnicht alle kranialen Strukturen Schmerz-reize registrieren können.

Zu den extrakranial gelegenenschmerzempfindlichen Strukturen ge-hören Haut und Schleimhäute, das Sub-kutangewebe, die Muskulatur, das Peri-ost, der Schädelknochen, die Zähne so-wie einige der größeren Blutgefäße.

Intrakranial umfassen die schmerz-empfindlichen Gewebe die Gefäßsinus,die großen Venen inklusive umgebenderDura, die Duraarterien sowie die Arte-rien im Bereich der Schädelbasis.

Das Gehirn selbst, die größten Teileder Dura, das Ependym und die Cho-rioidalplexus sind nicht schmerzemp-findlich.

Die Schmerzweiterleitung im Be-reich des Gesichtsschädels und des vor-deren Hirnschädels erfolgt vorwiegendüber den V. Hirnnerv (N. trigeminus),während vereinzelte kleinere Regionenvon Ästen des VII. (N. facialis), IX.(N. glossopharyngeus) und X. (N. vagus)Hirnnervs versorgt werden. DieSchmerzleitung der okzipitalen Schädel-abschnitte erfolgt über die oberen Zer-vikalnerven (C1–C2).

Sekundäre Kopfschmerzen könnendurch Traktion, Entzündung und Dila-tation vaskulärer Gewebe ebenso entste-hen,wie durch die Verlagerung intrakra-nialer Gewebe (z. B. durch Tumoren,Abszesse oder sonstige intrakranialeDrucksteigerungen) oder direktenDruck auf die Hirnnerven. Darüber hin-aus können länger dauernde, unphysio-logische Kontraktionen der Kopf- undNackenmuskulatur sowie pathologischeProzesse extrakranialen Ursprungs (wiez. B. Nasennebenhöhlenentzündungen,Refraktionsanomalien, Fehlokklusio-nen, usw.) zu Schmerzsensationen füh-ren, die als Kopfschmerzen interpretiertwerden.

Die Frage nach den grundlegendenpathophysiologischen Vorgängen beiden verschiedenen primären Kopf-schmerzformen ist wesentlich kompli-zierter und letztlich noch immer nicht

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Schmerz2000 · 14:351–361 © Springer-Verlag 2000

vollständig geklärt.Zwar sind z.B.bei derMigräne die verschiedenen Vorgängeund Abläufe bezüglich ihrer zeitlichenAbfolge mittlerweile klar definiert, derkausale Zusammenhang bzw. die Frage,warum zuerst das eine (die kortikale Hy-perexzitabilität) und warum dann späterdas andere Ereignis (vaskuläre Verände-rungen), folgt weiter spekulativ. Einessteht bei all der beschriebenen Unkennt-nis jedoch mittlerweile fest: Auch primä-re Kopfschmerzerkrankungen haben einbiologisch klar fassbares Korrelat undsind nicht – wie früher und z. T. auchheute mancherorts noch immer fälschli-cherweise unterstellt – Ausdruck einergestörten Psychopathologie [5]

Psychologische Einflussfaktoren

Emotionale Stressreaktionen spielen beider Auslösung von Kopfschmerzat-tacken eine wesentliche Rolle. Von über

2000 niederländischen Kindern gaben40% Stress als Auslöser von Kopf-schmerzen an [18], wobei „Stress“ eineVielzahl von inneren und äußeren Bela-stungen einschließt (Ärger, belastendeSchulsituationen, Erkältungskrankhei-ten) [21]. Die Anzahl belastender „lifeevents“ scheint bei Kindern nur von ge-ringer Bedeutung zu sein [3], vermutlichsind es eher die „daily hassles“, also diealltäglichen kleinen Ärgernisse, die dieAuslösung der Kopfschmerzattacken beientsprechender dispositioneller Hyper-sensitivität – zumindest bei Migräne –begünstigen [24]. Emotionale Persön-lichkeitsfaktoren wie generell erhöhteÄngstlichkeit und depressive Ver-stimmtheit wurden ebenfalls bei Kin-dern mit häufigem Kopfschmerz festge-stellt [1, 15]. Ob es sich dabei allerdingsum situationsübergreifende Persönlich-keitsmerkmale, die bereits vor der Kopf-schmerzerkrankung bestanden haben,oder um Konsequenzen des Kopf-

schmerzes handelt, kann ohne prospek-tive Studien nicht geklärt werden. DieBedeutung sozialer Einflüsse bei Kopf-schmerz, insbesondere im Sinn von Mo-delllernen in der Familie, ist umstritten,da hereditäre Bedingungsfaktoren inBetracht gezogen werden müssen.

Kopfschmerztherapie

Grundsätzlich ist das Spektrum der the-rapeutischen Möglichkeiten zur Behand-lung akuter, akut rekurrierender oderchronischer Kopfschmerzen bei Kindernund Jugendlichen ähnlich vielgestaltigwie das zur Behandlung erwachsenerKopfschmerzpatienten – nur ist es weit-aus weniger gut evaluiert [29]! Als thera-peutische Hauptdirektive muss gelten,dass ohne gesicherte Diagnose keinespezifische Therapie eingeleitet werdensollte.Dies setzt die Kenntnis der aktuel-len IHS-Klassifikationsleitlinien voraus[8].Art und Umfang der therapeutischen

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Tabelle 1Konversionstabelle für den IHS-Klassifikationskode und den ICD-10-NA-Klassifikationskode

Bezeichnung IHS-Kode ICD-10-NA-Kode

Migräne 1 G 43.9Migräne ohne Aura 1.1 G 43.0Migräne mit Aura 1.2 G 43.1Ophthalmoplegische Migräne 1.3 G 43.80Retinale Migräne 1.4 G 43.81Periodische Syndrome der Kindheit als mögliche Vorläufer oder Begleiterscheinungen einer Migräne 1.5 G 43.82Migränekomplikationen (Status migraenosus, usw.) 1.6Andere migräneartige Störungen 1.7 G 43.83

Kopfschmerz vom Spannungstyp 2 G 44.29Episodischer Kopfschmerz vom Spannungstyp 2.1 G 44.20/21Chronischer Kopfschmerz vom Spannungstyp 2.2 G 44.22/23

Clusterkopfschmerz 3 G 44.09Und chronische paroxysmale Hemikranie 3 G 44.03

Verschiedenartige Kopfschmerzformen ohne begleitende strukturelle Läsion 4 G 44.80

Kopfschmerz nach Schädeltrauma 5 G 44.88

Kopfschmerz bei Gefäßstörungen 6 G 44.81

Kopfschmerz bei nichtvaskulären intrakranialen Störungen 7 G 44.82

Kopfschmerz durch Einwirkung von Substanzen 8 G 44.4Oder deren Entzug 8 G 44.83

Kopfschmerzen bei einer primär nicht den Kopfbereich betreffenden Infektion 9 G 44.88

Kopfschmerz bei Stoffwechselstörungen 10 G 44.88

Kopfschmerz oder Gesichtsschmerz bei Erkrankungen des Schädels sowie im Bereich von Hals, Augen, Ohren, 11 G 44.84Nase, Nebenhöhlen, Zähnen, Mund oder anderen Gesichts- oder Kopfstrukturen

Kopf- und Gesichtsneuralgien, Schmerz bei Affektion von Nervenstämmen und Deafferenzierungsschmerzen 12 G 44.88

Nichtklassifizierbarer Kopfschmerz 13 R 51

Schwerpunkt: Schmerztherapie bei Kindern

Intervention müssen an den individuel-len Leidensdruck und an die jeweilige Si-tuation angepasst werden. Problemati-sche Verläufe bei chronischen oder akutrekurrierenden Kopfschmerzsyndromensollten in engem Kontakt mit bzw.unter Supervision eines kompetentenSchmerzzentrums behandelt werden.

Sekundäre Kopfschmerzen

Bei so genannten sekundären Kopf-schmerzen (bei denen der Schmerz Folgebzw. Symptom einer klinisch fassbarenGrunderkrankung, z. B. einer Infektion,ist) ist die Beseitigung der zugrunde lie-genden Organpathologie oberstes thera-peutische Gebot. Dennoch kann es auchhier notwendig sein,adjuvant symptoma-tisch zu behandeln und analgetisch wirk-same Therapieverfahren einzusetzen,umden Zeitraum bis zur Diagnosestellungbzw.Restitution adäquat überbrücken zukönnen.Hierfür steht eine Vielzahl wirk-samer Präparate zu Verfügung, die in Ta-belle 2 zusammengefasst sind.

Immer wieder ist zu beobachten,dass von den Eltern häufig bereits vorder Konsultation eines Arztes eine mehroder weniger sinnvolle medikamentöseBehandlung („mit dem was die Haus-apotheke so hergibt“) durchgeführtwird. Das in Deutschland hierfür amhäufigsten angewendete Medikament istParazetamol, welches als Antipyretikumauch eine schwach analgetische Wir-kung zeigt. Eine gute Alternative zur an-algetischen Behandlung symptomati-scher Kopfschmerzen ist Ibuprofen, ein

nichtsteroidales Antiphlogistikum mitguter und reproduzierbarer analgeti-scher Wirksamkeit, die mittlerweile inzahlreichen Studien für Kinder ab dem6. Lebensmonat nachgewiesen werdenkonnte [13]. In einem direkten Vergleichzwischen Ibuprofen und Parazetamolbei kindlichen Kopfschmerzen erwiessich Ibuprofen als überlegen wirksam(Übersicht bei Larsson [13]). Darüberhinaus zeigen beide Substanzen im Rah-men einer Kurzzeittherapie ein ver-gleichbares Nebenwirkungsprofil undbis dato sind für Ibuprofen keine lebens-bedrohlichen Komplikationen bekannt(wie sie z. B. in Form der tödlich verlau-fenden akzidentellen Überdosierungenfür Parazetamol mit fatalem Leberver-sagen doch wiederholt beobachtet wur-den). Somit ist für die Behandlung se-kundärer Kopfschmerzen im Kindesal-ter Ibuprofen das Mittel der ersten Wahl.

Zur Linderung schwerster sympto-matischer Zephalgien (z. B. bei Tumor-erkrankung, Keilbeinhöhlenempyem,Sinusvenenthrombose, usw.) werdenbisweilen eine analgetische Behandlungmit Opioiden, ggf. auch eine Analgose-dierung notwendig. In der Behandlungschwerster symptomatischer Kopf-schmerzen stellt darüber hinaus auchder Einsatz der patientenkontrolliertenAnalgesie (PCA) mittels Schmerzpum-pe eine grundsätzliche Therapieoptiondar [23], allerdings nur in Zusammenar-beit mit einer Schmerzambulanz.

Mit Gabapentin (Neurontin) stehtein potentes Mittel zur Behandlung neu-ropathischer Schmerzen zu Verfügung,

dessen Stellenwert für die Pädiatrie je-doch erst noch ermittelt werden muss.

Primäre Kopfschmerzen

In der Regel problematischer als die Be-handlung akuter symptomatischerZephalgien ist die Therapie der häufigchronisch oder chronisch rezidivierendverlaufenden primären Kopfschmerzer-krankungen. Hier führen fehlende oderunzureichend formulierte Behandlungs-vorschläge seitens des Therapeuten bzw.übertriebene Erwartungen seitens desPatienten nicht selten zu unkontrollier-ten und bisweilen nebenwirkungsrei-chen Selbstmedikationen. Häufig wirddem Arzt seitens des Patienten gar nichtdie Chance für eine Therapiemodifikati-on gegeben, weil Letzterer, vom Misser-folg der Erstbehandlung enttäuscht, ei-nen neuen Therapeuten aufsucht unddieser erneut „bei Null beginnt“.Aus die-sem Grund sollte der Behandlung vonKopfschmerzen heute grundsätzlich einaufklärendes Gespräch vorangestelltwerden, in welchem dem Patienten derHintergrund des vorgeschlagenen Be-handlungskonzepts erläutert und ihmausreichend Zeit für Fragen gegebenwerden muss. Ziel muss es sein – auchdas Kind oder den Jugendlichen – zumkompetenten Partner in der Behandlungseiner eigenen Erkrankung zu machen.

Allgemeine Therapierichtlinien

Jeder Therapieplan sollte in Form einessituationsadaptierten Stufenplans er-

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Tabelle 2Dosierungsempfehlungen für die gängigsten, in Deutschland verfügbaren Analgetika

Wirkstoff Präparat (z. B.) Initialdosis Dosierungsintervall Erhaltung Maximaldosis Applikationsweg[mg/kg KG] [h] [mg/kg KG] [mg/kg KG]

Paracetamol Benuron®a 35–45a 6–8 15–20 100 Rektal15–20 6–8 10–20 100 p. o.

Azetylsalizylsäure Aspirin®b 10–15 4–6 10–15 60–80 p. o.Ibuprofen Nurofen® 10–15 6–8 10 40 p. o.Ketoprofen Orudis® 2–3 6–8 1–2 6–9 p. o., RektalNaproxen Proxen® 5–10 8–12 5–10 30 p. o., RektalMetamizol Novalgin® 10–20 4–6 10–20 80 p. o., RektalTramadol Tramundin® 1–2 3–4 1–2 8–10 p. o.

a Diese im Vergleich mit den Herstellerangaben deutlich höhere Initialdosierung von Paracetamol ist zum Erreichen einer analgetischen Wirksamkeit notwendig undgeht – als Kurzzeittherapie in der genannten Dosierungen über 1–2 Tage verabreicht – mit keinem erhöhten Risiko einer Leberschädigung einher!b Die Anwendung sollte wegen der Gefahr der Auslösung eines Reye-like-Syndroms bei virusinduzierten Infektionserkrankungen im Kindesalter auf nichtinfektassoziierte Kopfschmerzen beschränkt werden

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stellt werden, welcher obligat sowohlnichtmedikamentöse als auch medika-mentöse Komponenten umfassen muss,wie in Tabelle 3 am Beispiel eines struk-turierten Stufenplans zur Migränethera-pie dargestellt [13]. Dabei gilt als obersteMaxime, dass jeder Patient mit chroni-schen Kopfschmerzen ein therapeuti-sches Basisprogramm zur nichtmedika-mentösen Vorbeugung bzw. Akutbe-handlung (s. unten) absolvieren sollte.Darauf aufbauend wird ein hierarchischstrukturierter medikamentöser Be-handlungsplan erarbeitet, der für die in-dividuell sehr unterschiedlichen Kopf-schmerzformen und -intensitäten ver-schiedene Behandlungsoptionen vor-sieht [26]. Diese sollen vom Patientennicht „Schritt für Schritt“ (stepwise ap-proach) durchlaufen werden, sondernmüssen je nach Attacke gezielt zur An-wendung gelangen (stratified care). Die-ses Behandlungskonzept setzt voraus,dass der Patient durch Introspektionund ausreichende Information (ärztli-che Aufklärung) in der Lage ist, kompe-tent verschiedene Kopfschmerzen be-züglich ihrer Intensität und/oder Cha-rakteristik zu unterscheiden (genau wiebeim Führen eines Kopfschmerzkalen-ders) und fordert vom behandelndenArzt, dass er die Entscheidung über dieletztlich zur Anwendung gelangendeTherapie dem chronisch kranken Pati-enten übergibt, dem er beratend zur Sei-te steht.

Medikamentöse Akutbehandlung

Grundsätzlich empfiehlt sich für jede ra-tionale medikamentöse Kopfschmerz-behandlung, insbesondere jedoch fürdie Migränetherapie, der möglichstfrühzeitige Einsatz analgetisch wirksa-mer Monosubstanzen in ausreichendhoher Dosierung (keine schrittweiseDosistitration!) sowie ggf. bei assoziier-ter Übelkeit/Erbrechen (wie z. B. bei derMigräne) die Kombination mit einemgeeigneten Antiemetikum (wie z. B.Domperidon) [25].

Migräne. Tabelle 3 zeigt beispielhaft ei-nen möglichen therapeutischen Eskala-tionsplan mit verschiedenen Therapie-optionen für verschiedene Variantenakuter Migräneattacken. Für die Akut-behandlung leichter Migräneattackenstehen mit Parazetamol, Ibuprofen,Ketoprofen und Azetylsalizylsäure 4 gut

stanzen empfohlen werden, die auch fürdie Behandlung akuter MigräneattackenVerwendung finden. Parazetamol (z. B.Benuron) und Flupirtin (z. B. Katado-lon) haben in einer doppelblind kontrol-lierten Studie zur Behandlung episodi-scher Spannungskopfschmerzen zwarvergleichbare Wirksamkeiten gezeigt[20], letztlich bleibt jedoch unklar, obdiese Substanzen wirklich signifikantbesser als Plazebo wirken. Bei Versagendieser Verfahren kann eine medikamen-töse Prophylaxe mit Amitryptilin (z. B.Saroten s. unten) oder Gabapentin (z. B.Neurontin: 15–30 mg/kg KG Tag in 3 Ein-zeldosen) durchgeführt werden, wobeifür diese Therapien bei Kindern keineWirksamkeitsdaten vorliegen.

Clusterkopfschmerz. Für Empfehlungenzur Behandlung dieser, in seltenen Fäl-len bereits bei Kindern ab dem 7. Le-bensjahr beobachteten Kopfschmerzer-krankung liegen keine kontrolliertenTherapiestudien vor. Entsprechend denEmpfehlungen für Erwachsene [7] soll-ten Kinder mit Clusterkopfschmerzenentweder mit Sauerstoff inhalieren(7 l/min über ~15 min) oder mit subku-tan applizierbarem Sumatriptan (Imi-gran: 0,3–0,6 mg/kg KG Einzeldosis,ma-ximal 6 mg/Einzeldosis, maximal12 mg/Tag) behandelt werden.

Mischformen. Die pharmakologische Be-handlung gemischter Kopfschmerzenbirgt ein deutlich erhöhtes Risiko für dieEntwicklung analgetikainduzierter se-kundärer Kopfschmerzen. Die vorlie-genden Kopfschmerzentitäten solltenklar definiert und mit dem Patientendiskutiert werden, bevor die Formulie-rung eines medikamentöse Behand-lungsplans in Kombination mit geeigne-ten nichtmedikamentösen Verfahren an-steht.

Medikamentöse Prophylaxe

Eine prophylaktische, d. h. vorbeugendeBehandlung akut rekurrierender oderchronischer Kopfschmerzen ist naturge-mäß nur bei primären Kopfschmerzsyn-dromen indiziert. Während bei den imKindes- und Jugendalter häufigeren epi-sodischen oder chronischen Span-nungskopfschmerzen vorwiegend einenichtmedikamentöse Prophylaxe (s. un-ten) und nur selten eine medikamentö-se Dauertherapie indiziert ist, kann die-

wirksame und bei sachgerechter An-wendung nebenwirkungsarme Analge-tika zur Verfügung, wobei unter Abwä-gung möglicher Vor- und NachteileIbuprofen als Mittel der ersten Wahl gel-ten kann. Adjuvant sollte die analgeti-sche Behandlung mit einem geeignetenAntiemetikum (wegen des geringerenRisikos extrapyramidalmotorischer Dys-kinesien vorzugsweise mit Domperi-don) kombiniert werden. Bei starkenoder schwierig zu therapierenden At-tacken und in kritischen Situationeneinsetzenden Migräneattacken (z. B. ei-ner Attacke während einer längeren Au-tofahrt, usw.) kann der Einsatz speziel-ler Migränetherapeutika [so genannteTriptane: Serotonin(5HT)-Agonisten]für die Akutbehandlung notwendig wer-den. Von diesen spezifischen Migräne-therapeutika hat bislang einzig Suma-triptan (Imigran) eine gut belegte Wirk-samkeit und Verträglichkeit als Nasal-spray und subkutane Injektionsform,auch bei Kindern (4–11 Jahre) und Ju-gendlichen (12–17 Jahre) [25, 27, 28, 30].Derzeit ist weltweit keines der verfügba-ren Triptane explizit für die Behandlungvon Kindern und Jugendlichen zugelas-sen, für Sumatriptan werden jedochmehrere Studien mit dem Ziel einer In-dikationserweiterung für Kinder und Ju-gendliche durchgeführt.

Eine Sonderstellung nimmt die Be-handlung der gerade für das Kindesal-ter typischen migräneähnlichen Syn-drome (wie z. B. des gutartigen paroxys-malen Schwindels oder der alternieren-den kindlichen Hemiplegie) ein. Ohneechte wissenschaftliche Evidenz wird inverschiedenen Kasuistiken und kleine-ren Fallserien über eine Akutwirksam-keit des Dopaminantagonisten Dompe-ridon (z. B. Motilium) berichtet, sodassmit diesem ggf. ein Behandlungsversuchdurchgeführt werden kann (Dosierungs. Tabelle 3).

Spannungskopfschmerz. Die medika-mentöse Akutbehandlung episodischeroder gar chronischer Kopfschmerzenvom Spannungstyp sollte eine Ausnah-me sein. Aufgrund des guten Anspre-chens der häufigen und in aller Regel beijüngeren Patienten nur kurzzeitig mani-festen Attacken auf nichtmedikamentö-se Verfahren gelten diese als Mittel derWahl. Selten ist der Einsatz einer analge-tischen Pharmakotherapie gerechtfer-tigt,wobei zur Akutbehandlung die Sub-

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Schwerpunkt: Schmerztherapie bei Kindern

se bisweilen bei häufigen (mehr als 2–3Attacken in den letzten 3 Monaten),schwer behandelbaren, kompliziertenoder lange andauernden (>48 h) bzw.mit hohem Leidensdruck einhergehen-den Migräneattacken durchaus häufigernotwendig werden. Obligat sollte jedeprophylaktische Dauermedikation mitgeeigneten nichtmedikamentösen The-rapieverfahren ggf. auch mit diäteti-schen Maßnahmen im Sinn einer Ge-sundheitsberatung kombiniert werden.Darüber hinaus sollten die zur Anwen-dung gebrachten Medikamente langsamein- und ausdosiert sowie (bei guter Ver-träglichkeit) über einen ausreichendlangen Zeitraum (3–6 Monate) durchge-führt werden.

Migräne. Von wissenschaftlich nachge-wiesener Wirksamkeit bei pädiatrischenMigränepatienten sind β-Blocker (Pro-pranolol, Metoprolol), bestimmte Kalzi-umantagonisten (Flunarizin) und nied-rig dosierte Azetylsalizylsäure (Dosie-rungen s. Tabelle 4). Attraktive Alterna-tiven und bei erwachsenen Migränepa-tienten erwiesenermaßen ebenfallswirksam, bei Kindern und Jugendlichenjedoch noch nicht ausreichend evaluiert,sind das Antiepileptikum Valproinsäureund der NMDA-Antagonist Cyclandelat(z. B. Spasmocyclon). Selten kann, z. B.bei sehr hartnäckigen gemischten Kopf-schmerzen (Migräne plus Spannungs-kopfschmerzen) und eher depressiverGrundstimmung, versucht werden,

durch den Einsatz von Amitryptilin(s. oben) das Ansprechen auf die beglei-tenden, nichtmedikamentösen – undu. U. auch psychotherapeutischen –Maßnahmen zu verbessern (s. unten).Das in Deutschland für die medikamen-töse Migräneprophylaxe am häufigsteneingesetzte Dihydroergotamin, ein syn-thetisches Sekalealkaloid mit einer ex-trem breiten und unspezifischen sero-tonergen, adrenegen und dopaminergenWirkung hat trotz seiner weiten Verbrei-tung bisher in keiner kontrollierten Stu-die eine dem Plazebo überlegene pro-phylaktische Wirksamkeit gezeigt, undvon seiner Verwendung als Prophylakti-kum ist abzuraten. Unter Berücksichti-gung der wissenschaftlichen Datenlageund des therapeutischen Wirkungs-grads empfiehlt es sich, eine notwendigemedikamentöse Prophylaxe unter Be-achtung möglicher Kontraindikationenmit Flunarizin oder Propranolol zu be-ginnen und ggf. (d. h. bei Versagen derTherapie oder nicht tolerierbaren Ne-benwirkungen) auf Cyclandelat, niedrigdosierte Azetylsalizylsäure oder Valpro-insäure umzustellen.

Für die medikamentöse Prophylaxeder kindlichen Migränevorläufererkran-kungen kann (unter Berücksichtigungder spärlichen Datenlage) einzig Fluna-rizin (z. B. Sibelium) empfohlen werden.

Spannungskopfschmerz. Für die Prophy-laxe der Kopfschmerzen vom Span-nungstyp sollten vorwiegen nichtmedi-

kamentöse Verfahren (s. unten) Verwen-dung finden. In hartnäckigen Fällenkann versucht werden, die bei Erwach-senen empfohlene Pharmakotherapiemit niedrig dosierten trizyklischen An-tidepressiva [mit Amitryptilin (z. B. Sa-roten): 5–10(–25) mg/Einzeldosis 1-ma-lig abends] auch bei Kindern anzuwen-den (kontrollierte Daten liegen für dieseTherapie jedoch nicht vor).

Clusterkopfschmerz. Ohne wissenschaft-liche Evidenz wird zur medikamentöseProphylaxe kindlicher Clusterkopf-schmerzen (in Analogie zur Behandlungerwachsener Patienten) eine Behand-lung mit Verapamil (z. B. Isoptin) oderKortison (z. B. Prednisolon: 50 mg/Tagüber 3 Tage, anschließende Dosisreduk-tion über 10 Tage) empfohlen [7].

Psychologische Interventionen

Psychologische Kopfschmerzbehand-lung ist als ein Weg zur Schmerzprophy-laxe zu verstehen. Ziel der Behandlungist es, durch Verhaltensänderungen inder kopfschmerzfreien Zeit die Anfalls-häufigkeit, Schmerzintensität und An-fallsdauer langfristig und dauerhaft zureduzieren.Sie ist angezeigt bei einer Er-krankungsdauer >6 Monaten,mehr als 2Kopfschmerzattacken pro Monat,bei sai-sonaler Häufung sowie einer Anfallsdau-er >1 h.Hinzukommt häufig der Wunschvon Kind und Eltern nach einer neben-wirkungsarmen Behandlung, häufig aus

| Der Schmerz 5•2000358

Tabelle 4Wirkstoffe und Dosierungen zur Durchführung einer medikamentösen Migräneprophylaxe bei Kindern und Jugendlichen

Substanzgruppe Wirkstoff Präparat (z. B.) Dosierung Behandlungsdauer

β-Blockera Metoprolol Beloc-Zok® 1–2,5(–5) mg/kg KG Tag in 1 (–2) Einzeldosen bevorzugt abends 4–6 MonatePropranolol Dociton® 1–2mg/kg KG Tag in 1 (–2) Einzeldosen bevorzugt abends 4–6 Monate

Kalziumantagonisten Flunarizin Sibelium® 5–10 mg/Tag in 1 Einzeldosis bevorzugt abends zum Essen 3–6 Monate

Nichtsteroidale Antiphlogistika Azetylsalizylsäure Aspirin® 2,5–5 mg/kg KG Tag in 1 Einzeldosis abends nach dem Essen 2–3(ggf. bis 6–8)Monate

Antiepileptikab Valproinsäure Orfiril long® 10–15 mg/kg KG Tag in 1–2 Einzeldosen 4–6 Monate

NMDA-Antagonistenb Cyclandelat Spasmocyclon® 5–10 Jahre: 1- bis 2-mal 200 mg/Tag, >10 Jahre: 2- bis 3-mal 4–6 Monate200 mg/Tag

Trizyklische Antidepressiva Amitryptilin Saroten® Initial 0,1 mg/kg KG Tag maximal 5 mg abends,Steigerung alle 2 Wochen auf 0,5–2mg/kg KG Tag maximal 2–3 Monate10–25 mg/Tag

a Cave: Reboundkopfschmerz bei zu raschem Absetzen!b In Deutschland nicht zur medikamentösen Migräneprophylaxe bei Jugendlichen zugelassen!

Angst vor den Folgen einer (langfristi-gen) medikamentösen Therapie.

Verhaltenstherapeutische Therapie-maßnahmen bilden den Schwerpunktder psychologischen Kopfschmerzbe-handlung. Ihre Überlegenheit gegen-über anderen psychologischen Verfah-ren ist belegt [8]. Dabei nehmen Verfah-ren zur physiologischen und kognitivenEntspannung den größten Raum ein.

Entspannungsverfahren. Entspannungwird entweder über auf Kinder adap-tierte Formen der progressiven Muskel-entspannung ( nach Jacobsen), des auto-genen Trainings (nach Schultz) odermittels Biofeedbackverfahren induziert[11].Die Verfahren werden als eigenstän-dige Methode oder in Kombination mitanderen Therapieelementen eingesetzt.Sie können relativ leicht und erfolgreichin alltäglichen Schmerz- und Stresssi-tuationen eingesetzt werden und stär-ken darüber hinaus die Selbstkontroll-bemühungen des Kinds.

Biofeedbacktherapie. Biofeedbackverfah-ren ermöglichen die Wahrnehmung undgezielte Beeinflussung physiologischerFunktionen (z. B. Muskelspannung,Hauttemperatur). Durch Umwandlungder gemessenen Körpersignale in einFeedbacksignal (Töne oder Computer-

bilder) mit Hilfe eines Biofeedbackge-räts ist die gezielte Kontrolle nicht odernur schwer wahrnehmbarer physiologi-scher Prozesse erlernbar [10]. Als Rück-meldesignal sollten kindgerechte undmotivierende Bilder am Computermo-nitor verwendet werden (Kaleidoskop,einfache Form von Videospielen), dieden Kindern ein aktives und spieleri-sches Mitmachen ermöglichen. In derKinderkopfschmerztherapie zielen dieBiofeedbackverfahren meist auf die In-duktion eines körperlichen und kogniti-ven Entspannungzustands. Beim EMG-Training wird beispielsweise der Tonusdes M. frontalis zurückgemeldet. MitHilfe des Feedbacksignals lernt dasKind, An- und Entspannung im Fronta-lismuskel zu unterscheiden und im wei-teren Trainingsverlauf bewusst denMuskeltonus in Richtung Entspannungzu verändern. EMG-Biofeedback wirdals prophylaktische Maßnahme beiSpannungskopfschmerz eingesetzt, ob-wohl nach jüngsten Erkenntnissen nurbei einem Teil der Patienten eine erhöh-te Muskelspannung mittels EMG festge-stellt werden kann. Fast immer sind indie Biofeedbacktrainings zusätzlicheEntspannungsübungen wie PMR, AToder Imaginationen integriert.

Das Handtemperaturerwärmungs-training (HET) wird – auch in Kombi-

nation mit Entspannungsübungen – zurTherapie vom Migräne eingesetzt [2, 12].Es soll über eine periphere Temperatur-erhöhung mit verbesserter Durchblu-tung eine herabgesetzte körperliche undpsychische Aktiviertheit erzeugen, dieder Auslösung von Migräneattackenvorbeugen soll.

Das bei Migräne eingesetzte Vaso-konstriktionsfeedback dient nicht zurEntspannungsinduktion. Es soll durchverstärkte Vasokonstriktion der Hirnge-fäße den beginnenden Migräneanfallverhindern oder ihn zumindest verkür-zen. Bei Kindern war diese Form desFeedbacks effektiver als eine Prophyla-xe mit Propranolol [22].

Kognitiv-behaviorale Therapien. McGrathet al. [16] entwickelten zur Behandlungvon Kopfschmerzen ein 8-wöchigesmultistrategisches Therapieprogramm„help yourself“, das in deutscher Über-setzung vorliegt [14]. Es enthält Elemen-te wie Stresswahrnehmung und Stress-coping, Entspannung,Veränderung dys-funktionaler Gedanken zu Stress undSchmerz,Anleitung zur kognitiven Um-strukturierung und zum Problemlösensowie Unterstützung zur Selbstbehaup-tung. Das Programm soll eigenständigzu Hause, jedoch mit therapeutischerUnterstützung durch wöchentliche Tele-fonkontakte, durchgearbeitet werden.Wöchentliche Hausaufgaben begleitendas Training. Die Evaluation an 87 Ju-gendlichen zeigte, dass das Selbsthilfe-programm ebenso effektiv war wie eineEinzeltherapie, jedoch aufgrund derbesseren Kosten-Nutzen-Relation effizi-enter [17].

Im Rahmen eines Modellprojektsder Technikerkrankenkasse wurde einähnliches Programm („Stopp den Kopf-schmerz“; Tabelle 5) für 11- bis 14-jähri-ge Kinder entwickelt und erstmals alsGruppentraining sowie als Selbstlern-version evaluiert [4]. Das Gruppenpro-gramm ließ gegenüber der Selbsthilfe-version eine etwas größere Effektivitäterkennen und war – gemessen am zeit-lichen Aufwand pro Kind – kostengün-stiger. Differenzielle Unterschiede hin-sichtlich der Kopfschmerzdiagnose unddem Alter der Kinder zeigten sich nicht.Die Akzeptanz der Trainings war mit>90% zufriedenen Kindern sehr hoch.

Der Schmerz 5•2000 | 359

Tabelle 5Elemente des kognitiv-behavioralen Trainings „Stopp den Kopfschmerz“

Zeit Anamnesegespräch mit Kind und Eltern

Woche 1 Was passiert in meinem Kopf?Informationen über den Schmerz

Woche 2 RELAX!Erlernen einer Entspannungsübung

Woche 3 „Nicht schon wieder...“ Identifikation und Vermeiden von Kopfschmerzauslösern

Woche 4 Schwarzmalen und HellsehenUmwandlung schwarzer Gedanken in bunte Gedanken

Woche 5 Der AufmerksamkeitsscheinwerferAufmerksamkeit und Kopfschmerz

Woche 6 Ich bin o. k.Selbstsicherer Umgang mit Freunden und Familie

Woche 7 ProblemlösetreppeProblembewältigung

Woche 8 Was ein Kopfschmerzexperte tun kannAbschlussgespräch mit Kind und Eltern

Schwerpunkt: Schmerztherapie bei Kindern

Überwachung und Dokumentation

Wichtigstes Instrument zur Überwa-chung und Dokumentation jeglicherForm einer therapeutischen Interventi-on bei pädiatrischen Kopfschmerzpati-enten ist ein für Kinder und Jugendlichegeeigneter Kopfschmerzkalender, derobligater Begleiter jedes Kopfschmerz-patienten sein sollte. Zu berücksichtigenist, dass die meisten Kopfschmerzkalen-der als Unterstützung für die Diagnosevon Migräne und Spannungskopf-schmerzen entwickelt wurden (die ja fürden Großteil der chronischen bzw. akutrekurrierenden Kopfschmerzen im Ju-gendalter verantwortlich sind) und des-halb unter gewissen Umständen anderechronische Kopfschmerzen nicht odernur ungenügend genau erfasst werden.Darüber hinaus erfordert jede Form ei-ner vom Patienten selbst vorgenomme-nen Kopfschmerzdokumentation natur-gemäß eine gewisse Fähigkeit zur Intro-spektion sowie eine ausführliche Aufklä-rung seitens des betreuenden Arztesüber Sinn und Zweck entsprechenderDokumentationssysteme. Grundsätzlichsollte der Patient selbst seinen Kopf-schmerzkalender führen. Zu warnen istvor Kopfschmerztagebüchern, die in gu-tem Glauben von den Eltern, Großelternoder gar den Geschwistern ausgefülltwerden.

Resümee

Die Behandlung kindlicher Kopf-schmerzen sollte heute – ganz unabhän-gig von der Natur der zugrunde liegen-den Erkrankung (primär oder sekun-där) –multifaktoriell aufgebaut sein und– im Sinn eines kritischen Polypragma-tismus – verschiedene Therapieoptio-nen parallel berücksichtigen. Häufig istzu beobachten, dass der Schwerpunktgut formulierter „schulmedizinischer“Behandlungspläne auf der reinen Ver-ordnung medikamentöser Therapienberuht, während die nichtmedikamen-tösen Behandlungsmöglichkeiten mehroder weniger vernachlässigt werden.Der dann durch so genannte alternativoder komplementärmedizinische The-

rapeuten erzielte zusätzliche Behand-lungserfolg beruht dann nicht auf ir-gendwelchen neuen pharmakologischenStrategien oder esoterischen Wirkme-chanismen, sondern auf dem durch die-se Behandler in aller Regel sinnvoll undgeschickt genutzten kindlichen Selbst-heilungspotenzial (wobei nicht einzuse-hen ist, warum dieses Konzept von ei-nem schulmedizinisch ausgebildetenArzt nicht ebenfalls genutzt werdenkann und darf). Im Sinn eines kritischenPolypragmatismus sollten also obligatbei der Behandlung von Kopfschmerz-patienten im Allgemeinen und Kindernim Besonderen nichtmedikamentöseBehandlungsstrategien genutzt und mitgeeigneten pharmakologischen Optio-nen kombiniert werden, um dem Pati-enten adäquat helfen zu können.

Eine psychologisch fundierte Kopf-schmerzbehandlung bei Kindern hatunabhängig von der Art des Kopf-schmerzes eine hohe Erfolgsquote.Auchdie Stabilität der Effekte spricht für psy-chologische Interventionen, die mögli-cherweise der medikamentösen Prophy-laxe sogar überlegen sind [8]. Aus derMehrzahl der Studien ist jedoch erkenn-bar, dass sich die Häufigkeit der Kopf-schmerzanfälle am deutlichsten reduzie-ren lässt, während die Dauer der einzel-nen Attacken und die Schmerzintensitätweit weniger zu beeinflussen sind. Weildemnach das Kind – unabhängig vonder Art seiner Kopfschmerzdiagnose –auf einen einmal begonnenen Migräne-anfall offenbar mit psychologischenMaßnahmen kaum noch Einfluss neh-men kann, sollte die Akutmedikation inKooperation mit dem behandelndenArzt optimiert werden.

Bei Kindern ist bereits nach relativkurzer Behandlungsdauer von allen Ver-fahren eine große Wirkung zu erwarten.Die verschiedenen Therapiemethodenscheinen gleichwertig. Kognitiv-behavi-orale Programme haben allerdings einbesonders breites Wirkungsspektrum,sodass sich vermutlich die erlerntenKompetenzen auf andere Gesundheits-bereiche und in die Zukunft hinein po-sitiv auswirken könnten. Zu wünschenwäre, dass bewährte und evaluierte Ver-fahren vermehrt den Weg in die Praxisfinden und die vorhandenen psycholo-gischen Möglichkeiten konsequent an-gewendet werden.

Literatur1. Andrasik F, Kabela E, Quinn S, Attanasio V,

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Der Schmerz 5•2000 | 361

Fachnachrichten

Tumorzentren in Deutschland

Haben die deutschen Tumorzentren eine Zu-kunft? Diese provokante Frage war Grundlage ei-nes Workshops der DKG mit Repräsentanten derDeutschen Tumorzentren.

Vor dem Hintergrund der geäußerten Kritikverpflichten sich die Deutsche Krebsgesellschaftund die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Tumor-zentren, gemeinsam und zeitnah eine bisher flä-chendeckende nicht vorhandene Transparenz dererreichten Ergebnisse für alle Tumorzentren/Re-gionen herzustellen. Dadurch wird erkennbar, woonkologische Patienten mit welchem Erfolg be-handelt werden.

Hierzu wird ein Set von Erfolgskriterien ent-wickelt, welche folgende Eigenschaften erfüllenmüssen:

• mess- und demonstrierbar

• allgemeingültig und verbindlich

• verständlich für Patienten

• ökonomische Aspekte berücksichtigend

Die Deutsche Krebsgesellschaft sieht die Tumor-zentren hierbei als Partner dieser unverzichtbarenEntwicklung.

Seit der Gründung der Deutschen Tumor-zentren tragen diese zur interdisziplinären Be-handlung von Krebspatienten bei. Hierzu wurdenstrukturelle Voraussetzungen, Anforderungenund Aufgaben definiert. Die zentrale Forderungwar die Interdisziplinarität bei Diagnostik und Be-handlung von Krebserkrankungen. Darüber hin-aus muss jedes Tumorzentrum über ein klinischesKrebsregister (Dokumentation von Behandlungs-verläufen) verfügen. Ein komplettes Therapiean-gebot und die Tumornachsorge müssen gesichertsein.Wesentlich ist die Transparenz der erreichten

Behandlungsergebnisse nach definierten Kriteri-en. Erst wenn dieses gewährleistet ist, wird eineVergleichbarkeit der geleisteten Behandlung fürden Patienten und die beteiligten Medizinermöglich.

Diese Anforderungen sind in der Vergan-genheit in unterschiedlicher Weise erfüllt worden.

Als erster Schritt in der Umsetzung initiierendie Deutsche Krebsgesellschaft und die DeutscheKrebshilfe gemeinsam mit der Arbeitsgemein-schaft Deutsche Tumorzentren eine systemati-sche Bestandsaufnahme.

In einer solchen Bestandsaufnahme mussnachgewiesen werden:1. Häufigkeit und Qualität der interdisziplinären

Konferenzen zur Behandlung von Krebskranken2. Die Vollständigkeit der klinischen Krebsregis-

trierung3. Die Vollständigkeit der Meldung an das epide-

miologische Krebsregister4. Eine Überprüfung der Behandlungserfolge5. Die Umsetzung von Leitlinien6. Die Informationsangebote an Betroffene und

Angehörige (Patientenservice, Öffentlichkeits-arbeit, Selbsthilfegruppen)

7. Inhalt, Anzahl und Beteiligung von Fortbildungsveranstaltungen

Diese Analyse der Behandlungsqualität soll zei-gen, ob die Tumorzentren die Garanten einer qua-litativ hochstehenden Versorgung von Krebspati-enten darstellen.

DIE ZUKUNFT HEISST TRANSPARENZ

Quelle: Pressemitteilung,Deutsche Krebsgesellschaft e.V.