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Von Zwiebeln bis zum Artemisinin Kurzgefasste Geschichte der Malaria-Chemotherapie E RNST HEMPELMANN | I WONA T ESAROWICZ | B ARBARA J. OLEKSYN V or etwa 10 000 Jahren stiegen weltweit Temperaturen und Niederschlagsmengen und die Lebensbedingungen änderten sich radikal. Mit dieser als Neolithische Revoluti- on bezeichneten Änderung der Lebensweise verbunden war die Aufgabe einer nomadischen Lebensweise als Jäger und Sammler und die Anlage fester Siedlungsplätze mit Acker- bau und Viehzucht. Durch neue landwirtschaftliche Nahrungsproduktion schuf der Mensch die Voraussetzung für ein verstärktes Bevölkerungswachstum und dem Auf- blühen von Hochkulturen und als ungewolltes Nebenpro- dukt die Bedingungen für die Zunahme der Malaria. Mala- ria war unter den prähistorischen Nomadengesellschaften keine verbreitete Krankheit [1]. Die Infektion tritt nur zu bestimmten Zeiten im Jahr im begrenzten Umkreis auf. Die Zahl der Mitglieder einer prä- historischen Menschengruppe war für das Ausbrechen ei- ner Epidemie zu klein und bei eventuellen Erkrankungen zog die Gruppe in eine andere, malariafreie Gegend. Es war für Jäger und Sammler einfach, die erfolgreichste Antima- laria-Strategie anzuwenden und ungesunde Orte zu meiden. Da Malaria nicht durch Kontakte mit Fieberkranken übertragen werden konnte, war die Infektionskette durch einen Ortswechsel unterbrochen. Das alles änderte sich durch das Aufkommen weitflächiger Landwirtschaft. Landwirtschaft (insbesondere der Reisanbau) benötigte aus- Malaria ist der Überbegriff für drei verschiedene von Parasiten der Gattung Plasmodium hervorgerufene und von Mücken der Gattung Anopheles übertragene Infektionskrankheiten des Menschen. Ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in Regionen, in denen Malaria endemisch oder epidemisch auftritt. Nach Angaben der World Health Organization (WHO) sind im Jahre 2006 weltweit 881.000 Menschen an Malaria gestorben. Über 90 % der Todesfälle kommen in Afrika südlich der Sahara vor; die häufigsten Opfer sind Kinder unter 5 Jahren. Zur Infektions-Bekämpfung stehen neben der Vernichtung der Anopheles-Mücken nur eine begrenzte Zahl von Medikamenten zur Verfügung. reichende Bewässerung und schuf so durch Umweltverän- derung die passenden Brutstätten der Malariaüberträger. In den Tälern des Nils, Euphrats, Ganges, Gelben Flusses und vieler andere Flusstäler litten die Kulturvölker der Alten Welt unter der sich in Wärmeperioden flächenmäßig aus- dehnenden Infektionskrankheit. Erst vor etwa 300 Jahren wurde in Europa eine Behandlungsmethode in den Arzneischatz eingeführt, die ihren Ursprung in Lateiname- rika hatte. 500 | Pharm. Unserer Zeit | 6/2009 (38) © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI:10.1002/pauz.200900336 ABB. 1 Das Schwindamulett ABRAKADABRA (Aramäisch: die Sache möge zu Grunde gehen) sollte Fieber zum Ver- schwinden bringen

Kurzgefasste Geschichte der Malaria-Chemotherapie. Von Zwiebeln bis zum Artemisinin

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Page 1: Kurzgefasste Geschichte der Malaria-Chemotherapie. Von Zwiebeln bis zum Artemisinin

Von Zwiebeln bis zum Artemisinin

Kurzgefasste Geschichte derMalaria-ChemotherapieERNST HEMPELMANN | IWONA TESAROWICZ | BARBARA J. OLEKSYN

Vor etwa 10 000 Jahren stiegen weltweit Temperaturenund Niederschlagsmengen und die Lebensbedingungen

änderten sich radikal. Mit dieser als Neolithische Revoluti-on bezeichneten Änderung der Lebensweise verbunden wardie Aufgabe einer nomadischen Lebensweise als Jäger undSammler und die Anlage fester Siedlungsplätze mit Acker-bau und Viehzucht. Durch neue landwirtschaftlicheNahrungsproduktion schuf der Mensch die Voraussetzungfür ein verstärktes Bevölkerungswachstum und dem Auf-blühen von Hochkulturen und als ungewolltes Nebenpro-dukt die Bedingungen für die Zunahme der Malaria. Mala-ria war unter den prähistorischen Nomadengesellschaftenkeine verbreitete Krankheit [1].

Die Infektion tritt nur zu bestimmten Zeiten im Jahr imbegrenzten Umkreis auf. Die Zahl der Mitglieder einer prä-historischen Menschengruppe war für das Ausbrechen ei-ner Epidemie zu klein und bei eventuellen Erkrankungenzog die Gruppe in eine andere, malariafreie Gegend. Es warfür Jäger und Sammler einfach, die erfolgreichste Antima-laria-Strategie anzuwenden und ungesunde Orte zu meiden.

Da Malaria nicht durch Kontakte mit Fieberkrankenübertragen werden konnte, war die Infektionskette durcheinen Ortswechsel unterbrochen. Das alles änderte sichdurch das Aufkommen weitflächiger Landwirtschaft.Landwirtschaft (insbesondere der Reisanbau) benötigte aus-

Malaria ist der Überbegriff für drei verschiedene von Parasitender Gattung Plasmodium hervorgerufene und von Mückender Gattung Anopheles übertragene Infektionskrankheitendes Menschen. Ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung lebtin Regionen, in denen Malaria endemisch oder epidemischauftritt. Nach Angaben der World Health Organization(WHO) sind im Jahre 2006 weltweit 881.000 Menschen anMalaria gestorben. Über 90 % der Todesfälle kommen in Afrika südlich der Sahara vor; die häufigsten Opfer sind Kinder unter 5 Jahren. Zur Infektions-Bekämpfung stehen neben der Vernichtung der Anopheles-Mücken nur eine begrenzte Zahl von Medikamenten zur Verfügung.

reichende Bewässerung und schuf so durch Umweltverän-derung die passenden Brutstätten der Malariaüberträger. Inden Tälern des Nils, Euphrats, Ganges, Gelben Flusses undvieler andere Flusstäler litten die Kulturvölker der AltenWelt unter der sich in Wärmeperioden flächenmäßig aus-dehnenden Infektionskrankheit. Erst vor etwa 300 Jahrenwurde in Europa eine Behandlungsmethode in denArzneischatz eingeführt, die ihren Ursprung in Lateiname-rika hatte.

500 | Pharm. Unserer Zeit | 6/2009 (38) © 2009 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim

DOI:10.1002/pauz.200900336

A B B . 1 Das Schwindamulett ABRAKADABRA (Aramäisch: die Sache möge zu Grunde gehen) sollte Fieber zum Ver-schwinden bringen

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Seit Ende des Zweiten Weltkrieges gilt Malaria als einetypische Tropenkrankheit. Das war nicht immer so: In dennordeuropäischen Küstenlandschaften war Malaria seit dem5. Jahrhundert n. Chr. verbreitet. Der erste Bischof von Can-terbury, Augustinus, starb 604 n. Chr. an Malaria. Vom 15.bis zum 19. Jahrhundert war die Todesrate in diesen Regi-onen, mitverursacht durch Plasmodium vivax und P. ma-lariae, ähnlich wie heute in den Ländern südlich der Sahara,nur Island blieb malariafrei [2]. Heute kommt Malariahauptsächlich in afrikanischen Ländern südlich der Saharaund im geringeren Umfang in Asien und Südamerika vor, inden wohlhabenden Ländern wurde sie erfolgreich ausge-rottet [3].

Mückennetze und Knoblauch-Zwiebeln In den Mythologien des Nahen Osten waren „Fliegen“ Sym-bole für Schmutz und bösartige Krankheiten. Der fliegen-gestaltige Dämon (Beel Zebub: üblicherweise als„Herr der Fliegen“ übersetzt) ist neben Luzifer, dem Be-herrscher der grenzenlosen Hölle, der bekannteste Dämonunseres Kulturkreises. Sprichwörtlich für großes Unglückstehen die zehn ägyptischen Plagen: die dritte Plage war

(Exodus 8:12-15) meist mit „Flöhen“, „Stechmücken“oder „kleinen Insekten“ übersetzt, die vierte Plage war (Exodus 8:16-28) meist mit „Fliegen“ oder „Mücken“ (vonLuther mit „Ungeziefer“) übersetzt, Hinweise auf klar er-kannte Zusammenhänge zwischen „Fliegen“ und großemUnheil. Mythologische Erzählungen über fatalistisch hinge-nommene Heimsuchungen sind nicht die einzige Informa-tionsquelle [4]. Unser Nachweis einer weiten Verbreitungvon Malaria in den alten Hochkulturen stützt sich auf über-prüfbare biochemische Beweise.

Mit modernen molekularen Methoden konnte P.-falci-parum-DNA in ägyptischen Mumien aus einem Zeitraumvon 3500 bis 1600 v. Chr. gefunden werden [5]. Wie durchAusgrabungen nachgewiesen wurde, benutzten die Ägypterbereits zur Zeit des Pharaos Snofru (IV Dynastie, etwa 2700v. Chr.) zu ihrem Schutz Mückennetze. Auch in der Bibel istim Buch Judith der Gebrauch von Bettnetzen erwähnt (Ju-dith 13:9). Die Bibel berichtet ebenfalls über ein Ereignis,das heute als Malariaausbruch gedeutet wird.

Mit Milch und Honig gesegnet war Jerusalem, dieHochgebaute, oft Ziel großmächtiger Begierde. Als im Jah-re 701 v. Chr. Hiskija, der König von Juda, den Aufstandgegen die Besatzungsmacht Assyrien wagte, zog der as-syrische König Sanherib gen Jerusalem und forderte His-kija zur Übergabe auf, was dieser auf Anraten des Pro-pheten Jesaja verweigerte. „In jener Nacht zog der Engeldes Herrn aus und erschlug im Lager der Assyrer hun-dertfünfundachtzigtausend Mann“ (2 Könige 19:35). DieSoldaten hatten sich, wie wir heute annehmen, im tief ge-legenen, heißen Jordantal mit Malaria infiziert und nachdem Aufstieg zur kühlen Bergstadt Jerusalem (Höhenun-terschied etwa 1200 m) brach die Krankheit mit vollerWucht aus. Ähnliche Erfahrungen haben andere Armeenspäter auch gemacht [1].

Die ägyptischen Pyramiden gehören zu den viel bewun-derten sieben Weltwundern. Eine unbeachtete Meisterleis-tung war die notwendige Malariakontrolle, ohne die dieseBauwerke nicht hätten realisiert werden können. Der grie-chische Historiker Herodot (484–425 v. Chr.) berichtete,dass sich die Erbauer der ägyptischen Großpyramiden durchden Verzehr von Knoblauch-Zwiebeln (Allium sativum)gegen Erkrankungen aller Art schützten. Allicin, der wich-tigste biologisch aktive Bestandteil im Knoblauch, wirkt alsInsekten-Repellent. In verschiedenen Teilen der Welt wer-den Knoblauch-Zwiebeln noch heute als natürliche Repel-lentien gegen Insekten verzehrt [6]. Weiterhin beobachte-te Herodot auf seiner Ägyptenreise: „Jedermann ist mit ei-nem Netz ausgestattet, welches er tagsüber zum Fischengebraucht, nachts über seinem Bett festmacht und darun-ter schläft“ [7].

Im vierten Jahrhundert v. Chr. waren Tertiana und Quar-tana in weiten Teilen Griechenlands verbreitet, großflächigeWaldrodungen waren die Hauptursache der raschen Aus-breitung [8]. Der griechische Mediziner Hippokrates (460-370 v. Chr.), der Begründer der rational-empirischen Medi-zin, berichtete, dass Malaria vor allem in der Nähe vonSumpfgebieten auftrat. Er führte die Bezeichnungen Drei-tagesfieber (tritaios pyretos, febris tertiana) und Viertages-fieber (tetartaios pyretos, febris quartana) ein [9]. Von ei-nigen zeitgenössischen Autoren wird Malaria als eine dermaßgeblichen Ursachen am kulturellen Verfall Griechen-lands angesehen [7].

In Italien hat die Malaria spätestens ab 200 v. Chr., be-sonders in der Region Roman Campagna, Fuß gefasst undsich bis zum Jahr 1000 n. Chr. an Häufigkeit immer weitergesteigert [8]. Plinius der Ältere (23–79 n. Chr.) erwähnt inseinem vielbändigen Werk „Naturalis Historia“ in Band VII,dass der Personifikation des Fiebers, der Dea Febris, eine

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A B B . 2 Reinigung der Cinchonarinde, Java 1943 (Bildquelle: Bayer-Bildarchiv, Leverkusen)

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große Anzahl von Tempeln geweiht waren. Diese miss-gestaltete Göttin der Malaria wurde als kahlköpfige, alte He-xe mit hervortretenden Adern und geschwollenem Bauchbeschrieben, als einer Vereinigung dreier Dämonen. Un-terschiedslos waren alle Bevölkerungsschichten betroffen;nach nur zwei Jahren im Amt verstarb der römische KaiserTitus 81 n. Chr. an einer Malariainfektion. Im ersten Jahr-hundert nach Christus hat der römische Autor MarcusTerentius Varro in seinem Buch „De Rerum Rusticarum“darauf hingewiesen, dass kleine Tiere, die mit unseren Au-gen nicht gesehen werden können, durch Nase und Mundin den Körper gelangen und dort schlimmes Unheil an-richten.

Als 452 n. Chr. der Hunnenkönig Attila mit seinem Heerdurch Oberitalien zog und dabei die Stadt Altinum zerstör-te, hatten Flüchtlinge in einer Salzwasserlagune zu ihremSchutz Pfahlbauten errichtet. Diese Salzwasser-Siedlungblieb, im Gegensatz zu den malariageplagten Flachland-Sied-lungen im nahen Podelta, weitgehend malariafrei, da die lo-kalen Anophelesmücken (Anopheles sacharovi) ihre Eiernicht im Salzwasser ablegen (R. Sallares, pers. Mitteilung).Viele Moskitoarten sind sehr wählerisch und nicht jede Was-serart ist für die Larvenbildung geeignet. Mücken haben ei-nen Aktionsradius von etwa 3km und die Pfahlbausiedlunglag mehr als 4km von der Küste entfernt. Die Lagunen-siedler haben das Schicksal der Landsiedlungen genau ver-folgt und über Jahrhunderte mit großem Aufwand einemücken- und todbringende Versandung der Salzwasser-Kanäle verhindert. Aus dem bescheidenen Flüchtlingslagerhat sich die blühende, Handelsmetropole Venedig ent-wickelt. Weniger erfolgreich verlief die Geschichte des Hun-

nenreiches. Attila zog mit seinem von Malaria zermürbtenHeer in die innerasiatische Heimat zurück. Kurze Zeit spä-ter verschwand das Hunnenimperium unbetrauert von derWeltenbühne [1].

Der Name Malaria (mal’ aria = schlechte Luft) stammtaus der italienischen Volksmedizin und wurde vermutlichvon Leonardo Bruni im Jahre 1476 in seinem Buch „Histo-riae Florentini populi“ zum ersten Mal erwähnt. Obwohl dieÜbertragung nicht durch verdorbene Luft erfolgt, hat sichdie Bezeichnung in Deutschland durchgesetzt und Be-zeichnungen wie Wechselfieber, Küstenfieber oder Sumpf-fieber verdrängt.

Chinin und seine AbkömmlingeIn den medizinischen Schriften der Mayas und anderer ame-rikanischer Hochkulturen gab es keinerlei Hinweise aufWechselfieber [10]. Erst seit 1500 haben europäische Ein-wanderer und ihre afrikanischen Sklaven die Malaria nachAmerika eingeschleppt. Spanische Missionare erfuhren imZuge ihrer Bekehrungsbemühungen von den Heilmetho-den der Lokalbevölkerung. Eine Besonderheit war die Wirkung der Rinde der immergrünen Cinchonabäume (Abb. 2), die in den Hochwäldern der Anden (zwischen 1200und 2700 m.ü.M.) von Venezuela bis Bolivien wuchsen.

Chinin, der wirksame Inhaltsstoff dieser Rinde, wirktentspannend auf die Muskulatur und wurde gegen das Mus-kelzittern in der Kälte des Hochgebirges eingesetzt. Die pe-ruanischen Heilkundigen kannten die den Muskeltonus be-einflussende Wirkung der Cinchonarinde und wussten, wel-

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CinchonidinonChininon (OCH3)

N

O

(H3CO)

H N

H2C

N

O H

NH2C

(H3CO)

CinchoninonChinidinon (OCH3)

5

6

3

4

1

2

89

7

(H3CO)

N

H

N

HO H

HH

7

43

2

8

15

9

6

H2C

CinchoninChinidin (OCH3)3R, 4S, 8R, 9S

N

H N

H2C

H OH

HH

(H3CO) 6'

CinchonidinChinin (OCH3)3R, 4S, 8S, 9R

A B B . 3 | C I N C H O N A - A L K A LO I D E

A B B . 4 Molekülstruktur von Chinin auf Basis der Kristall-strukturdaten von Chinin-Nitroprussid-Salz (unpublizierteDaten von I. Tesarowicz, B. Oleksyn). Rote Atome: Sauerstoff;blaue Atome: Stickstoff.

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che Rinde für Extrakte geeignet war. Der Apotheker und Je-suitenbruder Agostino Salumbrino (1561–1642) erfuhr beiseinem Aufenthalt in Lima von der Verwendung der Cin-chonarinde durch Quechua-Indianer. Da schon geringe Do-sen die Anregung der willkürlichen Muskulatur fördern,konnte man mit wenig Chinin die körperliche Leistungs-fähigkeit steigern. Die für die Quechua-Indianer bislang un-bekannte Malaria hat auch eine dem Kältezittern ähnlichePhase. Die Cinchonarinde, so wurde scharfsinnig gefolgert,würde diesen Schüttelfrost durch Tonuserhöhung (grie-chisch tonikos: Spannkraft) der Zirkulation und der Mus-keln beheben. Diese Idee war ein Durchbruch bei derMalariabehandlung (und bei der Herstellung von „Tonic Water“).

Große Verdienste um die Verbreitung der Malaria-behandlung hatte sich ab 1632 der Jesuitenorden erwor-ben, der die Anwendung der Rinde in Europa propagierteund diese aus Geheimhaltungsgründen in Pulverform als„Jesuitenpulver“ importierte [11]. Allerdings war die Jesu-iten-Pulver-Therapie in Europa in einer Zeit tiefgreifenderreligiöser Konflikte nicht überall willkommen. Oliver Crom-well, der Führer der englischen Protestanten, starb 1658an Malaria, da er eine „Teufelspulver“-Behandlung mit derDogmatikern eigenen Logik vehement ablehnte [12]. SeinNachfolger König Karl II wurde 1679 erfolgreich (aberheimlich) mit Chinin von einer Malariaerkrankung geheilt[13].

Der italienische Medizinprofessor Francesco Torti veröf-fentlichte 1712 in seinem epochalen Werk über die thera-

peutische Wirkung von Cinchonarinde, dass nur Wechsel-fieber mit Rindenextrakten erfolgreich behandelt werdenkonnte; auf andere fiebrige Erkrankungen hatte das Rin-denpulver keinen Einfluss („Therapeutice Specialis ad Feb-res Periodicas Perniciosas“, Modena 1712). Diese Schrift er-reichte hohe Popularität und war die Voraussetzung derweiten Verbreitung der Malariabehandlung durch Chinin[14]. Sein Zeitgenosse Giovanni Maria Lancisi gilt als Be-gründer der modernen Hygiene. In seinem Standardwerk„De noxiis paludum effluviis eorumque remediis“ beschrieber schwarzbraune Ablagerungen in Milz und Hirn von Ma-lariapatienten. Er vermutete als Verursacher kleine Tiere, dieaus Sümpfen kommen und entwickelte Pläne zur Trocken-legung der Sümpfe [1].

Die moderne Malariatherapie begann 1820, als es Pier-re Joseph Pelletier und Joseph Bienaimé Caventou gelang,Chinin, das wichtigste Alkaloid der Cinchonarinde, zu iso-lieren (Abb. 3) [15]. Erst dadurch war eine korrekte Dosie-rung möglich geworden [1]. Vor 1820 wurde getrockneteRinde pulverisiert, in Wein gemischt und getrunken. DerTherapieerfolg blieb als Folge falscher Dosierung häufig aus.

Um die Gewinne aus der Chinin-Monopolstellung zuhalten, wurde die Ausfuhr von Cinchonapflanzen und Sa-men von den südamerikanischen Regierungen bei Todes-strafe verboten. Ungeachtet der großen Gefahr sammelte inden Jahren 1840–1870 der englische Abenteurer CharlesLedger mithilfe seines treuen Dieners Manuel Incra Mama-ni, einen Aymara-Indio mit außergewöhnlichen botanischenKenntnissen, in den bolivianischen Anden Cinchonasameneiner besonders ertragreichen Art. Mamani konnte aus derverwirrenden Vielfalt der Cinchona-Bäume korrekt die ge-wünschte Art bestimmen. Der weltbeste Cinchona-KennerMamani wurde später von der bolivianischen Polizei fest-

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A B B . 5 Malariapigmentablagerungen in menschlichen Organen. (Bildquelle: F.T. Frerichs: Pathologisch-anatomischer Atlaszur Klinik der Leberkrankheiten Band I: Klinik der Leberkrankheiten,Kapitel VIII Die Pigmentleber. Melanämische Leber. Veränderungender Leber bei intermittens. (1858) F. Vieweg und Sohn Braunschweig)

CH3

NHH2C

N

OH3C

H2C

NHO

H

N

NH3C

H2N NH

CH3

N

NH3C

H2N NH

CH3

CH3

Chinin

3 [O]

– H2O

ChininAllyltoluidin

3 [O]

– H2OC10H13N C20H24N2O2

1 2

Mauvein

ABB. 6 | SYNTHESE VON PERKIN-VIOLETT (MAUVEIN)

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genommen und zu Tode geprügelt. ImJahre 1865 gelang es Ledger, 14 Pfundder speziellen Samen nach England zuschmuggeln, aber seine misstrauischeRegierung lehnte einen Kauf ab [14].Nach einigem Hin und Her konnteLedger dem holländischen Konsul inLondon für £50 Samen verkaufen, ausdenen mit großem Erfolg Cinchona-plantagen in Java angelegt wurden.Wie es heißt, war der Ankauf der Sa-men für den Käufer das beste Ge-schäft, das jemals gemacht wurde. Diegewinnbringende Zuchtvariante ent-hielt in ihrer Rinde bis zu 13 % Chininund wurde zur Ehren des Chininret-ters Cinchona ledgeriana benannt.Da in der Folgezeit blindwütiger Raub-bau in den südamerikanischen Andendie Wildformen vernichtete und Plan-tagen in Indien als unrentabel aufge-geben wurden, hatte Holland am En-de des 19. Jahrhunderts das Chinin-monopol [12].

Ähnliche Beobachtungen der Farbänderung von Orga-nen, wie bereits von Hippokrates berichtet, wurden späterwiederholt gemacht (Abb. 5). Dem deutschen Arzt HeinrichMeckel fielen 1847 bei einer Autopsie schwarz-braune Pig-mentkörner im Blut und der Milz einer seiner Patientinnenauf, die in einem Heim für Geisteskranke verstorben war[16]. Die Farbähnlichkeit ließ Meckel vermuten, das es sichdabei um eine dem Hautpigment Melanin verwandte Sub-stanz handelte. Den Zusammenhang zwischen „Melanin“bil-dung und Malaria hatte kurz nach Meckels Bericht RudolfVirchow erkannt [17].

Chinin wurde aufwendig aus der Cinona-Baumrinde ex-trahiert und war deswegen knapp und teuer. Es synthetischin einem wirtschaftlich praktikablen Prozess herzustellen,war folgerichtig eine verlockende Aufgabe für ehrgeizigeChemiker und der erste, der diese Herausforderung an-nahm, war der 18-jährige William Henry Perkin, ein Chemie-Assistent am Royal College of Chemistry in London. In derMitte des 19. Jahrhunderts kannten Chemiker von vielenVerbindungen bereits die Summenformeln. Strukturformelnwaren nicht bekannt und es gab nur vage Vorstellungen,wie die Atome in einem Molekül miteinander verknüpftsind.

Dem Wissen der Zeit entsprechend war die visionäreVorstellung, das aus Steinkohleteer gewonnene N-Allyl-toluidin (Summenformel C10H13N) durch Oxidation zu Chi-nin (Summenformel C20H24N2O2) zu verbinden [15].Steinkohleteer entstand bei der Herstellung des Leuchtga-ses und war als Abfallprodukt in großen Mengen verfügbar.An den Ostertagen des Jahres 1856 führte Perkin auf Anre-gung seines Lehrers August Wilhelm von HofmannSyntheseversuche in seinem kleinen Privatlabor in der

Cable Street, East London, durch, erhielt aber nicht das gewünschte farblose Chinin, sondern eine dunkle Masse,aus der mit organischen Lösungsmitteln Farbe herausgelöstwerden konnte. In weiteren Versuchen benutzte er für dieOxidationsexperimente Mischungen von Anilin (C6H7N)und ortho- und para- Methylanilin (C7H9N). Wieder war dasProdukt eine schwarze Masse. Seine Chininsynthese warzwar völlig missglückt, aber als Nebenprodukt hatte er ei-nen malvenfarbigen Farbstoff, das Mauvein (Abb. 6: Perkin-Violett, Anilinpurpur: ein Gemisch der Verbindungen 1 und2) synthetisiert und damit eine regelrechte industrielle Re-volution ausgelöst [18].

Die von Perkin angestrebte Chinin-Totalsynthese gelangerst 1944 [19]. Sie hat wegen ihrer Komplexität nie einewirtschaftliche Bedeutung erlangt und erwies sich für dieMalariabekämpfung als bedeutungslos.

Paul Guttmann und Paul Ehrlich führten 1891 in derBlütezeit der deutschen Farbenindustrie Färbeversuche mitdem Phenothiazin-Derivat Methylenblau an Malariablutdurch und beobachteten eine selektive Aufnahme diesesVitalfarbstoffes durch Malariaparasiten. Selektives Färbenwurde als Beweis für selektive Rezeptoren angesehen, andie sich Farben wie eine „Zauberkugel“ anlagerten. Versu-che an zwei Berliner Malariapatienten unterstützten die Be-obachtung der selektiven Aufnahme und der selektiven To-xizität des Farbstoffes. Beide Tertiana-Patienten wurdendurch Gabe von Methylenblau und gepulverter Muskatnussgeheilt. Damit war das erste synthetische Antimalariamittelgefunden und der Weg für weitere Entwicklungen vorge-zeichnet [20, 21]. Der mit lästigen Nebenwirkungen be-haftete und nur schwach wirksame Biokristallisationsinhi-bitor Methylenblau war aber nicht die gesuchte „Zauber-kugel“ und konnte die souveräne Stellung des Chinins alsAntimalariamittel nie in Frage stellen. Eine wichtige Rollebei der Malaria-Diagnose spielt Methylenblau auch heutenoch: eine Mischung von Eosin und demethyliertem Me-thylenblau ist die Standardmethode der Blutausstrich-An-färbung (Malachowski-Romanowsky-Giemsa-Färbung). Diemikroskopische Diagnose wird aber zunehmend von den1982 eingeführten Immunochromatischen Tests („RapidDiagnostic Test“) ersetzt [22].

Das Zeitalter der mikrobiologischen Dunkelheit wurde1674 mit der Erfindung des Mikroskops durch Antoni vanLeeuwenhoek beendet. Bis zur mikroskopischen Ent-deckung der Malariaerreger dauerte es noch eine Weile.Der hartnäckige Militärchirurg Charles Louis Alphonse La-veran führte 1880 Autopsien an Malariapatienten durch undkonnte so die „Melanemia“, d.h. das Vorhandensein vonschwarzen Pigmenten („Meckel’sche Melaninkörper“) imBlut der Opfer studieren. In dem untersuchten Blut beob-achtete er neben Leukozyten, die durch Pigment mehr oderweniger gefärbt waren, auch pigmenthaltige kugelförmigeKörperchen von verschiedener Größe, die sich amöbenar-tig bewegten, sowie pigmentierte sichelförmige Zellen [23].Der erste mikroskopische Nachweis von Malariaparasitenwar damit geglückt. Seine Malariablutausstriche waren un-

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A B B . 7 Gustav Giemsa. Seine Färbe-methode zum Malariaparasiten Nach-weis wurde 1904 veröffentlicht undwird noch heute benutzt (Bildquelle: Fotoarchiv BNI Hamburg).

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fixiert und ungefärbt; die von Ernst Malachowski, DimitriLeonidovich Romanowsky und Gustav Giemsa (Abb. 7) ent-wickelte Färbe-Methode stand ihm noch nicht zur Verfü-gung.

Malaria-Übertragung durch Insekten war seit dem Al-tertum vermutet, der Beweis gelang erst im Jahre 1897.Zwei Jahre lang hatte Ronald Ross, ein enthusiastischer Arztim indischen Kolonialdienst, hartnäckig aber vergeblich inüber tausend grauen und gestreiften Moskitos, die er im La-bor aus Larven gezüchtet hatte, nach Blutmahlzeiten an Ma-lariapatienten pigmentierte Parasiten gesucht.

Am 15. August 1897 ließ er erstmals 20 braune Moski-tos mit gefleckten Flügeln, die im Secunderabad-Hospitalselten waren, vom Malariapatienten Husein Khan Blut sau-gen. Fünf Tage später fand er 10 µm große pigmentierteMalariaparasiten in der Magenwand einer braunen Mücke.In dem am nächsten Tag untersuchten Moskito waren die-se pigmentierten Zellen weitergewachsen und in doppelterGröße zu sehen. Das schwarzbraune Pigment konnte nurMalariaparasiten zugeordnet werden. Zwar verdauen Mos-kitos ebenfalls Blut in großen Mengen, entgiften das frei-gesetzte Hämatin allerdings nicht durch Pigmentbildung.Nach diesem bahnbrechenden Forschungserfolg konnteRoss seine Studien mit Malariapatienten in Secunderabadnicht fortsetzen, seine missgünstigen Vorgesetzten hattenihn in einen malariafreien Teil Indiens versetzt. Erst im Fe-bruar des nächsten Jahres gelang ihm bei der Vogelmalaria,einem etablierten Labormodell, die vollständige Aufklärungdes Übertragungszyklus [24] .

Was sich hinter den von Ronald Ross laienhaft als „ge-fleckt-flügelig“ bezeichneten Moskitos verbarg, fand der ita-lienische Entomologe Giovanni Battista Grassi 1898 durchausgedehnte Feldstudien in der malariageplagten Um-gebung von Rom heraus: nur bestimmte Mücken der Gat-tung Anopheles können Malaria auf Menschen übertra-gen [25].

Die Entwicklung synthetischer Malariamittel wurde inallen Industriestaaten als kriegswichtig angesehen, da manso von Chininlieferungen aus Übersee unabhängig wurde.Malaria mit synthetischen Mitteln zu bekämpfen war seitden Versuchen mit Methylenblau möglich geworden. Be-

sonders große Erfahrungen mit Textilfarbstoffen hatten dieBayer-Werke. In dem firmeneigenen Forschungslabor in El-berfeld wurden in der Arbeitsgruppe Mietzsch im Jahre1920 Acridinderivate als Antimalaria-Medikamente herge-stellt. Acridinderivate hatten bei anderen Tropenkrankhei-ten bereits ihre Wirksamkeit unter Beweis gestellt. Aus-gangspunkt der Synthesen von Fritz Mietzsch und Mitar-beitern war das schon bekannte Chininmolekül, dessenStruktur von Paul Rabe 1929 aufgeklärt wurde. Durch Ver-einfachungen der basischen Seitenkette gelangte man zumAtebrin, das darüber hinaus ein Acridingrundgerüst anstel-le des Chinolinrings trägt [26]. Atebrin hatte als wirkungs-verstärkenden Substituenten ein Chloratom in meta-Stel-lung zum Ringstickstoff und wurde um 1930 von WalterKikuth im „Reisfinkentest“ aus ca. 12 000 Substanzen alsviel versprechendes Malariamittel entdeckt (Abb. 8) [27].Im Jahre 1932 war es als erster vollwertiger Chininersatz imHandel. Anzumerken ist, dass das deutsche Antimalaria-mittel Atebrin den Alliierten im zweiten Weltkrieg ent-scheidend zu ihrem Sieg über Japan verhalf [12].

Hans Andersag synthetisierte 1934 im Forschungs-zentrum Wuppertal-Elberfeld das Resochin, das sich vomAtebrin hinsichtlich seines Ringsystems unterschied (ein

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N

S+NH3C

CH3

NCH3

CH3

NCl

OCH3

HNN CH3

CH3CH3

NCl

HNN CH3

CH3CH3

Methylenblau Atebrin

Resochin(Chloroquin)

NCl

HNN CH3

CH3CH3

CH3

Sontochin

A B B . 9 | E N T W I C K LU N G VO N R E S O C H I N ( C H LO RO Q U I N )

A B B . 8 Wilhelm Röhl testet Antimalaria-Mittel an Vögeln(Bildquelle: Bayer-Bildarchiv, Leverkusen).

A B B . 1 0 Sontochindose der Deutschen Wehrmacht (Bild-quelle: Marco Corsi, Sigma-Tau, Italien)

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Chinolinring anstelle eines Acridinringes) (Abb. 9) und er-heblich weniger Nebeneffekte aufwies [28]. Das ElberfelderInstitut war Mitglied der Interessen-Gemeinschaft Farben-industrie AG, kurz IG Farben, dem seinerzeit weltgrößtenChemiekonzern. Es gab Geschäftsbeziehungen mit StandardOil of New Jersey, DuPont, Alcoa, Dow Chemical, WinthropChemical Company und vielen anderen Firmen. In den ers-ten klinischen Tests mit vier Paralytikern, die mit P. vivaxper Mückenstich infiziert waren, schnitt Resochin schlechtab und wurde von Franz Soli, dem Leiter der Heil- und Pfle-geanstalt Düsseldorf-Grafenberg, als für Menschen zu to-xisch eingestuft, ein Irrtum, der die weltweite Anwendungfür viele Jahre hinauszögerte [29]. Während des Afrika-Feld-zuges hatte die Deutsche Wehrmacht das als weniger to-xisch geltende 3-Methyl-Resochin (Sontochin, Abb. 10) ver-wendet. Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der deut-schen Luftwaffe im Zweiten Weltkrieg, soll der alleinigePatentinhaber des Sontochins gewesen sein und vom Ver-

kauf stark profitiert haben [10]. Erst die Übergabe einesVorrats des Sontochins einschließlich der klinischen Doku-mentationen durch französische Ärzte an die Alliierten 1943in Tunis führte zu einem Wiedererwachen des Interesses anResochin. Resochin wurde ab 1945 von den amerikanischenPartnern des IG-Farben-Verbundes hergestellt und als „Chlo-roquin“ in den Handel gebracht. In Deutschland kam es1950 unter dem ursprünglichen Namen auf den Markt [30].Chloroquin (ResochinR) ist ein Inhibitor der Hämozoin-Bio-kristallisation [31] und das wohl effektivste Antimalaria-Mit-tel, das jemals entwickelt wurde. Chloroquin hat als Ziel-molekül Hämatin, das sich der genetischen Kontrolle durchden Parasiten entzieht. Dadurch wurde die Entstehung re-sistenter Formen erheblich verzögert und es dauerte 20 Jah-re bis Chloroquin-Resistenzen auftraten.

ArtemisininZur Regierungszeit des legendären „Gelben Kaisers“ (um2600 v. Chr.) entwickelten sich in China die Seidenher-stellung, die chinesische Schrift und die traditionelle chine-sische Medizin. Das große medizinische GrundlagenwerkHuangdi Neijing (Kanon der Inneren Medizin des GelbenKaisers) ist in Form eines Dialogs zwischen dem Gelben Kai-ser und seinen Beratern angelegt. In diesem epochalenWerk sind erstmals die Symptome der Malaria (Milzver-größerung, periodisches Fieber und örtlich begrenztes Auf-treten) beschrieben. Die klassischen MalariasymptomeKopfschmerzen, Schüttelfrost und Fieber wurden drei Dä-monen zugeschrieben, von denen der erste mit einem Ham-mer in den Händen abgebildet wurde, der zweite mit einemgefüllten Wassereimer und der dritte mit einem Ofen. In denSeidenmanuskripten der Han-Gräber von Mawangdui (168n. Chr.) wurden 1972 medizinische Aufzeichnungen ge-funden, in denen erstmals die Heilpflanze Qing-hao (qing:blau-grün; hao: langer Stiel, Kraut) erwähnt wurde.

Um von zunehmend ineffektiven westlichen Anti-malaria-Mitteln unabhängig zu sein, veranlasste zur Zeit desVietnamkrieges (1964-1975) die chinesische Regierung ei-ne Wiederbelebung traditioneller Behandlungen [32]. Dazuwurden 1971 unter der Leitung der Pharmakologin TuYouyou am Institut für traditionelle chinesische Medizin inPeking über 200 Heilkräuter systematisch untersucht [33].Qing-haosu (d.h. der Extrakt des Heilkrauts Qing-hao, spä-ter in der westlichen Literatur nach der griechischen Göt-tin Artemis als Artemisinin bezeichnet), wurde nach den An-gaben von Ge Hong mit schwacher Hitze aus getrocknetemQing-hao im Neutralmilieu extrahiert und der bittere Saft oh-ne weitere Bearbeitung getrunken. Ge Hong (284–343) giltals der Entdecker der Antimalariawirkung von Artemisinin(Abb. 11). Von den annähernd 400 Arten von Artemisiaproduzieren nur Artemisia annua, A. apiacea und A. lan-cea die aktive Antimalaria-Substanz. Ein großes Problem istder gegenüber Chloroquin erheblich höhere Preis. Durchverbesserte Anbaumethoden (Abb. 12), mikrobiologischerHerstellung und chemischer Teilsynthese wird eine Kos-tensenkung erwartet [34, 35].

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A B B . 1 2 Artemisia-Plantage in West-Virginia (Bildquelle: Jorge Ferreira).

A B B . 1 1 Molekülstruktur von Artemisinin auf Basis der Kristallstrukturdaten (unpublizierte Daten von A. Semeniuk,B. Oleksyn). Rote Atome: Sauerstoff.

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Die Autoren:Dr. Ernst Hempelmann (geb. 1946); Studium derBiochemie an der Universität Tübingen, 1977 Promotion; Aufträge in der Malariaforschung inDeutschland, England, Israel, Brasilien und Süd-afrika.

Dr. Iwona Tesarowicz (geb. 1975); Studium der Chemie an der Krakauer Jagiellonen-Universität,2007 Promotion; wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität für Agrarwissenschaften, Krakau.

Prof. Dr. habil. Barbara J. Oleksyn (geb. 1940); Studi-um der Chemie an der Krakauer Jagiellonen-Univer-sität, 1972 Promotion; Habilitation für das FachChemie 1988; seit 2002 Professorin für Chemie ander Jagiellonen-Universität in Krakau.

Anschrift:Dr. Ernst HempelmannDorfhalde 14D-88662 Ü[email protected]

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