16
Schwerpunkt: Vielfalt der Hilfe im Alter (Seiten 3 – 7) Abteilung Gesundheit: Inklusive Wohngemeinschaft im Kegelhof (Seite 12) Evangelisches Hilfswerk: Neues Netzwerk Wohnungslosenhilfe (Seite 13) Die Zeitung der Inneren Mission München November 2016 Ausgabe 75 www.im-muenchen.de Wir freuen uns über Ihre Spende! IBAN: DE38 70020270 0036707070 bei der HypoVereinsbank Liebe Leserin, lieber Leser, A us der aktuellen Bedarfsermitt- lung zur pflegerischen Versor- gung in der Landeshauptstadt geht hervor, dass statt der derzeit angebotenen 7.550 vollstationären Pflegeplätze bis zum Jahr 2025 rund 8.800 Plätze benötigt werden. Zudem fehlen dann voraussicht- lich 4.000 Pflegekräfte. Beides zu erreichen, dürfte sehr schwer wer- den. Denn nach wie vor sind die Rahmenbedingungen in der Pflege ausgesprochen unerfreulich. A Angesichts dieser Herausforde- rungen hat die Hilfe im Alter, eine Tochtergesellschaft der Inne- ren Mission München, durch die Übernahme von Pflegeeinrichtun- gen in Kochel und Riemerling ihr Angebot erweitert. Bei einem wei- teren Projekt in Schlehdorf war kürzlich Baubeginn; das Haus er- setzt unseren in die Jahre gekom- menen Lindenhof. N atürlich investieren wir in Zei- ten des Personalmangels sehr viel in eine intensive eigene Perso- nalentwicklung. Wir bilden derzeit in unseren Einrichtungen zusam- men mit unserer Evangelischen PflegeAkademie insgesamt 75 Schülerinnen und Schüler zu Pfle- gefachkräften aus. Unseren Mitar- beitenden bieten wir individuelle Entwicklungsmöglichkeiten sowie gezielte Fort- und Weiterbildungen an. Zudem unterstützen wir aus- ländische Pflegekräfte in ihren An- erkennungsverfahren. Die inter- kulturelle Herausforderung verste- hen wir zugleich als Chance und Herausforderung. W ie Sie dieser Reportausgabe, die schwerpunktmäßig über Themen aus dem Bereich der Pfle- ge berichtet, entnehmen können, ist die Altenhilfe ein zukunfts- trächtiger und facettenreicher Arbeitsbereich. Eine gewinnbringende Lektüre wünscht Ihnen Gerhard Prölß Geschäftsführer Hilfe im Alter us der aktuellen Bedarfsermitt- ngesichts dieser Herausforde- die schwerpunktmäßig über Für den Eichenauer Ersten Bürger- meister Hubert Jung war es eine der letzten Amtshandlungen in seiner nach 18 Jahren zu Ende gehenden Amtszeit, für die zwanzig Kinder aus der Josef-Dering-Schule wohl die erste: die Jubiläumsfeier des Evangelischen Pflegezentrums in der Gartenstadt westlich von Mün- chen. Rund 300 Festgäste, Mitarbei- ter, Bewohner und Angehörige hat- ten sich Mitte Juli im großen Fest- zelt eingefunden, um das Ereignis in würdigem Rahmen zu begehen. Im Zentrum aller Beiträge stand dabei stets ein Wort: „Danke!“ Bürgermeister Jung bezeichnete die Errichtung des Pflegezentrums als eine der wichtigsten Aufgaben in seiner Amtszeit. Besonders stolz sei er, dass der Genehmigungs- und Planungsprozess in nur fünf Jahren und im Gemeinderat stets einstim- mig erfolgte. Jung wörtlich: „Das Pflegezentrum ist ein Glücksfall für Eichenau; vor zehn Jahren war das eine Behauptung – heute ist es eine Feststellung.“ Das Haus sei zu ei- nem beliebten Ort der Begegnung geworden, Vereine und Bevölke- rung seien von Anfang an in das Geschehen einbezogen worden. Die Stellvertretende Landrätin Martina Drechsler sprach von einer „segensreichen Einrichtung“, die mittlerweile eine ganz wichtige Funktion in der Versorgungsstruktur des Landkreises einnehme. Die Be- treuung der alten Menschen erfolge nach einem „beispielhaften Kon- zept“, das eine hohe Lebensqualität in jeder Lebensphase zum Ziel hat. Der gute Ruf, die große Beliebtheit und die stets beeindruckenden MDK-Bewertungen kämen „nicht von alleine“. „Das Haus ist ein wun- derbares Angebot.“ Der Fürstenfeld- brucker evangelische Dekan Stefan Reimers verwies in seiner Predigt auf das Leitbild der Inneren Mis- sion, in dessen Mittelpunkt die „un- verlierbare Würde der Menschen, die wir pflegen und achten“ steht. Dies sei eine große Herausforde- rung; insbesondere im Alter hätten viele Menschen Angst, mit ihren Sorgen alleine zu bleiben. Das Ei- chenauer Haus sei ein „Ort großer menschlicher Achtsamkeit“, hier gebe es „jemanden, der zuhört, der mitlacht oder mitweint, der andere anspricht und berührt“, so Reimers. „Die eigene Würde spürt ein Mensch durch die Liebe eines ande- ren.“ Für den Träger sagte Vorstand Günther Bauer, er sei – trotz aller Freude am heutigen Tag – nicht glücklich über die stets anwachsen- de Zahl von Vorschriften und Ver- änderungen in der Altenpflege. Dennoch habe sich das Pflege- zentrum vollauf bewährt und stelle eine regelrechte „Erfolgsgeschichte“ dar. Gerhard Prölß, Geschäftsfüh- rer der Hilfe im Alter, erinnerte an die Anfänge vor zehn Jahren: „Vie- le Mitarbeitende von damals sind heute noch bei uns; das freut uns besonders.“ Mit dieser ausgezeich- neten Mitarbeiterschaft brauche man keine Angst vor der Zukunft zu haben. „Mit Ihrer Hilfe und un- ter Gottes Segen schauen wir voller Hoffnung nach vorn.“ Heimleiter Dirk Spohd, der das Haus von An- fang an leitet, stimmte in das Lob an die Mitarbeiterschaft ein: „Un- sere Pflegeteams setzen immer wie- der neue Maßstäbe.“ Gemeinsam würden Tag und Nacht alle Kräfte investiert, um gute Pflege zu er- möglichen. All dies führe zu einem „unglaublich großen Gefühl der Dankbarkeit“. Die Schulkinder hatten übrigens – neben ihrem Lied – ein Geschenk mitgebracht, oder besser: viele Ge- schenke. Für jeden Bewohner des Hauses hatten sie kleine Kreuze gebastelt. Bunt angemalt und mit Schmucksteinen verziert – jedes ein Unikat. Klaus Honigschnabel Das Evangelische Pflegezentrum in Eichenau hat seinen zehnten Geburtstag groß gefeiert „Ein Ort menschlicher Achtsamkeit“ Die Feier im Zelt fand in ökumenischer Eintracht statt (v.l.n.r.): Dekan Stefan Reimers, Pfarrer Christoph Böhlau, Pfarrer Martin Bickl, die katholische Hausseelsorgerin Elisabeth Roths und Heimleiter Dirk Spohd. Foto: Michaela Handrek-Rehle Segensreiche Einrichtung Von Anfang an auf Erfolgskurs Nichts gegen Differenzierungen! Menschen und Gruppen sind unterschiedlich. Und Unterschied- liches muss unterschiedlich, Glei- ches gleich behandelt werden. Solche Grundsätze leuchten un- mittelbar ein. Betrachtet man je- doch unsere gesellschaftliche, poli- tische, kulturelle, soziale und wirt- schaftliche Wirklichkeit, drängt sich immer mehr der Eindruck auf, dass aus Differenzierungen kaum zu überwindende Differenzen wer- den. Dass Verbindendes zwischen unterschiedlichen Menschen und Gruppen immer mehr schwindet und Privilegien einer Gleichbe- handlung entgegenstehen. Zahlreiche Studien stellen fest, dass zum Beispiel die Schere zwi- schen Arm und Reich weltweit – und auch in unserem Land und unserer Stadt – immer weiter auf- geht. Außerdem wachsen die Ängste vor zu viel Diversität. Zu viele, die sich in unserem Land als Einheimische fühlen, wollen keine weitere gesellschaftliche oder kul- turelle Ausdifferenzierung. Sie artikulieren ihre Befindlich- keit gegenüber Flüchtlingen und Zuwanderung als Angst vor dem sozialen Abstieg oder in Neiddebat- ten. Fremde sind dieser Diktion zu- folge eben nicht als Menschen mit gleichen Rechten zu behandeln, sondern als Neuankömmlinge, die sich gar nicht – oder höchstens ganz hinten – anzustellen haben. Die Reformation hat unmissver- ständlich deutlich gemacht, dass sich Menschen nicht für ihr Menschsein rechtfertigen müssen. Menschen sind als Menschen von Gott geliebt und als solche auch le- gitimiert. Weil Gott uns so bedingungslos liebt, müssen wir nicht unsere Exis- tenzberechtigung nachweisen, son- dern können als Menschen unsere Kraft dafür einsetzen, unsere Stadt- gesellschaft zusammenzuhalten und sie dort, wo sie schon in einzel- ne Gruppen zerfällt, wieder neu zu- sammenfügen. Zusammen halten – zusammen fügen ist darum eine Querschnitts- aufgabe für alle Arbeitsbereiche im Jahr des Reformationsjubi- läums, das wir nicht nur mit her- ausgehobenen Festen, sondern vor allem im Alltag feiern wollen. Günther Bauer Zusammen halten – zusammen fügen Jahresmotto und Spendenprojekt im Reformationsjahr 2017

Liebe Leserin, „Ein Ort menschlicher Achtsamkeit“ A€¦ · Seite 2 Nr. 75 · 2016 Der Aufsichtsrat der Inneren Mission berät den Vorstand und wacht über das Vereinsvermö-gen

  • Upload
    others

  • View
    1

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • Schwerpunkt: Vielfalt der Hilfe im Alter (Seiten 3 – 7)Abteilung Gesundheit: Inklusive Wohngemeinschaft im Kegelhof (Seite 12)Evangelisches Hilfswerk: Neues Netzwerk Wohnungslosenhilfe (Seite 13)

    Die Zeitung der Inneren Mission München • November 2016 Ausgabe 75 • www.im-muenchen.de

    Wir freuen uns

    über Ihre Spende!IBA

    N:

    DE38 70020270 0036707070bei der H

    ypoVereinsbank

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Aus der aktuellen Bedarfsermitt-lung zur pflegerischen Versor-gung in der Landeshauptstadtgeht hervor, dass statt der derzeitangebotenen 7.550 vollstationärenPflegeplätze bis zum Jahr 2025rund 8.800 Plätze benötigt werden.Zudem fehlen dann voraussicht-lich 4.000 Pflegekräfte. Beides zuerreichen, dürfte sehr schwer wer-den. Denn nach wie vor sind dieRahmenbedingungen in der Pflegeausgesprochen unerfreulich.

    AAngesichts dieser Herausforde-rungen hat die Hilfe im Alter,eine Tochtergesellschaft der Inne-ren Mission München, durch dieÜbernahme von Pflegeeinrichtun-gen in Kochel und Riemerling ihrAngebot erweitert. Bei einem wei-teren Projekt in Schlehdorf warkürzlich Baubeginn; das Haus er-setzt unseren in die Jahre gekom-menen Lindenhof.

    Natürlich investieren wir in Zei-ten des Personalmangels sehrviel in eine intensive eigene Perso-nalentwicklung. Wir bilden derzeitin unseren Einrichtungen zusam-men mit unserer EvangelischenPflegeAkademie insgesamt 75Schülerinnen und Schüler zu Pfle-gefachkräften aus. Unseren Mitar-beitenden bieten wir individuelleEntwicklungsmöglichkeiten sowiegezielte Fort- und Weiterbildungenan. Zudem unterstützen wir aus-ländische Pflegekräfte in ihren An-erkennungsverfahren. Die inter-kulturelle Herausforderung verste-hen wir zugleich als Chance undHerausforderung.

    Wie Sie dieser Reportausgabe,die schwerpunktmäßig überThemen aus dem Bereich der Pfle-ge berichtet, entnehmen können,ist die Altenhilfe ein zukunfts -trächtiger und facettenreicher Arbeitsbereich.

    Eine gewinnbringende Lektürewünscht Ihnen

    Gerhard PrölßGeschäftsführerHilfe im Alter

    us der aktuellen Bedarfsermitt-

    ngesichts dieser Herausforde-

    die schwerpunktmäßig über

    Für den Eichenauer Ersten Bürger-meister Hubert Jung war es eine derletzten Amtshandlungen in seinernach 18 Jahren zu Ende gehendenAmtszeit, für die zwanzig Kinderaus der Josef-Dering-Schule wohldie erste: die Jubiläumsfeier desEvangelischen Pflegezentrums inder Gartenstadt westlich von Mün-chen. Rund 300 Festgäste, Mitarbei-ter, Bewohner und Angehörige hat-ten sich Mitte Juli im großen Fest-zelt eingefunden, um das Ereignisin würdigem Rahmen zu begehen.Im Zentrum aller Beiträge standdabei stets ein Wort: „Danke!“

    Bürgermeister Jung bezeichnetedie Errichtung des Pflegezentrumsals eine der wichtigsten Aufgabenin seiner Amtszeit. Besonders stolzsei er, dass der Genehmigungs- undPlanungsprozess in nur fünf Jahrenund im Gemeinderat stets einstim-mig erfolgte. Jung wörtlich: „DasPflegezentrum ist ein Glücksfall fürEichenau; vor zehn Jahren war daseine Behauptung – heute ist es eineFeststellung.“ Das Haus sei zu ei-nem beliebten Ort der Begegnunggeworden, Vereine und Bevölke-rung seien von Anfang an in dasGeschehen einbezogen worden.

    Die Stellvertretende LandrätinMartina Drechsler sprach von einer„segensreichen Einrichtung“, diemittlerweile eine ganz wichtigeFunktion in der Versorgungsstrukturdes Landkreises einnehme. Die Be-treuung der alten Menschen erfolgenach einem „beispielhaften Kon-zept“, das eine hohe Lebensqualitätin jeder Lebensphase zum Ziel hat.Der gute Ruf, die große Beliebtheitund die stets beeindru ckendenMDK-Bewertungen kämen „nicht

    von alleine“. „Das Haus ist ein wun-derbares Angebot.“ Der Fürstenfeld-brucker evangelische Dekan StefanReimers verwies in seiner Predigtauf das Leitbild der Inneren Mis-sion, in dessen Mittelpunkt die „un-verlierbare Würde der Menschen,die wir pflegen und achten“ steht.

    Dies sei eine große Herausforde-rung; insbesondere im Alter hättenviele Menschen Angst, mit ihrenSorgen alleine zu bleiben. Das Ei-chenauer Haus sei ein „Ort großermenschlicher Achtsamkeit“, hiergebe es „jemanden, der zuhört, dermitlacht oder mitweint, der andereanspricht und berührt“, so Reimers.„Die eigene Würde spürt einMensch durch die Liebe eines ande-ren.“ Für den Träger sagte Vorstand

    Günther Bauer, er sei – trotz allerFreude am heutigen Tag – nichtglücklich über die stets anwachsen-de Zahl von Vorschriften und Ver-änderungen in der Altenpflege.

    Dennoch habe sich das Pflege-zentrum vollauf bewährt und stelleeine regelrechte „Erfolgsgeschichte“dar. Gerhard Prölß, Geschäftsfüh-rer der Hilfe im Alter, erinnerte andie Anfänge vor zehn Jahren: „Vie-le Mitarbeitende von damals sindheute noch bei uns; das freut unsbesonders.“ Mit dieser ausgezeich-neten Mitarbeiterschaft braucheman keine Angst vor der Zukunftzu haben. „Mit Ihrer Hilfe und un-

    ter Gottes Segen schauen wir vollerHoffnung nach vorn.“ HeimleiterDirk Spohd, der das Haus von An-fang an leitet, stimmte in das Loban die Mitarbeiterschaft ein: „Un-sere Pflegeteams setzen immer wie-der neue Maßstäbe.“ Gemeinsamwürden Tag und Nacht alle Kräfteinvestiert, um gute Pflege zu er-möglichen. All dies führe zu einem„unglaublich großen Gefühl derDankbarkeit“.

    Die Schulkinder hatten übrigens– neben ihrem Lied – ein Geschenkmitgebracht, oder besser: viele Ge-schenke. Für jeden Bewohner desHauses hatten sie kleine Kreuze gebastelt. Bunt angemalt und mitSchmucksteinen verziert – jedes einUnikat. Klaus Honigschnabel

    Das Evangelische Pflegezentrum in Eichenau hat seinen zehnten Geburtstag groß gefeiert

    „Ein Ort menschlicher Achtsamkeit“

    Die Feier im Zelt fand in ökumenischer Eintracht statt (v.l.n.r.): Dekan Stefan Reimers, Pfarrer Christoph Böhlau, PfarrerMartin Bickl, die katholische Hausseelsorgerin Elisabeth Roths und Heimleiter Dirk Spohd. Foto: Michaela Handrek-Rehle

    Segensreiche EinrichtungVon Anfang an auf Erfolgskurs

    Nichts gegen Differenzierungen!Menschen und Gruppen sindunterschiedlich. Und Unterschied -liches muss unterschiedlich, Glei-ches gleich behandelt werden.

    Solche Grundsätze leuchten un-mittelbar ein. Betrachtet man je-doch unsere gesellschaftliche, poli-tische, kulturelle, soziale und wirt-schaftliche Wirklichkeit, drängtsich immer mehr der Eindruck auf,dass aus Differenzierungen kaumzu überwindende Differenzen wer-den. Dass Verbindendes zwischenunterschiedlichen Menschen undGruppen immer mehr schwindetund Privilegien einer Gleichbe-handlung entgegenstehen.

    Zahlreiche Studien stellen fest,dass zum Beispiel die Schere zwi-schen Arm und Reich weltweit –

    und auch in unserem Land undunserer Stadt – immer weiter auf-geht. Außerdem wachsen dieÄngs te vor zu viel Diversität. Zuviele, die sich in unserem Land alsEinheimische fühlen, wollen keineweitere gesellschaftliche oder kul-turelle Ausdifferenzierung.

    Sie artikulieren ihre Befindlich-keit gegenüber Flüchtlingen undZuwanderung als Angst vor demsozialen Abstieg oder in Neiddebat-ten. Fremde sind dieser Diktion zu-folge eben nicht als Menschen mitgleichen Rechten zu behandeln,sondern als Neuankömmlinge, diesich gar nicht – oder höchstensganz hinten – anzustellen haben.

    Die Reformation hat unmissver-ständlich deutlich gemacht, dasssich Menschen nicht für ihr

    Menschsein rechtfertigen müssen.Menschen sind als Menschen vonGott geliebt und als solche auch le-gitimiert.

    Weil Gott uns so bedingungslosliebt, müssen wir nicht unsere Exis -tenzberechtigung nachweisen, son-dern können als Menschen unsereKraft dafür einsetzen, unsere Stadt-gesellschaft zusammenzuhaltenund sie dort, wo sie schon in einzel-ne Gruppen zerfällt, wieder neu zu-sammenfügen.

    Zusammen halten – zusammenfügen ist darum eine Querschnitts-aufgabe für alle Arbeitsbereicheim Jahr des Reformationsjubi-läums, das wir nicht nur mit her-ausgehobenen Festen, sondern vorallem im Alltag feiern wollen.

    Günther Bauer

    Zusammen halten – zusammen fügenJahresmotto und Spendenprojekt im Reformationsjahr 2017

  • Nr. 75 · 2016Seite 2

    Der Aufsichtsrat der InnerenMission berät den Vorstand undwacht über das Vereinsvermö-gen. Er bestimmt mit dem Vor-stand die strategische Ausrich-tung der beiden Geschäftsberei-che in München und Herzogsäg-mühle. Das 13-köpfige Gremiumist ehrenamtlich tätig. Mit demamtierenden Aufsichtsratsvorsit-zenden Andreas Bornmüllersprach Klaus Honigschnabel.

    ?Herr Bornmüller, Sie sind jetztseit ziemlich genau fünf JahrenAufsichtsratsvorsitzender der Inne-ren Mission. Was war das wichtigs -te Ereignis während dieser Zeit?

    !Diese Frage lässt sich nicht so ein-fach beantworten. Zum einen ha-ben wir im Aufsichtsrat gemeinsammit dem Vorstand intensive undsehr produktive Sitzungen gehabt.Herausragend ist dabei sicherlichder umfangreiche Strategieprozessin den vergangenen beiden Jahren

    gewesen. Wir alle können stolz undglücklich sein über die Ergebnisse.

    Auf der anderen Seite bin ichsehr dankbar über die vielen positi-ven Tätigkeiten, die in dem Vereintagtäglich stattfinden. Hier möchteich besonders anerkennen, wie dieMitarbeitenden mit der außeror-dentlichen Situation des Flücht-lingszuzugs umgegangen sind.

    Bei einer Tour durch verschiede-ne Einrichtungen habe ich michpersönlich von der Qualität der Ar-beit und dem beeindruckenden En-gagement der Haupt- und Ehren-amtlichen überzeugen können.

    ?Sie selber sind beruflich imBankwesen zuhause – und derAufsichtsrat kümmert sich ja auchvorwiegend um wirtschaftliche Be-lange des Vereins. Was motiviertSie als Banker, sich bei der InnerenMission mit ihrem genuin diakoni-schen Auftrag zu engagieren?

    !Die Frage vermittelt einen fal-schen Eindruck. Die Innere Mis-sion kann nur dann so viele inte -ressante und spannende gesell-schaftliche Aufgaben erledigen,wenn es ihr finanziell gut geht. Daswirtschaftliche Fundament mussstimmen – sonst ist man auf Dauernicht mehr Herr im eigenen Haus.

    Nun gibt es aber auf der ande-ren Seite auch Tätigkeiten, bei de-nen wir leider keinen großen wirt-schaftlichen Erfolg haben. Dafürbrauchen wir Spenden und Men-schen, die sich ehrenamtlich enga-gieren! Das Motto des Vereinsheißt ja nicht umsonst „UnsereMission Menschlichkeit“.

    Für mich ist es eine Herzensan-gelegenheit, von meinem beruf-lichen Fachwissen etwas weiterzu-geben und somit dazu beizutra-gen, dass der Verein wirtschaftlichsolide dasteht.

    ?Die Aktivitäten sind in den ver-gangenen Jahren in den meis -ten Bereichen deutlich gewachsen:Sowohl der Bereich der Kinderta-gesbetreuung als auch die Alten-hilfe und die Asyl sozialarbeit ha-ben deutlich zugenommen. Gibt eseine Thematik, die Ihnen persön-lich am wichtigs ten ist?

    !Nein, ich habe da keine Präferen-zen. Es gibt bei der Inneren Mis-sion so viele tolle Angebote, die aufihre Weise alle gleich wichtig sind.Etwa die Altenhilfe, die ein würde-volles Abschiednehmen am Leben-sende ermöglicht. Oder die vorhinschon erwähnte Flüchtlingsarbeit,mit der wir der Welt zeigen können,dass Deutschland ein fremden-freundliches Land ist. Oder die Kin-dertagesstätten: Hier wird dieGrundlage für ein gelingendes Le-ben mit christlichen Werten gelegt.Ach – ich kann gar nicht mehr auf-hören, von den unterschiedlichenArbeitsbereichen zu schwärmen!

    ?Der Verein hatte bereits 2009 ei-ne Satzungsänderung vorge-nommen, jetzt im Sommer erfolgteeine weitere. Wie bewerten Sie das?

    !Es ist doch vollkommen normal,nach einer Weile Dinge und Re-gularien professionell zu überprü-fen, die einmal entschieden wor-den sind. Das Bessere ist der Feinddes Guten.

    Dem Aufsichtsrat ist es wichtig,sicher zu sein, dass wir die richtigeStruktur für die Zukunft haben. Wirhaben deshalb viel Arbeit und Zeitin dieses wichtige Thema investiertund ich denke, das Ergebnis ist sehrzufriedenstellend. Ich danke allensehr, die sich in diesen Prozess miteingebunden haben und uns sehrwertvolle Anregungen haben zu-kommen lassen.

    ?Demnächst soll – neben HerrnBauer und Herrn Knorr – eindrittes Vorstandsmitglied engagiertwerden. Was verspricht sich derAufsichtsrat von dieser Ausweitungder operativen Führungsebene?

    !Die Innere Mission ist mit ihrenGeschäftsbereichen Münchenund Herzogsägmühle in den ver-gangenen Jahren zu einem richti-gen mittelständischen Sozialunter-nehmen gewachsen. Da brauchtman nur einmal die Zahlen vonheute mit denen von vor zehn Jah-ren zu vergleichen. Unglaublich,was in dieser Zeit geschaffen wur-de! Dieser kontinuierlichen Leis -tung gebührt großer Respekt. Einebenso großer Dank geht auch analle Mitarbeitenden, die die kon-krete Arbeit Tag für Tag auf einemhohen Qualitätsniveau erledigen.

    Heute ist aus dem einen Verein,den Karl Buchrucker 1884 gegrün-det hat, ein Unternehmen mit fast4.500 Mitarbeitenden geworden.Wir haben aktuell einen Jahresum-satz von mehr als 200 MillionenEuro und eine Bilanzsumme vonrund 250 Millionen Euro. Da war esauch einmal an der Zeit, gewisseStrukturen zu überprüfen. Als Er-gebnis dieser kritischen Schau ha-ben wir im Aufsichtsrat entschie-den, ein drittes Vorstandsressort zuschaffen. Dieser Herr oder diese Da-me soll die derzeitigen Mitgliederdes Vorstands, die operativ in ihrenjeweiligen Regionen tief eingebun-den sind, entlasten und das Poten-zial der Zusammenarbeit heben. Eroder sie wird zuständig sein für be-reichsübergreifende Themen wie IT-und Finanzstrategie, Personalfra-gen und Immobilienmanagement.

    „Das wirtschaftliche Fundamentmuss stimmen!“

    Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Bornmüller über die Zukunft des Vereins

    So feiern andere Religionen (Dezember – März)

    Dezember12. Dezember: Mawlid an-Nabi (muslimisch)

    Januar13. Januar: Lohri (buddhistisch)14. Januar Makar Sankranti (hinduistisch)

    Februar15. Februar Parinirvana (buddhistisch)

    März12. März Purim (jüdisch)

    Er ist begeistert von der Vielfalt der Angebote und der Qualität der dort geleis -teten Arbeit: Aufsichtsratsvorsitzender Andreas Bornmüller. Foto: Erol Gurian

    Würzburg – München – Ansbach: Drei Gewaltakte mit tödlichem Ausganginnerhalb weniger Tage im Juli erschütterten auch die Innere Mission undmachten Mitarbeitende fassungslos und sprachlos. Um die Verbundenheitmit den Opfern und auch untereinander auszudrücken, haben in zahlrei-chen Einrichtungen der Inneren Mission München Friedensgebete stattge-funden.Vorstand Günther Bauer sagte: „Es war eine Zeit, um innezuhalten, Kerzenanzuzünden und für die Opfer der Gewalt zu beten. Und für Frieden in derWelt und bei uns.“ Fotos der Aktionen wurden in Form eines Kondolenzbu-ches zusammengefasst, das Günther Bauer vor dem Olympia-Einkaufs -zentrum ablegte. Die Aufschrift auf dem schwarzen Titelbild lautete: „Einschwarzer Tag für München, eine furchtbare Woche für Bayern, schrecklicheZeiten für Europa und die Welt. Wir trauern um die Opfer der Anschläge.“Am 22. Juli hatte der 18-jährige Schüler David S. mit einer Pistole neunMenschen vor dem Einkaufszentrum erschossen, bevor er sich mit seinerWaffe selbst richtete. ho / Foto: Klaus Honigschnabel

    Trauer um die Opfer der Gewaltakte

    In Kooperation mit dem Sozialwis-senschaftlichen Institut der EKD(SI) erfolgte im Sommer die Befra-gung aller Mitarbeitenden im Ge-schäftsbereich München. Nachzwei Befragungen in gedruckterForm in den Jahren 2010 und 2012erfolgte die dritte Umfrage online:Alle Mitarbeitenden erhielten ei-nen persönlichen Zugangscode.Der Fragenkatalog war zwischender Geschäftsführung und der Mit-arbeitervertretung der InnerenMission abgestimmt; er orientiertesich an den vorangegangenen Be-fragungen. Zugunsten neuer Fra-gen (beispielsweise zur interkultu-rellen Kompetenz) fielen andere(etwa über das Image als Verband)weg, um den Umfang nicht zu er-höhen.

    Insgesamt galt es, 28 Fragen zubeantworten bzw. auf einer Skalavon 1 bis 5 anzukreuzen. Inhalt-lich ging es dabei unter anderemum Angaben zur Gesamtzufrieden-heit mit dem Arbeitgeber, zur Beur-teilung der Leistungsstärke undWettbewerbsfähigkeit der gesam-ten Unternehmensgruppe sowieum Fragen nach der Angemessen-heit der Bezahlung, dem Betriebs-klima und dem Umgang mit Kritik.

    Frage 29 war offen gestellt:„Gibt es etwas zum Thema Mitar-beitendenzufriedenheit, was wirübersehen haben oder was Ihnenspeziell auf dem Herzen liegt?“ FürVorstand Günther Bauer drücktsich gerade in diesen Antworten

    der konkreteste Handlungsbedarfaus: „Die Zahlenwerte geben dieallgemeine Grundstimmung wie-der; die persönlichen Botschaftenzeigen, wo unsere Mitarbeitendenganz konkret der Schuh drückt –oder was ihnen auch besondersgut gefällt an ihrem Arbeitsplatz.“

    Ende Oktober 2016 wurden dieersten Ergebnisse der Leitungskon-ferenz und der Mitarbeitervertre-tung vorgestellt; sie werden nun inden Gremien und Arbeitsbereichenanalysiert und bewertet.

    Mit etwa 35 Prozent ist dieRück laufquote im Vergleich zu denbisherigen (50 Prozent) zurückge-gangen; sie ist jedoch ausreichend,um Veränderungen zu bewerten.Für den Rückgang dürften mehrereUrsachen verantwortlich sein, wieVorstand Günther Bauer vermutet:„Offenbar stellte das Medium On-line-Befragung doch eine größereHürde dar als erwartet.“ Zudemkönnte auch die Fülle von anderenBefragungen hinderlich gewesensein.

    Weiterer Grund könnte dieSkepsis gegenüber einer möglichenDatenspeicherung oder Identifizie-rungsmöglichkeit einzelner Perso-nen gewesen sein. Genau dieseshatte das SozialwissenschaftlicheInstitut jedoch ausgeschlossen: Al-le Daten werden nach Abschlussder Untersuchung gelöscht. Bei derAuswertung wird strikt darauf ge-achtet, nur Gruppen von mehr alsfünf Antworten zu erfassen, umdie Möglichkeiten von Rückschlüs-sen auf einzelne Personen auszu-schließen. red

    Online-Befragung der Mitarbeitenden

    Rücklaufquote war dieses Mal niedriger

    Konkreter Handlungsbedarf

  • Nr. 75 · 2016 Seite 3

    Die strahlenden Gesichter der 65Absolventinnen und Absolventender Evangelischen PflegeAkademiesprechen Bände. Sie spiegeln wi-der, was in den frischgebackenenexaminierten Altenpflegern vor-geht, wenn sie jetzt ihre Urkundenüberreicht bekommen: Wie stolzsie sind auf die eigene Leistung.Wie groß die Vorfreude ist auf denvor ihnen liegenden Weg. DerWeg, der hinter ihnen liegt, warnicht immer einfach. Aber er hatsie gut vorbereitet auf ihre künfti-gen Aufgaben in der Altenpflege.

    Die Stimmung ist gelöst, fröh-lich. Ganz unterschiedliche Men-schen sind es, die bei der Jahresab-schlussfeier an den festlich gedeck -ten Tischen im AusbildungshotelSt. Theresia Platz genommen ha-ben: Männer, Frauen, Jüngere, Äl-tere, Familienmitglieder, Lehrkräf-te und Mitarbeitende der Pflege-einrichtungen. Die Absolventin-nen und Absolventen stammenaus 19 verschiedenen Ländern.Beispielsweise aus Togo, Madagas -kar, Turkmenistan und der Slowa-kei. Man spürt, dass sie in den Jah-ren ihrer Ausbildung zusammen-gewachsen sind.

    Das Interesse am Altenpflege- Beruf nimmt seit einigen Jahren zu:„Immer mehr drängen in die Aus-bildung“, berichtet Lisa Hirdes, Lei-terin der PflegeAkademie. Und: Vie-le der Schülerinnen und Schülerhaben einen Migrationshinter-grund. Die Geschichte dieser Men-schen sei oft sehr unterschiedlichund sehr spannend (siehe Inter-views). „So spannend, dass wir dar-über eigentlich ein Buch machensollten.“ Was diese Menschen ver-eint, sei der Mut, sich auf etwasNeues einzulassen. „Das ist bemer-kenswert – denn genau diese Viel-falt des Lebens ist das, was auch dieAltenpflege ausmacht.“

    „Ich habe hohen Respekt vor Ih-rem Einsatz und Ihrer Leistung“,lobt Hirdes die Absolventinnenund Absolventen. In den einzelnenKlassen seien sehr unterschiedlicheTemperamente aufeinandergetrof-fen; doch am Ende hätten sich allezusammengerauft. Das Ergebniskann sich sehen lassen: ein gutes

    Miteinander der verschiedenen Re-ligionen und Kulturen, eine insge-samt gelungene Integration. „EinPositivbeispiel, vom dem ich mirwünsche, dass es ausstrahlt in dieWelt“, sagt Hirdes.

    Auch Gerhard Prölß, Geschäfts-führer der Hilfe im Alter, dankt al-len, die zum Gelingen der schwie-rigen Ausbildung beigetragen ha-ben. Sowohl Lehrkräfte als auchAbsolventinnen und Absolventenhätten „ausgesprochen gute Ar-beit“ geleistet: „Jetzt stehen Sienicht am Ende, sondern am An-fang Ihrer beruflichen Entwicklungin einem Arbeitsfeld, das nicht im-mer einfach ist.“ Im Mittelpunktstehe dabei „stets das höchste Gut,das uns gegeben ist: der Mensch“.

    Wie sehr die Auszubildenden anden Herausforderungen gewachsenseien, berichtet Klassenleiterin Ur-sula Schneider-Demmerle. „Ich binstolz auf Sie; und ich habe viel vonIhnen gelernt.“ Ihre Schüler bedan-ken sich mit einer Präsentation vonFotos, die auf humorvolle Weise diedrei Jahre der Ausbildung mit allenHöhen und Tiefen zeigte.

    Frank Straub, ebenfalls Klassen-leiter, vergleicht die Altenpflege-Ausbildung mit dem Erlernen ei-nes Tanzes. „Es gab Momente, woder Tanz sehr mühselig und an-strengend war.“ Trotzdem seienimmer „gelebte Freundlichkeit, Of-fenheit und Toleranz“ im Vorder-grund gestanden. Straub und seineSchüler begeistern das Publikum

    schließlich noch mit einer eigenseinstudierten Tanzeinlage.

    Gabriele Altherr äußert sichebenfalls voller Stolz über das En-gagement ihrer Klasse, die die Aus-bildung in nur zwei Jahren absol-viert hatte. „Was Sie in der Zeitleis ten mussten, hat Sie teilweisean Ihre Grenzen gebracht.“ Für dieZukunft wünscht sie allen, dass siesich Neugierde und kritisches Den-ken bewahren: „Nur so kann sichdie Pflege weiterentwickeln.“

    Brigitta Wenninger

    Die Vielfalt des Lebens

    Mit einer bunten und fröhlichen Abschlussfeier hat die Evangelische PflegeAkademieihre Absolventen verabschiedet

    Stolze Absolventen (v.l.n.r.): Senad Imamovic, Mozes Sandor, Lena Reimannund Iwona Pätzold. Foto: Brigitta Wenninger

    Herr der Schlüssel: Heimleiter Jan Steinbach trägt nicht nur den symbolischenbei der Übergabe, sondern auch so um die 50 reelle. Foto: Erol Gurian

    Senad Imamovic (33) aus Bos-nien-Herzegowina:

    „Ich habe alle möglichen Jobsgemacht“, erzählt Senad Imamo-vic. Als Barkeeper hat er gearbeitetund unter Tage im Bergbau. Dannwurde sein Opa ein Pflegefall. „Eswar für mich selbstverständlich, fürihn da zu sein.“ Ihm helfen zu kön-nen, empfand er als „menschlichsehr erfüllend“, erinnert sich der33-Jährige. Dann erzählte ihm einFreund von seiner Ausbildung alsAltenpfleger: „Er sagte, das seiwirklich gut.“ Schließlich entschiedsich Imamovic selbst für diesenWeg. Und ist heute froh darüber.„Weil dieser Beruf interessant undlebendig ist. Weil er dem LebenSinn gibt.“

    Lena Reimann (24) ausDeutschland:

    Lena Reimann begann nach demFachabitur eine Ausbildung als bio-logisch-technische Assistentin. Aberdie brach sie schnell wieder ab, weilsie ihr nicht gefiel. Da erinnerte siesich an das, was sie als Schülerinwährend eines Praktikums in einemPflegeheim für Demenzkranke er-lebt hatte: eine prägende Erfahrungfür die Münchnerin. Lena Reimannentschied sich schließlich für denStudiengang „Pflege dual“, der inKooperation mit der KatholischenStiftungsfachhochschule Münchenangeboten wird. „Das war schonsehr stressig.“ Aber die schwierigeZeit hat sich gelohnt, sagt sie rück -blickend. Für Lena ist Altenpflegejetzt der Traumberuf.

    Mozes Sandor (22) aus Ungarn:Mozes Sandor machte in seinem

    Heimatland das Abitur. Dann kamer nach Deutschland. „Ich beganndamals sofort im EvangelischenPflegezentrum Eichenau zu arbei-ten“, erzählt er. Das Freiwillige So-ziale Jahr gefiel ihm so gut, dass erbeschloss, dort zu bleiben undweiterzumachen: „Eigentlich wollteich Theologie studieren“, sagt er.

    Aber dann hat er sich für die Al-tenpflege entschieden. Für ihn einTraumberuf, der ihm viel gibt:„Man bekommt viel zurück; esmacht einfach Spaß.“ Oft sind esauch die kleinen Momente. „Wenndie Bewohner strahlen, fühlt mansich selbst auch gut“, erklärt der22-Jährige. „Man weiß dann, dassman eine gute Leistung erbrachtund alles richtig gemacht hat.“Iwona Pätzold (46) aus Polen:

    „Ich arbeitete in Polen als Lehre-rin“, erzählt Iwona Pätzold. Seit 17Jahren lebt sie in Deutschland; hierin ihrem alten Beruf zu arbeiten,war nicht möglich. Sie begann zu-nächst eine kaufmännische Ausbil-dung, merkte aber schnell: „Büro-arbeit ist nicht meins.“ Viel wohlerfühlte sich in einem anderen Beruf:„Ich arbeitete als Pflegehelferin aufeiner Demenzstation.“

    Schließlich hörte sie von der ver-kürzten, zweijährigen Altenpflege-ausbildung. „Und ich habe michentschlossen, das zu machen.“Leicht war es anfangs nicht. „Plötz-lich musste ich wieder acht Stundenin der Schule sitzen, lernen undgleichzeitig meine Sprachkenntnisseverbessern; das war schon eine gro-ße Umstellung.“ Doch für sie war esder richtige Schritt, zumal sie vieleneue Freunde gefunden hat. Am Ende schnitt Iwona Pätzold alsKlassenbeste ab.

    Worte des Abschieds und Wortedes Neubeginns standen im Mittel-punkt des Festes vor dem Evangeli-schen Pflegezentrum Lore Malschin Riemerling, bei dem der inner -diakonische Trägerwechsel jetzt of-fiziell gefeiert wurde. Seit dem 1.Juli ist die Innere Mission Mün-chen mit ihrer Tochterfirma Hilfeim Alter für die Pflege der rund200 dort lebenden alten Menschenzuständig und nicht mehr das Dia-koniewerk Hohenbrunn.

    Eberhard Engeroff, Vorstands-mitglied des Hohenbrunner Diako-niewerks, sagte, trotz gemischterGefühle empfinde er „keine Ab-schiedsstimmung, sondern eherWillkommensfreude“. Gemeinsamwolle man zum Wohle der Haus-bewohner nun nach vorne schau-en. Mit der Inneren Mission sei einverlässlicher und kompetenterPartner gefunden worden: „DieWerte, die wir hier über Jahrzehntehinweg hochgehalten haben, blei-ben erhalten.“ Ziel sei die best-mögliche Pflege alter Menschen.

    Auch der Kuratoriumsvorsitzen-de der Lore Malsch-Stiftung, derfrühere Münchner StadtdekanHans-Dieter Strack, erinnerte andie langjährige enge Verbindungzwischen Stiftung und Diakonie-werk, die nun an einem „histori-schen Tag“ zu Ende gehe: Alle Ver-suche, sie zu erhalten, seien erfolg-los geblieben.

    Trotz der hohen Beträge von Ka-pital, die die Stiftung als Eigentü-merin in den vergangenen Jahrenin die Sanierung des aus den 60er-Jahren stammenden Hauses ge-steckt hat, seien noch viele Aufga-ben unerledigt. Voller Zuversichtbegrüße man deshalb den neuenTräger: „Wir übergeben unserHaus von ganzem Herzen.“

    Die Stellvertretende LandrätinAnnette Ganssmüller-Maluche be-tonte, dass das Thema Altenhilfeeine Pflichtaufgabe des Landkrei-ses sei, über die aber leider viel zuwenig gesprochen werde.

    Wichtig sei es, dass die größteAltenpflegeeinrichtung des Land-kreises München künftig erfolg-reich fortgeführt werde: „Wir brau-chen jeden Pflegeplatz.“ Sie hoffe,dass die vom Landratsamt zuge-

    sagten und bislang nicht abgerufe-nen Fördermittel für die Sanierungnun zum Einsatz kommen werden.

    Gerhard Prölß, Geschäftsführerder Hilfe im Alter, wies auf diebreite Angebotspalette hin, dienun mit dem Haus in Riemerlingergänzt werde. Angesichts der be-vorstehenden Aufgaben gebe esschon die eine oder andere Sorge:„Aber wir haben keine Angst vordem, was zu tun ist; das geht allesin eine gute Richtung.“

    Heimleiter Jan Steinbach be-richtete von der freundlichen Stim-mung, mit der er im Haus aufge-nommen wurde: „Hier ist viel zutun – aber die Atmosphäre passt.“In dem Haus stecke viel Potenzial –nicht zuletzt aufgrund seiner herr-lichen Lage: „Aus fast allen Zim-mern schaut man direkt ins Grü-ne.“ Nur an die 50 Schlüssel, überdie er jetzt verfügt, müsse er sichnoch gewöhnen.

    Der Vorstand der Inneren Mis-sion, Pfarrer Günther Bauer, er-innerte an Friedrich Hofmann, dervon 1931 bis 1945 Erster Vereins-geistlicher war und nach demZweiten Weltkrieg das „Mutter-haus für Kirchliche Diakonie Mün-chen“, den Vorläufer des Diakonie-werks Hohenbrunn, gründete. So-mit setze die Innere Mission mitder Übernahme der Verantwortungfür das Haus in Riemerling „ein al-tes Kapitel neu fort“.

    In dem benachbarten „Hausam Wald“ betreut die Jugendhilfeder Inneren Mission gemäß ihresMottos „Unsere Mission Mensch-lichkeit“ seit knapp zwei Jahrenrund 80 junge Flüchtlinge – auchdies geschehe im Geist der Diako-nie. Bauer bedankte sich bei derStiftung für den geräuschlosenÜbergang, „der möglichst langfris -tig sein soll“. Weniger geräuschloswürden jedoch die anstehendenSanierungsarbeiten vonstattenge-hen: Im Herbst beginnt der Umbauin den drei noch nicht moderni-sierten Stockwerken.

    Zum Ausklang der Feier gab esnoch eine Ehrung für eine lang-jährige Mitarbeiterin: Gordona Bozic, Leiterin der Pflegestation 1,bekam für 25-jährige Mitarbeit dasGoldene Kronenkreuz überreicht,die höchste Auszeichnung, die dieDiakonie in Deutschland vergebenkann. Klaus Honigschnabel

    Trägerwechsel beim Evangelischen Pflegezentrum inRiemerling bringt neue Aufbruchsstimmung

    Haus mit viel Potenzial

    „Historischer Tag“

  • Nr. 75 · 2016Seite 4

    kleiner grüner Innenhof. An denWänden gibt es zudem themati-sche Regale, in denen zum BeispielModelleisenbahnen oder alteWaschbretter liegen. „Es geht unsdarum, die Bewohner räumlich,zeitlich und biographisch mit al-len Sinnen anzusprechen“, erklärtSpohd. Die Menschen werden in-tensiv beschäftigt, motorisch undkognitiv aktiviert. Durch diese in-tensive Betreuung ist es auch ge-lungen, Anzahl und Dosis der ärzt-lich verschriebenen Psychophar-maka deutlich zu reduzieren.

    Die meisten Bewohner des Pfle-gezentrums leben in den vierWohngruppen, die insgesamt 120Plätze in der stationären Pflegebieten. Für sie alle bietet das Hauseine Vielzahl von unterschiedlichs -ten Aktivitäten: Gymnastik, Sin-gen und Musizieren, Ausflüge indie nahe Umgebung, Lesungenund Kino-Abende oder Bastelnach-mittage mit dem nahegelegenenSterntaler-Kindergarten. Bingo-Nachmittage sind sehr beliebt undso manche Bewohnerin übt sichim virtuellen Kegeln an der Wii-Konsole. Und fast jeden Monatgibt es ein kleines Fest.

    Dennoch hat sich in den ver-gangenen zehn Jahren einiges ge-ändert, bemerkt Spohd. Früher gab

    es beispielsweise noch Faschings-partys, bei denen alle getanzt ha-ben. Heute finden die meisten Ver-anstaltungen direkt auf den Statio-nen statt, „weil die Leute nichtmehr so mobil sind“. Durch die Re-formen in der Pflegefinanzierungund eine immer älter werdendeGesellschaft kommen die Men-schen immer später ins Pflege-heim, wo sie dann nur noch einerelativ kurze Zeit bleiben, in der sieoft intensiv gepflegt werden müs-sen. „Das macht natürlich etwasmit einem Haus, wenn die fittenBewohner immer weniger wer-den“, sagt Spohd. „Der letzte Wegwird deshalb immer mehr zumSchwerpunkt unserer Arbeit.“

    Mithilfe des Projektes „Leben biszuletzt“ wurde über mehrere Jahredie Palliativversorgung in die Ar-beit im Haus integriert – seitdemgehören zum Beispiel ethischeFallbesprechungen zum Alltag derPflegekräfte. Bei der medizinischenBetreuung am Lebensende arbeitetdas Pflegezentrum eng mit demambulanten Palliativteam ausdem Landkreis Fürstenfeldbruckzusammen. Aus dem Hospiz kom-men ehrenamtliche Helfer, die dieMitarbeiter bei der Sterbebeglei-

    tung der Bewohner unterstützen.Eine evangelische und eine katho-lische Seelsorgerin unterstützen dieMitarbeiter und bieten den Bewoh-nern ein offenes Ohr. Jede Wochegibt es einen Gottesdienst im Haus,im Wechsel evangelisch und ka-tholisch.

    Diese Veränderung der Bewoh-nerstruktur werde sicher auch diekünftige Arbeit im Pflegezentrumweiter verändern, vermutet Spohd.Doch er und seine Mitarbeitendensind es gewohnt, ihre Arbeit stän-dig zu reflektieren. Schon ein hal-bes Jahr nach der Eröffnung wurdedas Zentrum nach der Norm ISO9001 zertifiziert – der meist verbrei-teten und bedeutendsten Norm imQualitätsmanagement.

    Nicht nur hier wird die Erfül-lung der Vorgaben regelmäßigvom TÜV Süd kontrolliert, auchder Medizinische Dienst der Kran-kenkassen (MDK) überprüft dasHaus immer wieder und hat esmeist mit einer 1,0 benotet; die„schlechteste“ Bewertung war eine1,3 – weit über dem bayerischenDurchschnitt. Und zudem kannsich das Haus rühmen, vom Focus-Magazin bei einem bundesweitenVergleich zu den 629 Top-Pflege-heimen gezählt zu werden.

    Imke Plesch / Fotos: ho

    Am Anfang war da nur eine riesi-ge grüne Wiese. Dort, unmittelbaram S-Bahnhof Eichenau im Wes -ten von München, entstand vorgut zehn Jahren ein Pflegeheimder Inneren Mission komplett neu.Heimleiter Dirk Spohd, der dasPflegezentrum seit der Eröffnungim März 2006 leitet, erinnert sichan diese Zeit: „Wir waren von An-fang an in die Planungen und denBau mit einbezogen.“ Der Baukam genau zum richtigen Zeit-punkt, weil es damals noch vieleFördermittel vom Landkreis Fürs -tenfeldbruck und vom FreistaatBayern gab, „die es so heute nichtmehr gibt“.

    Aufgrund dieser finanziellenFörderung konnte das Haus groß-zügig angelegt werden: Die Fluresind breit, es gibt viel Platz für Sitz-ecken und Aufenthaltsräume. Zu-dem ist die Lage des Pflegezen-trums besonders günstig: Zum S-Bahnhof mit der direkten Anbin-dung nach München sind es nurwenige Meter. Und hinter demHaus am Starzelbach beginnt di-rekt die Natur. Angrenzend an dasHeim entstand zur selben Zeit eineWohnsiedlung; das Pflegezentrumversorgt sie umweltfreundlich mitWärme aus dem gasbetriebenenBlockheizkraftwerk.

    „Wir sind sehr gut in die Ge-meinde Eichenau integriert undarbeiten viel mit örtlichen Ärztenund Apothekern zusammen“, be-richtet Spohd. Und auch die Man-datsträger und Vereine sind gerngesehene Gäste im Haus. Die ehe-malige Gemeinderätin Marille Mu-solff hält Lesungen, Blaskapelleund Chor spielen regelmäßig beiFesten. Der frühere Erste Bürger-meister Hubert Jung ist voll des Lo-bes über die Einrichtung, die vonder Hilfe im Alter betrieben wird:„Das Pflegezentrum ist ein Glücks-fall für die Gemeinde. Ich freuemich, dass viele Eichenauerinnenund Eichenauer dort professionellePflege und engagierte menschlicheZuwendung finden.“

    Neben der Planung eines neuenPflegeheims war auch der organi-satorische Aufbau von Anfang anfür Einrichtungsleiter Spohd „sehr

    interessant“. Nicht nur Räume undGeräte waren beim Einzug nagel-neu, auch das Team für das Hausmusste er ja komplett neu zu-sammenstellen: „Es gab keinelangjährigen verkrusteten Struktu-ren – alle Mitarbeitende warengleich ‚neu’.“ Dies ist sicher auchein Grund dafür, dass viele von ih-nen zehn Jahre später immer nochdabei sind (siehe Kästen).

    Wie verbunden auch der Ein-richtungsleiter mit dem Pflegezen-trum ist, erkennt man daran, dasser mit seiner Familie selbst in einerWohnung im Haus wohnt. Gut180 Menschen leben derzeit in ver-schiedenen Abteilungen des Pfle-gezentrums. Das Angebot reichtvon der Kurzzeitpflege bis zu ei-nem beschützenden Bereich für de-menzkranke Menschen. Diese Viel-falt erlaubt es den Bewohnern,auch bei einem Wechsel der Sta-tion in ihrer gewohnten Umge-bung zu bleiben.

    Die 16 Plätze in der Kurzzeitpfle-ge sind für Menschen gedacht, diezum Beispiel nach einem Kranken-hausaufenthalt noch nicht wiedernach Hause entlassen werden kön-nen, die kurzzeitig im Heim ge-pflegt werden – wenn etwa Ange-hörige im Urlaub sind – oder diedie Wartezeit auf einen vollstatio-nären Platz überbrücken müssen.

    Nach diesem „Probewohnen“entscheiden sich viele, später ganzins Pflegezentrum zu ziehen – zumBeispiel in eine der elf Pflegewoh-nungen. „Das ist eine Mischformaus stationärer Pflege und Senio-renwohnen“, erklärt Spohd. DieAppartements sind für Paare ge-dacht, die zwar selbstständig woh-nen möchten, aber Unterstützungim Haushalt oder beim Essen be-nötigen, oder bei denen ein Part-ner pflegebedürftig ist, das Paaraber trotzdem weiter zusammen-bleiben möchte.

    Im beschützenden Bereich leben28 Menschen, die Pflege brauchenund demenzkrank sind oder einealtersbedingte psychische Krank-heit haben. Für die Unterbringunghier ist ein richterlicher Beschlussnötig. Der Bereich ist in sich ge-schlossen, in seiner Mitte liegt ein

    Viel Platz und intensive Betreuung: Vor zehn Jahren er-öffnete das Evangelische Pflegezentrum in Eichenau

    Professionelle Hilfe aufdem letzten Weg

    Joszef Vonderwist (50), Hausmeister: „In den zehnJahren gab es immer viel Ar-beit, vor allem am Anfang.Aber es ist eine fröhliche Ar-beitsstelle, wir können viel la-chen. Es herrscht ein gutesKlima im Haus, obwohl vielWechsel beim Personal ist.“

    Malgorzata Waszak (42),Reinigungskraft: „Ich binsehr zufrieden mit meiner Ar-beit; hier läuft alles ohneStress. Kein Tag ist wie derandere und ich kann mirmeine Arbeit selber einteilen.Toll finde ich, dass es jedesJahr einen Betriebsausfluggibt und ein festlichesWeihnachtsessen.“

    Michaela Bittner (50), Sta-tionsleitung: „Ich bin von ei-nem anderen Träger zur Hilfeim Alter gewechselt und binimmer noch froh über diesenSchritt. Freilich war’s am An-fang stressig in dem neuenHaus. Aber hier stehtMenschlichkeit nicht nur aufdem Papier geschrieben, hierwird sie gelebt.“

    Zu Feiern gibt es im Eichenauer Pflegezentrum fast jeden Monat etwas – wieetwa das Oktoberfest. Foto: Michaela Handrek-Rehle

    Gut in der Gemeinde integriert

    Pflege und Wohnen auf Probe

    Am 1. Januar 2017 tritt das ZweitePflegestärkungsgesetz (PSG II) inKraft. Das neue Gesetz ersetzt diebisherigen drei Pflegestufen sowiedie dazugehörigen Einstufungskrite-rien durch fünf Pflegegrade. Auchdas Begutachtungsverfahren wirdangepasst: Künftig stehen bei denEinstufungen nicht mehr vorrangigdie körperlichen Defizite im Mittel-punkt, sondern es wird der Grad derSelbstständigkeit in sechs verschiede-nen Bereichen ermittelt. Die Bereiche in ihrer unterschied-lichen Gewichtung werden dabei zueiner Gesamtbewertung zusammen-geführt.So ein differenziertes Verfahren ha-ben wir schon seit geraumer Zeit ge-fordert und befürworten es dement-sprechend auch. Denn es erfasst nunendlich psychosoziale und demen-tielle Kriterien besser. Dennoch gibt

    es ein großes Manko: Den Pflegebe-rechtigten wird durch das neue Ver-fahren gleichzeitig suggeriert, dasssie bessere Pflegeleistungen erhalten,die für ihren spezifischen Zustandnotwendig sind.In Wirklichkeit ändert sich jedochnichts. Die schlechten Rahmenbe-dingungen für die Pflege bleiben wiesie sind. Stationäre Einrichtungenmüssen auch nach der Umwandlungder Pflegestufen in Pflegegrade kos -tenneutral arbeiten. Sie betreuen al-so mit der identischen Personalaus-stattung wie vorher die identischeZahl von Bewohnern. Eine notwendige Anpassung des Per-sonalschlüssels, für die es schon seitJahren Berechnungen in den Schub-laden der zuständigen Behörden gibt– und die natürlich mit Mehrkostenverbunden wäre –, ist erst für dasJahr 2020 vorgesehen. Ob sie jemals

    kommt, steht in den Sternen. Auchdie ambulant tätigen Pflegekräftebekommen ihre Leistungen durch dieReform ab dem 1. Januar nicht bes-ser vergütet. Die Pflegeberechtigten verlieren zu-dem durch die Absenkung der Versi-cherungsleistungen bei einem niedri-gen Pflegegrad ihre Wahlfreiheit,welche Versorgungsmöglichkeit siefür sich als die individuell sinnvollsteerachten. Ein Pflegeheim wird für sie künftigfast unerschwinglich. StationärePflegeeinrichtungen hingegen wer-den immer mehr Schwerstpflegebe-dürftige in der letzten Lebensphaseversorgen – natürlich mit derselbenPersonalausstattung wie bisher. Die großartige Reform, die die Ma-cher des Gesetzes versprochen ha-ben, tritt also nicht ein. Ganz imGegenteil. Gerhard Prölß

    Pflegestärkungsgesetz stärkt nicht vielZwischenruf von Gerhard Prölß, Geschäftsführer der Hilfe im Alter

  • Nr. 75 · 2016 Seite 5

    „Diese Arbeit ist mein Leben“ –wenn die Kunst- und Musikthera-peutin Beate Muster über ihre Ar-beit erzählt, dann merkt manschnell, dass sie mit viel Leiden-schaft und Herzblut bei der Sacheist. Seit Ende Februar dieses Jahresarbeitet sie im Evangelischen Al-ten- und Pflegeheim „Friedrich-Meinzolt-Haus“ in Dachau als Be-schäftigungstherapeutin. Ihr Lieb-lingsklientel, wenn man das so sa-gen kann, sind Menschen mit De-menz: „Da habe ich die meiste Er-fahrung“, sagt die gelernte Kran -kenschwes ter. „Es geht vor allemum das soziale Miteinander unddarum, ihnen die Teilhabe am Leben zu ermöglichen.“

    Um genau das umzusetzen,greift die 50-Jährige auf Elementeaus der Kunsttherapie zurück. „Icharbeite gerne kreativ“, erklärt sie.„Was ich mache, hat nichts mitBasteln zu tun.“ Kunsttherapie ha-be immer auch einen Bezug zum

    Leben und zur Biographie der Leu-te: „Die Bewohner können etwasmitgestalten.“ Weil die Vorausset-zungen bei jeder Person unter-schiedlich sind, arbeitet BeateMus ter individuell und persönlichmit den Menschen: „Die Kommu-nikation sollte immer auf Augen-höhe stattfinden“, findet sie. „Derpersönliche Ausdruck ist wichtig.“

    Bevor sie ihre Stelle in Dachauangetreten hat, war Beate Muster24 Jahre im Evangelischen Alten-und Pflegeheim „Leonhard-Hen-ninger-Haus“ im Münchner West -end tätig; dort hat sie unter ande-rem die heiminterne Tagesbetreu-ung aufgebaut. In ihre neue Auf-gabe im Friedrich-Meinzolt-Haushat sie sich schnell eingefunden:Sie hat das Konzept von ihrer Kol-legin übernommen, geht jeden Tagauf die Stationen und bietet denBewohnern Beschäftigung an.

    In einer Gruppe mit fünf bissechs Frauen beschäftigen sie sich

    Persönlicher Ausdruck ist wichtig

    Beate Muster ist Beschäftigungstherapeutin im Evangelischen Alten- und Pflegeheim„Friedrich-Meinzolt-Haus“ in Dachau

    Ein kleiner, liebevoll bemalter Bau-ernschrank steht auf dem Tischvor Daniela Weis. Darin liegen ne-palesische Gebetsflaggen, eineMokkatasse aus Bosnien und einePuppe aus China. Der Schrank istnur ein kleiner Baustein des Pro-jektes „Interkulturelle Öffnung derPflege in München“, an dem das„Leonhard-Henninger-Haus“ alseines von fünf Alten- und Pflege-heimen teilnimmt.

    2014 hat die Stadt München dasfünfjährige Projekt ins Leben geru-fen und stellt die Mittel dafür zurVerfügung. Denn in den kommen-den Jahren wird es immer mehrpflegebedürftige Migrantinnen undMigranten geben, die Unterstützungund Pflege benötigen. Wie kannman das „Leonhard-Henninger-Haus“ für Bewohner aus verschiede-nen Kulturen öffnen und die Zu -sam menarbeit zwischen verschiede-nen Kulturen verbessern? An Fra-gen wie dieser arbeitet Projektkoor-dinatorin Daniela Weis in der Ein-richtung im West end.

    Dafür ist das Heim prädesti-niert: Derzeit haben 45 Prozent derBewohner des Stadtteils über 65 ei-nen Migrationshintergrund, Ten-denz steigend. Ein Trend, der sichauch immer mehr im „Leonhard-Henninger-Haus“ abzeichnet: Vonden 141 Bewohnerinnen und Be-wohnern haben 18 ihre Wurzelnaußerhalb von Deutschland.

    Bei den Mitarbeitenden kom-men derzeit 46 Prozent ausDeutschland, der Rest stammt un-ter anderem aus Bosnien, Vietnam,Kroatien, Ungarn, Kuba, Nigeria,Litauen, Estland, der Türkei undHolland. „Die Leute im Haus sindein Schatz, sie haben ein tolles Ge-spür, eine hohe emotionale Kom-petenz“, sagt Daniela Weis. „Es istschon viel Wissen und interkultu-relle Kompetenz da.“ Diese gelte es,zu sammeln und zu stärken.

    „Wir möchten kein Projekt auf-setzen, das an den Bedürfnissenvon Bewohnern und Mitarbeiten-den vorbeigeht“, betont Weis. DasPartizipative ist ihr persönlich sehrwichtig: „Wir versuchen, alle insBoot zu holen und in kleinen

    Schritten zu gehen, damit alle mit-kommen können.“ Die erstenSchritte sind schon gemacht: Da-niela Weis hat die Sprachkompe-tenzen der Mitarbeitenden erfasst:Insgesamt sprechen sie 30 Spra-chen. Schon zwei Mal gab es eineInterkulturelle Woche, bei der dieMitarbeitenden die Möglichkeithatten, ihre Kultur – und so aucheine andere Seite von sich – zupräsentieren, sehr zur Freude derBewohnerinnen und Bewohner.

    Mittlerweile sind alle Mitarbei-tenden zu einem Kurs zur Interkul-turellen Einführung eingeladenworden. „Es ist eine Gelegenheitfür alle – Migranten und Deutsche– sich mit ihrer Herkunft und Kul-tur auseinanderzusetzen und diegegenseitige Akzeptanz zu erhö-hen“, findet Daniela Weis. In denKursen haben sie auch Ideen ge-sammelt, wie man das Haus fürMigranten öffnen kann.

    Eine Auswahl der Ideen setztseit September eine Projektgruppeum – in enger Absprache mit derLeitung. 13 Mitarbeitende aus al-len Stationen sind derzeit dabei,aus den Bereichen Pflege, Betreu-ung, Küche und Verwaltung. „Siesind in den Alltagsablauf integ -riert, können von den Stationenberichten und die erarbeitetenThemen ins Haus tragen“, sagtDaniela Weis. Alle sechs Wochentreffen sie sich, überlegen gemein-sam, welche Projekte sie angehenmöchten. Einen Deutschkurs fürdie internationalen Kollegen wirdes geben und Themennachmittagezu kultursensibler Pflege sowiePflege im Islam.

    Für das Projekt ist Vernetzungwichtig. Schon jetzt arbeitet Danie-la Weis eng mit dem Seminar fürmehrsprachige Helfer zusammen:unter anderem an einem Kofferder Erinnerungen für Demenz-kranke.

    Darin sollen einmal Schachtelnmit typischen Gegenständen fürverschiedene Kulturen liegen – undbei den Bewohnern Erinnerungenwecken und es leichter machen,mit ihnen ins Gespräch zu kom-men. Die ersten Stücke sind schonin dem kleinen Bauernschrank.Bald werden viele weitere dazukommen. Isabel Hartmann

    Schritt für Schritt für ande-re Kulturen sensibilisieren

    Interkulturelle Öffnung der Pflege – das „Leonhard-Henninger-Haus“ ist dabei

    Weil die Bewohner im Pflegezentrum Sendling in der Regel nicht auf dasrichtige Oktoberfest gehen können, kam die Wiesn Ende Oktober eben insHaus. Ganz besonders freute sich das Team um Einrichtungsleiter FlorianWalter über Schlagersänger Patrick Lindner, der sich für diesen Tag extraZeit genommen hatte, um den Bewohnern mit seinen Liedern eine Freudezu machen.Bei frischem Bier vom Fass, reschen Brezn, leckerem Obatztn und Grieben-schmalz schunkelten und tanzten die Bewohner, als wären sie mit einemSchlag um 20 Jahre jünger geworden – viele hatten aus diesem Anlassauch wieder ihre schönen alten Trachten aus dem Schrank geholt. In denPausen unterhielt sich Patrick Lindner mit Bewohnern und Mitarbeitenden,verteilte Autogramme und stand für Erinnerungsfotos bereit. Und auch wenn das schönste Fest einmal zu Ende geht: Nächstes Jahrkommt die Wiesn sicher wieder in das Pflegezentrum nach Sendling.

    Text und Foto: Markus Zechmann

    Patrick Lindner live in Sendling

    zum Beispiel mit Wolle. „Am An-fang geht es um die Sinnesstimula-tion, um das Anfassen der Woll-knäuel, um die Motorik“, sagt dieKunsttherapeutin.

    Die Frauen rollen die Wollknäu-el untereinander wie Bälle aufdem Tisch hin und her und fangensie auf. „Das macht Spaß, ist gutfür die Konzentration und dientauch der Kommunikation“, erklärtBeate Muster. Mittlerweile hat dieGruppe aus den Wollfäden ein Bildgestaltet. Ein buntes Geflecht istentstanden, „ein Netz unserer Ge-meinschaft“, das zeigt, dass jedermit jedem verflochten ist.

    Die Bewohnerinnen und Be-wohner mit einzubinden und inden Mittelpunkt zu stellen – dar-auf legt Beate Muster großen Wert.„Sie sind doch der Dreh- und An-gelpunkt unserer Arbeit“, sagt sie.So waren diese auch an der Pla-nung und Gestaltung des Sommer-fests beteiligt, das Muster federfüh-rend organisiert hat. „Unglaublichkreativ“ seien die Beteiligten gewe-sen, sie hätten tolle Sachen gestal-tet – jeder nach seinen eigenenMöglichkeiten.

    „Da weckt man ganz indivi-duelle Ideen“, beobachtet BeateMuster immer wieder. So wie beimHighlight des Sommerfests: denzwölf Blumenmodels. Jedes derModelle, darunter ein Mann, durf-te sich seine Lieblingsblume aussu-chen – und dann sowohl seinenKopfschmuck als auch das Blu-menkleid selbst gestalten: Von derIris, der Orchidee über den Flieder,Schneeglöckchen, Rhododendron,dem Gänseblümchen bis hin zurTulpe, dem Vergissmeinnicht, derMohnblume, der Nelke und Rosenwar alles vertreten.

    Das war eine große Herausfor-derung“, erinnert sich Beate Mus -ter. Doch die Mühe hat sich ge-lohnt: Die Bewohner, das Pflege-personal, das auch in den Auftrittund die Organisation eingebun-den war, und die Angehörigen wa-ren sehr stolz.

    „Die kreative Arbeit und späterdann auch der Auftritt zaubertenein Lächeln auf das Gesicht der Be-wohner“, erzählt Muster. „Es gehtimmer auch um die Würde undSchönheit. Die Menschen könnenso eine Spur hinterlassen und füh-len sich wahrgenommen.“

    Simone Bauer

    Rund um die Welt sind die Bewohner und Mitarbeitenden bei der Interkulturel-len Woche im „Leonhard-Henninger-Haus“ gereist. Foto: Dorothee Obermayr

    Im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen die Menschen; für Beate Muster sind sie der„Dreh- und Angelpunkt“. Fotos: Simone Bauer, Christian Zanke

    Kompetenzen gezielt sammeln

    Individuelle Ideen wecken

    Ganz individuell: Kopfschmuck undBlumenkleid.

  • Nr. 75 · 2016Seite 6

    Beim Medien-Thema „Pflege“ gehtes meistens um Pflegefehler undPersonalmangel. Um den Tod gehtes selten. Dabei sind die Pflege-kräfte täglich mit dem Sterbenkonfrontiert. Besonders schwierigist das, wenn alte Menschen lautund deutlich sagen: „Ich will nichtmehr leben.“ Wie soll man damitumgehen? Notizen aus dem Evan-gelischen Pflegezentrum in Eben-hausen.

    Der Frühstückstisch in derWohngruppe im „Sonnenhof“ istgerade abgeräumt. Angelika, dieBetreuungskraft, packt einen Sta-pel Karten aus. „Sollen wir einpaar Sprichwörter raten?“, fragt sielaut. „Wie gewonnen, so…“, liestsie vor und schaut in die Runde.„… so zerronnen“, sagt mit mono-toner Stimme eine weißhaarigeFrau, deren Blick ganz nach innengerichtet scheint. Ein Herr mit star-ken Brillengläsern erhebt sich, nickt, schiebt seinen Stuhl akkuratan den Tisch und geht.

    Am Tischende schnaubt eineDame verächtlich und schütteltden Kopf. Eine andere döst mithalbgeschlossenen Augen; nur ein-mal taucht sie für eine Antwort ausihren Gedanken auf. Im Hinter-grund verfolgt eine Frau andere Be-wohner, packt sie am Arm, um mitihnen zu reden. Wieder eine ande-re betrachtet nachdenklich ihre zu-sammengeknüllte Stoffserviette.Schließlich beginnt sie, damit ener-gisch die Möbel zu polieren.

    48 Menschen wohnen auf derbeschützenden Station des Pflege-heims Ebenhausen. Auch in denunterschiedlichen Stadien ihrerDemenz sind ihre Charaktere völ-lig verschieden. Eines haben sie al-

    le gemeinsam: Sie werden im Son-nenhof sterben.

    „Man ist hier zu hundert Pro-zent mit dem Tod konfrontiert“,sagt Franziska Fischer, die stellver-tretende Stationsleiterin. Das lässtdie 28-Jährige nicht kalt – und na-türlich ist das auch nicht immerleicht. Trotzdem ist ihr Standpunkt

    klar: „Das Sterben gehört zum Le-ben dazu, ob mit 90 oder mit 30Jahren“, sagt die Mutter von zweiTöchtern. Schwierig sind die Be-gleitumstände: Sterben und derWunsch zu sterben, beides ist im-mer eine Herausforderung für alle.

    Dass über alles, was zum Ster-ben gehört, mittlerweile in vielenPflegeheimen offener gesprochenwird, ist auch ein Verdienst der Ini -tiative „End-Of-Life-Care“ (EOLC)der Diakonie Bayern. Dort hatteman vor zehn Jahren erkannt,

    dass selbst bei bester Hospiz- undPalliativversorgung immer nochFragen offen und Probleme unge-löst bleiben. Die erste Initiativeging dabei von der Hilfe im Alteraus: In dem Projekt „Leben bis zu-letzt“ hatte sich damals PfarrerFrank Kittelberger dieses Themasangenommen.

    „Nicht alle Schmerzen könnengelindert werden“, sagt DorotheaBergmann und meint das auch imübertragenen Sinn. Die Pfarrerinist jetzt für die Fachstelle „Spiritua-lität, Palliative Care, Ethik undSeelsorge“ (SPES) der Hilfe im Altertätig, die im Raum München undOberbayern zehn Pflegezentrenmit rund 1.400 Plätzen betreibt.

    Im Sonnenhof von Ebenhausenbemühen sie sich sehr darum, ster-bende Menschen so zu begleiten,wie es ihrem Willen entspricht. Im

    Todeswünsche im Alter bringen Pflegekräfte an ihre Grenzen

    Was tun, wenn alte Menschen nicht mehr leben wollen?

    „Ich will nicht mehr leben“

    Immer mehr alte Menschen wollen sich sich das Leben nehmen, weil sie mitder Last des Alltags nicht mehr fertig werden. Foto: Michaela Handrek-Rehle

    Respekt und Empathie sind Leit-fäden in der Begleitung lebens-müder Altenheimbewohner weißPfarrerin Dorothea Bergmann(Foto). Sie leitet die Fachstelle„Spiritualität, Palliative Care,Ethik und Seelsorge“ bei der„Hilfe im Alter“. Ethische Fallbe-sprechungen mit Pflegekräften,Ärzten und Angehörigen gibt esin allen zehn Pflegeheimen derInneren Mission. Susanne Schrö-der sprach mit ihr über Todes-wünsche bei Senioren.

    ?„Ich möchte sterben“: Wie ofthören Mitarbeitende im Pflege-heim das?

    !Das kann man als Pflegender jeden Tag hören, von mehrerenBewohnern.

    ?Was sind denn die Gründe da-für?!Manchmal sind es große Schmer-zen, manchmal ist es der Einzugins Pflegeheim: Der Verlust der ei-genen Wohnung kann zu einer de-pressiven Verstimmung führen,viele haben Angst vor Abhängig-keit und Fremdbestimmung.

    Manchmal sind die Menschenauch lebenssatt im guten Sinne.Häufig ist es der Verlust von Fami-lienangehörigen. Wenn der Ehe-partner verstorben ist und vieleFreunde, dann gerät das sozialeSystem aus den Fugen.

    ?Wie gehen Pflegekräfte damitum, wenn jemand täglich sagt:„Ich mag nicht mehr leben“?

    !Das kommt auf die Intentionan. Manche Bewohner drückendamit aus, dass sie sich mehr Auf-merksamkeit wünschen. Manchesind verzweifelt; manche denkentatsächlich an Suizid. Unsere Pfle-gekräfte versuchen herauszufin-den, wie der Wunsch gemeint ist,welcher Grund dahintersteckt. Injedem Fall wissen sie: Das darf einMensch denken. Seine Aussagewird nicht einfach abgetan.

    Es ist wichtig, empathisch zusein, Beziehung herzustellen unddem Bewohner deutlich zu ma-chen: „Uns würde es etwas ausma-chen, wenn Sie nicht mehr da wä-ren.“ Damit klar ist: Es ist nichtegal, ob der Mensch lebt odernicht. Zuhören ist wichtig: Manch-

    mal steckt hinter der Aussage einBedürfnis, das gehört werden willund das sich manchmal sogar er-füllen lässt.

    ?Wie nehmen sich alte Men-schen das Leben?!Suizidversuche im Alter sind ofthart: Menschen springen ausdem Fenster oder stürzen sich mitdem Rollstuhl die Treppe runter –in der Erwartung, dass sie die Fol-gen dieser Verletzungen nichtüberleben. Das Dilemma für Pfle-gekräfte ist: Wenn jemand nach-weislich einen Suizid vorhat oderschon einen Versuch gemacht hat,folgt fast automatisch die Einwei-sung in eine geschlossene psychia-trische Abteilung. Das verstört dieMenschen aber noch viel mehr.

    ?Warum soll ein Mensch nichtselbst bestimmen dürfen, wanner sterben will – warum muss manihn dafür in der Psychiatrie weg-sperren?

    !Es geht wohl auch darum, einenMenschen zu schützen, manch-mal auch vor sich selbst. Abernach einem Suizidversuch sollte

    die Einweisung in die Psychiatrienicht der einzige Weg sein. Manch-mal ist gerade die Zuwendung inder vertrauten Umgebung hilfrei-cher. Wir wollen den Menschen soviel Lebensqualität wie möglich er-öffnen. Ein Mensch darf sich denTod wünschen, wir müssen ihndeshalb nicht automatisch in einegeschlossene Abteilung verlegen.Der Sterbewunsch gehört manch-mal zum Sterbeprozess. Und densoll er bei uns, in seiner vertrautenUmgebung erleben dürfen.

    ?Was heißt das theologisch be-trachtet?!Theologisch betrachtet ist dasLeben von Gott geschenkt. Wirkönnen dieses Geschenk nicht ein-fach zurückgeben. Grundsätzlichmuss man um Leben kämpfen,weil der Suizid in unserem Kontextoft eine Verzweiflungstat ist undalles andere als selbstbestimmt.Das Altenbild der Gesellschaft istnach wie vor katastrophal. DieQualität des hohen Alters derMenschen, die hier leben, die ge-sammelte Lebenserfahrung – alldas hat immer noch keinen Wert

    an sich. Dennoch: Es sind nur we-nige, die sich dann zu einem Bi-lanzsuizid entschließen.

    Aber dann – so ist es meine Auf-fassung als Seelsorgerin – wäre eseine wichtige Aufgabe, ihnen indieser Situation zur Seite zu stehenund das Gespräch anzubieten,auch das Gespräch in der Familiezu unterstützen und zu fördern.Ich denke, es gilt auch, einen sol-chen Sterbeprozess zu begleitenund die Menschen damit nicht al-lein zu lassen. Gerade in solcherOffenheit geschieht es manchmal,dass die Menschen noch mal um-denken und sich – unterstütztdurch palliative Versorgung – aufein weiteres Stück auf ihrem Le-bensweg einlassen.

    „Suizide im Alter sind oft sehr hart“

    Fachjargon heißt das zum Beispiel:Essen und Trinken nach Akzep-tanz. Wenn ein Bewohner nichtsmehr essen mag, versuchen Fran-ziska Fischer und ihre Kolleginnenerst, alle möglichen Gründe abzu-klären: Hat der Patient Zahnweh?Hat er Schluckbeschwerden, weildie Demenz die Muskeln blockiert?Ist er gerade depressiv verstimmt?Schmeckt es ihm vielleicht einfachnicht? Gerade bei Demenzkrankenist die Ursachenforschung nichtimmer leicht.

    Am Ende entscheidet aber derBewohner, ob er isst oder nicht:„Wenn jemand den Mund nichtmehr aufmacht, akzeptieren wirdas“, sagt Fischer. Das sogenannteSterbefasten ist die einzige Formdes Suizidversuchs, die Pflegehei-me tolerieren dürfen. Nach Ab-sprache mit Arzt und Angehörigenkonzentriert sich die Pflege in soeinem Fall dann stärker darauf,das Sterben so leicht wie möglichzu machen.

    Auf regulären Pflegestationen istder ausgesprochene Wunsch zu ster-ben nichts Ungewöhnliches. „Dassjemand sagt: ‚Ich mag nicht mehr‘,kann man als Pflegekraft täglichund mehrfach hören“, sagt Pfarre-rin Bergmann (siehe Interview).

    Harte Dämpfer für die Lebens-motivation alter Menschen gibt esviele. Freunde sterben, manchmalauch die eigenen Kinder, die Ein-samkeit nimmt zu, genauso wieSchmerzen und körperliche Ein-schränkungen. Dass alt werdennichts für Feiglinge sei, ist ein läs-siger Spruch. Wie viel Tapferkeitmanchmal wirklich dazu gehört,sieht Barbara Sauer täglich. DerUmzug ins Heim, der Verlust vonMobilität und Selbstbestimmungsind kritische Momente, in denenSuizidgedanken laut werden kön-

    nen, weiß die Pflegedienstleitungim Altenheim Ebenhausen.

    Sie sagt: „Wir nehmen solcheÄußerungen sehr ernst – aber es istnicht unsere Aufgabe, Leben zu be-enden. “Also versuchen die Pflege-kräfte, besonders gefährdete Men-schen aus ihren Zimmern zu holen,sie in den Alltag einzubinden undihnen zuzuhören. „Einigeln machtes schlimmer – erzählen macht es oft besser“, stellt Sauer fest. Dassfür ausführliche Gespräche im Pfle-gealltag kaum Zeit bleibt, ist dasbekannte Dilemma. Besuchsdiensteund Betreuungskräfte füllen dieLücke, so gut es geht.

    Nicht immer fruchten die Bemü-hungen. Claudia Greif-Mikas istseit vielen Jahren Beschäftigungs-therapeuthin in Ebenhausen undhat erlebt, dass Bewohner versuchthaben, sich die Pulsadern aufzu-schneiden oder sich zu erhängen.„Für die Pflegekräfte ist das einSchock“, sagt die 48-Jährige. Dop-pelt schlimm: Nach einem Suizid-versuch muss das Heim die Men-schen in die Psychiatrie einweisenlassen. Für Franziska Fischer keineLösung: „Man muss doch amGrund arbeiten – die Patienten ein-fach wegsperren, das ist heftig.“

    Franziska Fischer und ClaudiaGreif-Mikas kennen viele Sterbege-schichten, schreckliche und schö-ne. Dabei ist der selbstgewählteTod nicht immer schön und dasSterben nach langem Siechtumnicht immer schrecklich.

    Claudia Greif-Mikas erinnertsich an einen Bewohner, der langeschwerkrank war: „Als es ans Ster-ben ging, konnten wir seiner Frauein Bett in sein Zimmer stellen. Siewar die ganze Zeit bei ihm. Er istin ihren Armen gestorben.“ Fran -zis ka Fischer nickt. Für einen Mo-ment ist es ganz still im Stations-zimmer. Man spürt: So ein Tod istfür alle Beteiligten ein Geschenk.

    Susanne Schröder / Sonntagsblatt

    Dämpfer für die Lebenslust

  • Nr. 75 · 2016 Seite 7

    Kurz gemeldet

    Fachtag über Heimatund VerschiedenheitMit dem Thema Geborgenheitund Heimat in der letzten Lebens-phase befassten sich rund 65 Mit-arbeitende der Hilfe im Alter bei ei-nem Fachtag Mitte November.Seelisch-spirituelle Fragen und kör-perliche Bedürfnisse sind indivi-duell verschieden und hängen vonder jeweiligen Kultur ab. Da sichdie Gesellschaft in einem stetenWandel befinde, seien auch Pflege-kräfte mit diesen Fragen stärkerkonfrontiert, so Pfarrerin DorotheaBergmann in ihrer Einladung.

    Vorübergehender Bau-stopp in SchlehdorfDes einen Freud, des anderenLeid: Die alten Mauerreste, diebeim Aushub für das neue Pflege-zentrum in Schlehdorf aufgetauchtsind, freuen zwar die Archäologen,bringen aber eine Bauverzögerungvon mehreren Monaten mit sich.Gefunden wurden offenbar Über-reste des alten Klosters, das vorlanger Zeit an diesem Fleck stand.Das Haus dürfte demnach erst imSeptember 2018 bezugsfertig sein.

    Evangelische PflegeAkademieImmer mehr ältere Menschen inAlten- und Pflegeheimen habenDemenz oder psychische Krankhei-ten. Wie können stationäre Einrich-tungen auf diese Entwicklung rea-gieren? Mit Fragen wie dieser ha-ben sich 19 Teilnehmende an derWeiterbildung „Gerontopsychiatri-sche Pflege und Betreuung“ an derEvangelischen PflegeAkademie- Personalentwicklung mehrere Monate lang beschäftigt. Sie haben 560 Stunden die Schul-bank gedrückt, ein 40-stündigesgerontopsychiatrisches Praktikumabsolviert und eine Projektarbeitgeschrieben, unter anderem zu ei-nem Trimm-Dich-Pfad für Men-schen mit Demenz, zum Thema„Sexualität im Alter und bei Men-schen mit Demenz“ oder zum Assessment bei herausforderndemVerhalten. Großes Lob gab es für die Teilneh-menden bei der Abschlussfeier. „Ei-ne Fortbildung neben der Arbeit zuabsolvieren, ist eine Herausforde-rung – das verdient Anerkennung“,betonte Susanne Hofmann, Leiterindes Bereichs Personalentwicklungder Evangelischen PflegeAkademie.

    Hilfe im AlterEine glatte 1,0 vom MedizinischenDienst der Krankenkassen (MDK)erhielten in den vergangenen Mo-naten gleich zwei Einrichtungender Hilfe im Alter: das EvangelischeAlten- und Pflegeheim Planeggund das „Leonhard-Henninger-Haus“ im Westend. Letzteres bekamdie Spitzennote sogar zweimal: fürden Bereich der stationären Pflegesowie für die Kurzzeitpflege. Bei der jährlichen Regelüberprü-fung nehmen die Gutachter desMDK die vier Bereiche Pflege undmedizinische Versorgung, Umgangmit demenzerkrankten Bewohnern,Soziale Betreuung und Alltagsge-staltung sowie Wohnen, Verpfle-gung, Hauswirtschaft und Hygienein Augenschein.

    Gemeinsam der Demenz ein Schnippchen schlagen: Eugen Häußer (r.) undHermann Kellerer spielen gerne Schach. Foto: Brigitta Wenninger

    Seit diesem Jahr bietet die Hilfe imAlter Aufbaukurse für mehrspra-chige Demenzhelferinnen und -helfer an. Einige Menschen inMünchen haben die kultursensib -len Schulungen bereits absolviertund engagieren sich nun in die-sem ebenso anspruchsvollen wiebereichernden Ehrenamt. Sie spre-chen die verschiedensten Spra-chen: Deutsch, Englisch, Italie-nisch, Türkisch, Serbokroatisch,Ungarisch. Oder Russisch. So wieEugen Häußer. Gerade ist er zu Be-such bei einer Familie in Laim.

    Häußer sitzt mit Hermann Kel-lerer an einem Tisch. Der Blick derbeiden Männer ist auf das Schach-brett vor ihnen gerichtet. Es istmucksmäuschenstill. Kellerer hatden Kopf in die Hände gestütztund denkt lange nach. Dannmacht er den nächsten Zug.„Schach“, sagt er. Und Matt. DerMann, der gewonnen hat, ist 89Jahre alt und an Demenz erkrankt.Er lächelt, als Eugen Häußer ihmdie Hand schüttelt, um ihm zumSieg zu gratulieren.

    Es sind kostbare Stunden. So-wohl für Häußer, als auch für dieMenschen, für die er regelmäßigda ist. Seine Russischkenntnissesind momentan nicht gefragt; der-zeit kümmert sich der 69-Jährigeum einen Ägypter und zwei Deut-sche. „Wer sich als mehrsprachigerDemenzhelfer vermitteln lassenmöchte, muss zunächst den ent-sprechenden Grundkurs absolvie-ren“, erklärt Hannes Brücher. Erleitet das „Seminar für mehrspra-chige Helferinnen und Helfer“ beider Hilfe im Alter. Ziel der Schu-lung ist es, älteren Menschenunterschiedlicher Herkunft mit Hil-fe der mehrsprachigen Ehrenamt-lichen den Zugang zum deutschenPflegesystem zu erleichtern.

    Einen Schritt weiter geht dieAufbauschulung, die seit diesemJahr angeboten wird. Sie bereitetdie Helfer darauf vor, demenziellErkrankte mit Migrationshinter-grund, die noch zu Hause leben,zu begleiten, ihnen Zeit zu wid-men und so auch die Angehörigenzu entlasten.

    Das Altwerden und schließlichdas schleichende Vergessen habenHermann Kellerers Leben verän-

    dert. „Er ist früher immer viel zumBergsteigen gegangen“, erzählt sei-ne Frau. Bis es nicht mehr möglichwar. Dass er an Demenz erkranktist, weiß seine Familie seit zweiJahren. Bei der Betreuung ihresMannes und der Bewältigung desAlltags hat die 82-Jährige Unter-stützung: Eine Haushaltshilfe ent-lastet sie, zudem kümmert sich einPflegedienst der Münchner Arbei-terwohlfahrt (AWO) täglich umden Demenzkranken. Die AWOwar es schließlich auch, die bei derFachstelle der Hilfe im Alter einenehrenamtlichen Demenzhelfer fürHermann Kellerer anforderte.

    Als Eugen Häußer hörte, dass je-mand zum Schachspielen gesuchtwurde, musste er nicht lang überle-gen. Jetzt spielen die beiden immerzwei bis drei Partien Schach an ei-nem Nachmittag. Häußer lebt seit2002 in Deutschland. Vorher arbei-te der Russlanddeutsche als Chef-redakteur einer Zeitung in St. Pe-tersburg. Er engagiert sich schonseit vielen Jahren für Menschen,die hilfebedürftig sind. Auf die Fra-ge, warum er das macht, hat er ei-ne simple Antwort parat: „Weilman etwas tun muss. Und weil iches mit Vergnügen mache.“ Das Eh-renamt als Demenzhelfer empfin-det er als Bereicherung. Und auchdie Gespräche mit Herrn Kellerer.

    Menschen mit Migrationshin-tergrund, die älter werden und anDemenz erkranken, verlieren oftdie Erinnerungen an ihr Leben inDeutschland und die dort erlernteSprache. Die Muttersprache dage-gen bleibt meist lange erhalten.Umso wichtiger ist der Aufbaukursfür mehrsprachige Demenzhelferund -helferinnen. Der Kurs, der 60Unterrichtseinheiten umfasst,spricht gezielt mehrsprachige Eh-renamtliche an, vermittelt unteranderem medizinische Grundla-gen und erläutert Zusammenhän-ge von Demenz und Migration.

    „Acht Männer und Frauen ha-ben den Aufbaukurs bereits erfolg-reich abgeschlossen“, sagt Brücher.Kommendes Jahr werden es mehr:Im Mai beginnt der nächste Auf-baukurs. Brigitta Wenninger

    Spielend die Krankheitüberlisten

    Kultursensible Schulungen für mehrsprachige Demenz-helferinnen und -helfer

    „Gleich mal vorneweg: Bisher warmir nur die stationäre Pflege be-kannt. Die ambulante Pflege istNeuland für mich. Und nun binich als Praktikant in der ambulan-ten Pflege tätig im Rahmen meinerAusbildung zum Altenpfleger.

    Vieles von dem, was ich vorhervon Kollegen erfahren hatte, stelltesich schon bald als bloßes Vorur-teil heraus. Vom ursprünglichenGedanken, die ambulante Pflegesei so viel leichter als die im statio-nären Bereich, weil man da den

    Klienten ja nur mal Strümpfe an-ziehen oder die Tabletten verabrei-chen müsse und dann weiter zumnächsten Klienten fahre, habe ichmich bereits nach dem ersten Tagverabschieden müssen.

    Natürlich gibt es solche Situatio-nen auch, allerdings ist die Pflegeinsgesamt deutlich anspruchsvoller,als ich mir anfangs vorgestellt hat-te. Was freute ich mich zuerst ange-

    sichts der geplanten Pflegezeiten,die teilweise mit bis zu 50 Minutenfür einen Klienten veranschlagt wa-ren!? In der Praxis brauchte ichdann gleich mal eine Stunde undwar danach schweißgebadet. Vonwegen „leichte Pflege“. Auch dasAutofahren ist in der ambulantenPflege etwas anders, als ich mir daszuvor gedacht hatte: Man rastdurch die Gegend, lauert auf poten-zielle Blitzer an allen Ecken und En-den, rechts vor links – auf so vielesmuss man achten. Und immer dersubjektive Druck im Nacken, bloßpünktlich zum nächsten Klientenzu kommen.

    Eine unerwartet große Umstel-lung bedeutete es für mich auch,die Menschen in ihrem Zuhausezu pflegen. Jede Wohnung ist indi-viduell eingerichtet, jedes Möbel-stück steht für eine Geschichte desKlienten. Anfangs fühlte sich dasfast an wie ein „Einbruch“ in diePrivat- und Intimsphäre.

    Als größte Herausforderung seheich die Gratwanderung zwischenfachlicher Pflege und den indivi-duellen Bedürfnissen. Erschwertwird das durch die Wohnsituatio-nen, enge zeitliche Vorgaben – undden Wunsch, mehr tun zu wollenfür den Klienten, als vertraglichvereinbart ist oder bezahlt wird.

    Nach den Praktikumswochen inder Ökumenischen Sozialstationweiß ich jetzt, dass mir die ambu-lante Pflege deutlich mehr Spaßmacht als ich ursprünglich ge-dacht hätte. Für mich ist sie einegleichwertige Option zur stationä-ren Pflege geworden.“

    Im pflegerischen NeulandVier Wochen als Praktikant in der ambulanten Pflege

    Vier Hände sind auf dem Plakat zusehen, die ineinander greifen. Dar-über steht in roten Buchstaben:„Sie möchten zu Hause bleiben?Wir helfen Ihnen.“ Mit diesem Pla-kat werben die Münchner Alten-und Service-Zentren (ASZ) für diePräventiven Hausbesuche.

    Seit April 2015 bietet das ASZHaidhausen diese an. Ansprech-partnerin für die PräventivenHausbesuche ist Sarah Ehrenstein:„Das Angebot wendet sich bewusstan ältere Menschen, die noch kei-nen oder wenig Hilfebedarf ha-ben“, erklärt sie. Das Ziel: „Wirwollen frühzeitig ansetzen, übermögliche Hilfe informieren unddie Fähigkeiten und Kompetenzender Senioren stärken – und so einmöglichst langes Leben zu Hauseermöglichen.“

    Dafür besucht Ehrenstein dieMenschen zu Hause. „Dann seheich gleich, wie sie leben, ob manden Wohnraum eventuell anpas-sen muss“, erzählt sie. Sie hört sichdie Fragen – und manchmal auchdie Sorgen – an. Was ist, wenn ichmich nicht mehr alleine versorgenkann? Wo bekomme ich dann Hil-fe? Was für Betreuungsangebotegibt es? Welche verschiedenenWohnangebote – vom BetreutenWohnen bis hin zu Pflegeheimen –existieren?

    Der Hausnotruf ist oft ein The-ma bei den Beratungen – er gibtSicherheit für Leute, die alleine le-ben. In manchen Fällen ist der ers -te Schritt, einen ambulanten Pfle-gedienst zur Medikamenten gabeeinzusetzen. „Da kann man spätergut drauf aufbauen, er kann dannGrundpflegeleistungen überneh-men“, sagt Ehrenstein.

    Es gehe aber gar nicht vorran-gig darum, gleich einen Hausnot-ruf oder andere Angebot zu arran-gieren“, sagt sie. „Wichtiger ist es,dass die Ratsuchenden wissen, anwen sie sich wenden können,wenn es ihnen schlechter geht.“

    Bei ihren Gesprächen erzähltSarah Ehrenstein auch vom ASZ,vom Mittagstisch und den Ange-boten dort: „Wir wollen Leute ab-holen, die Hemmschwelle senken,bei uns anzurufen oder vorbeizu -kommen.“

    Schon einige Personen hat Eh-renstein im vergangenen Jahr be-raten, die meisten haben überMundpropaganda von dem Ange-bot erfahren. Meist besucht die So-zialpädagogin die Interessenteneinmal und schaut dann nochmal, ob alles passt. Und dann wis-sen sie, dass sie jederzeit auf sie zu-kommen können. „Für manchebin ich eine Art Familienersatz“,sagt sie. Isabel Hartmann

    Alten- und Service-Zentrum Haidhausen bietet präven-tive Hausbesuche an

    „Eine Art Familienersatz“

    Medizinische Grundlagen

    Fabian Schillhuber mach-te ein vierwöchiges Prak-tikum bei der Ökumeni-schen Sozialstation Gie-sing-Harlaching. Foto: ho

  • Nr. 75 · 2016Seite 8

    „Happy Birthday, lieber Kindergar-ten!“ – ein Ständchen zum zehntenGeburtstag bekam das Evangeli-sche Haus für Kinder MessestadtOst von Kindern, Eltern, Großel-tern, Erzieherinnen und Erziehernund vielen Gäs ten. Die Einrich-tung hatte ihr Sommerfest mit denFeierlichkeiten zum Jubiläum ver-knüpft.

    Die Kinder hatten das Pro-gramm mitgeplant: Ponyreiten,Springen und Durchschütteln aufdem Riesen-Wasserbett, Tanzen

    und Singen mit der TruderingerBand „Schrittmacher“, Tombola,Puppenspiel und ein internationa-les Buffet.

    Der offizielle Teil fand auf einerBühne auf der großen Wiese ne-ben dem Haus für Kinder statt. Mitganz besonderen Moderatoren:

    den Kindern. „Jetzt kommt einGrußwort von der Mama von derIla, sie heißt Frau Gröpke und istdie Chefin vom Elternbeirat“, ver-kündete eines von ihnen. Gröpkebedankte sich für die gute Arbeitbei Einrichtungsleiterin GabrieleOchse und ihrem Team.

    Auch Rosemarie Reichelt, Leite-rin der Abteilung Kindertagesbe-treuung bei der Inneren Mission,lobte die Verantwortlichen und dieStabilität beim Personal, bei demes seit Jahren nur wenige Wechsel

    gibt: „Das ist für München undUmgebung sehr ungewöhnlich,darauf können Sie stolz sein.“ Siebedankte sich auch besondersbeim Elternbeirat, „den ich in denzehn Jahren sehr engagiert undunterstützend erlebt habe“. EinDank ging auch an die ehrenamt-

    lichen Helfer der Firma Intel, diewährend des Festes bei den Spiel-und Sport-Stationen tatkräftig mit-wirkten.

    Alle Kinder und Erwachsenesangen verschiedene Lieder, auch„Happy Birthday“ in 20 verschie-denen Familien-Sprachen. Die Kin-der packten auch das Geschenk fürden Kindergarten aus: einen Re-genbogen aus verschiedenfarbigenTurnpolstern, der gleich auf seineTauglichkeit getestet und für gutbefunden wurde.

    Auf die Reden folgte die Party.Die Besucher stürmten die Turn-halle, die gerade groß genug warfür das Buffet, zu dem die Elterninternationale Speisen beigesteuerthatten. Kleine und große Losver-käufer waren unterwegs.

    Schnell bildete sich eine Schlan-ge an der Geschenke-Ausgabe,denn jedes Los gewann. Währenddie Kinder durch den Garten tob-ten, bewunderten die Eltern dievielen Bastelarbeiten, die in denGruppen zum Jubiläum entstan-den waren.

    Nach zwei Stunden waren 800Tombola-Lose verkauft, die Köst-lichkeiten vom Buffet aufgegessen,das Orchester und die Ponys müde– und alle konnten zufrieden nachHause gehen: das Organisations-team um Gabriele Ochse und denElternbeirat, die zehn ehrenamt-lichen Helfer aus dem Stadtteilund von der Firma Intel – und na-türlich die Kinder.

    Susanne Hagenmaier

    „Happy birthday“ in 20 SprachenDas Evangelische Haus für Kinder Messestadt-Ost feiert seinen zehnten Geburtstag

    Mit einem Gottesdienst in derChristuskirche in München-Neu-hausen hat die Fachakademie fürSozialpädagogik Ende Juli ihrenSchuljahresabschluss gefeiert. Fürinsgesamt rund 140 Studierendeaus sechs Kursen endete damit ihrAusbildungsjahr. 36 von ihnen ha-ben die Abschlussprüfung zumKinderpfleger / zur Kinderpflegerinbestanden, 28 haben mit dem Be-rufspraktikum die fünfjährige Aus-bildung zum Erzieher / zur Erziehe-rin abgeschlossen, andere stehennoch am Anfang.

    Lediglich vier von ihnen schaff-ten das Kursziel nicht und müssenihre Prüfungen teilweise wiederho-len. Michael Roth, Leiter der Fach-akademie, machte ihnen trotzdemMut: „Im Leben gibt es immer wie-der Stellen, an denen man eineHürde nicht schafft.“ Die Erfah-rung des Scheiterns berge jedochdie Chance, einen persönlich wei-ter zu bringen, indem man seineZiele kritisch hinterfrage.

    Im neuen Studienjahr haben174 Studierende an der Fachaka-demie ihre Ausbildung begonnenoder fortgesetzt. Erstmalig sinddarunter auch 22 Teilnehmendean dem verkürzten „OptiPrax“-Kurs, bei dem Abiturienten in dreistatt fünf Jahren die beruflicheQualifikation als Erzieher/-in er-werben können.

    Großes Interesse an der Opti-prax-Ausbildung zeigten auch dieBesucher des Info-Forums, das dieFachakademie für Sozialpädago-gik zusammen mit den Kinderta-geseinrichtungen der Inneren Mis-sion im Oktober veranstaltete.

    Diese wird wieder im Herbst2017 angeboten, dann startet auchein Ausbildungskurs zum/zurstaatlich anerkannten Erzieher/ insowie ein zweijähriges Sozialpäda-gogisches Seminar (SPS). Bewer-bungen für das kommende Schul-jahr können schon jetzt einge -reicht werden. www.evangelische-fachakademie.de

    Abschluss und Neubeginn

    Die Fachakademie für Sozialpädagogik macht Theater – und das Publikumwar beim Stück von Schneewittchen und den sieben Zwergen komplett hinund weg: Lautstark warnten die Kinder Schneewittchen davor, die Tür auf-zumachen und in den Apfel zu beißen – und sie tat es doch. Und stand zurgroßen Erleichterung der Zuschauer am Ende wieder auf…Vier Monate lang hatten die Studierenden des A-Kurses unter Anleitungvon Katrin Rohlfs das Stück geprobt, die Kulissen selbst gebaut, Technikund Musik arrangiert. Bewegt hat der Märchen-Klassiker die zuschauendenKinder auf jeden Fall: Ihre Sympathie galt eindeutig dem kleinen Schnee-wittchen und nicht der bösen Stiefmutter. Zum Schluss gabs viel Beifall fürdie gelungene Aufführung. Text und Foto: Klaus Honigschnabel

    Schneewittchen und die sieben Zwerge

    Puppe Paul hatte den Arm gebro-chen, Elchi klagte über Bauchwehund bei Affe Hans bestand Ver-dacht auf Streptokokken – langwar die Liste der Krankheiten derKuscheltiere, mit denen sich dieKinder des Evangelischen Kinder-gartens Arnulfpark ins Teddybär-Krankenhaus aufmachten.

    Einmal im Jahr öffnet das Hos -pital für Stofftiere in München sei-ne Pforten: Medizin-, Zahnmedi-zin- und Pharmaziestudenten derLudwig-Maximilians-Universitätund der Technischen Universitätempfangen – allesamt ehrenamt-

    lich – als Teddyärzte die Plüsch- Patienten: Sie erfragen die Kran-kengeschichte, untersuchen undbehandeln sie mit Hilfe der Ku-scheltier-Eltern.

    Die rund 40 Kinder aus demEvangelischen Kindergarten Ar-nulfpark hatten sich bestens aufden Besuch vorbereitet: In derGruppe hatten sie vorab über Ärz-te und Krankheiten gesprochen –und überlegt, welches Stofftier siemitnehmen wollen und welcheSymptome es hat.

    Ganz genau hinschauen, nach-fragen und zuhören hieß es dannbei der Eingangsuntersuchung imTeddybär-Krankenhaus: Was istpassiert? Weint der Teddy viel? Hater Schmerzen? Gibt es Auffälligkei-ten beim Abtasten und Abhören?

    Beim Ultraschall und beimRöntgen kamen die Kinder den Be-schwerden weiter auf die Spur: Istder Schokoladenklumpen im Ma-gen vielleicht ein Grund für dasBauchweh? Und: Ist der Arm nurgeprellt – oder doch gebrochen? Inletzterem Fall konnte nur noch ei-ne Operation helfen: Die habendie Kinder dann – stilecht mit Kit-tel, Mundschutz und Handschu-hen – gemacht.

    Bei anderen Kuscheltier-Patien-ten halfen professionell angelegte

    Verbände. Für ein paar Puppengab es eine Impfung mitsamtImpfpass, einige durften sich inder Apotheke des Teddybär-Kran-kenhauses mit einem Rezept Medi-zin abholen. Pflaster, „Hab michlieb“-Tropfen oder „Dreimal täg-lich knuddeln“ stand zum Beispieldarauf geschrieben.

    „Die Kinder waren ganz begeis -tert von dem Projekt“, sagt Clau-dia Bischof, Leiterin des Evangeli-schen Kindergartens Arnulfpark.„Im Teddybär-Krankenhaus sehensie den Arztbesuch einmal aus ei-ner ganz anderen Perspektive; dashilft, Ängste abzubauen.“ Und dasist den Teddyärzten bei Anna, 5Jahre alt, auf jeden Fall gelungen:„Das war so schön, dass ich garnicht nach Hause gehen wollte“,erzählte sie nach dem Besuch.

    Isabel Hartmann

    Evangelischer Kindergarten im Arnulfpark besucht das Teddybär-Krankenhaus

    Spielend die Angst vor Ärzten verlieren

    Keine Angst vor dem Mikrofon: Bei der Jubiläumsfeier der Kita Messestadt Ostführten die Kinder durch das Programm. Foto: Susanne Hagenmaier

    Masken als Performance: Die Studierenden hatten eine kleine Szene mit denriesigen Gestalten einstudiert. Foto: Klaus Honigschnabel

    Jedes Los gewinnt

    Fachakademie für Sozialpädagogik verabschiedet Absolventen

    Volle Konzentration und genau hin-schauen hieß es für Nachwuchsärztein der Teddy-Klinik.

    Fotos: Kita Arnulfpark

  • Nr. 75 · 2016 Seite 9

    Die Familie von Ariane Tronser hatZuwachs bekommen. Tronser undihr Mann haben zwei Kinder, siesind sieben und vier Jahre alt. Jetztist noch Farzad dazugekommen.Ariane Tronser hilft ihm bei denHausaufgaben, sie lernt mit ihmfür Prüfungen. Ihre Tochter hängtan ihm wie an einem großen Bru-der. Und am Wochenende stehtFarzad mit Arianes Mann in derWerkstatt und schraubt an Motor-rollern. „Diese Arbeit gefällt mir,das macht Spaß“, sagt der Junge.

    Farzad ist 16 und aus Afghanis -tan geflohen; vor etwas mehr als ei-nem Jahr ist er in Deutschland an-gekommen. Derzeit wohnt er in derWohngruppe für unbegleitete min-derjährige Flüchtlinge der InnerenMission in Riemerling. Er besuchteine Übergangsklasse der Mittel-schule in Haar und bereitet sich aufden Hauptschulabschluss vor. Aria-ne Tronser ist seine Patin. AuchFarzads Freund Nasim, der eben-falls aus Afghanistan stammt, hateine Patin. Sie heißt Tina Mader.

    Das Paten-Projekt entstand voretwa einem Jahr. Damals wohntenFarzad, Nazim und die anderen ju-gendlichen Flüchtlinge in einerNotunterkunft in Feldkirchen. Ari-ane Tronser und Tina Mader wa-ren dort als Ehrenamtliche aktiv.Als der Umzug in die Wohngruppenach Riemerling bevorstand, warvielen der Helfer klar: Wir machenweiter. „Viele waren so zusammen-gewachsen, sie wollten nicht los-lassen“, erzählt Michaela Strath-mann, die Koordinatorin des Pa-ten-Projekts.

    Die Paten-Paare ergaben sichmeist von selbst. So wie bei ArianeTronser und Farzad. „Ich bin Leh-rerin, er lernt gern“, sagt Tronserund lacht. „Außerdem kommt ergut mit kleineren Kindern zurecht.Da habe ich mir gesagt: ,Ichmach‘ das jetzt‘.“ Tina Mader hatsogar drei Patenkinder. „Zuerstwollte ich nur zwei, aber dann ha-be ich vom zweiten den bestenFreund auch noch genommen“,sagt sie. „Mit Jugendlichen kannich gut. Aber ich kann sie ja nichtalle nehmen.“

    Die Paten sind Vertrauensperso-nen für die Jugendlichen, sie ge-ben ihnen Halt und bilden eine

    Brücke in die fremde deutsche Kul-tur. „Wir reden viel, lernen mitein-ander und ich bin immer für ihnda, wenn er mich braucht“, sagtTina Mader über Nazim. Der sitztdaneben und lächelt – verschämtund dankbar.

    Ariane Tronser ist noch einenSchritt weitergegangen. Sie ist in-zwischen auch der gesetzliche Vor-mund für Farzad, bis er volljährigist – „das heißt, ich kümmere michauch um den Papierkram und al-les, was zum Beispiel mit Lehrernund Ärzten zu tun hat“, erklärt sie.Farzad ist in ihre Familie integ -riert. Er kommt oft zu ihnen nachHause, ist bei Ausflügen dabei, fastjeden Tag haben sie Kontakt. „Nureine SMS schreiben und sie ist da“,sagt Farzad.

    Bisher hat es auch noch keineProbleme gegeben; mangelnde Lustauf Hausaufgaben zählt auf jedenFall nicht als solches. „Die Jungshier sind alle sehr willig, sich zu in-tegrieren“, sagt Michaela Strath-mann. Und sie haben Pläne. „Ichwill erst mal lernen, dann Autome-chaniker werden, Geld verdienenund meiner Familie helfen“, sagtFarzad. Auch Nazim will seine Fa-milie unterstützen. Lernen ist einzentrales Ziel: die Sprache lernen,für die Schule lernen, das Land ver-stehen lernen. Doch es ist keineEinbahnstraße. „Ich weiß nicht ge-nau, wer hier mehr vom anderenlernt“, sagt Tina Mader. Sie kannschon ein paar Sätze Dari, das inAfghanistan gesprochene Persisch.Arianes Mann versucht, etwasPaschtu zu lernen, die zweite Amts-sprache in Afghanis tan. Das Leben,die Kultur in diesem Land ist allennicht mehr ganz so fremd.

    Nicht nur die Patenkinder sinddankbar für die Hilfe, auch die Pa-tinnen sind froh, dass sie diesesEhrenamt übernommen haben.„Die Entscheidung war goldrich-tig“, sagt Tina Mader. „Alle Jungssind unterschiedlich, und alle sindtoll.“ Das Paten-Projekt hat auchkeine zeitliche Beschränkung. „Ichhabe nicht vor, das irgendwann zubeenden“, sagt Ariane Tronser.„Wir machen das, so lange Farzadwill.“ Farzad hört ihr zu und sagt:„Ich will das ganze Leben.“

    Susanne Hagenmaier

    Familie in der Fremde

    In Riemerling engagieren sich Ehrenamtliche als Patenfür unbegleitete minderjährige Flüchtlinge

    Zwei Wohngruppen der Jugendhil-fe sind im Herbst zehn Jahre altgeworden. Doch ohne eine Hiobs-botschaft im Jahr 2006 hätte manin Lohhof und Obermenzing garkeinen Grund gehabt zu feiern.Damals hatte nämlich das Heilpä-dagogische Zentrum in Lohhof sei-ne Schließung verkündet; rund 80Mitarbeitende und 100 Kinderstanden plötzlich vor dem Nichts.

    Damals hatte die Innere Mis-sion beschlossen, kurzerhand zweineue Wohngruppen zu eröffnen,um einem Teil der Kinder eineneue Heimat zu bieten. „Ein lan-ger Weg war das, auf dem einigeSteine lagen“, wie Andreas Hüner,Stellvertretender Gesamtleiter derEvangelischen Jugendhilfe Feldkir-chen, rückblickend sagt.

    Auch einige Mitarbeiter wurdendamals übernommen. Klaus Seiller

    ist einer von ihnen; er leitet seitAnbeginn die Einrichtung in Loh-hof, die zur Evangelischen Kinder-und Jugendhilfe Feldkirchen ge-hört. In seiner Ansprache erinnerteer an die Zusage von Geschäfts-führer Günther Bauer, die Kinder„nicht im Regen stehen zu lassen“.Die Gruppe musste nicht ausein-andergerissen werden und konntebestehen bleiben. Seiller: „Überdiesen Satz sind wir heute nochglücklich.“

    Neun Plätze gibt es in demHaus an der Badersfelder Straße,die auch ständig belegt sind.Manchmal sogar überbelegt, wennes darum geht, einen Platz zu fin-den für unbegleitete minderjährigeFlüchtlinge. Knapp 80 Jugendlichehaben in den vergangenen zehnJahren hier gewohnt. Die meistenvon ihnen bleiben länger in derEinrichtung, oft bis zu vier Jahre.

    Der 18-jährige Alessandro ist ei-ner von ihnen. Seit zwei Jahrenwohnt er hier und darf bis zumAbschluss seiner Friseurlehre auchbleiben. Sein Zimmer mutiert oftzum Frisiersalon – vor allem zurFreude der Sozialpädagoginnen.„Sehr zufrieden“ ist er mit dem Leben im Haus, auch wenn esmanchmal Stress gibt. „Aber inwelcher Familie gibt es keinenStress?“ In seiner Klasse zählt er zuden Besten – schließlich hat keiner

    so viele Haar-Models wie er. Auchbei der Feier bietet er kostenlosesStyling an; Make-up inklusive.

    Gekommen sind auch Nataschaund Saskia, die bei der Eröffnung13 und 11 Jahre alt waren. DieSchwestern haben gute Erinnerun-gen an ihre Zeit in der Wohngrup-pe. „Die Betreuer waren gut“, sagtSaskia. Und Natascha ergänzt:„Wir hatten immer viel Spaß – vorallem bei den Ferienaktivitäten.“Auch wenn sie schon vor langerZeit ausgezogen sind, halten sieimmer noch Kontakt. Entwederkommen sie auf einen Kaffee vor-bei oder rufen an.

    Voll des Lobes war auch Unter-schleißheims Zweiter Bürgermei-ster Stefan Krimmer (CSU), derherzliche Grüße der Stadt über-brachte. Er habe noch in keinerStadtratssitzung auch nur eine Be-

    schwerde gehört, sagte er. „Das istein gutes Zeichen, dass dann wohlalles klappt.“ Die Wohngruppe seiein Ort, an dem das soziale Gewis-sen stets großgeschrieben werde.

    Auch die Wohngruppe in Ober-menzing ist nach der Schließungdes Heilpädagogischen Zentrumsentstanden. Für einige Aufregungsorgte damals übrigens die Tatsa-che, dass erstmals auch jungeMänner aufgenommen wurden –obwohl die Einrichtung organisa-torisch zum „Mädchenheim Pa-sing“ gehörte. Heute sieht man dasalles ganz unaufgeregt, wie Grup-penleiterin Franziska Wallner sagt.Sechs Jungen und drei Mädchenwohnen derzeit in dem Haus inder Münchhausenstraße.

    Im Haus sprechen sie alle nurDeutsch – auch wenn manche derFlüchtlingskinder kaum ein Wortverstehen, wenn sie hierher kom-men. „Nach einem halben Jahrgeht das dann aber meist schonganz gut“, sagt Franziska Wallner.Die Jugendlichen aus Eritrea, So-malia oder Albanien sind ganz be-gierig darauf, die Sprache zu ler-nen. „Mit der Integration klappt‘sbei uns ganz gut.“

    Im fünfköpfigen Sozialpädago-gen-Team arbeiten vier Frauen undein Mann, dazu kommt tageweisebei Bedarf noch der psychologischeFachdienst zur Unterstützung. Un-ter der Woche versorgt eine Haus-wirtschafterin die Gruppe; am Wo-chenende müssen die Bewohnerselber ran: einkaufen, kochen undsaubermachen. Was sonst noch inden Gruppen entsteht, konnte manbeim Fest bestaunen (und kaufen):Marmeladen in unterschiedlichenGeschmacksrichtungen, Windspie-le und Teelichter.

    Auch den Pizzaofen, der vordem Haus steht und bei der Feierso richtig ins Glühen kam, habendie Jugendlichen selber gebaut.

    Dagmar Kirchmair, die als Be-reichsleiterin beim