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Krankheitsbewältigung, soziale Unterstützung und posttraumatische Reifung am Beispiel von Brustkrebspatientinnen Diplomarbeit zur Erlangung des akademischen Grades Mag. rer. soc. oec. im Diplomstudium Soziologie eingereicht von Verena Schwarz angefertigt am Institut für Soziologie Abteilung für Empirische Sozialforschung bei Mag. Dr. Alfred Grausgruber Linz, August 2015

Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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Page 1: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

Krankheitsbewältigung, soziale Unterstützung und posttraumatische Reifung

am Beispiel von Brustkrebspatientinnen

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Mag. rer. soc. oec.

im Diplomstudium Soziologie

eingereicht von Verena Schwarz

angefertigt am Institut für Soziologie

Abteilung für Empirische Sozialforschung

bei

Mag. Dr. Alfred Grausgruber

Linz, August 2015

Page 2: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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Eidesstattliche Erklärung

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und

ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht

benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich

gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument

identisch.

Luftenberg, August 2015

Page 3: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

2

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung ............................................................................................................................... 4

1.1 Problemstellung ............................................................................................................... 4

1.2 Krankheitsbezogene Selbsthilfegruppen ....................................................................... 7

2 Forschungsziele und Forschungsfragen ............................................................................... 9

2.1 Forschungsziele .............................................................................................................. 9

2.2 Forschungsfragen.......................................................................................................... 10

3 Theoretische und konzeptionelle Grundlagen .................................................................... 12

3.1 Theorien und Ansätze zu Bewältigungsformen .......................................................... 12

3.1.1 Krankheitsbewältigung .......................................................................................... 12

3.1.2 Soziale Unterstützung ........................................................................................... 18

3.1.2.1 Soziale Netzwerke ......................................................................................... 18

3.1.2.2 Typen sozialer Unterstützung ....................................................................... 19

3.1.2.3 Wirkung sozialer Unterstützung .................................................................... 20

3.1.2.4 Soziale Unterstützung im privaten Umfeld ................................................... 21

3.1.2.5 Erwartungen des Patienten/der Patientin .................................................... 23

3.1.2.6 Mögliche negative Auswirkungen sozialer Unterstützung .......................... 24

3.1.2.7 Soziale Unterstützung im Krankheitsverlauf ................................................ 25

3.1.3 Posttraumatische Reifung ..................................................................................... 27

3.1.3.1 Konzepte und Abgrenzungen ....................................................................... 27

3.1.3.2 Posttraumatische Reifung und Bewältigung ................................................ 31

3.1.3.3 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung ................................ 33

3.2 Befunde aus empirischen Studien ............................................................................... 35

3.3 Erlebnisberichte ............................................................................................................. 39

3.3.1 Erlebnisbericht Nr. 1: Annette Rexrodt von Fircks .............................................. 39

3.3.2 Erlebnisbericht Nr. 2: Ken und Treya Wilber ....................................................... 44

3.3.3 Erlebnisbericht Nr. 3: Muriel Simon ...................................................................... 49

3.3.4 Zusammenfassung ................................................................................................ 53

4 Forschungsdesign für die empirische Studie...................................................................... 55

4.1 Methodische Anforderungen ........................................................................................ 55

4.2 Vorgehensweise ............................................................................................................ 56

5 Empirische Ergebnisse ......................................................................................................... 59

5.1 Soziale Unterstützung von Brustkrebspatientinnen .................................................... 59

Page 4: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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5.1.1 Hauptquellen sozialer Unterstützung ................................................................... 59

5.1.2 Art der Unterstützung ............................................................................................ 63

5.1.3 Erleben der Unterstützung .................................................................................... 71

5.1.4 Unterschiedliche Unterstützung im Krankheitsverlauf ........................................ 76

5.1.5 Auswirkung sozialer Unterstützung auf die Krankheitsbewältigung .................. 79

5.2 Posttraumatische Reifung............................................................................................. 81

5.2.1 Intensivierte Wertschätzung des Lebens ............................................................. 81

5.2.2 Intensivierung persönlicher Beziehungen ............................................................ 85

5.2.3 Bewusstwerden der eigenen Stärke .................................................................... 88

5.2.4 Entdeckung neuer Möglichkeiten ......................................................................... 90

5.2.5 Intensiviertes spirituelles Bewusstsein................................................................. 91

5.2.6 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung ........................................ 92

6 Zusammenfassung kritische Würdigung und Empfehlungen ............................................ 95

6.1 Zusammenfassung ........................................................................................................ 95

6.2 Kritische Würdigung ...................................................................................................... 96

6.3 Empfehlungen ................................................................................................................ 97

Literaturverzeichnis ...................................................................................................................... 99

Anhang ........................................................................................................................................ 102

Interviewleitfaden Expertin ..................................................................................................... 102

Interviewleitfaden Betroffene ................................................................................................. 104

Page 5: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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1 Einführung

1.1 Problemstellung

Krebserkrankungen sind ein allgegenwärtiges Thema. Es gibt in unseren Breiten

kaum noch einen Menschen, der nicht eine Betroffene/einen Betroffenen kennt,

der/die an einer Krebserkrankung leidet bzw. gelitten hat.

Statistik Austria (2014: 76f) zufolge stellt Brustkrebs mit 30% die häufigste Krebser-

krankung unter Frauen dar. 2011 erkrankten 5.349 Frauen in Österreich. Die Inzi-

denzrate betrug 75,2 und die Mortalitätsrate 15,9 (jeweils altersstandardisiert und

bezogen auf 100.000 Frauen). In absoluten Zahlen sind 1.481 Frauen im Jahr 2011

an Brustkrebs gestorben. Bezogen auf alle Krebssterbefälle bei Frauen waren 16%

auf Brustkrebs zurückzuführen. Die Krebsprävalenz betrug 64.560. Trotz dieser ho-

hen Zahlen ist die Überlebenswahrscheinlichkeit kontinuierlich gestiegen. Das relati-

ve 5-Jahres-Überleben ist zwischen 1987 und 2007 von 67% auf 86% gestiegen.

Dies lässt sich sowohl auf verbesserte Vorsorge und Früherkennung als auch auf

Fortschritte in der Therapie zurückführen. Männer können ebenfalls an Brustkrebs

erkranken (85 Männer im Jahr 2011). Aufgrund dieser kleinen Fallzahl und wegen

der spezifischen Belastung, die Brustkrebs für Frauen darstellt, werden für die fol-

gende Diplomarbeit ausschließlich Frauen befragt.

Krebs, so Tschuschke (2006: 3ff), ist eine Sammelbezeichnung für bösartiges Zell-

wachstum in verschiedenen Ausformungen. Es gibt zahlreiche Ausformungen der

Krebserkrankungen, die sich teils stark voneinander unterscheiden. Sowohl die Ent-

stehung der Krankheit als auch ihre Prognosen sind je nach Krebsart unterschied-

lich. Obwohl in Österreich mehr Menschen an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sterben

als an Krebserkrankungen, ist Krebs eine besonders gefürchtete Diagnose und wird

„mit dem Bösen schlechthin identifiziert“ (ebd.: 3), was unter anderem auch dazu

führt, dass Krebspatienten/Krebspatientinnen gemieden werden, um einer Ausei-

nandersetzung mit diesem Thema aus dem Weg zu gehen. Viele an Krebs Erkrankte

fühlen sich durch Freunde oder Bekannte gemieden und berichten von Veränderun-

gen in der Kommunikation und Brüchen in sozialen Beziehungen.

Page 6: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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Schon seit langem ist bekannt (Aymanns 1992: 90f), dass während der Phase der

Diagnosemitteilung und wenn Behandlungen durchgeführt werden, welche Neben-

wirkungen nach sich ziehen, sich auch die psychische Befindlichkeitverschlechtert.

Der Krebspatient/die Krebspatientin leidet nicht tatsächlich unter der Krebserkran-

kung, sondern vielmehr unter den kognitiven, psychischen und körperlichen Folgeer-

scheinungen, die damit verbunden sind; zu nennen sind hier beispielsweise Verän-

derungen im körperlichen Erscheinungsbild, Unsicherheit über den weiteren Verlauf

der Erkrankung, Niedergeschlagenheit, Angst vor operativen Eingriffen oder Chemo-

therapie und damit verbundene Schmerzen. Auch wenn sich Patienten/Patientinnen

mit der Besserung des Gesundheitszustandes immer mehr an Gesunde angleichen

– bezogen auf Ängste und Depressionen – so bleiben die Sorgen vor einer neuerli-

chen Verschlechterung dennoch latent im Bewusstsein vorhanden, was eine gestei-

gerte Sensibilität für körperliche Veränderungen nach sich zieht. Eine besonders

hohe Belastung der Patienten/Patientinnen führt laut Aymanns (1992: 91) auch im

Zeitverlauf zu einer anhaltenden Beeinträchtigung des psychischen Befindens.

Mit einer Krebserkrankung gehen laut Tschuschke (2006: 40f) vor allem die folgen-

den physischen, psychischen und sozialen Belastungen einher: Gleichsetzung der

Krebsdiagnose mit Tod und Sterben, Verletzung der körperlichen Unversehrtheit,

Autonomieverlust, Verlust von Aktivitäten und Gewohnheiten, soziale Isolie-

rung/Distanzierung, Stigmatisierungsangst und Bedrohung der sozialen Identität und

des Selbstwertgefühls. Zwischen den ersten Symptomen und der Diagnose vergeht

oft einige Zeit, in der die Symptome oftmals aus Angst verleugnet werden. Durch die

Stellung der Diagnose, die bei Vielen einen schwerwiegenden Einschnitt ins bisheri-

ge Leben darstellt, wird der/die Betroffene mit der Realität konfrontiert und muss sich

damit auseinandersetzen. Die erste Reaktion auf eine Krebsdiagnose ist bei den

Betroffenen meist Schock, Bestürzung, Traumatisierung und der Verlust persönlicher

Kontrolle. Krebspatienten/Krebspatientinnen fühlen sich oft hilflos und voller Angst,

Wut und Trauer. Die psychischen Nöte sind von den Angehörigen, aber auch von

den Ärzten/innen, kaum nachvollziehbar. Somit sind angemessene Reaktionen des

sozialen Umfeldes meist nicht möglich, wodurch die Genesung erschwert wird und

sich auch die Beziehungen verschlechtern können.

Page 7: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

6

Die weitere Lebensführung, so führt Tschuschke (ebd.: 42f) weiter aus, wird stark

beeinflusst und die Anpassungsbemühungen können bei den Patienten/Patientinnen

individuell sehr unterschiedlich sein. Dennoch gibt es gemeinsame Erfahrungen, die

bei allen Betroffenen gleichermaßen vorkommen. Schon bei den ersten Symptomen

und beim ersten Verdacht tritt Stress auf. Am belastendsten werden die Phase der

diagnostischen Abklärung der Symptome sowie auch der operative Eingriff erlebt.

Der Anpassungsprozess geht noch lange Zeit danach weiter und wird zu einem

Langzeitproblem. Ein kritischer Punkt in Bezug auf die Krankheitsbewältigung ist die

Frage, ob der/die Erkrankte sich aufgibt oder sich für die eigene Heilung engagiert,

wobei die Anpassung beim Großteil der Patienten/Patientinnen gut gelingt.

Untersuchungen zeigen erhöhte Werte an Depressionen, Angst und Stress bei Über-

lebenden verschiedener Krebserkrankungen. 48% der Krebsüberlebenden weisen

krankheitsbezogene posttraumatische Stresssymptome auf, darunter beispielsweise

die ständige Erinnerung an den Eingriff, Versuche, schmerzvolle Gedanken an die

Erkrankung zu vermeiden, das wiederholte Auftauchen emotionaler krankheitsbezo-

gener Belastungen oder die Angst vor Rezidiven (ebd.: 63).

Brustkrebs stellt für die betroffenen Frauen eine große Herausforderung für die Be-

wältigung der Erkrankung dar. In unserem Kulturkreis kommt der weiblichen Brust

eine hohe symbolische Bedeutung zu. Im Falle einer Entfernung des Tumors wird

der Körper der Betroffenen nach außen sichtbar verändert, was zu einer zusätzli-

chen psychischen Belastung werden kann.

Wer Betroffene kennt, hat meist schon miterlebt, dass die Lebensqualität der Betrof-

fenen oft in erheblichem Ausmaß unter der Erkrankung und unter den medizinischen

Behandlungsformen leidet. Die Patientinnen haben nicht nur körperliche Schmerzen,

sondern leiden auch emotional unter ihrer Krankheit. Es treten Ängste vor Zweittu-

moren auf und eine Chemotherapie geht mit starken körperlichen Symptomen einher

(Übelkeit, Erbrechen). Der gesamte Alltag muss neu organisiert und ausgerichtet

werden. Nach der Therapie bleiben Ängste und Unsicherheiten oftmals weiter be-

stehen. Auch wenn Betroffene den Krebs überlebt haben, leiden sie manchmal noch

an Folgen wie beispielsweise soziale Folgen durch Stigmatisierung und Selbststig-

matisierung oder auch körperlichen Folgeerscheinungen, welche die Lebensqualität

Page 8: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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beeinträchtigen. Zudem werden sie mit ihrem Tod konfrontiert, was eine erhebliche

psychische Belastung und eine Herausforderung in Bezug auf die Krankheitsbewäl-

tigung darstellen kann, aber auch eine Chance für persönliches Wachstum bietet.

Dieses persönliche Wachstum wird als posttraumatische Reifung bzw. posttraumati-

sches Wachstum bezeichnet. Es handelt sich dabei um positive Veränderungen, die

als Folge der Bewältigung von Krisen und schweren Schicksalsschlägen auftreten

können und wobei die Betroffenen über sich hinauswachsen (Zöllner et al 2006: 37).

Unter Punkt 3.1.3 wird die posttraumatische Reifung näher erläutert.

Betrachtet man all dies, so wird deutlich, wie entscheidend es für Betroffene ist,

emotionale Unterstützung zu erhalten, um mit den vielfältigen Belastungen zurech-

tzukommen und die Krebserkrankung gut bewältigen zu können.

Bei der ersten Durchsicht der Literatur wurde deutlich, dass es zwar zahlreiche Un-

terlagen und Forschungsergebnisse in Bezug auf Brustkrebs und Bewältigung bzw.

soziale Unterstützung gibt, jedoch vergleichsweise noch relativ wenig über Brust-

krebs und posttraumatische Reifung, vor allem bezogen auf Österreich. Aus diesem

Grunde ist ein Schwerpunkt der Untersuchung die posttraumatische Reifung bei

Brustkrebspatientinnen.

Da für die vorliegende Untersuchung Frauen aus Selbsthilfegruppen befragt werden,

ist nachfolgend das Wesen von krankheitsbezogenen Selbsthilfegruppen in Öster-

reich kurz umrissen.

1.2 Krankheitsbezogene Selbsthilfegruppen

Selbsthilfe ist laut Grunow (2006: 1053-1061) dadurch definiert, dass sich eine Per-

son oder ein Gefüge aus Personen selbständig um Lösungen und Abhilfe bei Prob-

lemen kümmert. „Selbsthilfegruppen (SHG) sind künstliche, d.h. zum Zweck der

Selbsthilfe geschaffene mikrosoziale Gebilde“ (ebd.: 1061). Personen mit den glei-

chen gesundheitlichen Problemen bzw. Krankheiten schließen sich freiwillig zusam-

men und treffen sich regelmäßig, um sich gegenseitig bei der Bewältigung zu helfen.

Page 9: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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„Die Gruppe ist dabei ein Mittel, die äußere (soziale, gesellschaftliche) und die inne-

re (persönliche, seelische) Isolation aufzuheben“ (ebd.: 1061). Vor allem in Bezug

auf chronische Krankheiten haben Selbsthilfegruppen eine große Bedeutung, da

kurative medizinische Maßnahmen auf das Anwachsen ebendieser Erkrankungen

nicht ausreichend reagieren können. Neben der klassischen Funktion der gegensei-

tigen Unterstützung ist auch die Außenorientierung in Form aktiver Interessensver-

tretung von Bedeutung.

In den letzten Jahrzehnten, so Forster et al (2011: 9-15), haben die Gründungen von

gesundheitsbezogenen Selbsthilfegruppen stark zugenommen. 2008 gab es etwa

1.650 themenspezifische, gesundheitsbezogene Selbsthilfegruppen in Österreich.

Übergreifend gibt es in fast allen Bundesländern Dachverbände, welche alle Selbst-

hilfegruppen im jeweiligen Bundesland verbinden, Ansprechpartner für Betroffene

sind und die Interessen der Gruppen vertreten. Die ARGE Selbsthilfe Österreich

wiederum ist ein Zusammenschluss der Dachverbände. Hauptsächlich engagieren

sich die Aktivisten/Aktivistinnen der Selbsthilfegruppen unentgeltlich. Öffentliche

Förderungen sind in Österreich nicht einheitlich und kaum transparent. Es gibt För-

derungen der Bundesländer und vereinzelt auch auf Länder- und kommunaler Ebe-

ne. Der größte finanzielle Unterstützer ist der Hauptverband der Sozialversiche-

rungsträger.

Page 10: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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2 Forschungsziele und Forschungsfragen

2.1 Forschungsziele

Ziel der Forschungsarbeit ist es näher zu untersuchen, inwiefern von Brustkrebs be-

troffene Frauen durch soziale Unterstützung des nahen sozialen Umfeldes ihr Leiden

besser bewältigen, und ob und inwieweit es zu einem posttraumatischen Wachstum

kommt.

Mit dem Begriff „Leiden“ wird in dieser Forschungsarbeit nicht die medizinische

Krankheit an sich bezeichnet, sondern deren soziale Komponente. Ken Wilber trifft

folgende Unterscheidung zwischen Erkrankung und Leiden:

„Bei jeder Krankheit steht man vor zwei ganz verschiedenen Dingen. Zu-

nächst einmal ist da der Krankheitsprozess selbst – ein Knochenbruch, eine

Grippe, ein Herzinfarkt, ein bösartiger Tumor. Nennen wir diesen Aspekt der

Krankheit ‚Erkrankung‘. Die Erkrankung ist mehr oder weniger wertfrei, weder

wahr noch unwahr, weder gut noch schlecht – sie ist einfach. Zweitens aber

hat ein Erkrankter mit der Haltung zu tun, die seine Gesellschaft oder Kultur

gegenüber dieser Erkrankung einnimmt, also mit den Urteilen, Ängsten, Hoff-

nungen, Mythen, Geschichten, Wertvorstellungen, kurz mit der Bedeutung,

die eine bestimmte Gesellschaft mit jeder Erkrankung verbindet. Nennen wir

diesen Aspekt der Krankheit ‚das Leiden‘. Krebs ist nicht nur eine Krankheit,

ein medizinisch-wissenschaftliches Phänomen, sondern zugleich ein Leiden,

das heißt ein mit kultureller und sozialer Bedeutung befrachtetes Phänomen.

Die Wissenschaft sagt uns, wann und in welcher Weise wir krank sind; unsere

Kultur oder Subkultur sagt, wann und in welcher Weise wir leidend sind“ (Wil-

ber 2014: 54f).

Diese Unterscheidung wird für die Diplomarbeit übernommen und es wird auf den

Begriff des Leidens fokussiert.

Page 11: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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Ziel dieser Forschungsarbeit ist es also, mittels theoretischer und empirischer Infor-

mationen zu untersuchen, in welcher Art und Weise soziale Unterstützung durch

den/Partner die Partnerin und andere nahe Angehörige als hilfreich für die Krank-

heitsbewältigung von Brustkrebspatientinnen erlebt wird. Es soll untersucht werden,

von wem soziale Unterstützung erhalten wird, um welche Art der Unterstützung es

sich handelt und wie diese erlebt wird. Weiters wird untersucht, ob es durch die Be-

wältigung und die soziale Unterstützung zu einem posttraumatischen Wachstum bei

den Patientinnen kommt.

2.2 Forschungsfragen

Damit ergeben sich die nachfolgenden Forschungsfragen.

Zum einen soll die soziale Unterstützung, die die betroffenen Frauen erhalten, in Be-

zug auf die Krankheitsbewältigung näher untersucht werden.

Wie sieht die soziale Unterstützung zur Krankheitsbewältigung von Brust-

krebspatientinnen aus?

o Von welchen Personen werden Brustkrebspatientinnen unterstützt?

o Um welche Art der Unterstützung handelt es sich?

o Wie werden diese Unterstützungsmaßnahmen erlebt?

o Welche Unterschiede gibt es bezüglich der Unterstützung in den ver-

schiedenen Krankheitsverlaufsphasen?

o Auf welche Art und Weise wirkt sich soziale Unterstützung auf die

Krankheitsbewältigung aus?

Zum anderen wird durch die Befragung untersucht, ob es bei den Betroffenen zu

persönlichen Veränderungen, die als posttraumatische Reifung bezeichnet werden,

gekommen ist und wie sich diese bei den befragten Frauen zeigt.

Kommt es durch den Prozess der Krankheitsbewältigung zu einer posttrau-

matischen Reifung?

o Kommt es zu einer intensiveren Wertschätzung des Lebens?

Page 12: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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o Kommt es zu Veränderungen des sozialen Netzwerkes?

o Entwickeln die Betroffenen mehr eigene Stärke?

o Entdecken die Betroffenen neue Möglichkeiten?

o Intensiviert sich das spirituelle Bewusstsein der Betroffenen?

o Welchen Einfluss hat soziale Unterstützung auf die posttraumatische

Reifung?

Page 13: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

12

3 Theoretische und konzeptionelle Grundlagen

3.1 Theorien und Ansätze zu Bewältigungsformen

3.1.1 Krankheitsbewältigung

„Bewältigung oder Coping wird ganz allgemein definiert als die Summe der Verhal-

tensweisen und Gedanken, mittels deren Menschen versuchen, mit belastenden Si-

tuationen fertig zu werden“ (Joseph 2015: 113)

Laut Tschuschke (2006: 19f) reichen die Untersuchungen in Bezug auf die Reaktio-

nen auf Stress und Belastungen bis weit ins 19. Jahrhundert zurück, bis zu den Urs-

prüngen der Psychoanalyse. Anfangs wurden lediglich die verschiedenen Abwehr-

mechanismen erfasst. Ab 1967 gab es einen Aufschwung in der empirischen Krank-

heitsbewältigungsforschung. Das Coping-Konzept ist dadurch allerdings begrifflich

und methodologisch nicht klar abzugrenzen, was vor allem auf widersprüchliche

Forschungsergebnisse zurückzuführen ist. Die Definition des Begriffes der Krank-

heitsbewältigung ist umstritten und es „gibt keine allgemein anerkannte Methodolo-

gie zur Erfassung von Krankheitsverarbeitung und -bewältigung bei Krebspatienten“

(ebd.: 20).

Joseph (2015: 113) unterteilt Bewältigung generell in annäherungsorientierte Metho-

den, im Folgenden als Coping bezeichnet, wobei die betroffenen Menschen sich

bemühen, die belastende Situation zu ändern und/oder ihre damit verbundenen Ge-

fühle zu bewältigen auf der einen Seite und auf der anderen vermeidungsorientierte

Methoden, wobei die Situation ignoriert und die korrespondierenden Gefühle ver-

leugnet werden, nachfolgend als Abwehr bezeichnet.

Im Folgenden wird der Unterschied zwischen Coping und Abwehr näher erläutert.

Abwehr ist, Tschuschke (2006: 20f) folgend, ein psychoanalytisches Konzept und

geht auf Siegmund Freud zurück, der Abwehr als unbewussten Kampf gegen Un-

lustgefühle definiert hat. Seine Tochter Anna Freud erweiterte seine ursprünglich

Page 14: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

13

zehn Abwehrmechanismen, wobei sie beobachtete, dass sich Personen jeweils auf

bestimmte Mechanismen beschränken. Man nahm in der Folge an, dass ein Zu-

sammenhang zwischen Abwehr-Stilen und psychologischen Problemen besteht und

dass es adaptive, reife, nicht-krankmachende und nichtadaptive, unreife, krankma-

chende Formen gibt.

Abwehrmechanismen können daher sowohl psychopathologische Entwicklungen als

auch konstruktive Anpassungsleistungen begünstigen. Sie sind weitgehend innere,

unbewusste Prozesse, wirken Angst vermindernd und entziehen sich einer objekti-

ven Beobachtung; Realität und Selbstwahrnehmung werden verzerrt. Ob Abwehr-

mechanismen für die Krankheitsbewältigung hilfreich sind oder eher eine Fehlan-

passung darstellen, ist umstritten. Dennoch wird Verleugnung als vorherrschender,

weit verbreiteter Bewältigungsmechanismus betrachtet. Die Bedeutung der Erkran-

kung wird bewusst oder unbewusst zurückgewiesen, wodurch Angst und dergleichen

abgeschwächt werden (Broda/Muthny 1990: 43ff).

Coping-Reaktionen hingegen, so Tschuschke (2006: 21), sind bewusste Reaktionen

auf belastende Situationen. Empirisch wurden zwei Grunddimensionen untersucht:

emotionales und problemorientiertes Coping. Weiterentwicklungen durch Folkman

und Lazarus in den 1970er und 1980er Jahren führten zu der Annahme, dass Co-

ping-Strategien situationsgebunden und kontextabhängig sind. Coping wird als Pro-

zess aufgefasst, in dem sich die Person mit der belastenden Situation auseinander-

setzt und ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen und den Bewältigungsres-

sourcen herstellt.

Im Coping-Ansatz wird also der Fokus auf die bewusste Verarbeitung der Erkran-

kung gelegt (vgl. Broda/Muthny 1990: 45). Die Betroffenen werden nicht mehr als

passive Opfer gesehen sondern als "aktive Gestalter einer eigenen erträglichen

Sichtweise und Neuanpassung an die Krankheit" (ebd.: 45). Die Krankheitsbewälti-

gung wird nicht nur durch soziodemographische Variablen beeinflusst, sondern vor

allem auch durch Persönlichkeitsvariablen. Positiv wirken sich Selbstvertrauen, ein

gutes Selbstwertgefühl, aktive Bewältigungsorientierung, Problemlösefähigkeiten

und soziale Kompetenz aus. Negativ wirken Hilflosigkeit, Mangel an Hoffnung oder

fatalistische Einstellungen.

Page 15: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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Abwehr und Coping weisen demnach, wie Tschuschke (2006: 22f) weiter anführt,

unterschiedliche Funktionen und Wirkungen auf. „Während die Abwehr darauf zielt,

Bedrohung von sich fernzuhalten bzw. sie im unbewussten subjektiven Erleben mehr

oder weniger zu modifizieren – sie also zu verleugnen, zu bagatellisieren, zu ver-

drängen oder zu projizieren – quasi als unbewusster Filter für einkommende Infor-

mationen über eine Bedrohung dient, greift Coping einen eher bewussten Umgang

mit real gegebenen Fakten um die Erkrankungssituation herum auf“ (ebd.: 22). Ab-

wehr kann die Realität also mitunter verzerren und somit ein angemessenes Coping

erschweren oder gänzlich verhindern.

Allerdings kann Vermeidung, wie bereits ausgeführt, auch eine hilfreiche Bewälti-

gungsstrategie sein. Vermeidet eine onkologisch erkrankte Person beispielsweise

den Gedanken an den möglichen Tod und hat dadurch die Kraft, sich in medizini-

sche Behandlung zu begeben, so ist dies ein hilfreiches Verhalten. Wird jedoch die

Krebserkrankung an sich vermieden bzw. verleugnet und lässt sich die betroffene

Person deswegen nicht behandeln, so wirkt sich diese Verhaltensweise problema-

tisch aus, vor allem wenn diese Vermeidungsstrategie über einen längeren Zeitraum

anhält. Abwehr ist dann am wahrscheinlichsten, wenn die Belastung besonders

groß, unkontrollierbar und unveränderlich wahrgenommen wird, was bei einer Brust-

krebsdiagnose leicht der Fall sein kann. Man wird mit den eigenen Grenzen und mit

einem möglichen frühen Tod konfrontiert, was nicht selten mit Vermeidung einher

geht. Als erste Reaktion ist dies verständlich. Bleibt man jedoch in der Abwehr ge-

fangen, führt diese Vermeidung dazu, dass eine bewusste Auseinandersetzung ver-

hindert wird und die Betroffenen nicht über die Belastung hinwegkommen können.

(Joseph 2015: 115f)

Canacakis (2006: 38) bezeichnet Verdrängungen als nicht gelungene Trauer. Es gibt

viele Erscheinungsbilder der Trauer, die Ausdruck finden müssen damit ein Mensch

auch wieder positive Gefühle und Lebensqualität erleben kann. „Sollten wir aus ir-

gendeinem Grund versuchen, das Fließen eines Gefühls zu blockieren, weil es zum

Beispiel nicht erlaubt ist, dann blockieren wir diesen Weg auch für die anderen Ge-

fühle und stören damit das Gleichgewicht und die selbstregulierenden Energien des

sinnvollen Ganzen“ (ebd.: 38). Auch der Verlust von Gesundheit, von körperlicher

Page 16: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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Unversehrtheit, von Hoffnungen und anderen relevanten Komponenten einer chroni-

schen Krankheit müssen entsprechend betrauert werden damit eine positive Weiter-

entwicklung stattfinden kann – auch im Sinne einer posttraumatischen Reifung.

Es ist daher, wie Joseph (2015: 116-119) schreibt, hilfreich, annäherungsorientierte

Bewältigungsmethoden anzuwenden, also sich dem Thema der eigenen Krebser-

krankung zu stellen, die damit verbunden Gefühle zu bewältigen und zu lernen, mit

der Belastung gut umzugehen. Annäherungsorientierte Bewältigung (Coping) wird in

aufgabenorientierte und gefühlsorientiere Bewältigung unterteilt. Aufgabenorientier-

tes Coping ist eine praktische, aktive Herangehensweise an die traumatische Situa-

tion und die dadurch ausgelösten Probleme. Stretegien zur Bewältiung werden be-

wusst angewandt, Rat und Hilfe werden gesucht. Durch gefühlsorientiertes Coping

werden Strategien eingesetzt, um die emotionalen Belastungen gut zu bewältigen.

Dazu gehört auch, sich Unterstützung durch andere Menschen zu suchen. „Während

aufgabenorientierte Bewältigung dann wichtig ist, wenn die Situation einer Änderung

bedarf, brauchen wir gefühlsorientiertes Coping bei übergroßer Belastung, da diese

Form der Bewältigung uns hilft, mit unseren Gefühlen fertig zu werden“ (ebd.: 119).

In Bezug auf eine Anpassung an eine Krebserkrankung mitsamt deren Auswirkun-

gen wirken aktive Coping-Strategien positiv auf die Lebensqualität, im Gegensatz zu

Resignation, Hoffnungslosigkeit oder Vermeidung, welche sich negativ auf den

Krankheitsverlauf auswirken (Tschuschke 2006: 95). Werden aktive, aufgaben- und

emotionsorientierte Coping-Strategien genutzt, kommen diese Menschen generell

besser mit den Belastungen zurecht und berichten auch häufiger über posttraumati-

sches Wachstum als Menschen, die mit Abwehr reagieren (Joseph 2015: 122).

Coping ist laut Tschuschke (2006: 24f) – wie bereits ausgeführt – eine Reaktion im

Denken und Verhalten, beispielsweise eine Reaktion auf eine Brustkrebserkrankung.

Dazu gehören die Bewertung der Lage im Sinne der persönlichen Bedeutung, wel-

che die Krebserkrankung für die betroffene Frau hat und die Reaktionen im Denken

und Handeln, mit denen die Bedrohung gemildert wird. Krankheitsbewältigung ist

nicht statisch und kein einmaliges Ereignis sondern ein Prozess der sich mit der Zeit

ändern und unterschiedliche Phasen aufweisen kann.

Page 17: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

16

Diese Phasen der Krankheitsbewältigung sind:

„Vorgeschichte: biographisch definierte Ängste und Fantasien über Krebs

erste Symptome: Wahrnehmung bzw. Vernachlässigung der ersten Symp-

tome

erster Arztbesuch und anschließende Abklärung

Erstbehandlung (häufig chirurgisch)

Auftreten eines Rezidivs bzw. von Metastasen

Zweitbehandlung (häufig Chemo- bzw. Strahlentherapie)

Heilung/chronische Krankheit/Sterben und Tod“

(ebd.: 25)

Ein Phasenmodell haben auch Corbin/Strauss (1993: 11f) mit ihrem Konzept der

Krankheitsverlaufskurven entwickelt. Dieses Konzept bezieht sich nicht nur auf den

physischen Krankheitsverlauf, sondern auch auf die krankheitsbezogene Bewälti-

gungsarbeit. Die verschiedenen Phasen haben je unterschiedliche Anforderungen

und Konsequenzen für den Lebensentwurf des Patienten/der Patientin. Die Bezie-

hung zu sich selbst, zum Körper und der äußeren Erscheinung, zum Lebensverlauf

verändert sich und die Erkrankung muss ins gesamte Leben integriert werden. Die

notwendige Bewältigungsarbeit im Krankenhaus bezieht sich auf die ärztlichen, me-

dizinischen und pflegerischen Leistungen des Personals. Im Gegensatz dazu ist die

Arbeit, die in der Familie geleistet wird, wesentlich komplexer.

Durch ihr Konzept der Bewältigungsarbeit nehmen Corbin/Strauss (ebd.: 29f) eine

soziologische Perspektive ein. Sie unterscheiden diesbezüglich zwischen dem rein

medizinischen Krankheitsverlauf und der Krankheitsverlaufskurve. Die Verlaufskurve

umfasst nicht nur den physiologischen Krankheitsverlauf, sondern auch die gesamte

Bewältigungsarbeit, welche in diesem Zusammenhang von den Betroffenen und de-

ren Angehörigen geleistet wird und den Eingriff in das weitere Leben der Patien-

ten/Patientinnen. Eine ähnliche Differenzierung nimmt auch Wilber vor, wenn er wie

bereits erwähnt, zwischen Krankheit und Leiden unterscheidet. Beim Begriff der Ver-

laufskurve kommt allen Beteiligten eine aktive Rolle zu. Der Verlauf wird neben der

Krankheit an sich und den Reaktionen des/der Betroffenen darauf auch durch die Art

Page 18: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

17

des Handelns aller Beteiligten bestimmt. Der Hauptteil der Alltagsarbeit in Bezug auf

die Krankheitsbewältigung ist von der erkrankten Person und dessen Part-

ner/Partnerin zu leisten, wobei die Familie und andere nahestehende Personen sich

vor allem um das Leiden und nicht um die Krankheit kümmern.

Die Verlaufskurve ist nicht starr sondern verändert sich mit den Krankheitsphasen

und passt sich verschiedenen lebens- und krankheitsbezogenen Ereignissen an.

Physischer und emotionaler Zustand müssen nicht unbedingt zusammenhängen.

Eine Phase ist akut, wenn die Krankheit eine umgehende medizinische Behandlung

erforderlich macht. Die Bewältigungsarbeit in dieser Phase bezieht sich auf die kör-

perliche und psychische Stabilisierung und die Förderung der Genesung. Diese

Phasen werden vom medizinischen Personal bewältigt, nicht in der Familie. Die auf

eine Krankheitsphase folgende Renormalisierung ist sowohl eine körperliche als

auch eine emotionale Erholung. Die Verlaufskurve geht nach oben und es wird eine

Wiederherstellung des Wohlbefindens angestrebt. In einer stabilen Phase tritt weder

eine Verschlechterung noch eine Verbesserung auf. Die Bewältigungsarbeit in dieser

Phase dient der Aufrechterhaltung der Stabilität. In einer instabilen Phase hingegen

ist die Krankheit nicht unter Kontrolle. Die üblichen Strategien zur Bewältigung grei-

fen nicht, also versucht man die Ursache der Instabilität und/oder alternative Bewäl-

tigungsformen zu finden. Die Krankheit ist unberechenbar und kann die normale Le-

bensführung stören. In einer Phase in welcher die Verlaufskurve nach unten gerich-

tet ist, verschlechtert sich der Krankheitsverlauf. Das ist auch der Fall, wenn ein

Mensch seinem Lebensende zugeht (Corbin/Strauss 1993: 36–40).

"Stoßen Menschen an die Grenzen der eigenen Bewältigungsmöglichkeiten, kann

Unterstützung von außen neuen Halt geben und zur Wiedererlangung der individuel-

len Handlungsfähigkeit beitragen" (Aymanns 1992: 12). Somit sind beispielsweise

Beziehungen zu Freunden und Familie wichtige soziale Ressourcen. Nicht nur

der/die Betroffene, sondern auch Angehörige haben mit dem Prozess der Krank-

heitsverarbeitung zu tun und können maßgeblichen Einfluss darauf nehmen.

Page 19: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

18

3.1.2 Soziale Unterstützung

Die betroffene Person, so Aymanns (1992: 91), muss sich sowohl mit der Erkran-

kung selbst als auch mit dem sozialen Umfeld auseinandersetzen. Die Krankheits-

bewältigung variiert also nicht nur mit dem objektiven Krankheitsverlauf, sondern

auch mit den personalen und sozialen Ressourcen des Patienten/der Patientin.

„Angst und Ungewißheit über den Fortgang der Erkrankung, einsetzende Trauer-

reaktionen angesichts der Bedrohung des eigenen Lebens, Einschränkungen der

Funktionsfähigkeit und der Verlust sinnstiftender Handlungszusammenhänge wer-

den für viele Patienten zu zentralen Themen der Krankheitsauseinandersetzung.“

(ebd.: 91) Infolge dieser Probleme mobilisieren viele Betroffene soziale Unterstüt-

zung um Hilfe bei der Bewältigung der Erkrankung und deren emotionalen Folgeer-

scheinungen zu erhalten. Sozialer Unterstützung kommt eine hohe Bedeutung zu,

betrachtet man die Frage, warum bei manchen Patienten/Patientinnen die Wieder-

anpassung besser gelingt als bei anderen mit derselben medizinischen Ausgangsla-

ge.

3.1.2.1 Soziale Netzwerke

Hurrelmann (2010: 80ff) schreibt, dass durch die Einbindung in soziale Netzwerke

eine Person Geborgenheit und soziale Integration im nahen und privaten Lebensum-

feld erfährt, was nicht nur positiv auf das Selbstwertgefühl wirkt, sondern auch eine

Ressource zur Bewältigung von Krisen und Unterstützung im Krankheitsfall darstellt.

Somit haben soziale Netzwerke eine direkte gesundheitsrelevante Bedeutung. „Die

Existenz einer engen menschlichen Beziehung hat […] einen disziplinierenden und

kontrollierenden Effekt für das Verhalten, bietet zugleich Unterstützung in Krisenla-

gen und fördert auf diese Weise gesundheitsrelevante Handlungsmuster“ (ebd.: 81).

Darüber hinaus werden Krisensituationen besser bewältigt, wenn die soziale Unters-

tützung über einen längeren Zeitraum hinweg gewährt wird. Zudem ist es wichtig

und hilfreich, wenn mehrere Unterstützungspersonen vorhanden sind. Je stärker die

Einbindung in ein solches soziales Netzwerk ist, umso besser ist die Bewältigung

von Belastungen und kritischen Lebensereignissen, wie beispielsweise einer Krebs-

erkrankung, und umso weniger treten Überforderungen auf. Diesbezüglich wird ein

Page 20: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

19

soziales Netzwerk auch als „soziale[s] Immunsystem eines Menschen“ (ebd.: 82)

bezeichnet.

Ein soziales Netzwerk ist laut Kirschniok (2010: 25ff) ein System von sozialen Be-

ziehungen und Verbindungen zwischen einer Anzahl von Menschen, die miteinander

im Austausch stehen. Voraussetzung für ein soziales Netzwerk sind also nicht nur

eine definierte Anzahl von Personen, sondern auch soziale Handlungen untereinan-

der. Zum primären Netzwerk gehören die Familie, Beziehungen zu Verwandten, zu

Nachbarn/Nachbarinnen und zu Freunden/Freundinnen. Sekundäre Netzwerke sind

beispielsweise Schulen, der Arbeitsplatz und andere öffentliche Netzwerke. Zu den

tertiären Netzwerken zählen zum Beispiel Selbsthilfegruppen, NGOs und professio-

nelle Dienstleister.

Netzwerke werden auch als soziales Kapital betrachtet, das dem Individuum einen

Nutzen bringt, was besonders im Hinblick auf soziale Unterstützung im Krankheitsfall

von Bedeutung ist. Es werden materielle, kognitive und emotionale Hilfestellungen

geboten. Darunter fallen handlungs- und verhaltensorientiere Hilfeleistungen wie

zum Beispiel: Personen- bzw. güterbezogene Leistungen (Betreuung, Hilfe bei Re-

paraturen), Handlungen wie beispielsweise Pflege, materielle Unterstützung, sachli-

che Informationen und Wissen, persönliche Ratschläge, gemeinsame soziale Aktivi-

täten und Freizeitgestaltung. Weitere relevante Aspekte sozialer Unterstützung sind:

Vermittlung von Wertschätzung, Anerkennung, Status, sozialer Normen, Zugehörig-

keit und sozialer Kompetenzen (ebd.: 28).

3.1.2.2 Typen sozialer Unterstützung

Nach Hurrelmann (2010: 82) werden vier Typen sozialer Unterstützung unterschie-

den: Emotionale Unterstützung (Wertschätzung, Akzeptanz), Instrumentelle Unters-

tützung (finanzielle Hilfe, aktives Helfen), Informationelle Unterstützung (Bereitstellen

von Kenntnissen und Informationen), Einschätzungsunterstützung (Bewertung und

Lösung von Situationen).

Page 21: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

20

Vor allem ist es die Familie, die bei Dauerbelastungen, wie beispielsweise einer

Krebserkrankung, emotionale Unterstützung und nachhaltige Hilfe bieten kann.

Freunde/Freundinnen bieten eher informationelle und kurzfristige Unterstützungen.

Im Gegensatz zur Familie besteht im Freundeskreis keine moralische Verpflichtung;

die Hilfestellungen werden freiwillig geleistet. Gerade weil Unterstützung durch

Freunde/Freundinnen nicht selbstverständlich ist, ist sie oft besonders wirkungs-

voll(vgl. ebd.: 82).

Bei der Bewältigung von schweren chronischen Krankheiten ist Aymanns (1992: 91f)

zufolge soziale Unterstützung entscheidend. Von den unterschiedlichen Personen-

gruppen wird auch eine unterschiedliche Unterstützungsform erwartet. Emotionaler

Rückhalt wird vor allem von der Familie gefordert, aber nicht ausschließlich; auch

vom medizinischen Personal und dem Freundeskreis wird dies erwartet. Emotionale

Unterstützung ist für Krebspatienten/Krebspatientinnen die wichtigste Form der so-

zialen Unterstützung. Informationsbezogene Unterstützung wird vom medizinischen

Personal gefordert und hat in Verbindung mit emotionaler Unterstützung auch einen

hohen Stellenwert. Es wird Kompetenz erwartet, weshalb Familienmitglieder und

Freunde/Freundinnen kaum um Informationen gefragt werden und eine unzurei-

chende Kompetenz des Arztes/der Ärztin besonders schwerwiegend wahrgenom-

men wird. Hier greift die Unterstützung durch Selbsthilfegruppen und andere betrof-

fene Patienten/Patientinnen. Der emotionale Rückhalt für Betroffene als wichtigste

und hilfreichste Form der sozialen Unterstützung wird durch Zuwendung, Liebe, Zu-

hören, einfaches Anwesend sein, Verständnis und Ermutigung ausgedrückt. Instru-

mentelle Unterstützung wird je nach Schwere der Funktionseinschränkung der Pa-

tienten/Patientinnen als unterschiedlich hilfreich erlebt. Die Einschätzung, was als

hilfreich wahrgenommen wird und was nicht, ist individuell sehr unterschiedlich.

3.1.2.3 Wirkung sozialer Unterstützung

Die Wirkung sozialer Unterstützung lässt sich nach Hurrelmann (2010: 83) in Ab-

schirmwirkung, Pufferwirkung und Toleranzwirkung einteilen. Die Abschirmwirkung

besteht darin, dass es durch das Vorhandensein sozialer Beziehungen seltener zu

belastenden Situationen kommt, da die vorbeugende Bewältigungsfähigkeit von kri-

Page 22: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

21

senhaften gesundheitsrelevanten Situationen größer ist. Die Pufferwirkung erklärt

sich dadurch, dass emotionale und praktische Hilfeleistungen dazu beitragen, wirk-

samer mit Belastungen umzugehen und Selbstwert- und Selbstwirksamkeitsgefühle

zu stärken. Schließlich trägt soziale Unterstützung auch dazu bei, mit bereits vor-

handenen schweren Erkrankungen toleranter umzugehen und diese leichter zu er-

tragen (Toleranzwirkung).

Kolip/Lademann (2006: 636) unterscheiden bzgl. der Wirkung sozialer Unterstützung

zwischen direkten Effekten und indirekten Puffereffekten. Einen direkten Einfluss auf

das Wohlergehen haben die Vermittlung von Gefühlen wie Liebe, Wertschätzung,

Anerkennung und dergleichen durch den/die Lebenspartner/in. Indirekte Puffereffek-

te zeichnen sich dadurch aus, dass die soziale Unterstützung beiträgt, die negativen

Auswirkungen von Krisensituationen zu reduzieren.

Soziale und emotionale Unterstützung durch das nahe soziale Umfeld hat also be-

züglich des Erlebens von Stress eine Pufferwirkung. Ist die Unterstützung allerdings

zu gering, ist das Stresserleben sogar noch erhöht. Auch wenn der/die Betroffene

professionelle psychologische Hilfe erhält, ist parallel stattfindende soziale Unters-

tützung wichtig um den Erfolg ebendieser professionellen Hilfeleistung zu ermögli-

chen (Tschuschke 2006: 139).

3.1.2.4 Soziale Unterstützung im privaten Umfeld

Die wichtigste Quelle sozialer Unterstützung sind, wie bereits ausgeführt, die engen

Familienangehörigen. Soziale und emotionale Unterstützung wichtiger Bezugsper-

sonen ist in Bezug auf eine Krebserkrankung nicht zu unterschätzen. Der Mensch

als soziales Wesen braucht andere Menschen um ein Gefühl von Lebenssinn zu

haben, vor allem in Belastungssituationen (Tschuschke 2006: 139).

Kolip/Lademann (2006: 636) weisen darauf hin, dass der Lebenspartner/die Lebens-

partnerin eine wichtige Quelle sozialer Unterstützung darstellt, wobei dies ge-

schlechtsspezifisch traditionell verteilt ist. Männer leisten eher instrumentelle und

materielle, Frauen eher emotionale Unterstützung. Frauen fühlen sich durch ihren

Page 23: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

22

Partner oft zu wenig unterstützt und greifen daher auf andere Personen, wie z.B.

eine Freundin, zurück.

Gesundheit wird im Zusammenhang des sozialen Netzwerkes aktiv hergestellt.

Durch personale und soziale Schutzfaktoren werden negative Einflüsse auf die Ge-

sundheit abgeschwächt. Besonders der Partner/die Partnerin ist als Quelle sozialer

Unterstützung von besonderer Bedeutung. "Familienmitglieder geben Hilfen bei der

Bewältigung emotional belastender Situationen und vermitteln ein Gefühl von Wert-

schätzung, Liebe und Zugehörigkeit, das sich positiv auf das Wohlbefinden auswirkt"

(ebd.: 625). Neben der gesundheitsförderlichen und protektiven Wirkung der Familie

als soziales Stützsystem kann diese aber unter Umständen auch krankheitsförderli-

che Entwicklungen begünstigen. Es gilt für die nahen Angehörigen die Norm, Unters-

tützungsleistungen bei belastenden Lebensereignissen zu erbringen. Ein Ausbleiben

dieser Unterstützungsleistungen erschwert nicht nur die Krankheitsanpassung, son-

dern wird von dem Patienten/der Partnerin auch als zusätzliche Belastung erfahren.

(ebd.: 625f; Aymanns 1992: 12f).

Die Familie ist Kolip/Lademann (2006: 636ff) zufolge für den Kranken in vielerlei

Hinsicht eine Unterstützung: Im akuten Krankheitsfall, bezüglich Erholung und zur

Förderung eines gesunden Lebensstiles. Im Falle einer gesundheitlichen Krisensi-

tuation kann durch den Partner/die Partnerin rasch medizinische Hilfe gerufen wer-

den. Des Weiteren ist die Familie eine Versorgungsinstanz im Krankheitsfall. Bei

einer chronischen Erkrankung wird von den Familienmitgliedern der Großteil der

Versorgungsarbeit geleistet. Die Familie bietet darüber hinaus einen Raum zur Erho-

lung, Entspannung und Ablenkung. Auch hier geht man davon aus, dass aufgrund

der nach wie vor vorhandenen geschlechtlichen Arbeitsteilung berufstätige Frauen

weniger Möglichkeiten zur Erholung haben, da sie nach Feierabend Hausarbeit zu

erledigen haben. Enge Sozialbeziehungen haben durch den kontrollierenden bzw.

disziplinierenden Einfluss des Partners/der Partnerin eine positive Wirkung auf ge-

sundheitsförderliches Verhalten. Vor allem bei schweren chronischen Krankheiten

wie einer Krebserkrankung sind alle genannten Faktoren von Bedeutung.

Durch eine chronische Krankheit verändert sich das soziale System, wie Bro-

da/Muthny (1990: 86-90) ausführen. Bisherige Beziehungen können entweder inten-

Page 24: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

23

siviert werden, wie es z.B. bei Familienangehörigen der Fall sein kann, oder sie wer-

den verringert oder gänzlich abgebrochen, beispielsweise Kontakte zu Arbeitskolle-

gen/Arbeitskolleginnen. Durch Rollenveränderungen wird der/die Erkrankte auch mit

neuen sozialen Strukturen konfrontiert. Während eines stationären Aufenthaltes wird

beispielsweise der Kontakt zu Angehörigen erschwert, jedoch gewinnen Kontakte zu

Pflegepersonal und Mitpatienten/Mitpatientinnen an Bedeutung und können als zu-

sätzliches soziales Stützsystem zur Verarbeitung von Belastungen beitragen.

Da soziale Beziehungen das Wohlbefinden auch stören können, ist die Qualität

wichtiger ist als die Quantität. Somit können auch schwächere Beziehungen zu Per-

sonen außerhalb des engsten sozialen Netzwerkes hilfreich sein, wenn diese als

subjektiv unterstützend erlebt werden dadurch ein Zugang zu Ressourcen ermöglicht

wird (Krischniok 2010: 28f).

3.1.2.5 Erwartungen des Patienten/der Patientin

Laut Tschuschke (2006: 137ff) sind die Erwartungen des/der onkologisch Erkrankten

an den Partner/die Partnerin unter anderem Verständnis, Trost, Aufrichtung, An-

nahme, Geborgenheit und Sicherheit. Es wird darüber hinaus gewünscht, dass der

Partner/die Partnerin mit der Beziehung zufrieden und die Liebe unveränderlich ist.

Es werden Berührungen, Aufmerksamkeit und Einfühlsamkeit erwartet, sowie Besu-

che und das Schmieden von Zukunftsplänen. Der Partner/die Partnerin sollte Mut zu

Veränderungen haben. Der/die Erkrankte leidet unter Vertrauensverlust, hat Angst,

nicht geliebt zu werden und reagiert oft mit Distanzierung, emotionalem Rückzug

und Einsamkeit. Die Partner/Partnerinnen ihrerseits leiden häufig an Depressionen

und Schuldgefühlen und haben Probleme, die Krankheit zu akzeptieren. Sie sind

verzweifelt und erleben die veränderten Rollen als Belastung. Die Kommunikation,

das Sexualleben und die gemeinsamen sozialen Kontakte sind beeinträchtigt, wo-

runter die Partner/innen leiden. Des Weiteren wird erwartet, dass Freunde den Kon-

takt auch in schwierigen Zeiten aufrechterhalten. Häufig jedoch ziehen sich diese

Personen aufgrund eigener Ängste oder Unverständnis für die Situation des Patien-

ten/der Patientin zurück.

Page 25: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

24

3.1.2.6 Mögliche negative Auswirkungen sozialer Unterstützung

Familie und Partnerschaft sind nicht nur hilfreiche Quellen sozialer Unterstützung;

die Krebserkrankung und die Behandlungen haben auch Auswirkungen und Folgen

für diese. Nicht selten kommt es zu Trennungen und Scheidungen. Patien-

ten/Patientinnen berichten über Schwierigkeiten, über Gefühle, Ängste oder die Zu-

kunft zu sprechen und darüber, dass der Partner/die Partnerin kein Verständnis für

ihre krankheitsbedingten Probleme entwickeln. Demgegenüber berichten Patien-

ten/Patientinnen allerdings auch von positiven Auswirkungen auf die familiären Be-

ziehungen wie beispielsweise stärkere Bindungen oder größere Zufriedenheit. So-

ziale Beziehungen zum Freundeskreis sind nicht so stark von negativen Auswirkun-

gen betroffen. (Tschuschke 2006.: 89f).

Aymanns (1992: 93) macht deutlich, dass – auch wenn der Großteil der Krebspatien-

ten/innen mit der erhaltenen sozialen Unterstützung zufrieden ist – eine Krebsdiag-

nose dazu führen kann, dass sich Mitglieder des sozialen Umfeldes zurückziehen,

wodurch der Partner/die Patientin in eine soziale Isolierung gerät und zentrale Un-

terstützungsbedürfnisse nicht erfüllt werden. Einerseits werden bei nahen Angehöri-

gen Ängste in Bezug auf eine eventuelle Bedrohung der eigenen Gesundheit, und in

Folge Vermeidungsreaktionen ausgelöst. Andererseits besteht die Annahme, dass

man Krebspatienten/Krebspatientinnen freundlich und mit Optimismus begegnen

soll. Aus diesen beiden Reaktionen entstehen Konflikte, welche zu widersprüchli-

chem Verhalten führen und die Kommunikation über die Krankheit und Krankheits-

folgen behindern. In der Folge wird beispielsweise der Kontakt vermieden oder die

Patienten/Patientinnen deuten diese widersprüchliche Kommunikation als Zurück-

weisung, wodurch sie sich selbst ebenfalls abwenden.

Patienten/Patientinnen, die schon seit längerer Zeit an Krebs erkrankt sind, beklagen

häufig, dass sie ihre Ängste und Befürchtungen nicht äußern können. Als nicht hilf-

reich wird das soziale Stützsystem erlebt, wenn Kritik am Verhalten des/der Betrof-

fenen geübt wird, die Bedeutung der Erkrankung und die damit verbundenen Ängste

heruntergespielt werden und wenn die Einstellung der Helfenden zu pessimistisch

ist. Weitere Diskrepanzen zwischen Unterstützungsbedürfnissen und Angeboten

sind beispielsweise übertriebenes Mitleid und künstliche Bemühungen denPatien-

Page 26: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

25

ten/die Patientin aufzumuntern, wodurch eine Kommunikation über die eigentlichen

Bedürfnisse verunmöglicht wird, bzw. unterschiedliche Sichtweisen darüber, wie mit

der Erkrankung angemessen umgegangen werden soll (Aymanns 1992: 93ff).

Da eine Krebserkrankung eine chronische Belastung und je nach Krebsart unter-

schiedlich im Krankheitsverlauf ist, sind auch die Bedürfnisse an sozialer Unterstüt-

zung seitens der Patienten/Patientinnen unterschiedlich. Des Weiteren haben der

Patient/die Patientin und die Angehörigen verschiedene Vorstellungen in Bezug dar-

auf, ab wann die Krankheit als überwunden gilt. Demnach kann es zu Einbußen an

sozialen Hilfeleistungen kommen, obwohl seitens des Patienten/der Patientin immer

noch Unterstützungsbedarf besteht (ebd.: 95f).

Aymanns (1992: 98ff) führt weiter aus, dass soziale Unterstützung auch schädigen-

de Auswirkungen haben kann. Beispielsweise kann einem Patienten/einer Patientin

durch eine hohe Unterstützung signalisiert werden, dass er/sie nicht alleine zurech-

tkommt und Gefühle der Unzulänglichkeit auslösen bzw. verstärken. Krankheitsbe-

dingte Abhängigkeiten können entstehen, wodurch der Kranke in der Patientenrolle

gehalten wird. Darüber hinaus kann es zu Schuldzuweisungen oder Abwerten der

emotionalen Belastung kommen. Eine zu hohe instrumentelle Unterstützung kann

dazu führen, dass die Motivation zur Selbstversorgung zurückgeht oder dass Lern-

möglichkeiten bzw. Anpassungen an veränderte Bedingungen nicht wahrgenommen

werden. Ein Zuviel an Unterstützung kann also ebenso wie ein Unterstützungsman-

gel kontraproduktiv sein, beispielsweise bei einem Patienten/einer Patientin mit ho-

hem Selbstwirksamkeitsgefühl.

3.1.2.7 Soziale Unterstützung im Krankheitsverlauf

Besonders in Stress- und Krisensituationen kommt, wie bereits mehrfach erwähnt,

sozialer Unterstützung eine hohe Bedeutung zu. Die größte Stressbelastung trifft bei

der Diagnosestellung, während der Anwendung nebenwirkungsreicher Behandlun-

gen und bei Verschlechterungen des Krankheitszustandes auf. Eine Krankheitsver-

schlechterung wirkt sehr bedrohlich, was zur Folge hat, dass Unterstützungsmaß-

nahmen nicht mehr so gut greifen, da die psychische Verfassung bei den Patien-

Page 27: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

26

ten/Patientinnen im Allgemeinen schlechter wird. Allerdings würde ein Mangel an

Unterstützung einen zusätzlichen Stressor darstellen. Die Zeitdauer hat ebenfalls

einen Einfluss darauf, wie soziale Unterstützung erlebt wird. Vor allem zu Beginn der

Erkrankung ist diese von zentraler Bedeutung und wirkt protektiv, während mit län-

gerem Fortschreiten der Krankheit dieser Effekt abnimmt (Aymanns 1992: 98–101).

Nicht nur der Patient/die Patientin muss sich an krankheitsbedingte Veränderungen

anpassen, wie Aymanns (ebd.: 102f) schreibt, auch die Angehörigen müssen sich

damit auseinandersetzen und leiden oft erheblich darunter. "In diesem Sinne muß

familiale Unterstützung im Kontext der Anpassungsbemühungen des gesamten Fa-

miliensystems gesehen werden. Reaktionen der Familie auf die Erkrankung eines

Familienmitglieds sind dann auch als Versuche zu werten, das Familiensystem an-

gesichts des Ereignisses neu zu organisieren.“ (ebd.: 102) Verläuft eine Erkrankung

progressiv, muss sich die Familie laufend neu anpassen und die Rollenaufteilungen

bzw. –anforderungen ändern. Ist eine Krankheit von episodischen Verläufen oder

Rückfällen gekennzeichnet, muss die Familie flexibel darauf reagieren. Belastend ist

dabei in jedem Fall das laufende Wechseln zwischen Normalzustand und Krisenzu-

stand und die Unsicherheit über den Zeitpunkt der nächsten Krankheitsverschlechte-

rung. Inwieweit sich die nahen Angehörigen an die Veränderungen, welche mit der

Krankheit einhergehen, anpassen können, hat Auswirkungen darauf, ob der Pa-

tient/die Patientin die passende Unterstützungsform erhält – und wohl auch darauf,

ob es zu posttraumatischem Wachstum kommt. "Anpassungsfähig erscheinen sol-

che Systeme, die als Reaktion auf entwicklungsbedingten Streß ihre Machtstruktur,

ihre Rollenbeziehungen und Beziehungsregeln verändern können." (ebd.: 103) Hilf-

reich dabei ist eine offene Kommunikation zwischen Patient/in und nahen Bezugs-

personen von denen die Unterstützung erhalten wird.

Page 28: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

27

3.1.3 Posttraumatische Reifung

3.1.3.1 Konzepte und Abgrenzungen

Traumatische bzw. bedrohliche Lebenssituationen können unerwartete positive Ver-

änderungen des betroffenen Menschen auslösen. Diese Veränderungen werden als

„posttraumatische Reifung“ bzw. „posttraumatisches Wachstum“ bezeichnet. Der

Begriff wurde von Tedeschi und Calhoun Mitte der 1990er geprägt. Joseph spricht

von einem „Motor der Transformation“ (Joseph 2015: 9). Eine traumatische Erfah-

rung ist ein Wendepunkt im Leben des Betroffenen und setzt einen Verwandlungs-

prozess in Gang. Nachdem man sich anfänglich mit der Erforschung der negativen

Auswirkungen von krisenhaften Lebenssituationen beschäftigte, ist nun seit den

1990er Jahren ein verstärktes Interesse an einem positiven Fokus zu verzeichnen.

Die Philosophie ist bereits seit Tausenden Jahren der Auffassung, dass Leiden po-

tentiell das persönliche Wachstum fördert (ebd.: 9; Zöllner et al 2006: 36f).

Posttraumatische Reifung bezeichnet Zöllner (ebd.: 37) zufolge positive psychologi-

sche Veränderungen als Folge von Bewältigungsprozessen krisenhafter Lebens-

ereignisse und nicht als Teil einer natürlichen Entwicklung. Die Betroffenen erholen

sich nicht nur von den Belastungen, sondern wachsen darüber hinaus und gelangen

zu größerem persönlichem Wachstum, einer Neudefinition des Lebenssinns und

weiteren positiven Veränderungen.

Ken Wilber, dessen Ehefrau an ihrer Brustkrebserkrankung verstorben ist, schreibt

über ihre letzten Monate:

„Ich verfolgte all das mit Bewunderung, Staunen und ein bisschen Neid. Sie

hätte sich weiterhin ihrer Bitterkeit, ihrem Selbstmitleid und ihrer Erschöpfung

überlassen können. Stattdessen wurde sie immer offener, liebevoller, verzei-

hender, verständnisvoller. Und ihre Kraft nahm mit jedem Tag weiter zu, of-

fenbar nach dem Motto ‚Was mich nicht umbringt, macht mich stärker‘ […]“

Und an anderer Stelle:„Treya wusste sehr genau um den Ernst ihrer Lage,

aber seltsam, ihr Gleichmut und ihre schiere Lebensfreude schienen von Tag

zu Tag noch zuzunehmen. Und diese Freude war echt – sie war glücklich,

Page 29: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

28

dass sie jetzt lebendig war. Pfeif auf morgen! Manchmal […] schlich sich auch

in mein Herz leise diese Freude ein, das Glück, diesen unermesslich kostba-

ren Augenblick zu haben. Dafür war Treya meine Lehrerin gewesen durch ihr

tagtägliches Leben mit dem Tod. […] Treya lebte mehr denn je in der Gegen-

wart statt in der Zukunft und verschrieb sich dem, was ist, nicht dem, was sein

könnte“ (Wilber 2014: 243; 351).

Sie selbst schreibt in ihrem Tagebuch über ihren tiefen Wandel und inneren Um-

bruch:

„Es fühlt sich wie ein neuer Anfang an, wie eine Wiedergeburt. Ich habe mich

wirklich verändert, tiefgreifend verändert. [...] Ich bin einfach nur noch am Le-

ben interessiert, wahnsinnig interessiert. […] Ich habe zu Ken gesagt, dass

ich es selbst nicht verstehe, aber meine Stimmung ist ausgezeichnet, meine

Lebensgeister sind ungebrochen, ich genieße das Leben, ich höre so gern die

Vögel vor meinem Fenster singen […]. Ich freue mich auf den Tag und möch-

te am liebsten, dass er nicht zu Ende geht. Ich verstehe es nicht! Vielleicht er-

lebe ich das Ende dieses Jahres nicht mehr. Aber hör doch nur, wie die Vögel

singen!“ (ebd.: 261f; 320).

Diese Zitate beschreiben sehr eindrücklich, was mit posttraumatischer Reifung ge-

meint ist. Menschen wachsen durch die Bewältigung schwerwiegender Erfahrungen

über sich hinaus, was in weiterer Folge auch zu immer besser werdenden Coping-

Fähigkeiten führt.

Immer mehr Forschungsergebnisse weisen laut Zöllner (2006: 37) auf die Relevanz

positiver Veränderungen nach krisenhaften Lebenssituationen hin. Um ein umfas-

senderes Verständnis von Bewältigungsprozessen belastender Erlebnisse zu erlan-

gen, ist die Erforschung dieses Phänomens von Bedeutung.

Joseph (2015: 70-73) zufolge wird Posttraumatisches Wachstum seit etwa 20 Jahren

wissenschaftlich erforscht und die Forschungen stecken noch in der Entwicklungs-

phase. Anfang der 1990er Jahre wurden Menschen erstmals systematisch über Ver-

änderungen ihrer Lebensphilosophie nach traumatischen Erlebnissen befragt, wobei

die meisten Befragten zumindest eine positive Veränderung nannten. Es wurden

Page 30: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

29

auch viele Untersuchungen bezüglich posttraumatischer Reifung bei Brustkrebs und

anderen medizinischen Problemen vorgenommen. Joseph schlussfolgert aus seinen

vielen Untersuchungen, dass zwischen 30% und 70% der Betroffenen über zumin-

dest irgendeine positive Auswirkung der bedrohlichen Lebensereignisse berichtet.

Untersuchungen zu posttraumatischer Reifung beruhen auf Selbsteinschätzungen

der Befragten. Vorher-Nachher-Studien, bei denen beispielsweise nach einem sinn-

erfüllten Leben gefragt wird, sind schwierig bis kaum durchzuführen, da man nicht

voraussagen kann, wer ein Trauma erleiden wird. Werden derartige Studien aber

durchgeführt, bestätigen sie, dass nach kritischen Ereignissen reale positive Ent-

wicklungen stattfinden (ebd.: 75ff).

In der Theorie des posttraumatischen Wachstums erkennt man an, dass eine trau-

matische Erfahrung sowohl psychisches Leid als auch wertvolle Entwicklungen mit

sich bringen kann. Joseph (2015: 17f) spricht von dem Bewusstwerden drei existen-

tieller Einsichten im Bezug auf posttraumatische Reifung:

Anerkennen, dass es keine Sicherheit im Leben gibt und alles im Fluss ist,

Hingabe an die Ungewissheit und deren Akzeptanz als Grundprinzip des Le-

bens;

Achtsamkeit, Bewusstsein für sich selbst und über die Wechselwirkung der

eigenen Gefühle, Gedanken und Verhaltensweisen, Flexibilität in Bezug auf

persönliche Veränderung;

Erkennen der Selbstwirksamkeit, Verantwortung für die eigenen Entscheidun-

gen und deren Konsequenzen im Leben.

Durch eine schwerwiegende Lebenserfahrung werden diese drei Aspekte bewusst,

wodurch existenzielle Veränderungen in Bezug auf die Selbstwahrnehmung und auf

die Lebensauffassung in Gang gebracht werden. Menschen, die an Schicksals-

schlägen wachsen, akzeptieren, dass diese im Leben unvermeidbar sind.

Die drei häufigsten persönlichen Veränderungen, die laut Joseph (2015: 64-69) von

Betroffenen genannt werden, sind persönliche, philosophische und Beziehungsver-

änderungen. Die persönlichen Veränderungen betreffen neue innere Stärken, größe-

re Weisheit und mehr Mitgefühl. Eine philosophische Veränderung bezieht sich auf

Page 31: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

30

einen Wertewandel und eine neue Sichtweise darauf, was wirklich wichtig ist im Le-

ben. Beziehungsveränderungen bedeuten schließlich, dass Beziehungen neu ent-

deckt und nicht mehr als selbstverständlich betrachtet werden. Einige Beziehungen

vertiefen sich, andere werden freiwillig abgebrochen. Viele Betroffene berichten

auch, dass sie mitfühlender sind und besser mit Intimität umgehen können. „Diesen

dritten Typus der posttraumatischen Veränderung erleben zahlreiche traumatisierte

Menschen. Sie gehen in anderer Weise an ihre engsten Beziehungen heran. Nun,

da ihnen neu bewusst ist, dass zwischenmenschliche Bindung einen der wichtigsten

Lebensaspekte darstellt, schätzen sie Familie und Freundeskreis mehr als vor dem

traumatischen Ereignis“ (ebd.: 68).

Posttraumatische Reifung lässt sich nach Zöllner et al (2006: 38) im Gesamten in

fünf Bereiche unterteilen:

Intensivierte Wertschätzung des Lebens: der Alltag wird anders erlebt, die

„kleinen Dinge“ werden wichtiger, Bewusstsein für das Wesentliche ändert

sich;

Intensivierung persönlicher Beziehungen: größere Nähe zu bestimmten Men-

schen, Distanzierung von bestimmten anderen Menschen, größeres Mitgefühl

für andere;

Bewusstwerden der eigenen Stärke: gleichzeitig höheres Bewusstsein der ei-

genen Verletzbarkeit, Aufgabe von Scheinsicherheiten (schwerwiegende Er-

fahrungen können jederzeit passieren);

Entdeckung neuer Möglichkeiten: berufliche Veränderung, soziales Engage-

ment;

Intensiviertes spirituelles Bewusstsein: auch bei zuvor nichtgläubigen Perso-

nen.

Posttraumatische Reifung ist umso bedeutsamer, wenn es sich um physisch unheil-

bare Erkrankungen handelt. Ähnlich wie Wilber zwischen Krankheit und Leiden diffe-

renziert, so unterscheidet auch Eckert (2010: 2) zwischen der Heilung des Körpers

und der Heilung der Seele:

„Dem Tao zu folgen heißt, in den Fluss einzutauchen, in dem Heilung ge-

schehen kann – oder auch nicht; in dem aber Nicht-Heilung (z.B. des Körpers)

Page 32: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

31

Heilung (z.B. der Seele) sein kann. Dem Tao zu folgen heißt, seiner inneren

Stimme zu vertrauen und auf ständige Kontrolle und Erklärbarkeit des Ge-

schehens zu verzichten“ (Eckert 2010: 2).

Eckert beschreibt hier nicht nur, dass Lebensqualität auch dann erlangt werden

kann, wenn die Krankheit unheilbar ist, sondern deutet auch auf eine (spirituelle)

Reife hin, die bei „posttraumatisch gereiften“ Personen zu finden ist. Indem er darauf

hinweist, dass eine Nicht-Heilung des Körpers eine Heilung der Seele, Psyche,...

sein kann, beschreibt er kurz und bündig posttraumatisches Wachstum. Treya Wil-

ber schreibt in ihrem Tagebuch über diese Hingabe an den Fluss des Lebens:

„Freundschaft schließen mit dem Krebs, Freundschaft schließen mit der Möglichkeit

eines frühen und vielleicht qualvollen Todes, das hat mich gelehrt, Freundschaft zu

schließen mit dem Leben, wie es ist“ (Wilber 2014: 399).

Der Unterschied zu anderen salutogenetischen Konzepten (bspw. Kohärenzsinn,

Resilienz,…) ist Zöllner et al (2006: 39) folgend der, dass diese Konzepte bestimmte

Persönlichkeitsmerkmale beschreiben, durch welche krisenhafte Lebensereignisse

gut bewältigt werden können. Hierbei wird angenommen, dass Menschen, die diese

Eigenschaften aufweisen, besser mit traumatischen Erlebnissen umgehen können

als andere. Das Konzept der posttraumatischen Reifung hingegen bezieht sich „auf

transformative bzw. qualitative Veränderungen, die den prätraumatischen Entwick-

lungslevel psychischer Funktionsfähigkeit und des Bewusstseins einer Person über-

steigen. Es handelt sich um bedeutsame positive Veränderungen in kognitiven und

emotionalen Fähigkeiten und im Erleben, die mit Verhaltensimplikationen verknüpft

sein können“ (ebd.: 39).

3.1.3.2 Posttraumatische Reifung und Bewältigung

Posttraumatisches Wachstum wird laut Zöllner et al (2006: 39f) teils als eine Bewäl-

tigungsstrategie konzipiert, wobei es in Copingmodelle einfließt, und teils als Ergeb-

nis eines Bewältigungsprozesses. Im Folgenden wird das Posttraumatische Wach-

stum als Ergebnis eines Prozesses näher erläutert:

Page 33: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

32

Voraussetzung für das Zustandekommen eines Wachstumsprozesses ist psychi-

sches und emotionales Leid, das durch ein erschütterndes Lebensereignis hervorge-

rufen wird, welches die vorhandenen Copingfähigkeiten übersteigt. Dadurch wird ein

kognitiv-emotionaler Verarbeitungsprozess ausgelöst. Anfangs wird automatisch

über dieses erfahrene Leid und die Auswirkungen gegrübelt. Dieses Grübeln ver-

wandelt sich durch die ersten Copingerfolge nach und nach in bewusstes Reflektie-

ren. Dieses Grübeln und Reflektieren wird als konstruktiver, kognitiver Prozess auf-

gefasst, welcher die Analyse der Situation, Sinnfindung und eine Neuinterpretation

beinhaltet und wird als „kognitive Verarbeitung“ (cognitive processing) bezeichnet.

Wichtig ist dabei das Ausmaß des bewussten Reflektierens der Person mit sei-

ner/ihrer Krise. Darüber hinaus haben bestimmte Persönlichkeitsmerkmale (bspw.

Offenheit, Extraversion) und das jeweilige soziale System Einfluss auf den Prozess

des posttraumatischen Wachstums.

Einige Kritiker behaupten, „dass posttraumatische Reifung eine Form von defensiver

Illusion sei“ (ebd.: 40). Damit sind positive Illusionen gemeint, die eine Selbsttäu-

schung darstellen, welche die Krise erträglicher erscheinen lässt und wo sich die

Betroffenen durch positives Denken über die Tragweite einer Krise hinwegzutäu-

schen versuchen. Posttraumatisches Wachstum kann demnach zwei Komponenten

aufweisen: „eine selbsttranszendierende, konstruktive […] und eine selbsttäuschen-

de, illusorische Seite“ (ebd.: 40). Erstere wird mit positivem Coping in Zusammen-

hang gebracht, wohingegen letztere der Verleugnung und Abwehr zuzurechnen ist.

Wie beim Abwehrkonzept kann auch hier die illusorische Komponente entweder eine

kurzfristig erfolgreiche und für das Individuum wichtige Bewältigungsstrategie dar-

stellen oder hinderlich für den Copingprozess sein, falls es vermieden wird, sich mit

den negativen Folgen und Belastungen auseinanderzusetzen. Nicht nur zwischen

den Individuen, auch intrapersonell kann es im Laufe des Copingprozesses zu Un-

terschieden und Verschiebungen in der Gewichtung der beiden Komponenten kom-

men. (ebd.: 40f).

Die Langzeitentwicklung für eine Person mit posttraumatischer Reifung sich kann

unterschiedlich darstellen. Entweder die Wachstumsperspektive hält im Zeitverlauf

auch weiterhin an, wodurch die Reifung realer erscheint und mit einer verbesserten

Gesundheit und Lebensanpassung einhergeht oder sie verschwindet wieder, was

Page 34: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

33

darauf hindeutet dass es eine anfängliche Illusion oder eine kurzfristige Bewälti-

gungsstrategie war. (ebd.: 41)

Joseph (2015: 65) stellt den Unterschied zwischen den drei möglichen Formen des

weiteren Verlaufes (Beeinträchtigung bzw. Verschlechterung des Gesamtzustandes,

Erholung, Neuordnung bzw. posttraumatisches Wachstum) wie folgt dar:

Abb. 1: Anpassungsverläufe (Joseph 2015: 65)

Die Abbildung stellt eine vereinfachte Graphik dar, da es bei jeder der drei Kurven

jeweils zu kurzfristigen Einbrüchen aufgrund von Krisen und vorübergehenden

Krankheitsverschlechterungen kommen kann.

3.1.3.3 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung

Joseph (2015: 118f) führt aus, dass Menschen nach belastenden Ereignisses meist

ganz automatisch Hilfe und Unterstützung bei anderen suchen. Soziale Unterstüt-

zung ist von entscheidender Bedeutung, von wem sie auch kommt und ob es sich

nun um praktische oder emotionale Unterstützung handelt. Wird über die Erfahrun-

gen mit anderen Menschen gesprochen, können diese traumatischen Erlebnisse in

posttraumatisches Wachstum verwandelt werden. „Wie Hände einen Klumpen Ton

formen, verwandeln Gespräche den Sinn, den wir unseren Erlebnissen zuschreiben.

Durch das Gespräch können wir Schuld und Dank objektiver zumessen, nach neuen

Sichtweisen suchen, unrichtige Wahrnehmungen richtig stellen und neue Einsichten

Page 35: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

34

gewinnen“ (ebd.: 118). Die Wirkung dieser sozialen Unterstützung ist von großer

Bedeutung. Je besser die Qualität der Beziehungen und der Hilfeleistungen ist, um-

so häufiger wird von persönlichem, innerem Wachstum berichtet. Am wirkungsvoll-

sten ist die Unterstützung durch andere Menschen dann, wenn die zur Übernahme

der Verantwortung für das eigene Leben bewegt.

Wie bereits erwähnt kommt es allerdings auch vor, dass Angehörige und Freunde

durch ihre Unterstützung trotz guter Absichten Gegenteiliges bewirken. Erhält der/die

Betroffene eine Art von Unterstützung, die seinen/ihren aktuellen Bedürfnissen zuwi-

der läuft und/oder wird es verunmöglicht, eine aktive Rolle einzunehmen, ist post-

traumatisches Wachstum kaum möglich (ebd.: 119).

Canacakis (2006: 149, 158ff, 166) erforschte jahrelang die Wirkung traditioneller

Trauerrituale auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der betroffenen Menschen

und bezieht seine Untersuchungen auch auf Verluste von Gesundheit oder körperli-

cher Unversehrtheit. Bei den Ritualen handelt es sich um strukturierte soziale Hand-

lungen, in denen man Solidarität und emotionale Unterstützung in der Gemeinschaft

findet und in denen der Schmerz in all seinen Erscheinungsformen so lange wie nö-

tig ausgedrückt werden darf. „Die gegenseitige Anteilnahme im Schmerz gibt jedem

Teilnehmenden das Gefühl, verstanden und akzeptiert zu werden, und verstärkt da-

durch die Verbundenheit mit anderen Menschen“ (ebd.: 159). Im geschützten Rah-

men des Rituales und der Gruppe sind alle Gefühlsäußerungen erlaubt und werden

nicht tabuisiert. Genauso wenig werden die Teilnehmer stigmatisiert, sondern finden

Annahme und Bestätigung. Die Wirkungen des Trauerrituals sind langfristige positive

Veränderungen im körperlichen und seelischen Befinden, Veränderungen sowohl im

sozialen als auch im individuellen Verhalten, Sinnfindung, Gewinn an Lebensfreude

und das Erlernen von angemessenen Bewältigungsformen.

Aus diesen Forschungen lässt sich schließen, wie wichtig angemessene soziale Un-

terstützung während Krebserkrankungen und anderen krisenhaften Lebenssituatio-

nen ist, und wie eine posttraumatische Wandlung mittels sozialer Unterstützung au-

tomatisch erlangt werden kann.

Page 36: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

35

3.2 Befunde aus empirischen Studien

In zahlreichen Studien wurde und wird die Wirkung sozialer Unterstützung bei Brust-

krebspatientinnen untersucht. Immer mehr Ergebnisse weisen auf die Bedeutung der

sozialen Unterstützung hin, sowohl in Bezug auf die Lebensqualität als auch auf eine

Senkung des gesundheitlichen Risikos (Rückfall bzw. Mortalität). Relevante Studien

werden im Folgenden kurz angeführt:

Eine aktuell laufende, noch nicht abgeschossene Studie ist beispielsweise Seite an

Seite – Brustkrebs gemeinsam als Paar bewältigen, ein Projekt der Technischen

Universität Braunschweig. Seite an Seite ist eine Studie, welche die Wirksamkeit von

Trainings für Paare in Bezug auf die Bewältigung einer Brustkrebserkrankung unter-

sucht. Die Studienteilnehmer sind Paare die seit mindestens 12 Monaten eine Be-

ziehung führen. Weitere Kriterien sind, dass die Frau die Diagnose Brustkrebs erhal-

ten hat, die Behandlung bereits abgeschlossen ist, und das Paar sich durch die

Krankheit selbst oder deren Folgen noch belastet fühlt. Per Zufallsauswahl werden

die Paare zwei verschiedenen Trainings zugeordnet: Option 1: Hilfestellungen im

Umgang mit der Erkrankung und Anregung zur partnerschaftlichen Unterstützung;

Option 2: Entspannungstraining zum Stressabbau (Heinrichs/Zimmermann 2014).

Die Arbeitsgruppe um Heinrichs und Zimmermann hat bereits zwei Studien zur part-

nerschaftlichen Unterstützung abgeschlossen, welche deren Wirksamkeit beweist:

Die Pilotstudie CanCOPE untersuchte von 2002 bis 2005 die Wirksamkeit eines

partnerschaftlichen Unterstützungsprogrammes bei Brust- und gynäkologischen

Krebserkrankungen. An der Studie nahmen 38 Paare teil. Es konnte gezeigt werden,

dass beide Partner durch das Unterstützungsprogramm in Bezug auf die Bewälti-

gung profitierten (Heinrichs/Scott/Zimmermann 2006).

2006 bis 2008 fand eine weitere Studie mit 72 Paaren statt, bei denen die Frau in

den letzten sechs bis acht Wochen die Diagnose Brust-, Eierstock- bzw. Gebärmut-

terkrebs erhalten hatte. Die Ergebnisse zeigen ebenfalls eine Verringerung der Be-

lastung und eine Verbesserung der Krankheitsbewältigung (Heinrichs/Zimmermann

2011).

Page 37: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

36

Viele weitere Studien belegen ebenfalls, dass die Unterstützung durch den Partner

bzw. andere nahe Angehörige die Bewältigung der Krankheit positiv beeinflusst:

Kier et al (2011) untersuchten die Veränderungen, im Speziellen einen eventuellen

sekundären und/oder tertiären Krankheitsgewinn, die in Partnerschaften während

einer Krebserkrankung auftreten. An der Studie nahmen 32 Paare teil. 84% der Pa-

tientinnen erleben positive Veränderungen in der Partnerschaft. Der Großteil der Pa-

tienten/innen erfährt vermehrte soziale Unterstützung in unterschiedlicher Form, wo-

durch die Theorie des sekundären Krankheitsgewinns von den Forschern bestätigt

wird.

Stöckl (2012) untersuchte im Rahmen ihrer Dissertation die soziale Unterstützung

und die Lebensqualität von Brustkrebspatientinnen. Es wurden diesbezügliche Ver-

änderungen im Laufe des ersten Jahres nach der Erstdiagnose evaluiert. 236 Frau-

en wurden mittels standardisierten Fragebögen an drei Zeitpunkten (Diagnose, 6

Monate sowie 12 Monate nach der Diagnose) befragt. Sie kam zu dem Ergebnis,

dass besonders in den ersten sechs Monaten nach der Erstdiagnose soziale Unters-

tützung notwendig ist. In den zweiten sechs Monaten gab es keine Verbesserungen

der Lebensqualität und der Qualität der sozialen Beziehungen, was Stöckl zufolge

durch soziale und berufliche Verpflichtungen, Angst vor einem Rückfall oder fehlen-

der Unterstützung erklärbar sein könnte. Es wird auf die Wichtigkeit des Einbezie-

hens des sozialen Umfeldes in die medizinische Therapie hingewiesen, um für

Brustkrebspatientinnen die bestmögliche soziale Unterstützung zu gewährleisten.

Mergenthaler et al (2010) befragten in ihrer Studie 78 Brustkrebspatientinnen über

die Bewältigung psychosozialer Belastungen. Sie untersuchten, welche Ansprech-

partner für die Patientinnen subjektiv am wichtigsten und hilfreichsten für die Krank-

heitsbewältigung erlebt wurden. Nahe Angehörige wie Kinder, Partner und Freunde

waren bei 64% der Patientinnen die wichtigsten Ansprechpartner und wurden bei

84% bis 94% der Befragten als hilfreich erlebt. Es wurde zudem ein positiver Zu-

sammenhang zwischen dem Ausmaß der Belastung und der Menge der Ansprech-

partner gefunden.

Page 38: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

37

Hasson-Ohayon et al (2010) publizierten die Ergebnisse ihrer Studie betreffend so-

ziale Unterstützung und Stress bei Brustkrebspatientinnen im fortgeschrittenen Sta-

dium. Es wurden 150 Paare untersucht. Die vom Partner und der Familie erhaltene

Unterstützung, so die Untersuchungsergebnisse, sind die wichtigsten Quellen sozia-

ler Unterstützung und tragen zur Reduktion von psychischem Stress bei.

Ein 2013 von Cheng et al (2013) veröffentlichter Artikel beschreibt eine Untersu-

chung, bei der 100 Brustkrebs-Überlebende zu sozialer Unterstützung und Lebens-

qualität befragt wurden. Die Zufriedenheit mit der Unterstützung bei den Befragten

hat Einfluss auf deren Lebensqualität, nicht jedoch die Größe des sozialen Netzwer-

kes. Vor allem Familienmitglieder und andere Brustkrebs-Überlebende sind die wich-

tigsten Quellen sozialer Unterstützung, vor allem betreffend emotionale und informa-

tive Unterstützung.

Die Ergebnisse der Studie von Leung et al (2014) zeigen ebenso eine positive Wir-

kung sozialer Unterstützung auf die Lebensqualität auf. Hier wurden 412 Frauen in

Bezug auf Brustkrebs, soziale Unterstützung und Lebensqualität untersucht.

Kroenke et al (2013) publizierten ihre Studienergebnisse in Bezug auf soziale Un-

terstützung und Lebensqualität nach einer Brustkrebsdiagnose bei 3139 Patientin-

nen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass sozial integrierte Frauen eine höhere Le-

bensqualität und weniger bzw. leichtere Krankheitssymptome aufweisen als sozial

isolierte Frauen. Die Forscher schreiben dies nicht nur dem Ausmaß an erhaltener

Unterstützung zu, sondern auch der Größe des sozialen Netzwerkes.

Eine Studie von Öztunc et al (2013) untersuchte den Zusammenhang zwischen so-

zialer Unterstützung und Hoffnungslosigkeit bei 85 Brustkrebspatientinnen. Die For-

scher kamen zu dem Schluss, dass mit der Zunahme der sozialen Unterstützung die

Hoffnungslosigkeit der Patientinnen sinkt.

Die Studie von McDonough et al (2014) untersucht den Einfluss von sozialer Unters-

tützung und Stress auf die Lebensqualität und die positiven psychologischen Verän-

derungen, die mit einer Krebsdiagnose häufig einhergehen (posttraumatische Rei-

fung). Untersucht wurden 173 Frauen. Krebsspezifische soziale Unterstützung und

Page 39: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

38

Stress sind laut den Studienergebnissen Prädiktoren für ein höheres Level an post-

traumatischer Reifung. Je höher die soziale Unterstützung (generell und krebsspezi-

fisch) und je niedriger der Stress, umso höher ist die Lebensqualität.

Lelorain et al (2012) untersuchten 28 Brustkrebs-Langzeitüberlebende in Bezug auf

posttraumatische Reifung, soziale Unterstützung und Coping. Sie kamen zu dem

Schluss, dass posttraumatische Reifung bei jenen Frauen am häufigsten zu beo-

bachten ist, die hohe Copingfähigkeiten haben und ausreichend soziale Unterstüt-

zung erhalten.

Zusammenfassend zeigt sich, dass soziale Unterstützung erwiesenermaßen hilfreich

im Umgang mit Brustkrebserkrankungen ist. Belastungen der Betroffenen werden

verringert, die Krankheitsbewältigung wird verbessert und es kommt zu positiven

Veränderungen in der Partnerschaft. Besonders zu Beginn der Erkrankung ist sozia-

le Unterstützung besonders wichtig. Die wichtigsten und hilfreichsten Unterstüt-

zungspersonen sind Kinder, Partner und Freunde. Dabei hat die Zufriedenheit mit

der Unterstützung Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen. Mit der Zunahme

von Hilfeleistungen aus dem nahen Umfeld sinken Stress und Hoffnungslosigkeit.

Posttraumatisches Wachstum bei Brustkrebspatientinnen ist vergleichsweise noch

wenig untersucht. Es zeigt sich jedoch, dass soziale Unterstützung und hohe Co-

pingfähigkeiten einen positiven Einfluss auf die Entwicklung von posttraumatischer

Reifung haben.

Um einen besseren Einblick in die spezifischen Belastungen, in die Krankheitsbewäl-

tigung und in posttraumatisches Wachstum von Brustkrebsbetroffenen zu erlangen

und um eine größere Sensibilisierung auf das Untersuchungsthema zu entwickeln,

werden nachfolgend drei ausgewählte Erlebnisberichte dargestellt.

Page 40: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

39

3.3 Erlebnisberichte

3.3.1 Erlebnisbericht Nr. 1: Annette Rexrodt von Fircks

Schon auf den ersten Seiten beschreibt Rexrodt von Fircks (2004: 11-14), wie ganz

alltägliche Dinge zu etwas Besonderem geworden sind und wie sie und ihr Ehemann

diese Kleinigkeiten genießen. Sie beschreibt auch, wie wichtig und dringend soziale

Unterstützung durch Angehörige und Freunde ist, weist aber auch auf die vielen

Probleme der Helfer und den immensen Druck, unter dem diese stehen, hin.

Soziale Unterstützung

Rexrodt von Fircks (ebd. 17-21) beschreibt ihre Reaktion auf die Diagnose als

Schock und Lähmung. Die Krankenschwestern waren freundlich, redeten aber kaum

mit ihr. Sie fühlte sich allein gelassen, wünschte sich Zuspruch und emotionale Un-

terstützung von den Krankenschwestern. „Hätte mich doch nur jemand in den Arm

genommen oder meine Hand gehalten, dann hätte ich vielleicht weinen können“

(ebd.: 18). Die Anwesenheit von einem/einer Angehörigen oder Freund/Freundin

hätte ihr sehr geholfen. Die Reaktionen der Angehörigen waren unterschiedlich. Die

Freundin weinte und bot ihr emotionale Unterstützung an, die Eltern standen unter

Schock und der Partner verleugnete die schwerwiegende Diagnose, wodurch sie

sich auf sich selbst gestellt fühlte (ebd.: 17-21).

Rexrodt von Fircks (ebd.: 29f) beschreibt auch, dass manche Betroffene (ebenso

Angehörige) mit Verleugnung auf die Krebsdiagnose reagieren und dass diese

Reaktionen normal sind und Verständnis und Einfühlungsvermögen bedürfen. Den

Betroffenen soll die Zeit gegeben werden, die sie zur Verarbeitung des anfänglichen

Schocks brauchen. Auf Dauer erachtet sie Verleugnung allerdings als nicht heilsam.

Verdrängung als Schutzmechanismus war auch die Reaktion von ihrem Partner und

ihr selbst, als sie zur Operation in die Klinik kam (ebd.: 41). Er begleitete sie bei der

Ankunft, er kam ihr aber fremd vor; weder sprachen sie noch berührten sie sich oder

sahen sich an.

Page 41: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

40

Während ihrer Operation kümmerten sich ihre Eltern um die Kinder, um sie zu un-

terstützen, sie wünschte sich jedoch vielmehr eine starke Familie, die an ihrer Seite

ist und die ihr Wärme, Halt und Geborgenheit bietet. Besonders in der ersten Zeit

hält sie es für wichtig, dass der/die Erkrankte sein Leid mit engen Freunden und An-

gehörigen teilen und der Angst und Traurigkeit Ausdruck verleihen kann. Einfaches

Dasein und Anteilnahme der Angehörigen und Freunde sei hilfreich, kontraproduktiv

seien Ratschläge und Vorwürfe (ebd.: 24-28).

Weiters schreibt sie (ebd.: 37f), dass – vor allem bei längeren Spitalsaufenthalten –

die Angehörigen ein Team bilden sollten, in dem die alltäglichen Arbeiten aufgeteilt

bzw. gemeinsam erledigt werden, da in solchen Ausnahmesituationen der Alltag

plötzlich auf dem Kopf steht. Ihre eigene Familie musste sich durch ihre zahlreichen,

teils monatelangen Spitalsaufenthalte neu organisieren. Die ganze Familie und viele

Freunde wurden mit einbezogen, was in einem viel größeren Zusammenhalt und

stärkerer Verbundenheit resultierte.

Wenn es ihr nach einer Diagnose emotional besonders schlecht ging, besuchte sie

eine gute Freundin, um ihrer Wut und Enttäuschung Luft zu verschaffen (ebd.: 47ff).

Diese Freundin war eine große emotionale Unterstützung. Sie besuchte sie jeden

Tag im Krankenhaus und leistete ihr emotionalen Beistand und Motivation. Als sie

nach der Brustamputation aufwachte und stundenlang im Halbschlaf lag (ebd.: 53),

war ihr Partner die ganze Zeit bei ihr und hielt ihre Hand, was ihr sehr gut tat – auch

wenn er sich, wie sie später erfuhr, völlig nutzlos fühlte. Nach der Operation hatte er

sich allerdings wieder zurückgezogen und sie nur ein Mal bei einem ärztlichen Ge-

spräch besucht. In dieser Zeit war ihre Freundin die größte Unterstützung. Die

Freundin relativierte den Rückzug des Partners der Patientin, indem sie sich in ihn

hineinversetzte und sie unterhielt sich mit ihr auch über ganz Alltägliches (ebd.:

65,79f).

Nach der Operation, so schreibt Rexrodt von Fircks (ebd.: 55-58), konnte sie endlich

weinen. Ihre Freundin leistete ihr in dieser Zeit emotionale Unterstützung, indem sie

mit ihr weinte. Sie weist in ihrem Buch weiter darauf hin, dass eine Freundin mehr

emotionalen Abstand hat als die engen Familienangehörigen, und somit besser mit

solch einer Situation zurechtkommt als beispielsweise eine Schwester. Vor ihrer ei-

Page 42: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

41

genen Schwester konnte sie ihre Tränen nicht fließen lassen, weil sie merkte, dass

diese mit ihren eigenen Gefühlen zu kämpfen hatte.

Als nicht hilfreich erlebte sie nach der Operation auch den ersten Besuch von Fami-

lie und Freunden (ebd.: 94), bei dem alle weinten, ihr selber aber nicht nach weinen

zumute war. Sie wollte, dass ihr eigenes Empfinden beim Krankenbesuch im Vor-

dergrund steht und nicht das der Besucher. Was sie sich wünschte war Stärkung,

Hoffnung und Mut machen durch die Angehörigen. Sie musste die Besucher trösten

und bleib dann erschöpft und mit einem Gefühl des Alleinseins zurück. Sie erachtet

es aus ihrer jetzigen Sicht als wichtig (ebd.: 99), dass Angehörige erkennen, was der

Patient/die Patientin gerade braucht und was ihm/ihr gut tun würde. Er/sie soll das

Gefühl haben, verstanden zu werden, wodurch Erleichterung und Wohlbefinden ge-

fördert werden. Auch vor der Chemotherapie (ebd.: 136) fühlte sie sich wieder allein

gelassen, da die Angehörigen aufgrund eigener Ängste und Unsicherheiten nicht

wussten, wie sie mit der Situation umgehen sollen.

Die Familie leistete ihr zwar intensive Unterstützung, allerdings nicht in emotionaler

Hinsicht (sie war es die die Angehörigen emotional unterstützte), sondern in Form

von instrumenteller Unterstützung: Betreuung der Kinder durch deren Großeltern an

den Wochenenden, generelle Versorgungsleistungen, Fahrten ins Krankenhaus und

zu den Ärzten durch eine Tante, vermehrtes Arbeiten im Haushalt und mit den Kin-

dern durch ihren Partner(ebd.: 166ff). Zudem besuchte sie mit ihrer Familie öfter

Verwandte. Ihre Freundin war auch deswegen eine Stütze, weil sie mit ihr unbe-

schwert Alltägliches unternehmen konnte und sich dabei immer natürlich und gesund

fühlte. Mit ihrer Schwester telefonierte sie jeden Tag, was ihr ebenfalls sehr gut tat.

Nach dem zweiten Teil der Chemotherapie zeigte ihr Partner offen seine emotionale

Anteilnahme (ebd.: 171-175). Er las die Bücher über Krebs und Heilung, die sie wäh-

rend den Krankenhausaufenthalten gelesen hat und sie unterhielten sich darüber. Er

rasierte sich den Kopf, damit sie nicht alleine war mit ihrer Glatze, was sie als gro-

ßen Liebesbeweis betrachtete. Er öffnete sich mehr, sie fanden auf tieferer Ebene

neu zueinander und entwickelten sich gemeinsam weiter.

Page 43: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

42

In Erinnerung blieben Rexrodt von Fircks (ebd.: 102-105) auch die emotionale Un-

terstützung und der Zuspruch der verschiedenen Ärzte, Krankenschwestern und

Therapeuten. Ohne Hoffnung und Mut, schreibt sie, ist alles sinnlos und gibt es kei-

ne Lebensqualität. Sie hat auch erlebt, wie es ist, als Patientin von gestressten

Schwestern, Pflegern und Ärzten erniedrigend behandelt zu werden. Sie empfand

dies als Dreistigkeit und reagierte darauf wütend.

Unterstützung im Haushalt und Betreuung der Kinder während wurde durch eine

Haushaltshilfe gewährt (ebd.: 118f). Sie empfand diese Hilfeleistung als äußerst un-

terstützend während der Klinikaufenthalte oder wenn sie Zuhause Rückzug brauch-

te.

Über die emotionale Unterstützung ihrer Freundin schreibt Rexrodt von Fircks fol-

gendes: „Es war Carmens bedingungslose, natürliche Anteilnahme während all der

Zeit, in der es mir so schlecht ging, die mir so sehr geholfen hat. Sie hielt meine

Hand, wenn ich sie brauchte, sie hörte zu, wenn ich erzählte, sie weinte mit mir, mal-

te lustige Geschichten aus, damit ich das Lachen nicht verlor, und manchmal saß sie

nur an meinem Bett, um da zu sein. Sie hatte die nötige Stille, um zu erkennen, was

ich suchte und brauchte“ (ebd.: 215f).

Nach der Therapie (ebd. 192f) wollten die Angehörigen wieder in ihren Alltag zurück

und Rexrodt von Fircks blieb erneut mit ihren Ängsten und der Unsicherheit, ob sie

nachhaltig geheilt ist, alleine und konnte nur schwer in ihr Leben zurückfinden. Ver-

wandte und Freunde gaben ihr die verschiedensten Informationen weiter, wie sie ihr

Immunsystem aufbauen könnte, was sie allerdings mehr verunsicherte als unters-

tützte.

Krankheitsbewältigung

Rexrodt von Fircks schreibt weiter (ebd.: 32ff), dass sie sich sofort auf die Suche

nach den besten Ärzten machte. Demnach weist sie ein aktives, lösungsorientiertes

Copingverhalten auf. Es half ihr, das Gefühl zu haben, etwas tun zu können und

nicht mehr fremdbestimmt und machtlos zu sein. Auch nach der Operation (ebd.:

61f) sammelte sie viele Informationen und Wissen durch Lesen und setzte das Ge-

Page 44: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

43

lernte um. Sie las Bücher von Betroffenen, die die Krankheit überstanden hatten und

Berichte von Ärzten und Psychoonkologen. Sie erkannte, dass sie selbst einen gro-

ßen Teil zu ihrer Heilung beitragen kann, entwickelte eine Strategie und wurde zu-

nehmend zuversichtlicher.

Sie lernte viel über die Wirkung der eigenen Gedanken und über Atemtechniken.

Durch die Umsetzung dieses Wissens vergrößerte sich ihre Selbstwirksamkeitsüber-

zeugung und somit auch das Gefühl, lebendig zu sein und ihre Hoffnung, wieder ge-

sund zu werden (ebd.: 90f).

Posttraumatisches Wachstum

„Ich habe es mir angewöhnt, nach dem Aufwachen die erste Zeit des Tages bewusst

zu nutzen: für Meditationen, Atemübungen, aber auch für das Nachdenken über

meine Wünsche, Ziele und Pläne. Manchmal lasse ich mich nur einfangen von dem,

was ist.“ (ebd.: 11)

Ihr Leben hat sich im Laufe der Zeit durch die Krebserkrankung positiv verändert.

Sie beschreibt jedoch nicht die Krankheit als Chance, wie viele andere das tun,

„sondern vielmehr als einen Hinweis, das Leben als Chance zu begreifen“ (ebd.: 23).

Als hilfreich, um diese Sichtweise zu entwickeln, empfand sie einen Satz einer The-

rapeutin, die sie in der Anfangszeit nach der Diagnosestellung angerufen hat: „Ent-

scheiden Sie sich für das Leben“ (ebd.: 31).Sie beschreibt, dass sie gerade in der

Anfangszeit zum ersten Mal alles um sich herum bewusst und intensiv wahrnahm,

dass ihr die Flüchtigkeit des Augenblicks bewusst wurde und dass sie die Zeit nut-

zen und leben wollte. (ebd.: 31f)

Rexrodt von Fircks (ebd.: 47) hat im Laufe der Zeit seit der Erkrankung gelernt, ihre

Gefühle und Bedürfnisse vor allem ihrem Partner gegenüber klar auszudrücken.

Dieser Umstand und auch das gemeinsame Suchen nach Lösungen haben der Be-

ziehung gut getan. Auch die Bindungen innerhalb der Familie haben sich intensiviert

(ebd.: 170), alle haben sich besser kennen und lieben gelernt und mehr Nähe ist

entstanden.

Page 45: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

44

Sie hat begonnen zu meditieren und Kontakt zu ihrem Selbst bzw. ihrer Seele, wie

sie schreibt (ebd.: 69), herzustellen. So konnte sie sich selbst trösten und beruhigen

und war fähig, das Verhalten anderer – vor allem den Rückzug ihres Partners – zu

reflektieren und zu verzeihen.

Weiters erkannte sie (ebd.: 80-89), dass sie sich am Tiefpunkt ihrer Krise, in der sie

sich am meisten alleingelassen fühlte, eine große innere Kraftquelle erschloss. Sie

überdachte ihr Leben, überlegte, was sie ändern wollte und entwickelte ein Bewuss-

tsein für den gegenwärtigen Moment. Sie nahm sich vor, jeden Tag zu leben, als

wäre es ihr letzter, die kleinen Dinge mehr zu schätzen und andere Prioritäten zu

setzen. Sie lernte, sich selbst zu lieben, was auch zu einer Wandlung der Angehöri-

gen führte. Durch diese Bestandsaufnahme ihres Lebens und die Erkenntnis, ihr Le-

ben ändern zu wollen, entwickelte sie noch im Krankenhaus Strategien für diese

Wandlung. Durch Meditation fand sie zudem ihre innere Stimme wieder, die sie zu

ihrem Ratgeber machte, wodurch sie mehr im Einklang mit sich selbst zu leben ge-

lernt hat.

3.3.2 Erlebnisbericht Nr. 2: Ken und Treya Wilber

Ken Wilber (2014) beschreibt in seinem Buch „Mut und Gnade“ die Bewältigung der

Brustkrebserkrankung seiner Frau Treya Wilber. Es ist eine Mischung aus Treyas

Tagebucheinträgen und Kens ergänzenden Berichten über die Zeit der Krankheit –

weswegen die beiden Autoren jeweils mit Vor- und Zuname zitiert werden.

Ken und Treya Wilber haben bereits kurz nach ihrer ersten Begegnung geheiratet.

Vier Monate später wurde bei der Frau eine besonders aggressive Form von Brust-

krebs diagnostiziert. Ken Wilber (ebd.) beschreibt, wie er seine Frau unterstützt hat,

wie sich diese krisenhafte Zeit auf die Beziehung ausgewirkt hat und wie seine Frau

durch ihre Krankheit über sich selbst hinausgewachsen ist. Treya Wilber (ebd.) be-

schreibt ihre Sichtweise zu der erhaltenen sozialen Unterstützung, zur Bewältigung

ihrer Brustkrebserkrankung und über ihr – wenn auch nicht wörtlich als solches be-

zeichnetes – posttraumatisches Wachstum.

Page 46: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

45

Soziale Unterstützung

Die Mitteilung der Diagnose, so Treya Wilber (ebd.: 47f) wurde als Schock erlebt. Sie

war zuerst wie erstarrt und brach dann in Tränen aus. Ihr Partner war bei der Diag-

nosemitteilung – wie auch bei allen weiteren medizinischen Terminen – dabei und

leistete seiner Frau emotionale Unterstützung. Treya hatte ihrem Partner gegenüber

Schuldgefühle, weil sie Krebs bekommen hatte und sich ihm mit dieser Krankheit

aufbürden musste.

Ken Wilber (ebd.: 60) schildert, wie sie sich nach der Diagnose gemeinsam so viele

Informationen wie möglich durch Fachliteratur verschafften. Was Treya Wilber (ebd.:

80, 243, 315f) als sehr hilfreich empfand, war, dass ihr Ehemann sie immer wieder

zum Lachen brachte. Darüber hinaus hatte er, wie sie immer wieder beschreibt, das

Kochen und andere Haushaltsaufgaben übernommen und begleitete sie zu Arztbe-

suchen und Therapien.

Als überaus hilfreich beschreibt sie (ebd.: 92-96), wie ihr Ehepartner immer wieder

seine große Liebe zu ihr bekundete. Darüber hinaus empfand sie es als wichtig und

wohltuend, über Zukunftspläne zu sprechen, auch wenn die Zukunft besonders in

Anbetracht ihrer Erkrankung sehr ungewiss war. In Bezug auf ihren kahlen Kopf

schreibt sie (ebd.: 164), dass es ihr guttat und sie sich wunderbar fühlte, dass alle –

vor allem ihr Ehemann – sagten, dass es ihr sehr gut steht und sie schön ist.

Treya Wilber (ebd.: 129-134) beschreibt immer wieder, wie hilfreich sie die Unters-

tützungsleistungen ihres Ehemannes und ihrer Familie erlebt hat. Bei den medizini-

schen Eingriffen und Therapien war sie nie alleine; ihr Ehemann begleitete sie jedes

Mal, ihre Schwester und ihre Eltern waren ebenfalls oft dabei. Sie weinten gemein-

sam und trösteten sich gegenseitig. Sie empfand es als sehr erleichternd, ihre Eltern

um sich zu haben. „Wenn meine Eltern da sind, habe ich immer mehr Hoffnung,

mehr Zuversicht, dass alles gutgehen wird. Ich finde es schön, eine große Familie zu

haben. Sie macht mir Freude, ich bin gern mit diesen Menschen zusammen, mit je-

dem Einzelnen“ (ebd.: 133). Ihr Ehepartner organisierte bei jedem Krankenhausauf-

enthalt eine Liege, um darauf zu schlafen, damit er bei ihr bleiben konnte. Seine

emotionale Anteilnahme beschreibt sie als überaus wohltuend. Sie schreibt über den

Page 47: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

46

ersten Tag ihrer Chemotherapie: „Ken und ich warten drei Stunden, bis wir in einen

Raum vorgelassen werden, in dem zehn weitere Patienten sitzen, alle mit Infusio-

nen. Ich bin als Einzige in Begleitung und stelle mir vor, wie furchtbar es sein muss,

hier allein zu sein“ (ebd.: 152).

Treya Wilber (ebd.: 153f) beschreibt weiter, wie ihr Partner sie während der Gabe

der Chemotherapie unterstützte. Er hielt ihre Hand, beobachtete sie genau und

stand ihr zur Seite, als die ersten Selbstmordgedanken als Reaktion auf die Medi-

kamente auftauchten. Er veranlasste ein Mittel gegen diese Reaktionen, worauf es

ihr allerdings nur mäßig besser ging. Er stand ihr auch danach die ganze Zeit bei, als

sie unter heftigen Schmerzen und Übelkeit – ausgelöst durch die Chemotherapie –

litt und las ihr vor bis spät in die Nacht.

Treya Wilber (ebd.: 151) führt auch an, wie hilfreich es für sie war, dass sie einen

einfühlsamen Arzt hatte und dass sie mit der assistierenden Schwestern, die sie

schon von einem vorigen Termin kannte und mochte, ganz locker und ungezwungen

über normale und alltägliche, nicht krankheitsbezogene Dinge reden konnte.

Über die Selbsthilfegruppe berichtet sie (ebd.: 166), dass es ihr gut gefallen hat,

dass die Menschen ohne Scheu über ihre Erkrankungen und ihre Geschichten spre-

chen, und dass es dort auch viele kahlköpfige Frauen gibt. In diesem Zusammen-

hang schreibt sie weiter: „Als ich Krebs hatte, stellte ich fest, dass der Umgang mit

meinen Freunden schwierig wurde. Ich musste viel Energie dafür aufwenden, ihnen

die Dinge zu erklären, ihre Angst um mich zu beschwichtigen – und ihre häufig

unausgesprochenen Ängste um sich selbst. Aber mit anderen krebskranken Men-

schen zusammen zu sein, das war geradezu eine Erleichterung“ (ebd.: 297).

Es große Belastung war für Treya Wilber (ebd.: 167, 173ff, 182-185), dass ihre Be-

ziehung mit ihrem Ehemann mehr und mehr unter den Strapazen ihrer Erkrankung

litt. Sie brauchte ein Gefühl von Rückhalt, was aber immer schwieriger wurde. Sie

hatte sehr darunter gelitten, dass er immer depressiver wurde und sie immer weni-

ger unterstützen konnte. Sie reagierte auf die Schuldzuweisungen und Schuldgefüh-

le, in die sie gerieten, mit Verzweiflung und einem Gefühl von Ausweglosigkeit. Sie

fühlte sich schrecklich, weil sie nicht wusste, wie sie ihrem Mann helfen könnte.

Page 48: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

47

Durch den Umgang mit den Depressionen ihres Ehepartners hatte Treya Wilber kei-

ne Kraft mehr für ihre eigenen Ängste und Probleme. Sie beschreibt auch, dass sie

heimlich neben ihm weinte und er es nicht bemerkte. Sehr schmerzhaft war für sie,

dass sie, nachdem ihr Ehemann als Gesprächspartner nicht mehr so wie früher ver-

fügbar war, niemanden mehr hatte, mit dem sie so offen sprechen konnte wie mit

ihm. Als sie am Tiefpunkt angelangt waren, sprachen sie über eine Trennung, mach-

ten dann aber eine Paartherapie, arbeiteten an sich und fanden erneut wieder zu-

sammen. Diese Erfahrungen, so Ken Wilber (ebd.: 195), haben im Nachhinein be-

trachtet viele positive Veränderungen und persönliche Weiterentwicklung in Gang

gesetzt.

Treya Wilber (ebd. 254f) beschreibt, dass sie es als Misshandlung erlebte und sich

hilflos fühlte, wenn ihr andere Menschen die Schuld dafür, dass sie an Krebs er-

krankt ist, unterschieben wollten. Sie schreibt dazu: „Wir alle kennen wohl dieses

elende Gefühl, wenn jemand uns irgendein unbewusstes Motiv für unser Handeln

unterstellt und dann unsere Proteste einfach als Schutzbehauptungen und folglich

als Beweis für die Richtigkeit seiner Einschätzung interpretiert. Psychologie der

grausamen Art“ (ebd.: 254). Sie wünschte sich Verständnis, Behutsamkeit und Ein-

fühlungsvermögen, besonders dann, wenn sie sich selbst schuldig an ihrer Krankheit

fühlte und sich Selbstvorwürfe machte.

Bewältigung

Treya Wilber (ebd.: 80f) empfand es weiters als wichtig, sich Selbstwirksamkeit zu

bewahren. Sie schreibt in ihrem Tagebuch: „Jetzt nehme ich die Sache wieder mehr

selbst in die Hand, stelle Fragen, übernehme Verantwortung. […] Es ist so wichtig zu

wissen, dass ich selbst etwas tun kann, um gesund zu werden – anstatt mich einfach

den Ärzten auszuliefern“ (ebd.: 80-81).

Weiters schreibt sie, dass sie Probleme damit hatte, sich von anderen Menschen

helfen zu lassen: „Meine Angst vor Abhängigkeit von anderen, meine Entschlossen-

heit, alles allein zu schaffen: Dass ich andere nicht gern etwas für mich tun lasse,

liegt zum Teil an der Befürchtung, dass ich mich von ihnen abhängig mache und

dann im Stich gelassen werde“ (ebd.: 84).

Page 49: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

48

Posttraumatisches Wachstum

Treya Wilber (ebd.: 67f) beschriebt, wie ihr Partner sie anspornte, die Krebserkran-

kung dazu zu benutzen, all das in ihrem Leben zu verändern, was sie sowieso ver-

ändern wollte. Ihr gefiel dieser Gedanke und sie setzte ihn auch um. Sie wollte ihrer

Krankheit einen Sinn geben und sie sich zunutze machen. In ihrem Tagebuch

schreibt sie dazu: „Er [Anm.: der Krebs] würde mir helfen, mir den Tod einmal ge-

nauer anzuschauen, mich auf das Sterben vorzubereiten, wenn die Zeit kam, und

mir Sinn und Zweck meines Lebens zu vergegenwärtigen. Er würde mir helfen, mei-

nen Wunsch zu erneuern, einen kontemplativen Pfad zu finden und ihm zu folgen

[...]. Er würde mir helfen, freundlicher und liebevoller mit mir selbst und anderen um-

zugehen, meinen Ärger leichter zu äußern, meine Hemmschwelle gegenüber Intimi-

tät und die Neigung zum Rückzug in mich selbst abzubauen [...]“ (ebd.: 68).

Ken Wilber (ebd.: 73-76) schreibt, dass seine Frau durch die Konfrontation mit dem

Krebs nach einer Antwort auf die Frage suchte, was ihre Lebensaufgabe bzw. ihre

Bestimmung sei. Darüber hinaus kam sie zu einer Neubewertung ihrer weiblichen

Werte. Einen Teil ihrer Lebensaufgabe sah Treya darin, den Krebs im Zusammen-

hang mit ihrer Beratungs- und Gruppenarbeit zum zentralen Thema zu machen. Er

schreibt weiter, dass eine Art innerer Heilung in seiner Frau stattfand. Sie befasste

sich intensiver mit ihrer Spiritualität und suchte nach ihrer inneren Führung.

Treya Wilber (ebd.: 160) macht sich Gedanken über Transzendenz, die Lehren der

Mystiker und Unsterblichkeit. Sie berichtet über einen Wendepunkt, an dem sie ihre

Chemotherapie als Teil ihres Lebensweges vollkommen annehmen konnte und an

dem etwas Wichtiges für sie begann, was sie als Neubeginn und Höhepunkt ihres

spirituellen Lebens beschreibt.

An anderer Stelle schildert sie (ebd.: 143), dass sie im Laufe ihrer Erkrankung einen

großen inneren Umbruch und tiefen Wandel in Bezug auf ihr persönliches Leben,

ihre Spiritualität und ihre Arbeit und Berufung erlebte. Sie überließ sich nicht mehr

ihrem Selbstmitleid und ihrer Erschöpfung, sondern wurde immer liebevoller, offener

und kraftvoller. Auch nach einem erneuten Rückfall beschreibt Ken Wilber (ebd.:

Page 50: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

49

258), dass seine Frau kaum beunruhigt war und auch keine Angst, Trauer oder Wut

zeigte. Sie war in Frieden mit sich und ihrer Situation, urteilte nicht darüber und ver-

drängte auch nichts. Sie selbst schreibt dazu: „Es fühlt sich wie ein neuer Anfang an,

wie eine Wiedergeburt. Ich habe mich wirklich verändert, tiefgreifend verändert. […]

Und wie hätte ich ohne den Rückfall von diesem inneren Wandel erfahren sollen?

Wenn ich sage, dass ich dankbar bin für diesen Rückfall, dann meine ich es auch so.

Etwas Wunderbares ist geschehen. Eine gewaltige Last von Angst ist von mir gewi-

chen, ganz still, irgendwann in der Nacht, ich weiß nicht einmal genau, wann oder

wie“ (ebd.: 261).

Treya Wilber (ebd.: 262) berichtet, dass sie das Leben viel bewusster und intensiver

lebte als zuvor. Sie wollte der Lebensfreude und den wesentlichen Dingen mehr

Platz einräumen, ihre künstlerische Ader ausleben und ihrer Berufung folgen. Sie

schreibt auch: „Alles in allem fühlt sich diese Erfahrung [Anm.: Krebs und Strahlen-

therapie] an wie die Aufforderung, voll und ganz und nicht mehr zögernd zu leben“

(ebd.: 85).

Über die persönlichen Verwandlungen schreibt Treya Wilber (ebd.: 349), dass sie ihr

Herz mehr und mehr geöffnet hat und immer liebevoller geworden ist. Sie empfindet

es als das Wichtigste, sollte sie auch körperlich nicht gesund werden, weicher zu

werden und ihr Herz aufgehen zu lassen. Ken Wilber (ebd.: 351) führt aus, dass

durch die Konfrontation mit dem Tod die Lebensfreude seiner Frau von Tag zu Tag

zunahm und dass sie glücklich war, jetzt zu leben und den Augenblick auskosten zu

können. Sie lebte voll und ganz in der Gegenwart. Sie meint dazu: „Freundschaft

schließen mit dem Krebs, Freundschaft schließen mit der Möglichkeit eines frühen

und vielleicht qualvollen Todes, das hat mich gelehrt, Freundschaft zu schließen mit

dem Leben, wie es ist“ (ebd.: 399).

3.3.3 Erlebnisbericht Nr. 3: Muriel Simon

Muriel Simon (2006) berichtet über ihre Erfahrungen mit ihrer Brustkrebserkrankung.

Als alleinerziehende Mutter mit workoholic-artigen Zügen war sie nicht in ein stabiles

Page 51: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

50

Familiensystem eingebunden. Ihre Eltern waren bereits verstorben und einen Mann,

der sich für sie interessierte, wies sie immer wieder zurück.

Soziale Unterstützung

Als sie nach der ersten Untersuchung, als die Diagnose noch ungewiss war, jeman-

den zum Reden brauchte, rief sie ihre Schwester an (ebd.: 24f). Es tat ihr gut, je-

mandem ihre Ängste anzuvertrauen; ihre Schwester beruhigte sie und heiterte sie

auf. An ihrem ersten Tag im Krankenhaus (ebd.: 56-62) konnte sie sich mit ihrer

Zimmergenossin unterhalten und sie dachte über die Ursache für den Krebs nach.

Zwischen den Untersuchungen begegnete sie zwei anderen Mitpatientinnen; sie un-

terhielten sich über ihre jeweiligen Erkrankungen und über ihre Lebensgeschichten

und tauschten Ängste und Hoffnungen aus. Sie begleiteten sich gegenseitig zu den

Untersuchungen nach Metastasen im Körper, unterstützten sich gegenseitig emotio-

nal und teilten die Freude, wenn der Befund negativ war.

Auch am ersten Tag der Chemotherapie (ebd.: 74f) traf sie auf eine Mitpatientin, mit

der sie sich über deren Krankengeschichte unterhielt. Dadurch schöpfte sie Mut und

Hoffnung und konnte ihre inneren Bilder und Überzeugungen, die sie von einer

Krebserkrankung hatte, neu bewerten. Als sie die vielen Besuche von Familie und

Freunden der anderen Patientinnen miterlebte, wünschte sie sich auch einen Part-

ner, der ihr beistand.

Eine große Hilfe für sie war der Oberarzt, der auf ihre unausgesprochenen Ängste

eingehen konnte und sie beruhigte (ebd.: 64) und ihre Hausärztin, die ihr Stärke und

Aufgehoben sein vermittelte (ebd.: 104).

Als Simon (ebd.: 89), bedingt durch die erste Chemotherapie, an Schmerzen, Er-

schöpfung und Übelkeit litt, kam ihre Schwester, um sie zu unterstützen und sich um

ihre Tochter zu kümmern. Als es ihr bei der zweiten noch schlechter ging, holte ihre

Schwester ihre Tochter zu sich. Darüber hinaus hatte sie zwei Freundinnen und ein

Kindermädchen, die sich oft um ihre Tochter kümmerten und auf die sie sich verlas-

sen konnte. Eine Nachbarin, die ihr ab und zu im Haushalt Hilfe leistete, und auch

Page 52: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

51

ihre Schwester nahmen ihr die Scham bezüglich ihrer verlorenen Haare als sie sag-

ten, dass es ihr gut stehen würde (ebd.: 105, 111).

Über das Annehmen von Hilfe schreibt Simon: „Mir war es bislang immer schwer

gefallen, Hilfe einzufordern. Früh schon hatte ich das Gefühl gehabt, alles allein

schaffen zu müssen. Dabei gab es einige Menschen in meinem Umfeld, die gern

einspringen, etwas tun wollten. Ich hätte sie nur fragen müssen … Manche setzten

sich einfach über meine Hürden hinweg und handelten. Stellten Katzenstreu vor die

Tür, brachten die Post hoch. Anderen schrieb ich und erhielt nie eine Antwort“ (ebd.:

106).

Eine Art emotionale Stütze war sicherlich auch ihre Tochter, die durch ihre kindlich

unschuldige und direkte Art immer wieder Anspannung aus schwierigen Situationen

nahm und sie oft auch zum Lachen brachte (ebd.: 104f). Dennoch war die gemein-

same Zeit mit ihrer Tochter während der Erkrankung und den Therapien eine He-

rausforderung für sie, da sie nur wenig Kraft hatte, ihr die üblichen Grenzen zu set-

zen. Zudem war ihr eine Kollegin, zu der sie ein sehr gutes Verhältnis hat, eine emo-

tionale Stütze, indem sie ihr weiterhin ein Stück normalen Alltag bot, ihr aber auch

unausgesprochen zu verstehen gab, dass sie gegebenenfalls auch mehr für sie tun

würde. Diese Kollegin nahm sich zurück und ließ sie bestimmen, wann und wie sie

über ernste Themen reden wollte (ebd.: 112f).

Simon (ebd.: 151f, 177f) bekam auch Hilfe von einer alten Freundin, die sie zufällig

wieder traf und die ihr die Telefonnummer eines tibetischen Alternativmediziners

gab. Von diesem Arzt bekam sie Mitgefühl und er machte ihr Mut.

Dem Kindermädchen wurde es zu viel, ständig mit einer kranken Mutter konfrontiert

zu sein, und sie kündigte. Eine alte Freundin, die sie seit langer Zeit nicht mehr ge-

sehen hatte, war schockiert über ihren Anblick als sie sich zufällig begegneten. Sie

reagierte mit Abwehr, zog sich zurück und meldete sich nie wieder. Auch einige wei-

tere Freunde, Kollegen und verwandte brachen den Kontakt zur ihr ab; sie fühlte sich

dadurch sehr einsam. Die wenigen Freunde, die geblieben waren, spielten allerdings

eine immer größere Rolle in ihrem Leben, und sie lernte auch eine neue Freundin

kennen und genoss die gemeinsamen Gespräche (ebd.: 123-128).

Page 53: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

52

Bewältigung

Beim Lesen der Lektüre vermittelt Simon den Eindruck, dass sie eine Frau sei, die

alles gerne alleine bewältigt. Darüber hinaus beschreibt sie ihre Sichtweise, aus al-

lem etwas Gutes zu machen: „Mir schenkte die Freiheit, aus allem, was mir wieder-

fuhr, etwas machen zu können, immense Kraft; sie forderte mich heraus, spornte

mich an, findig zu sein, mit etwas Neues zu erschaffen. Und so gab es in jenen Wo-

chen zwar viel Alltag, dessen Bewältigung nicht einfach war, aber auch erhebende

Momente (ebd.: 129).

Posttraumatisches Wachstum

Simon schreibt (ebd.: 101), dass sie, als sie die Übelkeit und die Schmerzen nach

der zweiten Chemotherapie überstanden hatte, noch nie zuvor das Leben um sie

herum so nah spürte. Sie fühlte sich reich, weil sie bis zur nächsten Chemotherapie

noch zwei Wochen Leben spüren durfte.

Die Beziehung zu ihrer Schwester veränderte sich dahingehend, dass sie mehr kör-

perliche Nähe zueinander zulassen konnten (ebd.: 156).

Simon (ebd. 203f) macht sich, nachdem ihre Schwester gestorben war, während sie

selbst mit der Therapie fast fertig war, Gedanken über den Tod und darüber, was

danach mit Seele des Menschen geschieht.

Über die Zeit nach ihrer Krebserkrankung schreibt Simon (ebd. 208ff): „Dann spürte

ich, wie tief in mir eine nie gekannte Sehnsucht nach Leben brodelte […]. Ich wollte

das Dasein bei den Hörnern packn, mir Mut vorgaukeln und nach allem greifen, das

sich mir bot, jetzt, in diesem Augenblick“. Sie überlegte, was sie unbedingt noch er-

leben wollte in diesem Leben, welche Träume und Wünsche sie sich erfüllen wollte

und tat es dann auch nach und nach.

Page 54: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

53

3.3.4 Zusammenfassung

Die Erlebnisberichte zeigen, dass emotionale Unterstützung als besonders hilfreich

erlebt wird, vor allem ein gemeinsames Ausdrücken von Gefühlen wie beispielswei-

se Weinen und das Anvertrauen können von Ängsten. Instrumentelle Unterstützung

wie Kinderbetreuung, Versorgungsleistungen, Fahrten ins Krankenhaus und derglei-

chen sind hilfreich, emotionale Unterstützung wird allerdings höher bewertet. Als

wichtig wird es auch betrachtet, dass es krankheitsfreie Zonen gibt, wo auch über

Normales und Alltägliches gesprochen werden kann ohne sich ständig über die Er-

krankung Gedanken machen zu müssen. Instrumentelle Unterstützung kommt von

der Familie, Freundinnen bieten emotionale Unterstützung. Auch vom medizinischen

Personal wird emotionale Unterstützung als hilfreich erlebt. Darüber hinaus wird

auch der Kontakt mit anderen Mitpatientinnen als besonders hilfreich empfunden. Da

die Betroffenen in derselben oder einer ähnlichen Lage sind, können Ängste, Hoff-

nungen und Lebensgeschichten ausgetauscht werden. Selbsthilfegruppen werden

ebenfalls positiv erlebt.

Wenn der Partner sich zurückzieht, wird dies als besonders belastend erlebt. Auch

wenn die Ängste der Angehörigen im Vordergrund stehen und nicht das Befinden

der Patientin, wird dies als Belastung wahrgenommen. Die Patientinnen können ihre

Ängste dann nicht ausdrücken und müssen den Angehörigen oft auch noch emotio-

nale Unterstützung geben, obwohl sie sich diese selbst wünschen. Ohne emotionale

Unterstützung und Anteilnahme fühlen sich die betroffenen Frauen schnell allein ge-

lassen. Das geschieht auch dann, wenn die Angehörigen nach der Genesung wieder

in den Alltag zurückkehren möchten und die Betroffene mit ihren Ängsten und Sor-

gen alleine zurück bleibt.

Am hilfreichsten im persönlichen Erleben also die emotionale Unterstützung, egal

von wem sie geleistet wird. Kann der Partner allerdings keine emotionale Unterstüt-

zung geben, wird dies als schwerwiegender erlebt, als wenn von anderen nahen An-

gehörigen die emotionale Unterstützung ausbleibt.

Im Laufe der Erkrankung und deren Bewältigung erleben die Patientinnen, dass sich

ihr Alltag verändert. Sie nehmen eine Lebensinventur vor und schauen, was sie ver-

Page 55: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

54

ändern wollen. Es vollzieht sich ein innerer Wandel. Sie werden sich zudem be-

wusst, dass sich in dieser Krise eine große Kraftquelle erschlossen hat. Auch die

Beziehungen verändern sich zum Positiven. Es entsteht ein vermehrter Zusammen-

halt, Offenheit und größere Nähe zueinander. Die Patientinnen selbst lernen, Gefüh-

le besser auszudrücken und verständnisvoller mit den anderen umzugehen. Es ent-

steht darüber hinaus eine intensivere Wertschätzung des Lebens, ein Bewusstsein

für de gegenwärtigen Augenblick und dafür, die Zeit, die einem zur Verfügung steht,

zu nutzen. Es werden neue Prioritäten gesetzt und die kleinen Dinge mehr ge-

schätzt. Dieser Punkt scheint durchweg am zentralsten zu sein – durch die Konfron-

tation mit einem möglichen nahen Tod beginnen die betroffenen Frauen, intensiver

zu leben und es entsteht ein größeres spirituelles Bewusstsein.

Page 56: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

55

4 Forschungsdesign für die empirische Studie

Nachdem nun anhand theoretischer Informationen ein Zugang zum Thema Krank-

heitsbewältigung, soziale Unterstützung und posttraumatische Reifung gefunden

wurde, werden an dieser Stelle die entsprechenden methodischen Grundlagen for-

muliert.

4.1 Methodische Anforderungen

Wie bereits ausführlich dargelegt, weisen laut Tschuschke (2006: 103f) immer mehr

Studienergebnisse darauf hin, dass die soziale Unterstützung eine Bedeutung bei

der Krebsprogression bzw. für die Lebensqualität hat. Psychosoziale Komponenten

spielen eine komplexe und subtile Rolle bei einer Krebserkrankung und deren Fol-

gen und Begleiterscheinungen. Um die Krankheitsbewältigung zu erforschen ist

demzufolge das offene Interview das beste Messinstrument, wenn auch aufwändig

und teuer. Tschuschke zufolge erbringen Interviews substanziellere Ergebnisse in

Bezug auf Coping und Krankheitsverlauf als Fragebögen. Fragebögen sind sogar

kontraindiziert, da es sich eben um sensible Bereiche handelt und Emotionen eine

Rolle spielen. Fragebögen können somit verzerrte und verfälschte Ergebnisse pro-

duzieren. Demzufolge gibt es bei großen Untersuchungen, bei denen Fragebögen

eingesetzt werden, keine substantiellen Zusammenhänge zwischen Krankheitsbe-

wältigung und beispielsweise Überleben bei Krebs. Darüber hinaus sollen Abwehr-

und Copingprozesse nicht miteinander vermischt, sondern methodisch und konzep-

tuell getrennt werden. Um einen vom Interviewer verursachten methodischen Bias

auszuschließen, ist ein angemessenes Untersuchungsdesign mit teilstandardisierten

Interviews notwendig. Dass sich unter den angeführten Befunden aus empirischen

Studien auch quantitative Forschungsdesigns finden, liegt an deren Fragestellungen.

Um die Forschungsfragen zu beantworten wird demzufolge eine qualitative Befra-

gung durchgeführt. Zielgruppe sind Brustkrebspatientinnen, deren Erstdiagnose

mindestens ein Jahr zurückliegt. Befragt werden sowohl betroffene Frauen als auch

eine Expertin, die onkologische Patientinnen psychologisch betreut. Grund hierfür ist

zum einen, dass aussagekräftige Informationen von den Patientinnen selbst gewon-

Page 57: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

56

nen werden sollen. Zum anderen haben Therapeuten/Therapeutinnen bzw. Psycho-

logen/Psychologinnen sowohl einen größeren Überblick über viele Patientinnen als

auch über die unterschiedlichen Verlaufsphasen, in denen soziale Unterstützung je

unterschiedlich benötigt bzw. erlebt wird und über langfristige Entwicklungen, die

Patientinnen im Laufe ihrer Erkrankung machen.

Die Erstdiagnose der Brustkrebsbetroffenen sollte mindestens ein Jahr zurückliegen,

um Informationen darüber erhalten zu können, wie sich die soziale Unterstützung auf

die Krankheitsbewältigung im Zeitverlauf auswirkt.

4.2 Vorgehensweise

Die Operationalisierung der Forschungsfragen erfolgte durch die Ausarbeitung

zweier Leitfäden für die qualitativen Befragungen der Expertin und der betroffenen

Frauen (siehe Anhang). Die beiden Leitfäden klären insbesondere folgende Aspekte

der sozialen Unterstützung und der posttraumatischen Reifung:

Quelle, Art und Erleben der Unterstützung;

Unterschiede bzgl. sozialer Unterstützung im Krankheitsverlauf;

positive Veränderungen in den Bereichen

o Wertschätzung des Lebens,

o persönliche Beziehungen,

o Entdeckung neuer Möglichkeiten,

o innere Kraft und Stärke sowie

o spirituelles Bewusstsein.

Die Auswahlkriterien bezogen sich auf den Zeitpunkt der Erstdiagnose und auf das

Alter der betroffenen Frauen Diese sollten zwischen 50 und 70 Jahren alt sein und

die Erstdiagnose sollte, bezogen auf den Interviewzeitpunkt, mindestens ein Jahr

zurückliegen. Der Experte/die Expertin sollte ein Therapeut/eine Therapeutin bzw.

ein Berater/eine Beraterin mit Schwerpunkt Brustkrebs sein.

Die Feldarbeit fand im Herbst 2014 und Frühling 2015 statt. Im Herbst 2014 wurde

mit den Leiterinnen zweier Selbsthilfegruppen für Brustkrebs in Oberösterreich und

Page 58: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

57

mit verschiedenen Kontakten in Linzer Krankenhäusern per Email und Telefon Kon-

takt aufgenommen.

Die Auswahl der betroffenen Frauen erfolgte über die Selbsthilfegruppen. Eine der

Gruppen gehört dem Dachverband der oberösterreichischen Selbsthilfegruppen im

Gesundheitsbereich an, die zweite Gruppe ist selbstorganisiert. Die Leiterinnen der

Gruppen zeigten sich sehr interessiert und aufgeschlossen und nannten insgesamt

acht Freiwillige, die sich bereiterklärten, an der Befragung teilzunehmen. Es wurde

auch versucht, am Brustgesundheitszentrum der Barmherzigen Schwestern in Linz

Patientinnen für die Befragung zu gewinnen. Hier erklärte sich jedoch nur eine Pa-

tientin bereit, teilzunehmen. Insgesamt wurden also neun betroffene Frauen befragt.

Für das Experten/Expertinnen-Interview hat sich eine klinische Psychologin am

Brustgesundheitszentrum der Barmherzigen Schwestern in Linz bereiterklärt. Es ge-

staltete sich sehr schwierig, an den anderen Krankenhäusern Psycholo-

gen/Psychologinnen oder Therapeuten/Therapeutinnen zu finden, die einem Inter-

view zustimmen. Da die Psychologin seit vielen Jahren für das Brustkrebszentrum

der Barmherzigen Schwestern zuständig ist und sie dementsprechend über genü-

gend professionelles Wissen zum Untersuchungsgegenstand verfügt, wird die Aus-

sagekraft dieses einzelnen Experten/Expertinnen-Interviews als ausreichen erachtet.

Die Befragungen fanden im April und Mai 2015 in Form eines offenen, Leitfaden-

gestützten Einzelinterviews statt. Das Interview mit der Expertin erfolgte im Kran-

kenhaus der Barmherzigen Schwestern in Linz, die Interviews mit den Betroffenen

wurden bei der jeweiligen Frau zu Hause durchgeführt. Den Befragten wurde Sinn

und Zweck der Untersuchung erklärt. Mit Zustimmung der befragten Frauen wurden

die Interviews auf Tonband aufgezeichnet und es wurde ihnen Anonymität zugesi-

chert. Alle befragten Frauen zeigten sich sehr aufgeschlossen und mitteilsam. Es

wurde ein kurzes, einleitendes Vorgespräch geführt, das in die eigentliche Befragung

überführte. In Anschluss fand noch ein kurzes Nachgespräch statt.

Die Frauen sind zum Zeitpunkt des Interviews zwischen 51 und 65 Jahre alt. Die

Erstdiagnose liegt bei den meisten bereits mehrere Jahre zurück, zwischen drei und

Page 59: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

58

26 Jahren. Bei einer Betroffenen liegt die Erstdiagnose erst ein Jahr und zwei Mona-

te zurück.

Die Interviews wurden im Dialekt geführt und im Schriftdeutsch transkribiert. Bei der

Transkription der Interviews wurden Füllwörter wie beispielsweise „äh“ weggelassen.

Pausen, in denen die Befragte über ihre Antwort nachdenkt, wurden mit [überlegt]

markiert, Gefühlsausdrücke wurden ebenfalls transkribiert, beispielsweise: [lacht].

Die Dauer der Interviews war unterschiedlich und reichte von 37 bis 92 Minuten

(exkl. nicht-themenrelevanten Vor- und Nachgesprächen).

Die Auswertung der Ergebnisse erfolgte anhand des Statistikprogramms MaxQ-

DA(Version 11.1.0) und im Anschluss mittels der zusammenfassenden, strukturie-

renden qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring.

Die qualitative Inhaltsanalyse hat, Mayring (2010: 11ff) folgend, eine genauere Be-

trachtung und Analyse einer schriftlich protokollierten Kommunikation zum Ziel. Ein

systematisches, regelgeleitetes und Theorie-orientiertes Vorgehen, das sowohl Aus-

sagen über die Kommunikation als auch Rückschlüsse auf diese zulässt, ist dabei

wichtig.

In der nachfolgenden Ergebnispräsentation werden die einzelnen Themenbereiche

nacheinander behandelt, jeweils mit den Interviewergebnissen der Expertin und der

Betroffenen. Diese Themenbereiche sind: Soziale Unterstützung von Brustkrebspa-

tientinnen, mit den Unterpunkten: Hauptquellen sozialer Unterstützung, Art der Un-

terstützung, Erleben der Unterstützung, Unterschiedliche Unterstützung im Krank-

heitsverlauf und Auswirkung sozialer Unterstützung auf die Krankheitsbewältigung

sowie Posttraumatische Reifung mit den Unterpunkten: Intensivierte Wertschätzung

des Lebens, Intensivierung persönlicher Beziehungen, Bewusstwerden der eigenen Stärke, Entdeckung neuer Möglichkeiten und Intensiviertes spirituelles Bewusstsein.

Page 60: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

59

5 Empirische Ergebnisse

Die Ergebnisse der Leitfaden-gestützten Interviews werden im Folgenden näher er-

läutert.

5.1 Soziale Unterstützung von Brustkrebspatientinnen

Forschungsfrage: Wie sieht die soziale Unterstützung zur Krankheitsbewältigung von

Brustkrebspatientinnen aus?

Mit dieser Frage soll untersucht werden, welche Hilfeleistungen Brustkrebsbetroffene

in ihrem sozialen Netzwerk erhalten.

Ein häufiges Thema, das in den Sitzungen bei der Psychologin angesprochen wird,

ist die Unterstützung in der Familie. Dabei steht unter anderem die Frage, wer wel-

che Leistungen erbringen kann und will, im Mittelpunkt. Viele Patientinnen wollen

zwar der Familie nicht zur Last fallen, dennoch sind Beziehungen vor allem in den

belastenden Phasen, denen Brustkrebspatientinnen ausgesetzt sind, sehr wichtig.

Die Ergebnisse der Literaturrecherche zeigen ebenfalls, dass die Familie und vor

allem der Partner das wichtigste Unterstützungsorgan ist und von den Betroffenen

als am wertvollsten und hilfreichsten erlebt wird. Auch die befragten Personen selbst

nennen als Hauptquelle für Unterstützung den Partner und den engen Freundes-

kreis, wobei emotionale Unterstützung am wertvollsten erlebt wird, was sich mit den

Ergebnissen aus der Literaturrecherche deckt.

5.1.1 Hauptquellen sozialer Unterstützung

Forschungsfrage: Von welchen Personen werden Brustkrebspatientinnen unter-

stützt?

Page 61: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

60

Expertin

Die Expertin gibt an, dass es unterschiedlich ist und von der Qualität der Beziehun-

gen abhängt, von wem die betroffenen Frauen Unterstützung bekommen und dass

eine allgemeine Antwort nicht gefunden werden kann. Es kommt darauf an, wie gut

die Partnerschaft bzw. Ehe ist, ob der Partner überhaupt Unterstützung bieten kann

und ob die Patientin die Unterstützung auch zulässt.

„Das ist ganz, ganz unterschiedlich. Zum einen kommt es darauf an, wie gut

ist die Ehe, wenn eine besteht, oder die Partnerschaft, nennen wir es einmal

so. Kann da wirklich ein Mann gut unterstützen, und wenn ja, lässt es die Pa-

tientin zu? Das ist ja nicht immer der Fall. Es gibt ja Partnerschaften wo halt

die Patientin die Starke immer war, ja, und ‚das traue ich meinem Partner gar

nicht zu‘. Also es kommt einmal ganz entscheidend darauf an, wie ist die

Partnerschaft. Ist die eher stützend, unterstützend, oder ist die eher so gewe-

sen, dass die Partnerin immer wie, sagen wir einmal, ein Fels in der Brandung

vielleicht war“ (Exp.: 14).

Oft wollen die Betroffenen niemanden zur Last fallen.

„Es gibt auch viele Patientinnen, die versuchen halt den Alltag gut hinzukrie-

gen, sagen wir mal so, um nicht die Familie zu belasten. Das ist ganz oft so

ein Satz: Ich will ja niemanden zusätzlich noch belasten“ (Exp.: 10).

Zudem ist es auch davon abhängig, ob Kinder da sind und wie alt diese schon sind.

Es ist diesbezüglich ein großer Unterschied, ob sich die Patientin neben den Belas-

tungen durch ihre Erkrankung um die Kinder kümmern muss, oder ob diese schon

so erwachsen sind, dass sie der Mutter Hilfeleistungen bieten können. Eine einheitli-

che Antwort auf die Frage, welche die wichtigsten Unterstützungspersonen sind,

lässt sich demnach nicht finden.

Die Psychologin führt aus, dass die eigenen Eltern ein spezielles und schwieriges

Thema in Bezug auf psychosoziale Unterstützung und Krebserkrankung sind und

diese somit kaum Quelle für Hilfestellungen sind. Die betroffenen Frauen wollen die

Page 62: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

61

Eltern, vor allem wenn diese schon älter sind, nicht damit belasten. Man traut ihnen

nicht zu, dass sie die nötige Unterstützung bieten können. Darüber hinaus haben 80-

bis 90-jährige Personen in Bezug auf Krebserkrankungen noch ganz andere Assozi-

ationen; die Gedanken gehen in Richtung Tod und Sterben. Die Patientinnen fürch-

ten oft, dass es noch mehr Belastung für sie sein könnte, wenn die Eltern Bescheid

wissen und nicht gut damit umgehen können. Es wird befürchtet, dass man die El-

tern unterstützen und trösten muss, damit diese mit der Erkrankung der Tochter fer-

tigwerden. Demnach entscheiden sich viele Patientinnen, es den Eltern nicht zu sa-

gen, was sich allerdings schwierig gestaltet, vor allem wenn die betroffene Frau eine

Chemotherapie machen muss und sich dadurch auffallend verändert. Auch wenn die

Beziehung zu den Eltern nicht so gut ist, wollen die Patientinnen oft darauf verzich-

ten, die Eltern einzuweihen. Oder aber auch dann, wenn es den Eltern gesundheit-

lich schlecht geht; in diesem Fall wollen die Betroffenen die Eltern nicht zusätzlich

belasten. Dieses Verschweigen führt allerdings, der Expertin zufolge, zu noch größe-

rer Belastung.

Betroffene

Die befragten Frauen erhalten Hilfe und Unterstützung im primären und tertiären

Netzwerk. Im primären Netzwerk sind dies hauptsächlich der Partner und Freundin-

nen, im tertiären Netzwerk sind es die Selbsthilfegruppen.

Für die Betroffenen selbst ist – wie auch die interviewte Psychologin ausführt – die

Familie die zentrale und wichtigste Quelle sozialer Unterstützung für die betroffenen

Frauen. Die befragten Frauen nennen als häufigste Unterstützungspersonen den

Partner bzw. Ehemann, gefolgt von den Freunden/Freundinnen. Auch den Ergebnis-

sen der Literaturrecherche zufolge sind der Partner und Freunde/Freundinnen die

Hauptquellen sozialer Unterstützung.

Jede der Befragten hat während der Erkrankung und darüber hinaus vom Partner

Hilfestellungen erhalten. Hier einige Zitate:

„Ja, also ich muss dazu sagen, mein Mann war immer für mich da“(Betr._2:

17).

Page 63: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

62

„Meine allergrößte Stütze war und ist nach wie vor mein Mann (Betr._3: 13).

„Ja also bei mir war das schon voll wichtig, die Unterstützung durch meinen

Mann“ (Betr._7: 3).

Andere Familienmitglieder, die von einigen Befragten als wichtige Unterstützungs-

personen genannt werden, sind Geschwister und die eigenen Kinder:

„Ich hab viel mit meiner Schwester und meinem Bruder telefoniert“ (Betr._6:

13).

„Und die Kinder, die waren ganz oft bei meiner Schwester (Betr._9: 6).

„Da hat mich dann während der Chemo mein Sohn ein halbes Jahr gepflegt,

weil ich eigentlich fast nichts machen hab können“ (Betr._1: 63).

„Und beim zweiten Mal hat mich meine Tochter immer wieder hingefahren zur

Chemotherapie und heim und hat mich da auch unterstützt“ (Betr._1: 71).

Am zweithäufigsten werden Freunde/Freundinnen bzw. der Freundeskreis als Un-

terstützungsquelle genannt.

„Ich muss sagen, so der Freundeskreis so, den wir haben, die waren eigent-

lich alle recht nett. Die haben recht zu mir gehalten, das muss ich schon sa-

gen, und die haben mich auch unterstützt“ (Betr._1: 49).

„Und ich habe auch einen tollen Freundeskreis. Also ich muss sagen, ja, also

meine Freundinnen und Freunde, die wir haben, haben mich auch total un-

terstützt. Das ist auch ganz toll gewesen, wirklich“ (Betr._2: 19).

Eine der befragten Frauen erhält keine Unterstützung durch den Freundeskreis. Der

Grund dafür ist allerdings der, dass sie ihren Freunden/Freundinnen nichts von ihrer

Erkrankung erzählt hat.

Page 64: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

63

„Das wissen ganz wenige. Das wissen nicht einmal die Schwiegereltern, bis

jetzt nicht. […] Meine Eltern, meine Geschwister, die haben es schon ge-

wusst, aber sonst […].Das wissen wirklich nur ganz, ganz wenige“ (Betr._3:

13).

Da die Betroffenen alle zu den Treffen von Selbsthilfegruppen gehen, wird auch von

einzelnen befragten Frauen die Selbsthilfegruppe als Quelle für Hilfe und Unterstüt-

zung genannt.

„Die hat so eine Runde gemacht von einigen Brustkrebspatientinnen, und da

haben wir uns sechs oder sieben Mal getroffen […] und da haben wir uns

dann die meisten dann immer wieder getroffen und eigentlich sind wir vier von

der Runde, die sich jetzt immer noch treffen“ (Betr._1: 39).

Vereinzelt werden auch Nachbarinnen (von zwei Befragten) und Arbeitskolleginnen

(von einer Befragten) als Unterstützungspersonen, die Hilfe zur Krankheitsbewälti-

gung bieten, genannt.

5.1.2 Art der Unterstützung

Forschungsfrage: Um welche Art der Unterstützung handelt es sich?

Expertin

Individuell unterschiedlich ist auch die Art der Unterstützung, die Brustkrebspatien-

tinnen erhalten bzw. auch brauchen. Die Psychologin unterscheidet zwischen drei

verschiedenen Komponenten der Unterstützung: emotionale, kognitive und konkrete

Unterstützung. Hurrelmann bezeichnet diese Formen als emotionale, Einschät-

zungs- und instrumentelle Unterstützung.

„Der eine sucht sich die emotionale Unterstützung, weil er es braucht, weil er

es auch kriegen kann. Das heißt einmal an der starken Schulter ausweinen

Page 65: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

64

können, wo vielleicht nicht unbedingt nur die Worte, also das Reden das wich-

tigste ist, sondern einfach zu wissen, zu spüren, da ist wer da für mich, wo ich

mich einfach einmal halten kann, wo ich auch einmal in den Arm genommen

werde“ (Exp.: 16).

„Es kann aber auch gut sein, dass die andere Seite, sagen wir einmal das

Kognitive, wenn man das Emotionale dem gegenüberstellt, auch ganz was

wichtiges ist. Das Reden miteinander, das vielleicht sogar was zu bagatellisie-

ren, vielleicht sogar gemeinsam was zu ‚verdrängen‘ unter Anführungszei-

chen, ja? Ganz bewusst sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Auch das

kann hilfreich sein für die eine oder andere“ (Exp.: 16).

„Und der nächste holt sich vielleicht Unterstützung im Partner oder in der Fa-

milie, wo er sagt, ‚mah, ihr übernehmt mir bitte das oder das oder das‘. Wo ei-

ne Frau vielleicht erfährt, ‚mah das ist super, wenn ich nicht immer alles ma-

chen muss, jetzt tut der kochen, und der geht einkaufen, und der dritte aus

der Familie übernimmt das Putzen oder so‘, ja? Ich meine, das kann eine

Wahnsinnserfahrung sein und eine Hilfestellung“ (Exp.: 16).

Welche dieser drei Formen der Unterstützung am häufigsten vorkommt, ist der Ex-

pertin zufolge von Frau zu Frau unterschiedlich. Im Idealfall stehen einer Patientin

alle drei Komponenten zur Verfügung.

Betroffene

Die mit Abstand am häufigsten und ausführlichsten beschriebene Art ist die emotio-

nale Unterstützung. Im Vordergrund steht dabei der Partner, der die Betroffene zu

Arztterminen begleitet um Rückhalt zu geben, und der Trost und Beruhigung bietet.

Jede der neun befragten Frauen erhält vom Partner emotionale Unterstützung.

„Er hat gesagt, das stehen wir miteinander durch“ (Betr._1: 29).

Page 66: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

65

„Und er ist auch immer für mich da gewesen, wenn ich irgendeine Untersu-

chung gehabt habe oder so, also er ist immer mitgegangen, wenn ich das

wollte“ (Betr._2: 17).

„Der hat mich auch wahnsinnig geholfen. Der hat immer gekocht und mich ge-

tröstet und… der war halt einfach da und man hat auch gemerkt, dass er das

gerne macht. Er war auch bei den Terminen immer dabei. Ich bin fast nie al-

leine wo hin. Das hat mir schon, das war schon gut“ (Betr._5: 18).

„Er nimmt so Anteil daran, wie es mir gerade geht“ (Betr._5: 20).

„Ja schon, das hab ich schon. Also mein Mann war da ganz lieb, der hat mich

immer beruhigt und gesagt, wart erst mal ab und wir wissen ja noch gar nicht,

was los ist, und so. Also das hat schon richtig gut getan“ (Betr._6: 5).

"Und da war er auch wieder mit, mein Mann. Ich mag da nicht so gern alleine

hin und er tut mich dann ablenken und beruhigen auch. Das ist schon gut. Ich

weiß nicht, wie es alleine gewesen wäre“ (Betr._7: 5).

„Ich hab mich schon viel bei ihm ausweinen können und er hat mich halt ge-

halten und gedrückt und so. Das war, das hat mir gut getan. Ich brauch das

schon ziemlich, dass ich das spüren kann und so. Da haben wir dann eigent-

lich fast nicht reden brauchen, das war ohne Worte, hat das funktioniert“

(Betr._7: 7).

„Er war halt einfach da und ich hab mich ausweinen können, und hab ihm al-

les sagen können […], hat er mich immer wieder aufgebaut und gesagt, das

schaffen wir schon“ (Betr._9: 6).

Im Gegensatz zu den Ergebnissen der Literaturrecherche bieten Freun-

de/Freundinnen sehr wohl emotionale und langfristige Unterstützung. Am zweithäu-

figsten kommt diese Art der Hilfe vom Freundeskreis; die meisten Befragten erfahren

hier sehr starke emotionale Unterstützung. Die Freunde/Freundinnen bieten auch

Page 67: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

66

Ablenkung und ein Stück weit normalen Alltag. Die Betroffenen bekommen vermehrt

Besuche und machen gemeinsame Ausflüge.

„Auch meine Freunde und alle, also, die mich dann wirklich auch voll, wie sie

es gewusst haben, voll unterstützt haben. […] die sich dann wirklich alle so,

so bemüht haben und voll, ja, die mich halt überall aufbauen wollten“ (Betr._4:

16).

„Meine Freundinnen haben mich oft besucht und wir haben viel geredet, das

hat mir gut getan, das war schön. Aber da haben wir weniger über, also wir

haben mehr über normale Sachen geredet und nicht über meinen Tumor und

das alles. Also wie es den Kindern geht, wie der Urlaub war, was sich halt al-

les so tut bei den anderen. Und wir haben viel gemeinsam gemacht, so Aus-

flüge und so oder nur spazieren gehen oder Kaffee trinken oder Essen gehen“

(Betr._7: 11).

„Ja schon meistens über die Erkrankung und über, darüber dass wir uns Sor-

gen machen und so. Aber schon auch ein bisschen ablenken. Sie haben mir

halt dann auch was erzählt von der Arbeit oder von der Familie und was sie

halt alles, was halt so los ist bei ihnen. So ein bisschen Ablenkung halt“

(Betr._8: 30).

Vereinzelt bieten auch die erwachsenen Kinder emotionale Unterstützung. Zwei Be-

troffene berichten davon, dass ihre Kinder eine große Hilfe waren und sind.

„Ja, er war grad so mit dem Studium fertig und hat noch keinen Job gehabt,

jetzt hat er gesagt ‚ich such mir ein halbes Jahr später einen Job und bleib bei

dir‘ [lächelt]“ (Betr._1: 69).

„Wo man gesehen hat, ok, ich meine, es betrifft sie auch und sie sind besorgt

und sie kümmern sich und ja. Auf jeden Fall. Oder heute eben auch, wie ich

von Salzburg heimgekommen bin, hat dann die Jüngere hat schon angerufen

gehabt: ‚Und was war‘? und ja. Das ist schon auch wichtig, wenn man sieht,

das interessiert sie auch und sie nehmen teil daran“ (Betr._4: 58).

Page 68: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

67

Von sechs befragten Frauen wurden Hilfestellungen genannt, die Hurrelmann (2010:

82) als Einschätzungsunterstützung bezeichnet. Darunter fallen die Bewertung und

die Lösung von Situationen. Auch hier kommt die Hilfe am häufigsten vom Partner

und am zweithäufigsten vom Freundeskreis. Viele Interviewpartnerinnen geben an,

dass ihnen das Reden mit dem Partner sehr bei der Bewältigung geholfen hat.

„Viel reden. Ich bin ein Typ, der gerne redet […]. Wir haben das einfach so

aufgearbeitet. Ich glaub ich hab vielleicht drei Wochen, jeden Abend haben

wir da ziemlich dasselbe geredet. Er hat gewusst, das hilft mir in der Phase,

und so war das dann für mich abgearbeitet. Wir haben den ganzen August,

wir sind immer wenn er am Abend von der Arbeit heimgekommen ist, sind wir

draußen auf der Terrasse gesessen und haben das Thema irgendwie von al-

len Seiten beleuchtet, beredet, wie auch immer. Und so war das dann für

mich dann aufgearbeitet“ (Betr._3: 15).

„Naja und manchmal war es dann aber schon auch so, dass wir viel geredet

haben, wenn ich, also ich hab dann schon auch ein Redebedürfnis gehabt

auch. So ‚was wäre wenn‘ und so weiter. Also wenn ich mir Sorgen gemacht

hab, oder auch wenn er sich Sorgen gemacht hat, dann haben wir dann

schon viel geredet darüber. Das war dann schon auch wichtig“ (Betr._7: 7).

Neben dem Partner bieten auch die Freundinnen eine gute Quelle für Einschät-

zungsunterstützung. Dabei ist es den Frauen wichtig, offen über ihre Erkrankung

sprechen zu können.

„Meine Freundinnen, meine beste Freundin, der hab ich das schon gleich er-

zählt. Die war dann auch oft bei mir und wir haben halt geredet. Mir der kann

ich gut reden“ (Betr._5: 6).

„Und außerdem ist es auch einmal gut, einmal mit wem anderen, dass ich mal

mit wem anderen darüber reden kann, weil jeder hat ja eine andere Sichtwei-

se und es ist schon gut, so verschiedene Meinungen“ (Betr._9: 10).

Page 69: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

68

„Und halt auch, dass wir direkt darüber reden haben können, dass nie ein

peinliches, eine peinliche Situation gewesen wäre, immer ganz locker. Die

Dinge beim Namen nennen, so sagt man“ (Betr._9: 14).

Andere Quellen von Einschätzungsunterstützung werden nicht explizit genannt, wo-

bei anzunehmen ist, dass dies auch in den Selbsthilfegruppen geschieht.

Eine weitere Unterstützungsform, welche die Befragten häufig erhalten, ist die in-

strumentelle Unterstützung. Hierbei kommt die Hilfe im Haushalt und bei der Kinder-

betreuung und finanzielle Unterstützung vor. Eine Befragte bekommt von ihrem

Partner finanzielle Unterstützung indem sie nicht mehr arbeiten gehen muss. Sie

erzählt, dass sie nach ihrer Erkrankung im Berufsleben nicht mehr richtig Fuß fassen

konnte und dem Druck des AMS ausgesetzt war, was ihr nach eigenen Angaben

nicht gut getan hat.

„Also ich gehe zum Beispiel, ich bin nicht mehr berufstätig. Weil ich nach mei-

ner Erkrankung dann ein gutes Jahr arbeitslos war und dann in ganz viele

Schulungen gekommen bin übers AMS, und ich ganz viele Sachen erlebt ha-

be übers AMS, das mir alles nicht gut getan hat. Bin dann, war dann einmal

teilzeitbeschäftigt so, geringfähig beschäftigt, habe aber für mich nicht wirklich

das mehr gefunden, beruflich, was mich wirklich zufrieden gemacht hätte. Und

bin aber zu dem Schluss gekommen… ich muss sagen, ich hab das Glück,

dass wir es uns leisten können, dass ich sagen hab können, ich geh nicht

mehr arbeiten. Mein Mann hat das immer unterstützt. Er hat immer gesagt, du

musst nicht gehen. Das hat mir schon sehr viel weitergeholfen, weil dieser

Druck, den ich da gehabt habe über mehrere Jahre, übers AMS, hat mir nicht

gut getan. Das hab ich körperlich gespürt, dass das nicht gut ist für mich“

(Betr._2: 55).

Andere instrumentelle Hilfeleistungen betreffen die Hilfe im Haushalt und die Kinder-

betreuung. Fünf befragte Frauen berichten über diese Art der Unterstützung.

„Mein Sohn hat mich ein halbes Jahr betreut, der hat alles gemacht, gewa-

schen, geputzt, hat alles gemacht“ (Betr._1: 65).

Page 70: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

69

„Mir hat auch eine Nachbarin geholfen. Die hat halt gekocht und mir was rü-

bergebracht und auch mal staubgesaugt oder Wäsche gebügelt. Gewaschen

hat mein Mann, also Wäsche gewaschen. […] Und gebügelt hat dann halt die

Nachbarin“ (Betr._6: 15).

„[…] er hat Essen gekocht und im Haushalt, Putzen und so, hat er alles ge-

macht und auch Wäsche waschen. Und die Kinder, die waren ganz oft bei

meiner Schwester. Die haben ein großes Haus und die Kinder sind fast im

selben Alter, das hat gut gepasst, das war lieb, dass mir die auch so geholfen

hat. Sie hat sich oft um meine Kinder gekümmert“ (Betr._9: 6).

Informationelle Unterstützung wird von den Betroffenen ebenfalls häufig genannt.

Dabei ist es so, dass die Frauen sich oft auch selber darum kümmern, Informationen

zu bekommen, beispielsweise durch das Lesen von Büchern. Informationelle Hilfe-

leistungen kommen von verschiedenen Personen aus dem gesamten sozialen

Netzwerk.

„Oder, ja, meine Kinder, die dann gesagt haben, mah, weist eh, ein Arbeits-

kollege hat mir erzählt das und das, da kennt er eine, die das gemacht hat,

probier das, vielleicht hilft es dir“ (Betr._4: 58).

„Wir haben viel gelesen, ich und mein Mann. Also Informationen über Brust-

krebs und Heilung und so weiter. Da hab ich auch viele Tipps von meinen

Freundinnen gekriegt. Und wir haben uns auch Bücher gekauft und ausge-

borgt und gelesen“ (Betr._6: 15).

„Und eben in der Gruppe, in der Selbsthilfegruppe, da haben wir auch viel, da

bekommen wir auch immer viel Informationen. Die Frau X. hat jetzt auch so

eine Zeitschrift abonniert, und die schauen wir uns immer an, die ist recht gut,

da sind immer informative Sachen drinnen“ (Betr._1: 109).

Page 71: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

70

Ein weiterer Unterschied zur Literaturrecherche ist, dass in den empirischen Ergeb-

nissen die Freunde/Freundinnen doch auch informationelle Unterstützung bieten und

diese Hilfe von den Betroffenen gerne angenommen wird.

„Und auch, sie haben mir auch viel Infos gegeben. […] Sie haben so Zeit-

schriften, also so Broschüren geholt und mir gegeben oder Bücher ausgelie-

hen, die eine hat mir sogar eines geschenkt. Ja und Infos aus dem Internet

hab ich auch bekommen. […] die hat mir oft so Informationen gebracht, aus-

gedruckt und mir dann gegeben, dass ich was lesen kann. Das war schon

interessant“ (Betr._8: 30).

„Und dann hab ich eine Freundin […] von der hab ich auch viele Tipps und

viele Unterlagen bekommen, und immer wieder schickt sie mir Sachen“

(Betr._1: 109).

Informationen beschaffen sich die befragten Frauen aus eigenem Interesse auch

selbständig. Auffallend ist bei den Interviews, dass die befragten Frauen eine hohe

Selbstwirksamkeit aufzuweisen scheinen. Sie berichten beispielsweise darüber,

dass sie selbständig nach unterschiedlichen komplementären Maßnahmen zur Un-

terstützung auf verschiedenen Ebenen suchen und diese auch in Anspruch nehmen.

„Ja, solche Sachen schau ich mir schon immer wieder an und nicht nur eine

Schiene, sondern überall ein bisschen was. Ich finde, das ist sicher nicht

schlecht. Man kann sich überall raussuchen, was passt, was man mag“

(Betr._1: 107).

„Man probiert dann alles aus. Am Anfang war ich gleich einmal, ja, in Vöcklab-

ruck bei einer, die sich auch mit Erdstrahlen und so beschäftigt […]. Und die

hat auch Bioresonanz hat sie gemacht, und homöopathische Sachen halt. Da

war ich die ersten paar Wochen. […]Dann bin ich in Deutschland bei einer

Heilpraktikerin, war ich dann. Ja und ein paar so zusätzliche Sachen, Magnet-

resonanz und ja, alles so ein wenig. Und jetzt mache ich gerade in Salzburg

so eine Immuntherapie“ (Betr._4: 32).

Page 72: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

71

Eine der befragten Frauen bringt es auf den Punkt:

„Man braucht nicht immer Freunde, die einen tragen, sondern man kann das

auch selber in die Hand nehmen“ (Betr._2: 75).

5.1.3 Erleben der Unterstützung

Forschungsfrage: Wie werden diese Unterstützungsmaßnahmen erlebt?

Expertin

Wie die Unterstützungsmaßnahmen und Hilfeleistungen jeweils erlebt werden, lässt

sich laut der Expertin nicht verallgemeinern. Es ist anzunehmen, dass Patientinnen,

die mit der Unterstützung der nahen Angehörigen zufrieden sind, diese also positiv

erleben, seltener zur psychologische Beratung/Therapie kommen.

„Es macht keinen Sinn, jede Patientin da durchzuschleusen. [Anm.: durch die

Therapie] […] das ist ja nicht notwendig. Weil viele kommen zurecht“ (Exp.:

8).

Da das Erleben von sozialer Unterstützung individuell unterschiedlich ist, liegt hier

der Schwerpunkt auf den Interviews mit den Betroffenen.

Betroffene

Wie auch die Ergebnisse der Literaturrecherche zeigen, wird von den betroffenen

Frauen die emotionale Unterstützung deutlich als am positivsten und hilfreichsten

empfunden, von wem auch immer diese Hilfe kommt. Ob sie also vom Partner, vom

Freundeskreis oder von anderen Personen kommt ist dabei zweitrangig. Von den

befragten Frauen wird dies nicht nur durch die gesprochenen Worte, sondern auch

durch Gestik und Mimik zum Ausdruck gebracht, beispielsweise als eine Betroffene

über die Hilfe durch ihren erwachsenen Sohn berichtet.

Page 73: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

72

„Das war ganz ein großer Rückhalt. Er hat gesagt ‚Das mach ich nur für dich,

Mama‘ [lächelt]“ (Betr._1: 67).

Sie erzählt im Interview, dass diese Hilfe von ihrem Sohn das wichtigste für sie war,

wie durch das folgende Zitat deutlich wird:

„Das allerwichtigste war, beim letzten Mal, dass mein Sohn sich die Zeit ge-

nommen hat. Das war schon schön, ja. Das hat mir stark Auftrieb gegeben“

(Betr._1: 133).

In der Literatur wird angemerkt, dass die Unterstützung durch den Partner oft als

unzureichend erlebt wird. Die empirischen Ergebnisse zeigen jedoch, dass beson-

ders die emotionale Unterstützung durch den Partner als äußerst hilfreich und positiv

empfunden wird.

„Und er war halt einfach immer da, er ist mit mir mitgekommen zu den Termi-

nen und, also ich war so froh, dass er dabei war und ich nicht alleine war. Das

war schon ein Hilfe für mich, weil einfach, ich hab einfach wen gebraucht, wo

ich merke, egal was ist, er ist für mich da und ich kann mich auch ausweinen

und er ist da, ohne dass jetzt, dass wir jetzt groß reden müssen“ (Betr._6: 9).

„Er wollte das auch, ich hab gar nicht lange fragen müssen, der ist von selber,

er hat selber gesagt, er geht da mit. Ja, und das war schon gut auch, weil ich

mag nicht, also ich hab schon ein bisschen einen Angst gehabt vor dem was

mir die Ärztin vielleicht sagt. […]Und da war er auch wieder mit, mein Mann.

Ich mag da nicht so gern alleine hin und er tut mich dann ablenken und beru-

higen auch. Das ist schon gut. Ich weiß nicht, wie es alleine gewesen wäre“

(Betr._7: 5).

Lediglich zwei der befragten Frauen sind mit der emotionalen Unterstützung durch

den Partner anfangs unzufrieden. Eine der Befragten erlebt die Hilfe des Partners

am Beginn ihrer Erkrankung als negativ. Im Laufe der Zeit jedoch, so berichtet sie,

konnte sie sich besser auf seine Hilfe einlassen und hat es als positiv erlebt.

Page 74: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

73

„Und das ist dann, naja es war schwierig für mich. Ich bin dann auch schnell

grantig geworden immer, obwohl ich ja eh weiß, dass er nichts dafür kann. Ich

wollt das halt nicht, dass er da so, dass er da so nah bei mir ist, weil dann ist

es mir eigentlich immer schlechter gegangen, so vom Weinen her zum Bei-

spiel. Aber irgendwann ist dann so der Knopf aufgegangen oder so, da war es

wieder ganz schlimm und ich hab ihn einfach trotzdem da sein lassen. Und

dann war‘s auf einmal gut“ (Betr._8: 8).

Die zweite Frau berichtet ebenfalls von negativ erlebter Hilfe durch ihren Partner. Als

Grund für die hinderlich empfundene Unterstützung wird von ihr die zu starke Kon-

trolle durch ihn genannt.

„Ich hab aber dann irgendwie immer öfter so das Gefühl gehabt, der macht

sich so wichtig. Er hat immer geglaubt, er weiß alles besser, was ich gerade

brauche oder was ich machen soll, dass es mir besser geht, oder was mir hilft

und so. Der hat mich richtig bevormundet. Das ist mir dann schon auf die

Nerven gegangen. Da ist es mir eigentlich sogar immer schlechter gegangen,

wenn ich bei ihm war“ (Betr._5: 18).

Wie bereits in den Ergebnissen der Literaturrecherche angeführt, kann ein Zuviel an

Unterstützung ebenso wie ein Unterstützungsmangel kontraproduktiv sein, da dies

die Selbstwirksamkeit untergräbt und der Betroffenen signalisiert, dass sie nicht al-

leine zurecht kommt bzw. dass sie in der Patientinnen-Rolle gehalten wird. Es ist zu

vermuten, dass die zu starke Kontrolle des Partners aus ebendiesem Grund von der

Betroffenen als hinderlich erlebt wird. Diese Frau berichtet weiter, dass sie sich von

diesem Partner getrennt hat und in der neuen Beziehung viel emotionale Unterstüt-

zung erfahren hat, die ihr gut getan hat. Sie erzählt über die Hilfe des neunen Part-

ners:

„Wenn ich mit ihm darüber geredet hab, dann hat er mir halt zugehört und

nachgefragt und ich hab halt gemerkt, den interessiert das, wie es mir geht

[…]. Der interessiert sich wirklich für mich, das spür ich schon, und das tut

gut. Da kann ich halt dann auch alles sagen und muss nicht erst nachdenken,

was ich sage und was nicht“ (Betr._5: 20).

Page 75: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

74

Die emotionalen Unterstützungsleistungen durch die Freundinnen und Freunde wer-

den ebenfalls als hilfreich und positiv erlebt.

„Das war schon schön, dass ich seh, die machen sich Gedanken und ich bin

ihnen wichtig und sie kommen mich besuchen und schauen sich um um mich“

(Betr._6: 13).

„Das war sogar eher so, dass ich mich voll gefreut hab, dass sich alle so

interessieren, also dass ich so oft Besuch gekriegt hab und so. Das hab ich

jetzt nicht so erwartet, dass das so viel ist. Das hat mich gefreut. Ich hätt

nichts anders haben wollen“ (Betr._6: 21).

Eine der Befragten berichtet, dass sie die emotionale Unterstützung durch ihre

Freundinnen als positiv erlebt, jedoch auch gerne wieder alleine ist und es ihr der

Kontakt mit ihnen schnell zu viel wird.

„Aber trotzdem immer wieder das alleine sein, das hab ich trotzdem dann

auch wieder gebraucht. Schon viel gesehen, aber dann wars mir dann doch

irgendwann immer wieder zu viel […]. Sie haben dann schon gemeint, nein,

das ist nicht gut, bleib lieber noch, wir lenken dich ab, aber das wollte ich

nicht. Dann bin ich halt gegangen, oder sie sind gegangen, wenn wie bei mir

waren. Ja, so war das. Und das hat schon gut getan, dass sie da waren eine

Weile. Da war dann eine Zeitlang so der Druck weg, oder weniger“ (Betr._8:

28).

Eine weitere Befragte erzählt im Interview ebenfalls, dass sie über die Hilfe ihrer

Freundinnen sehr dankbar ist, dass sie das aber gar nicht immer braucht, weil sie

über genügend Selbstwirksamkeit verfügt.

„Ich hab auch immer, wie gesagt, sehr gute Freundinnen, die mich immer

auch da immer unterstützen würden. Nur, ich will das eigentlich auch gar nicht

immer. Also ich war da sehr dankbar damals, dass mich alle immer besucht

haben und nachgefragt haben, aber ich brauche das nicht immer. Also ich

Page 76: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

75

muss jetzt nicht immer für mich wen haben, der mich, der das mit mir trägt.

Ich versuche das schon […] auch alleine und durch bestimmte Techniken ein-

fach auch selber zu können, dass ich aus so einem Tief wieder herauskom-

me“ (Betr._2: 75).

Durch einen Rückzug von Personen des sozialen Umfeldes kann es zwar zu sozialer

Isolierung kommen und Unterstützungsbedürfnisse werden nicht erfüllt, was jedoch

durch die Selbsthilfegruppen aufgefangen werden kann. Bei den Interviewpartnerin-

nen ist es nur bei zwei Frauen dazu gekommen, dass sich Freundschaften auflösen.

Die weiteren Arten von Unterstützung (Einschätzungs-, informationelle und instru-

mentelle Unterstützung) werden ebenfalls positiv und hilfreich erlebt, es wird aller-

dings nicht so ausführlich und weniger gefühlsbetont darüber gesprochen wie über

die emotionale Unterstützung durch das nahe soziale Umfeld.

„Ich hab wen zum Reden gebraucht und sie ist eigentlich immer da und, ja,

das war schon gut“ (Betr._5: 6).

„[…]da war ich schon froh, dass die Nachbarin so lieb war und mir da im

Haushalt geholfen hat ein bisschen“ (Betr._6: 15).

Eine Befragte berichtet, dass sie eine Gruppentherapie abgebrochen hat, weil eine

junge Frau dabei war, die immer nur geweint hat, was die befragte Frau belastend

erlebt hat. Die Unterstützung durch die Selbsthilfegruppen hingegen wird von den

Frauen positiv erlebt.

„Jetzt auch durch die Gruppe, das ist so angenehm, wenn irgendwas ist oder

was, man kann sich austauschen mit den anderen und das ist wirklich, da

fühlt man sich irgendwie aufgehoben, gut aufgehoben, total in der Gruppe“

(Betr._1: 125).

Die Selbsthilfegruppe wird von einer Befragten auch deshalb positiv erlebt, weil sie

durch den Vergleich mit Frauen Kraft ziehen kann.

Page 77: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

76

„Weil da gibt es viel mehr Damen, die viel mehr mitgemacht haben, auf dem

Krankheitsgebiet und so, und nach wie vor so stark sind. Das ist zu bewun-

dern. Da ist ja meines eigentlich ein Klacks“ (Betr._3: 19).

5.1.4 Unterschiedliche Unterstützung im Krankheitsverlauf

Forschungsfrage: Welche Unterschiede gibt es bezüglich der Unterstützung in den

verschiedenen Krankheitsverlaufsphasen?

Expertin

Da sich die Themen, mit denen die Frauen im Krankheitsverlauf konfrontiert sind,

laufend verändern, ändern sich auch die Unterstützung bzw. das Bedürfnis nach be-

stimmten Hilfestellungen im Laufe der Zeit. Gerade die erste Phase ist eine emotio-

nale Zeit. Die Frauen haben, wenn sie den Befund erhalten, schon eine wochenlan-

ge Vorgeschichte hinter sich, in der oft verschiedenste Untersuchungen gemacht

werden müssen. Die Frauen müssen auf die jeweiligen Termine warten; bis alles

ausgewertet ist und die Patientinnen zur Befundbesprechung kommen können, ver-

geht viel Wartezeit. Die interviewte Psychologin vermutet, dass dies die anstren-

gendste und angespannteste Zeit überhaupt ist. In dieser Phase allerdings brauchen

die Patientinnen noch gar nicht so viel Unterstützung, da sie mit den Untersuchun-

gen kognitiv so sehr beschäftigt sind.

„Es kann durchaus sein, dass sich die Themen verändern. […] Die Frauen,

die haben ja schon eine wochenlange Vorgeschichte. Bis dass einmal wirklich

der Befund schwarz auf weiß da ist, vergehen Wochen. […] Das ist alles so

eine hochemotionale Zeit. Wenn nicht sogar eine von den anstrengendsten,

angespanntesten teilweise. Diese erste Phase. […] das ist schon so eine Zeit,

wo wir schon anbieten auch, dass wir psychologisch unterstützen. Aber da

kommen eigentlich die wenigsten, weil sie so beschäftigt sind: ‚nein, jetzt war-

te ich mal bis…, jetzt warte ich einmal ab‘. […] Also, da in der Zeit sehe ich

gar nicht so viele Patientinnen. […] Weil das so eine Zeit ist, wo, da wird was

getan, da wird jetzt gar nicht dran, da wird jetzt der Tumor entfernt, da ge-

Page 78: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

77

schieht jetzt endlich was. Das ist so eine Erleichterung, dass die Frauen in der

Zeit gar nicht so viel Unterstützung brauchen“ (Exp.:18).

In dieser ersten Phase bevor der Befund tatsächlich vorliegt unterstützen sich die

Patientinnen oft gegenseitig. Diese Unterstützung durch Mitpatientinnen, von Betrof-

fener zu Betroffener, geschieht hauptsächlich auf den Zimmern im Krankenhaus, wo

die Frauen zu zweit oder zu dritt zusammenkommen, und ist besonders wertvoll.

Die Familie als Unterstützung ist in dieser ersten Phase zwar am Rande von Bedeu-

tung, aber sie ist nicht die wichtigste Quelle sozialer Unterstützung. Es sind in diesen

Zeiten vielmehr die Ärzte/Ärztinnen und das Pflegepersonal im Zentrum der Auf-

merksamkeit. Für die Familie ist dies meist eine große Erleichterung, wenn die an-

fängliche Anspannung wegfällt und die medizinischen Behandlungen beginnen.

„Weil jetzt eben endlich was losgeht, jetzt wird etwas getan, jetzt sind sie da

im Krankenhaus eingebettet, jetzt sind die Ärzte wichtig, das Krankenpflege-

personal, die hab ich um mich herum, die kann ich fragen. Das ist oft auch so

eine ganz eine große Erleichterung für die Familie. Jetzt geht’s endlich los, ja,

jetzt wird einmal dieser blöde Tumor entfernt, sofern es geht“ (Exp.: 18).

Wenn die Behandlungen wieder zu Ende sind, ist die Familie wieder viel wichtiger.

Die Hauptbelastungen der Familie sieht die Expertin generell während den Zeiten

vor und nach einer Behandlung. Vor allem wenn eine Behandlung zu Ende ist und

die Emotionen nachschwingen, ist die Familie von zentraler Bedeutung für die Be-

wältigung.

„Dann ist die Familie auch noch einmal ganz wichtig. Nicht dass sie jetzt nicht

dazwischen wichtig wäre, also nicht falsch zu verstehen, aber wo sind diese

Hauptbelastungen glaub ich für die Familie, da würde ich sagen vorher, bis

dass es überhaupt einmal losgeht, und wenn die Behandlung zu Ende ist,

dann wird nämlich auch oft dieses Nachschwingen der Emotionen. Das erlebe

ich ganz, ganz oft. Die hinken oft so ein bisschen hinterher“ (Exp.: 18).

Page 79: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

78

Da während den Behandlungen so viel zu tun ist und die Patientinnen auch kognitiv

so sehr damit beschäftigt sind, rücken die Emotionen in den Hintergrund und tau-

chen dann, am Ende der Behandlung erst wieder auf. Dann kommt es oft zu einem

Erschöpfungssyndrom, weil die Behandlungen der Patientin so viel an Kraft abver-

langen. In der Familie fehlt dann oft das notwendige Verständnis für diese Phase. Es

wird erwartet, dass der Alltag wieder beginnt und die Patientin wieder funktioniert,

weil ja dann endlich alles vorbei ist und sie sich darüber freuen müsste. Dies deckt

sich auch mit den Befunden aus der Literatur. Der Patientin solle es wieder gut ge-

hen, diese jedoch braucht gerade dann vermehrt Unterstützung. Gerade in dieser

Phase setzen bei vielen betroffenen Frauen eine Müdigkeit und eine große emotio-

nale Belastung ein. Nachdem während den Behandlungen so viel los war und kaum

Zeit zum Nachdenken blieb, setzt nun ein vermehrtes Reflektieren ein und ein Be-

wusstwerden, dass man an der Grenze war zwischen Leben und Tod.

Betroffene

Wie bereits erläutert ist eine Krebserkrankung als chronische Belastung unterschied-

lich im Verlauf, wodurch sich auch die Bedürfnisse an Hilfeleistungen verändern. Da

Angehörige darüber hinaus unterschiedliche Vorstellungen davon haben, wann die

Erkrankung überwunden ist, kann es zu Unterstützungseinbußen kommen. Die Be-

fragten selbst berichten, dass es keine Unterschiede bezüglich der sozialen Unter-

stützung im Krankheitsverlauf gegeben hat sondern die Hilfe immer passend und

angemessen war. Dies scheint in Widerspruch zu den Ergebnissen aus dem Exper-

tinnen-Interview und der Literaturrecherche zu stehen. Allerdings relativiert sich die-

se erste Einschätzung dadurch, dass die befragten Frauen berichten, dass sie im-

mer das Ausmaß an Unterstützung erhalten haben, das sie in der jeweiligen Krank-

heitsphase gebraucht haben und es zu keinen Einbußen gekommen ist. Die Unter-

stützungsleistungen des sozialen Umfeldes haben sich demnach stets den Bedürf-

nissen der Betroffenen angepasst.

„Ich meine es ist schon so, dass… dass nach einer gewissen Zeit sich alle

anderen wieder halbwegs ein wenig eine Normalität einkehrt. Aber dass jetzt

die Unterstützung weniger geworden wäre, kann ich auch nicht sagen. Nein,

eigentlich nicht. Nein, ist gleich geblieben. Dass sich das, wie es am Anfang

Page 80: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

79

war, wo es dann, wo sie mich dauernd angerufen haben, das sich das ein

wenig, dass das ein wenig weniger geworden ist oder dass dauern irgendwer

gekommen ist, ja da hab ich eh nichts dagegen“ (Betr._4: 36).

„Sicher, wenn es mit gut gegangen ist, dann brauch ich ja auch nicht so viel

Hilfe, logisch, dass das dann halt anders ist. Und ich hab ja immer erzählt,

wenn es mir schlecht geht, also hab ich dann auch mehr, also da waren dann

meine Freundinnen halt mehr bei mir“ (Betr._9: 16).

5.1.5 Auswirkung sozialer Unterstützung auf die Krankheitsbewältigung

Forschungsfrage: Auf welche Art und Weise wirkt sich soziale Unterstützung auf die

Krankheitsbewältigung aus?

Expertin

Soziale Unterstützung hat durchweg eine positive Wirkung auf die Krankheitsbewäl-

tigung. Der Psychologin zufolge kann eine Krankheit am effektivsten in Interaktion

mit anderen Menschen bewältigt werden, da es im Leben immer um Beziehungen

geht, egal um welche Beziehungen es sich dabei handelt. In diesem Zusammen-

hang berichtet die Interviewpartnerin auch über posttraumatisches Wachstum, wor-

auf weiter unten noch näher eingegangen wird.

Betroffene

Es kann aufgrund der vorliegenden empirischen Ergebnisse gesagt werden, dass

die befragten Frauen sowohl ausreichend soziale Unterstützung erhalten haben, die

positiv und hilfreich erlebt wurde, als auch ihre Erkrankung gut bewältigen bzw. be-

wältigt haben. Die Frauen erfahren viel an positiv erlebter emotionaler Unterstützung

und erzählen auch darüber, wie gut ihnen die Hilfe durch die Personen aus dem so-

zialen Umfeld getan hat. Viele Befragte berichten, dass sie ohne die Hilfe von Ange-

hörigen die Krankheit nicht gut bewältigt hätten.

Page 81: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

80

„[…] ich wär ja sonst ganz alleine gewesen. Da wär ich wahrscheinlich, da

hätt ich dann vielleicht auch noch psychisch was gehabt, wenn ich nicht, wenn

mir niemand geholfen hätte und ich ganz alleine damit gewesen wäre. Also,

ich glaub schon, dass ich besser mit allem fertig geworden bin, eben weil

mein Mann da war und so“ (Betr._6: 17).

Es ist anzunehmen, dass bei den befragten Frauen sowohl eine Abschirmwirkung

als auch eine Pufferwirkung und eine Toleranzwirkung sozialer Unterstützung (nach

Hurrelmann) gegeben sind. Sind soziale Beziehungen vorhanden, werden Lebens-

krisen seltener als Belastung erlebt, werden Belastungen wirksamer bewältigt und

Erkrankungen leichter ertragen. In den Interviews mit den Betroffenen zeigt sich,

dass diese drei Komponenten alle vorhanden sind. Darüber hinaus hat die soziale

Unterstützung, welche die Befragten erhalten, direkte Effekte in Form von der Ver-

mittlung von Liebe, Wertschätzung und Anerkennung und indirekte Puffereffekte in

der Hinsicht, dass die Hilfeleistungen dazu beitragen, die negativen Auswirkungen

der Krebserkrankung zu reduzieren.

Darüber hinaus haben – wie im Kapitel „Krankheitsbewältigung“ bereits erwähnt –

Selbstvertrauen und aktive Bewältigungsstrategien einen positiven Einfluss auf die

Krankheitsbewältigung. Den empirischen Ergebnissen zufolge scheinen alle befrag-

ten Frauen über ein gutes Selbstwertgefühl, hohe Problemlösefähigkeiten und aus-

reichende Selbstwirksamkeit zu verfügen – Eigenschaften, die einen bewussten

Umgang mit schwierigen Lebensphasen und chronischen Belastungen ermöglichen.

Die Befragten setzen sich aktiv mit der Erkrankung auseinander und nutzen aktive,

aufgaben- und vor allem emotionsorientierte Coping-Strategien. Dies ist für das

(wieder)erleben positiver Gefühle und Lebensqualität und für eine positive Weiter-

entwicklung in Sinne einer posttraumatischen Reifung entscheidend, wie ebenfalls

bereits erläutert wurde.

Wie nachfolgend noch näher ausgeführt wird berichten alle Frauen über posttrauma-

tische Reifung – ein Zeichen für gut gelungene Krankheitsbewältigung.

Page 82: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

81

5.2 Posttraumatische Reifung Forschungsfrage: Kommt es durch den Prozess der Krankheitsbewältigung zu einer

Posttraumatischen Reifung? Durch den Prozess der Krankheitsbewältigung und die soziale Unterstützung kommt

es deutlich zu posttraumatischem Wachstum. Dies beweisen sowohl das Expertin-

nen-Interview als auch die Befragungen der betroffenen Frauen. Oft wollen Betroffe-

ne schon wenige Tage nach der Diagnose ganz bewusst Veränderungen in ihrem

Leben vornehmen. Die Interviewpartnerinnen erkennen an sich selbst Aspekte, die

bereits als das Bewusstwerden drei existenzieller Einsichten in Kapitel „Posttrauma-

tische Reifung“ beschrieben wurden, unter anderem sind dies Hingabe an der Fluss

des Lebens und dessen Ungewissheit, Achtsamkeit, Bewusstwerden der eigenen

Gefühle und Selbstwirksamkeit. Bei den befragten Frauen ist eindeutig die konstruk-

tive, selbsttranszendierende Komponente des posttraumatischen Wachstums vor-

herrschend.

Die befragte Expertin berichtet, dass es bei den Frauen, die zu ihr zur psychologi-

schen Behandlung kommen, sehr deutlich zu positiven persönlichen Veränderungen

kommt. Einige Patientinnen sagen sogar schon wenige Tage nach der Diagnose,

dass dies nun genau der richtige Anlass sei, um endlich etwas im Leben zu verän-

dern. Ein Satz, den sie oft hört, ist: „Wenn es schon für sonst nichts gut ist, so eine

Krebserkrankung, dann kann ich wenigstens Nutzen daraus ziehen“(Exp.: 28). Sie

schaut dann gemeinsam mit der Patientin, in welche Richtung die Veränderung ge-

hen soll und wo es im Leben Situationen gibt, mit denen die Patientin nicht zufrieden

ist. Das ist meist die Arbeitssituation und sehr häufig geht es um Beziehungs- bzw.

Partnerschaftsthemen. Auch unter den befragten Frauen lässt sich deutlich die Ent-

wicklung von posttraumatischem Wachstum erkennen, wie unter den nachfolgenden

Punkten näher ausgeführt wird.

5.2.1 Intensivierte Wertschätzung des Lebens

Forschungsfrage: Kommt es zu einer intensiveren Wertschätzung des Lebens?

Page 83: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

82

Expertin

Wenn eine Frau an Brustkrebs erkrankt, verändern sich Prioritäten und die Patien-

tinnen beginnen, sich Fragen darüber zu stellen, was das eigene Leben eigentlich

ausmacht, wie die Brustkrebsspezialistin ausführt.

„Da taucht eine Krebserkrankung auf, und auf einmal beginnen sich Prioritä-

ten zu verändern. Dann schaue ich einmal so auf mein ganzes Leben. Wie ist

das, bin ich zufrieden damit, gibt es irgendwas, was ich eigentlich eh schon

längst verändern sollte, möchte“ (Exp.: 28).

Darüber hinaus wird vermehrt auf die eigene Lebensqualität geachtet und das Be-

wusstsein für das Wesentliche verändert sich.

„Einfach ich betrachte mein Leben, wie es gelaufen ist und was will ich von

meinem Leben. Weil manche sind halt einfach 50, 60, 70, das ist halt, da ist

die Häufigkeit natürlich wesentlich höher für eine Brustkrebserkrankung, […]

wie viel Zeit bleibt mir noch in meinem Leben für meine Veränderungen. Nicht

so nach dem Motto: ‚zahlt es sich überhaupt noch aus‘, sondern: ‚klar zahlt es

sich noch aus, und wenn ich mir wegen drei Tagen noch ein neues Kleid kau-

fe, weil es mir so gefällt‘“ (Exp.: 32).

Betroffene

Selbiges berichten die befragten Frauen. Alle Betroffenen erzählen im Interview be-

sonders häufig von einer intensiveren Wertschätzung des Lebens seit der Krebser-

krankung. Bei vielen ändern sich die Prioritäten im Leben. Das bedeutet konkret,

dass manche Dinge nicht mehr so wichtig genommen werden und dafür die „kleinen

Dinge“ wichtiger werden. Es verändert sich die Sichtweise und das Bewusstsein da-

für, was im Leben wesentlich ist.

„Ja, man freut sich auch über die kleinen Sachen, und man nimmt vieles auch

nicht so tragisch, was soll’s. Wo manche wegen irgend so Kleinigkeiten gleich

‚Ah um Gottes Willen‘ – ja für was denn“ (Betr._1: 87)?

Page 84: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

83

„Aber man muss halt trotzdem schauen auch, dass man innehält und schau-

en, was ist wirklich wichtig, was muss ich wirklich machen, was brauche ich

jetzt für meine Existenz und was kann ich ablegen“ (Betr._2: 57).

„[…] wirklich auch Kleinigkeiten, die einen früher halt ärgern und wo man dann

weiß, da gibt es ganz andere Sachen und wichtigere Sachen“ (Betr._4: 44).

„Es haben sich die Prioritäten verändert. Mir ist jetzt viel wichtiger, dass ich

Spaß hab im Leben, und dass ich Zeit mit meinen Freundinnen verbringe.

Dass ich einfach Sachen mache, die schön sind und dass ich mir nicht mehr

so viele Gedanken mache über irgendwas Negatives, oder um Sachen, die

vielleicht einmal sein könnten“ (Betr._6: 27).

Darüber hinaus berichten die Interviewpartnerinnen auch davon, dass sie den Alltag

anders bzw. bewusster erleben, Dankbarkeit verspüren und mehr im Hier und Jetzt

leben als vor der Erkrankung. Es wird nichts mehr als selbstverständlich betrachtet.

„[…]dass man eigentlich dankbar ist, dass man das alles noch erleben darf.

Man erlebt eigentlich alles bewusster. Man ist dann nicht mehr so oberfläch-

lich. Darum, jede Krankheit eröffnet einem irgendeine andere Chance. Man

muss es einfach sehen können“ (Betr._1: 91).

„Naja, man lebt einfach ganz anders dann, viel bewusster. Man achtet viel

mehr darauf, was tut mir gut, was tut mir nicht gut. Man gibt Dinge auf, wo

man eigentlich immer schon gewusst hat, das passt nicht zu mir“ (Betr._2:

27).

„Es ist schon so, dass ich heute einfach ganz viel darauf achte, dass ich den

Tag einfach genieße. Also das im Hier und jetzt sein und das Jetzt genießen

und nicht so viel nachdenken über das was irgendwann kommen kann oder

kommen wird“ (Betr._2: 29).

Page 85: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

84

„Ja ich mein, verändern tut sich das ganze Leben. Das ist einmal klar. […]

gewisse Sachen sieht man einfach ganz anders, was einen früher vielleicht

gar nicht aufgefallen war, oder was selbstverständlich war, das ist heute ganz

anders. Ich schau, dass ich ziemlich oft walken gehen kann oder spazieren

gehen kann und dann, wo ich wirklich dann schaue, ich schau mit die Natur

an, ich freue mich, wenn die Sonne scheint. […] das nimmt man alles, ja ei-

gentlich bewusster wahr, das schon. Das hat mich früher, hab ich gar nicht

registriert, oder es war so nebenbei halt“ (Betr._4: 46).

„Vorher hab ich alles gar nicht so richtig wahrgenommen, also so Sachen wie,

so einfache Sachen, zum Beispiel ein gutes Frühstück oder in der Sonne lie-

gen oder bei der Donau sitzen und so einfache Sachen halt. Das ist früher

mehr, das ist so, das hab ich nicht so bewusst wahrgenommen. Jetzt genieße

ich das alles“ (Betr._5: 28).

„Weil es ist schon so, wie man immer hört, das mit der Konfrontation mit so

schweren Krankheiten. Also wenn man daran denkt, dass man vielleicht bald

sterben muss. Also bei mir halt. Irgendwie nutzt man dann das Leben viel

mehr, oder die Zeit halt. Man sieht alles ein bisschen anders“ (Betr._6: 25).

Die meisten Frauen legen darüber hinaus viel mehr Wert auf ihre Freizeit. Es werden

auch Chanen und Gelegenheiten, die sich bieten, viel eher ergriffen und genutzt, als

dies vor der Erkrankung der Fall gewesen ist.

„Das ist auch sowas, was sich geändert hat, das rausschieben. Wenn ich was

machen will, dann schau ich auch, dass ich es mache. Ich will nicht mehr war-

ten und alles aufschieben. Überhaupt ist mir meine Freizeit jetzt viel wichtiger“

(Betr._5: 12).

„Ich will Spaß haben im Leben und nicht mehr so wie früher, einfach nur da-

heim sitzen. Also wenn wo eine Gelegenheit ist, dass ich was unternehmen

kann, dann mach ich das. […] Ich will nicht irgendwann mal was bereuen,

dass ich was nicht gemacht hab. Also ich leb jetzt schon intensiver, und ich

hab immer noch das Gefühl, da geht noch mehr [lacht]“ (Betr._5: 26).

Page 86: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

85

5.2.2 Intensivierung persönlicher Beziehungen

Forschungsfrage: Kommt es zu Veränderungen des sozialen Netzwerkes?

Expertin

Der Psychologin zufolge sind Beziehungen das Hauptthema im Leben – somit geht

es bei den persönlichen Veränderungen, die Brustkrebspatientinnen erleben, sehr

häufig um Beziehungen. Diese Veränderungen fallen unterschiedlich aus und rei-

chen von einer Intensivierung der Beziehungen bis hin zu Trennung und Scheidung.

„Also da hab ich schon alles erlebt. Von der Trennung bis zur Scheidung, bis

hin aber einer Intensivierung von einer Beziehung, weil man plötzlich drauf-

kommt, wie wichtig man sich ist, oder wie wichtig Beziehung ist. Und wenn

man schaut im Leben, was ist das Wichtigste, das sind immer Beziehungen,

ganz wurscht in welche Richtung. Ob das der Partner ist oder Familie oder

Geschwister oder Nachbarn. Es geht immer um Beziehung. Das ist Haupt-

thema im Leben. Und das tue ich einmal einfach neu überdenken und neu

ordnen“ (Exp.: 28).

Es kann allerdings auch vorkommen, dass die Unterstützung ausbleibt bzw. Verän-

derungswünsche der Patientin vom Partner oder anderen Familienmitgliedern unter-

drückt werden. Dies geschieht vor allem, wenn die Beziehung bzw. Partnerschaft

nicht so gut sondern eher dysfunktional ist. Aus Angst vor der Veränderung wird die

Partnerin kleingehalten und versucht, sie wieder in das alte Schema hineinzupres-

sen, vor allem dann, wenn die Veränderungswünsche die Partnerschaft betreffen. In

solchen Fällen erfahren die Betroffenen keine soziale Unterstützung.

Betroffene

Jene interviewten Frauen, die positiv erlebte soziale Unterstützung durch Angehöri-

ge bzw. Freunde/Freundinnen erhalten haben, berichten alle von einer Intensivie-

Page 87: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

86

rung der persönlichen Beziehungen. Es entsteht größere Nähe und ein Zusammen-

wachsen.

„Ich meine, das kann anders auch ausgehen, dass da eine Familie zerbricht

oder wie auch immer. Im Gegenteil, es hat uns einfach mehr zusammenge-

schweißt“ (Betr._3: 15).

Viele der befragten Frauen berichten darüber, dass sich die Beziehung zum Partner,

wenn sie vorher schon gut war, noch intensiviert hat bzw. dass sie gleich gut geblie-

ben ist, sich aber das Bewusstsein und die Wertschätzung diesbezüglich verändert

hat.

„Seit dem sind wir viel offener miteinander und wieder liebevoller. Das war

zwar eh vorher auch, aber jetzt ist es halt mehr. Wir sind da schon näher zu-

sammen jetzt“ (Betr._6: 7).

„Und mit meinem Mann, das war eh immer schon eine gute Beziehung, wir

waren uns von Anfang an eigentlich recht nah. Da hat sich dann nicht viel

verändert“ (Betr._9: 12).

„Jetzt ist das einfach anders, viel bewusster. Vorher war es halt schon mehr

selbstverständlich, dass es so schön ist, mit meinem Mann zum Beispiel, und

jetzt find ich es halt nicht mehr selbstverständlich, sondern bin einfach dank-

bar und freu mich viel mehr, dass er da ist“ (Betr._9: 30).

Eine Betroffene berichtet darüber, dass die Beziehung zu ihrem Partner abgebro-

chen ist, dass sie jedoch eine Veränderung in der neuen Beziehung bemerkt, da

diese viel offener ist.

In Bezug auf Freundschaften berichten die Frauen, dass sich viele Beziehungen in-

tensiviert haben, manche jedoch abgebrochen sind. Freundschaften, die vor der Er-

krankung auch schon gut waren, sind besser geworden. Sieben der neun Befragten

Frauen erzählen von einer Intensivierung der Beziehungen zu Freunden und Freun-

dinnen.

Page 88: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

87

„Also manche Beziehungen sind intensiver geworden. Speziell zwei Freun-

dinnen, die ich früher weniger gesehen habe sehe ich jetzt viel mehr, die ha-

ben mich total unterstützt in der Zeit, und da hat sich dann noch ein festeres

Band gebildet. Also das ist schon merkbar gewesen. Aber sonst, verändert, ja

es ist schon, als wenn man irgendwie noch mehr zusammengewachsen wäre,

bei manchen Menschen“ (Betr._2: 21).

„[…] meine guten Freundinnen, die ich vorher schon als gute Freundinnen

empfunden hab, das ist sicher noch intensiver geworden. Wo man auch im-

mer wieder sieht, also, auf die ich mich einfach 100% verlassen kann“

(Betr._4: 22).

Zwei der Interviewpartnerinnen berichten, dass sie bei neuen Freundschaften sorg-

fältiger auswählen, mit wem sie sich anfreunden wollen und mit wem nicht. Eine von

ihnen erzählt auch, dass sich ihr Freundeskreis sehr vergrößert hat.

„Wobei jetzt schon, also wenn ich neue Menschen kennenlerne, schon, also

auf das achte ich, ist das wer, der mir guttut, oder ist das wer, der mir nicht so

guttut. Und dann schaue ich schon, dass ich mich da ein wenig zurückhalte“

(Betr._2: 23).

Eine Betroffene berichtet, dass sie keiner Freundin von ihrer Brustkrebserkrankung

erzählt hat und es auch keine Veränderungen in den Freundschaftsbeziehungen

gibt. Eine weitere erzählt, dass sich Freundschaften sowohl intensiviert haben als

auch abgebrochen sind.

„Ja die waren auch ganz lieb. Wobei ich sagen muss, nicht alle. Zwei waren

dabei, mit denen bin ich jetzt nicht mehr so befreundet. Also es war nicht so,

dass wir einen Streit gehabt haben, aber, es hat halt einfach aufgehört, die

Freundschaft. Ich glaub, die haben das nicht so gut verkraftet“ (Betr._9: 8).

Bei einer der befragten Frauen sind alle Freundschaften abgebrochen und neue,

bessere sind entstanden.

Page 89: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

88

„Da hab ich eigentlich fast alle Freunde verloren. Am Anfang hab ich es schon

immer wieder probiert, so mit Freundschaft pflegen, aber es hat mich dann

immer weniger interessiert. […] Also die meisten sind eigentlich weggebro-

chen, eigentlich alle. […] Aber es sind dann neue Freundschaften entstanden,

und die sind schon irgendwie, ja, tiefer einfach. Also das ist nicht mehr so wie

bei den anderen, die ich jetzt nicht mehr hab. Da ist alles viel offener und lo-

ckerer“ (Betr._5: 8-14).

Der Großteil der Frauen berichtet auch über einen veränderten Umgang mit Bezie-

hungen generell. Sie erzählen, dass sie offener geworden sind und Gefühle eher

ausdrücken als sie das vor der Erkrankung konnten.

„Also ich bin offener und zeig anderen schon, wenn ich sie mag oder so. Das

ist mir früher schwer gefallen. Jetzt ist das leichter. Weil ich denk mir, was,

wenn irgendwas ist? Ich weiß ja nicht, was morgen ist oder so“ (Betr._5: 16).

„Es ist mir mehr, naja mehr bewusst, wie gut ich es mit ihm habe. Weil vorher

war es halt schon schön, aber so normal. Und jetzt bin ich immer richtig dank-

bar, dass ich ihn hab und dass er so lieb ist. Und das sag ich ihm jetzt auch

voll oft. Das hab ich vorher nicht so oft gemacht, dass ich ihm das sage“

(Betr._7: 15).

„Da ist die Beziehung schon besser geworden. Ich kann das viel besser zu-

lassen jetzt. Also dass er mir halt wirklich nahe ist“ (Betr._8: 14).

5.2.3 Bewusstwerden der eigenen Stärke

Forschungsfrage: Entwickeln die Betroffenen mehr eigene Stärke?

Den betroffenen Frauen wird ihre eigene Stärke bewusst und sie entdecken, welche

Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen. Dies geht sowohl aus dem Expertinnen-

Interview als auch aus den Befragungen der Betroffenen hervor.

Page 90: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

89

Expertin

Gerade durch eine psychologische Begleitung wird den Patientinnen die eigene

Stärke bewusst und sie entdecken, welche Ressourcen ihnen überhaupt zur Verfü-

gung stehen, die möglicherweise noch nie wirklich genutzt wurden. Darüber hinaus

wird der befragten Psychologin zufolge auch das Blickfeld erweitert, wodurch sich in

weiterer Folge sehr häufig das Copingverhalten bzw. die Krankheitsbewältigung ver-

ändert. Die eigenen, zuvor oft nicht bewussten Copingfähigkeiten werden erkannt

und können zur Bewältigung der Brustkrebserkrankung und deren sozialen und

emotionalen Begleiterscheinungen beitragen.

„Weil ein anderer Blick einfach oft sich entwickelt. Oder sagen wir so, das

Blickfeld wird erweitert. Wo ich vielleicht sonst nur mit, weiß ich nicht, sagen

wir mal schlimmstenfalls mit Scheuklappen durchs Leben gegangen bin und

auch meine eigenen Fähigkeiten von Coping, zur Bewältigung, nicht erkannt

hab, oder nicht gesehen hab, was eigentlich ich auch alles kann. Das kann

einfach durch die Horizonteröffnung schon auch erkannt werden“ (Exp.: 36).

„Also oft weiß ich es ja gar nicht, was ich in mir trage. Und darum verändert

sich auch durchaus das Copingverhalten auch, wenn man es einmal freilegt,

freischaufelt. Weil grundsätzlich haben wir es ja alle in uns, Bewältigungsme-

chanismen. Ich kann jedem Menschen alles zutrauen. Es kann ein jeder

Mensch alles schaffen. Aber nur muss man es manchmal ein bisschen frei-

schaufeln, freilegen, sich damit beschäftigen eben im Gespräch, und dann

finde ich Wege. Und finde meine ganz ureigensten Bewältigungsmechanis-

men. So gesehen verändert sich das Copingverhalten sehr, sehr häufig“

(Exp.: 36).

Betroffene

Die befragten Frauen berichten, dass sie im Laufe der Zeit während der Krankheits-

bewältigung eine größere persönliche Stärke entwickelt haben und sich Krisen bes-

ser gewachsen fühlen.

Page 91: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

90

„Seit dem hab ich gelernt, nur mehr selber zum, ich will nicht sagen, dass ich

selber behandle, aber einfach so auf die Füße stellen. Und wenn ich weiß, da

stimmt was nicht, dann setze ich mich da einfach so ein, dass ich zu dem Ziel

komme, damit man wirklich weiß was jetzt Grund ist und was nicht, ja, was

Sache ist“ (Betr._3: 7).

„Ja schon, ich bemühe mich zumindest sehr, dass ich mich da nicht von ir-

gendwem runterziehen lasse oder Sachen… also den Müll abladen bei mir

braucht keiner mehr“ (Betr._4: 44).

„Ich glaub, wenn mal was wäre, dann würd ich vielleicht schon besser damit

umgehen, weil ich hab ja diese Krise da, also das mit dem Krebs, das hab ich

ja alles super geschafft. Also was kann da noch schlimmeres kommen“

(Betr._7: 25).

5.2.4 Entdeckung neuer Möglichkeiten

Forschungsfrage: Entdecken die Betroffenen neue Möglichkeiten?

Expertin

Es wird der Expertin zufolge intensiver reflektiert, welche Möglichkeiten zur Verände-

rung man im Leben hat und was einem Freude bereiten würde. Viele Patientinnen

überdenken und ändern ihre berufliche Situation.

Betroffene

Fünf der neun Befragten berichten über neue Möglichkeiten und Veränderungen, die

sie in ihrem Leben vorgenommen haben. Darunter fallen berufliche Veränderungen,

ehrenamtliche Tätigkeiten und neue Hobbies. Häufig stellen die befragten Frauen

auch ihre Ernährung um oder machen vermehrt Sport.

Page 92: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

91

„Also ich hab zum Beispiel Wirtschaft studiert. Ich hab meine eigene Firma

gehabt und irgendwann war für mich bald nachher klar, das ist nicht mehr so

ganz das Meine. Ich möchte eigentlich was anderes machen im Leben. Und

hab eben dann ganz viele verschiedene Ausbildungen gemacht, im Sozialbe-

reich, im energetischen Bereich. Also, ja, ich hab mich einfach ein bisschen

anders orientiert. Das hat mir gut getan“ (Betr._2: 27).

„Ich meine ich bin halt jetzt sehr viel ehrenamtlich tätig. Und das macht mir

Freude, und da hab ich Spaß daran und das gibt mir einfach das zurück, was

sich andere vielleicht im Beruf holen“ (Betr._2: 57).

„Was sich schon sehr verändert hat, ich hab die Ernährung umgestellt. Also

nicht komplett, aber wirklich sehr bewusst. […] Sport mache ich mehr, auf je-

den Fall. Ich schau, dass ich drei Mal in der Woche irgendwie rausgehe. Ein-

mal hab ich sowieso eine fixe Gymnastikeinheit. Am Wochenende immer,

dass ich Skifahren, Radfahren, Eislaufen, egal was, ist eh sehr vielfältig“

(Betr._3: 23-25).

5.2.5 Intensiviertes spirituelles Bewusstsein

Forschungsfrage: Intensiviert sich das spirituelle Bewusstsein der Betroffenen?

Expertin

Der Psychologin zufolge gibt es in Bezug auf Religion nur wenige Veränderungen.

Manches Mal kommt ein Hadern mit Gott vor und ein Suchen nach Erklärungen da-

für, warum die Krebserkrankung entstanden ist. Einige Frauen beginnen auch, sich

für esoterische Themen zu interessieren. Generell lässt sich allerdings sagen, dass

die Erkrankung kaum bis keinen Einfluss auf den Glauben hat und die Betroffenen

ihre Religion so weiterleben wie sie dies vor der Erkrankung getan haben. Spirituali-

tät ist eine Ersatzreligion geworden; was sich verändert ist in dieser Hinsicht die In-

tensität des Lebens – was in Bezug auf posttraumatische Reifung unter Punkt 5.3.1

bereits erörtert wurde.

Page 93: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

92

Betroffene

Bei zwei interviewten Frauen hat sich im Bereich Spiritualität bzw. Religion etwas

verändert. Eine Betroffene berichtet über ein intensiveres spirituelles Bewusstsein

und ihre aktive Tätigkeit in der Kirche.

„[…] viel eher so auf der spirituellen Ebene, also Vertrauen, Loslassen, auch

Dinge, die den Glauben betreffen und so“ (Betr._2: 79).

„Ja, und in der Kirche bin ich jetzt aktiv. Also bei uns, ich bin in der Altkatholi-

schen Kirche. Und da bin ich auch jetzt einfach aktiver. Ich meine, ich bin

schon 25 Jahre altkatholisch, aber jetzt bin ich halt einfach aktiv in der Kirche“

(Betr._2: 83).

Eine befragte Frau berichtet darüber, dass sie jetzt seltener in die Kirche geht als

zuvor.

„Ich geh nicht mehr so oft in die Kirche [lacht]. Ich bin immer am Sonntag ge-

gangen, weil man das halt so macht. Weil meine Eltern sind ja auch immer mit

mir gegangen, früher, und ich bin dann halt selber auch. Aber eigentlich mag

ich das jetzt nicht mehr so. Ich glaub schon an Gott und das alles, aber ich

mag nicht jeden Sonntag in die Kirche gehen. Da bleib ich lieber daheim und

tu gemütlich frühstücken und faulenzen. Oder wir machen einen Ausflug, also

ich und mein Mann“ (Betr._7: 19).

Bei den anderen Interviewpartnerinnen hat sich nichts bzw. kaum etwas in Bezug

auf Religion oder Spiritualität geändert.

5.2.6 Posttraumatische Reifung und soziale Unterstützung

Forschungsfrage: Welchen Einfluss hat soziale Unterstützung auf die posttraumati-

sche Reifung?

Page 94: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

93

Zwischen sozialer Unterstützung und posttraumatischer Reifung kann in der vorlie-

genden Untersuchung ein klarer Zusammenhang angenommen werden. Die Psy-

chologin sieht diesen Zusammenhang deutlich, da Veränderungen im Leben stets in

Interaktion mit anderen Menschen am besten funktionieren. Auch in den Ergebnis-

sen der Interviews mit den Betroffenen lässt sich erkennen, dass die Frauen umso

mehr über posttraumatische Reifung berichten je mehr sie positiv erlebte soziale

Unterstützung erfahren haben.

Expertin

Die Psychologin sieht einen klaren Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung

im privaten Umfeld und posttraumatischem Wachstum. Wenn sich etwas im Leben

verändern soll, dann funktioniert das am besten in Interaktion mit anderen Men-

schen, da man dadurch Resonanz bekommt. Je offener man mit den eigenen Wün-

schen nach Veränderung und Weiterentwicklung umgeht, umso mehr Resonanz be-

kommt man auch – positiv wie auch negativ, beispielsweise im Falle von dysfunktio-

nalen Beziehungen, wo jede Veränderung aus Angst unterdrückt wird.

„[…] wenn ich jetzt etwas verändern will in meinem Leben, was weiß ich, ich

möchte mich jetzt beruflich verändern oder auch von mir aus in meiner Part-

nerschaft oder so, und ich öffne mich dafür, geht eben auch das mit anderen

Leuten, dann kriege ich ganz eine andere Resonanz. Das glaube ich schon,

also dass es da einfach auch einen Zusammenhang gibt. […] Jeder Ratschlag

oder jedes Genügen ist ja nicht hilfreich, ja? Aber zumindest kann ich es auch

in mein Repertoire aufnehmen. […] Aber natürlich gibt’s auch dysfunktionale

Familien, wo jede Idee oder jede Veränderung, die gewünscht wird von der

Patientin, niedergehalten wird. Weil es halt Angst macht. Veränderung macht

ja immer auch irgendwo Angst in Familien. […] Und dann versuche ich halt

wieder wen kleinzuhalten oder wieder wen schnell in das alte Schema rein

pressen, dann brauche ich nichts befürchten“(Exp.: 40).

Page 95: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

94

Betroffene In den Interviews mit den Betroffenen zeigt sich, dass die befragten Frauen sowohl

soziale Unterstützung erhalten als auch posttraumatische Reifung erfahren haben.

Vereinzelt lässt sich ein Zusammenhang in der Hinsicht erkennen, dass Frauen, die

nach eigenen Angaben mehr soziale Unterstützung erhalten auch vermehrt über

posttraumatisches Wachstum berichten.

Beispielsweise erzählt eine der Betroffenen, wie sehr sie ihr Partner unterstützt hat

und wie dankbar sie für die große Hilfe ihrer Freundinnen war. Sie hat in ihrem na-

hen sozialen Umfeld sehr viel an emotionaler Unterstützung erhalten, wodurch sich

die Beziehungen intensiviert haben. Darüber hinaus berichtet sie über positive Ver-

änderungen in Bezug auf ihre Wertschätzung des Lebens, auf das Wahrnehmen

neuer Möglichkeiten, auf ihre Religion und auf das Entwickeln innerer Stärke.

Eine weitere Befragte berichtet, dass sie nur ganz wenigen Menschen von ihrer Er-

krankung erzählt hat. Sie hat jedoch von ihrem Partner viel emotionale und vor allem

Einschätzungsunterstützung erhalten. Sie berichtet ebenfalls über posttraumatische

Veränderungen, jedoch nicht in dem Ausmaß wie die oben genannte Interviewpart-

nerin.

Alle betroffenen Frauen nehmen an den Treffen von Brustkrebs-Selbsthilfegruppen

teil. Sie erhalten in diesen Gruppen emotionalen Rückhalt, ein Gefühl von Gemein-

samkeit, Einschätzungsunterstützung und trotz des gemeinsamen Leidens auch ein

gewisses Maß an krankheitsfreien Zonen. Wie bereits erwähnt bieten Selbsthilfe-

gruppen eine gute Basis für die Entwicklung von posttraumatischem Wachstum, was

sich anhand der Ergebnisse der Interviews auch erkennen lässt.

Es zeigt sich also, dass die befragten Frauen viel positiv erlebte Unterstützung erhal-

ten haben und auch über posttraumatische Reifung berichten. Mangels einer Ver-

gleichsgruppe ohne soziale Unterstützung kann jedoch keine Verallgemeinerung

vorgenommen werden.

Page 96: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

95

6 Zusammenfassung kritische Würdigung und Empfehlungen

6.1 Zusammenfassung

Wie eingangs dargelegt, leiden Frauen mit einer Brustkrebserkrankung unter den

Begleit- und Folgeerscheinungen, die mit der Krankheit verbunden sind und es

kommt häufig zu einer anhaltenden Beeinträchtigung des Befindens. Für die Krank-

heitsbewältigung ist Brustkrebs eine große Herausforderung und die Betroffenen

sind auf soziale Unterstützung aus dem nahen Umfeld angewiesen. Diese Heraus-

forderung kann allerdings auch eine Chance für posttraumatisches Wachstum bie-

ten. Es gibt zahlreiche Studien, die sich mit der Krankheitsbewältigung bzw. mit der

sozialen Unterstützung am Beispiel Brustkrebs beschäftigen, jedoch nur wenige in

Bezug auf posttraumatisches Wachstum und Brustkrebs. Aus diesem Grund fand in

dieser Untersuchung eine nähere Auseinandersetzung mit diesem Thema statt. Es

wurde untersucht, inwiefern Frauen durch soziale Unterstützung ihre Krebserkran-

kung besser bewältigen und posttraumatisches Wachstum entwickeln. Die For-

schungsfragen bezogen sich somit auf die soziale Unterstützung zur Krankheitsbe-

wältigung: Quelle, Art und Erleben der Unterstützung, Unterschiede im Krankheits-

verlauf, Auswirkung der Unterstützung auf die Krankheitsbewältigung; und auf die

posttraumatische Reifung: intensivierte Wertschätzung des Lebens, Veränderung

des sozialen Netzwerkes, Entwicklung innerer Stärke, Entdeckung neuer Möglichkei-

ten, intensiviertes spirituelles Bewusstsein, Einfluss der sozialen Unterstützung auf

die posttraumatische Reifung. Es wurde ein qualitatives Untersuchungsdesign ge-

wählt. Mittels Leitfaden-gestützten Interviews wurden eine Expertin und neun betrof-

fene Frauen befragt.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Betroffenen eine hohe Selbstwirksamkeit aufwei-

sen. Sie erhalten intensive soziale Unterstützung aus dem primären und tertiären

Netzwerk, hauptsächlich vom Partner, vom Freundeskreis und von der Selbsthilfe-

gruppe. Emotionale Unterstützung wird am häufigsten erhalten und als am hilfreich-

sten erlebt. Im Krankheitsverlauf erhalten die Betroffenen stets die Unterstützung,

die sie in den jeweiligen Phasen brauchen. Es kommt durch die soziale Unterstüt-

zung im Prozess der Krankheitsbewältigung deutlich zu posttraumatischem Wach-

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stum. Es kommt zu einer intensiveren Wertschätzung des Lebens, zur Veränderung

von Prioritäten und zu einem Achtgeben auf die eigene Lebensqualität. Das soziale

Umfeld verändert sich deutlich zum Positiven: viele Beziehungen intensivieren sich,

manche brechen ab und es entstehen neue, positivere Beziehungen. Weiteres wird

die eigene innere Stärke bewusst, Ressourcen werden entdeckt und neue Möglich-

keiten im Leben werden wahrgenommen. In Bezug auf Religion bzw. Spiritualität

ändert sich nur wenig im Leben der Betroffenen. Zwischen sozialer Unterstützung

und posttraumatischer Reifung kann – betreffend die befragten Frauen – ein klarer

Zusammenhang angenommen werden. Durch posttraumatisches Wachstum ändert

sich zudem häufig das Copingverhalten der Patientin, da Ressourcen entdeckt wer-

den, welche zur Krankheitsbewältigung und zum Umgang mit den sozialen und emo-

tionalen Begleiterscheinungen der Erkrankung beitragen. Es lässt sich somit in der

Gesamtschau resümieren, dass soziale Unterstützung von zentraler Bedeutung für

eine gelungene Bewältigung des Leidens von Brustkrebspatientinnen darstellt. Zu-

dem ist das Vorhandensein sozialer Beziehungen wichtig für das Zustandekommen

posttraumatischer Reifung.

6.2 Kritische Würdigung

Durch die Methode der qualitativen Inhaltsanalyse wurde in der vorliegenden Arbeit

versucht, soziale Unterstützung, Krankheitsbewältigung und posttraumatische Rei-

fung bei Brustkrebspatientinnen zu messen.

Es wurde bereits im Vorfeld durch die Beschäftigung mit der Theorie deutlich, dass

es sich um ein sensibles Thema handelt. Für die Betroffenen kann eine Brustkrebs-

erkrankung eine enorme psychische Belastung sein. Sie müssen nicht nur mit der

Erkrankung selbst, sondern auch mit dem damit verbundenen Leiden, wie Wilber es

definiert, zurecht kommen. Es wurde angenommen, dass die meisten betroffenen

Frauen nicht gerne über dieses Thema sprechen. Entweder sie sind aktuell noch zu

belastet mit den Anforderungen und den Begleiterscheinungen der Krebserkran-

kung, oder sie sind froh, dass sie wieder gesund sind und wollen die Erinnerung

daran hinter sich lassen und nicht mehr damit konfrontiert werden, so wurde vermu-

Page 98: Krankheitsbewältigung , soziale Unterstützung und

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tet. Somit mussten Betroffene gefunden werden, die an einer Untersuchung wie die-

ser auch teilnehmen würden.

Aus diesem Grund wurden die Frauen der Selbsthilfegruppen als Grundgesamtheit

ausgewählt, wohl wissend, dass dadurch keine Verallgemeinerung auf alle Brust-

krebspatientinnen bzw. Überlebende von Brustkrebs vorgenommen werden kann.

Die Ergebnisse gelten demnach lediglich für Frauen aus Brustkrebs-

Selbsthilfegruppen in Österreich, die zwischen 50 und 70 Jahre alt sind und zum

Diagnosezeitpunkt und in der ersten Phase nach der Diagnose in einer Beziehung

leben. Durch die Selbstselektion kann darüber hinaus eine Verzerrung der Ergebnis-

se nicht ausgeschlossen werden, wodurch es zu einer Einschränkung der Aussage-

kraft der Ergebnisse und der Repräsentativität kommt, da die Stichprobe die Grund-

gesamtheit (alle Frauen der Brustkrebs-Selbsthilfegruppen) nicht abbildet – zumal

eine der Befragten keiner Selbsthilfegruppe angehört. Da Brustkrebs an sich ein

heikles Thema ist, über das viele Betroffene nicht gerne mit Außenstehenden spre-

chen, wird vermutet, dass jene betroffenen Frauen, die freiwillig an der Untersu-

chung teilgenommen haben, ihre Erkrankung überdurchschnittlich gut bewältigt ha-

ben. Es kann angenommen werden, dass es ein Zeichen von posttraumatischem

Wachstum ist, offen in einem Interview über solch heikle Themen zu sprechen.

6.3 Empfehlungen

In Bezug auf die nun vorliegenden Untersuchungsergebnisse kann die Hypothese

aufgestellt werden, dass posttraumatische Reifung umso eher gelingt, je mehr sozia-

le Unterstützung in den jeweiligen Krankheitsphasen zur Verfügung steht. Es wird

daher empfohlen, dass Patientinnen nicht nur zu Beginn, bei oder nach der Diagno-

se, Hilfsmaßnahmen angeboten bekommen, sondern dass dies immer wieder ge-

schieht. Zudem sollten die Unterstützungsmaßnahmen bzw. die Empfehlungen und

Vorschläge für ebensolche möglichst breit gefächert sei.

Zwischenzeitig wurde von einer der beiden Selbsthilfegruppen-Leiterinnen auch in

einem Linzer Krankenhaus eine Gruppe für Brustkrebspatientinnen initiiert. Aufgrund

der Ergebnisse dieser Untersuchung wird empfohlen, dass in allen Krankenhäusern

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derartige krankheitsbezogene Selbsthilfegruppen angeboten und die Patientinnen im

Laufe der Zeit immer wieder auf dieses Angebot hingewiesen werden.

Darüber hinaus wird empfohlen, ein partnerschaftliches Unterstützungsprogramm

nach dem Vorbild der im Kapitel „Befunde aus empirischen Studien“ vorgestellten

Pilotstudie „CanCOPE“ zu initiieren und zu evaluieren, da, wie gezeigt werden konn-

te, die Hilfe durch den Partner entscheidend zur Bewältigung beiträgt bzw. Probleme

in der Beziehung sich unter Umständen hinderlich auswirken können.

Es konnten im Rahmen der Untersuchung nicht alle Teilaspekte der Thematik unter-

sucht werden. Diesbezüglich wird beispielsweise eine breiter angelegte Studie mit

Einzelfall-Interviews vorgeschlagen, bei denen nicht nur die betroffenen Frauen,

sondern auch deren Partner, wichtige Familienmitglieder und Therapeu-

ten/Therapeutinnen befragt werden.

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99

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102

Anhang

Interviewleitfaden Expertin

Bitte um Erlaubnis der Tonbandaufzeichnung

Einstiegsfragen

Soziale Unterstützung/Bewältigung:

Können Sie mir etwas darüber erzählen, wie Brustkrebspatientinnen mit ihrer Er-

krankung umgehen?

Von wem werden sie im sozialen Umfeld unterstützt?

Welche Art der Unterstützung ist das meistens?

Wissen Sie etwas darüber, wie die Patientinnen darauf reagieren? Erleben sie

die angebotene Unterstützung als hilfreich? Oder vielleicht auch belastend?

Denken Sie, dass diese Hilfeleistungen einen Einfluss auf den Umgang der Pa-

tientin mit ihrer Erkrankung hat? Gibt es einen Einfluss auf die Krankheitsbewälti-

gung? Welche Auswirkungen sind das?

Erhalten Patientinnen die Unterstützung, die sie brauchen? Kommt es manchmal

zum Zurückziehen von Unterstützung?

Kommt es im Krankheitsverlauf zu Unterschieden im Unterstützungsverhalten der

Angehörigen? Wie sehen diese Unterschiede aus?

Posttraumatische Reifung:

Berichten Patientinnen über persönliche Veränderungen in ihrem Leben? Neue

Interessen, veränderter Alltag, Entdeckung neuer Möglichkeiten,...

Entwickeln Patientinnen im Laufe der Zeit mehr Selbstvertrauen, Stärke,...?

Berichten Patientinnen darüber, dass sich Beziehungen verändern? Intensivie-

rung, Auflösung,... Gehen sie anders mit Nähe und mit Gefühlen um?

Setzen Patientinnen mit der Zeit andere Prioritäten im Leben? Wird das Leben

intensiver gelebt? Andere Sichtweise für das Wesentliche im Leben?

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Wissen sie etwas darüber, ob sich etwas im Glauben oder der Spiritualität der

Betroffenen verändert? Anderer Stellenwert?

Denken Sie, dass diese persönlichen Veränderungen/Weiterentwicklungen zur

Krankheitsbewältigung beitragen? Ändert sich dadurch das Copingverhalten?

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Interviewleitfaden Betroffene

Bitte um Erlaubnis der Tonbandaufzeichnung

Zusicherung der Anonymität

Einstiegsfragen

Einleitende Fragen:

Können Sie mir ein wenig von Ihrer Erkrankung erzählen?

Wann wurde das erste Mal Brustkrebs festgestellt?

Wie war das damals für Sie? Wie sind Sie mit der Diagnose umgegangen? Wie

haben Sie die Tage/Monate danach erlebt? (Abwehr/Coping,...)

Soziale Unterstützung/Bewältigung:

Haben Sie in dieser ersten Phase während und nach der Diagnose Rückhalt be-

kommen? Vonwem?

Können Sie mir das genauer beschreiben? WelcheHilfeleistungen waren das?

Wie war das für Sie?

Hat sich das im Laufe der Zeit verändert? (Änderung der Unterstützung, der

Reaktion auf die Unterstützung) Wie war das während akuten Phasen, während

Behandlungen, während stabiler Phasen?

Haben Sie das Gefühl, dass diese Hilfestellungen einen Einfluss darauf gehabt

haben, wie Sie mit Ihrer Erkrankungumgehen?

Haben Sie sich manchmal etwasanderesgewünscht? (andere Art von Hilfe, von

anderen Personen,...) Was war gut, was war nicht so gut?

Wie würde für Sie die idealeUnterstützung aussehen?

Posttraumatische Reifung:

Entdeckung neuer Möglichkeiten:

Hat sich in Ihrem Leben seit der Diagnose etwas verändert? Neue Interessen?

Leben Sie Ihren Alltag anders? Nehmen Sie Möglichkeiten eher wahr? Sind Sie

eher bereit, Dinge zu verändern?

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Bewusstwerden der eigenen Stärke:

Gehen Sie anders mit Veränderungen oder mit Schwierigkeiten um? (mehr

Selbstvertrauen, Stärke,...)

Intensivierte persönliche Beziehungen:

Haben sich die Beziehungen zu anderen im Vergleich zu vorher verändert? Sind

Beziehungen generell wichtiger geworden? Sind manche Beziehungen intensiver

als vorher/auseinandergebrochen? Wie sieht es mit Verbundenheit aus? (auf an-

dere zählen können)

Drücken Sie Gefühle nun anders aus als vorher? (Gefühle eher ausdrücken, die

man vorher für sich behalten hat) Können Sie sich in andere besser einfühlen als

vorher/sich in ihre Lage versetzen?

Intensivierte Wertschätzung des Lebens:

Haben Sie andere Vorstellungen davon entwickelt, was im Leben wesentlich ist?

Neue Prioritäten? Was ist Ihnen jetzt im Vergleich zu vorher wichtig im Leben?

(Tage bewusster erleben?)

Intensiviertes spirituelles Bewusstsein:

Spielt Glaube oder eine besondere Lebensphilosophie eine Rolle in Ihrem Le-

ben? Hat sich das seit der Diagnose verändert? Anderer Stellenwert?