23
LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß

LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

  • Upload
    others

  • View
    3

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

LINDA HOWARD

Auch Engel mögen’s heiß

Page 2: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Buch

Am Morgen ihres 34. Geburtstags beschließt Daisy Minor, Biblio-thekarin in einem öden Nest und so sexy anzusehen wie ein Wörter-buch, ihr Leben umzukrempeln. Sie zieht bei ihrer Mutter aus undlegt sich unter der stilkundigen Beratung ihres schwulen FreundesTodd ein neues Styling zu. Ab jetzt ist keine Diskothek mehr vor ihrsicher – und dem ehemaligen Mauerblümchen liegen die Männer zuFüßen. Als sie eines Nachts auf dem Heimweg zufällig Zeugin einesVerbrechens wird, gerät sie in die Schusslinie des Täters. Zum Glückist da Polizeichef Jack Russo, der Daisy schon lange vor ihrer Ver-

wandlung zum Partygirl äußerst anziehend fand …

Autorin

Linda Howard hat sich mit ihren historischen und modernen Ro-manen, die mehrfach ausgezeichnet wurden, eine riesige Fan-gemeinde erobert. Ihre größten Erfolge feiert sie jedoch mit ihrenKriminalromanen. Sie lebt als freie Schriftstellerin mit ihrem Mann

auf einer Farm bei Alabama.

Als Blanvalet-Taschenbuch von Linda Howard lieferbar:

Gefährliche Begegnung (35731) – Mister Perfekt (35700) – Vor Jahr und Tag (35152) – Wie Tau auf meiner Haut (35036)

Page 3: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Ins Deutsche übertragenvon Christoph Göhler

Page 4: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Die Originalausgabe erschien 2001 unter dem Titel»Open Season« bei Pocket Books,Simon & Schuster, Inc., New York.

Umwelthinweis:Alle bedruckten Materialien dieses Taschenbuches

sind chlorfrei und umweltschonend.

Blanvalet Taschenbücher erscheinen im Goldmann Verlag,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH.

Deutsche Erstveröffentlichung März 2003Copyright © der Originalausgabe 2001 by Linda Howington

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2003 byWilhelm Goldmann Verlag, München

in der Verlagsgruppe Random House GmbHUmschlaggestaltung: Design Team, München

Umschlagfoto: Photonica/SouthonSatz: DTP Service Apel, Hannover

Druck: Elsnerdruck, BerlinVerlagsnummer: 35778

Redaktion: Petra ZimmermannLW ⋅ Herstellung: Heidrun Nawrot

Made in GermanyISBN 3-442-35778-0

www.blanvalet-verlag.de

1 3 5 7 9 10 8 6 4 2

Page 5: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Prolog

Carmela umklammerte nervös ihre Jutetasche, in der sie ihrKleid zum Wechseln, etwas Wasser und das kleine Lebens-mittelpäckchen aufbewahrte, das sie sich für die Reise nachNorden, über die Grenze, zusammengespart hatte. Orlandohatte ihr eingeschärft, dass sie bis zu ihrer Ankunft in Los An-geles nicht anhalten konnten, weder zum Essen noch zum Trin-ken oder überhaupt. Sie hockte eingesperrt im Laderaum einesklapprigen Lasters, der so schaukelte und schwankte, dass siehin und her geschleudert wurde, wenn sie auch nur eine Se-kunde vergaß, sich in ihre Ecke zu pressen und ihre Beine halbgegrätscht in den Boden zu stemmen, wodurch allerdings jedeAussicht auf Schlaf zunichte gemacht wurde, weil sie, sobaldsie ihre Muskeln auch nur ein bisschen entspannte, über dieungehobelte Holzpritsche des Laderaums purzelte.

Carmela war vor Angst wie gelähmt, aber dennoch zu allementschlossen. Als Enrique vor zwei Jahren weggegangen war,hatte er ihr versprochen, sie nachkommen zu lassen. Stattdes-sen hatte er eine Amerikanerin geheiratet, nur damit er nie wie-der abgeschoben werden konnte, während Carmela allein zu-rückgeblieben war, mit zertrampelten Träumen und einem inFetzen gerissenen Stolz. In Mexiko hielt sie nichts mehr; wennEnrique in Amerika heiraten konnte, konnte sie das auch! Undsie würde sich einen reichen Amerikaner angeln! Schließlichwar sie bildhübsch; das sagten alle. Wenn sie dann erst mit ih-rem reichen Norteamericano verheiratet war, würde sie Enri-que aufspüren und ihm eine lange Nase machen, bis er zutiefstbereute, dass er sie so belogen und betrogen hatte.

5

Page 6: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sichwinzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines Las-ters, der über eine Schlaglochpiste dahindonnerte. Sie hörteMetall krachen, als Orlando den Gang wechselte, und gleichdarauf einen leisen Schmerzensschrei, als eines der anderenMädchen gegen die Seitenverkleidung knallte. Außer ihr wa-ren es noch drei Mädchen, alle so jung wie sie, alle voller Hoff-nung auf ein besseres Leben als jenes, das sie in Mexiko zu-rückgelassen hatten. Sie hatten sich nicht miteinander bekanntgemacht, eigentlich hatten sie kaum ein Wort gewechselt. Allevier malten sich heimlich die Gefahren aus, die ihnen drohten,und waren traurig und aufgekratzt zugleich: traurig, weil sie soviel zurückgelassen hatten, und aufgekratzt, weil ein besseresLeben auf sie wartete. Alles war besser als nichts, und im Mo-ment hatte Carmela überhaupt nichts.

Sie dachte an ihre Mutter, die vor sieben Monaten gestorbenwar, dahingerafft von lebenslanger mühseliger Arbeit und zuvielen Kindern. »Lass Enrique bloß nicht zwischen deine Bei-ne«, hatte ihre Mutter immer wieder gepredigt. »Nicht bevordu seine Frau bist. Sonst heiratet er dich nicht mehr, und dannsitzt du mit deinem Baby da, während er sich ein anderes hüb-sches Mädel sucht.« Tja, sie hatte Enrique nicht zwischen ihreBeine gelassen, und er hatte sich trotzdem ein anderes Mäd-chen gesucht. Wenigstens war sie nicht mit einem Kind sitzengeblieben.

Trotzdem hatte sie verstanden, was ihre Mutter gemeinthatte: Werde nicht so wie ich. Ihre Mutter hatte sich für Car-mela etwas Besseres gewünscht, als ihr selbst vergönnt gewe-sen war. Carmela sollte nicht wie sie vorzeitig altern und stän-dig ein Baby auf dem Arm und ein zweites im Bauchherumschleppen müssen, bis sie schließlich mit noch nicht ein-mal vierzig Jahren starb.

Carmela war siebzehn. Mit siebzehn hatte ihre Mutter be-reits zwei Kinder gehabt. Enrique hatte nie begriffen, warum

6

Page 7: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Carmela so großen Wert darauf legte, unberührt zu bleiben;auf ihre beharrliche Weigerung, mit ihm ins Bett zu gehen, hat-te er abwechselnd grimmig und mürrisch reagiert. Vielleichtwar die Frau, die er in Amerika geheiratet hatte, ja zu mehr be-reit gewesen. Wenn er nur darauf aus gewesen war, hatte er siesowieso nie wirklich geliebt, grollte Carmela. Sollte er dochzur Hölle fahren! Sie würde sich nicht das Leben versauern, in-dem sie einem … Vollidioten nachtrauerte!

Sie versuchte, sich bei Laune zu halten, indem sie sich immerwieder vorsagte, dass in Amerika alles besser werden würde;alle meinten, dass es in Los Angeles mehr Jobs als Menschengab, dass dort jeder ein eigenes Auto und einen Fernseher be-saß. Vielleicht würde sie sogar beim Film landen und berühmtwerden. Alle sagten, dass sie hübsch war, also war das durch-aus möglich. Tatsache war jedoch, dass sie erst siebzehn undallein war und schreckliche Angst hatte.

Eines der anderen Mädchen murmelte irgendetwas, wobeidie Worte vom Dröhnen des Motors übertönt wurden, nichtaber das Drängen in ihrer Stimme. In diesem Augenblick be-griff Carmela, dass die drei Mädchen genauso verängstigt wa-ren wie sie. Sie war also nicht ganz allein; den Übrigen ging esnicht anders als ihr. Das war zwar keine große Hilfe, aber Car-mela fühlte sich sofort mutiger.

Sich mit einer Hand an der Verkleidung festhaltend, weil derLaster in diesem Moment von einer Spurrille zur nächstenschaukelte, schlitterte sie über das ungeschliffene Holz derLadefläche, bis sie nahe genug war, um die Worte des Mäd-chens zu verstehen. Inzwischen war es Tag, und durch die Rit-zen im Aufbau fiel so viel Licht, dass Carmela die Gesichter derMädchen erkennen konnte. »Was ist denn?«, fragte sie.

Das Mädchen rang die Hände in dem verwaschenen Stoffihres Rockes. »Ich muss mal«, flüsterte sie mit vor Scham be-bender Stimme.

»Das müssen wir alle«, antwortete Carmela mitfühlend.

7

Page 8: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Auch ihre Blase war so voll, dass es schon wehtat. Sie hatte dasGefühl nach Kräften ignoriert, weil sie so lange wie möglichhinauszögern wollte, wozu sie irgendwann gezwungen seinwürden.

Dem Mädchen rollten Tränen über die Wangen. »Ich mussaber jetzt.«

Carmela drehte sich Hilfe suchend um, doch die beiden an-deren wirkten genauso ratlos wie das weinende Mädchen.»Dann bringen wir es eben hinter uns«, beschloss sie, weil siedie Einzige zu sein schien, die fähig war, einen solchen Ent-schluss zu fassen. »Erst mal suchen wir uns eine Stelle aus …dort.« Sie deutete auf die Ecke rechts hinten. »Da ist ein Spalt,durch den es ablaufen kann. Wir machen alle dorthin.«

Das Mädchen wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Undwenn wir groß müssen?«

»Ich hoffe, dass wir vorher ankommen.« Jetzt, wo die Son-ne aufgegangen war, stieg die Temperatur im Laster spürbaran. Es war Hochsommer; falls Orlando nicht anhielt und siehinausließ, konnte die Hitze sie irgendwann umbringen. Erhatte ihnen erklärt, dass sie nicht anhalten würden, bis sie ihrZiel erreicht hätten, folglich mussten sie bald in Los Angelesankommen. Sie hatte Orlando nur die Hälfte des üblichen Sol-des gezahlt; wenn sie starb, musste er die andere Hälfte ab-schreiben. Normalerweise musste der volle Preis entrichtetwerden, bevor der Coyote jemanden über die Grenze schmug-gelte, aber weil sie so hübsch sei, hatte Orlando gesagt, würdeer bei ihr eine Ausnahme machen.

Die anderen Mädchen sahen genauso gut aus, begriff sie.Womöglich hatte er bei allen eine Ausnahme gemacht.

Weil der Wagen so schaukelte, brauchten sie ihre vereintenKräfte, um sich zu erleichtern. Carmela organisierte das Unter-nehmen. Der Reihe nach, sie selbst als Letzte, gingen sie in derbetreffenden Ecke in die Hocke, während sich die anderenMädchen gegen die Verkleidung des Laderaumes stemmten,

8

Page 9: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

um der Vierten Halt zu geben. Endlich sanken sie erschöpft,aber spürbar erleichtert auf der Ladefläche nieder und ruhtensich aus.

Plötzlich, nach einem letzten heftigen Schlag, rollte der Las-ter ganz ruhig. Sie befanden sich auf einem Highway, erkann-te Carmela. Einem Highway! Bestimmt waren sie bald in LosAngeles.

Doch die Vormittagsstunden schleppten sich dahin, wäh-rend die Hitze im Wagen immer unerträglicher wurde. Carme-la gab sich Mühe, möglichst flach zu atmen, doch die anderenMädchen hechelten, als könnten sie sich abkühlen, indem siebesonders viel Luft in ihre Lunge pumpten. Da diese Luft heißwar, erschien das nicht besonders logisch. Wenigstens würdensie, so wie sie schwitzten, nicht so bald wieder auf die Toilettemüssen.

Carmela wartete, so lange sie konnte, weil sie keine Ahnunghatte, wie weit sie noch fahren würden, doch schließlich hieltsie den Durst nicht mehr aus und zog die kleine Wasserflascheaus ihrer Leinentasche. »Ich habe noch Wasser«, sagte sie. »Esist nicht viel, wir müssen gerecht teilen.« Sie sah allen nach-einander in die Augen. »Wenn eine von euch mehr als einenSchluck nimmt, bevor sie die Flasche weitergibt, kriegt sie einegeknallt. Also nur einen kleinen Schluck.«

Unter ihrem grimmigen, finsteren Blick nahm jedes derMädchen gehorsam einen kleinen Schluck und reichte an-schließend die Flasche weiter. Irgendwie hatte Carmela da-durch, dass sie das Austreten organisiert hatte, die Rolle derAnführerin übernommen, und obwohl sie nicht besondersgroß war, respektierten die anderen sie aufgrund ihrer Willens-kraft. Als die Flasche bei ihr ankam, nahm Carmela ebenfallseinen kleinen Schluck und ließ sie anschließend noch einmalkreisen. Nachdem alle zwei Schluck genommen hatten, ver-schloss Carmela die Flasche wieder und stopfte sie zurück inihre Tasche. »Ich weiß, dass es nicht viel ist«, sagte sie. »Aber

9

Page 10: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

ich habe kaum noch Wasser, und wir müssen eventuell nochlänger damit auskommen.«

Der Vorrat reichte höchstens noch für zwei Schluck proMädchen. Das war nicht viel, vor allem wenn sie jede Stundedurchs Schwitzen wesentlich mehr Wasser verloren. Vielleichtreichte es ja aus, um ihnen das Leben zu retten. Warum hatteeigentlich keines der anderen Mädchen daran gedacht, etwaszu essen oder zu trinken mitzunehmen?, überlegte sie wütendund kämpfte dann ihren Ärger nieder. Womöglich hatten sieeinfach nichts, was sie mitnehmen konnten. So arm Carmelaauch war, es hatte stets Menschen gegeben, die noch wenigerbesaßen als sie. Sie musste freundlich bleiben, in ihren Tatenund in ihren Gedanken.

Der Laster wurde langsamer, wie am Motorengeräusch zuerkennen war. Mit hoffnungsvoll leuchtenden Augen sahen siesich an.

Wenig später bog der Wagen vom Highway ab und hielt an.Der Motor wurde zwar nicht abgestellt, doch sie hörten, wieOrlando ausstieg und die Tür zuknallte. Schnell schnappteCarmela ihre Tasche und stand auf; da er gesagt hatte, sie wür-den auf gar keinen Fall anhalten, bevor sie Los Angeles erreichthatten, mussten sie wohl am Ziel sein. Allerdings hatte sie sichdie Stadt lauter vorgestellt; im Moment hörte sie nichts als dasGrollen des Lastwagenmotors.

Eine Kette rasselte, gleich darauf wurde das Rolltor desLastwagens in den Schienen nach oben geschoben, und dannwurden sie von grellem Sonnenlicht geblendet, während ihnenein Schwall heißer und gleichzeitig erfrischender Luft ent-gegenschlug. Orlando war nur ein schwarzer Schatten, der sichvor dem grellen Weiß abzeichnete. Die Augen abschirmend,stolperten die Mädchen nach hinten zur Ladeklappe und klet-terten unbeholfen hinunter.

Nachdem Carmelas Augen sich an die Sonne gewöhnt hat-ten, schaute sie sich um, weil sie erwartete … Sie wusste nicht

10

Page 11: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

genau, was sie erwartet hatte, aber zumindest eine große Stadt.Hier jedoch gab es nichts als den Himmel und die Sonne undüberall Gestrüpp und vom Wind zusammengetragene sandig-graue Erdverwehungen. Mit fragend aufgerissenen Augen sahsie Orlando an.

»Weiter kann ich euch nicht bringen«, war seine Antwort.»Im Laster wird es zu heiß; ihr würdet darin krepieren. MeinFreund bringt euch an euer Ziel. Sein Wagen hat eine Klima-anlage.«

Eine Klimaanlage! Zwar hatten in Carmelas kleinem Dorf ei-nige Auserwählte ein Automobil gefahren, aber eine Klimaan-lage hatte keiner von ihnen besessen. Der alte Vasquez hatte ihrvoller Stolz die Hebel auf dem Armaturenbrett vorgeführt, überdie einst kalte Luft aus den Lüftungsschlitzen gekommen war,aber die Anlage hatte schon längst den Geist aufgegeben, so-dass Carmela nie wirklich Luft aus einer Klimaanlage gespürthatte. Immerhin wusste sie, dass es so etwas gab. Und jetztwürde sie in einem Auto mit Klimaanlage fahren! Der alte Vas-quez würde vor Neid platzen, wenn er das wüsste.

Ein großer, schlanker Mann in Jeans und einem kariertenHemd kam hinter dem Laster hervor und auf sie zu. Er trugvier Flaschen Wasser im Arm, die er an die Mädchen verteilte.Das Wasser war so kalt, dass die Flaschen mit Kondenströpf-chen überzogen waren. Die Mädchen tranken das Wasser ingroßen Schlucken, während der Mann sich mit Orlando aufEnglisch unterhielt, das keines der vier Mädchen sprach.

»Das ist Mitchell«, stellte Orlando ihn schließlich vor. »Ihrtut einfach, was er euch sagt. Er spricht genug Spanisch, dassihr verstehen könnt, was er von euch will. Wenn ihr nicht ge-horcht, findet euch die amerikanische Polizei und steckt euchins Gefängnis, und dann kommt ihr nie wieder raus. Habt ihrverstanden?«

Alle nickten ernst. Dann wurden sie flugs in den Camper-Aufsatz auf Mitchells großem blauem Pick-up verladen. Auf

11

Page 12: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

der Wagenpritsche lagen zwei zerknüllte Schlafsäcke, außer-dem gab es einen kleinen Hocker mit einem Loch, der sich beinäherem Hinsehen als Toilette herausstellte. Zum Stehen warder Camper-Aufsatz zu niedrig; sie konnten nur liegen oder sit-zen, aber nach der schlaflos verbrachten Nacht war ihnen dasegal. Kühle Luft und Musik, eine ungemein beruhigend wir-kende Kombination, strömten durch das geöffnete Heckfensterder Fahrerkabine in den Aufsatz. Kaum hatten sie die beidenSchlafsäcke ausgebreitet, sodass sich alle hinlegen konnten, wa-ren die vier Mädchen eingeschlafen.

Sie hätte nicht gedacht, dass es so irrsinnig weit nach LosAngeles sein würde, dachte Carmela zwei Tage später. Sie hieltes kaum mehr in dem Camper-Aufsatz aus, wo sie sich prak-tisch nicht bewegen und nicht aufstehen konnte. Sie dehnteihre Muskeln, um sie so geschmeidig wie möglich zu halten,aber eigentlich wollte sie nur noch laufen. Sie war von kleinauf ein lebhaftes Mädchen gewesen, und die Enge, selbst wennsie unvermeidlich war, trieb sie zum Wahnsinn.

Sie bekamen regelmäßig zu essen und Wasser zu trinken.Waschen hatten sie sich hingegen nicht können, weshalb alleekelhaft rochen. Hin und wieder machte Mitchell auf einemverlassenen Parkplatz Rast und klappte die Heckklappe desCampers hoch, um die verbrauchte Luft hinauszulassen, dochblieb die Luft dauernd muffig, und das Gefühl von Erfrischunghielt nie lang vor.

Bei ihren heimlichen Blicken durch das Heckfenster desPick-ups hatte Carmela verfolgt, wie die menschenleere Wüsteallmählich in flaches Weideland überging. Dann waren immeröfter Waldgebiete aufgetaucht, und heute, während des letztenTages, waren sie durch Bergland gefahren: üppig, grün, sanftgewellt. Es gab Weiden, auf denen Rinder grasten, malerischeTäler und dunkelgrüne Flüsse. Die Luft schmeckte fett undfeucht und roch nach tausend verschiedenen Bäumen und Blu-men. Und Autos! Es gab hier mehr Autos, als sie in ihrem gan-

12

Page 13: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

zen bisherigen Leben gesehen hatte. Sie waren durch eine Stadtgefahren, die ihr riesengroß vorgekommen war, doch als sieMitchell gefragt hatte, ob das Los Angeles sei, hatte er er-widert, nein, dies sei Memphis. Sie seien noch weit von LosAngeles entfernt.

Amerika war wirklich unglaublich groß, dachte Carmela,wenn sie nach ihrer tagelangen Fahrt nach wie vor Los Ange-les noch nicht erreicht hatten!

Am späten Abend des zweiten Tages hielten sie endlich an.Als Mitchell die Heckklappe des Campers öffnete und sie insFreie ließ, konnten sie sich kaum auf den Beinen halten, so lan-ge hatten sie in der Enge gekauert. Er hatte direkt vor einemüberlangen Wohnwagen angehalten; Carmela drehte sich umund hielt nach etwas Ausschau, das auf die Nähe einer Groß-stadt hindeuten würde, doch sie schienen weit weg von jederSiedlung entfernt zu sein. Über ihnen funkelten die Sterne, unddie Nachtluft vibrierte vom Zirpen der Insekten und den Ru-fen der Vögel. Mitchell sperrte die Tür des Wohnwagens aufund ließ die vier Mädchen eintreten, die im Anblick der luxu-riösen Ausstattung allesamt leise aufseufzten. Es gab Polster-möbel, eine atemberaubende Küche mit rätselhaften, noch niegesehenen Gerätschaften und ein Bad, wie sie es in ihren kühns-ten Träumen nicht erwartet hätten. Mitchell sagte, dass sie allebaden sollten, und überreichte jeder von ihnen ein lockeres Ge-wand aus dünnem Stoff, das über den Kopf gezogen wurde. Eswürde ihnen gehören, erklärte er dazu.

Sie waren fassungslos über so viel Freundlichkeit und außersich vor Freude über die neuen Kleider. Carmela strich mit derHand über den Stoff, der sich glatt und leicht anfühlte. IhrKleid war einfach wunderschön: weiß und überall mit kleinenroten Blumen bedruckt.

Sie badeten nacheinander in warmem Wasser, das aus derWand spritzte, und wuschen sich mit Seife, die nach Parfümroch. Für die Haare gab es eine besondere Seife, eine flüssige

13

Page 14: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Seife, die zu einem Schaumgebirge aufquoll. Und es gab fürjede von ihnen eine eigene Bürste für die Zähne! Als Carmelaschließlich als Letzte aus dem Bad trat, weil die anderen Mäd-chen am Ende ihrer Kräfte zu sein schienen, war sie saubererals je zuvor in ihrem Leben. Die duftende und cremige Seifehatten sie so bezaubert, dass sie zweimal gebadet und zweimaldie Haare gewaschen hatte. Irgendwann war kein warmesWasser mehr aus der Spritze gekommen – inzwischen floss nurnoch kaltes Wasser nach –, doch das war ihr egal gewesen. Eswar so angenehm, wieder sauber zu sein.

Sie war barfuß und hatte keine Unterwäsche zum Anziehen,weil ihre Sachen vollkommen verschmutzt waren, aber sie zogihr sauberes neues Kleid an und drehte ihr feuchtes Haar imNacken zu einem Knoten hoch. Im Spiegel sah sie ein hübschesMädchen mit glatter brauner Haut, dunkel schimmernden Au-gen und einem vollen roten Mund, nicht zu vergleichen mit derverdreckten Gestalt, die ihr noch vor wenigen Minuten ent-gegengestarrt hatte.

Die übrigen Mädchen lagen schon in tiefem Schlummer imSchlafzimmer, unter die Decken gekuschelt und in so kalterLuft, dass sich die Härchen an Carmelas Armen aufstellten. Siemachte noch einen Abstecher in den Wohnbereich, um Mit-chell eine gute Nacht zu wünschen und ihm für alles zu dan-ken. Im Fernseher lief ein amerikanisches Baseball-Spiel. Ersah auf, lächelte und deutete auf zwei mit Eis und einer dunk-len Flüssigkeit gefüllte Gläser, die auf dem Tisch standen. »Ichhabe dir was zu trinken gemacht«, sagte er, oder sagte er ver-mutlich, weil sein Spanisch wirklich kaum zu verstehen war. Erhob eines der Gläser hoch und nahm einen Schluck. »Coca-Cola.«

Ah, das verstand sie! Sie nahm das Glas, auf das er deutete,und trank die kalte, süße, beißende Cola. Das kitzelnde Gefühlhinten in der Kehle war einfach wunderbar. Mitchell klopfteeinladend auf das Sofa, darum setzte sie sich, allerdings ans an-

14

Page 15: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

dere Ende, so wie ihre Mutter es ihr beigebracht hatte. Auchwenn sie todmüde war, würde sie ihm ein paar Minuten Ge-sellschaft leisten, aus reiner Höflichkeit und weil sie ihm wirk-lich dankbar war. Ein netter Mann, dachte sie, mit süßen,leicht traurigen braunen Augen.

Er gab ihr ein paar Nüsse zum Knabbern, und plötzlichlechzte sie nach dem salzigen Geschmack, so als müsste ihrKörper das Salz ersetzen, das sie während des ersten Teils derReise ausgeschwitzt hatte. Als sie danach noch mehr Coca-Cola brauchte, stand er auf und holte ihr noch eine. Eine selt-same Erfahrung, sich von einem Mann etwas bringen zu las-sen, aber eventuell war das in Amerika so üblich. Vielleichtbedienten hier ja die Männer ihre Frauen. In diesem Fall be-reute sie nur, dass sie nicht schon früher gekommen war!

Die Müdigkeit überwältigte sie. Sie musste gähnen und ent-schuldigte sich sofort dafür, aber er lachte nur und meinte, dassei in Ordnung so. Irgendwie überstieg es ihre Kräfte, die Au-gen offen und den Kopf gerade zu halten. Immer wieder kipp-te ihr Kopf nach vorn, immer wieder riss sie ihn hoch, bis ihrirgendwann die Halsmuskeln nicht mehr gehorchen wolltenund sie spürte, wie sie, statt den Kopf zu heben, langsam zurSeite glitt. Mitchell war sofort zur Stelle, half ihr, sich auszu-strecken, bettete ihren Kopf auf das Kissen und hob ihre Beineauf das Sofa. Er streichelte sie immer noch an den Beinen, er-kannte sie verschwommen, und sie versuchte ihm zu erklären,dass er damit aufhören sollte, doch kein einziges Wort wolltemehr über ihre Zunge kommen. Und dann berührte er sie zwi-schen den Beinen, wo noch niemand sie berührt hatte.

Nein, dachte sie.Und dann wurde alles schwarz, und sie dachte überhaupt

nichts mehr.

Page 16: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines
Page 17: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

1

»Daisy! Das Frühstück ist fertig!«Die Stimme ihrer Mutter stieg jodelnd die Treppe herauf, in

genau demselben Tonfall wie fast jeden Morgen, seit Daisy indie Schule gekommen war und Tag für Tag aus dem Bett geris-sen werden musste.

Doch statt aus dem Bett zu springen, blieb Daisy Ann Mi-nor liegen und lauschte dem Regen, der gleichmäßig auf dasDach trommelte und am Gesims herabtropfte. Es war derMorgen ihres vierunddreißigsten Geburtstages, und sie hattenicht die geringste Lust aufzustehen. Trübsinn, trostlos wie derRegen draußen, drückte sie in die Kissen. Sie war vierunddrei-ßig Jahre alt, und dieser besondere Tag versprach nichts, wo-rauf sie sich freuen konnte.

Der Regen war nicht einmal ein ordentliches Gewitter vol-ler Dramatik und akustischer Effekte, was ihr vielleicht nochgefallen hätte. O nein, es war einfach nur Regen, langweiligund trist. Der graue Tag spiegelte ihre Stimmung wider. Wäh-rend sie so im Bett lag und die Tropfen am Schlafzimmerfens-ter herabrinnen sah, legte sich die Erkenntnis, dass ihr Ge-burtstag unabwendbar über sie hereingebrochen war, schwerund klamm wie eine nasse Wolldecke über sie. Ihr ganzes Le-ben lang war sie stets brav gewesen, und was hatte es ihr ge-bracht? Rein gar nichts.

Sie musste der Wahrheit ins Gesicht sehen, so unattraktivdie auch war.

Sie war vierunddreißig Jahre alt geworden, ohne je verhei-ratet oder auch nur verlobt gewesen zu sein. Sie hatte nicht

17

Page 18: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

eine einzige heiße Affäre erlebt – nicht einmal eine lauwarme.Die kurze Liebelei im College, auf die sie sich hauptsächlicheingelassen hatte, weil das dort so üblich war und sie nicht ab-seits stehen wollte, konnte man guten Gewissens nicht als Be-ziehung bezeichnen. Stattdessen lebte sie mit zwei Witwen zu-sammen, ihrer Mutter und ihrer Tante. Ihr letztes Rendezvoushatte sie am 13. September 1993 gehabt, mit Wally, dem Nef-fen von Tante Joellas bester Freundin – und zwar, weil der seitmindestens 1988 mit keiner Frau mehr ausgegangen war. Daswar vielleicht ein heißes Date gewesen: eine Verabredung gna-denhalber zwischen einer Hoffnungslosen und einem absolu-ten Fehlzünder. Zu ihrer immensen Erleichterung hatte Wallynicht einmal den Versuch unternommen, sie zu küssen. Es warder langweiligste Abend ihres Lebens gewesen.

Langweilig. Das Wort traf sie mit unerwarteter Wucht. Siehatte das bedrückende Gefühl, genau zu wissen, wie die Ant-wort ausfallen würde, falls jemand sie mit einem einzigen Wortbeschreiben sollte. Ihre Kleidung war unauffällig – und lang-weilig. Ihr Haar war langweilig, ihr Gesicht war langweilig, ihrganzes Leben war langweilig. Sie war eine vierunddreißigjäh-rige, provinzielle, praktisch ungeküsste altjüngferliche Biblio-thekarin, die, was ihren aufregenden Lebenswandel anging,genauso gut vierundachtzig hätte sein können.

Daisy lenkte ihren Blick vom Fenster auf die Zimmerdecke;sie war einfach zu deprimiert, um aufzustehen und nach untenzu gehen, wo ihre Mutter und Tante Joella ihr zum Geburtstaggratulieren würden und wo sie lächeln und Freude heuchelnmusste. Natürlich würde sie irgendwann aufstehen müssen;schließlich hatte sie bis um neun in der Arbeit zu sein. Doch sieschaffte es einfach nicht, noch nicht.

Gestern Abend hatte sie sich genau wie jeden Abend die Sa-chen zurechtgelegt, die sie am nächsten Tag anziehen würde. Siebrauchte nicht einmal auf den Stuhl zu schauen, um den mari-neblauen Rock vor sich zu sehen, der ihr ein paar Zentimeter

18

Page 19: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

übers Knie ging und damit zu lang und zu kurz war, um mo-dern oder schmeichelhaft zu wirken, oder um die weiße, kurz-ärmlige Bluse vor Augen zu haben. Selbst unter größten Mühenhätte sie es kaum geschafft, ein weniger aufregendes Ensemblezusammenzustellen – aber andererseits brauchte sie sich nichtabzumühen; ihr Schrank war voll mit solchen Sachen.

Unversehens schämte sie sich für ihr mangelndes Stilgefühl.Zumindest an ihrem Geburtstag sollte eine Frau doch ein biss-chen heißer aussehen als sonst, oder? Doch dafür würde sieeinkaufen gehen müssen, denn das Wort heiß passte auf keineinziges Stück in ihrer Garderobe. Nicht einmal beim Schmin-ken konnte sie sich heute besondere Mühe geben, weil ihr ge-samtes Make-up aus einem einzigen Lippenstift in einem fastunsichtbaren Farbton namens »Blush« bestand. Die meisteZeit trug sie ihn sowieso nicht auf. Wozu auch? Eine Frau, diekeinen Anlass hatte, ihre Beine zu rasieren, brauchte auch kei-nen Lippenstift aufzulegen. Wie um alles in der Welt hatte siesich eigentlich in diese Sackgasse manövriert?

Finster setzte sie sich im Bett auf und starrte quer durch ihrwinziges Zimmer in den Spiegel über der Kommode. Dasmausbraune, schnittlauchlockige Haar hing ihr ins Gesicht, bissie es beiseite strich, um die hoffnungslose Existenz im Spiegelgenauer in Augenschein nehmen zu können.

Was sie sah, gefiel ihr ganz und gar nicht. Wie ein trübseligerHaufen hockte sie da, mit hängenden Schultern und in ihrenblauen Seersucker-Schlafanzug gehüllt, der ihr eine Nummer zugroß war. Der Schlafanzug war ein Weihnachtsgeschenk vonihrer Mutter, die es ins Mark getroffen hätte, wenn Daisy ihnumgetauscht hätte. Im Rückblick fühlte Daisy sich ins Markgetroffen, weil sie so offensichtlich eine Frau war, der man ei-nen Seersucker-Schlafanzug schenkte. Seersucker, Herrgottnoch mal! Es sagte eine Menge über sie aus, dass sie eine Seer-sucker-Schlafanzug-Frau war. Keine sexy Negligés für sie, Gottbewahre! Für sie tat es auch ein Seersucker-Schlafanzug.

19

Page 20: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Und warum auch nicht? Ihr Haar war fad, ihr Gesicht warfad, sie war fad.

Es war einfach nicht zu leugnen: Sie war langweilig, sie warvierunddreißig, und ihre biologische Uhr tickte. Nein, sie tick-te nicht nur, sie zählte unerbittlich Daisys Countdown herun-ter: zehn … neun … acht …

Sie steckte bis zum Hals im Schlamassel.Dabei hatte sie vom Leben immer nur eines gewollt … ein

Leben. Ein ganz normales, gewöhnliches Leben. Mit Mann,Kind und einem eigenen Haus. Und sie wollte SEX. Heißen,glitschigen, stöhnenden, Am-helllichten-Nachmittag-nackig-herumwälz-Sex. Ihre Brüste sollten nicht nur dazu da sein, denBH-Fabrikanten ein Auskommen zu sichern. Sie hatte nämlichhübsche Brüste, wie sie fand: feste, hervorragende, hübsche C-Körbchen-Brüste, von denen kein Mensch außer ihr etwasahnte, weil niemand sie je zu Gesicht bekam oder gar würdig-te. Ein Trauerspiel.

Noch trauriger war jedoch, dass sie nichts von dem bekom-men würde, was sie sich ersehnte. Langweiligen, mausgrauen,faden altjüngferlichen Bibliothekarinnen blieb es verwehrt,dass jemand ihre Brüste bewunderte und pries. Sie würde ein-fach immer älter werden, immer fader und langweiliger, undihre Brüste würden immer schlaffer werden, bis Daisy einesTages sterben würde, ohne je am helllichten Nachmittag ritt-lings auf einem nackten Mann gesessen zu haben – es sei denn,etwas Einschneidendes würde passieren … zum Beispiel einWunder.

Daisy ließ sich aufs Kissen zurückfallen und starrte vonNeuem die Decke an. Ein Wunder? Vielleicht sollte sie lieberdarauf hoffen, dass der Blitz einschlug.

Sie wartete voller Spannung, doch es gab keinen Knall undauch keinen gleißenden Lichtblitz. Anscheinend konnte sienicht mit Hilfe von »ganz oben« rechnen. Verzweiflung press-te ihren Magen zusammen. Na gut, dann blieb nur noch sie

20

Page 21: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

selbst. Schließlich half der Herr am liebsten jenen, die sich sel-ber halfen. Sie musste etwas unternehmen. Nur was?

Aus der tiefen Schwärze ihrer Verzweiflung ersprühte einFunken der Erleuchtung und brach sich in Form einer Einge-bung Bahn:

Sie musste aufhören, ein braves Mädchen zu sein.Ihr Magen krampfte sich zusammen, und ihr Herz begann zu

hämmern. Unwillkürlich ging ihr Atem schneller. Das hatte derHerr doch bestimmt nicht im Sinn gehabt, als Er/Sie/Es be-schloss, die Angelegenheit in ihre Hände zu legen. Nicht nur,dass es eine ausgesprochen un-Herr-gemäße Idee war, son-dern … sie wusste auch nicht, wie sie das anstellen sollte. Siewar ihr ganzes Leben lang brav gewesen; sämtliche Regeln undVorschriften hatten sich tief in ihre DNA eingegraben. Aufhö-ren, ein braves Mädchen zu sein? Was für eine wahnwitzigeIdee. Die Logik diktierte, dass Daisy, wenn sie kein bravesMädchen mehr sein wollte, zum bösen Mädchen werden muss-te. Und das widerstrebte ihr zutiefst. Böse Mädchen rauchten,tranken, tanzten in irgendwelchen Bars und zogen durch frem-de Betten. Das mit dem Tanzen mochte ja noch angehen –irgendwie sagte ihr die Vorstellung zu –, aber Rauchen kam garnicht in Frage, Alkohol schmeckte ihr nicht, und was den Zugdurch die Betten anging – ausgeschlossen. Das wäre geradezuwahnwitzig blöd.

Aber – aber die bösen Mädchen schnappen uns alle Männerweg!, jaulte ihr Unterbewusstsein auf, angetrieben von der un-erbittlich tickenden inneren Uhr.

»Nicht alle«, widersprach sie laut. Sie kannte viele braveMädchen, die geheiratet und Kinder bekommen hatten: all ihreFreundinnen, um genau zu sein, sowie ihre jüngere SchwesterBeth. Es war also durchaus möglich. Leider schienen dieseFrauen all jene Männer mit Beschlag belegt zu haben, die über-haupt an braven Mädchen interessiert waren.

Und wer blieb übrig?

21

Page 22: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

Männer, die an bösen Mädchen interessiert waren, ganz ge-nau.

Das Ziehen in ihrer Magengrube hatte sich in ein definitivmulmiges Gefühl verwandelt. Wollte sie überhaupt einenMann, der böse Mädchen liebte?

Und ob!, heulten ihre Hormone, jedem vernünftigen Ge-danken verschlossen. Sie handelten unter einem biologischenImperativ, für sie zählte nichts anderes mehr.

Sie hingegen war eine denkende Frau. Sie wollte ganz ein-deutig keinen Mann, der mehr Zeit in irgendwelchen Bars undKaschemmen verbrachte als in der Arbeit oder zu Hause. Siewollte ganz entschieden keinen Kerl, der mit jeder Straßenhu-re ins Bett stieg.

Aber ein Mann mit Erfahrung … Nun ja, das war etwas an-deres. Ein Mann mit Erfahrung hatte so ein gewisses Etwas, soeinen gewissen Blick, einen ganz bestimmten Gang, und alleszusammen bewirkte, dass sie eine Gänsehaut bekam, wenn siesich vorstellte, so einen Mann ganz für sich allein zu haben. Ermochte ja ein ganz gewöhnlicher Kerl mit einem ganz ge-wöhnlichen Leben sein, aber er konnte doch trotzdem diesesgewisse boshafte Leuchten in den Augen haben, oder?

Natürlich konnte er. Und genau so einen Mann wollte sie,und sie weigerte sich zu glauben, dass da draußen keiner mehrfür sie übrig sein sollte.

Noch einmal setzte sich Daisy auf, um die Frau im Spiegelabzumustern. Wenn sich ihre Wünsche jemals erfüllen sollten,dann musste sie zur Tat schreiten. Sie musste etwas unterneh-men. Die Zeit zerrann ihr zwischen den Fingern.

Also gut, zum bösen Mädchen zu werden stand nicht zurDebatte.

Aber wenn sie sich nun den Anschein eines bösen Mäd-chens geben würde? Oder wenigstens den eines Party-Girls?Genau, das klang schon viel besser: ein Party-Girl. Eine Frau,die gern lachte, die sich gern amüsierte, die flirtete und tanzte

22

Page 23: LINDA HOWARD Auch Engel mögen’s heiß - bilder.buecher.de · Sie hatte große Träume, doch im Moment fühlte sie sich winzig klein, so durchgerüttelt auf der Ladefläche eines

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Linda Howard

Auch Engel mögen's heißRoman

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Taschenbuch, Broschur, 352 Seiten, 11,5 x 18,3 cmISBN: 978-3-442-35778-9

Blanvalet

Erscheinungstermin: März 2003

Am Morgen ihres 34. Geburtstags beschließt Daisy Minor, Bibliothekarin in einem öden Nestund so sexy gekleidet wie ein Wörterbuch, ihr Leben umzukrempeln. Sie zieht bei ihrer Mutteraus und legt sich unter der stilkundigen Beratung ihres schwulen Freundes Todd ein neuesStyling zu. Ab diesem Zeitpunkt ist keine Diskothek mehr vor ihr sicher - und die Männer liegenihr zu Füßen. Nachdem Daisy eines Nachts auf dem Heimweg Zeugin eines Verbrechens wird,schwebt sie in Gefahr, selbst ermordet zu werden. Zum Glück ist da Polizeichef Jack Russo, derDaisy schon vor ihrer Verwandlung zum Partygirl äußerst anziehend fand ...