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LEBENSWISSENSCHAFTEN IM DIALOG A

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LEBENSWISSENSCHAFTEN IM DIALOG A

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Durch die neuen Möglichkeiten der Synthetischen Biologie wird das kon-zeptionelle Verständnis des Lebens vor neue Herausforderungen gestellt.So entwickelt sich die Synthetische Biologie, die sich zurzeit noch aus-schließlich im Bereich der Mikrobiologie bewegt, seit einigen Jahren mitrasanter Geschwindigkeit zu einem Forschungsbereich mit immensem In-novationspotential. Auf der Grundlage eines rationalen Designs zielt dieSynthetische Biologie darauf ab, molekulare, zelluläre und organismischeEinheiten zu konzipieren und zu erzeugen, die in einem breiten Spektrumvon Anwendungsfeldern – vor allem in medizinischen und ökologischenKontexten – bis dato nicht abzusehende Neuerungen erbringen könnten.Für die Synthetische Biologie ist dabei die Absicht essentiell, solche Struk-turen und Entitäten zu erzeugen, die in dieser Form nicht in der bekanntenNatur vorkommen und diese entweder mit »natürlichen« Formen zu kom-binieren oder als de novo-Organismen zu etablieren und damit Leben vonAnfang an technisch zu produzieren. Vor dem Hintergrund der vielfältigenund sehr unterschiedlichen konzeptionellen, ethischen und sozialen Bewer-tungen der Synthetischen Biologie rücken mit den Möglichkeiten, die dieSynthetische Biologie zu eröffnen verspricht, die alten Fragen nach denCharakteristika von »Leben«, der Abgrenzung des Belebten vom Unbeleb-ten und in diesem Zusammenhang auch der Anwendbarkeit traditionellernaturwissenschaftlicher sowie philosophisch-ethischer Kategorien wiederund unter besonderen Vorzeichen in das Licht des wissenschaftlichen undöffentlichen Interesses. Der vorliegende interdisziplinäre Sammelbandgeht diesen Fragen nach, indem er biologische, philosophische und theo-logische Perspektiven miteinander ins Gespräch bringt und auf Ihren Er-trag und ihre Orientierungsleistung hin befragt.

Die Herausgeber:

Peter Dabrock, Dr., ist Professor für Systematische Theologie mit demSchwerpunkt Ethik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Michael Bölker, Dr., ist Professor für Genetik an der Philipps-UniversitätMarburg.

Matthias Braun ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Syste-matische Theologie II (Ethik) der Friedrich-Alexander-Universität Erlan-gen-Nürnberg.

Jens Ried, Dr., ist Akademischer Rat am Lehrstuhl für Systematische Theo-logie II (Ethik) der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

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Peter Dabrock / Michael Bölker /Matthias Braun / Jens Ried (Hg.)

Was ist Leben –im Zeitalter seinertechnischen Machbarkeit?

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Lebenswissenschaften im Dialog

Herausgegeben vonKristian Köchyund Stefan Majetschak

Band 11

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Peter Dabrock / Michael Bölker /Matthias Braun / Jens Ried (Hg.)

Was ist Leben –im Zeitalterseiner technischenMachbarkeit?Beiträge zur Ethik derSynthetischen Biologie

Verlag Karl Alber Freiburg/München

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Das diesem Band zugrundeliegende Projekt wurde vom Bundesministe-rium für Bildung und Forschung im Zeitraum vom 01.05.2010 bis zum30.04.2011 gefördert (Förderkennzeichen 01 GP 1088).

Originalausgabe

© VERLAG KARL ALBERin der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011Alle Rechte vorbehaltenwww.verlag-alber.de

Satz: Frank Hermenau, KasselEinbandgestaltung: Ines Franckenberg Kommunikations-Design,

HamburgDruck und Bindung: Difo-Druck, Bamberg

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier (säurefrei)Printed on acid-free paperPrinted in Germany

ISBN 978-3-495-48468-5

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Inhalt

Peter Dabrock, Michael Bölker, Matthias Braun, Jens RiedEinleitung: Was ist Leben – im Zeitalter seiner technischenMachbarkeit? Ethische, kulturelle und wissenschaftstheoretischeHerausforderungen der Synthetischen Biologie ................................ 11

I. Synthetische Biologie: Einordnungen, Abgrenzungen und Systematisierungen

Michael BölkerRevolution der Biologie? Ein Überblick über die Voraussetzungen,Ansätze und Ziele der Synthetischen Biologie .................................. 27

Margret EngelhardDie synthetische Biologie geht über die klassische Gentechnikhinaus .................................................................................................. 43

Kirsten BrukampLebenswelten formen – Synthetische Biologie zwischenMolekularbiologie und Ingenieurtechnologie ................................... 61

Tobias EichingerBiodesign. Zu möglichen Abgrenzungskriterien der synthetischenBiologie von klassischer Gentechnik .................................................. 75

II. Der Lebensbegriff im Zeitalter seiner technischen Machbarkeit

Anna Deplazes-ZempLeben als Werkzeugkasten. Die Auffassung von Leben in derSynthetischen Biologie ....................................................................... 95

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Inhalt8

Christian MartinZur Logik des Lebensbegriffs ........................................................... 117

Reinhard HeilVon künstlichen Lebewesen und künstlichem Leben ..................... 147

Martin G. WeissVerstehen wir, was wir herstellen können? Martin Heideggerund die Synthetische Biologie .......................................................... 173

Gerhard Müller-StrahlMetaphysik des Mechanismus und die Erklärung organischerFormen des Lebendigen .................................................................... 195

Stephan M. FischerModale Umkehrung. Wissenschaftstheorie, Werte und dieSynthetische Biologie ....................................................................... 227

Norbert WalzDie leidende Natur. Plädoyer für eine Emanzipation des Lebensvon seinen natürlichen Schranken ................................................... 251

Ulrich BeuttlerStrukturelemente und Wert des Lebens – theologisch-hermeneutische und -ethische Überlegungen zum Lebensbegriffder Synthetischen Biologie .............................................................. 277

III. Ethische und gesellschaftliche Herausforderungen der Synthetischen Biologie

Joachim BoldtNatur 2.0? Zur Diskussion um die ethischen Aspekte dersynthetischen Biologie ..................................................................... 309

Diana AurenqueNatur, Leben und Herstellung: Worin liegt die ethischeHerausforderung der Synthetischen Biologie? ............................... 327

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Inhalt 9

Jens Ried, Matthias Braun, Peter DabrockUnbehagen und kulturelles Gedächtnis. Beobachtungen zurgesellschaftlichen Deutungsunsicherheit gegenüberSynthetischer Biologie ..................................................................... 345

Amelie Cserer, Alexandra Seiringer, Markus SchmidtDarstellungen der Synthetischen Biologie. Eine Diskussionder Berichterstattung über Synthetische Biologie indeutschsprachigen Medien und der Äußerungen vonSynBio-Experten .............................................................................. 369

Wolf-Michael CatenhusenSynthetische Biologie – wo liegt unsere gesellschaftlicheVerantwortung? Ein politisches Statement ..................................... 387

Gemeinsame Thesenliste der Autorinnen und Autoren ................. 393Literaturverzeichnis .......................................................................... 397Autorinnen und Autoren ................................................................. 413Sachregister ...................................................................................... 417

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Was ist Leben – im Zeitalter seiner technischenMachbarkeit?

Ethische, kulturelle und wissenschaftstheoretische Herausforderungender Synthetischen Biologie

Die Synthetische Biologie, die sich durch eine systematische und ex-plizite Integration ingenieurwissenschaftlicher Verfahren und Schematain die Biologie auszeichnet, entwickelt sich seit wenigen Jahren mitrasanter Geschwindigkeit zu einer „technoscience“1 mit immensem In-novationspotenzial. Auf der Grundlage eines rationalen Designs zieltdie Synthetische Biologie darauf ab, molekulare, zelluläre und orga-nismische Einheiten zu konzipieren und zu erzeugen, die in einembreiten Spektrum von Anwendungsfeldern – vor allem in medizini-schen und ökologischen Kontexten – bis dato nicht abzusehende Neue-rungen erbringen könnten. Für die Synthetische Biologie ist dabei dieAbsicht essenziell, solche Strukturen und Entitäten zu erzeugen, diein dieser Form nicht in der bekannten Natur vorkommen, und dieseentweder mit „natürlichen“ Formen zu kombinieren oder als de novo-Organismen zu etablieren und damit Leben von Anfang an technischzu produzieren. Die Synthetische Biologie zieht dabei gerade als Kom-bination lebenswissenschaftlicher Forschungsinstrumentarien und -me-thoden mit ingenieurwissenschaftlichen Prozessen und Arbeitsformensowohl hochfliegende Hoffnungen als auch tiefste Skepsis auf sich.Erwarten Befürworter dieser neuen wissenschaftlich-technischen Rich-tung Lösungsmodelle für drängende ökologisch-ökonomische undmedizinische Problemlagen – von der Erzeugung von Biokraftstoffenüber die Entsorgung von Schadstoffen bis zur Entwicklung maßge-schneiderter Therapien und Pharmazeutika –, betonen Kritiker der Syn-thetischen Biologie insbesondere drohende Gefahren für Mensch undUmwelt durch die Unwägbarkeiten und fehlenden Kontrollmöglich-keiten bei der Produktion, Anwendung und eventuellen Freisetzungsynthetisch erzeugter zellulärer und organismischer Strukturen, ein-schließlich des Missbrauchspotenzials z. B. durch terroristische Vereini-

1 M. Schmidt, A. Ganguli-Mitra, H. Torgersen, A. Kelle, A. Deplazes, N. Biller-An-dorno, „A priority paper for the societal and ethical aspects of synthetic biology“,in: Systems and Synthetic Biology, 3(1-4)/2009, S. 3-7.

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Einleitung12

gungen. Der ELSI-Forschungsstand ist, wie auch die einschlägigenStellungnahmen zeigen, hinsichtlich der Fragen von Biosecurity undBiosafety entsprechend weit.2 Auch in anderen Bereichen wie z. B. imHinblick auf die mit der Patentierung gentechnisch erzeugter Produkteverbundenen Problematiken konnte durch den Rückgriff auf bzw. denAnschluss an laufende Debatten zur Biotechnologie die Diskussions-lage zur Synthetischen Biologie vorangebracht werden.3

Auf anderen Konfliktfeldern ist die ethische, rechtliche und sozial-wissenschaftliche Aufarbeitung anstehender Fragen dagegen bislangkaum über das bloße Konstatieren eines Reflexionsbedarfs hinaus ge-langt. So markieren die aktuellsten Stellungnahmen zur SynthetischenBiologie einhellig den Lebensbegriff als blinden Fleck und dringendesDesiderat der ethischen, rechtlichen und sozialen Forschung zur Syn-thetischen Biologie.4 Dies geschieht vor dem Hintergrund einer lan-gen wissenschaftlichen Tradition, angefangen bei der gerade in dergegenwärtigen sozialwissenschaftlichen Forschung zur Biotechnolo-gie wieder verstärkt zur Geltung gebrachten traditionellen Differenzvon bios und zoë, der klassischen Debatten zwischen Naturwissen-schaft und Philosophie um die Wende des 19. zum 20. Jahrhundertssowie der epochalen Vortragsreihe Erwin Schrödingers, der sowohlder philosophisch interessierten Naturwissenschaft als auch der natur-wissenschaftlich informierten Philosophie die Beschäftigung mit derFrage „Was ist Leben?“ endgültig als zentrale Problemstellung ein-

2 Vgl. Presidential Commission for the study of bioethical issues, „NEW DIRECTIONSthe Ethics of Synthetic Biology and Emerging Technologies“, 2010; http://www.bioethics.gov/documents/synthetic-biology/PCSBISynthetic-Biology-Report-Press-Release-12.16.10.pdf.; Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), acatech, Leopol-dina, Synthetische Biologie – Stellungnahme, Weinheim 2009; European Groupon Ethics in Science and New Technologies to the European Commission, „Ethicsof Synthetic Biology“, 2009; http://ec.europa.eu/european_group_ethics/docs/opinion25_en.pdf.

3 Vgl. M. A. Bedau, E. C. Parke, U. Tangen, B. Hantsche-Tangen, „Ethical Guidelinesconcerning artificial cells“, 2009; http://www.istpace.org/Web_Final_Report/the_pace_report/Ethics_final/PACE_ethics.pdf; M. Schmidt, A. Ganguli-Mitra, H. Tor-gersen, A. Kelle, A. Deplazes, N. Biller-Andorno, „A priority paper for the societaland ethical aspects of synthetic biology“, in: Systems and Synthetic Biology, 3(1-4)/2009, S. 3-7.

4 Vgl. A. Deplazes, M. Huppenbauer, „Synthetic organisms and living machines: Po-sitioning the products of synthetic biology at the borderline between living andnon-living matter“, in: Systems and Synthetic Biology, 3(1-4)/2009, S. 55-63; Ra-binow, P., Bennett, G., Synthetic biology: ethical ramifications 2009, in: Systemsand Synthetic Biology, 3(1-4)/2010, S. 99-198.

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Einleitung 13

stiftete. Angesichts der vielfältigen und sehr unterschiedlichen ethi-schen, rechtlichen und sozialen Bewertungen der Synthetischen Bio-logie rücken mit den Möglichkeiten, die die Synthetische Biologie zueröffnen verspricht, die alten Fragen nach den Charakteristika von„Leben“, der Abgrenzung des Belebten vom Unbelebten und in diesemZusammenhang auch der Anwendbarkeit traditioneller naturwissen-schaftlicher sowie philosophisch-ethischer Kategorien wie „natürlich“vs. „artifiziell“ wieder und unter besonderen Vorzeichen in das Lichtdes wissenschaftlichen und öffentlichen Interesses. Allerdings bleibendie Verweise auf dieses Problemfeld in allen Dokumenten weitgehendpostulatorisch; sie begnügen sich mit recht allgemeinen Äußerungenund lassen gehaltvolle Konkretionen zu diesem als integrale Frage-stellung identifizierten Punkt weitestgehend vermissen. Hier Abhilfezu leisten, ist das erklärte Ziel des vorliegenden Bandes.

Das Feld der Synthetischen Biologie zeichnet sich ohne Frage durcheine breite Streuung an Verfahren, Methoden und Zielsetzungen aus –Synthese von Genen und Genomen, Minimalzellen, Protozellen, maß-geschneiderte Stoffwechselwege, komplexe Schaltkreise bis hin zuorthogonalen Biosystemen –, die in verschiedenen Schärfegraden dieFrage nach dem Lebensbegriff tangieren und sich daher nicht nur ihremInnovationsgrad, den erwartbaren Risiken und den damit zusammen-hängenden Formen und Wegen der (evtl. erst noch zu setzenden) Re-gulation unterscheiden, sondern eben auch dem Evokationspotenzialkultureller und sozialer Besorgnis nach. Das durch eine gewisse – undin jedem Falle noch näher zu bestimmende – „Familienähnlichkeit“zusammengehaltene Konglomerat an Forschungsansätzen, die sichunter dem Oberbegriff der „Synthetischen Biologie“ versammeln, istallerdings nicht ganz frei davon, selbst Bedenken und Besorgnisse kul-tureller und sozialer Art und damit auch den Ruf nach Regulation zuprovozieren. Denn unter den Bedingungen der Konkurrenz um For-schungsförderung und mediale Aufmerksamkeit – schließlich mussnicht nur die Kunst, sondern auch die Wissenschaft gelegentlich „nachBrot gehen“,5 um ein bekanntes Diktum aus der Feder Lessings zubemühen – übt der Hype um die Synthetische Biologie eine Anzie-hungskraft aus, der sich kaum eine Forschung, die zumindest amRande mit diesem wissenschaftlichen Feld zu tun hat, entziehen kann.Dass Ergebnisse, vor allem aber Visionen und Ziele der Synthetischen

5 Vgl. Lessing, G. E., Emilia Galotti, I.2.

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Einleitung14

Biologie zudem noch im Gewand Aufmerksamkeit heischender For-mulierungen inszeniert werden, wie Craig Venter dies wie kaum einZweiter beherrscht, trägt ein Übriges dazu bei, Bedenken und Be-sorgnisse zu verstärken, wenn nicht gar erst zu erzeugen. Eben diesesUnbehagen spiegelt sich in der aufkommenden Debatte um den Le-bensbegriff in der Synthetischen Biologie wider. In diesem Zusam-menhang ist die Frage „Was ist Leben – im Zeitalter seiner technischenMachbarkeit?“ in doppelter Hinsicht besonders geeignet, die ethischen,rechtlichen und sozialen Herausforderungen der Synthetischen Bio-logie zu erschließen und zu bearbeiten:

1. Der Lebensbegriff markiert exakt den Punkt, an dem die Öffent-lichkeit erwartbar auf die Synthetische Biologie reagieren wird. Zu-gleich bieten die sich daran anschließenden Fragen u. a. nach demontologischen und handlungstheoretischen Status der durch die Syn-thetische Biologie erzeugten Entitäten, den evaluativen resp. norma-tiven Implikationen, die sich daraus ergeben, und schließlich denRückwirkungen auf das Selbstverständnis des Menschen ein Einfalls-tor insbesondere für Skandalisierungen, denen aus der ELSI-Perspek-tive versachlichend zu begegnen ist und die im wissenschaftlichenDiskurs antizipiert werden können.

2. Die mit der Synthetischen Biologie fassbar werdenden Möglich-keiten, „Leben“ von Anfang an technisch zu „produzieren“, sind einwesentlicher und bestimmender Faktor in den Wahrnehmungen undVerlautbarungen sowohl in der wissenschaftlichen wie in der allge-meinen Öffentlichkeit. Die Vorstellung von der „Machbarkeit“ desLebens irritiert kulturell und sozial etablierte Deutungsmuster undruft einerseits Interesse, andererseits Unsicherheit hervor und markiertin beiden Fällen die Notwendigkeit vertiefter ethischer, rechtlicher undsozialwissenschaftlicher Reflexion.

Die Frage „Was ist Leben – im Zeitalter seiner technischen Mach-barkeit?“ kann daher als Kristallisationspunkt gegenwärtiger Diskus-sionen zur Synthetischen Biologie gelten und führt verschiedeneStränge der ethischen, rechtlichen und sozialen Debatten zu dieserneuen lebenswissenschaftlichen Technologie zusammen. Die in dieserFormulierung unübersehbaren Anklänge an die bekannte kunstsozio-logische Studie Walter Benjamins6 sind dabei nicht nur nicht zufällig,sondern weisen auf einige Besonderheiten der gegenwärtigen Debat-

6 Benjamin, W., Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit,Drei Studien zur Kunstsoziologie, Frankfurt a.M. 2010.

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tenlage zur Synthetischen Biologie hin. Wie Benjamin sich anschickte,mit seiner Studie für eine bereits begonnene und beobachtbare Ent-wicklung im Bereich der technischen Reproduktion, Vervielfältigungund Verbreitung von Kunstwerken eine begründete und Kriterien ge-leitete Richtungsangabe zu formulieren und dabei mögliche Konse-quenzen eben dieser Entwicklung auf ihren eigenen Gegenstand – indiesem Falle die Kunst – und auf die Gesellschaft auszuloten, stehtauch die Synthetische Biologie vor der Herausforderung, in einer Phaseder (erhofften und tatsächlichen) Potenziale entweder affirmatives und/oder kritisch-skeptisches Orientierungswissen zu generieren, das diezukünftige Evolution dieses wissenschaftlichen Feldes in den Blicknimmt. Die Plausibilität eines solchen prognostischen Blickes in dieZukunft eines aufgrund der gegenwärtig (noch) enormen Diskrepanzzwischen Anspruch und Wirklichkeit sowohl aufseiten der Befürwor-ter (Visionen vs. aktuelle faktische Möglichkeiten) wie auch aufseitender Skeptiker (beschworene vs. aktuelle Gefahren) als „diffus“ zu cha-rakterisierenden Feldes hängt allerdings entscheidend von der möglichstpräzisen Erfassung des gegenwärtigen Sachstandes und der Entwick-lungen ab, die zu eben diesem Stand der Dinge geführt haben. Erstvor diesem Hintergrund wird der von Protagonisten wie Antagonistender Synthetischen Biologie teils explizit in vor allem religionskul-turell geprägten Wendungen wie „playing God“, „new creation“ oder„Schöpfung 2.0“ artikulierte, teils implizit inaugurierte, fundamen-tale Wandel im Verhältnis des Menschen zur Welt des „Lebens“ samtder Folgen und Nebenfolgen überprüfbar.

Benjamin zielt in seiner Studie darauf ab, die These zu unter-mauern, dass das Erhabene, die Aura, die bislang in der Einmaligkeitdes Kunstwerkes begründet war, durch die technische Reproduzier-barkeit desselben dem Verfall anheimgegeben sei. Dabei ist es nichtdie Reproduzierbarkeit an sich, die Benjamin zufolge den unhintergeh-baren Paradigmenwechsel evoziert, sondern vor allem ihre technischeund massenhafte Ermöglichung. Damit gehe, so Benjamin, eine ent-scheidende Veränderung der Wahrnehmungsmuster der Natur derGegenstände wie der Gegenstände der Natur einher. Diese Wandlungbewertet Benjamin eindeutig negativ. Denn das Singuläre werde vonder Masse absorbiert, die „Echtheit“ des Originals gehe verloren, seineEinbindung in einen Traditionsstrom, der durch die ubiquitäre undjederzeitige Präsenz des Werkes de facto abgebrochen werde. Vorallem sorge die technische Reproduzierbarkeit dafür, dass das Kunst-werk der politisch-gesellschaftlichen Vernutzung ausgeliefert werde.

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Die kulturpessimistische Stoßrichtung dieser Argumentation mag heutebefremdlich wirken, nicht nur, weil es das Zeitalter der von politi-schen oder gesellschaftlichen Zwecken unbefleckten auratischen Da-seinsweise des Kunstwerkes so nie gegeben haben dürfte, sondern auch,weil uns inzwischen die Möglichkeiten der Fotografie und des Filmskeineswegs nur negativ erscheinen.

Nichtsdestotrotz bleibt die Frage virulent, ob und inwiefern dertechnische Zugriff auf das „Leben“, wie ihn die Synthetische Biologiein einer bisher nicht gekannten Tiefe und Umfänglichkeit anvisiert,mehr als die durch Risikoforschung und Technikfolgenabschätzung ab-gedeckten Probleme im Umfeld dieser neuen wissenschaftlichen Dis-ziplin aufwirft. Die kleine Renaissance des Lebensbegriffs, die in denDiskussionen zur Synthetischen Biologie zu beobachten ist, kann je-denfalls als deutlicher Hinweis darauf gelesen werden, dass hier auchbisher mehr oder minder bewusst vorausgesetzte Deutungskonzepteauf dem Spiel stehen könnten.7 Eben dieser Spur folgen die in diesemBand versammelten Beiträge, welche in drei großen thematischen Tei-len gruppiert sind.

Der erste Teil des vorliegenden Bandes – Synthetische Biologie:Einordnungen, Abgrenzungen und Systematisierungen – kartiert dasemerging field der Synthetischen Biologie, indem die im Forschungs-feld im- und explizit mitlaufenden Distinktionen sichtbar gemachtund auf ihre strukturierende Leistung für das noch fluide Feld derSynthetischen Biologie befragt werden.

Michael Bölker stellt in seinem grundlegenden Beitrag „Revolu-tion der Biologie? Ein Überblick über die Voraussetzungen, Ansätzeund Ziele der Synthetischen Biologie“ die Grundprinzipien der Syn-thetischen Biologie vor, deren Ziel im Design und der Konstruktionneuartiger biologischer Systeme liegt. In seiner Skizze der bisherigenEntwicklung und des state of the art der Synthetischen Biologie zeigter, dass vor allem die Techniken der Modularisierung und Standardi-sierung biologischer Funktionen – gewissermaßen als Credo des ge-samten Forschungsfeldes – die Anwendung ingenieurwissenschaftlicherMethoden bei der Herstellung maßgeschneiderter synthetischer Zellenfür unterschiedlichste praktische Anwendungen erlaubt. Von der syn-

7 Vgl. Bahr, P., Schaede, S., Das Leben I Historisch-Systematische Studien zur Ge-schichte eines Begriffs, Mohr 2009. Ebenso Schaede, S., Hartung G., Kleffmann, T.,Das Leben II Historisch-Systematische Studien zur Geschichte eines Begriffs, Mohr2011.

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thetischen Rekonstruktion und systematischen Modifizierung bio-logischer Systeme verspricht man sich zugleich entscheidende neueEinsichten in die Funktionsprinzipien natürlicher Zellen. Mit der an-schließenden Erörterung der Frage, inwieweit die ingenieurwissenschaft-liche Methode der Modularisierung auch als eine Modularisierungdes Lebens verstanden werden kann, erfolgt sogleich ein paradigma-tischer Brückenschlag zu den evozierten Fragen nach dem Verständ-nis des Lebens.

Diese grundlegenden Fragestellungen aufgreifend eruiert MargretEngelhard in ihrem Beitrag „Die synthetische Biologie geht über dieklassische Gentechnik hinaus“ Unterscheidungslinien und möglicheGemeinsamkeiten zwischen der klassischen Gentechnik und der Syn-thetischen Biologie. Anhand der These, die Synthetische Biologie geheüber die Gentechnik hinaus, entwickelt sie erste Differenzkriterien,mittels derer eine effiziente und verlässliche Kommunikation über dieHerausforderungen der Synthetischen Biologie ermöglicht werden kann.Versteht man die klassische Molekularbiologie auf der einen und dieBiotechnologie auf der anderen Seite als Kondensationskonglomerate,zwischen denen sich das aktuelle Feld der Biotechnologie aufspannenlässt, fokussiert dieser Beitrag vor allem auf die Abgrenzung zu denklassischen Methoden der Biotechnologie, während Kirsten Brukampin ihrem Beitrag „Lebenswelten formen – Synthetische Biologie zwi-schen Molekularbiologie und Ingenieurtechnologie“ das Verhältnis derSynthetischen Biologie zur Ingenieurtechnologie beleuchtet. Angesichtsähnlich gelagerter ethischer Problemkonstellationen wie in Fragender Molekularbiologie, welche zugleich durch die spezifischen Frage-stellungen von Biosecurity und Biosafety herausgefordert werden, vo-tiert sie für eine Positionierung der Synthetischen Biologie zwischender Molekularbiologie einer- und der Ingenieurtechnologie anderer-seits. Eine solche topographische Verortung der Synthetischen Biologieist dann im Folgenden vor allem auf die verwendeten Terminologienzu untersuchen, anhand derer sich konkrete Distinktionen explizierenlassen.

Den ersten thematischen Teil abschließend greift Tobias Eichingerin seinem Beitrag „Was ist neu an der synthetischen Biologie? Zumöglichen Kriterien der Abgrenzung“ vor allem den Gegenstands-bereich der Synthetischen Biologie heraus und entwickelt ein Diffe-renzmodell, anhand dessen er versucht, die Synthetische Biologie indem Feld der bisherigen Biotechnologieklassifizierungen zu positio-nieren. Dabei spitzt er seinen Untersuchungsgang auf die Frage zu,

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inwieweit das spezifisch Neue an der Synthetischen Biologie darin be-gründet werden kann, dass sie in der späteren Anwendung weitest-gehend unabhängig von natürlichen Vorbedingungen ist und dadurchganz neu Form, Beschaffenheit und Inhalt ihrer Produkte bestimmenkann.

Eine Betrachtung des Gegenstandsbereiches der Synthetischen Bio-logie, mit den bereits realisierten und zum Teil (noch) visionär postu-lierten Produkten erfordert zugleich eine Reflexion auf die Fragen nachden Charakteristika ‚des Lebendigen‘, aber auch nach den Auswirkun-gen der (vermeintlichen) Produzierbarkeit von Leben auf die bisheri-gen, kulturell und sozial integrierten Deutungsmuster. Diesen Fragenwidmet sich der zweite Teil dieses Bandes – Der Lebensbegriff imZeitalter seiner technischen Machbarkeit –, indem er aus unterschied-lichen, auch disziplinär verschiedentlich verorteten Perspektiven aufdie Synthetische Biologie blickt und sich dabei den durch diese Durch-kreuzungen der bisherigen weitestgehend unhinterfragten Distinktionenhervorgerufenen Fragen in dem Verständnis von Leben stellt.

Anna Deplazes arbeitet in ihrem Beitrag „Leben als Werkzeug-kasten. Die Auffassung von Leben in der Synthetischen Biologie“ dieThese heraus, dass der Umgang mit Lebewesen in der SynthetischenBiologie eine neue Auffassung von Leben vermittelt. Gemäß dieserAuffassung ist Leben in der Form von Lebewesen vergleichbar miteinem Set von Werkzeugen, die vom Menschen entworfen wurdenund menschlichen Zwecken dienen sollen. Die unterschiedlichen Cha-rakteristika von Lebewesen werden dabei – als vom Menschen ent-worfene Werkzeuge verstanden – genutzt, um den Organismus selbstoder von ihm produzierte Sekundärprodukte herzustellen. Ein sol-ches Verständnis von Leben in der Synthetischen Biologie setzt De-plazes dann abschließend in Relation zu klassisch biologischen, theo-logischen und philosophischen Zugangsweisen.

Christian Martin argumentiert in seinem Beitrag „Zur Logik desLebensbegriffs“ gegen ein Verständnis von Leben als empirischer Eigen-schaft, die allen Lebewesen auf dieselbe Weise zukommt, und für einenicht-empirische Auffassung des Lebensbegriffs, der sich Martin zu-folge nur im Hinblick auf eine „Stufenordnung“ von a) bloßem, b) bloßselbsthaftem und c) reflektiert selbsthaftem Leben angemessen ver-stehen lässt.

Die Fragen danach, was Leben ist, wie es entsteht und ob es sichkünstlich herstellen lässt, tauchen im Verlauf der (Biologie-)Geschichteimmer wieder auf. Die Art und Weise, wie mit dem Leben umgegan-

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gen wird, welchen Wert dem Leben als solchem beigemessen wird,wechselt von Zeitalter zu Zeitalter und von Kultur zu Kultur. Ziel desBeitrags von Reinhard Heil „Von künstlichen Lebewesen und künst-lichem Leben“ ist es nicht – und kann es auch nicht sein –, eine all-gemeine Geschichte des Lebensbegriffs zu leisten, sondern schlaglicht-artig einige kulturgeschichtlich eindrückliche Konzepte zu beleuchten.

Ausgehend von der These Martin Heideggers, dass es sich beimHerstellungsparadigma um den beherrschenden Leitgedanken sowohlder ontologischen als auch der erkenntnistheoretischen Tradition desAbendlandes handelt, beschäftigt sich Martin G. Weiss in seinem Bei-trag „Verstehen wir, was wir herstellen können? Martin Heidegger unddie Synthetische Biologie“ mit der Frage, inwieweit sich die Lebens-kriterien der modernen Biologie vom neuzeitlichen Maschinenmodelldes Lebens herschreiben und sucht zu klären, ob der Höhepunkt derVerfügbarkeit tatsächlich in Unverfügbarkeit umschlagen könnte, wiedies Heidegger hoffte.

Der Frage, was es bedeutet, wenn das Leben vom Mechanismus-Gedanken her konzeptionalisiert wird, widmet sich Gerhard Müller-Strahl in seinem Beitrag „Metaphysik des Mechanismus und die Erklä-rung organischer Formen des Lebendigen“. Dabei untersucht er, in-wieweit die Erklärungsstruktur von Theorien des Organischen alsmethodischer Leitfaden dient, um die Reichweite der Anwendung desMechanismusbegriffes auszuloten. Mittels dieser Untersuchungenkommt Müller-Strahl in Bezug auf das Programm der SynthetischenBiologie zu der Feststellung, dass dieses Forschungsfeld sich selberein inneres Spannungsfeld errichtet zwischen mechanistischen Er-klärungen – welche ohne zusätzliche Annahmen nicht vermögen, For-men des Lebens hinreichend zu begründen – und dem verkündetenZiel, (miniaturisierte) Einheiten des Lebens synthetisch zu generie-ren. Hier zeigt Müller-Strahl, welche Bereiche organischer Systeme –insbesondere im Terrain der Synthetischen Biologie – mechanistischerklärbar sind und welche dieses (noch) nicht sind.

Stephan M. Fischer untersucht in seinem wissenschaftstheoreti-schen Beitrag „Modale Umkehrung. Wissenschaftstheorie, Werte unddie Synthetische Biologie“ die Wechselwirkung von Wissenschaft undGesellschaft und nimmt damit die Frage nach der Wert-Beladenheitwissenschaftlicher Tatsachenerstellungsprozesse in den Fokus. Fischerargumentiert, dass sich an dem Feld der Synthetischen Biologie pa-radigmatisch zeigen lässt, wie sich der modale Status von Tatsache undAnwendung in der modernen Wissenschaft verändert hat. Hierbei wird

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die These verfolgt, dass eine Wissenschaftstheorie, welche die aktuellvonseiten der Synthetischen Biologie gestellten Herausforderungen anÖffentlichkeit, Gesellschaft und Politik nicht beachtet und verarbei-tet, an der Dynamik von Wissenschaft vorbeigeht und dieser, wie auchihren eigenen Ansprüchen, nicht gerecht wird.

Der dialektisch aufgebaute philosophische Beitrag von Norbert Walz„Die leidende Natur. Plädoyer für eine Emanzipation des Lebens vonseinen natürlichen Schranken“ verfolgt zunächst die Perspektive einesim Kontext der „reflexiven Modernisierung“ verorteten weitergehen-den Eingriffs in fundamentale Naturstrukturen, um anschließend diedazu in Kontrast stehenden „Gegenbewegungen“ zu erörtern. SeineSynthese bezieht sich u. a. im Anschluss an Blochs Theorem einer„Allianztechnik“ auf eine Befreiung der am Tod des Individuums lei-denden Natur.

Ulrich Beuttler sieht in seinem Beitrag „Strukturelemente und Wertdes Lebens – theologisch-hermeneutische und ethische Überlegungenzum Lebensbegriff der Synthetischen Biologie“ das Integrationspro-blem der Synthetischen Biologie vorrangig in der genuinen Verwo-benheit von ‚Natürlichem‘ und ‚Technischem‘. In Bezug auf dieseFragestellungen entwickelt Beuttler in Weiterführung von Leibniz’Gedanken zum Begriff der Potenzialität, Uexkülls Wirkkreis-Ansatzund v. Weizsäckers Gestaltkreis-Figur ein Modell, das die Sphäre derKultur („Leben“) in Bezug auf das Lebendige („Bios“) berücksich-tigen will. Ein solches Modell ersucht das Lebendige in den Prozessvon Gabe und Aufgabe des Lebens einzubeziehen, plädiert aber zu-gleich für ein Aufrechterhalten der theologisch unhintergehbaren Dif-ferenz von Schöpfer und Geschöpf.

In den theologischen, wissenschaftstheoretischen und philosophi-schen Erörterungen des Verständnisses vom Leben, bedingt durch dieEntwicklungen der Synthetischen Biologie, brach sich bereits in demzweiten Teil dieses Bandes die ethische und gesellschaftliche Dimen-sion Bahn. Der dritte Teil dieses Bandes – Ethische und gesellschaft-liche Herausforderungen der Synthetischen Biologie – nimmt dieseFragen explizit auf und widmet sich ausführlich den Herausforderun-gen einer Ethik der Synthetischen Biologie, um zugleich zu fragen,welche Bedeutung den Entwicklungen der Synthetischen Biologie fürden Standpunkt der ethischen Debatten selber zukommt.

Das Postulat der Synthetischen Biologie ‚Leben herzustellen‘ isteine Zielsetzung, die Potenzial für gesellschaftliches Aufsehen birgt.In seinem Beitrag „Natur 2.0? Zur Diskussion um die ethischen As-

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pekte der synthetischen Biologie“ gibt Joachim Boldt einen Überblickbezüglich der ethischen Diskussionen um konkrete Gefährdungen,die mit der Synthetischen Biologie verbunden sein können. Hierbeieruiert Boldt vor allem die ethische Relevanz des Selbstverständnis-ses der Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, sofern diese sichselber als ‚Hersteller‘ von Leben bezeichnen. Bei einem solchen Selbst-anspruch ist dann nach Boldt ein sehr präzises Assessment der kon-fligierenden Vorstellungen unabdingbar – Vorstellungen, in denen aufder einen Seite der Neubau des Lebens für vom Menschen gesetzteZwecke höchstes und schnellstmöglich anzustrebendes Ziel ist, und Vor-stellungen auf der anderen Seite, in denen es primär um ein Verste-hen, um den Versuch des Findens einer gemeinsamen Perspektive aufdie Zukunft geht.

Die postulierte Herstellbarkeit des Lebens nimmt Diana Aurenquein ihrem Beitrag „Natur, Leben und Herstellung: Worin liegt dieethische Herausforderung der Synthetischen Biologie?“ zum Anlass,zunächst eine begrifflich-geschichtliche Klärung des Verhältnisses zwi-schen den Phänomenen „Natur“ und „Leben“ zu explizieren, um sozu einer Kontextualisierung des aktuellen, evolutionären Naturver-ständnisses beizutragen. Einer solchen Kontextualisierung kommt in-sofern eine besondere Bedeutung zu, als Aurenque die eigentlicheethische Herausforderung der Synthetischen Biologie in einen engenZusammenhang mit den aktuellen Fragen der Naturethik stellt. Ausdieser Perspektive heraus plädiert sie für eine Übernahme von Ver-antwortung für die Natur, die sich vorrangig in der prinzipiellen Auf-gabe ausdrückt, die wissenschaftliche Praxis immer wieder an dieUnumgänglichkeit von Fragen der Biosecurity zu erinnern.

In der Untersuchung zu der gesellschaftlichen Bedeutung des Un-behagens eruieren Jens Ried, Matthias Braun und Peter Dabrock inihrem Beitrag „Unbehagen und kulturelles Gedächtnis. Beobachtun-gen zur gesellschaftlichen Deutungsunsicherheit gegenüber Synthe-tischer Biologie“, inwieweit dem sowohl in weiten Teilen der Öffent-lichkeit, als auch bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlernselber wahrgenommene Unbehagen eine Indikatorfunktion für eineErosion bisher für hinreichend erachteter Distinktionen zugeschrie-ben werden kann. Die in dem Unbehagen angezeigte Erosion der fürdie Beurteilung der Synthetischen Biologie relevanten Distinktionenvon ‚natürlich‘ und ‚künstlich‘, ‚lebendig‘ und ‚nicht-lebendig‘ sowie ‚or-ganisch‘ und ‚nicht-organisch‘ wird so für die ethische Forschung be-arbeitbar und überprüfbar. Eine solche Überprüfbarkeit muss sich dann

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beispielsweise in einer sehr präzisen und beständigen Beobachtung derzitierten Metaphern, insbesondere der religiösen Sprachformen wiebeispielsweise „playing God“ oder „creating life“ erweisen. Ein Ein-treten für die Fragen von Biosecurity und Biosafety stellt hernacheine wichtige Aufgabe der ethischen Begleitung und Beratung dar, inihnen kann sich aber die ethische und sozialwissenschaftliche Debattezur Synthetischen Biologie nicht erschöpfen. Dabei wird – so dieSchlussfolgerung dieses Beitrages – die ethische Forschung in beson-derem Maße die Re- und Transformationen von Oberflächen- undTiefenbeschreibungen in den Blick zu nehmen haben. Zugleich kannso geprüft werden, wie die jeweils eigenständigen Fragen von Bio-safety und Biosecurity auf der einen und die tiefer liegenden ethi-schen Fragen der Durchkreuzung der bisherigen epistemologischen undontologischen Distinktionen auf der anderen Seite angemessen in denBlick genommen werden können.

Amelie Cserer, Alexandra Seiringer und Markus Schmidt unter-suchen in ihrem Beitrag „Darstellungen der Synthetischen Biologie.Eine Diskussion der Berichterstattung über Synthetische Biologie indeutschsprachigen Medien und der Äußerungen von SynBio-Exper-ten“ die mediale Präsenz der Synthetischen Biologie in deutschspra-chigen Printmedien und setzen diese Medienrezeption in Beziehungzu den Einschätzungen von Wissenschaftlern, die aufdem Feld dieserBiotechnologie arbeiten. Unterschiede konnten vor allem in der Defi-nition der Synthetischen Biologie aufgewiesen werden: Während inden analysierten Berichten das Ingenieursparadigma im Vordergrundsteht, heben die befragten Wissenschaftler eher auf den Unterschiedzum natürlichen Ökosystem als zentrales Charakteristikum der Syn-thetischen Biologie ab. Zudem zeigte sich, dass die interviewten Ex-perten deutlich sensibler für die Risiken dieser Biotechnologie als diePrintmedien sind, in denen vornehmlich die Chancen thematisiertwerden.

Eine Besonderheit dieses Bandes ist die Integration einer politischenStellungnahme in eine wissenschaftliche Publikation. Hierdurch wirdjedoch in besonderer Weise deutlich, dass ein Austausch von ethischemund politischem Diskurs bereits in seinem frühen Stadium dazu an-regt, die je unterschiedlichen Perspektiven konstruktiv auf ihren Ertragfür eine gemeinsam zu erschließende gesellschaftliche Verantwortunghin zu befragen. In seinem politischen Statement „Synthetische Bio-logie – wo liegt unsere gesellschaftliche Verantwortung? Ein politischesStatement“ weist der langjährige Staatssekretär im Bundesministerium

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für Bildung und Forschung, Wolf-Michael Catenhusen, eindrücklichauf die Notwendigkeit eines sorgsamen Monitorings der Syntheti-schen Biologie vonseiten der Gesellschaft hin. Ein solches Monitoringwird dann zu einem gelingenden und verantwortlichen Fortschreitender Synthetischen Biologie beitragen, so es frühzeitig in die natur-wissenschaftliche Forschung integriert wird und die generelle Verwo-benheit von Gesellschaft und Wissenschaft bedenkt. Wissenschaft undGesellschaft müssen nämlich ein gemeinsames Interesse daran haben,dass bei der Entwicklung der Synthetischen Biologie ihre Perspek-tiven-Wahrnehmung nicht vorrangig von Science-Fiction und fantas-tischen Versprechungen bestimmt wird. Vielmehr hat eine interdiszi-plinäre Forschung, die in einem verantwortungsvollen Verhältnis zurGesellschaft steht, sehr sensibel auf die kulturellen Rezeptionsströmeund öffentlichen Sensibilisierungen zu achten.

Dieser Band wird schließlich mit einer gemeinsamen Thesenlistealler Autorinnen und Autoren zu dem aktuellen Stand der ethischenForschung im Bereich der Synthetischen Biologie abgeschlossen, dieeinerseits als Kondensat der Diskussionen um die Frage „Was ist Le-ben – im Zeitalter seiner technischen Machbarkeit?“ zu verstehen ist,andererseits aber auch mögliche Richtungen zukünftiger Forschungauf dem Gebiet der ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte derSynthetischen Biologie benennt.

Die Beiträge dieses Sammelbandes gehen auf eine vom Bundes-ministerium für Bildung und Forschung geförderte Klausurwochezum Thema „Was ist Leben – im Zeitalter seiner technischen Mach-barkeit? Ethische, rechtliche und soziale Herausforderungen der Syn-thetischen Biologie“ (FKZ: 01GP1088) zurück, welche von den He-rausgebern im September/Oktober 2010 am Fachbereich EvangelischeTheologie der Philipps-Universität Marburg durchgeführt worden ist.Bei den Beiträgen handelt es sich um die von den Teilnehmerinnenund Teilnehmern der Klausurwoche sowie um von eingeladenen Ex-perten gehaltenen Vorträge. Diese wurden an die während der Klau-surwoche erzielten Diskussionsergebnisse angepasst und anschließendeiner gegenseitigen Begutachtung unterzogen.

Besonderer Dank gilt dem Bundesministerium für Bildung undForschung für die Förderung des Projekts sowie dem Deutschen Zen-trum für Luft- und Raumfahrt für die konstruktive Zusammenarbeitin der Abwicklung des Projektes. Ein solches Projekt wäre nicht mög-lich ohne die zahlreichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mitihrem Einsatz und ihrem Elan wesentlich zu der Entstehung dieses

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Bandes beigetragen haben (in alphabetischer Reihenfolge): DanielaAppee, Juliane Behrndt, Arndt Bialobrzeski, Ruth Denkhaus, Fran-ziska Hofmann, Martina Hornung, Elena Kirchner, Hanna Preuss.

Kristian Köchy und Stefan Majetschak danken wir für die Auf-nahme unseres Bandes in ihre Reihe, Herrn Trabert vom VerlagKarl Alber für angenehme und erfolgreiche Zusammenarbeit undHerrn Hermenau als Setzer für die ausgezeichnete Betreuung.

Erlangen/Marburg im April 2011Peter Dabrock

Michael BölkerMatthias Braun

Jens Ried