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Die Leseprobe zur neuen Liebesroman-Serie von Katja - Martens. Erschienen bei MY DIGITAL GARDEN - Wo gute Geschichten wachsen.
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KATJA MARTENS
VIER PFOTEN FÜR JULIA
Feuerprobe Roman
my digital garden
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Originalausgabe 2014 Copyright © 2014, my digital garden UG (haftungsbeschränkt), Potsdam
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages und der Autorin wiedergegeben und verbreitet werden.
Lektorat: Ulrike Strerath-‐Bolz
Titelabbildung: Lana K (Mädchen), Eric Isselee (Hund), greenland (Zettel)
Vignette: WilleeCole Photography www.shutterstock.com
ISBN: 978-‐3-‐945690-‐01-‐7
Mehr gute Bücher finden Sie unter:
www.my-‐digital-‐garden.de
Immer auf dem Laufenden unter: www.facebook.com/mydigitalgarden www.twitter.com/mydigitalgarden
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Kauf einen jungen Hund und du wirst für dein Geld wild entschlossene Liebe bekommen.
Rudyard Kipling
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Prolog Rote Welle! Ungeduldig trommelte Julia Sperling mit den Fingern auf das Lenkrad. Vor ihr staute
sich der Verkehr. Bremslichter und rote Ampeln schimmerten durch das Grau des Nieselregens. An diesem Nachmittag schien alles, was Räder hatte, auf den Berliner Straßen unterwegs zu sein. Quälend langsam wälzte sich der Verkehr den Hohenzollerndamm hinunter. Julia hatte geschlagene zehn Minuten für eine Strecke von fünfzig Metern gebraucht. Wenn das so weiterging, würde sie es nie rechtzeitig zu ihrer Prüfung schaffen! Irgendwo schrillte eine Hupe. Offenbar war einem Autofahrer der Geduldsfaden
gerissen. Oder hatte es einen Unfall gegeben? Julia beugte sich über ihr Lenkrad und spähte durch die Windschutzscheibe nach vorn, aber außer Kolonnen von Fahrzeugen konnte sie nichts erkennen. Ein Radfahrer schob sich rechts an den wartenden Autos vorbei und erntete ein Hupkonzert. Ungerührt setzte er seine Fahrt fort, den Kopf tief über den Lenker gebeugt. Bis zum Veterinärmedizinischen Institut der Freien Universität Berlin war es
normalerweise von Julias Wohnung aus eine Fahrt von zwanzig Minuten. Plus Parkplatzsuche. An diesem Tag würde sie allerdings dreimal so lange brauchen – und das auch nur, wenn diese verflixte Ampel da vorn endlich auf Grün schaltete. Ansonsten sah es finster aus. Stockfinster. Dabei war Julia extra zeitig losgefahren. Rasch überschlug sie die Zeit im Kopf. Ihr
blieb noch eine knappe Stunde bis zu ihrer Prüfung. Das konnte reichen. Gerade so … Ich hätte doch die S-‐Bahn nehmen sollen, warf sie sich in Gedanken vor, dann wäre ich
längst da. Bei diesem Wetter hatte sie nicht zur Bahnstation laufen wollen, um nicht nassgespritzt vor den Prüfern zu stehen, aber das wäre ihr jetzt auch egal. Sie trank einen Schluck Kaffee und stellte den Thermobecher wieder in die Halterung
neben dem Lenkrad. Im selben Moment sprang die Ampel vor ihr auf Grün. Endlich! Julia legte den ersten Gang ein, machte sich bereit – und seufzte, als sich das Auto vor ihr keinen Millimeter von der Stelle bewegte. Warum ging es denn nicht weiter? Es war doch grün! Es zuckte ihr in den Fingern, auf die Hupe zu drücken und ihrer Anspannung Luft zu machen, aber sie konnte sich noch zurückhalten. Sicherlich blieben die Autos vor ihr nicht aus Lust und Laune stehen. Vermutlich reichte der Rückstau über die nächste Kreuzung hinaus. Sie hatte keine andere Wahl, als sich in Geduld zu üben. Und das ausgerechnet heute! Kurz vor der letzten mündlichen Prüfung ihrer gesamten Studienlaufbahn! Ihr Mobiltelefon meldete sich mit den ersten Takten der Filmmusik aus Rocky. Dieser
Klingelton war für ihre beste Freundin reserviert. Carola Aldag war Journalistin und stürzte sich am liebsten kopfüber in immer neue Abenteuer – fest davon überzeugt, dass am Ende immer alles gut ausgehen würde. Als Journalistin war Carola ständig auf Achse, aber das tat der Freundschaft keinen Abbruch. Sie telefonierten mehrmals in der Woche und trafen sich, wann immer es ihre Zeit erlaubte. Julia drückte den Sprechknopf der Freisprecheinrichtung. Im nächsten Augenblick
war eine helle Frauenstimme zu hören, die sich gut gelaunt erkundigte: »Hallo, Julia, wartest du schon in den heiligen Hallen der Uni auf deine Prüfung?«
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»Schön wär‘s.« Julia winkte ab, auch wenn ihre Freundin das durch das Telefon hindurch nicht sehen konnte. »Ich stehe noch im Stau.« »Ach herrje. Na, dann kann ich dir wenigstens in aller Ruhe viel Glück wünschen. Was
bist du eigentlich nach deinem Abschluss? Dr. med. biss? Oder Dr. vier. beiner?« »Wohl eher Dr. beiß.mich.nicht.« »Klingt nach einem guten Buchtitel.« Ihre Freundin lachte. »Und wie heißt es nun
richtig?« »Doktor medicinae veterinariae. Oder abgekürzt: Dr. med. vet.« »Hört sich kompliziert an, aber du hast ja auch lange genug dafür gearbeitet.« »Wem sagst du das.« Julia dachte an die Jahre, die hinter ihr lagen. Sie hatte
Veterinärmedizin studiert, nebenbei gefühlte hundert Nebenjobs gehabt und schließlich ihre Doktorarbeit zum Thema »Eutergesundheit und Antibiotikaeinsatz beim Rind« geschrieben. Nun stand ihr noch eine mündliche Prüfung bevor, bevor sie ihre Dissertation verteidigen konnte. Danach war es geschafft. Sobald sie ihren Titel hatte, konnte sie endlich mit ihrem Verlobten die gemeinsame Praxis für Kleintiere aufmachen, von der sie schon so lange träumten … »Und du willst wirklich eine Gemeinschaftspraxis mit deinem Schatz aufmachen?«,
hakte Carola nach. »Natürlich. Das planen David und ich schon lange. Er wird seinen Job in der Tierklinik
kündigen, um ab Oktober mit mir zusammenzuarbeiten.« »Aber dann werdet ihr euch jeden Tag von früh bis spät sehen. Macht dir das keine
Angst?« »Warum denn? Ich freue mich darauf!« »Es wird keine Geheimnisse mehr zwischen euch geben. Keinen Raum für euch allein.
Ihr werdet ständig aufeinander hocken.« »Genau das wollen wir auch.« »Wenn du dich darauf einlässt, wird dein Leben verplant sein. Dann kannst du nicht
mehr zurück. Du bist jetzt siebenundzwanzig und kennst nur dein Heimatdorf und die Uni. Willst du nicht erst mal was von der Welt sehen und Abenteuer erleben, ehe du dich für den Rest deines Lebens festlegst?« »Ich liebe David, und ich bin mir sicher bei ihm. Mir bereitet es nur Magendrücken,
dass wir einen hohen Kredit aufnehmen müssen, um die Praxis kaufen und einrichten zu können. Das ist ein großer Schritt, aber wir sind so weit, ganz bestimmt.« »Was ist mit deinem Traum, Nutztiere zu behandeln? Du liebst es, dich um Rinder,
Kühe und Schweine zu kümmern. Stallgeruch und Gummistiefel sind deine Welt. Sogar deine Doktorarbeit hast du über Kühe geschrieben. Und jetzt willst du eine Praxis für die Haustiere der Schönen und Reichen eröffnen? Das passt doch gar nicht zu dir.« »Ich … Warte kurz, ja?« Der Wagen vor Julia setzte sich in Bewegung. Sie gab Gas und
nahm sich ein wenig Zeit zum Nachdenken. Ihre Freundin hatte den Finger direkt in die Wunde gelegt. Früher hatte Julia tatsächlich geplant, in einer Praxis für Nutztiere zu arbeiten, aber ihr Verlobter hatte sie davon überzeugt, dass es besser war, sich um Haustiere zu kümmern, als sich tagaus, tagein im Stall im Seele aus dem Leib zu schwitzen, Kühe zu besamen und Kälbern auf die Welt zu helfen. David plante eine Praxis in einem Nobelviertel, mit der sie sicher ein gutes Auskommen haben würden. Sie würden eine gemeinsame Praxis eröffnen, heiraten und eine Familie gründen. Alles war gut. Julia nickte kaum merklich vor sich hin. »Ich bin mir sicher, dass wir das Richtige tun, Caro.«
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»Na gut, aber vergiss nicht, was Shirley MacLaine gesagt hat.« »Die Schauspielerin?« »Genau. Eine lebenskluge Frau, wenn du mich fragst. Sie hat mal gemeint: ‘Je mehr ich
über Männer in Erfahrung bringe, desto mehr liebe ich meinen Hund.’« Julia lachte leise. »Weiß Erik, dass du so denkst?« »Wer?« »Erik, dein Freund.« »Wer?« »Dein … Oh! Sag bloß, ihr habt euch getrennt?« »Gestern Abend. Er wollte, dass ich seine Eltern kennenlerne. Da wusste ich, dass es
Zeit wird, die Sache zu beenden.« »Ach, Caro.« Julia verdrehte die Augen. Ihre Freundin war ständig verliebt, aber ihre
Beziehungen hielten nie länger als ein paar Wochen. Manchmal fragte sie sich, ob ihre Freundin je den Mann kennenlernen würde, der es verstand, sie zu halten. »Lass uns nicht über Vergangenes reden, sondern lieber deine Prüfung feiern. Wie
wäre es gleich heute Abend?« »Nicht so voreilig. Was ist, wenn ich durchfalle?« »Dann werden demnächst die Steuern abgeschafft.« Ein Lächeln schwang in der
Stimme der Journalistin mit. »Wie wäre es mit einem Abendessen im Lucky Leek?« »Hört sich gut an.« Das Lucky Leek war ein angesagtes Lokal, in dem nur vegetarische
Speisen serviert wurden. Wie jeder angehende Tierarzt hatte auch Julia ein Praktikum in einem Schlachthof absolvieren müssen. Damals hatte sie Pech gehabt und war in einer Einrichtung gelandet, die ihr zahllose Albträume und schlaflose Nächte beschert hatte. Seitdem ernährte sie sich ausschließlich vegetarisch – sehr zum Verdruss ihrer Freundin, die ein gutes Steak durchaus zu schätzen wusste. Unterdessen hatte sich die Autokolonne wieder in Bewegung gesetzt und brachte es
auf knapp vierzig Stundenkilometer. Julia setzte den Blinker, weil sie in die Potsdamer Straße abbiegen wollte. Im selben Augenblick schoss rechts ein Radler an ihr vorbei, kreuzte vor ihr und zwang sie zu einer Vollbremsung. Im nächsten Moment geschahen mehrere Dinge auf einmal: Julias Auto kam mit einem Ruck zum Stehen. Ein Schwall Kaffee schwappte aus dem Becher auf ihre weiße Hose. Julia fluchte unterdrückt. Das nicht auch noch! »Was ist?«, erkundigte sich ihre Freundin. »Ein Radfahrer ist vor mir über die Straße gerast. Ich konnte gerade noch bremsen.« »Diese Lebensmüden. Du, ich muss jetzt los. Hab einen Termin mit einem Reeder von
der Spreeschifffahrt. Melde dich, wenn du es überstanden hast, ja?« »Mach ich. Bis später.« Julia drückte den Knopf an der Freisprecheinrichtung und
beendete das Gespräch. Dann betrachtete sie den Fleck auf ihrer Hose. So konnte sie unmöglich bei ihrer Prüfung aufkreuzen, aber die Zeit war zu knapp, um zurück nach Hause zu fahren und sich umzuziehen. Was tun? David!, fiel es ihr ein. Ihr Verlobter wohnte in Zehlendorf, nur zwei Straßen entfernt.
Julia hatte nicht nur einen Schlüssel für seine Wohnung, sondern auch ein paar Kleidungsstücke bei ihm deponiert, weil sie häufig bei ihm übernachtete. Das war nun ihre Rettung! Kurzentschlossen bog sie in die Onkel-‐Tom-‐Straße ein und stand wenig später vor
dem weißen Mietshaus, in dem ihr Verlobter wohnte. Endlich schien sich das Blatt zu
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wenden, denn sie hatte Glück und fand einen freien Parkplatz unmittelbar vor dem Haus. Sie eilte hinein, nahm sich jedoch nicht erst die Zeit, auf den Fahrstuhl zu warten. Stattdessen stürmte sie – immer zwei Stufen auf einmal nehmend – die Treppe in den zweiten Stock hinauf und schloss die Wohnungstür auf. Sie musste lächeln, als sie den Duft von Roiboostee mit einem Hauch Vanille wahrnahm. David hatte eine Schwäche für das Getränk, und offenbar war er daheim. Julia schlug die Wohnungstür hinter sich zu. »Hallo?«, rief sie und steuerte das
Schlafzimmer an. Die Tür schwang so unvermittelt vor ihr auf, dass sie erschrocken zurückprallte. »Huch! Du bist aber stürmisch!« David trat ihr entgegen und starrte sie stumm an. Er trug nichts als ein Handtuch um
die Hüften. Seine Haut war sommerlich gebräunt. Kräftige Muskeln spielten darunter und verrieten, dass er viel Zeit auf dem Tennisplatz verbrachte. Seine blonden Haare waren kurz geschnitten und ringelten sich noch feucht von der Dusche. »Was machst du denn hier?«, stieß er rau hervor. »Ich dachte, du hättest jetzt deine Prüfung.« »Hab ich auch gleich, aber mir ist auf dem Weg ein Missgeschick passiert. Ich muss
mir eine saubere Hose anziehen, dann bin ich schon wieder weg. Und du? Warum bist du heute so früh daheim? Bist du krank?« »Nein, ich habe nur früher Feierabend gemacht.« Er trat einen Schritt auf Julia zu und
wollte die Schlafzimmertür hinter sich zudrücken, aber sein Handtuch verhedderte sich. Er fluchte unterdrückt und zerrte an dem Stoff, dabei konnte er gerade noch verhindern, dass seine letzte Hülle fiel. Die Tür blieb jedoch einen Spalt weit offen. Aus dem Schlafzimmer drangen gedämpfte Jazzklänge. »Warum bist du denn so nervös? Hast du etwa eine andere Frau in deinem Bett?«,
lachte Julia. »Wo denkst du hin?« Davids Gesicht färbte sich ein wenig dunkler. »Natürlich nicht.« Julia wollte noch etwas sagen, aber in diesem Augenblick bemerkte sie eine
Bewegung im Schlafzimmer. Genauer gesagt: im Bett. Offenbar war ihr Verlobter doch nicht so allein, wie er gerade behauptet hatte. Sie erstarrte und sah ihn ungläubig an. Dann drückte sie die Tür auf und erhaschte einen Blick auf nackte Haut, verlegen blickende braune Augen und einen Dreitagebart. Offenbar hatte David nicht gelogen: Es lag tatsächlich keine andere Frau in seinem Bett. Doch das machte es nicht besser. Julias Kopf war mit einem Mal wie leer gefegt. Sie konnte nicht denken, nichts sagen,
nichts mehr fühlen. Leere breitete sich in ihr aus wie der Nieselregen draußen auf den Straßen. Das war der Moment. Der Moment, in dem die Erde plötzlich aufzuhören schien, sich zu drehen …
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1 »Wenn möglich, bitte wenden!« Die Frauenstimme aus dem Navigationsgerät schien Julia zu verhöhnen. Sie wäre dem
Rat gern gefolgt, wenn sie gewusst hätte, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Seit vier Wochen ging in ihrem Leben alles nur noch schief. Seit ihrer Trennung von David. David! Etwas in ihr krampfte sich bei dem Gedanken an ihn zusammen. All ihre gemeinsamen Pläne und Ziele … dahin! Und nun stieß ihr Navi sie auch noch förmlich mit der Nase darauf. Sie fuhr durch einsame Landstriche, von denen sie noch nie zuvor gehört hatte, und fühlte sich wie Odysseus auf Irrfahrt. Umkehren kam nicht in Frage. Unwillkürlich drückte die junge Tierärztin den Fuß fester auf das Gaspedal. Sie war
auf dem Weg nach Bayern. Der Routenplaner hatte eine Fahrt durch die Tschechische Republik berechnet. Anfangs hatte das auch gut geklappt. Bis nach Prag war die Reise problemlos verlaufen, aber dann hatte eine Baustelle Julia gezwungen, eine Umleitung zu nehmen, und seitdem funktionierte gar nichts mehr. Sie kam durch verschlafene Dörfer, die nur aus einer Handvoll Gehöften bestanden und in denen Hühner über die Straße huschten. Hier und da gab es kleine Läden, über deren Eingangstüren Potraviny stand und die so ziemlich alles anzubieten schienen, was auf dem Land gebraucht wurde. Die Dörfer trugen Namen wie Hvozdnice und Bojanovice, die sich in ihren Ohren eher nach Biersorten anhörten als nach Ortschaften mit pulsierendem Leben. Von hier aus konnte es nicht mehr weit bis zum absoluten Ende der Welt sein. »Wenn möglich, bitte wenden.« Julia stöhnte entnervt. Sie konnte nicht zurück. Das war einfach nicht möglich. Weder
zurück nach Prag noch in ihr altes Leben. Was hinter ihr lag, war unwiederbringlich verloren. Und ihre Zukunft war mehr als unsicher. Alles, was sie noch besaß, waren zwei Reisetaschen und der eiserne Vorsatz, sich nicht unterkriegen zu lassen. Die Szene im Schlafzimmer ihres Verlobten stand ihr noch so deutlich vor Augen, als
hätte sie sich in ihre Netzhaut eingebrannt. David hatte versucht, sich zu rechtfertigen. Angeblich wollte er ihr längst von seiner Neigung erzählen und hatte nur auf den passenden Augenblick gewartet. Aber stimmte das wirklich? Oder hätte er weiterhin mit seiner Lüge gelebt, wenn sie ihn nicht in flagranti erwischt hätte? Warum hatte er Zukunftspläne mit ihr geschmiedet, wenn er die Gesellschaft von Männern bevorzugte? Und warum hatte sie nicht bemerkt, dass da mehr lief zwischen seinem Nachbarn und ihm? Die Fragen ließen Julia keine Ruhe. Natürlich war ihr aufgefallen, dass David in den vergangenen Monaten immer seltener Lust auf Zärtlichkeiten gehabt hatte. Aber sie hatte es auf seinen Stress bei der Arbeit geschoben und war sogar ganz froh darüber gewesen, weil sie nach der Lernerei und ihrer Arbeit abends selbst todmüde war. Sie hatte die Anzeichen übersehen, bis sie buchstäblich dagegengelaufen war. Wie ein Automat war sie zu ihrer Prüfung gefahren – und hatte bestanden. Im
Nachhinein konnte sie sich weder an die Fragen noch an ihre Antworten erinnern. Sie hatte nur noch funktioniert. Danach war sie zusammengebrochen. Sie hatte sich tagelang daheim verkrochen, geweint und die Gilmore Girls auf DVD rauf und runter geschaut. Und sie hatte niemandem die Tür geöffnet. Nicht einmal Carola. Irgendwann hatte sie sich dabei ertappt, wie sie zum Telefon gegriffen hatte, als im Fernsehen eine Wahrsagerin ihre Dienste angeboten hatte. Eine leise Hoffnung hatte sie veranlasst, die
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Hellseherin zu fragen, ob es für David und sie nicht doch eine gemeinsame Zukunft gab. Das hatte den Ausschlag gegeben. An diesem Punkt hatte sie eingesehen, dass es nur zwei Optionen für sie gab: Sie konnte im Bett bleiben und früher oder später verhungern oder sich der Zukunft stellen und das Beste aus dem Durcheinander machen, zu dem ihr Leben geworden war. Julia hatte sich entschieden. Das Thema Männer war für sie abgeschlossen. Sie hatte die Nase voll. Auf keinen Fall
würde sie sich noch einmal verletzlich machen und jemandem ihr Herz öffnen. Nein, sie hatte ihre Lektion gelernt. Liebe brachte einem nichts als Leid ein. So war es und nicht anders. All diese Hollywoodromanzen waren nichts als Augenwischerei. Im Kino wurde nach dem Happy End ausgeblendet, damit die Zuschauer nicht sahen, was danach kam: Tränen. Betrug. Und späte Reue. Damit war sie fertig. O ja. Eine Gemeinschaftspraxis mit David war nicht mehr möglich, deshalb hatte Julia
beschlossen, erst einmal als Springer zu arbeiten. Sie würde die Vertretung für Kollegen übernehmen, die ihrer Arbeit eine Zeitlang nicht nachgehen konnten oder wollten. Auf diese Weise würde sie nicht nur Berufserfahrungen sammeln, sondern auch herumkommen. Und genau das brauchte sie jetzt. Auf keinen Fall wollte sie in Berlin bleiben, wo sie David ständig über den Weg laufen konnte! Ihr erster Einsatz führte sie nach Philippsreut. Der Tierarzt des Dorfes lag nach einem Autounfall im Krankenhaus, deshalb wurde
für seine Praxis eine Vertretung gesucht. Julia hatte den Auftrag angenommen. Philippsreut war ein Feriendorf im Bayerischen Wald, kurz vor der tschechischen Grenze. Sie hatte bei Google nachgeschaut und gelesen, dass der Ort auf einem freien Höhenrücken lag und deshalb einem ausgesprochen rauen Klima ausgesetzt war. Ein kalter Nordostwind war typisch für diese Gegend. Und wenn schon, dachte Julia verbissen. Das kann auch nicht schlimmer sein, als den
eigenen Verlobten mit seinem Nachbarn im Bett zu erwischen. Ihr Navigationsgerät hatte die Versuche, sie zur Umkehr zu bewegen, eingestellt und
eine neue Route berechnet. Nach einer Weile gelangte Julia wieder zur Route 4. Die Fernstraße würde sie fast bis an ihr Ziel führen. Philippsreut war der erste Ort hinter der Grenze, spulte sie in Gedanken das Gelesene
ab. Seine Geschichte reichte bis ins 17. Jahrhundert zurück. Damals war die Gegend noch ein Urwald gewesen. Siedler hatten die Erlaubnis bekommen, dem Forst Boden zur landwirtschaftlichen Nutzung abzuringen. Sie hatten im Auftrag von Johann Philipp Graf von Lamberg gerodet – oder gereutet, wie man damals gesagt hatte. Zu Ehren des Fürstbischofs war das Dorf Philippsreut genannt worden und bot inzwischen knapp siebenhundertzwanzig Menschen eine Heimat. Die Fahrt hatte länger gedauert, als Julia vermutet hatte. Als sie sich ihrem Ziel näherte, ging es bereits auf den Abend zu. Mit der Dunkelheit zog Nebel auf. Er legte sich über den Wald wie ein grauer Mantel und kroch durch die Straßen und Gassen. Julia stoppte vor einem rustikalen Bauernhaus und verglich die Hausnummer mit der Anschrift in ihrem Auftragsschreiben. Ja, sie war am Ziel. Das Gehöft wirkte so, als wäre es einem Heimatroman entstiegen. Es bestand aus
einem Haupthaus und einem daran anschließenden kleineren Anbau. Während die untere Etage weiß getüncht war, war die obere Etage mit Holz verkleidet. Moos bedeckte das schräge Dach. Ein Balkon mit Geranienkästen führte um das Gebäude
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herum; die Blumen ragten im Nebel wie gespenstische Finger aus der Erde. Ein Bach floss an dem Grundstück vorbei und speiste einen Teich, hinter dem der Wald begann. Idyllisch war es. Und kalt. Verflixt kalt. Der Nebel wurde immer dichter und machte die Luft schwer und feucht. Julia fröstelte, als sie ausstieg und auf die Haustür zuging. Sie atmete noch einmal tief durch – und presste den Daumen auf die Klingel. Kurz darauf waren aus dem Inneren des Hauses Schritte zu hören. Dann schwang die
Tür auf, und eine Frau im Dirndl erschien. Ihre grauen Haare waren zu Zöpfen geflochten und am Hinterkopf hochgesteckt. Als sie lächelte, gruben sich Falten in ihr Gesicht ein. »Griaß di!«, sagte sie. »Konn i dia heifd? Hosd di verlaffa?« »Äh …« Julia hatte kein Wort verstanden und sah ihr Gegenüber ratlos an. »Des Hotl is glei de Strass runta.« »Hotel?«, riet Julia drauflos. »Ich möchte nicht zum Hotel. Mein Name ist Julia
Sperling. Ich soll Doktor Tetzner vertreten.« »Du bist die Tierärztin?« Die Fremde sprach langsam und bemühte sich offenbar,
hochdeutsch zu sprechen. Dabei war ihre Sprache immer noch bayerisch gefärbt. Sie musterte Julia zweifelnd. Offenbar war eine junge Frau in einer zerknitterten Bluse und einer nach der langen Fahrt nicht mehr so ganz fleckenfreien Hose nicht das, was sie erwartet hatte. Beide Kleidungsstücke waren Julia in den vergangenen Wochen zu groß geworden und hingen an ihr herab wie Sackleinen. Einige braune Haarsträhnen hatten sich widerspenstig aus dem Knoten gelöst und ringelten sich in ihr schmales Gesicht. Bevor sich die Fremde von ihrem Erstaunen erholen konnte, knirschten Schritte
hinter Julia im Kies. Ein Mann stapfte die Auffahrt herauf. Er hatte abgewetzte Gummistiefel und Arbeitshosen an, die wohl schon zahllose Einsätze im Stall mitgemacht hatten. Durch ein Loch blitzte eine Ringelsocke hervor. Als er den Kopf hob, leuchteten eisgraue Augen unter seiner Hutkrempe. Sein Gesicht war von Wind und Wetter gegerbt. Das machte es schwer, sein Alter zu schätzen. Er konnte fünfzig, aber auch siebzig Jahre alt sein. »Griaß dia, Elfi«, schnarrte er. »Ist der neue Viechdokter endlich angekommen? Meine
Nannei liegt fest.« »Ich bin die Tierärztin«, sagte Julia und streckte dem Fremden die Hand hin. »Du?« Er übersah ihre ausgestreckte Rechte und zog die buschigen Augenbrauen bis
zum Haaransatz hoch. Er war nun schon der zweite Dorfbewohner, der Julia duzte. Das schien hier gang und
gäbe zu sein und würde sie nicht weiter stören. Zumindest nicht so sehr wie die Zweifel, die man hier an ihr hatte. »Ich bin Tierärztin«, wiederholte sie. »Und ich vertrete Doktor Tetzner.« »Naa, du bist ja kaum aus dem Windelalter raus.« Der Fremde schabte seinen Bart.
»Ich brauche einen richtigen Viechdokter für meine Nannei.« Julia widerstand dem Impuls, ihre Promotionsurkunde aus der Tasche zu holen.
Vermutlich würde ihn ein Stück Papier genauso wenig beeindrucken wie ihr Titel. »Ich nehme an, Nannei ist eine Ihrer Kühe?« »Freilich. Was denn sonst?« »Geben Sie mir fünf Minuten. Ich muss mir nur etwas Ausrüstung in der Praxis
suchen. Dann begleite ich Sie und schaue mir Ihre Kuh einmal an.« »Naa, is scho recht.« Der Bauer winkte ab, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte
davon, bevor sie noch etwas sagen konnte.
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»Warten Sie doch, bitte!« Julia wollte ihn aufhalten, aber er reagierte nicht. Wenig später hatte ihn der Nebel verschluckt. »Nimm dem Brandl-‐Rupert sein Verhalten nicht übel«, bat die Frau in dem Dirndl. »Er
ist Fremden gegenüber nicht sehr aufgeschlossen.« »Seine Kuh braucht Hilfe. Wenn sie festliegt, bedeutet das, dass sie nicht aufsteht, und
das ist bei Stalltieren ein schlechtes Zeichen. Ich sollte wirklich nach ihr sehen.« »Der Rupert wird dich nicht in seinen Stall lassen.« »Aber …« Ratlos schaute sich Julia um. »Da kannst du nichts machen. Komm erst einmal herein und wärm dich auf. Ich
werde dir dein Zimmer zeigen. Dann mache ich dir etwas zu essen. Ich bin die Elfi Kofler. Ich kümmere mich im Haus um alles.« Die Ältere lächelte herzlich und trat einen Schritt von der Tür zurück, um Julia eintreten zu lassen. Im Inneren des Hauses war es behaglich warm. Holz dominierte die bäuerliche
Einrichtung. In der Diele stand eine Keramikvase mit einem Strauß Herbstastern. Zwischen den bunten Blüten lugten Getreidehalme hervor, die liebevoll arrangiert worden waren. Eine Treppe führte in die erste Etage. »Oben wohnt ein Polizist mit seiner Tochter«, erklärte Frau Kofler. »Und hier unten
im Erdgeschoss sind die Wohnräume unseres Tierarztes und nun auch deine. Du bekommst das Gästezimmer. Es geht nach hinten raus, da hast du es schön ruhig. Die Praxis ist im Anbau untergebracht. Du kannst sie dir morgen früh in aller Ruhe anschauen, wenn du magst.« »Wohnen Sie auch hier, Frau Kofler?« »Ja, unterm Dach. Du kannst mich gern besuchen kommen.« »Vielen Dank. Wissen Sie, wie Doktor Tetzner die Sprechzeiten eingerichtet hat?« »Freilich. Er behandelt überwiegend Nutztiere, deshalb macht er vormittags und
abends seine Runde zu den Höfen. Nachmittags behandelt er Kleintiere in seiner Praxis.« »Gut, dann werde ich es genauso halten.« »Das ist bestimmt kein Fehler.« Die Wirtschafterin nickte zufrieden und führte Julia in
eine gemütliche Bauernküche. Ein großer Herd bildete das Herzstück des Raumes. Vor dem Fenster standen ein
blank gescheuerter Holztisch, eine Eckbank und drei Stühle. Kräuter wuchsen in Keramiktöpfen auf der Fensterbank. Und auf dem Herd köchelte Suppe in einem großen Topf vor sich hin. »Bist du hungrig, Julia? Ich hoffe, du magst Erbseneintopf.« »Ja, sehr sogar, ich würde allerdings vor dem Essen gern meine Sachen aus dem Auto
holen und auspacken.« »Natürlich. Dann werde ich das Essen für dich warmhalten. Frisches Brot ist auch
noch da. Möchtest du einen Becher Tee dazu?« »Das wäre wirklich nett.« Der würzige Duft der Suppe ließ Julias Magen knurren und
erinnerte sie daran, dass sie seit dem Frühstück keinen Bissen zu sich genommen hatte. »Was ist Doktor Tetzner eigentlich genau zugestoßen?« »Oh, das war eine schlimme Sache. Eine wirklich schlimme Sache.« Die Wirtschafterin
ließ sich auf die Eckbank sinken und verschränkte die Hände vor sich auf dem Tisch. Ihr freundliches Gesicht wurde mit einem Mal ganz still und ernst. »Unser Doktor war gerade unterwegs zu einem Hausbesuch, als er überfahren wurde. Dabei wurde er schwer verletzt. Und der Autofahrer … Der Hallodri hat ihm nicht geholfen, sondern ist
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geflüchtet! Kannst du dir das vorstellen? Wer weiß, ob unser Doktor überlebt hätte, wenn ihn der Pfarrer nicht so rasch gefunden und die Rettung gerufen hätte.« »Also war es Fahrerflucht? Das ist ja wirklich schlimm. Wurde der Fahrer denn
inzwischen gefunden?« »Noch nicht.« »Und wie geht es Doktor Tetzner jetzt?« »Er kämpft im Krankenhaus um sein Leben. Die Ärzte sagen mir leider nichts
Genaues, weil ich keine Angehörige bin. Ich weiß nur, dass er im Koma liegt. Und dass es ungewiss ist, ob er …« Frau Kofler brach ab und wischte sich hastig über die Augen. Julia verstand. »Das tut mir sehr leid.« »Er ist ein guter Arzt, weißt du? Er schaut nie auf die Uhr, wenn er gebraucht wird. Er
hat nicht verdient, was mit ihm passiert ist. Nein, wirklich nicht.« Die Wirtschafterin schüttelte bekümmert den Kopf. »Aber er wäre froh, wenn er wüsste, dass sich jemand um seine Patienten kümmert, solange er es nicht kann.« »Ich werde mein Bestes tun, um ihn zu vertreten.« »Dann werde ich dir jetzt dein Zimmer zeigen.« Frau Kofler stemmte sich vom Tisch
hoch und ging Julia voraus zu einem Zimmer am Ende des Flurs. Es war hell und gemütlich eingerichtet. Die Bauernmöbel waren aus Kiefernholz und mit Schnitzereien verziert. Die Bettwäsche war rot-‐weiß kariert. Es gab sogar eine Leseecke mit einem Schaukelstuhl. Und auf dem Tisch stand ein Blumenstrauß als Willkommensgruß. »Vielen Dank, dass Sie alles für mich vorbereitet haben, Frau Kofler«, sagte Julia. »Das
Zimmer ist wirklich behaglich.« »Mei, dafür bin ich doch da.« Die Augen der Älteren leuchteten erfreut auf. »Ich lasse
dich dann mal auspacken. Komm rüber, wenn du fertig bist und essen möchtest, ja?« Julia versprach es und ging zu ihrem Auto, um das Gepäck hereinzuholen. Dabei
wurde ihr bewusst, dass sie unterwegs vergessen hatte, Lebensmittel und Getränke einzukaufen. Um Lebensmittel musste sie sich wohl nicht sorgen, solange Frau Kofler da war, aber Getränke standen auf einem anderen Blatt. Morgen war Sonntag, dann würden die Geschäfte im Dorf wohl kaum geöffnet haben. Vielleicht konnte Frau Kofler ihr auch damit aushelfen, bis sie dazu kam, das Nötigste zu besorgen? Sie brachte ihre Reisetaschen ins Haus und machte noch einmal kehrt, um ihr Auto
abzuschließen. Im Flur wäre sie um ein Haar mit einem Mann zusammengestoßen. »Huch!«, stieß sie erschrocken aus. »Huch?«, echote der Fremde. Er hatte kurze dunkle Haare und sonnengebräunte
Haut. Er war gut einen Kopf größer als Julia und mochte auch einige Jahre älter sein als sie. Sein kariertes Hemd spannte sich um kräftige Muskeln, und sein Gesicht war zu kantig, um wirklich schön genannt zu werden, hatte jedoch etwas Anziehendes. Und seine Augen … Sie waren braun wie dunkle, heiße Schokolade und weckten tief in ihr ein Gefühl von Sehnsucht. Es war so heftig, dass sie unwillkürlich nach Luft schnappte. Er kniff die Lider zusammen und musterte Julia prüfend. »Wie sind Sie denn hier
reingekommen?« »Ich …« Julia wollte etwas sagen, aber ihr Kopf war mit einem Mal wie leer gefegt. »Falls Sie Wertsachen suchen, sind Sie hier an der falschen Adresse.« »Wertsachen?« Julia stutzte. Wofür hielt der Fremde sie? Etwa für eine Einbrecherin?
»Ich will doch nichts stehlen! Ich bin die Vertretung für Doktor Tetzner.« »Sie?« Er sah sie so ungläubig an, als hätte sie behauptet, sie stammte vom Mars.
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»Richtig. Und Sie müssen der Polizist sein, der in der oberen Etage wohnt. Frau Kofler hat mir von Ihnen erzählt.« »Dann hat das schon seine Richtigkeit. Marc Reuther ist mein Name. Doktor Tetzner
ist mein Schwiegervater.« »Oh, davon hat Frau Kofler nichts gesagt. Also wohnen Sie mit Ihrer Familie in der
oberen Etage?« Liebend gern hätte sie gewusst, ob es eine Frau in seinem Leben gab. »Nur mit meiner Tochter.« Sein Gesicht verschloss sich und verbot jedes Nachfragen.
»Wir schätzen unsere Ruhe.« Stör uns bloß nicht, übersetzte Julia seine Worte für sich. Offenbar war ihr
Mitbewohner nicht darauf aus, ihre Bekanntschaft zu vertiefen. Wahrscheinlich würde er sich eher in eine Wanne mit Eiswasser legen, als ihr mit Getränken auszuhelfen. Nun, von seiner Zurückhaltung würde sie sich nicht beeindrucken lassen. Sie war schließlich nicht hier, um Bekanntschaften zu schließen. Sie wollte nur arbeiten und ihre geplatzten Träume vergessen. In letzter Zeit war in ihrem Leben so viel schiefgegangen, dass es von nun an eigentlich nur noch besser werden konnte. Oder etwa nicht?
ENDE DER LESEPROBE