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nannte Spandau das „bizarrste Gefäng- nis der Geschichte“, der „Spiegel“ sah darin einen „schauerlichen Platz“, die „Süddeutsche Zeitung“ sprach vom „Spandauer Irrsinn“. Um 1876 als Mili- tärgefängnis erbaut, diente es den Nazis als Untersuchungsgefängnis für politi- sche Häftlinge. Nach dem Krieg unter- stand es der Kontrolle der Alliierten. Im Oktober 1946 waren in Nürnberg 22 Hauptkriegsverbrecher verurteilt worden. Es gab drei Freisprüche, zwölf Urteile endeten mit der Todesstrafe, die übrigen sieben Angeklagten bekamen Zuchthaus, sie kamen nach Spandau. Im Detail klang das dann so: lebenslang für Rudolf Heß, Hitlers Stellvertreter von 1933 bis 1941. Lebenslang für Erich Ra- eder, Oberbefehlshaber der Reichs- be- ziehungsweise Kriegsmarine. Lebens- lang für Reichsbankpräsident und Reichswirtschaftsminister Walther Funk. Zehn Jahre für Karl Dönitz, Nach- folger von Raeder an der Spitze der Ma- rine. 15 Jahre für Konstantin von Neu- rath, Hitlers Außenminister von 1933 bis 1938. 20 Jahre für Albert Speer, Reichs- rüstungsminister. 20 Jahre für Baldur von Schirach, Reichsjugendführer und NSDAP-Gauleiter in Wien. Ein übler Trupp also, und unter ihnen Owens, ein Amerikaner, der in Deutsch- land das Abenteuer suchte. Seine Aufga- G roßadmiral Dönitz schwebt über allem. Sein Bild steht ganz oben auf dem Regal. Der Blick des U-Boot-Befehlshabers ist einigermaßen streng, aber nicht so streng wie der von Adolf Hitler. Der „Führer“ prangt in Reichweite auf ei- nem Buchrücken. Nazi-Deutschland im Herzen von Missouri. Robert Owens, den alle Bob nennen, ist hier der Haus- herr. Er ist 90. Zu seinen Füßen spielt energisch Brunhilde, die Dackeldame. VON MARION HAHNFELDT Bob Owens ist die meiste Zeit seines Lebens Soldat gewesen. Militärpolizist. Leutnant, Oberstleutnant. Er war in Afrika, er war in Deutschland. In Japan. In Vietnam. Auf dem Regal hat er neben Dönitz den Schädel eines Kamels dra- piert, Souvenir aus der Wüste von Ara- bien. Andere versuchen, die Vergangen- heit hinter sich zu lassen, er will sie konservieren. Vielleicht aber will er sie auch verstehen. Eine Zeit lang ist das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Berlin seine Heimat gewesen. Er war damals als einfacher Soldat nach Deutschland gekommen, gerade 18 Jahre alt, 1947 war das. Ein junger Mann, aufgewachsen im Örtchen Cole Camp. Familien aus Norddeutsch- land hatten hier 1830 das Land urbar ge- macht; noch heute liegen die Straßen so da, als würden sie auf den großen Mo- ment der Weltgeschichte warten. Es gibt einen Gedenkstein, das „Low German Immigrant Memorial“. Deut- sche Städtewappen sind in den Stein eingelassen, eine Erinnerung an die Leistungen der Pioniere. Es gibt ein deutsches Restaurant in Cole Camp, man kann dort „Bratwurst mit Sauer- kraut“ bestellen, und der Männerchor singt dazu die Hymne von Schleswig- Holstein. Alles ist mit Geschichte aufge- laden, nur Owens wirkt dagegen selt- sam lebendig. Nach zwei Jahren in Berlin wurde Owens von der US-Army aus dem Dienst entlassen. Als MP hatte er das gemacht, was man als amerikanischer Militärpolizist in einer Stadt Nach- kriegsdeutschlands so macht. Und wäh- rend er gerade dabei war, sein Leben neu zu sortieren, suchten die Behörden für das Kriegsverbrechergefängnis in Spandau einen Amerikaner mit Deutschkenntnissen. Owens sprach damals schon fließend Deutsch, bis heute berlinert er sich durch seine Sätze, er sagt „icke“ statt ich. Oder „weeß ick nich“ statt weiß ich nicht. Er war der passende Mann. Er hatte keine Ahnung, was ihn er- wartete, er sagt: „I was a young guy. I was looking for adventure. And it was an adventure.“ Es gibt ein Foto von ihm aus dieser Zeit. Es zeigt einen jungen Mann, die Haare sorgsam gekämmt, er trägt ein helles Hemd, die Stimmung verborgen hinter einem nachdenklichen Blick. Norman J. W. Goda, Autor von „Kalter Krieg um Speer und Heß“, be war es aufzupassen, dass die Männer, die einst das Reich befehligten, nicht et- wa Erdbeeren aus dem Gefängnisgarten stahlen. Er musste jede Unregelmäßig- keit melden, er war für die Sicherheit verantwortlich. Owens trug keine Waffe wie der Pos- ten auf dem Wachturm, er trug einen Schlagstock. Seine Tage richteten sich nach dem Tagesablauf der Insassen, de- ren Morgen um sechs Uhr mit Brillen- ausgabe und Betten bauen begann und abends mit Abgabe der Brillen um 22 Uhr endete. „Ich habe es gehasst“, sagt Owens. „Ich fand es furchtbar.“ In Spandau galt er als jemand, der die Ausnahme von der Regel zur Regel machte, der Wein und Schnaps in die Zellen schmuggelte und manchmal Zei- tungen und gutes Essen. Und statt die Gefangenen mit Nummern anzuspre- chen wie verlangt, grüßte er sie mit Res- pekt: Herr Großadmiral. Herr General. Und in der letzten Zelle, links, am Ende des Korridors, lebte Heß. Er sagt: „I didn’t like the rules. Ich war damit nicht einverstanden.“ Also besorgte er sich an einem Tag Pferdeäp- fel. Er tütet sie in einen Briefumschlag, schreibt darauf: „Morgens und mittags einen nehmen.“ Er schmuggelt sie unter das Kopfkissen von Walther Funk, die Äpfel werden zum Politikum. Die Rus- sen ermitteln. Sie wittern eine Ver- schwörung. Alle Verantwortlichen kom- men zu einer Sondersitzung zusammen, auf dem Tisch liegen angestrahlt von ei- ner Lampe Owens Pferdeäpfel. „Diese ganze Aufregung, so was Blö- des“, sagt Owens. Er lacht das ver- schmitzte Lachen eines Gauners. Hät- ten sie ihn erwischt, sie hätten ihn ge- feuert. In seinen Erzählungen wird Spandau zu einer Republik der Strolche. Owens sagt: „Die Regeln waren scheiße, die waren viel zu streng.“ Er klingt wie ein störrisches Kind. Speer erwähnt in seinem Tagebuch über die Zeit in Spandau einen amerika- nischen Wächter. Er nennt ihn einen „bis zur Albernheit ausgelassenen Ge- sellen“. Und auch wenn Owens sich selbst nicht mehr an die Buchpassage erinnern kann, die Beschreibung würde zu ihm passen. Er war nicht gemacht für den stumpfsinnigen Leerlauf. In einem Anfall aus Langeweile und Übermut wickelte er drei Rollen Toilet- tenpapier bis auf die Papprollen ab. Zwei Zylinder klemmte er sich wie ei- nen Zwickel in die Augen, einen steckte er sich in den Mund, er schlich sich von außen an die Zelle von Heß und schaute durch das Fenster. Er rief: Hui, hui, hui. Als wäre er ein Gespenst. Heß alarmier- te aufgeregt die Wachen. Der Vorfall blieb nicht ohne Folgen: wieder eine Sonderkommission, wieder Ermittlun- gen. Owens selbst gab sich ahnungslos. Er kam davon. Wieder. Er hat die sieben Leben einer Katze. Was er von Heß hielt? „Der war im- mer etwas merkwürdig. So stur. Hat nie etwas gesagt. Der sprach mit keinem. Mit den Gefangenen nicht und mit uns nur bedingt.“ Und zum Zähneputzen wollte der immer warmes Wasser. Auch auf Speer ist Owens nicht gut zu spre- chen, der gefiel ihm gar nicht. „Immer hatte der Sonderwünsche. Ich will die- ses, ich will jenes. Dabei habe ich alles getan, was möglich war, wirklich.“ Hitlers Lieblingsarchitekt lief ihm hinterher wie ein zugelaufener Hund. An Funk erinnert er sich stattdessen wie an einen guten alten Freund. Ein di- cker lustiger Typ sei das gewesen. „Wir haben uns gut vertragen. Der konnte gute Witze erzählen und schmutzige Lieder singen.“ Je mehr Zeit Owens mit den Insassen verbrachte, desto mehr wuchs seine Loyalität. Er wurde zum Vertrauten der Kriegsverbrecher, bis heute verteidigt er sie: „Keiner von denen hätte da sein sollen.“ In Dönitz etwa sieht er einen feinen Mann, ein deutscher Patriot sei das gewesen, ein großer Herr. Raeder? Nett, „aber sehr alt“ – ohne besondere Eigenschaften. „Ein typischer alter Mann.“ Mit Baldur von Schirach sprach er ausschließlich englisch, anders als Funk aber sei der auf Abstand bedacht gewesen. Im Haus der Familie von Kon- stantin von Neurath verbrachte er sogar ein paar Tage. Owens fällt das Reden über die Ver- gangenheit schwer. An einiges kann er sich nicht erinnern, die Jahre ver- schwimmen, die Stimme ist schleppend, die Sätze zerreißen, sein Deutsch hat gelitten. Er war es gewohnt, sein Leben in Regeln zu fassen, er hatte Prinzipien, noch immer beendet er seine Sätze mit Worten wie: „Das erlaube ich mir nicht“. Und zugleich ist er jemand, der sich mit einem Freund nachts betrun- ken auf dem Friedhof Geschichten er- zählt, der im Edelrestaurant laut und ungeniert über die Tische hinweg redet, der den Whisky liebt und davon spricht, dass ihm das Alter egal ist, „solange ich die Damen noch lieben kann“. Er provoziert gern. Er hängt sich eine Hakenkreuzfahne in die Bibliothek, hält Hitler für keinen schlechten Mann, in Goethes „Faust“ entdeckt er wunder- volle Poesie, in seinem Wohnzimmer steht Beethoven über dem Fernseher. Owens ist der gelebte Widerspruch. Er ist ein amerikanischer Schwejk. 1954 kündigte er seinen Job in Spandau. Es zog ihn in seine Heimat zurück. Er studierte Geschichte, heiratete, wurde Vater, ging zur Armee zurück, schrieb Bücher wie etwa „Here we speak low German“, eine Abhandlung darüber, wie sich Plattdeutsch in Missouri verwur- zelte, seine eigene Vergangenheit aber verlor er aus dem Blick. Die meiste Zeit verbringt er jetzt in seinem Haus. Er sitzt auf einem mit ro- tem Samt bezogenen Biedermeier-Sofa, über dem Kopf hängt ein Rembrandt- Gemälde von einem bewaffneten Solda- ten, eine Kopie. Der Kämpfer blickt mü- de zu ihm herunter. Owens mag das Bild. Er sagt, er erkennt sich darin wie- der. Zwei Soldaten, erschöpft von der Schlacht. Was er mit Spandau verbin- det? „Ich habe viel gelernt. Ich habe mich viel geärgert. Ich habe viele Dummheiten gemacht.“ Das Licht fällt milchig durch die Fenster. Brunhilde, die Dackeldame, bellt um Aufmerksam- keit. „Be quiet, Bruni. Don’t make so much noice.“ Seine Augen liegen tief im kantigen Schädel. Der Vertraute der Kriegsverbrecher Im Gefängnis Berlin-Spandau war Robert Owens für die Sicherheit von Nazi-Größen wie Heß und Dönitz zuständig. 70 Jahre später blickt er zurück auf Anbiederungen und Extrawünsche MARION HAHNFELDT (2) DIE REGELN IM GEFÄNGNIS WAREN SCHEISSE, DIE WAREN VIEL ZU STRENG ROBERT OWENS ,, Owens als junger Mann in Berlin (oben) und heute mit 90 DIE WELT SAMSTAG, 4. AUGUST 2018 SEITE 24 PANORAMA

land das Abenteuer suchte. Seine Aufga- von Schirach

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Page 1: land das Abenteuer suchte. Seine Aufga- von Schirach

nannte Spandau das „bizarrste Gefäng-nis der Geschichte“, der „Spiegel“ sahdarin einen „schauerlichen Platz“, die„Süddeutsche Zeitung“ sprach vom„Spandauer Irrsinn“. Um 1876 als Mili-tärgefängnis erbaut, diente es den Nazisals Untersuchungsgefängnis für politi-sche Häftlinge. Nach dem Krieg unter-stand es der Kontrolle der Alliierten.

Im Oktober 1946 waren in Nürnberg22 Hauptkriegsverbrecher verurteiltworden. Es gab drei Freisprüche, zwölfUrteile endeten mit der Todesstrafe, dieübrigen sieben Angeklagten bekamenZuchthaus, sie kamen nach Spandau. ImDetail klang das dann so: lebenslang fürRudolf Heß, Hitlers Stellvertreter von1933 bis 1941. Lebenslang für Erich Ra-eder, Oberbefehlshaber der Reichs- be-ziehungsweise Kriegsmarine. Lebens-lang für Reichsbankpräsident undReichswirtschaftsminister WaltherFunk. Zehn Jahre für Karl Dönitz, Nach-folger von Raeder an der Spitze der Ma-rine. 15 Jahre für Konstantin von Neu-rath, Hitlers Außenminister von 1933 bis1938. 20 Jahre für Albert Speer, Reichs-rüstungsminister. 20 Jahre für Baldurvon Schirach, Reichsjugendführer undNSDAP-Gauleiter in Wien.

Ein übler Trupp also, und unter ihnenOwens, ein Amerikaner, der in Deutsch-land das Abenteuer suchte. Seine Aufga-

G roßadmiral Dönitzschwebt über allem. SeinBild steht ganz oben aufdem Regal. Der Blick desU-Boot-Befehlshabers ist

einigermaßen streng, aber nicht sostreng wie der von Adolf Hitler. Der„Führer“ prangt in Reichweite auf ei-nem Buchrücken. Nazi-Deutschland imHerzen von Missouri. Robert Owens,den alle Bob nennen, ist hier der Haus-herr. Er ist 90. Zu seinen Füßen spieltenergisch Brunhilde, die Dackeldame.

VON MARION HAHNFELDT

Bob Owens ist die meiste Zeit seinesLebens Soldat gewesen. Militärpolizist.Leutnant, Oberstleutnant. Er war inAfrika, er war in Deutschland. In Japan.In Vietnam. Auf dem Regal hat er nebenDönitz den Schädel eines Kamels dra-piert, Souvenir aus der Wüste von Ara-bien. Andere versuchen, die Vergangen-heit hinter sich zu lassen, er will siekonservieren. Vielleicht aber will er sieauch verstehen.

Eine Zeit lang ist das im ZweitenWeltkrieg zerstörte Berlin seine Heimatgewesen. Er war damals als einfacherSoldat nach Deutschland gekommen,gerade 18 Jahre alt, 1947 war das. Einjunger Mann, aufgewachsen im ÖrtchenCole Camp. Familien aus Norddeutsch-land hatten hier 1830 das Land urbar ge-macht; noch heute liegen die Straßen soda, als würden sie auf den großen Mo-ment der Weltgeschichte warten.

Es gibt einen Gedenkstein, das „LowGerman Immigrant Memorial“. Deut-sche Städtewappen sind in den Steineingelassen, eine Erinnerung an dieLeistungen der Pioniere. Es gibt eindeutsches Restaurant in Cole Camp,man kann dort „Bratwurst mit Sauer-kraut“ bestellen, und der Männerchorsingt dazu die Hymne von Schleswig-Holstein. Alles ist mit Geschichte aufge-laden, nur Owens wirkt dagegen selt-sam lebendig.

Nach zwei Jahren in Berlin wurdeOwens von der US-Army aus demDienst entlassen. Als MP hatte er dasgemacht, was man als amerikanischerMilitärpolizist in einer Stadt Nach-kriegsdeutschlands so macht. Und wäh-rend er gerade dabei war, sein Lebenneu zu sortieren, suchten die Behördenfür das Kriegsverbrechergefängnis inSpandau einen Amerikaner mitDeutschkenntnissen.

Owens sprach damals schon fließendDeutsch, bis heute berlinert er sichdurch seine Sätze, er sagt „icke“ stattich. Oder „weeß ick nich“ statt weiß ichnicht. Er war der passende Mann.

Er hatte keine Ahnung, was ihn er-wartete, er sagt: „I was a young guy. Iwas looking for adventure. And it wasan adventure.“ Es gibt ein Foto von ihmaus dieser Zeit. Es zeigt einen jungenMann, die Haare sorgsam gekämmt, erträgt ein helles Hemd, die Stimmungverborgen hinter einem nachdenklichenBlick. Norman J. W. Goda, Autor von„Kalter Krieg um Speer und Heß“,

be war es aufzupassen, dass die Männer,die einst das Reich befehligten, nicht et-wa Erdbeeren aus dem Gefängnisgartenstahlen. Er musste jede Unregelmäßig-keit melden, er war für die Sicherheitverantwortlich.

Owens trug keine Waffe wie der Pos-ten auf dem Wachturm, er trug einenSchlagstock. Seine Tage richteten sichnach dem Tagesablauf der Insassen, de-ren Morgen um sechs Uhr mit Brillen-ausgabe und Betten bauen begann undabends mit Abgabe der Brillen um 22Uhr endete. „Ich habe es gehasst“, sagtOwens. „Ich fand es furchtbar.“

In Spandau galt er als jemand, der dieAusnahme von der Regel zur Regelmachte, der Wein und Schnaps in dieZellen schmuggelte und manchmal Zei-tungen und gutes Essen. Und statt dieGefangenen mit Nummern anzuspre-chen wie verlangt, grüßte er sie mit Res-pekt: Herr Großadmiral. Herr General.Und in der letzten Zelle, links, am Endedes Korridors, lebte Heß.

Er sagt: „I didn’t like the rules. Ichwar damit nicht einverstanden.“ Alsobesorgte er sich an einem Tag Pferdeäp-fel. Er tütet sie in einen Briefumschlag,schreibt darauf: „Morgens und mittagseinen nehmen.“ Er schmuggelt sie unterdas Kopfkissen von Walther Funk, dieÄpfel werden zum Politikum. Die Rus-

sen ermitteln. Sie wittern eine Ver-schwörung. Alle Verantwortlichen kom-men zu einer Sondersitzung zusammen,auf dem Tisch liegen angestrahlt von ei-ner Lampe Owens Pferdeäpfel.

„Diese ganze Aufregung, so was Blö-des“, sagt Owens. Er lacht das ver-schmitzte Lachen eines Gauners. Hät-ten sie ihn erwischt, sie hätten ihn ge-feuert. In seinen Erzählungen wirdSpandau zu einer Republik der Strolche.Owens sagt: „Die Regeln waren scheiße,die waren viel zu streng.“ Er klingt wieein störrisches Kind.

Speer erwähnt in seinem Tagebuchüber die Zeit in Spandau einen amerika-

nischen Wächter. Er nennt ihn einen„bis zur Albernheit ausgelassenen Ge-sellen“. Und auch wenn Owens sichselbst nicht mehr an die Buchpassageerinnern kann, die Beschreibung würdezu ihm passen. Er war nicht gemacht fürden stumpfsinnigen Leerlauf.

In einem Anfall aus Langeweile undÜbermut wickelte er drei Rollen Toilet-tenpapier bis auf die Papprollen ab.Zwei Zylinder klemmte er sich wie ei-nen Zwickel in die Augen, einen steckteer sich in den Mund, er schlich sich vonaußen an die Zelle von Heß und schautedurch das Fenster. Er rief: Hui, hui, hui.Als wäre er ein Gespenst. Heß alarmier-te aufgeregt die Wachen. Der Vorfallblieb nicht ohne Folgen: wieder eineSonderkommission, wieder Ermittlun-gen. Owens selbst gab sich ahnungslos.Er kam davon. Wieder. Er hat die siebenLeben einer Katze.

Was er von Heß hielt? „Der war im-mer etwas merkwürdig. So stur. Hat nieetwas gesagt. Der sprach mit keinem.Mit den Gefangenen nicht und mit unsnur bedingt.“ Und zum Zähneputzenwollte der immer warmes Wasser. Auchauf Speer ist Owens nicht gut zu spre-chen, der gefiel ihm gar nicht. „Immerhatte der Sonderwünsche. Ich will die-ses, ich will jenes. Dabei habe ich allesgetan, was möglich war, wirklich.“

Hitlers Lieblingsarchitekt lief ihmhinterher wie ein zugelaufener Hund.An Funk erinnert er sich stattdessenwie an einen guten alten Freund. Ein di-cker lustiger Typ sei das gewesen. „Wirhaben uns gut vertragen. Der konntegute Witze erzählen und schmutzigeLieder singen.“

Je mehr Zeit Owens mit den Insassenverbrachte, desto mehr wuchs seineLoyalität. Er wurde zum Vertrauten derKriegsverbrecher, bis heute verteidigter sie: „Keiner von denen hätte da seinsollen.“ In Dönitz etwa sieht er einenfeinen Mann, ein deutscher Patriot seidas gewesen, ein großer Herr. Raeder?Nett, „aber sehr alt“ – ohne besondereEigenschaften. „Ein typischer alterMann.“ Mit Baldur von Schirach spracher ausschließlich englisch, anders alsFunk aber sei der auf Abstand bedachtgewesen. Im Haus der Familie von Kon-stantin von Neurath verbrachte er sogarein paar Tage.

Owens fällt das Reden über die Ver-gangenheit schwer. An einiges kann ersich nicht erinnern, die Jahre ver-schwimmen, die Stimme ist schleppend,die Sätze zerreißen, sein Deutsch hatgelitten. Er war es gewohnt, sein Lebenin Regeln zu fassen, er hatte Prinzipien,noch immer beendet er seine Sätze mitWorten wie: „Das erlaube ich mirnicht“. Und zugleich ist er jemand, dersich mit einem Freund nachts betrun-ken auf dem Friedhof Geschichten er-zählt, der im Edelrestaurant laut undungeniert über die Tische hinweg redet,der den Whisky liebt und davon spricht,dass ihm das Alter egal ist, „solange ichdie Damen noch lieben kann“.

Er provoziert gern. Er hängt sich eineHakenkreuzfahne in die Bibliothek, hältHitler für keinen schlechten Mann, inGoethes „Faust“ entdeckt er wunder-volle Poesie, in seinem Wohnzimmersteht Beethoven über dem Fernseher.Owens ist der gelebte Widerspruch. Erist ein amerikanischer Schwejk. 1954kündigte er seinen Job in Spandau.

Es zog ihn in seine Heimat zurück. Erstudierte Geschichte, heiratete, wurdeVater, ging zur Armee zurück, schriebBücher wie etwa „Here we speak lowGerman“, eine Abhandlung darüber, wiesich Plattdeutsch in Missouri verwur-zelte, seine eigene Vergangenheit aberverlor er aus dem Blick.

Die meiste Zeit verbringt er jetzt inseinem Haus. Er sitzt auf einem mit ro-tem Samt bezogenen Biedermeier-Sofa,über dem Kopf hängt ein Rembrandt-Gemälde von einem bewaffneten Solda-ten, eine Kopie. Der Kämpfer blickt mü-de zu ihm herunter. Owens mag dasBild. Er sagt, er erkennt sich darin wie-der. Zwei Soldaten, erschöpft von derSchlacht. Was er mit Spandau verbin-det? „Ich habe viel gelernt. Ich habemich viel geärgert. Ich habe vieleDummheiten gemacht.“ Das Licht fälltmilchig durch die Fenster. Brunhilde,die Dackeldame, bellt um Aufmerksam-keit. „Be quiet, Bruni. Don’t make somuch noice.“ Seine Augen liegen tief imkantigen Schädel.

Der Vertraute der KriegsverbrecherIm Gefängnis Berlin-Spandau war Robert Owens für die Sicherheit von Nazi-Größen wie Heß undDönitz zuständig. 70 Jahre später blickt er zurück auf Anbiederungen und Extrawünsche

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DIE REGELN IM GEFÄNGNISWAREN SCHEISSE,DIE WAREN VIEL ZU STRENGROBERT OWENS

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Owens als junger Mann in Berlin(oben) und heute mit 90

24 04.08.18 Samstag, 4. August 2018 DWBE-HPBelichterfreigabe: --Zeit:::Belichter: Farbe:

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