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Aus der Chirurgischen Universitats-Tierklinik Miinchen Vorstand: Prof. Dr. M. Westhues Levallorphan [(-)-3-Oxy-N-allyl-morphinan~- tartrat], ein spezifischer Antagoniat des Morphins und seiner Ilerivate Von R. FRITSCH und H. D. DELLMANN Die Verwendung von Opiaten zu Narkosezwecken ist in der Tiermedi- zin sehr verbreitet. Der durch M o r p h i n - Injektion erziel te Dammerschlaf dient bei Hunden schon seit der Jahrhundertwende zur Schmerzausschaltung bei Operationen. In neuerer Zeit wurde durch die Einfuhrung di:s synthe- tisch hergestellten P o 1 a m i d o n und P o 1 a m i v e t , das bessere Muskel- entspannung und sicherere Wirkung als Morphin zeigte, sowie durch die Kombination desselben mit Megaphen, die Dammerschlafnarkose bei Hun- den sehr verbessert. Auch das D o 1 a n t i n wird in Amerika in einer Dosis von 5-10 mg/kg intramuskular gern zur Narkosepramedikation und als Nar- koseadjuvans bei Hunden verwendet. Dolantin ist zwa r schwacher an- algetisch wirksam als Morphin (etwa 1/10) und ruft auch keinen Danimerschlaf hervor, sondern es wirkt in optimaler Dosierung nur sedativ, jedoch hat es noch Atropin-ahnliche vagolytische Wirkung. Auch beim Pferde haben sich Morphin und Polaniivet als Sedativa und Analgetika bewahrt. Bei Rind und Katze stehen jedoch leider die zerebral erregentlen Eigen- schaften des Morphin und seiner synthetischen Ersatzmittel im Vordergrund und verhindern ihre klinische Verwendung. Bis vor kurzem war es nicht moglich, Komplikationen. die sich bei Un- vertraglichkeit dieser Mittel oder Nichtbeachtung von Kontraindikationen einstellten, sicher erfolgreich und kausal zu bekampfen. Solche Zw ischenfalle gehen vor allem zu Lasten der starken Atemdepression, die stets eine Folge hoherer Dosierungen von Opiaten ist. Auch Vergiftungen durch Ober- dosierung oder falsche Verwendung konnten nur symptomatisch behan- delt werden. In neuester Zeit jedoch wurden spezifische Antidote grgen das Morphin und seine synthetischen Derivate entwickelt, die der Therapie einen bedeut- samen Fortschritt brachten. Zwar berichtete schon im Jahre 1915 POHL (I I) uber N-Allylnorkodein als Antagonist der Morphinvergiftung, doch verhinderte vvohl die damalige Kriegszeit eine Einfuhrung dieses Praparates. Erst 1941 konnte MCCAWLEY c. s. (9) einen neuen Morphin-Antago- nisten darstellen, der sich nach Prufung durch HART (5) und UNNA (12) rasch in den angloamerikanischen Landern einfuhrte. Es handelte s i h dabei um das N-Allyl-nor-morphin, eine Verbindung, die sich chemisch vom Morphin nur durch den Ersatz der N-Methyl-Gruppe durch einen Allyl-

Levallorphan [(—)-3-Oxy-N-allyl-morphinan-tartrat], ein spezifischer Antagonist des Morphins und seiner Derivate

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Aus der Chirurgischen Universitats-Tierklinik Miinchen Vorstand: Prof. Dr. M . Westhues

Levallorphan [(-)-3-Oxy-N-allyl-morphinan~- tartrat], ein spezifischer Antagoniat des Morphins und seiner Ilerivate

Von

R. FRITSCH und H. D. DELLMANN

Die Verwendung von Opiaten zu Narkosezwecken ist in der Tiermedi- zin sehr verbreitet. Der durch M o r p h i n - Injektion erziel te Dammerschlaf dient bei Hunden schon seit der Jahrhundertwende zur Schmerzausschaltung bei Operationen. In neuerer Zeit wurde durch die Einfuhrung di:s synthe- tisch hergestellten P o 1 a m i d o n und P o 1 a m i v e t , das bessere Muskel- entspannung und sicherere Wirkung als Morphin zeigte, sowie durch die Kombination desselben mit Megaphen, die Dammerschlafnarkose bei Hun- den sehr verbessert. Auch das D o 1 a n t i n wird in Amerika in einer Dosis von 5-10 mg/kg intramuskular gern zur Narkosepramedikation und als Nar- koseadjuvans bei Hunden verwendet. Dolantin ist zwa r schwacher an- algetisch wirksam als Morphin (etwa 1/10) und ruft auch keinen Danimerschlaf hervor, sondern es wirkt in optimaler Dosierung nur sedativ, jedoch hat es noch Atropin-ahnliche vagolytische Wirkung.

Auch beim Pferde haben sich Morphin und Polaniivet als Sedativa und Analgetika bewahrt.

Bei Rind und Katze stehen jedoch leider die zerebral erregentlen Eigen- schaften des Morphin und seiner synthetischen Ersatzmittel im Vordergrund und verhindern ihre klinische Verwendung.

Bis vor kurzem war es nicht moglich, Komplikationen. die sich bei Un- vertraglichkeit dieser Mittel oder Nichtbeachtung von Kontraindikationen einstellten, sicher erfolgreich und kausal zu bekampfen. Solche Zw ischenfalle gehen vor allem zu Lasten der starken Atemdepression, die stets eine Folge hoherer Dosierungen von Opiaten ist. Auch Vergiftungen durch Ober- dosierung oder falsche Verwendung konnten nur symptomatisch behan- delt werden.

In neuester Zeit jedoch wurden spezifische Antidote grgen das Morphin und seine synthetischen Derivate entwickelt, die der Therapie einen bedeut- samen Fortschritt brachten.

Zwar berichtete schon im Jahre 1915 POHL (I I ) uber N-Allylnorkodein als Antagonist der Morphinvergiftung, doch verhinderte vvohl die damalige Kriegszeit eine Einfuhrung dieses Praparates.

Erst 1941 konnte MCCAWLEY c. s. (9) einen neuen Morphin-Antago- nisten darstellen, der sich nach Prufung durch HART (5) und UNNA (12) rasch in den angloamerikanischen Landern einfuhrte. Es handelte s i h dabei um das N-Allyl-nor-morphin, eine Verbindung, die sich chemisch vom Morphin nur durch den Ersatz der N-Methyl-Gruppe durch einen Allyl-

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Rest unterscheidet. Dieses Praparat wirkt aui3er gegen Morphin auch gegen die anderen synthetischen Opiate wie Polamidon, Dromoran und Dolantin. Auch in der tierarztlichen Literatur berichteten schon KLAVANO und JOHN- SON (7) uber eine Unterbrechung der Wirkung von Morphin, Methadon ( = Polamidon) und Denierol (= Dolantin) bei Hunden durch das N-Allyl- nor-morphin, das die internationale Bezeichnung Nalorphin erhielt.

Ebenso wie das Nalorphin sich zum Morphium verhalt, so verhalt sich das (-) - 3 - 0 x y - N - a 11 y 1 - m o r p h i n a n - t a r t r a t zu dem unter der Bezeichnung Dromoran (Wz. Roche) bekannten Analgetikum (-)-3- Oxy-N-methyl-morphinan-tartrat. Diese neue Verbindung wurde uns unter der Bezeichnung ,, Allylderivat Ro-1-7700" von der Firma Hoffmann-La Roche zur klinischen Prufung zur Verfugung gestellt. Die internationale Bezeichnung (generic name) ist ,,Levallorphan".

Pharmakologie Das Praparat Ro-1-7700 stand uns in lpromilliger Losung zur Ver-

fugung, die reizlos intravenos, intramuskular und subkutan injiziert wer- den kann.

Levallorphan Dromoran

Trotz seiner chemisch sehr nahen Verwandtschaft zum Dromoran weicht es in seinem pharmakologischen Verhalten vollig von letzterem ab. Wahrend Dromoran eine dem Morphin ahnliche, bezuglich Intensitat und Dauer aber bedeutend starkere analgetische Wirkung besitzt, hat Ro-1-7700 weder schmerzstillende Eigenschaften noch verhalt es sich morphinartig. Es hebt im Gegenteil die charakteristische Morphinwirkung, in erster Linie die Atemdepression, dann auch die Analgesie, vollig auf.

Ro-1-7700 zeihnet sich durch geringe akute Toxizitat aus. Nach Angaben der Firma betragt die mittlere Letaldosis bei intravenoser Injek- tion fur die Maus 42, fur das Kaninchen 17 mglkg, bei subkutaner Injektion bei der Maus 240, bei der Ratte 870 und beim Meerschweinchen 140 mglkg. Subletale Dosen bewirken angestrengte Atmung, der Tod tritt unter Krampfen ein. Bei hohen Dosen ist lediglich leihte Benommenheit der Tiere festzustellen.

BENSON, O'GARA und VAN WINKLE (1) wiesen bei Kaninchen neben der starken Antidoteigenschaft eine sehr geringgradige eigene analgetische Wir- kung des Allyldcrivates nach. Das entsprechende rechtsdrehende Isomere des 3-Oxy-N-allyl-morphinan-tartrates zeigte keinen Morphinantagonismus.

FROMHERZ und PELLMONT (4) zeigten in Tierexperimenten an Ratten und Kaninchen, dai3 Ro-1-7700 den zehnfachen Mirkungsgrad des N-Allyl- nor-morphins besitzt. Zur Aufhebung der Atemdepression sind Dosierungen

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von l / l O o bis l / ~ o o der gegebenen Morphin- bzw. Dromorandosis notig, diese heben jedoch auch gleichzeitig die analgetische Wirksamkeit auf oder schwachen sie erheblich. Auch die Lahmung des peristaltischen Dehnungs- reflexes am Meerschweinchendarm sowie das Schwanzphgnomen bei der Maus und die zerebrale Erregung der Katze nach Morphil-i wurden vollig aufgehoben. Die Letaldosis von Morphinpraparaten an Kaninchen und Mausen, die durch Krampfe bestimmt sei, bleibe jedoch unbeeinflufl't.

MALORNY (8) untersuchte die antagonistische Wirk.ung gegen Er- regungszustande nach Morphin und Dromoran bei Maus und Katze. Er fand bei der Maus das optimale Verhaltnis zur Aufhebung der Morphirierregung bei 1 : 20, zur Beseitigung der Dromoranerregung bei 1 : 8. Die Wirkung der Antagonisten war etwas fliichtiger als die der Morphinkorper und hielt etwas mehr als 2 Stunden an. In einer Dosierung von 0,5 bis 1 mg/k.g konnte bei der Katze die Erregung und die Mydriasis nach 4 bis 8 mg/kg Morphin vollig aufgehoben werden.

Klinische Untersuchungen des (-)-3-Oxy-N-allyl-morphinan~-tartrates fuhrten in der Humanmedizin HOCHULI und KASER (6) und ZINDLER und GANZ (13) durch.

HOCHULI und KASER untersuchten bei Patienten in Pentotha'l-Lachgas- Sauerstoff-Narkose den Antagonismus des Ro-1-7700 auf Atmungs- dampfung nach Morphininjektionen und fanden eine Dosenrelation von 1 : 30 bis 1 : 60 bereits wirksam. Durch Mischspritzen vcm Morphin mit Ro-1-7700 zur Geburtsanalgesie konnte eine Apnoe beim Neugeborenen ver- hindert werden.

ZINDLER und GANZ untersuchten an Freiwilligen den Antago nismus zu hohen intravenosen Dosen von Dromoran, Morphin, Polamidon, ]?antopon, Dilaudid und Cliradon. Nach Verabreichung des Antagonisten im 'Verhaltnis 1 : 10 bis 1 : 30 normalisierte sich die Atmung sofort, es t r a t auch sofortige Weckwirkung ein, die jedoch wieder abklang.

Die W i r k u n g s w e i s e d e r M o r p h i n a n t a g o n i s t e n ist nicht genau bekannt. POHL nimmt eine zentrale Wirkung an, e'benso wie HART und ECKENHOFF ( 3 ) . Es ist durchaus moglich, dafl Morphinantago- nisten die Opiate von gemeinsamen Rezeptoren verdrang;en. A~ich FROM- HERZ und PELLMONT vermuten eine Konkurrenzhemniung ebenso wie MALORNY, der auf Grund der ahnlichen Struktur und der pharmako- logischen Verwandtschaft Verdrangungsreaktionen an spezifischen Rezepto- ren an interneuralen Schaltstellen im Bereich der zentralnervosen Leitungs- bahnen fur wahrscheinlich halt.

Die A u s s c h e i d u n g von Ro-1-7700 untersuchten neben anderen Substanzen der Morphinreihe BROSSI, HAFLIGER und SCI-INIDER (2) durch papierchromatische Bestimmung. Im Blut lieflen sich keine, im Kot nur sehr geringe Mengen der Verbindung nachweisen. Im Harn wird sie zu 1,6 bis 3 O / O ausgeschieden. Abbauprodukte konnten nicht gefunden werclen.

Eigene Untersuchungen

Zur Priifung auf Nebenwirkungen, Vertraglichkeit und Dosierungs- breite wurde zuerst Hunden und Katzen R o - 1 - 7 7 0 0 a I 1 e i n in steigen- den Dosen intramuskular injiziert.

Beim H u n d e ruft Ro-1-7700 in Mengen, die I/:! mg/k'g Korper- gewicht uberschreiten, Somnolenzerscheinungen hervor. Alle Reflexe bleiben erhalten, sind aber merklich abgeschwacht. Weder Puls noch Atrnung wer- den beeinfluflt. Eine analgetische Wirkung ist nicht festztistellen. Intensitat

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und Dauer dieses Zustandes hingen von der verabfolgten Dosis ab. 112 bis 2 mg/kg Korpergewicht wirken bis zu 11/2 Stunden, wahrend 10 mg/kg bis zu 41/2 Stunden nachwirken. Die gute Vertraglichkeit derart hoher Dosen, die klinisch nie benotigt werden, ergibt eine erhebliche Dosierungsbreite.

Bei der K a t z e werden durch Ro-1-7700 nicht die fur Morphinprapa- rate typischen Erregungserscheinungen hervorgerufen. Bei hoherer Dosis bis 10 mg/kg zeigte sich geringe Ataxie und Benommenheit, eine Analgesie fehlte vollig.

Untersuhung des Antagonismus gegen Polamivet

U n t e r s u c h u n g e n a n H u n d e n i m P o l a m i v e t s c h l a f Das Kriterium unserer Versuche beim Hunde war die Analgesie, der

Schlaf, die Atemfrequenz und das Atemvolumen. Letzteres wurde rnit Hilfe eines Spirometers bestimnit. Messungen erfolgten jeweils vor und nach der Injektion des Morphinpraparates und nach der Applikation des Antidots. Diese erfolgte erst, wenn Atemvolumen und Frequenz auf konstanter Hohe blieben.

Eine erste Versuchsreihe (8 Hunde) befai3te sich rnit Tieren, die im Polamivetschlaf, herbeigefuhrt durch intramuskulare Injektion von 3,8 bis 4,5 mglkg Polamivet, lagen. Nach 10 bis 15 Minuten wurde die Atmung regelmafiig oberflichlicher. Das Minutenvolumen verringerte sich, in einigen Fallen bis urn 8OO:o des Initialwertes.

Die zweite Versuchsreihe erstreckte sich auf Hunde in rnit Megaphen potenzierter Polamivetnarkose. Es wurden 2,5 mg/kg Megaphen und nach 15 bis 20 Minuten 1,5 bis 2,0 mglkg Polamivet injiziert. Au& hier sank das Atemminutenvolumen auf 25 bis 3Oo/o des Ausgangswertes ab.

Sowohl bei der einfachen als bei der kombinierten Betaubung bewirkte Ro-1-7700 in einer Dosis von l / l O bis 11300 der gegebenen Polamivetdosis bei intramuskulirer Injektion (je 6 Hunde) nach 10 bis 15 Minuten, bei intravenoser Injektion (je 2 Hunde) no& wahrend oder sofort nach der Injektion ein Ansteigen der Atemfrequenz um das 3- bis Sfache. Gleichzeitig vergroi3erte sich auch das Volumen der Atemziige und das Minutenvolumen kehrte auf Werte zuruck, die bei den vor Narkosebeginn gemessenen lagen.

Immer jedoch hob das Allyl-derivat nicht nur die Atemdepression, son- dern auch den Schlaf und die analgetische Wirkung des Polamivet auf. Zirka 5 bis 10 Minuten nach intramuskularer Injektion des Antagonisten zeigten sich wieder Schmerzreflexe, die Tiere walzten sich in Brustlage und standen nach 10 bis 15 Minuten auf und liefen umher. Sie machten jedoch no& einen etwas muderen Eindruck als vor der Polamivetinjektion. Bei intra- venoser Injektion verlief dieses Erwachen in 30 bis 45 Sekunden. Wurde jedoch rnit Megaphen potenziert, so blieb die sedative Wirkung des Megaphen bestehen, denn auf sie ist das Ro-1-7700 ohne Einflul3. Bemer- kenswert ist auch die nach Aufhebung der Polamivetwirkung sich ein- stellende Mydriasis, welche auf die in dem Kombinationspraparat Polamivet aui3er dem Analgetikurn Polamidon noch enthaltene Atropinkomponente zuriickzufuhren ist, deren Wirkung sich nun allein entfalten kann. Wir konnten dies durch Kontrollversuche mit Polamidon allein feststellen.

Die Wirkungsdauer scheint je nach Applikacionsart des Antidot ver- schieden zu sein. Bei intramuskulirer Applikation im Polamivetschlaf stellte sich nach 30 bis 60 Minuten wieder oberflachlicher Schlafzustand mit ganz schwacher Analgesic ein. Durch Beruhren oder Larm sind die Hunde jedoch weckbar, auch bleiben alle Reflexe erhalten. Bei intravenoser Applikation

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kehrt meist eine schwache Analgesie nach 10 bis 15 Minuten wieder. Der Schlaf erscheint etwas tiefer als bei intramuskularer Applikation. Er ist jedoch auch weckbar und nicht fur eine Operation tief genug. Die Atem- depression kehrt nicht mehr wieder.

Therapie der Polamivetvergiftung

Zur Priifung der therapeutischen Wirksamkeit bei einei- Polaniivetver- giftung wurde einem 22 kg schweren Hund 15 mg/kg Polamidon, (die im Polamivet wirksame analgetische Substanz) intramuskular injizieri . Bereits nach 8 Minuten traten Cyanose und spastische Zuckungen auf, nach 2 weite- ren Minuten folgten die ersten starken Krampfanfalle. Als nach weiteren 5 Minuten die ununterbrochen andauernden Krampfe ein lehensbedrohliches Ausmai3 erreicht hatten, wurde 1 Milligramm Ro-1-7700 intravenos injiziert. Als die Krampfe daraufhin zwar etwas schwacher wurden aber nidit sistier- ten, wurde 1 weiteres Milligramm injiziert (Verhaltnis zu Polamidon, 1 : 160). Die Krampfe horten daraufhin nach 15 Sekunden schlagartig auf, der Hund begann stark zu hecheln, und war nach 4 Minuten so wad-1, dai3 ler sich in Brustlage aufrichtete und sich auf Anruf zu erheben versuctite. Es war auch keine Analgesie mehr vorhanden und die zuvor stark gesunkene Herz- frequenz normalisierte sich. Nach 2 Stunden verfiel der T-Iund wieder in einen Schlafzustand, aus dem er jedoch durch Ansprechen weckbar war. Auch blieben alle Schmerzreaktionen, wenn auch abgeschwacht, erhalten. Nach 16 Stunden bestand nur mehr eine leichte NachhandschwSche. Der Hund konnte wieder umherlaufen, ohne da13 er eine weitere Injaktion er- halten hatte.

Wirksamkeit gegen Polamiveterregung bei Katze und Rind

Bei K a t z e n erzeugt Polamivet Speicheln, Erbrechen, Krampfe und Exzitationen, die trotz gleichzeitiger Analgesie keine opei-ativen Eingriffe zulassen. Ro-1-7700 wirkte in Dosierungen, die im Verhaltnis 1 : 2 und mehr zum Polamivet standen, antagonistisch auf diese lastigen Nebenerschei- nungen, jedoch auch auf die Analgesie, so dai3 eine Kombination, die einer- seits die Exzitation unterdruckt, andererseits die Analgesie aufrechterhalt, nicht moglich erscheint.

Bei R i n d e r n ist Polamivet in Dosierungen bis 50 nrg intravenos gut vertraglich. Bei hoheren Dosierungen kommt es jedoch zu je nach Gewicht mehr oder weniger hervortretenden Erregungserscheinuqen wie Umher- trippeln, Brullen, Schwanzpeitschen und An-der-Kette-ziehm. Im Verhaltnis 1 : 5 der Polamivetdosis intravenos gegeben, brachte Ro-1-7700 diese Er- scheinungen zum Abklingen, jedoch blieb auch hier eine beruhigende oder analgetische Wirkung des Polamivet nicht bestehen. Geringere Mengen von Ro-1-7700 waren ohne Wirkung.

Priifung der Wirkung gegen andere Analgetika beirin Hundi

Zur Prufung einer Wirksamkeit von Ro-1-7700 aud i gegen Morphin und Dolantin beim Hunde wurden folgende 4 Versuche ausgefuhrt.

Zwei Hunden wurden 3 mg/kg M o r p h i n subcutan injiziert. Nach 3/4 Stunden wurde das Antidot langsam unter Beobachtung der Wirkung intravenos injiziert. Bereits bei einem Verhaltnis 1 : 100 war die Analgesie aufgehoben, iedoch noch Soninolenz vorhanden. Bei 1 : 50 wurde die Som- nolenz aufgehoben, die Tiere blieben aber noch etwas atak tisch, wahrend bei

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1 : 25 alle Morphinwirkungen, auch das starke Speicheln und die Miosis, aufgehoben waren.

Auch die Wirkung von 5 mg/kg D o l a n t i n intramuskulfr (gepriift an 2 Hunden) wurde durch intravenose Injektion von 0,l mg/kg Ro-1-7700 vollig aufgehoben.

Folgerungen fur die klinische Anwendung

Den Ergebnissen unserer Untersuchungen zufolge ist Ro-1-7700 ein spezifisches Antidot gegen alle Wirkungen von Polamivet, gegen die Atem- depression, gegen die Analgesie und gegen den Schlafzustand. Ebenso wirkt es gegen Morphin und Dolantin. Als optimales Verhfltnis von Antidot zu Analgetikum zur Aufhebung der narkotischen Wirkung dieser Opiate er- scheint das Verhaltnis 1 : 10 bis 1 : 20. Jedoch sind auch schon vie1 geringere Dosen wirksam. Gegenuber Polamivet konnen sie bis 1/300 betragen.

Durch Einfiihrung eines Antidots gegen Polamivet ist damit die Mog- lichkeit gegeben, eine Polamivet- oder Megaphen-Polamivet-Narkose jeder- zeit ganz spezifisch zu unterbrechen. Dies kann erwunscht sein, wenn aus irgendeinem Grunde eine weitere Uberwachung des schlafenden Tieres mit seinen herabgesetzten Schutzreflexen nicht mehr moglich ist. Die beson- dere Bedeutung aber liegt darin, dai3 nunmehr Zwischenfflle wahrend des analgetischen Schlafzustandes erfolgreich und rasch bekfmpft werden konnen. Solche Komplikationen konnen durch eine starke individuelle Uber- empfindlichkeit mancher Patienten auftreten und zeigen sich in Uber- erregung, Krampfen oder auch Atemlfhmung und Cyanose schon bei thera- peutischen Dosen des Analgetikums. Sie konnen aber auch durch N i h t - beachtung oder Obersehen von Kontraindikationen - Krankheiten der Atemwege, besonders der Lunge, nicht behobene Atemhindernisse, starke Anamie, die dann infolge der verminderten Atmung zu einer Mangelver- sorgung des Gehirns mit Sauerstoff fuhren - bedingt werden.

So konnte auch in unserer Klinik das Ro-1-7700 schon mit Erfolg therapeutisch verwendet werden, als ein Dackel rnit einer starken chroni- schen Bronchitis etwa 1 l/2 Stunden nach Beginn einer Megaphen-Polamivet- Betiiubung zur Durchfuhrung einer ablatio mammae Cyanose und Krampfe zeigte. Nach Injektion von 2 Milligramm Ro-1-7700 (Verhaltnis 1 : 10) besserte sich die ungenugende Atmung und der Hund wurde wieder rosig und erwachte. Es zeigten sich keine Folgeerscheinungen.

Eine Kombination von Polamivet und Allyl-Derivat, die einerseits die Atmungsdepression vermindern, andererseits den Schlaf und die Analgesie erhalten wurde, scheint leider beim Hunde zu Narkosezwecken nicht mog- lich, wahrend beim Menschen eine Kombination von Morphin bzw. von Dromoran und dem Allyl-Derivat zur Analgesie erfolgreich verwendet wird. Dies hangt wohl damit zusammen, dai3 wir beim Tier durch die An- algetika nicht wie beim Menschen nur die Schmerzempfindung, sondern auch die Schmerzreflexe ausschalten mussen.

Der zweite bedeutsame Fortschritt liegt wohl darin, daf3 nun eine spezi- fische Therapie von Vergiftungen mit Opiaten bei Oberdosierung an Hund, Pferd und Rind oder durch falsche Anwendung bei der Katze moglich ist.

In akuten Fallen empfiehlt es sich, die Halfte des Antidots intravenos zur sofortigen Wirkung, die andere Halfte intramuskular oder subkutan zur Verlangerung der Wirkung als Depot zu geben.

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Zusammenf assung Levallorphan [(-)-3-Oxy-N-allyl-morphinan-tartrat] .wurde klinisch,

besonders in Hinblick auf die Aufhebung der Polamivetwirk ung untersucht. Bei Fehlen schadlicher Nebenwirkungen und groi3er Dosierungsbreite

hebt es alle Polamivetwirkungen auf. Es normalisiert Atemfrequenz und -volumen, hebt die Analgesie auf und unterbricht den Schlafzustand oder vermindert ihn.

Eine Kombination mit Polamivet, die die Atemdepression vermindert, die Narkosetiefe aber unbeeinflui3t lafit, konnte bis herunter zum Verhalt- nis 1 : 300 nicht gefunden werden. Ebenso konnte die Polamivetexzitation bei Katze und Rind nicht ohne gleichzeitige Aufhebung der Analgesie be- seitigt werden.

Levallorphan eignet sich in einer Dosis von 1/10 bis 1/20 der Polamivet- dosis zur Unterbrechung der Polamivet- oder Megaphen-Polamivet- Betaubung beim Hund. Ebenso wirkt es gegen Morphin und Dolantin sowie gegen Vergiftungen mit Opiaten bei allen Tieren. In akuten Fallen wird Applikation je zur Halfte intravenijs und intramuskula r oder subkutan empfohlen.

Summary

Levallorphan [(-) - 3 - Oxy - N - ally1 - morphine - tartrate], a specific antagonist of morphine and its derivatives

This drug was studied clinically, with special relation to its neutralising effect on Polamivet (a synthetic narcotic like Polamidon = Methadon). The drug was very effective, produced no dangerous side-effects, and completely neutralised all the effects of Polamivet. It brought the respiration rate back to normal frequency and amplitude, removed the analgesi;!, and woke the animal completely or partially from its sleep. A combination of the drug with Polamivet which would reduce respiratory depression without affecting depth of narcosis could not be found, even at dilutions of '1 : 300. Similarly one could not prevent the excitation which Polamivet causes in the cat and ox without simultaneously reducing the analgesia.

Levallorphan, at a dosage of 1/10 to 1/20 that of Polamivet, is suitable for neutralising the narcotic effect of Polamivet or Megaphen combined with Polamivet in the dog. The drug is equally effective <against morphine and Dolantin (Demerol) and against opiate poisoning in all animals. In acute cases half the drug is proposed to be given intravenously and the remainder intramuscularly or subcutaneously.

Resume

Le '<Levallorphan. (tartrate de [-]-3-Oxy-N-allyl-mcirphinane un antidote spkcifique de la morphine et de ses dirivks

Le <<Levallorphan, (tartrate de [-]-3-oxy-N-allylmorphinane) fut ktudik en clinique, particulitrement son effet de neutralisal ion sur le d'ola- mivet,,. Sans que l'on ait observk d'action accessoire nuisible m&me avec une grande latitude de dosage, il supprime tous les effets du c<Polamivetn. I1 normalise la frkquence et le volume respiratoires, supprime l'analgksie et interrompt l'anesthksie gknkrale ou diminue sa profondeur. Une combinaison avec le d'olamivet,, qui permettrait de diminuer la dkprcssion respiratoire sans intervenir sur l'ktat de l'anesthksie gknkrale ne put &re trouvke, mtme

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en descendant jusqu’A un rapport de Z : 300. De mime, on ne put empicher l’excitation due au <<Polarnivet,, chez le chat et le boeuf sans supprimer en mime temps l’analg6sie. Le <Levallorphan>> peut &re utilisC la dose dd l f l o A 1/2Oerne de la dose de <<Polmivet,, employte pour supprimer l’anesthksie gknkrale au 4?olamivet,, ou au <<Megaphen-Polamivet* chez le chien. 11 est Cgalement actif contre la Morphine et la Dolantine ainsi que contre les in- toxications par les dkrivts de l’opium chez tous les animaux. Dans les cas aigus, on conseille son emploi moitik en injection intraveineuse, et moitik en injection intramusculaire ou sous-cutanie.

Resumen

Levalorfan (tartrato de [-]-3-oxi-N-alil-morfina), un antagonista especifico de la morfina y de sus derivados

El levalorfan (tartrato de levo-3-oxi-N-alil-morfina) se estudi6 clinica- mente, sobre todo con respecto a la supresi6n de la acci6n del polamivet. En ausencia de acciones secundarias perjudiciales y con una gran amplitud de dosificacibn, suprime todas las acciones del polamivet. Normaliza la frecuen- cia y el volumen respiratorios, suprime la analgesia e interrumpe o disminuye el estado somnoliento. Bajando hasta la relacibn 1 : 300 no se pudo hallar la combinacibn con el polamivet que disminuyese la depresibn respiratoria, per0 que dejase sin influenciar la profundidad de la narcosis. Igualmente tam- poco se pudo eliminar en el gat0 y en 10s b6vidos la excitaci6n debida a1 polamivet sin suprimir la analgesia a1 mismo tiempo. El levalorfan sirve para interrumpir en el perro la anestesia producida con el polamivet 6 megafen- polamivet, a una dosis de l/10-1/20 de la de polamivet. Asimismo actua contra la morfina y la dolantina, a1 igual que en todos 10s animales contra las intoxicaciones por 10s opiiceos. En 10s casos agudos, se recomienda la aplicaci6n a partes iguales por las vias intravenosa e intramuscular 6 sub- cutdnea.

Literaturverzeicfinis 1. BENSON, W. M., O’GARA, E., VAN WINKLE, S.: Respiratory and analgesic Antag-

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