4
Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992): Dokumentation und Information 195 Dokumentation und Information Macrocosmos in Microcosmo - Die Welt in der Stube (InternationalesSymposium zur Geschichte des Sammelns in Berlin 1990) Als eine der ersten fachwissenschaftli- chen Begegnungen im wiedervereinigten Deutschland fand vom 3. bis 7. Dezember 1990 in Berlin unter dem Dach der Staatli- chen Museen Preufiischer Kulturbesitz eine internationale Tagung statt, an der Museumsfachleute und Wissenschafts- historiker aus West- und Ostdeutschland, westeuropaischen Landern und den USA teilnahmen. Aufier dem Institut fur Mu- seumskunde SMPK in Berlin, dem die or- ganisatorische Durchfuhrung oblag, wirk- ten auch Vertreter der Gesellschaft fur Wis- senschaftsgeschichte,in deren Auftrag sich Peter Dilg, Marburg, an der Vorbereitung beteiligte, bei der wissenschaftlichen Ge- staltung des Symposiums mit. Mittels grofi- zugiger finanzieller Unterstutzung durch mehrere westdeutsche wissenschaftsfor- dernde Institutionen konnten viele auswar- tige Vortragende gewonnen und ein vielsei- tiges Programm angeboten werden. Die Veranstaltung war in mehrere Vor- tragsgruppen unterteilt. Der erste Tag diente der Einfuhrung in das Thema, des- sen wissenschaftshistorisch, wissenschafts- theoretisch und philosophisch weiter Ho- rizont durch ausfuhrliche Vortdge ver- schiedener Fachrichtungen aufgezeigt wurde. Am 2. und 3. Tag wurden die Zeit- eume von 1450 bis 1630 bzw. von 1630 bis 1750 betrachtet, wobei jeweils an den Vormittagen langere Ubersichtsvortdge und an den Nachmittagen in Parallelsit- zungen die Ergebnisse zusammenfassende Forschungsbeitd e zu speziellen Fragen schliefilich einstundige Ubersichtsvor- ti-age dem Sammlungswesen im 18. Jahr- hundert und einem Ausblick his zum 20. Jahrhundert gewidmet. Aufier den Anschauungsmaterialien in den ortlichen Museen, wie sie etwa in dem der Tagungs- dargeboten wur if en. Am 4. Tag waren statte in der Staatsbibliothek Preufiischer Kulturbesitz gegenuberliegenden Kunstge- werbemuseum dargeboten werden, waren am fiinften Tag auf einer Exkursion nach Dresden einige hervorragende Ausstel- lungsteile der dortigen Kunstsammlungen (Griines Gewolbe, Gemaldegalerie, Porzel- lansammlung im Zwinger) zu besichtigen. Die Konferenz wurde am 3. Dezember 1990 durch den Pdsidenten der Stiftung Preufiischer Kulturbesitz, Prof. Dr. W. Knopp, Berlin, durch Prof. Dr. Laetitia Bohm, Munchen, amtierende Pdsidentin der Gesellschaft fur Wissenschaftsge- schichte, und durch Dr. Andreas Grote, Direktor des Instituts fur Museumskunde SMPK, Berlin, der in die Forschungsfra- gen und verschiedenen Aspekte der The- matik hauptsachlich aus kunsthistorischer und museumskundlicher Sicht einfuhrte, eroffnet. Anschliefiend wiesen Reinhard Brandt, Marburg, der den Begriff des Sam- melns recht weit fake und erkenntnis- theoretisch ausleuchtete, und Lorraine Da- ston, damals Gottingen, die den Stellen- wert der curiositas wissenschaftstheore- tisch erorterte, auf die geistesgeschichtli- che Bedeutung der Tatigkeit des Sam- melns hin. Die im wesentlichen bekann- ten Grundzuge der Geschichte der ,Kunst- kammer' und einige der wichtigsten Ver- treter dieses in Renaissance und Barock bluhenden Sammlungstypus stellte Ar- thur MacGregor, Oxford, vor, wahrend Krzystof Pomian, Paris, eine historische Typologie von Sammlungen vortrug. Die Aussagen der Grundsatzreferate fuhrten die in launiger Weise vorgetragenen Uber- legungen des Philosophen Odo Marquard aus Giefien weiter, der uber die geistesge- schichtliche Dimension hinaus seine be- griffsgeschichtliche und systematisch-phi- losophische Analyse uber ,,Wegwerfgesell- 0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim 1992 0 170-6233 /92/03 11 -0 195 $03.50+ .25/0

Macrocosmos in Microcosmo — Die Welt in der Stube. (Internationales Symposium zur Geschichte des Sammelns in Berlin 1990)

Embed Size (px)

Citation preview

Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992): Dokumentation und Information 195

Dokumentation und Information

Macrocosmos in Microcosmo - Die Welt in der Stube (Internationales Symposium zur Geschichte des Sammelns in Berlin 1990)

Als eine der ersten fachwissenschaftli- chen Begegnungen im wiedervereinigten Deutschland fand vom 3. bis 7. Dezember 1990 in Berlin unter dem Dach der Staatli- chen Museen Preufiischer Kulturbesitz eine internationale Tagung statt, an der Museumsfachleute und Wissenschafts- historiker aus West- und Ostdeutschland, westeuropaischen Landern und den USA teilnahmen. Aufier dem Institut fur Mu- seumskunde SMPK in Berlin, dem die or- ganisatorische Durchfuhrung oblag, wirk- ten auch Vertreter der Gesellschaft fur Wis- senschaftsgeschichte, in deren Auftrag sich Peter Dilg, Marburg, an der Vorbereitung beteiligte, bei der wissenschaftlichen Ge- staltung des Symposiums mit. Mittels grofi- zugiger finanzieller Unterstutzung durch mehrere westdeutsche wissenschaftsfor- dernde Institutionen konnten viele auswar- tige Vortragende gewonnen und ein vielsei- tiges Programm angeboten werden.

Die Veranstaltung war in mehrere Vor- tragsgruppen unterteilt. Der erste Tag diente der Einfuhrung in das Thema, des- sen wissenschaftshistorisch, wissenschafts- theoretisch und philosophisch weiter Ho- rizont durch ausfuhrliche Vortdge ver- schiedener Fachrichtungen aufgezeigt wurde. Am 2. und 3. Tag wurden die Zeit- eume von 1450 bis 1630 bzw. von 1630 bis 1750 betrachtet, wobei jeweils an den Vormittagen langere Ubersichtsvortdge und an den Nachmittagen in Parallelsit- zungen die Ergebnisse zusammenfassende Forschungsbeitd e zu speziellen Fragen

schliefilich einstundige Ubersichtsvor- ti-age dem Sammlungswesen im 18. Jahr- hundert und einem Ausblick his zum 20. Jahrhundert gewidmet. Aufier den Anschauungsmaterialien in den ortlichen Museen, wie sie etwa in dem der Tagungs-

dargeboten wur if en. Am 4. Tag waren

statte in der Staatsbibliothek Preufiischer Kulturbesitz gegenuberliegenden Kunstge- werbemuseum dargeboten werden, waren am fiinften Tag auf einer Exkursion nach Dresden einige hervorragende Ausstel- lungsteile der dortigen Kunstsammlungen (Griines Gewolbe, Gemaldegalerie, Porzel- lansammlung im Zwinger) zu besichtigen.

Die Konferenz wurde am 3. Dezember 1990 durch den Pdsidenten der Stiftung Preufiischer Kulturbesitz, Prof. Dr. W. Knopp, Berlin, durch Prof. Dr. Laetitia Bohm, Munchen, amtierende Pdsidentin der Gesellschaft fur Wissenschaftsge- schichte, und durch Dr. Andreas Grote, Direktor des Instituts fur Museumskunde SMPK, Berlin, der in die Forschungsfra- gen und verschiedenen Aspekte der The- matik hauptsachlich aus kunsthistorischer und museumskundlicher Sicht einfuhrte, eroffnet. Anschliefiend wiesen Reinhard Brandt, Marburg, der den Begriff des Sam- melns recht weit fake und erkenntnis- theoretisch ausleuchtete, und Lorraine Da- ston, damals Gottingen, die den Stellen- wert der curiositas wissenschaftstheore- tisch erorterte, auf die geistesgeschichtli- che Bedeutung der Tatigkeit des Sam- melns hin. Die im wesentlichen bekann- ten Grundzuge der Geschichte der ,Kunst- kammer' und einige der wichtigsten Ver- treter dieses in Renaissance und Barock bluhenden Sammlungstypus stellte Ar- thur MacGregor, Oxford, vor, wahrend Krzystof Pomian, Paris, eine historische Typologie von Sammlungen vortrug. Die Aussagen der Grundsatzreferate fuhrten die in launiger Weise vorgetragenen Uber- legungen des Philosophen Odo Marquard aus Giefien weiter, der uber die geistesge- schichtliche Dimension hinaus seine be- griffsgeschichtliche und systematisch-phi- losophische Analyse uber ,,Wegwerfgesell-

0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim 1992 0 170-6233 /92/03 11 -0 195 $03.50+ .25/0

196 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992)

schaft und Bewahrungskultur" in eine Ge- sellschaftskritik der Gegenwart einmun- den lie& Seine fur die Ohren von Mu- seumsfachleuten ungewohnten bis be- fremdlichen Ausfuhrungen, in denen auch eine Skepsis gegenuber dem musealen Be- wahrungsdrang anklang, riefen manchen Widerspruch und vor allem Nachdenken hervor. Dieser Festvortrag bildete einen Hohepunkt der Veranstaltung.

Die weiteren Vortrage waren einzelnen besonderen Fragekreisen der Geschichte von Sammlungen und der Museumskunde bestimmter Fachrichtungen gewidmet. Dabei wurden sowohl manche neue Quel- len, Forschungsergebnisse und Uberlegun- gen als auch mehr referierende Darstellun- gen uber einzelne Sammlungen oder Sach- gebiete und uber Teilaspekte oder einzelne Fachrichtungen der Wissenschaftsge- schichte in ungefahr chronologischer Ordnung dargeboten.

Zum Zeitraum der friihneuzeitlichen Renaissance standen historische Kunst- sammlungen in Italien im Vordergrund der Betrachtung. Ihre Strukturen und Konzeptionen (Lina Bolzoni, Pisa) und ihre Funktionen (Giuseppe Olmi, T r i e d Bologna) wurden geschildert. Den kunst- historischen Forschungsstand uber die hervorragenden Sammlungen der Medici erorterte Andreas Grote, Berlin. Nachdem die Beziehungen zwischen Museen und der Entwicklung der Naturwissenschaften i.m 16. und 17. Jahrhundert in einem Ubersichtsvortrag von Paula Findlen, Davis, California, gewiirdigt worden waren, vertieften mehrere Einzelvortdge diesen Gesichtspunkt unter Heranziehung bestimmter Sammlungen, Sammlungsge- genstande und Sammlungsgebiete. Die Be- deutung der ,Kunsthmmern' des 16.- 17. Jahrhunderts als Vorstufen der empirisch- systematischen Erforschung und Bearbei- tung von Naturgegenstanden erorterte Brigitte Hoppe, Munchen. Auf die Bezie- hungen einer vielseitigen, hervorragenden Sammlung eines gebildeten Amateurs des 17. Jahrhunderts zu den Wissenschaften und auf die Abhangigkeit der Deutung einzelner Objekte vom Forschungsstand

der Fachwissenschaften wies David Jaffk, London, in seinem Beitrag uber ,,P eiresc ' : A research collection in action" hin. Spe- zielle, oft von Apothekern angelegte histo- rische pharmazeutische Sammlungen stellte Peter Dilg, Marburg, vor. Wolfgang Zimmermann aus Gotha legte aufgrund dortiger Sammlungen die ,,Bedeutung der Naturalia in den furstlichen Kunstkam- mern" dar, wahrend Michel Hebecker, Gotha, ,,Ein Augsburger Canthorgen von 1692" des dortigen Museums wiirdigte. Dann schilderte Mariafranca Spallanzani, Bologna, die kleine private Naturalien- sammlung ihres gelehrten Vorfahren Laz- zaro Spallanzani.?ls Hilfsmittel der Natur- forschung. Zu Uberlegungen zur kunst- historischen Bedeutung der furstlichen ,Kunstkammern' gaben Jrargen Hein die umfangreichen Sammlungen in Kopenha- gen Anlag, deren Grundstock, die private furstliche Kunstkammer, Mogen Bencard aus Kopenhagen beschrieb. Die zukunfts- weisenden Vorstellungen des eigenwilligen Renaissancegelehrten Tomasso Garzoni (1549- 1589) uber den Einflua der Wissen- schaften auf die moralische Erziehung der Menschen legte Massimiliano Rossi, Flo- renz, dar. An die grundlegenden, jedoch weitgehend bekannten Einflusse der Wis- senschaftssystematik der Renaissance auf die Klassifikation der Sammlung von Sa- muel Quiccheberg erinnerte Zbynek S t rhky , Brno/CSFR. Die aufgrund ge- wandelter philosophischer Voraussetzun- gen vednderten Ansatze zu einer Mu- seumswissenschaft des Kieler Professors Jens Daniel Major (1634- 1693) legte Cor- nelius Steckner, Koln, in seinem Beitrag uber ,,Das MUSEUM CIMBRICUM von 1688 und die cartesianische Perfection des Gemiithes " dar. Die ,,Typologie medizini- scher Sammlungen" untersuchte Christa Habrich, Ingolstadt, in einer Ubersicht.

Die Sitzungen zur Periode der wissen- schaftlichen Revolution und Friihaufkla- rung wurden am 5. Dezember 1990 durch einen Vortrag von Peter McLaughlin, Konstanz, zur Entstehung und Bedeutung des neuzeitlichen mechanistischen Natur- begriffs eingeleitet. Anschlieflend sprach

Ber.Wissenschaftsgesch. 15 (1992) 195-198

Dokumentation und Information 197

Ilse Jahn, Berlin, uber inhaltliche und konzeptionelle Erweiterungen naturhisto- rischer Sammlungen und ihre Beziehun- gen zur Entwicklung der Naturforschung. Derartige gegenseitige Einflusse zwischen Sammlungen und wissenschaftlicher For- schung in der ,,Roma barberina" legte Francesco Solinas, Rom, von kunsthistori- scher Seite her dar. Fur ein ebenfalls in Rom angelegtes Universalrnuseum, das ,,Museum Kircherianum", deckte Thomas Leinkauf, Berlin, den aus den Vorstellun- gen von ,,Mundus combinatus" und ,,ars combinatoria" starnmenden geistesge- schichtlichen Hintergrund auf.

Geistesgeschichtliche Deutungen beson- derer Sarnmlungen und Sarnmlungsgegen- stande legten auch Nachmittagsvortdge vor, fur die Kunstgeschichte : Christina Riebesell, Tubingen, uber ,,Die scuola par- ticolare des Kardinals Alessandro Farnese, als Stellvertreterin des antiken Roms" und Victor J. Stoichita, Munchen, ,,Zur Stel- lung des sakralen Bildes in der Sammlung der Neuzeit : die Blumenkranzmadonna in den flamischen Cabinets d'amateurs". Zum Bereich der Naturhistorie um 1800 bot Dorothea Kuhn, Marbach, eine wohl- durchdachte, in der sprachlichen Formu- lierung dem Gegenstand angemessene Be- trachtung dar uber ,,Der Naturgegenstand als Vertreter der Schopfung. Sammeln und Betrachten des jungen Goethe". Ferner be- schrieben eine Reihe von Vortfigen Inhalt, Klassifikation und wissenschaftliche Be- deutung einzelner besonderer Sarnmlun- gen : Antonie Luyendijk-Elshout, Leiden, der barocken Naturaliensamrnlungen von Frederic Ruysch; Sabine Hackethal, Ber- lin, der Sarnmlungen von Tierbildern in ,,Klebebanden" der Renaissance ; Werner Piechocky, Halle a. S., des Naturalienkabi- netts der Francke'schen Stiftungen; Sieg- fried Hofrnann, Ingolstadt, der ,,Sarnm- lungen des Ingolstadter Jesuitenkollegs unter besonderer Beriicksichtigung der Orban'schen Sammlung"; Stephan Augu- stin, Herrenhut, des ,,Naturalienkabinetts der Evangelischen Briider-Unitat am Theo- logischen Seminar Barby, 1760(?)- 1809"; und Manfred Barthel, Berlin, der palaonto-

logischen Sammlungen eines Fundgebiets (,,Von Mylius bis Schlotheim. Sammlungen fossiler Pflanzen eines Fundgebietes irn 18. Jahrhundert").

Der vierte, der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts und Ausblicken auf die Moderne gewidmete Tag brachte wie- derum Ubersichtsvortfige. Die Wende im biologischen Denken am Ubergang vom naturgeschichtlichen Sammeln von Ein- zelobjekten zur planmafligen Erforschung der ,,Geschichtlichkeit der Natur" schil- derte Armin Geus, Marburg. Die Systerna- tik und bestimrnte Zielsetzungen natur- kundlicher Samrnlungen erorterte Hans- Konrad Schmutz, Winterthur. Ein friihes stadtisches, burgerliches Universalrnu- seurn stellte Peter Jezler, Hermatswil, (ge- meinsam mit Frau Barraud-Wiener) vor : ,,Die gelehrte Gesellschaft als Sammler - Die stadtische Kunstkammer in der Was- serkirche zu Zurich". Einen sich beson- ders durch Exotika auszeichnenden Typus einer Naturaliensammlung beschrieb Pie- ter Smit, Groozschermer, in ,,Die ostindi- sche Kornpanie und das hollindische Na- turalienkabinett". Abschlieflend erorter- ten zwei Amerikaner aus Stanford, der eine zu Kunstsamrnlungen, der andere zu naturkundlichen Sammlungen, histori- sche Gestaltungs- und Deutungsrnuster des 19. Jahrhunderts sowie Moglichkeiten und Grenzen des Museums als zugleich wissenschaftlich begriindete und popular aufgernachte ,,Augenweide" in der Mo- derne. Gerade diese abschlieflenden Vor- tfige riefen auch Widerspruch hervor und wiesen auf noch offene Forschungsfelder fur die Zukunft hin.

Die vielseitige interdisziplinare Veran- staltung bot Gelegenheit zum Gedanken- austausch auf internationaler Ebene ; sie eroffnete unerwartete Ansichten uber be- kannte Gegenstande und neue Einsichten uber unbekannte Werke und Objekte, da vielfach aus den Quellen erarbeitete, neue Forschungsergebnisse dargeboten wurden. Die Vortriige verrnochten zu verdeutli- chen, dai3 die Geschichte des Sarnmlungs- wesens nicht nur eine vergnugliche Gemuths- und Augenergotzung, um rnit

Ber.Wissenschaftsgesch. 15 (1992) 195- 198

198 Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 15 (1992): Rezensionen

einem naturkundlichen Buchtitel des Wissenschafts- und Kulturgeschichte gel- 18. Jahrhunderts zu sprechen, fur Samm- ten kann und nicht vernachlassigt werden ler selbst darstellt, sondern dai3 sie auf- darf. Die Beitriige der Tagung sollen in grund mannigfacher Verkniipfungen als einem Berichtsband veroffentlicht werden. ein wesentlicher Bestandteil der Geistes-, Brigitte Hoppe. Munchen

Anschrift der Verfasserin : Prof. Dr. Brigitte Hoppe, Institut fur Geschichte der Naturwissenschaften der Uni- versitat Miinchen, Museumsinsel 1, D-8000 Miinchen 26

Rezensionen

Joachim S. Hohmann: Robert Ritter und die Erben der Kriminalbiologie. ,,Zigeu- nerforschung" im Nationalsozialismus und in Westdeutschland im Zeichen des Rassis- mus. (Studien zur Tsiganologie und Folkloristik, 4) Frankfurt a.M. usw.: Peter Lang Verlag 1991; 624 Seiten, kartoniert, DM 98,-

Das vorliegende Buch enthalt die bislang umfassend- ste Darstellung der ,Zigeunerforschung' im national- sozialistischen Staat und die Geschichte ihrer Fort- setzung in der Bundesrepublik Deutschland. Hoh- mann fuhrt den Nachweis, daR ohne die Tatigkeit des Psychiaters und Kriminalbiologen Robert Ritter (1901-1951) die ,Zigeunerforschung' und der daraus resultierende Volkermord an Sinti und Roma nicht denkbar gewesen ware. Zu diesem Zweck hat er an- hand von umfangreichem, bisher unbekanntem Quellenmaterial die Aktivitaren Ritters als Handlan- ger und Auftraggeber im NS-Staat rekonstruiert.

Ritter war Direktor der Kriminalbiologischen In- stitute des Reichsgesundheitsamtes und des Reichs- kriminalpolizeiamtes. Seine ,Forschungen' verfolgten nicht in erster Linie wissenschaftliche Ziele, sondern sie dienren primir der Ausgrenzung von Menschen, die dern NS-Staat aus rassischen, kriminologischen und anderen Griinden als ,,Primitive", ,,Bastardel', ,,Asoziale", ,,Volksschadlinge" und JJntermen- schen" erschienen und denen daher keine Existenz- berechtigung zugebilligt wurde. Da Ritter seine je- weiligen Untersuchungsergebnisse direkt an die ent- sprechenden nationalsozialistischen Behorden wei- tergab, hatten diese unmittelbare Auswirkungen fur die ,,untersuchren" Personen: Menschen erhielten Eheverbot, sie wurden aus der Wehrmacht ausge- schlossen, es wurde eine Zwangssterilisation angeord- net, und nach Kriegsbeginn wurden die Betroffenen haufig in Arbeits- und Vernichtungslager deportiert. Ritter und seine Mitarbeiter wurden bei ihren Unter- suchungen aktiv von der Polizei unterstiitzt.

Ritters Rassenbiologie gehorte zur nationalsoziali- stischen Erb- und Rassenforschung; sie hatte groRe Bedeutung fur die praktische Gesundheitspflege und wurde daher mit groRem finanziellen Aufwand un- terstiitzt. Als Gegenleistung erfabten Ritter und

0 VCH Verlagsgesellschaft mbH, D-6940 Weinheim 1992

seine Mitarbeiter an die 25.000 Zigeuner, die den Weg nach Auschwitz antraten. Bestenfalls kamen die Zigeuner nach der Zwangssterilisation mit dem Leben davon.

Ritter wurde bereits 1947 wieder in den Staatsdienst aufgenommen. 1948 wurde zwar Anklage gegen ihn erhoben, aber 1950 wurde das Verfahren eingestellt. Ritter hatte sich auf die Position zuriickgezogen, dab seine Forschungen wissenschaftlichen Zwecken ge- dient hatten. Da die Belastungszeugen Zigeuner waren, wurde ihnen kein Glaube geschenkt. Es ist be- rnerkenswert, daR fast allen Zigeunerforschern nach 1945 die Entnazifizierung problemlos gelang. Auch die Zigeunerforschung kniipfte nahtlos an die For- schungen des Dritten Reiches an, wobei die rassenbio- logischen Grundlagen rnit iibernommen wurden.

Hohmann hat offensichtlich sehr vie1 neues Mate- rial ausgewertet, da er aber seine Quellen im einzel- nen nicht anfiihrt, ist sein Buch fur den Historiker unbrauchbar. Dies zeigt sich schon im auberen Er- scheinungsbild, das keinerlei FuRnoten enthalt. Nicht einmal Zitate aus der darnaligen Fachliteratur werden belegt; bei Dokumenten wird bis auf zwei oder drei Ausnahmen nie angegeben, woher sie stam- men. Weiterhin ist insgesamt festzustellen, dai3 sich leider sehr viele Wiederholungen finden, die wohl darauf zuriickzufiihren sind, dai3 der Autor immer wieder moralisierend den Zeigefinger hebt und sich nicht auf eine wissenschaftliche Darstellung be- schdnkt. Das Buch behandelt ein auberst interessan- tes und brisantes Thema; es ist sehr bedauerlich, daR es aufgrund der unqualifizienen Darstellungsweise nicht zitierfihig ist. So rnub die Arbeit nochmal ge- leistet werden, es sei denn der Autor entschliebt sich, in einer zweiten Auflage die notwendigen Belege nachzuliefern.

Anne Baumer-Schleinkofer, Mainz

0170-6233/92/0311-0198 $03.50+.25/0