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Magazin Kulturweitprojekt

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炒面片

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西

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鱼香肉丝

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Dekonstruierte Erwartungen

-Erst wenn man stolpert, achtet man auf den Weg-

Franziska Aschenbach

Voller Enthusiasmus variable Kunst-, Kultur- und Deutschprojekte mit chinesischen Schülern zu machen, bin ich vom Goethe-Vorbereitungsseminar in Beijing nach Dalian geflogen. Abgeholt wurde ich von der Deutschlehrerin der Mittelschule Nr. 1 vom Flughafen in Dalian. Im Schulauto wurden wir in die Stadt chauffiert. Währenddessen wurde mir schon mal der Stundenplan für das Semester gegeben, allerdings mit der Information, dass der Deutschunterricht noch nicht begonnen habe. Das hat mich in diesem Moment noch nicht verwirrt, da mir bereits gesagt worden ist, dass der Deutschunterricht nicht unüblicher weise gern verzögert zum Semesterstart angeboten wird. An diesem Tag wurde mir meine Wohnung gezeigt und nach einiger Zeit im Sprachenbüro geparkt seins, wurde ich zum Schulleiter geführt, der mich auf Chinesisch begrüßt hat. An diesem Abend bin ich dann also in meine neue Wohnung gegangen und wusste nicht so recht was jetzt eigentlich im nächsten halben Jahr mit mir passieren wird. Am nächsten Morgen fühlte ich mich trotz nicht vorhandener Aufforderung verpflichtet in die Schule zu gehen. Ich fragte nach Aufgaben, allerdings gab es die nicht. Die Tage verstrichen und die einzige Tagesstruktur verlief folgendermaßen:

Lange bevor mein Wecker klingelt wecken mich hupende Autos und Händler, die laut ihre Wahren oder Dienste anbieten. Ich öffne also die Augen und realisiere erneut, ich bin in China. Nach der morgendlichen Routineprozedur, die wohl überall auf der Welt die gleiche ist und nur insofern variiert, als die Umstände es komplizierter oder komfortabler machen, verlasse ich meine kleine aber mir überaus ans Herz gewachsene Wohnung. Hierzu muss ich sagen, dass ich, obwohl schon lange nicht mehr in Casa del Mama beherbergt, noch nie alleine gewohnt habe. Immer waren es WGs. Ich habe sie in allen Größen und Fassetten kennengelernt, von freundschaftlichen Mitbewohnerbeziehungen, sozialinkompetenten Partymaniaks bis hin zu erpresserischen Psychopathen. Ich trete in den Hausflur und der Geruch von heißem Fett, Sojasoße und chinesischen Nudeln dringt in meine Nase. Ich wohne direkt über einem Restaurant und das hat sowohl Vorteile als auch Nachteile. Ich biege um die Ecke und steige über den gewohnten Müllberg neben dem Kücheneingang. Schnell trete ich aus der Tür denn diesen Teil des Hauses mag ich gar nicht gern. Auf der Straße ist mal wieder die Hölle los und als würde es etwas an der Situation verändern, hupen alle um die Wette. Selbstverständlich bahne ich mir im Zickzack den Weg durch den Stau, da der zwar vorhandene Fußweg als Parkplatz missbraucht ist. Zu Anfang war ich noch sehr von

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dem Verkehr eingeschüchtert, doch mittlerweile gibt es nur noch wenige Situationen die mich erzürnen. Wie viel Geld könnte wohl eine Politesse nur in dieser einen Straße einnehmen, wenn sie alle Regelmissachtungen mit Strafzetteln versieht? Glücklicherweise ist der Weg zu meiner Arbeit unsagbar kurz, nur zwei Minuten Fußweg! An der Schule angekommen, gibt es selbstverständlich nichts für mich zu tun als meine privaten Emails zu checken, mit der Deutschlehrerin, deren Tage ähnlich spannend verläuft über die Verwirrungen zu sprechen, die mir China regelmäßig bereitet und mir am Abend neue exotische Köstlichkeiten zu Gemüte zu führen.

So, oder so ähnlich flogen die Tage dahin. Täglich ging ich in die Schule. Dort hörte ich nicht auf hartnäckig nach dem Beginn des Deutschunterrichts oder anderen Aufgaben zu fragen. Weiterhin überlegte ich mir verschiedene Projektkonzepte, die allerdings allesamt abgelehnt wurden. Nachdem dann alle noch so engagierten Versuche mit den verschiedenen Leitern dieser merkwürdigen Schulhierarchie gescheitert waren, meldete ich mich beim Goethe Institut. Hier wurde mir sofort versucht zu helfen, indem mit der Schule telefonisch über den nicht vorhandenen Deutschunterricht, aber vor allem über die nicht existente Arbeit für mich als Freiwillige gesprochen wurde. Nach dem Telefonat kamen plötzlich Informationen aus verschiedenen Richtungen bei mir an, dass der Unterricht jetzt nun wirklich bald beginnen wird. Erneut entflammte meine Hoffnung denn immerhin hatte ich mich sehr auf ein interessantes Kulturpraktikum gefreut. Ich wurde von Tag zu Tag vertröstet, bis ich wieder völlig erschöpft von den vielen weiteren Versuchen, eine weitere Email an das Goethe Institut schrieb. Diese Email beschreibt meine damalige Gefühlslage ganz gut, darum folgt hier ein kleiner Ausschnitt:

„Ich möchte vorweg nehmen, dass ich wirklich froh bin in China sein zu dürfen und ich wirklich zu schätzen weiß, welche Chance ich hier habe. Ich weiß natürlich auch, dass von mir Eigeninitiative und Geduld gefordert ist. Ich denke auch, dass ich wirklich alles versuche, allerdings muss ich sagen, dass ich mich aktuell nicht sehr wohl fühle. Du erinnerst dich sicher, dass ich dir eine Email geschrieben habe, weil der Deutschunterricht noch nicht angefangen hat. Nachdem du also hier hast nachfragen lassen, stand für 2 Tage fest, dass der Deutschunterricht doch stattfinden soll. Dann wurde er wieder verschoben. Dann wurde gesagt er kann nicht in der Woche stattfinden. Ich verstehe das auch nicht so ganz. Die Schüler haben nur bis 15 Uhr Unterricht und sollen dann bis 18 Uhr im Klassenraum selber lernen. Ich verstehe nicht wo das Problem ist, an einem Tag der Woche für einige Schüler diese Zeit zum Deutschunterricht zu nutzen. ich habe vielmals mit der Deutschlehrerin darüber gesprochen. Leider spricht der Schulleiter kein Englisch und mein bisschen Anfängerchinesisch bringt da auch nichts. Also hab ich sie gebeten sich mehr dafür einzusetzen, allerdings fällt ihr das sehr schwer bzw. bindet ihr die Schulhierarchie wohl die Hände...ich weiß nicht. Ich habe natürlich auch versucht AGs oder ähnliches einzuführen, allerding wird das immer abgelehnt, weil die Schüler dann vom lernen abgehalten werden. Ich muss es einfach so deutlich sagen, ich langweile mich. Ich habe hier nichts zu tun. Ich habe versucht stark zu sein und mir immer selber kleine Aufgaben zu geben, aber das funktioniert nicht mehr. Soweit ich weiß gab es 5-mal Unterricht als Jonathan im letzten Jahr hier war, warum ist das nicht mehr so. Ich habe die Deutschlehrerin gefragt und sie kann es mir nicht sagen.“

Neben den versuchen in der Schule selbst habe ich nach einem Monat in Dalian angefangen Kontakte zur Universität zu knüpfen, um dort eventuell eingesetzt zu werden. Leider ist die Universität sehr weit außerhalb und nur zu wenigen Uhrzeiten am Tag mit einem Bus erreichbar. Letztendlich konnte ich einige Deutschlehrerinnen, den DAAD Leiter und einige Deutschstudentinnen kennenlernen. Ein paar

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Mal bin ich auch zum Unterricht gekommen, um den Studentinnen zu helfen. Wenn ich dann um16 Uhr allerdings mit dem letzten Bus wieder zurück in die Stadt gefahren bin, um dann letztendlich um 18 Uhr am Bahnhof anzukommen, fühlte ich mich einfach wieder so unzufrieden. Ein weiteres Telefonat mit dem Goethe Institut ließ mich über meine Optionen nachdenken. Entweder ich wechsel die Stelle ganz, was allerdings mit einer Zeit von 6 bis 8 Wochen Wartezeit verortet wurde bis eine neu Einsatzstelle gefunden ist, ich gehe an die Universität und arbeite beim DAAD Leiter, was wiederum schwierig mit der schon beschriebenen Lage ist und eigentlich auch gar nichts an der aktuellen Situation ändern würde oder ich frage noch in der höheren Instanz Kulturweit nach. Da mein Zwischenseminar nun kurz vor mir lag setzte ich alle Hoffnung hier hinein.

Letztendlich kann ich nur sagen, dass jedem die Situation begegnen kann, keine Arbeit oder eine sehr unzufriedenstellenden Freiwilligendienst zu haben. Man sollte sich dann jedoch in keinem Fall in sein „Schicksal“ fügen und es einfach aushalten. Wichtig ist mit den Menschen zu sprechen. Dabei sollte ein gewisser kultureller Kodex gewahrt bleiben. Offene Fragen sind meiner Meinung nach ein gutes Mittel um bestimmte Probleme anzusprechen. Auch die eigenen Gefühle zu beschreiben Hilft dem Gegenüber die Lage der Person zu verstehen. Wenn ich also betone, dass ich mich unglücklich fühle, mich nicht gebraucht fühle und die aktuelle Situation gern verändert sehen will, kann ich zumindest herausfinden inwieweit der Handlungsrahmen meiner Betreuungsperson (in meinem Fall die Deutschlehrerin der Schule) geht. Im Rahmen von Kulturweit gibt es zahlreiche Ansprechpersonen und alle die ich in Anspruch genommen habe, waren sehr freundlich und haben mir sehr geholfen. Einen schlechten Freiwilligendienst bei Kulturweit zu haben ist im Grunde kaum möglich, da es viele Instanzen gibt, welche dir helfen können deine aktuelle Lage zu verbessern. Wichtig ist letztendlich, nicht aufzugeben und die Menschen anzusprechen. Niemand wird dir helfen wenn du nicht die Probleme ansprichst, denn wie soll jemand wissen was dich stört wenn du es nicht sagst.

Im Nachhinein habe ich mir einige Gedanken gemacht, wie ein Freiwilligendienst wohl aussehen könnte oder sollte, die Erfahrung eine neue Kultur kennenlernen zu dürfen, hat mich auf jeden Fall immer durch die dunklen Tage getragen. China…ein tolles Land! Welche Faktoren machen ein Auslandspraktikum wertvoll? Zum einen sollte das Land begeistern, kontroverse Dinge zeigen, komische Fragen und noch merkwürdigere Antworten zulassen. Heraus kommt ein neues Kulturbewusstsein und dieses lässt den Eurozentrismus dahin schmelzen. Die Sprache sollte inspirierend sein und zum allgemeinen Mentalitätsgefühl beitragen. Die Menschen sollten freundlich und vor allem fröhlich sein. Die Möglichkeiten sich ein soziales Netzwerk aufzubauen sollten einfach sein und natürlich sollte die Arbeit, denn immerhin verbringt man hier 1/3 seines Tages, erfüllend sein. Das bedeutet, die Aufgaben sollen herausfordernd und inspirierend sein. Dabei ist nicht zu vergessen das Arbeitsklima. Im Idealfall verstehen sich die Kollegen gut und sind möglicherweise sogar privat befreundet. Wie ist das so in Dalian? Dalian ist eine sehr schöne Küstenstadt und unterscheidet sich aufgrund zahlreicher Belagerungen von Russland und Japan, sehr von anderen chinesischen Städten. Die Menschen hier sind Ausländer nicht sehr gewohnt, darum betrachten sie diese mit unbändiger Penetranz. Sobald man nur Englisch sprechen kann, werden alle Hebel in Bewegung gesetzt, einen Englisch sprechenden Menschen zu finden. In jedem Fall sind alle sehr Hilfsbereit. Sobald man jemandem Vorgestellt wird, ist ein gemeinsames Abendessen im Restaurant auf Kosten des Einheimischen unumgänglich. So habe ich mittlerweile auch einige Germanistikstudentinnen kennengelernt. Das geht natürlich nie ohne Kontakte denn in den nicht vorhanden Bars und Clubs ist es menschenleer. So hat mir die Deutschlehrerin meiner Schule eine Telefonnummer einer Deutschdozentin an der Uni gegeben. Diese wiederrum hat mir dann einige Handynummern von Studenten gegeben. Daraufhin folgte ein netter Restaurantbesuch mit 6 Chinesen aus allen Teilen des Landes, die in Dalian studieren. So kompliziert kann Freunde finden sein. Auch alle weiteren Kontakte sind auf die gleiche Art entstanden. Mittlerweile kenne ich einige Deutschlehrerinnen, Studenten und meine Chinesischlehrerin (die eigentlich gar keine ist, aber ihr bestes versucht mir alles zu erklären). Chinesisch ist eine tolle Sprache, sie birgt viele Bedeutungen und erscheint mir oft sehr philosophisch. Vor allem bringt es mich dem Lebensgefühl dieser Kultur sehr viel näher.

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Die Arbeit an der Mittelschule Nr 1 ist so fantastisch wie ein Teller voller Kakerlaken bei knurrenden Magen. Neben der absolut undurchschaubaren Schulhierarchie ist das Arbeitsklima so kalt wie am Nordpol. Obwohl ich nun schon 2 Monate hier bin kennt mich kaum ein Lehrer. Die meisten machen einen großen Bogen um mich, wahrscheinlich aus Angst Englisch zu sprechen. Die Englischlehrer sind meistens sehr freundlich und unterhalten sich auch mit mir. Im Allgemeinen habe ich das Gefühl, dass sich 90 % der Schule einen Scheiß darum schert ob ich da bin oder nicht. Das macht die Arbeit kompliziert. Vorgestellt wurde ich schon mal niemanden, obwohl das, wie ich gehört habe, Standard ist. Problematisch an sich ist jedoch die Tatsache, dass ich einfach keine Arbeit habe. In den ersten 2 Wochen empfand ich es noch nicht mal als so dramatisch, da ich Zeit hatte anzukommen etc. Dann war schon eine Konferenz des Goethe Instituts, welche für die nötige Abwechslung sorgte. Nach der Konferenz besuchte mich mein Bruder für 2 Wochen und da es noch immer keine Arbeit gab, war es das einfachste der Welt mir „frei“ zu nehmen. Dann jedoch wurde es langsam dunkel um mich. Ich strampelte und kämpfte mich durch die Tage und versuchte mir mit allen Mittel Arbeit zu vermitteln. So verzweifelt wie ich war bot ich schon umsonst meine Dienste an der Uni an und nahm in Kauf jeweils 2 Sunden hin und 2 Stunden zurück zu meiner Wohnung zu brauchen. Die rettende Madonna, die schützend ihren Mantel für mich ausbreitete stand in Shanghai und hieß „Kulturweit“. Jetzt fängt meine Zeit hier so richtig an. Ich habe eine Aufgabe und zwar eine ziemlich abgefahrene. Erst war es nur eine merkwürdige Idee einer hoffnungslosen Praktikantin, die dachte sie müsse diese Situation ertragen. Nun ersteht dieses Häufchen Elend auf, wie der Phönix aus der Asche. Denn Sinn braucht der Mensch im Leben! Mir wollte man es rauben, aber ich hab den Dieb gefasst und mein Glück zurück in meine Hände gelegt.

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Einsatzstellenbericht Deyang

Jeanne Schmidt Als ich in China ankam war es bereits dunkel. Um ca. 23 Uhr wurde ich von Herrn Wang, dem Zuständigen für „internationale Angelegenheiten“ an der Deyang Fremdsprachenschule und einem Fahrer vom Flughafen abgeholt. Der Name Wang war mir bereits aus mehreren E-Mails, die zwischen mir in Deutschland und der Schule in China hin und her geschickt wurden bekannt. Zu Beginn, als ich meine Zusage von >>Kulturweit<< erhielt, hatte ich kurzzeitig Mailkontakt mit einer Deutschlehrerin aus meiner zukünftigen Einsatzstelle. Doch plötzlich bekam ich über einen langen Zeitraum keine Antworten mehr auf meine Anfragen. Wenige Wochen vor meiner Ausreise meldete sich die Einsatzstelle personifiziert durch Herrn Wang schließlich doch noch bei mir und teilte mir mit, dass die Deutschlehrerin aus unbekannten Gründen gekündigt hätte und mir daher niemand auf meine Mails geantwortet hätte. Er sei nun mein neuer Ansprechpartner. So beruhigt konnte ich in eine kleine Stadt names Deyang, Sichuan in Südwestchina aufbrechen. Dort angekommen und mich nun auf der Fahrt vom Flughafen nach Deyang befindend erfahre ich, dass keine Deutschlehrerin in Deyang zugegen ist. Anscheinend werde ich für die neue Deutschlehrkraft gehalten. Herr Wang möchte wissen, wie viele Jahre ich denn in China bleiben würde. Ich antworte, dass ich als Freiwillige ein Jahr lang in China bleibe. Herr Wang ist für einen Bruchteil einer Sekunde aus dem Konzept gebracht worden, fährt aber sogleich fort, dass ich auch drei oder mehr Jahre bleiben könne und dass ich auch gegen Bezahlung an der Grundschule von Deyang arbeiten könne. Langsam verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass die Schule oder zumindest Herr Wang nicht über das Programm von >>kulturweit<< informiert zu sein scheint. Ich hake noch einmal nach und will wissen, was meine Aufgaben sein werden. Ich solle Unterricht geben, erzählt mir Herr Wang. Er sei tatsächlich davon ausgegangen, dass ich die neue Deutschlehrkraft an der Schule sei. Ich erkläre ihm, dass ich Freiwillige bin und in diesem Jahr erst mein Abitur gemacht habe, mir aber vorstellen kann zu unterrichten, jedoch noch nie vor einer Klasse gestanden hätte. Daraufhin winkt Herr Wang ab und meint, dass es kein Problem werde. In Deyang angekommen falle ich müde und gespannt auf meine neue Arbeit hier in China ins Bett Zwei Tage später habe ich meine erste Unterrichtsstunde. Es ist bereits Abends und schon dunkel draußen. Im weiß gestrichenen Klassenraum sitzen bloß vier Schüler an ihren Pulten im Leuchtstoffrohrlicht. Sie sind Schüler der siebten Klasse und ca. 12 Jahre alt und haben laut Herrn Wang bereits ein Jahr Deutsch gelernt. In meiner Wohnung neben der Schule habe ich einige Spiele zum Kennenlernen für diese erste Stunde vorbereitet. Nach einigen Minuten in der Klasse bemerke ich allerdings, dass die Schüler sehr wenig Deutsch sprechen können. Es war schwierig für mich allein Unterricht zu geben, da es erheblich an einer gemeinsamen Kommunikationsbasis mangelte. So verbrachte ich meine ersten Tage damit, den Schülern mit viel Gestik und Mimik einige Sätze, wie man sich z.B. auf Deutsch vorstellt, beizubringen. Sehr schnell bekam ich das Gefühl, ihnen aufgrund bereits erwähnter mangelnder Kommunikationsmöglichkeiten nicht viel vermitteln zu können. Am Anfang jeder Stunde wiederholte ich die Themen der vorangegangenen Stunden. Dabei bemerkte ich, dass die Schüler nicht dazu in der Lage waren, den bearbeiteten Stoff anzuwenden. Es gibt kein Material für den Deutschunterricht. Bis auf eine Schülerin besitzt niemand ein Lehrbuch. Ich habe ebenfalls kein Exemplar besessen, wodurch es sich als problematisch gestaltete den Unterricht vorzubereiten. Nach der ersten Woche in meiner Einsatzstelle habe ich einen Anruf erhalten. Es meldete sich eine sehr sympathische Stimme auf Deutsch. Claudia ist ihr Name und sie stellte sich als Deutschlehrerin an einer Schule in Chengdu, einer Stadt nur eine Stunde von Deyang entfernt vor. Dort ist Julian, den ich bereits vom Kulturweit-Vorbereitungsseminar kannte als Freiwilliger eingesetzt. Über ihn erhielt Claudia meine Nummer. Sie lud mich zu einem Treffen in Chengdu zusammen mit Julian ein. Bei einem gemeinsamen Mittagessen fragt sie mich, wie es mir in meiner Einsatzstelle gehe. Ich berichte ihr von meinen ersten Tagen in Deyang. Sie ist verwundert, als sie erfährt, dass es keine weitere Deutschlehrkraft und eine so geringe Anzahl von Schülern gibt. Wir beschließen den zuständigen Zfa-Berater Jörg Drenkelfort zu informieren. Dieser kündigt sich kurze Zeit später in Deyang an, um sich persönlich ein Bild von der Lage dort zu machen. Von dem Zeitpunkt an, an dem ein Besuch von Herrn Drenkelfort bekannt war, veränderten sich einige Dinge an der Schule. Es wurde eine Germanistikstudentin als Praktikantin eingestellt, zudem wurden einige neue Deutschschüler angeworben und ich sollte zusammen mit der Praktikantin in der gesamten 4. Stufe der Grundschule von Deyang Unterricht geben. Ich begrüßte es sehr, eine deutschsprachige Kollegin zu haben und wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Ich empfand den Unterricht an der Grundschule allerdings als Herausforderung, da es auch hier kein Lehrmaterial und keine gemeinsame Sprache gab.

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Am Tag des offiziellen Besuchs von Herrn Drenkelfort waren die Leiter der Abteilung für internationale Angelegenheiten sehr nervös. Herr Drenkelfort und seine Assistentin wurden am Eingangstor mit großen Blumensträußen in Empfang genommen. Der Abteilungsleiter erschien im Anzug und der Konferenzraum wurde mit Blumen und Obst geschmückt. Nach einer Begehung des Schulgeländes nahmen wir zusammen im Konferenzraum Platz. Herr Drenkelfort erklärte, dass es an der Schule für ein DSD-Programm sowohl zu wenig Deutschlehrer als auch zu wenig Schüler gebe. Die Schule zeigte sich sehr kooperativ und versprach, sich um eine weitere Lehrkraft und mehr Deutschschüler zu bemühen. Herr Drenkelfort handelte mit der Schule aus, dass wenn sie bis Ende November nicht ausreichend Lehrer und Schüler hätten, ich in einer anderen Schule eingesetzt werde. Anschließend wollte Herr Drenkelfort sich noch einen Eindruck von dem Deutschunterricht verschaffen. Beim Betreten des Klassenraums erkannte ich, dass die Anzahl meiner Deutschschüler erstaunlicherweise von 4 auf 35 gestiegen war. Insgesamt konnte der Besuch vorerst als Erfolg verbucht werden. Zuversichtlich verabschiedeten wir uns von Herrn Drenkelfort und seiner Assistentin. Die Wochen nach dem Besuch nahmen jedoch wieder eine andere Form an. Die zuvor stolz präsentierte Deutschklasse schrumpfte wieder auf die ursprüngliche Anzahl von 4 Schülern. Allerdings hatten sich einige neue Schüler angemeldet, um mit Deutsch als zweite Fremdsprache zu beginnen. In den nächsten Wochen wurde der Unterricht leider immer wieder verschoben oder fiel aus. An vier von sieben Tagen hatte ich keinen Unterricht. An den restlichen drei Tagen fanden hin und wieder einige Stunden statt. Durch die geringen Arbeitsmöglichkeiten fühlte ich mich zunehmend nicht gebraucht und begann mich in dieser kleinen Stadt einsam zu fühlen. Zu den wenigen Aufgaben kam hinzu, dass es in Deyang wenig Anknüpfungspunkt gibt, um Ausländer und englischsprachige Chinesen kennenzulernen. Die Englischlehrer und die Deutschpraktikantin haben immer viel zu tun und wenig Zeit und ich hatte kaum ausländische Kollegen. Einem Freiwilligen in einer ähnlichen Situation kann ich nur empfehlen, sich Hilfe zu suchen, Kontakt mit den Zuständigen aufzunehmen und ehrlich und zu sagen, dass man sich in seiner Einsatzstelle nicht wohlfühlt. Zudem kann es auch helfen, sich bei den Freiwilligen, die im gleichen Land eingesetzt sind zu erkundigen wie der Arbeitsalltag bei ihnen aussieht. Auf diesem Weg erhält man eine Vergleichsmöglichkeit und verschafft sich Wissen darüber, ob die unangenehme Situation auf landesspezifische Gegebenheiten zurückzuführen ist, oder ob tatsächlich etwas in der Einsatzstelle nicht den Normen entspricht und daher Änderungsbedarf besteht. Eine andere Möglichkeit sich abzulenken und in seinem Einsatzort glücklich zu werden besteht darin, ein Projekt außerhalb seiner Einsatzstelle durchzuführen. Zudem hat man beim Zwischenseminar viel Raum seine Probleme mit anderen Freiwilligen aus der gleichen Region auszutauschen und sich den Trainern von >>Kulturweit<< mitzuteilen. Nach ca. drei Monaten in meiner Einsatzstelle, in denen ich mich aufgrund weniger sozialer Kontakte und wenig Einsatzmöglichkeiten nicht wohlgefühlt habe, war es mit der Unterstützung des Zfa-Beraters möglich einen Einsatzstellenwechsel durchzuführen. Nun werde ich bald in einer anderen Einsatzstelle in Guangzhou die zweite Hälfte meines Freiwilligendiensts antreten.

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Beziehung Ausländer und Chinesen Jeanne Schmidt

Station Nummer 1 auf unserer Reise ist Chengdu. Es ist die Hauptstadt Sichuans im Süd-Westen Chinas. Sichuan, die Provinz der schönsten Mädchen Chinas und des besonders scharfen Essens. Chengdu, die Heimatstadt des Pandas und zumindest für ein Jahr auch Julians Stadt. Julian Weber ist der erste Kulturweitfreiwillige, den wir auf unserer Entdeckungs- und Dokumentationsreise durch die Einsatzstellen und den Alltag der Freiwilligen der Generation 2012/2013, eingesetzt im Land des erwachenden Drachen, in China besuchen. Wir schreiben den 25.11.2012 um 1:25 Uhr Nachts hole ich Franzi vom Flughafen Chengdu ab. Unser gemeinsames Projekt beginnt. Vor einer Woche auf unserem Zwischenseminar in Shanghai war es noch eine wage Idee, ein kleiner Samen, entstanden in Gehirnwindungen, doch in dieser einen Woche ist der Samen gekeimt, durch die Erde gestoßen und zu einer Pflanze herangewachsen. Aus der kleinen wagen Idee wurde ein wahrhaftiges Projekt. Wir richten uns also im wunderbaren Mix-Hostel in zentraler Lage in Chengdu ein. Unsere ersten beiden Tage sind vollgestopft mit Organisations-Kram. Wir koordinieren all unsere Besuche in den vielen Städten Chinas, insgesamt werden es 11 verschiedene Orte bei 16 Freiwilligen sein. Wir clustern und kategorisieren Berge an Fragen über China, die wir zuvor von unseren Mitfreiwilligen eingeholt hatten, erarbeiten einen Arbeits- und Zeitplan, entwickeln einen Fragebogen für unsere Schulbesuche, versenden weitere Fragebögen an die Freiwilligen und gestalten einen Mitmach- Kettenbriefprojekt, als Teil unserer Dokumentation. Nachdem wir bis in die tiefen Abendstunden in unserem Hostelzimmer vergraben an dieser Arbeit gesessen hatten, waren wir bereit, um uns auf die Suche nach Antworten zu machen. Auf diesem Wege wollen wir noch mehr über die Kultur, die Leute, Kuriositäten, Gepflogen- und Gewohnheiten des Landes erfahren, das wir als Freiwillige für 6 oder 12 Monate „Heimat“ nennen können. Dabei haben wir selbstverständlich nicht den Anspruch tatsächliche, repräsentative Antworten auf Fragen wie „was denken Chinesen über Muslime, Kirgisen oder Schwarze?“ zu finden, vielmehr geht es uns darum, uns in Situation oder an Orte zu begeben, in denen man sich hier im Alltag nicht zwangsläufig bewegt, um kommunikativ und nah an der Bevölkerung zu lernen und uns mit diesem neuem Ort aktiv auseinander zu setzen. Wenn wir dabei tatsächlich die ein oder anderen Tatsachen herausfinden wie z.B. welches Hausmitelchen besonders gut gegen einen Baiju-Kater hilft, perfekt oder?!

Für Chengdu gilt es die Beziehung zwischen Ausländern und Chinesen zu untersuchen. Wir überlegten, wo wir Chinesen finden würden, die viel Kontakt zu Ausländern haben und zudem gutes Englisch sprechen. Ein Hostel mitten in Chengdu schien uns der geeignete Ort dafür. So luden wir Julian zu uns in den gemütlichen Gemeinschaftsraum des Hostels ein. Nach einem nahrhaften Abendessen und einigen Tassen Tee machten wir uns an die Arbeit. Wir teilen uns auf und befragen die Gäste des Hostels an unterschiedlichen Orten in dem kleinen verwinkelten Haus. Kurzer Hand setze ich mich an einen Tisch mit zwei Chinesen. Leider sprachen sie kein Englisch, weswegen ich mit meinem miserablen Chinesischkenntnissen versuchte, ihnen zu erklären, was ich von ihnen wollte. Mit viel Gestik und Mimik brachte ich etwas hervor wie: „Viele Chinesen mögen Ausländer zu fotografieren richtig?“. Aufgrund mangelnder gemeinsamer Kommunikationsbasis entsprang dem Gespräch keine tieferen Erleuchtungen. Jedoch beharrten die beiden darauf, das deutsche Wort für „beautyful“ zu lernen. Während ich versuchte sie an das deutsche „ö“ zu gewöhnen, stellte sich mir die Frage, warum so viele Chinesen überhaupt „beautyful“ sagen können, obwohl sie sonst keine weiteren Englischkenntnisse haben. Immer wieder höre ich es auf den Straßen. Schön finde ich das irgendwie. Mein zweiter Versuch gestaltete sich etwas fruchtbarer. Ich befragte den jungen Mann an der Rezeption. Er erklärte, Chinesen würden Ausländer fotografieren, um sie willkommen zu heißen sie würden vorher nicht fragen, weil sie schüchtern seien oder kein Englisch sprächen. Eine weitere Frage, worauf wir eine Antwort zu finden angehalten sind ist, ob Chinesen uns Europäer tatsächlich attraktiv finden. Denn wie bereits erwähnt, hören wir des öfteren hier in China, dass wir hübsch seinen. Der Barkeeper hinter seiner Bar meint, oft würde der Satz „du bist hübsch“ nur als Gesprächsaufhänger benutzt, der auch unter Chinesen/Chinesinnen angewendet werde. Jedoch treffe es durchaus zu, dass eine weiße Haut, große Augen und eine hohe Nase bei westlich aussehenden Leuten als schön empfunden werden. Besonders bei Männern sei eine gewisse Körpergröße beliebt, die unter europäischen Männern eher verbreitet ist, als unter Chinesischen. Wir wollen außerdem noch etwas über die Beziehung zwischen Japan und China herausfinden. Zu diesem Zeitpunkt, ist ganz aktuell ein Streit zwischen den beiden Staaten über die Hegemonie einiger kleiner Inseln im Ostchinesischen Meer ausgebrochen. Wir wollen wissen, wie die Leute hier im Hostel zu Japan

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stehen. Wie zu erwarten gewesen ist, ist die Meinung über Japan geteilt. Manche sind Japan gegenüber sehr positiv eingestellt. Sie mögen japanische Filme und Serien und manche lernen auch die Sprache. Auf der anderen Seite begegnen uns auch immer wieder Menschen, die sich besonders wenn sie erfahren, dass wir aus Deutschland stammen, vorwurfsvoll gegenüber Japan äußern. Sie kritisieren, dass Japan sich im Gegensatz zu den Deutschen nicht für seine Taten während des 2. Weltkrieges entschuldigt hätte. Diese Haltung wird indirekt immer wieder von öffentlicher Seite bestärkt. Besucht man eines der größtenteils staatlichen Museen in China; wie z.B. das „Massaker-Museum“ in Nanjing, welches an die Kriegsverbrechen der japanischen Besatzer während des 2. Weltkrieges erinnert, begegnen einem immer wieder unterschwellig deutlich anklagende Parolen über Japan. Man gewinnt den Eindruck, dass ein Teil der Chinesen/Chinesinnen auch die heutige Generation von Japanern für diese Verbrechen schuldig macht. Es wirkt auch mich, als würde hier in China wenig aufarbeitend

mit Geschichte umgegangen. Die letzte Frage dieses Themenbereichs klären wir spontan als wir Julian zur U-Bahn begleiten. Wir sprechen willkürlich Passanten an, um herauszufinden, welcher Nationalität sie uns zuordnen würden. Denn diese Frage („Woher denken Chinesen kommst du?“) wurde uns ebenfalls von China-Freiwilligen in unsere Rucksäcke eingepackt. Von Indien über England bis zu Amerika scheinen wir alles abzudecken. Am Ende der Befragung spreche kurzerhand einen verhältnismäßig größeren Chinesen an und frage ihn gut gelaunt auf Chinesisch, woher wir wohl stammen. Er schaut mich mit großen Augen an, scheint nicht zu verstehen. Ich bin leicht irritiert, bis uns seine chinesischen Begleiter aufklären, dass er kein Chinesisch spreche, da er Japaner sei. Auch ich scheine also kein besonders Talent im Zuordnen von Nationalitäten zu haben. Zum Glück ist es keine entscheidende Fähigkeit. Nach zwei schönen Tagen in Chengdu brechen wir unsere Zelte ab, um in Richtung Zentralchina, nach Wuhan zu fahren.

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Gesundheit Franziska Aschenbach

Straßen ziehen sich wie Venen auf mehreren Ebenen durch die Stadt, verzweigen und verknoten sich. Der Verkehrsfluss pulsiert mal schnell, mal stockend. Ohne die gewohnte chinesische Geräuschkulisse bewegen sich Fahrräder, Autos, Busse, Menschen dicht an dicht gedrängt in alle Richtungen. Mitten durch diese unüberschaubare Szenerie, zieht sich der Yangtse. Aufgewühltes braunes Wasser, besetzt mit Schiffen und kleinen Booten fließt mit derselben Energie, wie der Taktschlag auf dem Festland. Brücken mit enormer Länge verbinden die Stadtteile und lassen die von Dunst umhüllten Gebäude beim überqueren klarer erscheinen. Der Geruch von Essen liegt in der Luft. Jeder Meter trägt mich zu einem neuen Duft. Das Licht der kleinen Läden schwimmt zwischen den Dampfschwaden der vielen Kochtöpfe hindurch und erleuchtet kleine enge Straßen, die mit durcheinanderwirbelnden Stimmen gefüllt sind. Alles ist in Bewegung, wunderschön durch sein unkontrollierbares Getümmel aus Farben, Gerüchen und Geräuschen. Dieses Land ist voll mit unergründlichen Wiedersprüchen, ohnmachtserzeugenden Tatsachen aber vor allem mit neuen Perspektiven.

Um neuen Perspektiven zu erlangen, gilt es sich in entsprechende Situationen zu begeben. Ein Bereich, mit welchem man sich im Alltag konfrontiert sieht, ist die Gesundheit. Allein beim Essen wird man hier und da auf die heilenden Wirkungen verschiedener Gemüsesorten hingewiesen. Auch in den westlichen Ländern ist die Faszination der traditionell chinesischen Medizin angekommen. Was genau ist davon in China noch übrig, beziehungsweise welche Heilmittelchen wirken wirklich oder sind einfach nur aufgrund ihrer Bestandteile zu abschreckend?

Unsere erste Adresse ist die Apotheke. Es regnet und die Nässe zieht in meine Knochen. Dies ist laut meiner Begleiter typisches Wuhan Wetter. Kai, Phillip, Florian und Simon leben in Wuhan und arbeiten an verschiedenen PASCH-Schulen des Goethe Instituts als Freiwillige. Besonders Kai hat ein inniges Interesse an den verschiedenen Wirkungen der traditionell chinesischen Medizin und trägt stets kleine Fläschchen mit berauschend riechenden Flüssigkeiten bei sich. Wir betreten die Apotheke. Gänge, die von weißen Regalen begrenzt sind führen uns zur Kasse. Eine etwas gelangweilt dreinschauende, pummelige Frau blickt uns aus kleinen Augen irritiert an. Simon übernimmt und übersetzt souverän einige unsere Fragen. Bei der Frage, was gegen die unerträglichen Katerkopfschmerzen nach dem Baijiu trinken hilft, lächelt sie nur müde und sagt man solle

einfach weniger trinken. Aus eigenen Erfahrungen muss ich jedoch sagen, dass der Alkohol in China bleibendere Schäden hinterlässt, als es mir je in Deutschland passiert ist. Welche verrückten Chemikalien sind da also beigemischt? Wir werden es wohl nie erfahren und im Zweifelsfall ist es ein Geheimrezept, das nicht verraten werden darf. Alles in allem werden unsere Fragen nur sehr unzureichend beantwortet, vom inneren Feuer und Hundeknochenmedizin hat die gute Dame auch noch nichts gehört. Trotz der Bemühungen von Simon weiter nachzufragen fehlt ihr wohl die Motivation. Wir verlassen unbefriedigt die Apotheke und setzten all unsere Hoffnungen auf den Krankenhausbesuch am nächsten Tag.

Es regnet wieder und dennoch schafft es

diese Stadt, die wohl auch gleichzeitig eine der größten Baustellen der Welt ist, wunderschön zu sein. Wir treffen uns mit einer Englischlehrerin, die an der Schule von Kai arbeitet. Sie ist für heute unsere Dolmetscherin, kennt sich bestens mit Akupunktur aus und ist gleichzeitig eine Quelle alternativer Medizin für Kai, die niemals versiegt. Wir betreten das Krankenhaus. Jetzt ist es uns noch nicht klar, aber die Bürokratie dieses Gebäudes wird ernsthaft versuchen uns den Verstand zu rauben. Zuerst gehen wir zu einem Schalter, hier bezahlt Jeanne 10 Y. Die Englischlehrerin hat uns schon bei der Ärztin angemeldet, also gehen wir direkt in die 4. Etage. Schmale Gänge ziehen sich durch das Haus und führen uns in einen kleinen Raum, der vollgestopft ist mit Menschen. Zwei Ärzte sitzen an einem Tisch und fühlen den Puls einer Patientin. Um den Tisch herum stehen ca. 10 andere Menschen, in einem kleinen Nebenraum werden 3 Menschen gerade Akupunkturnadeln gesetzt. Nach einer kurzen Wartezeit darf sich Jeanne setzten und zu unserem erstaunen spricht die Ärztin perfekt Englisch. Sie erklärt uns, dass sie seit 20 Jahren in Amerika praktiziert und jedes Jahr für 3 Monate in China arbeitet. Obwohl die Raumatmosphäre von seinen Rahmenbedingungen zum davonlaufen anregen

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müsste, erzeugt die vertrauensvolle Stimme der Ärztin eine angenehme beruhigende Stimmung. Mit sehr gezielten Fragen, die auf viel Erfahrung der Ärztin schließen lassen, schreibt sie ein Rezept, welches lediglich verschiedene Kräutermengen beinhaltet. Da Jeanne seit einiger Zeit an Ohrenschmerzen leidet, ist dieser Selbstversuch sowohl Informativ, als auch Gesundheitsfördernd. Nach dem Patientengespräch gehen wir zurück in die Eingangshalle, wo wir zuerst die Rezepte an verschiedenen Schaltern zeigen, dann bezahlen und letztendlich die Medikamente abholen können. Mit den Kräutern gestaltet es sich etwas komplexer. Erst bekommen wir einen überdurchschnittlich großen Beutel voll mit den merkwürdigsten Kräutern übergeben, nachdem diese aus verschiedenen Schubladen einzeln zusammengestellt worden sind. Diesen Beutel bringen wir in den 3. Stock, wo es schon beim betreten desselbigen extrem undefinierbar aber in jedem Fall Gesund riecht. Im hintersten Raum befindet sich ein kleiner dicker Mann, der den ganzen Tag aus den Kräutern in riesigen Kesseln Tee kocht.

Das Ergebnis der persönlichen Mischung für Jeanne dürfen wir am nächsten Tag abholen. Die Behandlung ist natürlich noch nicht zu Ende, nun folgt die Akupunktur. Jeanne darf sich auf eine Liege, in einem Raum mit 3 weiteren Patienten legen. Mit konzentriertem Blick sucht die Ärztin geeignete Nadeln und bohrt sie selbstsicher über den Körper verteilt in Jeannes Haut. Ihr Gesicht zeigt mir ihren Schmerz. Vor allem in den Füßen scheint es besonders schmerzhaft zu sein. Nach kurzer Zeit, so beschreibt es Jeanne, tritt eine körperliche Leichtigkeit auf. Die Wirkung der Nadeln ist intensiv. Ich beobachte verschieden Phasen bei Jeanne. Von Schmerzhaft bis völlig High ist so einiges dabei. Während Jeanne übergangsweise völlig leblos auf der Liege verweilt, nutze ich die Chance, die Ärztin ein wenig zu befragen.

Zuerst will ich unbedingt wissen was es mit dem sogenannten „inneren Feuer“ auf sich hat. Die Ärztin erklärt mir, dass es dabei im Prinzip um ein Synonym zur inneren Balance des Körpers gehe. Die einzelnen Organe als auch Körper und Geist im Allgemeinen, stehen in einer Beziehung zueinander. Wenn also eine

Beeinträchtigung bestehe, so ist der Körper nicht im Gleichgewicht und somit das innere Feuer nicht unter Kontrolle. Nicht nur, dass das innere Feuer zu Krankheiten führe, auch die mentale Verfassung sei Beeinflusst. So ist die Schlussfolgerung über den Grund eines Aufgebrachten Menschen, schnell mit dem inneren Feuer abgetan. Grundsätzlich werde das innere Feuer durch verschiedene Merkmale wie unreine Haut, Augenringe etc. sichtbar und könne mit Hilfe von Akupunktur und traditionell chinesischer Medizin wieder in die nötige Balance gebracht werden.

Hier schließt sich auch schon die nächste

Frage an: Glauben Chinesen eher an westliche oder an chinesische Medizin? Das ist natürlich grundsätzlich Subjektiv, jedoch lasse sich eine Tendenz zur goldenen Mitte feststellen. Je nach Schwere der Krankheit entscheidet sich welche Medizin effektiver ist. Bei komplexeren Erkrankungen raten auch traditionelle Mediziner die westliche Medizin zu nutzen, in leichteren Fällen sei es jedoch schonender für den Körper auf Naturmittel und Akupunktur zurückzugreifen.

Wir haben noch eine weitere Frage im Koffer, die jeden von uns schon einmal das Gefühl gegeben hat um 60 Jahre gealtert zu sein. „Warum sind chinesische Betten eigentlich so hart?“ Mittlerweile haben sich sicher alle Freiwilligen daran gewöhnt, doch die ersten Nächte, aber vor allem der Morgen danach waren sicherlich für die meisten sehr ungewohnt. Was man da teilweise vorfindet sind Holzbretter auf denen eine dünne Sommerdecke liegt, welche die Matratze darstellen soll. Richtige Matratzen sind wirklich eine Seltenheit. Unsere nette Doktorin gesteht uns, dass sie auch immer wenn sie für die 3 Monate im Jahr nach China kommt, um am Krankenhaus zu arbeiten, Anfangsschwierigkeiten mit den Betten hat. Ihr Tipp an uns ist: „kauft euch viele dicke Decken und legt sie übereinander“. Weiterhin meint sie, dass sich die meisten Chinesen wohl auch einfach an diese Betten gewöhnt hätten und darum nicht unbedingt der Wille nach einer Veränderung bestehe.

Nachdem wir nun von der netten Apothekerin erfahren haben, dass es ratsamer ist keinen Baijiu zu trinken, um den Kater zu umgehen, frage ich doch nochmal hier nach. Die

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Antwort erstaunt mich, Fruchtessig und chinesischer Tee sollen wohl helfen! Das bedarf noch eines Selbstversuches bis wir das tatsächlich bestätigen können, jedoch ist bis hierhin eine mögliche Lösung gefunden. Ist das eigentlich auch so ein chinesisches Allheilmittel? Über die Frage gegen welche Gebrechen Hundeknochen helfen, können wir leider nichts herausfinden und irgendwie hat auch noch niemals jemand den wir

gefragt haben davon gehört. Auf alle Fälle helfe heißes Wasser immer und ständig gegen alle möglichen Beschwerden.

Jeanne erwacht wieder aus ihrem Komahaften Zustand und bekommt nun ihre Nadeln wieder abgenommen. Wir schnappen uns die leicht benebelte Jeanne und verlassen das Krankenhaus.

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Essen Franziska Aschenbach

Unzweifelhaft ist Essen in China eines der wichtigsten Ereignisse jedes einzelnen Tages. Hier kommen Familie, Freunde oder Geschäftspartner zusammen. Wo junge Menschen in westlichen Ländern mit Freunden eine Bar oder eine Party besuchen, ist in China das gemeinsame Essen diese Art von kommunikativem Moment. Es ist aufgrund der Größe von China fast schon eine logische Konsequenz, dass die verschiedenen Regionen sehr unterschiedliche Küchen vorweisen. Wie mir ein Bekannter aus Dalian bei einem Kaffee berichtet sind die chinesischen Küchen wie folgt zu unterteilen:

Chuan cai (Sichuan Küche) 川菜 scharf und aromatisch, z.B. La zi ji (scharfes Hühnchen an einer Pfeffersauce) Lu cai (Shandong Küche) 鲁菜 geschmacklich rein, knusprig zart, z.B. Gelber Fluss Karpfen, knusprige Ente

Yue cai (Guangdong Küche) 粤 菜 kantonesische Küche ist Chinas Exportküche, z.B. Dim Sum, verschiedene süß-sauer Gerichte, medizinische Suppen Xiang cai (Hubei/Hunan Küche) 湘菜 Sie ist primär bekannt für die scharfe Küche Südchinas Su cai/ Huai yang cai (Jiangsu) 苏 菜

geschmacklich leicht, zart, mild, z.B. kandiertes Fleisch, knuspriger Aal, gedämpfte Krabben in klarer Suppe Zhe cai (Zhejiang, Hangzhou, Ningbo,

Shaoxing) 浙菜

Min cai (Fujian Küche) 闽菜

Hui cai (Anhui) 徽菜

Neben der Unterteilung in die „8 Küchen Chinas“ gibt es außerdem noch die Unterteilung in 4 Küchen, welche geläufiger allerdings nicht sehr präzise ist. Dabei gilt: der Osten isst sauer, der Westen scharf, der Süden süß und der Norden salzig.

Nicht unerwähnt darf die Moslemische Küche (Qinghai, Gansu, Ningxia, Xinjiang) bleiben. Chinesische Moslems, welche von der Hui Nationalität abstammen gibt es Grundsätzlich überall in China. Dieses Essen ist ein völlig anderes Geschmackserlebnis als das restliche chinesische Essen. "Yang Rou Chuanre“ (scharfe Lammspieße) sowie flaches Brot und die für diese Küche signifikanten Nudeln sind mehr als einen Versuch wert. Zhai Cai, (Buddhistische Küche) 藏菜 ist die vegetarisch buddhistische Küche und beinhaltet vor allem unglaubliche Imitationen von

Fleischgerichten, indem Gluten, Tofu oder andere Pflanzenprodukte angewandt werden. Bei Gluten und Tofu handelt es sich um 2 sehr vielseitige Zutaten, welche in unterschiedlichste Festigkeitsgrade und Formen gebracht werden können. Mit der richtigen Würze und Aroma lassen sich somit zahlreiche Fleischarten ziemlich genau nachahmen.

Nachdem nun ein besseres Verständnis für die chinesischen Küchen geschaffen ist, bleibt doch noch ein Restunverständnis für Gerichte wie Stinketofu, Hühnerfüße, Hundefleisch oder Mondkuchen. Also erst mal los zum nächsten Stinketofustand und selber probieren bevor das Urteil gefällt wird. Leichter gesagt als getan! Nach wahrscheinlich 100 solcher Stände vor denen ich mit der Hand vor Nase und Mund weggerannt bin, habe ich mich dann endlich in Shanghai getraut. Allein während der Zubereitungszeit neben dem Stand zu stehen war die reinste Quälerei. Dieser Geruch wirkt auf mich wie das Betreten eines für 10 Jahre Luftdicht abgeschlossenen Raumes, gefüllt mit 1000 über 5 Jahre umgewechselter und ungewaschener getragener Socken. Ich bekomme das kleine Pappschälchen in die Hand gedrückt und unbewusst höre ich auf zu Atmen. Schnell und schmerzfrei stecke ich mir ein paar Stücken in den Mund. Kauen, kauen, unterschlucken. Schnell gehe ich aus dem Dunstkreis des Tofustandes und genehmige mir einen großen Schluck Wasser. Was bleibt ist der Geschmack von Stinkesocken.

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Sehr viel angenehmer war hingegen der Besuch des Orchideengartens in Guangzhou, um einer Teezeremonie beizuwohnen und ganz nebenbei alle wichtigen Informationen über Teesorten zu erfahren. Die Frage, welche uns in diese Situation geführt hat, war: „Woher ist der teuerste Tee und wie viel kostet er?“

Die Antwort war schwammig, da wie wir erfuhren, keine wirklich festen Teepreise existieren. Viele Faktoren lassen die Preise variieren. Grundsätzlich seien die teuersten Tees jedoch aus China. Als besonders teuer gilt der pu‘ er Tee aus Yunnan. Dieser Tee ist bis zu 100 Jahre in Form von gepressten Scheiben gelagert. Das klingt alles nach verrückten Weinkellern und ich erkenne, wie wenig Ahnung ich doch von Tee habe. Auch Schimmel sei dann eher ein Zeichen dafür, wie wertvoll er sei. Meine Fantasie spielt verrückt und ich stelle mir einen Käsekeller vor, indem allerdings anstelle des Schimmelkäses, Schimmeltee gelagert liegt. Ein alter kleiner und vom Alter und der Arbeit krumm gewordener Mann wendet die Stücke ab und zu. Ein weiterer kostenintensiver Tee sei der „Yin Zhen", die sogenannte Silbernadel. Das ist ein weißer Tee, bei welchem an nur 2 Tagen im Jahr die Blattknospen geerntet werden. Teuer wird ein Tee vor allem dadurch, dass nur 100 bis 200 kg im Jahr produziert werden. Einige weitere solcher Sorten tragen Namen wie der Drachenbrunnen vom Löwenberg (Shi Fong Loong Tseng)", oder "die Jadeschecken des Frühlings“ (Pi Lu Chun). Eine mögliche Preisrichtlinie ist dann 150 bis 300 Euro pro Kilo. Big Red Robe, ein Tee der superklasse, erzielt auf Auktionen sogar teilweise 10 000 Dollar pro 100 gramm. Wir alle kamen zu der Ehre das Mondfest in China miterleben zu dürfen. Die Frage die sich einige der Freiwilligen dann jedoch stellte ist: Wer mag eigentlich Mondkuchen? Es scheint einzelne Ausnahmen zu geben, die diesen „Kuchen“ wohl mögen. Wie kommt das? Die Antwort ist mal wieder, es gibt so viele Sorten und Herstellungsweisen, dass es wohl für jeden eine Variante gibt die dem subjektiven Geschmacksempfinden entspricht. Die

bekanntesten Mondkuchen sind aus Beijing/Tianjin (knusprig und mit vegetarischen Füllungen), Jiangsu (weich und süß), Chaozhou (zuckersüß) und Guangdong (alle möglichen Füllungen von Eigelb, über Bohnenpaste bis Fleisch). Mondkuchen habe nach vielen Nachfragen bei allen möglichen Menschen auf der Straße, bei Lehrern in den Schulen usw. vor allen traditionellen Status. Antworten ob er denn nun schmecke waren zu unterschiedlich, als eine Aussage treffen zu können. Die vielen Füllungs- und Konsistenzvarianten lassen jedoch darauf schließen, dass neben der Tradition ihn am Mondfest zu essen zumindest versucht wird, den Mondkuchen lecker herzustellen. Mit Maurice an meiner Seite, gehen wir zu seinem geliebten Milchteemann, um alle weiteren Fragen zum Thema Essen zu klären. Da Maurice bereits ein gesamtes Jahr in China zur Schule gegangen ist, spricht er für mein Empfinden perfektes chinesisch. Ich lehne mich zurück, bestelle einen Milchtee nach dem anderen und genieße die Show. Zuerst fragen wir, warum es so viele von den Nusskuchenverkäufern aus Xinjiang gibt und vor allem wer das denn kaufe, da es doch so teuer ist? Der ansonsten sehr ausgeglichene Milchteemann wird sichtlich nervös und berichtet uns, wie ein altes Klatschweib von einer Geschichte, die jüngst stattgefunden haben solle: Ein Mann habe den besagten Kuchen kaufen wollen, dann jedoch festgestellt wie teuer er doch ist und seinen kauf revidieren wollen. Der Nusskuchenverkäufer sei dann sehr wütend geworden und habe den Mann versucht mit einem Messer anzugreifen. Maurice und ich schauen uns ungläubig an. „Diese Muslime sind gefährlich, haltet euch lieber fern und kauft bloß nichts bei denen!“ betont der Milchteemann am Ende seiner über drei Ecken gehörten Geschichte. Wie bitte? Schon wieder ein eigentlich echt netter Chinese, der dann plötzlich derartig rassistische Ansichten hegt. Nach einer kurzen Situationsentschärfenden Diskussion, dass wir sehr viele freundliche Muslime in China kennengelernt haben, fragen wir, wo denn all die Glückskekse in China sind. Was in jedem Chinarestaurant außerhalb von China so normal ist, lässt sich hier wirklich nirgends finden. Der Milchteemann ist ganz verwirrt, weil er noch nicht einmal von so etwas wie Glückskeksen gehört hat. Wir stellen gemeinsam fest, dass es eine nette Erfindung von Restaurantbetreibenden Chinesen im Ausland sein muss, um die Lehren von Konfuzius zu verbreiten. Na, so lange keine Textausschnitte aus der Mao-Bibel vertrieben werden, hat sicher keiner ein Problem mit den kleinen Sprichwörtern aus den nicht wirklich chinesischen Keksen.

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Schönheitsideal Jeanne Schmidt

Mit Fragen wie „Warum tragen manche chinesischen Männer einen langen Fingernagel am kleinen Finger?“, „ Wie denken Chinesen über Fettleibigkeit?“ oder „Wie muss man sich das chinesische Schönheitsideal vorstellen?“ im Gepäck sind wir nach Jinhua zu Sonja aufgebrochen. Hier galt es den Fragenbereich „Schönheit auf Chinesisch“ zu klären. Ein Beautysalon sollte diesmal der Ort sein, an dem wir uns auf Spurensuche begeben. Sonja hatte sich vor unserer Ankunft schon einige Gedanken gemacht und die richtige Gegend für uns herausgesucht. Allerdings hielt uns einiges auf unserem Weg dorthin auf, und ich sehe mich gezwungen dies hier in einigen kurzen Worten wiederzugeben, um an dieser Stelle einen Eindruck davon zu vermitteln, was einem tagtäglich auf Chinas Straßen passieren kann:

1.) Franzi handelte auf einem Antiquitätenmarkt, über den wir zufällig liefen, ein paar Bilder tatsächlich von 200 auf 15 Yuan runter!

2.) Wir lernten drei daoistische Mönche kennen, die wir mitsamt ihrer QQ-Nummer und einer und Einladung in ihr Kloster wieder verließen

3.) Zu guter Letzt trafen wir einen sprechenden Vogel, der uns auf Chinesisch willkommen hieß

Mit frischem Kaffee ausgerüstet begeben wir uns schließlich in eine der Beautyhöllen. Dort entdecken wir Klebestreifen fürs Auge. Sie sehen schmerzverursachend aus, versprechen aber bei häufiger Anwendung, eine doppelte Lidfalte zu formen. Denn diese ist, wie wir von der Verkäuferin erfahren, ein häufig von Chinesinnen gewünschtes, doch wenig von der Natur gegebenes Schönheitsattribut bei Frauen. Es gebe sogar eine Augen-OP für nur 80 Yuan, umgerechnet sind das ca. 10 Euro, um sich ein Lid schneidern zu lassen. Die Augen sollen also anscheinend groß mit langen Wimpern ausgestattet sein. Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass die in China erhältliche Wimperntusche extrem gut hält und anders als die aus Deutschland, eine Art Fasern entstehen lässt. Wäscht man sich die Tusche Abends wieder ab, befinden sich im Waschbecken etliche schwarze Fäden. Die Angestellte im Beautysalon erzählt uns weiter, dass tief Schwarz als Augenfarbe unter Chinesinnen besonders beliebt sei. Auf den Straßen in China begegnen uns jedoch auch immer wieder junge Damen, welche die unterschiedlichsten Farben als Kontaktlinsen in den Augen tragen. Wer diese farbenfrohere Variante bevorzugt, findet auf dem Nachtmarkt

auch noch zu später Stunde Kontaktlinsen in tausend Farbvariationen. Ähnlich wie bei der Farbe der Augen liege die Präferenz bei der Haarfarbe ebenfalls bei klassischem Schwarz oder Farben, die eher bei westlichen Frauen vorzufinden sind, wie z.B. Blond oder Hellbraun. Wir fragen weiter und wollen wissen, was in China als schöne Nase empfunden wird. Uns allen ist als „Westler“ hier schon einmal gesagt worden ist, dass wir eine schöne Nase hätten und wir wollen daher wissen, ob wir mit unseren Nasen hier tatsächlich Glück haben und sie als hübsch gelten. Uns wird erklärt, dass die meisten Chinesen/Chinesinnen eine flache, etwas breite Nase hätten, die vielen ihrer Träger nicht besonders gefällt. Hoch und schmal solle sie sein. Auch hierfür ist ein Tool im ausgewählten Handel erhältlich. Es ist eine Art Klemme, welche durch regelmäßiges Tragen verspricht, eine hohe Nase zu formen. Welches Ideal für schöne Haut in China vorherrscht ist ziemlich einfach in Erfahrung zu bringen: Man gehe in einen Supermarkt in die Abteilung für Creme und schaue sich die riesige Auswahl an hautaufhellenden Cremes, Gels und Tinkturen jeglicher Art an. Es gibt leider sogar Whiteningcreme für Babies und Kleinkinder! Ein Grund für diese Vorliebe für eine möglichst helle Haut könnte althergebracht sein: Denn wer früher helle Haut hatte, musste keine körperliche Arbeit auf dem Feld unter freiem Himmel leisten. Dann gilt es noch die Sache mit dem langen Fingernagel zu klären. Besonders häufig bei Männer aufzuweisen, aber durchaus auch bei Frauen zu beobachten ist ein sehr langer Fingernagel jeweils am kleinen Finger beider Hände. Eine Lehrerin in meiner Einsatzstelle trägt z.B. einen und bei der Maniküre lernte ich eine junge Dame kennen, die sich jeweils nur am kleinen Finger einen künstlichen langen Nagel modellieren ließ. Auf meine Frage hin, warum sie einen solchen Nagel trägt, musste die junge Frau lachen und machte eine Geste, bei der sie den kleinen Finger als Utensil dazu benutze, Ohren und Nase zu reinigen. Außerdem trüge sie den Nagel, weil sie es schön finde. Im Internet erfahre ich, dass der lange Fingernagel ebenso wie die weiße Haut einen Lebensstil ohne körperliche Arbeit symbolisiert, denn dabei würden die Fingernägel brechen. Der Träger könne ebenfalls damit zum Ausdruck bringen, dass er geistige, intellektuelle Arbeit der Körperlichen bevorzugt. Besonders verbreitet sei der „Feine-Herren-Finger“ im arabischen Raum und in China. Er sei ursprünglich von Kaisern, Aristokraten und Intellektuellen getragen worden. In China soll der lange Nagel nach der Revolution als bourgeois

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gegolten haben und sei deshalb kaum verbreitet gewesen. Die ersten Taxifahrer in den großen Städten in den 1970er Jahren seien es gewesen, die den Nagel zurück nach China gebracht hätten. Da es zu jener Zeit nur wenige Autos gegeben habe, sei Derjenige, der das Glück hatte als Fahrer arbeiten zu dürfen und somit keine körperliche Arbeit mehr z.B. auf dem Feld verrichten zu müssen, hochangesehen und zu beneiden gewesen. Auch zum Thema Fettleibigkeit finde ich eine Stimme im Internet. Eine junge chinesische Schriftstellerin names Chun Sue schreibt, dass sie es bevorzuge dünn und zierlich zu sein. Sie sagt, sie wolle die Figur eines Kindes und dürfe nicht dick werden. Weiter erläutert sie:

„Westliche Frauen sind größer und stärker, wir sind einfach nur klein. Und wenn wir außerdem noch dick werden, können wir uns gar nicht mit ihnen messen. Westliche Frauen haben weißere Haut, und wenn sie ein bisschen dicker werden, sagt man: Es geht noch. Aber wir sind kleiner, haben dunklere Haut und flachere Brüste. Es ist schwierig schön zu sein.“(in: Niermann: 270)

Eine sehr schlanke Figur, um im globalen Schönheitswettbewerb bestehen zu können?... Als ich all diese Ausführung über Schönheitsvorstellungen niederschreibe fällt mir plötzlich auf, dass sie sich alle lediglich auf das weibliche Schönheitsideal beziehen und das männliche völlig außer Acht lassen. Ich nehme mir daher vor im Laufe der Reise auch noch etwas

über die Vorstellung von männlicher Schönheit in Erfahrung zu bringen. In Xi'an bei dem Einsatzstellenbesuch von Ruth ergibt sich endlich die Möglichkeit dazu und zwar innerhalb der deutschen Ecke. Sie findet im Büro der Deutschabteilung statt. Nachdem die Schüler einiges über Deutschland erfragt haben, wollen sie wissen, ob auch wir Fragen an sie über China haben. Ich frage, was als schön bei einem Mann oder einem Jungen gilt. Die Schüler erklären einvernehmlich, dass das Äußerliche ihnen nicht so wichtig sei. Vielmehr betonen sie ihnen Eigenschaften wie Verantwortungsbewusstsein, Einfühlsamkeit, Selbstständigkeit und Ehrlichkeit. Wir finden es toll, dass sich die jungen Schüler schon so sehr darüber bewusst sind, dass die inneren Werte den Äußeren vorrangig sind, doch wir wollen tatsächlich etwas über pure Äußerlichkeit erfahren und haken daher nochmal genauer nach. Dann erfahren wir, dass Er am besten besonders groß sein sollte. In diesem Punkt sind sich sowohl Mädchen als auch Jungen einig. Besonders große Schultern seinen wichtig, damit der Mann seine Partnerin beschützen könne. Eine Schülerin sagt, dass seine Augen leuchten sollen, sie sollten voll von Energie sein. Eine sehr schöne Antwort, wie ich finde. Ich frage, was sie von einem Bart bei Männern halten und ein abwehrendes NEIN schallt mir entgegen. Eine Schülerin meint, es sehe schmutzig aus und einen sehr langen und dunklen Bart könne sie auf keinen Fall akzeptieren. Ich möchte wissen, ob sie mir einige Berühmtheiten im Internet zeigen könnten, damit ich einen besseren Eindruck bekomme. So verbringen wir den Rest der deutschen Ecke damit hübsche chinesische Schauspieler zu Baiduen.

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Style Franziska Aschenbach

Wo sonst als in Shanghai lassen sich Fragen zum chinesischen Style beantworten? Shoppingmalls überall, über 8, 9 Etagen, wo man geht und steht scheinen Geschäfte die Innenstadt zu beherrschen. Hier gibt es nicht nur alle Bekleidungsgeschäfte die es auch in Europa, Australien und Amerika gibt, nein hinzu kommen all die kleinen Läden in den ein Sport betrieben wird wie es ihn wohl in dieser Form nur in Asien gibt, handeln! Lass dich darauf ein, sonst wirst du verlieren. Hier ist einkaufen ein echtes Abenteuer , nicht nur die kitschigsten, geschmacklosesten, völlig Augenkrankheiten erzeugenden Farben und Designs, auch alle Dinge die du wohl nur in deinen Träumen ersehnt hast sind hier zu erwerben. Auffällig in China ist vor allem, dass ein großer Teil der jungen Frauen einen ganz speziellen Kleidergeschmack repräsentieren. Ein Beispielhafter Laden, um diese Art von Kleidung zu kaufen, ist Teeni Weeni. Hier findet man all die pastellfarbenen, rüschenbestickten mit teddi Bären bereicherten Pullunder und Faltenröckchen, wie man sie in den Straßen von China sieht. Das i-tüpfelchen sind dann vor allem die Plataeuschuhe oder gleich neonfarbene High-higher-highest heels.

Da Jeanne und ich diese Art von Style nicht teilen, war es zuerst an uns diesen Kleidungsstil zu verinnerlichen, um völlig eintauchen zu können. Kurzerhand war einer der besagten Läden gefunden. Wir schlüpften in unsere neue Rolle, die uns rosa und plüschig einhüllte. Hier war der

perfekte Ort, um genau die Frauen zu befragen, denen dieser Style offenbar so zu sagt. Was mich vor allem so verwundert, ist die mir erscheinende Verkleidung erwachsener Frauen in kleine Mädchen, die beschützt werden wollen. Ist das etwa das Frauenbild oder die Rolle, die von Frauen eingenommen werden muss, um attraktiv zu wirken?

Wir gehen im Geschäft herum und fangen an, einige Damen zu fragen, aus welchem Grund sie Teenie Weenie mögen. Wir erfahren, dass sich Frauen in China bis zum 30. Lebensjahr diesen Plüschkult einverleiben. Der Grund sei vor allem, dass man mit diesem Style jünger wirke. Tatsächlich sei es einigen Damen wichtig, wie 16 jährige Schülerinnen auszusehen. Wir gehen aus dem Laden heraus und fangen einige Menschen in der Nähe des Geschäftes ab. Wir fragen auch hier und bekommen nun ganz unterschiedliche Meinungen zu hören. Sowohl Befürworter als auch ablehnende Stimmen sind dabei. Pauschalaussagen kann man auch an dieser Stelle nicht treffen. Auffällig ist natürlich der Mainstreamtrend hin zum niedlichen, unschuldigen und hilfebedürftigen Mädchenlook. Interessant dabei ist vor allem, dass die Emanzipationswelle in China recht früh und Schlag auf Schlag durch den von Mao ze dong eingeführten Kommunismus eingetroffen ist. Völlig selbstverständlich wurden Frauen in allen Berufen eingesetzt und hatten nicht länger die Rolle der Hausfrau hinterm Herd inne. Seit der Öffnung Chinas und des damit einhergehenden enormen Wirtschaftswachstums, ist vor allem im östlichen Teil des Landes ein gewisser Wohlstand eingekehrt. Ganz dreiste Thesen werde ich hier wohl besser nicht anstellen, jedoch sind Zusammenhänge und mögliche Korrelationen in den Bereichen der Veränderung der Geschlechterrolle und der wirtschaftlichen Lage in China durchaus zu überdenken.

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Eine Busfahrt die ist lustig Maurice Gajan und Franziska Aschenbach

Da wo Weihnachten keine Rolle spielt, ist es ein Kampf das zu feiern was doch so sehr in uns ruht. Besinnliche Weihnachten mit lieben Menschen feiern, so bin ich sozialisiert. Als ich mich auf machte, um den Heiligen Abend gemeinsam mit meinen Mitfreiwilligen in Sanya, einem Ferienort auf der chinesischen Tropeninsel Hainan zu zelebrieren, hätte ich mir nicht träumen lassen, wie sehr ich mich an meine mentalen und körperlichen Grenzen bewegen würde. Alles begann in Jinhua, einer kleinen verregneten Stadt in der Nähe von Shanghai. Das Ticket war gekauft und ich saß pünktlich in der Wartehalle des Bahnhofs. Der Zug nach Guangzhou kam mit einer Stunde Verspätung am Bahnhof von Jinhua an. Derartige Kleinigkeiten ließen mich völlig kalt und würden mich in keinster Weise aus dem Gleichgewicht bringen. China hat mich gelehrt stets mein inneres Qi zu wahren. Die Zugfahrt war wie jede andere Zugfahrt in China. Mit 17 Stunden hard sleeper, bewegt man sich auf einer recht komfortablen Schiene. Ein wenig benommen verließ ich am Morgen des 22.12 um 9 Uhr den Zug. Menschenmassen trugen mich aus dem Bahnhofsgebäude. Ein weißer Dunsthimmel blendete mich. Um 11 Uhr war ich mit Maurice verabredet, bis dahin musste ich mir die Zeit irgendwie vertreiben. Ich ging auf die Suche nach einem gemütlichen Ort mit einer Steckdose für meinen Laptop. Nach zwei McDonald's und drei KFC’s erklärte mir ein netter Fastfoodkettenmitarbeiter den Weg zum nächsten Starbucks. Ich nahm die U-Bahn und betrat das nach perfektem Kaffee riechende und von Jazzmusik erfüllte Cafe. Hier ließ ich mich nieder. Leicht übermüdet entschied ich mich einen Film zu schauen. Ich wählte „Haschiko“ aus. Kai hatte mir diesen Film vor kurzem gegeben und ihn besonders empfohlen. Der Securitymann des Cafes durfte ab nun meine emotionalen Extreme mit ansehen. Zu Anfang lachte ich noch, ab der 2. Hälfte des Films rannen Tränen mein Gesicht herab. Die Tür öffnete sich und Maurice strahlte mich wie gewohnt an. Ich beruhigte mich von meiner Filmerfahrung und wir entschieden uns noch etwas essen zu gehen bevor wir den Zug nach Sanya am Nachmittag nehmen würden. Also Rucksack wieder auf den Rücken und los ging’s. Restaurants in dieser Gegend waren teuer und darum irrten wir ein wenig umher. Wir kauften uns eine Kleinigkeit auf der Straße und fuhren zum Bahnhof. Dort angekommen staunten wir nicht schlecht. Unser Zug nach Sanya blinkte auf der Wandtafel in roten Lettern. Dies bedeutete, wie wir beim Betreten des Bahnhofs bitter erfahren mussten, dass der Zug nicht fahren würde. Wir gingen in die Tickethalle, doch auch

hier konnte uns das überaus nette Personal nicht erklären, weshalb der Zug ausfiel. Einige weitere Opfer des ausgefallenen Zuges erfragten die Auskunft an einem Informationsschalters und wir erfuhren durch sie, dass anscheinend ein Taifun vor Hainan das Übersetzen des Zuges auf die Insel verhinderte. Die anderen, bereits sicher mit dem Flugzeug in Sanya angekommenen kulturweit-Freiwilligen konnten diese Tatsache jedoch nicht bestätigen und schwärmten uns vom unglaublich tollen Wetter auf der Insel vor, was unsere allgemeine Stimmung ungemein aufbaute. Nachdem also der Zug nach Sanya abgesagt worden war, hatten wir noch 2 Tage Zeit um rechtzeitig an Heilig Abend anzukommen. Mit größter Motivation liefen wir mit unserem Gepäck auf dem Rücken einen gesamten Tag durch Guangzhou. Es war windig und für tropische Verhältnisse viel zu kalt. Erst einmal Zugticket rückerstatten und nun hieß es einen Ort zu finden um im INTERNET einen billigen Flug zu buchen. Wer mal in China war hat eine vage Vorstellung wie abartig gestört es sein kann Internet zu finden. Nach fünf verschiedenen Fastfood-Ketten mit möglichem, letztlich aber nicht existentem Wifi und einer Stunde deprimierendem in-den-Straßen-durchfragen-und-in-alle-unmöglichen-Richtungen-geschickt-Werdens landeten wir in einer sogenannten WangBa. Hier zocken internetsüchtige Kettenraucher in dunklen Hinterhöfen Ballerspiele ohne zu schlafen. An diesem höchst dubiosen Ort wollten wir also ein Flugtickt finden. Klappen sollte es natürlich nicht weil Murpheys Gesetz längst seine Krallen ausgefahren hatte. Wir hatten schon einen preislich halbwegs akzeptablen Flug entdeckt, der uns noch am selben Abend nach Sanya bringen sollte, und auch schon alle relevanten Kreditkarten- und Passinformationen auf der chinesischen Internetseite eingegeben um das Flugticket zu erwerben. Doch beim Abschicken der Informationen hing sich das Programm plötzlich auf. Blieb nur zu hoffen, dass sich nun niemand einfach das Geld abgebucht hatte, denn um das zu überprüfen, hätten wir einen Email- oder Online-Banking-Account öffnen müssen, doch auch dazu war der Computer plötzlich nicht mehr fähig. Es war wie immer, nach einer bestimmten Dauer an frustrierenden Versuchen das Internet zu nutzen, gibt man meistens einfach völlig erschöpft auf, weil man erkennt, dass jeder weitere Versuch einem lediglich den Verstand rauben wird. Zum Abschied aus der Internethölle begann noch einmal der völlig wahnsinnig gewordene Mann in der Ecke hysterisch an zu lachen, während er auf dem Bildschirm Menschen ab metzelte.

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Wir kämpften uns mit schmerzenden Rücken und zerstörten Seelen durch die Stadt zu Sandra. Hier durften wir übernachten, aber zuerst mussten wir auf eine Schulfeier, die natürlich am anderen Ende von Guangzhou, irgendwo am Stadtrand stattfand. Völlig betrunkene Chinesen tanzten und sangen auf einer Bühne. Männer mit Reisschnaps kamen auf uns zu und plötzlich saßen wir an einem Tisch mit riesigen Knochenbergen. Das Essen gab uns ein wenig Energie zurück, welche uns über den Tag hinweg gestohlen worden war. Ich konnte es kaum abwarten meinen mir immer schwerer erscheinenden Rucksack wieder aufzusetzen, um zu Sandra in die Wohnung zu gehen. Die Nacht war kurz auf der Campingliege, denn wir planten unser Zugticket am nächsten Tag zu kaufen, um dann gemeinsam mit Sandra am Sonntag, den 23. Dezember loszufahren. Der Wecker klingelte und wir eilten zum Ticketoffice. Murphey war mal wieder schneller. Nicht einmal ein Stehticket wollten sie uns geben. Flüge waren mittlerweile zu teuer und die überaus informierte Ticketverkäuferin meinte zu allem Überdruss auch noch, dass der Zug heute wieder ausfallen würde (zumindest verstanden wir das so). Maurice, Sandra (die ja jetzt -trotz gültigem Zugticket- ebenfalls nicht wusste, ob sie es bis nach Sanya schaffen würde) und ich schauten uns in die Augen und ein letzter Funke Kampfgeist erstrahlte. So, jetzt ruhig Blut, letzte Reserven bündeln und einen Plan erstellen. Welche Optionen hatten wir überhaupt noch? Wir könnten uns Waffen besorgen, ein Schiff kapern und selber nach Sanya fahren. Andererseits könnten wir auch ein Busticket kaufen, vorausgesetzt es gibt Busse nach Sanya. Aber zuerst einmal zum Bahnhof und sich informieren, ob der Zug jetzt fährt oder nicht. Zu unserem Erstaunen war die Anzeige am Bahnhof diesmal grün, aber wir fragten -sicher ist sicher- lieber noch einmal nach. Zwar konnten uns die Bahnmitarbeiter auch keine genaue Auskunft geben, doch eine Putzfrau die neben dem Schalter stand versicherte uns, dass der Zug fahren würde. Erleichert, dass wenigstens einer von uns dreien nach Sanya gelangen würde (sofern man unserer, seit langer Zeit einzigen kompetenten Informantin trauen konnte), versuchten wir ein letztes Mal ein Zugticket zu erstehen. Doch auch diesmal hieß es wieder: 没有, 都卖完了(Gibt's nicht mehr, alles schon ausverkauft). Glücklicherweise tauchte alsbald ein Mann auf, der uns zeigen wollte wie wir mit dem Bus nach Hainan kommen würden. Da dies sowieso unsere nächste Option gewesen wäre, folgten wir mit all unserem Gepäck dem Mann aus dem Bahnhof hinaus, über den großen Vorplatz und mitten über eine sechsspurige Straße in einen dubiosen Hinterhof in dem sich in einer schmuddeligen Garage so etwas wie der Hauptsitz eines Busunternehmens befand. Das an der Wand hängende Bild des Großen Vorsitzenden Mao Ze Dong wärmte zwar unser Herz und gab uns abermals unsere Hoffnung und unseren

Kampfgeist zurück (denn wie einst Genosse Mao auf dem langen Marsch, waren wir um keinen Preis gewillt aufzugeben!), doch die Tatsache das die Busse nur bis Haikou und nicht bis nach Sanya fahren würden und auch die nicht existente Seriosität der vielleicht gerade eben erst wegen uns gegründeten Busfahrtgesellschaft, führten dazu, dass wir dankend ablehnten und uns schnellstmöglichst aus dem Staub machten. Ab zum richtigen Busbahnhof! Und siehe da, die Tickets waren gekauft. Es gab leider nur noch 2 Tickets und so musste Sandra gezwungener Maßen doch alleine mit ihrem höchst bequemen hard-seater-Ticket 15 Stunden alleine mit dem Zug durch China fahren. Maurice und ich durften zusammen fahren, allerdings war uns nicht klar auf was wir uns hier eingelassen hatten. Es war 15.30 Uhr und wir krochen in den Bus. In dreier Doppelstockreihen lag ein Labyrinth aus Betten vor uns. Ein 40*160cm Bett aus einem Holzbrett mit Kunstlederbezug erwartete uns. Nachdem wir zuerst mit unserem ganzen Gepäck ans hintere Ende des Busses geschickt worden waren, und dann sehr freundlich darauf hingewiesen wurden, dass sich die Betten 33 und 34 doch nicht neben den Betten 31 und 32, sondern ganz vorne hinter dem Fahrer befinden und wir mit all unseren Sachen wieder vorbei an schwitzenden Menschen nach vorne gekrochen waren, fuhr der Bus ratternd los. Unsere Erleichterung, jetzt doch endlich einen Weg gefunden zu haben, um nach Sanya zu kommen, hielt nicht allzu lange an. Ein Blubbern aus der Fahrererrichtung verwirrte uns… wir sahen hin und mussten mit Entsetzen feststellen, dass der Fahrer aus einer selbstgebastelten Bong, die höchst originell aus einem Bambusrohr und einer rostigen Bierdose bestand, kiffte. Seine 2 Kumpels lachten und nahmen auch einen Zug. Nach mehreren lebensgefährlichen Überholmanövern mit LKWs die selbstverständlich ungesichert riesige Betonrohre oder Stahlträger transportierten, einigen dubiosen Rasten und einem Halt auf einem Schlachthof mit jaulenden Hunden um circa 22 Uhr, wo Gepäck in den ohnehin schon überfüllten Bus eingeladen wurde, um im Gepäckraum Platz für nach gammligen Fleisch stinkende Kisten zu schaffen, fielen wir gegen Mitternacht in einen kurzen unruhigen Schlaf.

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Um 01.30Uhr bremste der Bus plötzlich. Das Licht ging an. Der Fahrer schrie aggressiv in den Bus hinein. Alle rannten nach draußen, das Gepäck mussten wir im Bus lassen. Wir wurden gezwungen uns in Zweier-Reihen aufzustellen. Es war eisig kalt. Links neben mir war das Meer. Uns wurden Tickets in die Hand gedrückt. Schreiend neben uns herlaufend wurden wir vom Busfahrer in eine Halle mit grellem Licht getrieben. Hier wurde uns klar, dass wir in Haian angekommen sein mussten. Von dieser Stadt am südlichsten Zipfel Guangdongs aus fahren die meisten Fähren hinüber nach Haikou, der Hauptstadt der Inselprovinz Hainan. Und auf solch ein Schiff warteten wir nun gemeinsam mit circa 300 anderen Leuten, die ebenfalls mitten in der kalten und windigen Nacht mit dem Schiff nach Haikou wollten. Nach 10 Minuten brach das totale Chaos aus, alle stürmten auf den Ausgang zu. Mal wieder wurden wir zwischen den Menschenmassen eingezwängt. Draußen angekommen rannten die Leute auf das große Schiff zu, wo wir abermals in eine Halle geschickt wurden. Lautsprecher mit ohrenbetäubendem Informationsgewirr und viel zu hellem Licht machten die Situation völlig übertrieben absurd. Da wir jetzt -dank unseres wirklich unglaublich netten Busfahrers, der uns ach so liebevoll aufgeweckt hatte- ohnehin schon wach waren, gingen wir nach draußen an die Reling, wo wir uns um kurz nach 2 Uhr nachts ein Bier genehmigten um auf die Tatsache anzustoßen, dass wir trotz allem immer noch am Leben waren. Nach 2 Stunden Fahrt gingen die Motoren aus und das Schiff blieb in Sichtweite vor Haikou auf dem Wasser treiben. Dies schien niemanden zu stören, denn fast alle anderen Passagiere guckten einen Film, der in der Halle gezeigt wurde. Völlig übermüdet gingen wir ebenfalls in die laute Halle und kauerten uns auf eine Metallbank, wo uns nach ungefähr 3 Sekunden ein Komaschlaf übermannte. Schlagartig wurden wir wach und niemand war mehr da, die große Halle war plötzlich menschenleer. Ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken rannten wir nach unten in den riesigen Frachtraum, wo die vielen LKWs und

Busse gerade dabei waren anzufahren. Seitlich zwangen wir uns zwischen den riesigen Fahrzeugen hindurch und inhalierten ungewollt deren Abgase. In Panik, dass die anderen Fahrgäste schon im Bus waren und ohne uns, aber mit unserem Gepäck, losfahren wurden, zwängten wir uns zwischen den sich bewegenden LKWs hindurch ins Freie. Wir schafften es die Rampe hinunter bis an Land ohne von irgendjemandem überfahren oder zerquetscht zu werden. Dort standen auch unsere lieben Mitreisenden, die selbstverständlich niemals ohne uns das Schiff verlassen hätten. Erneut wurden wir vom Busfahrer zurück in den Bus kommandiert. Froh und erleichtert fielen wir abermals in einen komahaften Schlaf und erwachten am nächsten Morgen gegen neun Uhr, als der Bus über eine Landstraße in Hainan bretterte. Anscheinend hatten sich der Bus nun in einen ganz normalen Linienbus verwandelt und hielt standig in irgendwelchen Dörfern, um die verschiedensten Leute mitzunehmen, was die Tatsache erklärt, dass wir für die circa 300 Kilometer von Haikou nach Sanya fünfeinhalb Stunden brauchten. Den Busfahrer schien das indes nicht zu stören, denn er unterhielt sich sehr angeregt mit einem Mann aus Jiangxi, der jahrelang in Yunnan gelebt hatte und nun Tabakwaren in Sanya verkaufen wollte. Gemeinsam probierten sie ein paar Tabaksorten mit der Bong des Busfahrers. Insbesondere der Tabak mit Papaya-Geschmack schien ihm gut zu schmecken. Nach fast 19 Stunden voller Angst, Pein und Qual kamen wir endlich am 24. Dezember 2012 um 10.30 Uhr vormittags in Sanya an. Endlich! Wir hatten überlebt! Am Ende unserer Kräfte konnten wir uns weder gebührend von unserem Busfahrer verabschieden, noch unser Glück schließlich doch noch angekommen zu sein, wirklich realisieren. Aber wir hatten es geschafft, wir waren in Sanya! Allah der Allmächtige und der Große Vorsitzende Mao Ze Dong hatten es uns ermöglicht wider alle bösen Machte, doch noch das große Fest der Christenheit gemeinsam mit unseren Mitfreiwilligen in Sanya zu zelebrieren!

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