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58 | 59 Einführung In den letzten zehn Jahren hat sich die Bildungswelt um- fassend verändert. Die digitale Transformation unserer Gesellschaft eröffnet neue Möglichkeiten zur Entwicklung und Nutzung digital-analoger Lernwelten. Basierend auf der Lebensrealität der Lernenden können neue Formate für einen nachhaltigen und lebendigen Lernprozess entwi- ckelt werden. Dabei geht es nicht um die Ablösung analo- ger Medien. Vielmehr entstehen multioptionale Lern- und Erfahrungsräume, mit denen auf die individuellen Kontex- te der Lernenden eingegangen werden kann. Warum Games und Apps im Unterricht? In der Diskussion um die Nutzung von Games und Apps im Unterricht und in Lernsituationen wird immer wieder nach dem „Warum?“ gefragt. In der Tat erfüllt die Anwen- dung digitaler Angebote im Unterricht keinen Selbstzweck, oder anders ausgedrückt: Ein Game oder eine App machen an sich noch kein verbessertes Bildungsangebot. Aber es gibt hinreichende Gründe für die Erweiterung des Unter- richts durch Apps und Games. Ein wesentliches Argument: Sie können den Unterricht mit der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler ver- binden. Digitale Medien und deren Nutzung sind selbst- verständliche Bestandteile im Alltag junger Menschen. Die Nutzung erfolgt dabei unabhängig vom Bildungsstand oder auch dem kulturellen Hintergrund. Die Motivation der Lernenden steigt massiv, wenn die von ihnen genutz- ten Kommunikationskanäle und Medienformate ebenfalls Teil des Unterrichts werden 1 . Ein weiterer Vorteil digitaler Medien ist, dass sie oft in mehreren Sprachen zur Verfügung stehen. Dies gilt vor al- lem für Bilderbuch-Apps. Gerade für Klassen mit einem großen Anteil an mehrsprachigen Kindern können diese gut eingesetzt werden. Die Effekte sind vielfältig: Zum ei- nen werden die Schüle- rinnen und Schüler in ih- rer Muttersprache ge- stärkt und bestätigt, zum anderen werden das Inte- resse und das Verständnis der Kinder an der Viel- sprachigkeit der Welt ge- weckt. Lehrerinnen und Lehrer sowie Bibliotheksmitarbei- terinnen und -mitarbeiter müssen im Umgang mit digitalen Medien nicht un- bedingt die absoluten Ex- perten sein. Es erscheint vielmehr ratsam, das ge- meinsame Entdecken des digitalen Raumes und den Austausch darüber zu ei- nem Element des Unter- richts zu machen. Dadurch FORUM BIBLIOTHEK UND SCHULE Lernen und Wissensvermittlung mit digitalen Medien Bearbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten auf dem 5. Bayerischen Schulbibliothekstag 2017 in Nürnberg Von Eva Deeg Kinderleicht: Junge Menschen nutzen digitale Medien ganz selbstverständlich.

Lernen und Wissensvermittlung mit digitalen Medien€¦ · 07-12-2018  · gendermaßen: „Das Besondere an dem Newsgame ist nicht der Spaß, sondern das Ziel, den Spieler durch

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Einführung

In den letzten zehn Jahren hat sich die Bildungswelt um-fassend verändert. Die digitale Transformation unsererGesellschaft eröffnet neue Möglichkeiten zur Entwicklungund Nutzung digital-analoger Lernwelten. Basierend aufder Lebensrealität der Lernenden können neue Formate füreinen nachhaltigen und lebendigen Lernprozess entwi-ckelt werden. Dabei geht es nicht um die Ablösung analo-ger Medien. Vielmehr entstehen multioptionale Lern- undErfahrungsräume, mit denen auf die individuellen Kontex-te der Lernenden eingegangen werden kann.

Warum Games und Apps im Unterricht?

In der Diskussion um die Nutzung von Games und Appsim Unterricht und in Lernsituationen wird immer wiedernach dem „Warum?“ gefragt. In der Tat erfüllt die Anwen-dung digitaler Angebote im Unterricht keinen Selbstzweck,

oder anders ausgedrückt: Ein Game oder eine App machenan sich noch kein verbessertes Bildungsangebot. Aber esgibt hinreichende Gründe für die Erweiterung des Unter-richts durch Apps und Games.

Ein wesentliches Argument: Sie können den Unterrichtmit der Lebensrealität der Schülerinnen und Schüler ver-binden. Digitale Medien und deren Nutzung sind selbst-verständliche Bestandteile im Alltag junger Menschen. DieNutzung erfolgt dabei unabhängig vom Bildungsstandoder auch dem kulturellen Hintergrund. Die Motivationder Lernenden steigt massiv, wenn die von ihnen genutz-ten Kommunikationskanäle und Medienformate ebenfallsTeil des Unterrichts werden1.

Ein weiterer Vorteil digitaler Medien ist, dass sie oft inmehreren Sprachen zur Verfügung stehen. Dies gilt vor al-lem für Bilderbuch-Apps. Gerade für Klassen mit einemgroßen Anteil an mehrsprachigen Kindern können diesegut eingesetzt werden. Die Effekte sind vielfältig: Zum ei-

nen werden die Schüle-rinnen und Schüler in ih-rer Muttersprache ge-stärkt und bestätigt, zumanderen werden das Inte-resse und das Verständnisder Kinder an der Viel-sprachigkeit der Welt ge-weckt.

Lehrerinnen und Lehrersowie Bibliotheksmitarbei-terinnen und -mitarbeitermüssen im Umgang mitdigitalen Medien nicht un-bedingt die absoluten Ex-perten sein. Es erscheintvielmehr ratsam, das ge-meinsame Entdecken desdigitalen Raumes und denAustausch darüber zu ei-nem Element des Unter-richts zu machen. Dadurch

FORUMBIBLIOTHEK UND SCHULE

Lernen und Wissensvermittlung mit digitalen MedienBearbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten auf dem 5. Bayerischen

Schulbibliothekstag 2017 in Nürnberg

Von Eva Deeg

Kinderleicht:

Junge Menschen nutzen

digitale Medien

ganz selbstverständlich.

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BIBLIOTHEKSFORUM BAYERN 13 | 2019

ergibt sich ein Gefühl der Augenhöhe zwischen Lehrerin-nen und Lehrern, Lernenden, Bibliotheksmitarbeiterinnenund -mitarbeitern sowie Eltern und somit eine Stärkungder Schülerinnen und Schüler, die ihre Lebensrealitätenund Interessen anerkannt sehen. Die damit vielleicht ver-bundene Wandlung der Rollen kann etwas sehr Motivie-rendes sein. Wenn Schülerinnen und Schüler ihr Wissenund ihre Erfahrungen aus dem digitalen Raum weiterge-ben, werden aus den Lernenden Lehrende und umgekehrt.

Was spricht noch für die Erweiterung des Unterrichtsdurch Apps und Games? Die digitale Transformation unse-rer Gesellschaft hat gerade erst begonnen. Wir benötigenaktive Gestalter des digital-analogen Lebensraumes.Durch die Nutzung von Games und Apps können sichSchulen und Bibliotheken als Innovationsträger positio-nieren und damit einen weiteren Mehrwert für unsere Ge-sellschaft leisten, indem sie Menschen ausbilden, die sichim digitalen Raum selbstverständlich und vor allem souve-rän und kompetent bewegen können.

Welches Spiel oder welche App tatsächlich im Unterrichteingesetzt wird, ist eine individuelle Entscheidung derLehrkraft. Keinesfalls sollten Spiele und Apps als reine „Be-schäftigungsmöglichkeit“ eingesetzt werden, sondern im-mer pädagogisch begleitet werden. Nachfolgend werdendrei Beispiele von Apps und Spielen aufgezeigt, deren Ein-satz im Unterricht sinnvoll erscheint.

Konkrete Beispiele für Apps und Spiele

Die App „Die große Wörterfabrik“, die auf dem gleichna-migen Bilderbuch von Agnès de Lestrade basiert, hat be-reits jetzt den Status eines Klassikers erreicht. Erzählt wirddie Geschichte eines Landes, in dem man die Wörter erstkaufen und schlucken muss, bevor man sie aussprechenkann. Die Wörter haben unterschiedliche Preise und dasSprechen ist teuer. Sprache wird damit zu etwas sehrWertvollem und ist weder selbstverständlich noch frei zu-gänglich. Auch die Bilderbuch-App kommt, wie das Buchselbst, mit wenig Text aus, der mit Illustrationen untermaltist. Die App ist angereichert mit kleinen Animationen und

Spielen, die die Geschichte unterstützen und nicht „über-lagern“. Die App kann auch in englischer und französischerSprache abgespielt werden und ist somit ebenfalls imFremdsprachenunterricht gut einsetzbar.

Der Inhalt bietet viele Anlässe, um über das Thema„Sprache“ zu sprechen. Wie wertvoll ist Sprache? Wie wärees, wenn man keine Wörter hätte und wie kann man auchin unserer Gesellschaft in eine Situation geraten, in der ei-nem die Worte fehlen? Wie kann man kommunizieren,wenn man keine Sprache hat? Das sind nur einige Fragen,die man mit den Schülerinnen und Schülern im Kontextdieser App besprechen kann. Die kleinen Animationen undSpiele geben die Möglichkeit, „Vergessene Wörter“ aberauch „Böse Wörter“ oder „Lustige Wörter“ kennenzulernenund so den Wortschatz zu erweitern. Für die Klassenstufen1 bis 4 ist die App vielfältig einsetzbar und ermöglicht An-schlussaktionen. Die Stadtbücherei Frankfurt hat im Rah-men ihres Formats „#iPÄD“ zu dieser App ein passendesKonzept für Gruppen entwickelt, das im Internet abrufbarist.²

Auch der Online-Dienst Instagram, ein Produkt desFacebook-Konzerns, kann sinnvoll in der Schule eingesetztwerden, beispielsweise im Kunstunterricht. Instagram ba-siert auf dem Austausch selbstgemachter Fotos und ist imAlltag der Jugendlichen fest verankert. Warum nicht maldas „Musée d´Orsay“ auf Instagram besuchen, diskutieren,wie hier Kunstwerke präsentiert werden oder aber auchüber die Art und Weise nachdenken, wie sich die Einrich-tung „Museum“ auf solch einer Plattform darstellt. Auchdas „Museum of Modern Art“, das „British Museum“ oderdie „Pinakotheken“ sind hier vertreten und geben Einblickein ihre Sammlungen, Ausstellungen und den Museumsall-tag. Auch können in Zusammenhang mit Instagram mitden Schülerinnen und Schülern Aspekte besprochen wer-den, die sie unmittelbar persönlich betreffen, wie etwaSelbstdarstellung, das Recht am eigenen Bild, Spuren imInternet oder die Manipulation von Bildern.

Das Computerspiel „Papers, Please“ behandelt unter an-derem die aktuellen Themen Migration, Grenzen und Will-kür des Staates. Der Spieler findet sich in der Rolle eines

Lehrende und Lernende –

die Rollen können sich bei

digitalen Lernmitteln auch

mal umkehren.

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Grenzkontrolleurs, der diese Aufgabe per Lotterie vomStaat zugewiesen bekam und täglich darüber entscheidenmuss, welche Personen die Grenze passieren dürfen. DieEinreisebedingungen werden vom fiktiven Staat fast täg-lich verändert. Die Bezahlung des Spielers hängt unter an-derem von der Anzahl der abgefertigten Personen ab,Fehlentscheidungen wirken sich auf die Entlohnung aus.Der Lohn hat wiederum Einfluss darauf, ob der Spieler sei-ner Familie Nahrung, Medikamente oder andere lebens-wichtige Dinge kaufen kann.

Das Spiel ist bezüglich der Grafik sehr abstrakt gehalten,der Sound düster und militärisch, was die unangenehmeSpielsituation noch unterstreicht. Die pädagogische Infor-mationsplattform Spieleratgeber-NRW beschreibt es fol-gendermaßen: „Das Besondere an dem Newsgame istnicht der Spaß, sondern das Ziel, den Spieler durch die mo-noton und eintönig dargestellten Spielinhalte mit einemunguten Gefühl zu entlassen. Hierdurch soll die Wichtig-keit der angesprochenen Themen betont werden.“3 Mitt-lerweile ist das Spiel auch in deutscher Sprache verfügbar,aufgrund der Themen definitiv ein Spiel für ältere Schüle-rinnen und Schüler (für Jugendliche ab 16 Jahren empfoh-len).

Nötige Rahmenbedingungen für den Einsatz digitaler Medien

Zu einem umfassenden pädagogischen Konzept und zurBereitstellung der notwendigen Rahmenbedingungen ge-hört die Technik in Form von Hardware, also Geräten sowieWIFI. Ebenso wird ein Gerätemanagement benötigt, dasauch die Accounts verwaltet und Updates sicherstellt.Guthabenkarten für den Kauf von kostenpflichtigen Apps,kostenpflichtigen Zusatzfunktionen oder Games sindebenso notwendig, da es selten institutionseigene Kredit-karten gibt. Gegebenenfalls wird auch ein Sicherheitssys-tem benötigt, um Diebstahl und Vandalismus zu verhin-dern.

Die beste Technik nützt jedoch nichts, wenn das dafürnotwendige Know-how nicht vorhanden ist. Dies betrifftsowohl die Nutzung der Geräte als auch die der Apps undGames und insbesondere das Wissen um eine sinnvolle

Anwendung dieser Angebote im Kontext der Bildungsar-beit. Dieses Know-how muss aufgebaut und kontinuierlichausgebaut werden. Denn die Plattformen und Angeboteunterliegen sehr kurzen Innovationszyklen und auch diepädagogischen Formate werden stetig weiterentwickelt.Entscheidend ist auch die Unterstützung des Themas imKollegenkreis beziehungsweise im gesamten Umfeld. Zielist dabei, dass die Nutzung digitaler Medien im Unterrichtselbstverständlich wird.

Eines der wichtigsten Dinge in diesem Kontext ist abersicherlich das kontinuierliche Ausprobieren von verschie-densten Angeboten. Nicht mehr nur Lesen und Schreiben,sondern auch der Umgang mit digitalen Medien gehört zuden Schlüsselqualifikationen im Bildungssektor. Die eige-ne Neugier und die Freude an den Inhalten in den ver-schiedensten Medienformen ist die Basis für den Erfolg.Abschließend soll hier ein Zitat aus dem Strategiepapierder Kultusministerkonferenz „Bildung in der digitalenWelt“ von 2016 aufgeführt werden: „Da die Digitalisierungauch außerhalb der Schule alle Lebensbereiche und – inunterschiedlicher Intensität – alle Altersstufen umfasst,sollte das Lernen mit und über digitale Medien und Werk-zeuge bereits in den Schulen der Primarstufe beginnen.“4

Anmerkungen

www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/PresseUndAktu1.elles/2017/2017-12-12_Digitalisierung_Schule_TUM_ZIB_Pilotsynthese.pdf, letzter Zugriff am 12.07.2018www.frankfurt.de/sixcms/detail.php?id=2966&_ffmpa2.r%5B_id_inhalt%5D=29283863, letzter Zugriff am16.01.2019www.spieleratgeber-nrw.de/Papers-Please.4377.de.1.3.html, letzter Zugriff am 02.07.2018www.kmk.org/presse/pressearchiv/mitteilung/strate-4.gie-bildung-in-der-digitalen-welt.html, letzter Zugriffam 16.01.2019

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DIE AUTORIN:

Eva Deeg ist Lesebeauftragte der Schulbibliothekarischen Arbeitsstelle der

Stadtbibliothek im Bildungscampus Nürnberg.

Digital oder analog lernen?

Am besten beides!

FORUMBIBLIOTHEK UND SCHULE

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