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Unfallchirurgie 0 Urban & Vogel 1992 J.D. Hoppe Leitlinien einer Reform der irztlichen Weiterbildung Der ~irztlichen Weiterbildung kommt bei der Heranbildung des ~irztlichen Nachwuchses eine immer gr6gere Bedeutung zu. Die universit~ire Ausbildung vermag eine Befiihigung zur Austibung der umfassenden Heilkunde am Menschen zumindest derzeit nicht mehr zu vermitteln. Das sind inhaltlich die Kernaussagen der wesentlichen wissenschaftlichen und politischen Publikationen der letzten Zeit zum Thema Bildung der Arztinnen/Arzte in der Zukunft.1 D ie Weiterbildung ist aus dem Stadium eines lange Zeit tiberwiegend einvernehmlich gestalteten und administrierten Themas in eine von vielseitigen Interes- sen geprfigte politische Auseinandersetzung geraten, und dieses hat seine erkennbaren Grtinde: 1. Die Weiterbildung ist berufspolitisches und berufs- rechtliches Spiegelbild der Entwicklung der medizini- schen Wissenschaft und Technik. In die Weiterbil- dungsordnung aufgenommene Bezeichnungen sind tiber ihre wissenschaftliche Reputation hinaus im ~irztli- chen Berufsrecht verankert. Daraus ergeben sich nicht selten ganz handfeste Auswirkungen ftir die Einord- nung yon Ffichern und den dazugeh/3renden Abteilun- gen in die Hierarchie von medizinischen Hochschulein- richtungen. 2. Die Weiterbildung ist tiber die Bildungsordnung hin- aus Ausdruck der Arbeitsteilung unter den praktizie- renden fiirztinnen/Arzten, was nicht nut im Sinne der Ankandigung der Kenntnisse, Ffihigkeiten und Fertig- keiten gegentiber der Bev61kerung gemeint ist, sondern auch - und zwar besonders - mit der Auseinanderset- zung um Fragen der Zuordnung ~irztlicher Leistungen zu Gebieten mit der Konsequenz der Zulfissigkeit der 1 So zum Beispiel des Murrhardter Kreises in Seiner VerOffentli- chung ,,Das Arztbild der Zukunft, Analysen kiinftiger Anforderun- gen an den Arzt, Konsequenzen ftir die Ausbildung und Wege zu ihrer Reform" (Beitr~ige zur GesundheitsOkonomie 26, Robert- Bosch-Stiftung, Stuttgart). Nachdruck aus: Dt. A, rztebl. 88, Heft 45, 7, November 1991. Abrechnung dieser Leistungen entsprechend den Zif- fern der Gebtihrenordnungen zu tun hat. 3. Die Weiterbildung kann sich bei entsprechender Gestaltung durchaus als Instrument der Nachwuchs- steuerung eignen. Dazu ist wichtig zu wissen, dab die Weiterbildungsordnung aus der Sicht der Weiter- bildungswilligen konzipiert ist, das heiBt, es ist dort kodifiziert, welche zeitlichen und inhaltlichen Voraus- setzungen erftillt sein mtissen, um die Anerkennung zur Ftihrung einer der in der Weiterbildungsordnung ver- ankerten Bezeichnungen yon der ]krztekammer zu erhalten. Da k/3nnen Zeiten und Inhalte sehr schnelt zu mehr oder weniger tiberwindbaren Htirden werden. DaB im Nebeneffekt hierdurch auch steuernde Einwir- kungen auf den ~irztlichen Arbeitsmarkt, namentlich im sogenannten nachgeordneten Dienst in den Kranken- h~iusern, dem Hauptkontingent von Weiterbildungs- kapazit~iten, eintreten k6nnen, ist evident. Novellierung der Musterweiterbildungsordnung 1992 Der 95. Deutsche 5krztetag in K61n wird sich nach dem 1987er Arztetag in Karlsruhe wieder mit einer umfas- senden Novellierung der Musterweiterbildungsord- nung befassen mtissen; die wiederum mtigte dann anschlieBend yon den Landes~irztekammern in gelten- des Recht umgesetzt werden. Eine Novellierung ist aus folgenden Grtinden n6tig: - Der Fortschritt der medizinischen Wissenschaft und Technik geschieht ganz tiberwiegend durch Spezialisie- rung, wobei aber darauf zu achten ist, dab die m/3glichen Unfallchirurgie 3_8(3_992). 57-59 (Nr. I) 57

Leitlinien einer Reform der ärztlichen Weiterbildung

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Unfallchirurgie 0 Urban & Vogel 1992

J . D . Hoppe

Leitlinien einer Reform der irztlichen Weiterbildung Der ~irztlichen Weiterbildung kommt bei der Heranbildung des ~irztlichen Nachwuchses eine immer gr6gere Bedeutung zu. Die universit~ire Ausbildung vermag eine Befiihigung zur Austibung der umfassenden Heilkunde am Menschen zumindest derzeit nicht mehr zu vermitteln. Das sind inhaltlich die Kernaussagen der wesentlichen wissenschaftlichen und politischen Publikationen der letzten Zeit zum Thema Bildung der Arztinnen/Arzte in der Zukunft.1

D ie Weiterbildung ist aus dem Stadium eines lange Zeit tiberwiegend einvernehmlich gestalteten und

administrierten Themas in eine von vielseitigen Interes- sen geprfigte politische Auseinandersetzung geraten, und dieses hat seine erkennbaren Grtinde:

1. Die Weiterbildung ist berufspolitisches und berufs- rechtliches Spiegelbild der Entwicklung der medizini- schen Wissenschaft und Technik. In die Weiterbil- dungsordnung aufgenommene Bezeichnungen sind tiber ihre wissenschaftliche Reputation hinaus im ~irztli- chen Berufsrecht verankert . Daraus ergeben sich nicht selten ganz handfeste Auswirkungen ftir die Einord- nung yon Ffichern und den dazugeh/3renden Abteilun- gen in die Hierarchie von medizinischen Hochschulein- richtungen.

2. Die Weiterbildung ist tiber die Bildungsordnung hin- aus Ausdruck der Arbeitsteilung unter den praktizie- renden fiirztinnen/Arzten, was nicht nut im Sinne der Ankandigung der Kenntnisse, Ffihigkeiten und Fertig- keiten gegentiber der Bev61kerung gemeint ist, sondern auch - und zwar besonders - mit der Auseinanderset- zung um Fragen der Zuordnung ~irztlicher Leistungen zu Gebieten mit der Konsequenz der Zulfissigkeit der

1 So zum Beispiel des Murrhardter Kreises in Seiner VerOffentli- chung ,,Das Arztbild der Zukunft, Analysen kiinftiger Anforderun- gen an den Arzt, Konsequenzen ftir die Ausbildung und Wege zu ihrer Reform" (Beitr~ige zur GesundheitsOkonomie 26, Robert- Bosch-Stiftung, Stuttgart). Nachdruck aus: Dt. A, rztebl. 88, Heft 45, 7, November 1991.

Abrechnung dieser Leistungen entsprechend den Zif- fern der Gebtihrenordnungen zu tun hat.

3. Die Weiterbildung kann sich bei entsprechender Gestaltung durchaus als Instrument der Nachwuchs- steuerung eignen. Dazu ist wichtig zu wissen, dab die Weiterbildungsordnung aus der Sicht der Weiter- bildungswilligen konzipiert ist, das heiBt, es ist dort kodifiziert, welche zeitlichen und inhaltlichen Voraus- setzungen erftillt sein mtissen, um die Anerkennung zur Ftihrung einer der in der Weiterbildungsordnung ver- ankerten Bezeichnungen yon der ]krztekammer zu erhalten. Da k/3nnen Zei ten und Inhalte sehr schnelt zu mehr oder weniger t iberwindbaren Htirden werden. DaB im Nebeneffekt hierdurch auch steuernde Einwir- kungen auf den ~irztlichen Arbei tsmarkt , namentlich im sogenannten nachgeordneten Dienst in den Kranken- h~iusern, dem Hauptkont ingent von Weiterbildungs- kapazit~iten, eintreten k6nnen, ist evident.

Novellierung der Musterweiterbildungsordnung 1992

Der 95. Deutsche 5krztetag in K61n wird sich nach dem 1987er Arztetag in Karlsruhe wieder mit einer umfas- senden Novellierung der Musterweiterbildungsord- nung befassen mtissen; die wiederum mtigte dann anschlieBend yon den Landes~irztekammern in gelten- des Recht umgesetzt werden. Eine Novellierung ist aus folgenden Grtinden n6tig:

- Der Fortschritt der medizinischen Wissenschaft und Technik geschieht ganz tiberwiegend durch Spezialisie- rung, wobei aber darauf zu achten ist, dab die m/3glichen

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Hoppe: Reform der iirztlichen Weiterbildung

Risiken tiberm~if3iger Spezialisierung durch gleichzeitig koordinierende Mal3nahmen auszugleichen sind (Vosteen, zuletzt 1991). Wenn aber eine neue Speziali- tfit oder Subspezialit~it sich for die medizinische Wissen- schaft und die Versorgung der Bev61kerung mit ~irztli- chen Leistungen als relevant erwiesen und etabliert hat, gibt es nach den Heilberufsgesetzen der Bundesl~inder keine Alternative zur Einordnung dieser neuen Ange- bore mit den geeigneten Bezeichnungen in die Weiter- bildungsordnung. Die Bev01kerung hat ein Anrecht darauf, zu wissen oder zumindest in Erfahrung bringen zu k6nnen, welche ~irztlichen Leistungen m0glich sind und von wem sie erbracht werden. Argumente, die Ein- fOhrung neuer Bezeichnungen in die Weiterbildungs- ordnung bedeute eine Zersplitterung oder gar Atomi- sierung der Medizin, sind nicht schlttssig, sie sind vor- dergriindige ,,Bauch"-Argumente, die einer intellek- tuell redlichen Uberprtifung nicht standhalten. Die Auf- f~icherung der Medizin in neue Spezialit~iten entsteht durch den wissenschaftlichen Fortschritt, nicht durch die Gestaltung der Weiterbildungsordnung. Ein Unter- lassen der Fortentwicklung der Weiterbildungsordnung entsprechend dem Fortschritt der Medizin wttrde diesen keineswegs aufhalten, die Weiterbildung aber von die- sem Fortschritt abkoppeln.

- Nicht zuletzt durch die Vergr6Berung der Bundes- republik Deutschland als Konsequenz des Beitritts der L~nder Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Thtiringen und Sachsen sowie durch das Zusammenwachsen der beiden Teile Berlins zu einer Stadt mit einer Arztekammer ist die Heterogenit~t der in den nunmehr 17 Landes~irztekammern geltenden Weiterbildungsordnungen an der Grenze des Vertret- baren angelangt. So gibt es nur in einzelnen Kammern vorkommende Bezeichnungen, die in anderen Kam- mern nicht geftihrt werden dttrfen.

Ein derartiger Zustand ist schon in der Europ~iischen Gemeinschaft mit ihren zw61f Mitgliedsstaaten ein so grof3es Problem, dab jetzt intensiv an einer Harmonisie- rung der Weiterbildungsregeln gearbeitet wird. Inner- halb unseres eigenen Landes kann er daher um so weni- ger hingenommen werden, weil so die ,,Migrations- f~ihigkeit:' von deutschen Arztinnen und )krzten inner- halb des eigenen Landes gef~ihrdet wird. Zudem diffe- riert die fiir die fonf neuen Lfinder 1990 als Ubergangs- 16sung erarbeitete Musterweiterbildungsordnung, welche einstweilen yon den dortigen .A_rztekammern in geltendes Recht umgewandelt wurde, zu den Weiter- bildungsbedingungen in den alten L~indern zum Teil

erheblich. Diese Unterschiede behindern zus~itzlich das doch allseits gewtinschte, mOglichst rasche und rei- bungslose Zusammenwachsen auch der *rzteschaft in Ost und West.

Handlungszwang

Sollten wir J~rztekammern mit unserem Parlament auf Bundesebene, dem Deutschen Arztetag, keinen Erfolg bei der Modernisierung der Musterweiterbildungsord- nung haben, k6nnte durchaus der Staat in Gestalt der L~inder mit ihrer Gesundheitsministerkonferenz sich aufgerufen fOhlen, t~itig zu werden. Das w~ire mehr als ein empfindlicher Schlag for die ~irztliche Selbstver- waltung.

So hat der neu berufene AusschuB ,,)krztliche Weiterbil- dung" sich am 19. Juni 1991 konstituiert mit dem festen Willen, die Weiterbildungsdebatte for den 95. Deut- schen )krztetag in K01n so vorzubereiten, dab eine er- folgreiche BeschluBfassung bei gutem Willen aller Beteiligten m6glich wird. Bei der Neubesetzung for die Amtsperiode 1991/95 des Vorstandes des Bundes~irzte- kammer wurde der AusschuB auf 13 (statt bisher sechs) Mitglieder erweitert - auch das ein Zeichen fOr die zunehmende Bedeutung der ~irztlichen Weiterbildung.

Leitlinien der AusschuBarbeit sind frtihzeitige und per- manente Information und Transparenz, so dab es eigentlich kein Argument mehr geben kann, welches nicht schon vor dem K61ner Arztetag bekannt gewor- den, diskutiert und so oder so bewertet worden ist. Damit diirfte die dann abschlieBende Meinungsbildung des Deutschen Arztetages zumindest nicht mehr an Begrtindungen wie Informationsdefizit oder mangelnde Transparenz scheitern k6nnen.

Transparenz der Ausschufiarbeit

In seiner konstituierenden Sitzung hat der Ausschuf3 ,,Arztliche Weiterbildung" zudem als Entscheidungs- hilfe einen Fragenkatalog angenommen, mit dem alle Antrgge und Anregungen zur Anderung der Muster- weiterbildungsordnung auf ihre Auswirkungen bin abgeprtift werden, um bei den Entscheidungsfindungen m6glichst "vollst~indige und gleichartige MaBst~ibe anzu- legen. Die Darstellung dieser Prozesse trfigt mit Sicher- heit zur Erh0hung der Transparenz und hoffentlich dann auch der Akzeptanz bei.

Die Fragen dieser ,,Check-up"-Liste, die natttrlich ganz im Sinne der Zielsetzung der Weiterbildungsordnung,

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Hoppe: Reform der firztlichen Weiterbildung

einer m0glichst guten ~irztlichen Versorgung der Bev61- kerung ngmlich, konzipiert sind, haben folgenden Wortlaut:

1. EG-Recht: Abgleichung mit den EWG-Richtlinien 75/362 und 75/363 (bzw. 86/457).

2. Heilberufsgesetze der Lgnder: Prtifung beztiglich des Versorgungsauftrages der Bev61kerung und der Entwicklung der medizinischen Wissenschaff.

3. l~lberprfifung der politischen Auswirkungen nach augen im Sinne der Dokumentation iirztlicher Leistun- gen.

4. Berufspolitische Auswirkungen nach innen im Sinne einer sinnvollen Arbeitsteilung und entsprechenden inner~irztlichen Abgrenzung.

5. Auswirkungen auf die kassen~rztliche T~itigkeit in der Gegenwart

a) for niedergelassene Allgemein~irzte, b) for niedergelassene Fach~irzte, c) ftir erm~ichtigte Krankenhaus~irzte, d) far erm~ichtigte Arzte aus den 0brigen Bereichen des

Gesundheitswesens.

6. Auswirkungen ftir die kassen~rztliche T~tigkeit in der Zukunft.

7. Auswirkungen auf privatfirztliche T~itigkeiten i n Praxis und Krankenhaus.

8. Auswirkungen auf die Arbeitsmarktsituation for die

a) Krankenh~iuser und Krankenhausabteilungen, b) zur Weiterbildung ermfichtigten niedergelassenen

Arzte, c) Weiterbildungswilligen.

9. Auswirkungen auf die ~iul3eren und inneren Kran- kenhausstrukturen und die Strukturen des grztlichen Dienstes.

10. Auswirkungen auf die Administration der -&rzte- kammern.

KoUegial diskutieren

Abschliel3end m{Schte ich die Gelegenheit nutzen, im Namen der Mitglieder des Ausschusses und der St~indi- gen Konferenz ,,J~rzttiche Weiterbildung" a i r Beteilig- ten und Betroffenen zu bitten, an einer konstruktiven und hohe Akzeptanz erreichenden Diskussion um die Novellierung der Musterweiterbildungsordnung in kol- legialem Geist mitzuwirken. Wie immer in der Politik werden nicht alle Wtinsche und Vorstellungen erftillt werden k6nnen. Gewinner sollten n~imlich - wie stets als Ergebnis guter ~rztlicher Berufspolitik - die Patien- ten und die Bev61kerung in unserem Lande sein.

Verfasser: Dr. JOrg Dietrich Hoppe, Vorsitzender des Ausschusses ,firztliche Weiterbildung" der Bundes~irztekammer, Postfach 100947, D-5160 Diiren.

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