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1 Prof. Dr. Michael Schratz Lehrerbildung in der Kultur lernseitiger Annäherungen an Vielfalt und Einzigartigkeit Workshop Kooperationstag mit den Partnerschulen der Universität Regensburg 2. Oktober 2012 Es ist die längste Distanz … … von der Formulierung von Kompetenzen im Lehrplan bis dahin, was bei den Schülerinnen und Schülern im Unterricht ankommt.

Lehrerbildung in der Kultur lernseitiger Annäherungen … · in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame ... „Personale Bildungsprozesse in heterogenen Gruppen ... die Welt

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[1] John MacBeath, Denis Meuret, Michael Schratz: Praktischer Leitfaden zur Selbstevaluation. Brüssel: Europäische Kommission, 1997, S. 7.

Prof. Dr. Michael Schratz

Lehrerbildung in der Kultur lernseitiger

Annäherungen an Vielfalt und Einzigartigkeit

Workshop

Kooperationstag mit

den Partnerschulen der

Universität Regensburg

2. Oktober 2012

Es ist die längste Distanz …

… von der Formulierung

von Kompetenzen im

Lehrplan bis dahin, was

bei den Schülerinnen und

Schülern im Unterricht

ankommt.

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„Ich muss die Kreativität von jedem einzelnen

Musiker haben, auch dort, wo er von meiner

Meinung abweicht. Ich habe 80 oder 100 Musiker

vor mir, und jeder hat eine eigene Auffassung.

Ich muss das kanalisieren und in eine Richtung

bringen. Aber aufzwingen im diktatorischen Sinn

hat überhaupt keinen Sinn.“

Nikolaus Harnoncourt, Dirigent

„Jede Idee entsteht im Dialog.“

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Lehrer sind wie Dealer:

sie denken immer nur

an den Stoff!

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„Du unterrichtest einen für dich äußerst interessanten

Stoff. Du hast dich gründlich auf diese Stunde vorbereitet,

viel Literatur gelesen und dir viele Gedanken gemacht,

wie der Stoff am besten behandelt wird.

Nun stehst du vor der Klasse, hast gerade erklärt, wie

wichtig dieser Stoff ist - für das Verständnis des Faches,

für das weitere Leben und überhaupt.

Anschauungsmaterial liegt vorbereitet auf dem

Lehrerpult. Der Overhead-Projektor ist eingeschaltet und

du beginnst mit einem kurzen Einführungsvortrag.

Da bemerkst du, dass einige Schüler miteinander leise

sprechen, andere schauen desinteressiert zum Fenster

hinaus und ...

Du sprichst die Schüler auf ihr Verhalten an und

betonst dabei nochmals die Wichtigkeit und die

Bedeutung des gerade angesprochenen Stoffes ...

Du sprichst den Schüler auf die Zeitung an und betonst

dabei nochmals die Wichtigkeit und die Bedeutung des

gerade angesprochenen Stoffes.

Da antwortet der Schüler: „Das sagen immer alle

Lehrer, dass gerade dieser Stoff für uns so wichtig ist. In

Wirklichkeit hat dieser Scheiss für uns überhaupt keine

Bedeutung – für mich wenigstens lerne ich diesen

Blödsinn nur, weil er bei der Prüfung kommen kann.“

(Schulstufe: 7. Klasse AHS)

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Person Persönliche Dimension

Gruppe Soziale Dimension

Können Anwendungsdimension

Wissen Wissensdimension

Verstehen Erkenntnisdimension

(Schratz/Weiser 2002)

lernen Wissen zu erwerben

lernen zusammen zu leben

lernen zu leben

lernen zu handeln

lernen zu verstehen

Erkenntnisdimension

Schratz/Weiser 2002

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7

Eine

lernende

Schule

„ ... ist eine Organisation, in der die Menschen kontinuierlich

die Fähigkeit entfalten, ihre wahren Ziele zu verwirklichen,

in denen neue Denkformen gefördert und gemeinsame

Hoffnungen freigesetzt werden und in denen Menschen lernen,

miteinander zu lernen.“

Peter Senge

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Der Verstand der Gänse

aus: Michael Schratz:

Qualität sichern – Schulprogramme entwickeln.

Seelze: Kallmeyer, 2003, S. 108

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“Ein System kann nur sehen,

was es sehen kann,

es kann nicht sehen,

was es nicht sehen kann.

Es kann auch nicht sehen,

dass es nicht sehen kann,

was es nicht sehen kann.”

(Niklas Luhmann)

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Quelle Varianzanteil

Schüler/in 50%

Familie 5-10%

Peers 5-10%

Schule 5-10%

Lehrer/in und Unterricht 30%

Bedeutung unterschiedlicher Quellen für

erfolgreiches Lernen in der Schule

Der gleiche Lehrer

unterrichtet alle gleichaltrigen Schüler/innen

im gleichen Tempo

mit dem gleichen Material

im gleichen Raum

mit den gleichen Methoden

und dem gleichen Ziel.

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Lehrer/in: INITIATION

Schüler/in: REAKTION

Lehrer/in:

RICHTIG FALSCH

1, 2, 3 …

Grundmuster von Unterricht

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Teufelskreis

Problemlösung aus

der Vergangenheit

Problem

der

Gegenwart

Misserfolg

Intensivierung

der

Anstrengung

angewendet auf

führt zu

und löst aus

verschärft

verschärft

Problemstellung

• Unterricht vs. teaching and learning

• „Kriterien für guten Unterricht“ vs. Kriterien für erfolgreiches Lernen

• „Den Schüler dort abholen, wo er gerade steht.“

• „Schülerorientiert arbeiten.“

• Effektivierung von didaktischen Kompetenzen der Lehrpersonen.

Mythos: Lernen ist das Ergebnis von Lehren

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Why can‘t they1 change?

„This requires an openness … and a willingness to seek

a better alternative to what the teacher is currently doing

by evaluating the effects of the change on student

learning. Adopting any innovations means discontinuing

the use of familiar learning.“ (p. 252)

1 teachers, policy makers, teachers educators and

oftentimes parents

What works?

„If the teacher‘s lense can be changed to seeing learning through

the eyes of students, this would be an excellent beginning. This

involves teachers seeking countering evidence as to the

effectiveness of their teaching, looking for errors in their thinking and

knowledge, seeing how students build on prior knowledge and

conceptions of learning, asking whether there is sufficient challenge

and engagement in the learning, and understanding

the strategies students are using when learning and

confronting difficulties.“ (p. 252-253)

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good practice

best practice

Kritische Instabilität

Kreative Störung

Prozess der Neuorientierung

Entwicklung von next practice

Musterwechsel

Kreativer Musterwechsel und “next practice”

bewusste Kompetenz

bewusste Inkompetenz

unbewusste Inkompetenz

unbewusste Kompetenz

Vom unbewussten zum bewussten Lernen

kompetent

bewusst

inkompetent

unbewusst

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tun

verstehen

kompetent

inkompetent

bewusst unbewusst

Von der „unbewussten Inkompetenz“ zur „bewussten Kompetenz“

unbewusste Inkompetenz

bewusste Kompetenz

tun

verstehen

kompetent

inkompetent

bewusst unbewusst

bewusste Kompetenz

unbewusste Inkompetenz

Von der „unbewussten Inkompetenz“ zur „bewussten Kompetenz“

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Woher wissen wir,

Schülerinnen und Schüler lernen

WAS

WIE ?

„The trouble with learnin‘ is

that it‘s always about somethin‘

that you don‘t know.“

(Dennis the Menace)

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Teaching is impossible.

(Lee Shulman 1983)

Teaching as a subversive activity.

(Postman & Weingartner 1969)

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„Lernen ist das Persönlichste auf der Welt.

Es ist so eigen wie ein Gesicht

oder wie ein Fingerabdruck.

Noch individueller als das Liebesleben.“

Heinz von Foerster (1999)

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Individuen

INDIVIDUALISIERUNG

Persönlichkeiten

PERSONALISIERUNG

Lehrplan Lebensplan

Lernfragen Lebensfragen

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„Schülerinnen und Schüler sollen dort abgeholt werden, wo sie

sind. Diese Parole geistert schon seit einiger Zeit durch die

didaktische Landschaft. Sie findet viel Zustimmung, sind mit ihr

doch Reformenthusiasmus, Schülernähe, Empathie und

pädagogischer Einsatz verbunden. Sehen wir einmal davon ab,

dass es auch etwas Bedrohliches hat, genau zu wissen, wo

jemand anderes steht, wenn dieser uns seinen Ort nicht

preisgeben kann oder will, so bleibt doch die Frage, ob es

überhaupt möglich ist, den Schüler an der Stätte seiner

Erfahrungen zu empfangen.“

Käte Meyer-Drawe

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DEM LERNEN AUF DER SPUR …

Übersicht der drei Feldphasen (Untersuchungszeitraum 2009/2010)

Forschungsprojekt

„Personale Bildungsprozesse in heterogenen Gruppen“

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Vignette

• eine „dichte Beschreibung“ (Geertz, 1991)

der primären, protokollierten Erfahrungen im

Feld

• prägnante, trächtige „Anekdoten gelebter

Erfahrung“ (van Manen, 1990)

• eine kurze Erzählung eines tatsächlichen

Ereignisses, welches an sich nicht sonderlich

bedeutsam, doch geeignet ist, große

Bedeutung anzunehmen (Arrighetti, 2007)

„Klangkörper des Lernens“

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Lehrer sind wie …

sie denken immer nur

an die Methoden!

zwei Seiten einer Münze

LEHRSEITS - LERNSEITS

wie

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lehrseits lernseits

von Unterricht

2 Seiten einer Medaille

Die Aufgabe für die

SchülerInnen steht im

Mittelpunkt.

Die SchülerInnen sind in

ihr Lernen verstrickt.

Aufmerksamkeit auf

gelingender Umsetzung

von Planung.

Aufmerksamkeit auf

entstehender Zukunft.

lehrseits lernseits

von Unterricht

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Modus des Lehrens

“lehrseits”

Was unterrichte ich?

(Inhalte)

Unterrichten

WAS?

WIE? Wie unterrichten ich?

(Methoden)

Modus des Lernens

“lernseits”

Was wissen/verstehen/können

die SchülerInnen?

Welche wirkmächtigen Erfahrungen

machen die SchülerInnen?

îm

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Serena, S. 33

Wissensaudit

Wir wissen, was wir wissen.

Wir wissen nicht, was wir wissen.

Wir wissen, was wir nicht

wissen.

Wir wissen nicht, was wir nicht

wissen.

Lernen der Schülerinnen und Schüler

Wissen Nicht-Wissen

Wissen

Nicht-Wissen

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Wissen Nicht-Wissen

Wis

sen

Nic

ht-

Wis

sen

Welche Brille setze ich auf?

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Didaktik vom Lernen aus denken

und

Lehren „in den Dienst" des Lernens nehmen.

(Lothar Klingberg 1997)

LERNEN

Wir nennen das Lehren im Unterschied

zu anderen Verständigungsarten …

… einführende Verständigung

(Günther Buck 1989)

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Didaktik vom Lernen aus denken

und

Lehren „in den Dienst" des Lernens nehmen.

(Lothar Klingberg 1997)

LERNEN

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Wir nennen das Lehren im Unterschied

zu anderen Verständigungsarten …

… einführende Verständigung

(Günther Buck 1989)

Lernen ist Erfahrung, in der eine Person von der Welt (jemand, etwas) in Anspruch genommen wird, darauf als etwas respondiert und in der Welt wirkmächtig wird. Forschungsgruppe „Personale Bildungsprozesse in heterogenen Gruppen“

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„Beim Lehren ‚legen wir das Gelingen des eigenen Tuns in fremde Hand‘

(Waldenfels 2009). Erst im Lernen wird unserem Handeln Erfolg bescheinigt.

Wir sind deshalb weder nur Ingenieure noch lediglich Animateure. Wir holen

niemanden ab, wo er steht. Diesem irreführenden Bild muss ein anderes

gegenübergestellt werden. Als Lehrende bereiten wir einen Boden, auf dem

wir den Lernenden, sie uns und sie sich untereinander begegnen können. Die

Resonanzfunktion des gemeinsamen Handelns und Sprechens gründet darin,

dass es Antworten ermöglicht, die es selbst nicht parat hat. Ohne Macht wird

es auch bei einem responsiven Verständnis des Lernens und Lehrens nicht

gehen; denn als Unterrichtende lenken wir die Blicke, wecken wir das

Begehren nach Wissen.“

Käte Meyer-Drawe

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Wie lernen Systeme?

Wie lernt das Kollegium?

Wie lernen SchülerInnen?

Leadership for Learning

Wie lernen Systeme?

Wie lernt das Kollegium?

Wie lernen SchülerInnen?

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Systeme lernen

Lehrer/innen lernen

Schüler/innen lernen

Lernen der S/S

Lernen der L/L etc.

Lernen des Systems

3 entscheidende Ebenen des Lernens

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„Es sind die Lehrerinnen und Lehrer, die schlussendlich

die Welt von Schule und Unterricht verändern werden,

indem sie sie verstehen.“

Lawrence Stenhouse

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Bestimmt die Zukunft des Lehrens die Zukunft des Lernens?

Bestimmt die Zukunft des Lernens die Zukunft des Lehrens?