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ORIGINALARBEIT 1 3 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 Prof. Dr. S. O. Hoffmann () Sierichstr. 175, 22299 Hamburg, Deutschland E-Mail: [email protected] Forum Psychoanal DOI 10.1007/s00451-014-0183-2 Manualorientierte psychodynamische Therapie Methodische Einführung, Diskussion und Beispiele am Modell der Angststörungen Sven Olaf Hoffmann Zusammenfassung Therapiemanuale stammen aus der Forschung. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Varianz in der Anwendungspraxis eines bestimmten Therapieverfahrens überraschend hoch war, wuchs das Anliegen, zumindest im Rahmen der Forschung von einer besseren Vergleichbarkeit auszugehen. So ent- standen so genannte Manuale, in denen festgehalten wurde, was der Behandler tut oder tun soll, will er die Therapie anwenden, die er anzuwenden meint. Als deutlich wurde, dass nicht alle Behandler sich auch an das halten, was in den Manualen vorgegeben wird, wurde ein nächster Schritt erforderlich: die Überprüfung der Ma- nualtreue („treatment fidelity“, „manual adherence“). Um diese zu erfassen, raten neutrale Beobachter anhand von (früher) Tonbändern oder (heute) Videoaufnah- men, in welchem Ausmaß die Therapie im Sinne der Vorgabe verläuft. Manualtreue lässt sich naturgemäß am einfachsten raten, je konkreter die Behandlungsvorgaben ausformuliert sind (Manualschärfe). Es gibt also bei den Behandlungsvorgaben unterschiedliche Grade der Verbindlichkeit, und es gibt unterschiedliche Grade der Genauigkeit, mit der sie innerhalb bestimmter Behandlungssituationen umgesetzt werden. Anliegen dieses Beitrags ist es, zum Transfer in der Forschung gewonne- ner Ergebnisse in die Praxis beizutragen. Dazu werden Beispiele für die Therapie verschiedener Angsttypen ausgeführt. Erstmalig in deutscher Sprache wird das so genannte Vereinheitlichte Psychodynamische Therapieprotokoll für Angststörungen [VPP-Angst; Leichsenring und Salzer, Psychotherapy 51:224–245 (Advance on- line public. 10.1037/a0033815), 2013] vorgestellt. Die Besonderheit dieses Manuals liegt darin, dass seine einzelnen Schritte sich bei empirischer Prüfung als wirksam erwiesen haben. Alle vorgestellten Manuale dieses Beitrags basieren auf den von Luborsky (1984) eingeführten Principles of Psychoanalytic Psychotherapy.

Manualorientierte psychodynamische Therapie; Manual-oriented psychodynamic therapy;

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Originalarbeit

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© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

Prof. Dr. S. O. Hoffmann ()Sierichstr. 175,22299 Hamburg, DeutschlandE-Mail: [email protected]

Forum PsychoanalDOI 10.1007/s00451-014-0183-2

Manualorientierte psychodynamische TherapieMethodische Einführung, Diskussion und Beispiele am Modell der Angststörungen

Sven Olaf Hoffmann

Zusammenfassung Therapiemanuale stammen aus der Forschung. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass die Varianz in der Anwendungspraxis eines bestimmten Therapieverfahrens überraschend hoch war, wuchs das Anliegen, zumindest im Rahmen der Forschung von einer besseren Vergleichbarkeit auszugehen. So ent-standen so genannte Manuale, in denen festgehalten wurde, was der Behandler tut oder tun soll, will er die Therapie anwenden, die er anzuwenden meint. Als deutlich wurde, dass nicht alle Behandler sich auch an das halten, was in den Manualen vorgegeben wird, wurde ein nächster Schritt erforderlich: die Überprüfung der Ma-nualtreue („treatment fidelity“, „manual adherence“). Um diese zu erfassen, raten neutrale Beobachter anhand von (früher) Tonbändern oder (heute) Videoaufnah-men, in welchem Ausmaß die Therapie im Sinne der Vorgabe verläuft. Manualtreue lässt sich naturgemäß am einfachsten raten, je konkreter die Behandlungsvorgaben ausformuliert sind (Manualschärfe). Es gibt also bei den Behandlungsvorgaben unterschiedliche Grade der Verbindlichkeit, und es gibt unterschiedliche Grade der Genauigkeit, mit der sie innerhalb bestimmter Behandlungssituationen umgesetzt werden. Anliegen dieses Beitrags ist es, zum Transfer in der Forschung gewonne-ner Ergebnisse in die Praxis beizutragen. Dazu werden Beispiele für die Therapie verschiedener Angsttypen ausgeführt. Erstmalig in deutscher Sprache wird das so genannte Vereinheitlichte Psychodynamische Therapieprotokoll für Angststörungen [VPP-Angst; Leichsenring und Salzer, Psychotherapy 51:224–245 (Advance on-line public. 10.1037/a0033815), 2013] vorgestellt. Die Besonderheit dieses Manuals liegt darin, dass seine einzelnen Schritte sich bei empirischer Prüfung als wirksam erwiesen haben. Alle vorgestellten Manuale dieses Beitrags basieren auf den von Luborsky (1984) eingeführten Principles of Psychoanalytic Psychotherapy.

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Schlüsselwörter Therapiemanuale · Kurzzeittherapie · Psychodynamische Therapie · Wirksamkeitsbelege (PDT)

Manual-oriented psychodynamic therapyMethodological introduction, discussion and examples on the model of anxiety disorders

Abstract Therapy manuals have their origins in research. After it came to light that the variance in the practical application of a defined therapeutic procedure was surprisingly high, there was growing concern to form the basis of better com-parability, at least for research purposes. In order to achieve this so-called manu-als were constructed in which it was laid down what a practitioner does or what should be done when the therapy is to be applied which is meant to be applied. When it became clear that not all practitioners adhered even to that which was laid down in the manual, a further step became necessary: checking the treatment fidelity (adherence to the manual). In order to collate this, neutral observers assess from tape recordings (previously) or video tapes (presently) to what extent the therapy proceeds in accordance with the guidelines. Treatment fidelity can by defi-nition be assessed most easily when the treatment rules are more precisely defined (manual precision). Therefore, treatment guidelines can have different grades of commitment and different degrees of precision with which they can be implemented within certain treatment situations. The concern of this article is to contribute to the transfer of results obtained in research to their practical implementation. For this purpose examples for the therapy of various anxiety disorders are presented. The so-called unified protocol for the transdiagnostic psychodynamic treatment of anxiety disorders (Leichsenring und Salzer, Psychotherapy 51:224–245, advance online public. 10.1037/a0033815, 2013) is presented for the first time in the Ger-man language. The remarkable feature of this manual is that the individual steps have been proven to be effective by empirical testing. All manuals presented in this article are based on the Principles of Psychoanalytic Psychotherapy established by Luborsky in 1984.

Keywords Psychotherapy manuals · Psychotherapy efficacy (PDT) · Shortterm psychotherapy · psychodynamic psychotherapy

Herkunft der Manuale und ihre Diskussion

Forschungstaugliche Behandlungsrichtlinien (Manuale) sind ziemlich anspruchs-volle Instrumente, deren Einsatz von Praktikern der Psychotherapie insgesamt gescheut wird. Es ist unbefriedigend, sich etwas vorschreiben zu lassen, wenn man eigentlich schon weiß, was richtig ist. Vonseiten der Psychoanalytiker waren und sind die Einwände grundsätzlicher. Die große Mehrheit hielt psychodynamische Prinzi-pien für kaum oder gar nicht manualisierbar. Doch auch die zahlreichen Lehrbücher der Psychoanalyse versuchen zu vereinheitlichen. Einen Übergang zu den Manualen stellen bereits die zwei Bände des Lehrbuchs der psychoanalytischen Therapie von

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Thomä und Kächele (1986, 1988) dar, die sehr viel konkreter als andere das eigene therapeutische Tun der Autoren sichtbar gemacht haben. Dies gilt natürlich beson-ders für den Praxisband, in dem „Nichtforscher“ erstmals Einsicht in Ausschnitte von aufgenommenen und transskribierten Stundenprotokollen erhielten, was eine neue Qualität gegenüber den natürlich hochselektiven „Fallvignetten“ darstellte (Thomä und Kächele 1988).

Die vorrangigen Bedenken gegenüber Therapiemanualen gelten wohl der feh-lenden Individualisierung der Therapie. Das ist eine zutreffende und zugleich eine nichtzutreffende Sorge. Jede Form der Strukturierung der Behandlung reduziert ohne Frage die möglichen Freiheitsgrade in der Therapie. Auf der einen Seite ist vor allem die psychodynamische Kurztherapie (PDKT) durchgängig hochstrukturiert, muss es sein, wenn die Behandlung nicht fehlschlagen soll. Auf der anderen Seite sind in den Manualen natürlich auch Freiheitsgrade enthalten, die in Teilen echte Individuali-sierung erlauben und erlauben sollen. Eine Schematisierung, die sich auch auf die persönlichen Inhalte des Patienten bezöge, wäre immer unerwünscht. Strukturiert ist die Form der Behandlung, zum Beispiel als konkrete Empfehlungen an den Thera-peuten, mit seinen Interventionen einer bestimmten Linie zu folgen, oder auch zur Ausführung der Zeitstruktur der Behandlung. Die stärkste Form der Direktive, die Individualität berührenden Anweisungen oder Ratschläge, entfällt in gleicher Weise wie bei allen von der Psychoanalyse abgeleiteten Verfahren. Das gilt auch noch für die stützenden Therapien. Stattdessen ist das Ziel der therapeutischen Aktivität, dem Patienten zu helfen, seine sehr persönliche Lösung zu finden.

Es gibt allerdings auch so etwas wie eine unzutreffende Idealisierung der Indivi-dualität. In der klassischen Form der Psychoanalyse ist durchaus nicht ausnahmslos die jeweils einmalige Persönlichkeit das Zentrum der Behandlung, sondern es werden ebenso inhaltliche und formale Ideologien sowie zahlreiche Klischees mitgeschleppt. Kritisch wurde vom ideologischen „Prokrustes-Bett“ der Therapie gesprochen. Man-ches hat sich sicher geändert, manches jedoch auch nicht.

Es gibt weitere, sachlich gut begründbare Bedenken gegen die unmittelbare Umsetzung von Studienmanualen in der Praxis. Eines gilt der hohen Selektion der Patientenstichproben für Forschungsanliegen. Zu Recht ist darauf hingewiesen wor-den, dass diese kaum der Zusammensetzung der Klientel in den psychotherapeu-tischen Praxen entsprächen. Das trifft zu, ist aber kein grundsätzliches Argument gegen das Anliegen, in der Praxis „mehr geprüfte Psychotherapie“ eingesetzt sehen zu wollen. Meine nachdrückliche Ansicht ist, dass, wenn mehr Ergebnisse des in Kurzzeitpsychotherapien als wirksam erwiesenen Behandlungsvorgehens auch Ein-gang in die mittelfristige Psychotherapie (wie sie in den Praxen überwiegt) fänden, den Patienten insgesamt mehr genützt würde.

Eines der ersten Ergebnisse bezüglich der Dokumentation des therapeutischen Vorgehens war, dass jene Behandler insgesamt bessere Ergebnisse aufwiesen, die sich an Manualen orientierten (zum Beispiel Anderson und Lambert 1995), sowie innerhalb dieser Gruppe diejenigen, die sich enger an die Behandlungsrichtlinie des Manuals gehalten hatten, deren Manualtreue also höher war. Schon vorher hatte Luborsky (1985) belegt, dass Manualtreue einer der Wirkfaktoren ist, der sich in jeder Therapieform positiv auf die Effekte auswirkt. In der deutschen Fassung seines Manuals für das „Supportive-Expressive Treatment“ hat Luborsky (1984, dt. 1999)

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die Prinzipien einer für die Forschung verwendbaren Manualisierung dargestellt. Drei Bedingungen sind für ihn die Basisanforderungen an ein Manual.

1. Die Behandlungsanleitungen sollten so vollständig ausgearbeitet sein, wie es die Therapieart zulässt, und die wesentlichen Behandlungstechniken enthalten, die die Therapie bestimmen.

2. Das Manual sollte die Behandlungsprinzipien verdeutlichen und dem Thera-peuten Handlungsanweisungen geben. Das wird am besten erreicht, indem jede Behandlungstechnik so konkret wie möglich dargestellt und durch Fallbeispiele veranschaulicht wird.

3. Dem Manual sollten Beurteilungsskalen für die Manualtreue angegliedert werden.

Ein letzter Beleg für die Bedeutung der Manualtreue in der Forschungspraxis: Bei einer aufwendigen aktuellen Studie zur Behandlung sozialer Ängste (Social Pho-bia Psychotherapy Research Network, SOPHO-NET; Leichsenring et al. 2013), der weltweit größten überhaupt, – sie verglich psychodynamische Therapie (PDT) und „cognitive behaviour therapy“ (CBT) mit randomisierter Zuweisung – erbrachte das Gesamtergebnis gute Wirksamkeit beider Verfahren (von Kritikern eher unerwartet). Bezüglich zweier Zielkriterien lag die CBT jedoch vor der PDT. Die Detailanalyse des Ergebnisses machte deutlich, dass die „großzügigere“ Beachtung des Manuals (geringere „adherence“) durch die psychodynamischen Therapeuten entscheidend zu dieser negativen Differenz beitrug. Die Fälle nämlich, die nach einem erneuten Manualtraining behandelt wurden, waren hinsichtlich aller Zielkriterien der CBT gleichwertig (Leichsenring, mündliche Mitteilung).

Validierungsergebnisse für psychodynamische (Kurz-)Therapie

Psychodynamische Therapie wird seit etwa 20 Jahren zunehmend in der Form von randomisierten und kontrollierten Behandlungen („randomized controlled trial“, RCT) und ebenfalls weit überwiegend als psychodynamische Kurztherapie (PDKT) im Rahmen von Studien validiert. Manualisierung der zu untersuchenden Thera-pieform(en) ist heute bei RCT-Studien eine Voraussetzung für Anträge auf For-schungsförderung. Für die Manuale heißt dies, dass sie mehrheitlich als solche für eine PDKT entworfen wurden. Aber schon der Verfasser eines der ersten Manuale für die PDT, Lester Luborsky (1984, dt. 1999), entwarf dieses explizit für kurzfris-tige und langfristige („open ended“) Behandlungen. Dass Luborskys „Supportive-expressive Therapy“ (SET) dennoch zur meistgeprüften Therapieform einer PDKT wurde (Leichsenring und Leibing 2007), hat praktische Gründe. Zeitbegrenzte kurze Therapieformen sind aus naheliegenden Gründen erheblich einfacher zu prüfen als längerfristige Therapieformen. Der Verfasser dieses Beitrags hat seine eigene Ein-führung in die manualisierte PDT von Angststörungen dementsprechend auch auf kurze und mittelfristige Behandlungen bezogen (Hoffmann 2008). Die erfolgreiche Validierung kurzfristiger Verfahren kann mit Berechtigung auch für die mittelfris-

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tige PDT bis etwa 100 Sitzungen1 gelten, soweit diese vergleichbaren manualisierten Leitlinien folgt.

Der Stand der empirischen Überprüfung von PDT im Allgemeinen und PDT von Angststörungen im Besonderen hat sich in den vergangenen 15 Jahren sprunghaft verbessert. Speziell für diese Symptomgruppe ist die aktuelle Metaanalyse von Keefe et al. (2014) von Bedeutung. Im deutschen Schrifttum ist die allgemeine Übersicht zur PDT von Leichsenring (2002) zugänglich. Die Cochrane-Übersicht von Abbass et al. (2006) kommt auf der Basis von 23 RCT-Studien auf eine mittlere Effektstärke von 0,97 und in der Katamnese auf 1,51. Das sind gute Werte, die den Vergleich mit Psychopharmaka nicht zu scheuen brauchen und nach Beendigung der Therapie im Vergleich sogar hoch überlegen sind (Wiborg und Dahl 1996). Shedler (2010; 2011) kommt auf ähnliche Werte, wobei er noch die Benachteiligung der PDT in den Direktvergleichen – meist mit der CBT – sorgfältig belegt, weil die besonderen Ziel-Qualitäten der PDT (etwa die innere Fortführung der Therapie nach Beendigung) dabei nur unzureichend gewürdigt würden. Weitere, nicht direkt auf Angststörungen bezogene Metaanalysen zu PDT stammen von Leichsenring und Leibing (2003; Per-sönlichkeitsstörungen), Abbass et al. (2006) und Leichsenring et al. (2004) – beide zu verschiedenen psychiatrischen Störungen –, sowie Abbass et al. (2009) zu somati-schen Störungen. Alle Übersichten belegen eine befriedigende Wirksamkeit der PDT.

Störungsorientierte Therapie ist nicht das traditionelle Anliegen der PDT, noch weniger das der Psychoanalyse. Luborsky hatte aber bereits vor 40 Jahren begonnen, seine SET gezielt, auf Leitsymptome fokussiert, einzusetzen. Störungsorientierung in der Behandlung hat heute aus drei Gründen Gewicht: 1. Unberechtigt ist eine Gering-schätzung der Symptombedeutung innerhalb der Therapie aus der Psychoanalyse in die PDT eingewandert. Ein stärkeres Interesse an dem, was der Patient von seinen Symptomen in seinen Interaktionen „lebt“, was er über sie mitteilt oder einfach zu seinen Symptomen sagt – auch und gerade, wenn er das oft und „nervig“ tut –, könnte die Qualität der Therapie verbessern. Hierfür gibt es gute Hinweise. 2. Eine nennens-werte Gruppe unter den Patienten erwartet mit vollem Recht von der Psychotherapie vorrangig die Reduzierung der Leitsymptome. Es ist fragwürdig, diese Erwartung einfach zu übergehen. 3. Schließlich macht auch die eher sinkende als steigende Bereitschaft der Krankenkassen zur Kostenübernahme für längere Behandlungen in der Praxis eine Begrenzung der Therapieziele erforderlich. Das Interesse einer Prü-fung der PDT in symptomorientierten Therapiestudien ist also mehrfach berechtigt.

Milrod et al. (1997) veröffentlichten ein Manual zur „Panik-fokussierten Psycho-dynamischen Psychotherapie“. Vermittels PDKT behandelte Patienten (24 Sitzun-gen) mit einer Panikstörung nach dem DSM-IV2 erwiesen sich in einer Vorstudie (Milrod et al. 2000) und in einer RCT-Hauptstudie (Milrod et al. 2007) als befrie-digend behandelt. Die Effektstärke lag bei 0,95, was für Psychotherapie gut ist. Der verstorbene Therapieforscher Grawe (persönliche Mitteilung) hatte eine Effektstärke

1 In der kassenfinanzierten tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie (TFP) hat sich der Begriff der „Langzeittherapie“ (LZT) für dieses Verfahren von maximal 100 (120) Sitzungen eingebürgert, um es von der „Kurzzeittherapie“ (KZT; 25 Sitzungen) abzugrenzen. Verglichen mit der Psychoanalyse wer-den Behandlungen zwischen 25 und 100 Sitzungen jedoch besser als mittelfristige bezeichnet (Hoffmann 2012).2 Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, vierte Ausgabe.

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über 0,8 als hoch angesehen. Für die generalisierte Angststörung (GA) veröffent-lichten Leichsenring et al. ebenfalls ein Manual zur PDT der GA (Leichsenring et al. 2005). In ihrer RCT-Studie erwies sich der Therapieerfolg mit dem von CBT ver-gleichbar (Leichsenring et al. 2009), in der Katamnese-Studie blieb der Effekt für das Hauptkriterium in beiden Gruppen stark und stabil, hinsichtlich Sorgen und „Trait“-Angst war die CBT jedoch überlegen (Salzer et al. 2011).

Für die Behandlung sozialer Ängste – in der Bevölkerung neben „major depres-sion“ und Alkoholabhängigkeit die häufigste Störung überhaupt – stellte hinsicht-lich der Wirksamkeit von PDKT (30 Sitzungen) die Studie von Leichsenring et al. (2013) einen Durchbruch dar. Die Ergebnisse wurden im Zusammenhang mit der „Manualtreue“ schon erwähnt. Diese deutsche Multizenterstudie verglich die Erfolge der PDT (n = 207), der CBT (n = 209) und einer Gruppe auf der Warteliste (n = 79). Eine Studie dieser Größenordnung und damit Validität der Ergebnisse gab es zuvor nicht; das Manual wurde separat veröffentlicht (Leichsenring et al. 2007). Bei The-rapieende lagen PDT und CBT signifikant über den Werten der Unbehandelten, die CBT in zwei Zielkriterien geringfügig besser. Zwei Jahre nach Therapieende – eine solche Katamnesedauer ist in der Literatur zur RCT neu – gab es keine Unterschiede mehr zwischen den Therapieformen; die Response beider Verfahren war weiter ange-stiegen (Leichsenring et al. 2014). Auch hier zeigte sich, dass die Langzeitwirkung von psychodynamischen Verfahren oft noch besser ist als direkt bei Abschluss der Therapie (s. oben; Abbass et al. 2006). Das heißt, Therapeuten sind dann am erfolg-reichsten, wenn sie anhand des Manuals das umsetzen, was sich schon als wirksam erwiesen hat. Es gibt demnach valide empirische Belege, dass die PDT sich für die Behandlung unterschiedlicher Angststörungen gut eignet.

Manualbeispiele für die Praxis der Therapie von Angststörungen

Als konkretes Beispiel eines Therapiemanuals für Angststörungen soll hier – stark gekürzt – die Version von Hoffmann (2012) vorgestellt werden. Er unterscheidet all-gemeine und spezielle Therapieziele und Interventionsformen.

Allgemeine Therapieziele bei Angstpatienten

Ich-Stärkung zur Verbesserung der Angstbewältigung

Das Auftreten von Angst als Symptom einer psychischen Störung bedeutet immer, dass die Abwehr derartiger emotionaler Entgleisungen nur unzureichend oder über-haupt nicht mehr funktioniert. Abwehrleistungen sind definitionsgemäß Leistungen des von der Psychoanalyse (damit der PDT) als Ich bezeichneten Anteils der Persön-lichkeit. Jede Stützung des Ichs von außen, jede genuine Stärkung des Ichs, jede Verbesserung seiner allgemeinen Leistungen und jede Erhöhung seines Funktions-niveaus werden immer zugleich in Richtung einer verbesserten Angstbewältigung wirken.

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Verinnerlichung eines steuerndes Objekts („gyroskopische Funktion“ nach König 1981)

Angst entsteht auf dem Boden von innerer Orientierungslosigkeit, und Angst verur-sacht selbst Orientierungslosigkeit. Sicherheitsgebende „Übergangsobjekte“ finden sich in den Selbstheilungsversuchen der Angstpatienten, und zugleich sind sie wirk-same Komponenten der Psychotherapie. Am bekanntesten ist die sog. Identifizierung mit dem Therapeuten. Dieser Begriff steht für die angebotene und „erlaubte“ Ver-innerlichung der angstfreien Haltung des Therapeuten und seiner Empfehlungen in Bezug auf die für den Patienten so angstmachenden und „gefährlichen“ Situationen und Inhalte.

Klärung der angstauslösenden unbewussten Assoziationen

Es geht dabei um ein möglichst weitgehendes Verständnis des Angstauslösers und seiner assoziativen Verbindungen. Das entspricht den Fragen: Was löst die Ängste des Patienten aus? Was unterhält und verstärkt sie? Welches sind die unbewussten weitergehenden Befürchtungen? Welche irrationalen inneren „Kettenreaktionen“ entstehen im Patienten?

Klärung der angstverursachenden Konflikte und Defizite

Hiermit sind die hinter den Ängsten stehenden psychodynamischen Konstrukte gemeint. Klassischerweise sind es innere Konflikte zwischen unbewussten Wün-schen und Verboten und zwischen einander widerstrebenden Emotionen. Die zweite Bedingung stellen Strukturdefizite und -schwächen dar. Diese bedeuten eine angst-fördernde und -erhaltende Grundbedingung per se und können auch bei sog. struk-turellen Einbrüchen (durch ein Versagen der Angstabwehr) selbst Ursache von Angsterscheinungen sein. Waelder (1963) hat diese komplexen Zusammenhänge mit drei in der Therapie unverändert aktuellen Leitfragen umrissen: Wovor hat der Patient Angst? Wenn er Angst hat, was macht er dann? Was sind die unbewussten Wünsche des Patienten?

Förderung der Entwicklung alternativer Lösungsstrategien im Umgang mit den inneren und äußeren Konflikten

Angstpatienten sind, wie viele Menschen mit neurotischen Störungen, durch die Ängste eingeengt und psychisch wenig beweglich. Sie haben sich in ihre Ängste und die Befürchtung von deren Wiederkehr „eingesponnen“. Indem man ihnen bei der Erweiterung ihres Repertoires des Umgangs mit spannungsreichen emotionalen Situationen hilft, eröffnet man ihnen (nicht selten erstmals) Alternativen zu einem ausschließlich vom Streben nach Angstvermeidung bestimmten Umgang mit sich selbst.

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Schaffung eines „subjektiven Sinngefüges“, das bedeutet letztlich eine Revision des Selbstkonzeptes

Es war immer ein Anliegen psychodynamischer Therapieformen, dem Patienten bei der „Sinnsuche“, bei seiner Frage nach dem Warum der Störung hilfreich zu sein. Das bedeutet, dass der Mensch sich nach dem Ende der Behandlung – stärker oder weni-ger ausgeprägt – anders sehen wird als zuvor. Diese veränderte Selbstsicht reduziert dann ihrerseits die Wahrscheinlichkeit des (Wieder-)Auftretens von Ängsten, weil sie auf die angstauslösenden Ursachen zurückwirkt.

Allgemeine Interventionsformen bei Angstpatienten (symptombezogene Ebene)

Aufklärung des Patienten über die Art seiner Störung und die vorgesehene Therapie

Dieses Element ist bei allen Erscheinungsformen der Behandlung von Ängsten gleich, und es ist essenzieller Bestandteil jeder Form von Kurzpsychotherapie. Ein Großteil dessen, was in der Therapie an Erfolg möglich ist, hängt davon ab, wie der Behandler sich in den Vorgesprächen verhält. Dabei geht es einerseits um eine emo-tionale „Passung“ beider Partner, ohne die PDT nicht möglich ist. In gleicher Weise ist es aber wichtig, dass der Patient ein ihm verständliches Rational der Therapie ver-mittelt bekommt. Der Patient muss sich jederzeit in der Therapie orientieren können (Luborsky). Es geht darum, dass der Patient vor der eigentlichen Behandlung gründ-lich über die Art und den Krankheitswert seiner Störung, Behandlungsbedürftigkeit, Behandlungsprinzipien, Therapieprobleme und Therapieaussichten informiert wird. Der Patient wird als Erwachsener angesprochen und erhält einen Bezugsrahmen ver-mittelt, an dem er sich orientieren kann.

Aufforderung zur selbstgesteuerten Angstkonfrontation bei allen Phobien

Freud (1919) hatte bereits begriffen, dass Angstpatienten unter dem Druck der Angst-vermeidung um jeden Preis stehen und daher in der Therapie zur Auslassung aller Punkte, die ihnen erneut Angst verursachen könnten, neigen. Er hielt deshalb fest, dass vor allem bei den Phobien eine Aufforderung an den Patienten, sich der angst-auslösenden Situation gegenüber zu exponieren, unerlässlich sei.

Analyse der angstauslösenden Situationen und Felder sowie ihrer Assoziation mit bedrohlichen unbewussten Vorstellungen

Angstauslösende Situationen, Erinnerungen, Einfälle, Gegenstände sind auf vielfäl-tige und dem Patienten (und Therapeuten) unbekannte Weise assoziativ verknüpft. Dieses emotionale „Gefahrenfeld“ – im Erleben des Patienten – muss in der The-rapie erforscht, kartiert und geräumt werden. Das bedeutet, dass in der Behandlung viel Aufmerksamkeit darauf gerichtet wird, welche objektiv harmlosen Inhalte vom Patienten subjektiv aber als gefährlich erlebt werden. Einer der besten Hinweise ist die konsequente Vermeidung solcher Therapiegegenstände bzw. die wahrnehmbare Unlust, wenn der Patient auf derartige Zusammenhänge angesprochen wird.

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Bedeutung der enterozeptiven Rückkopplung

Ängste sind wesentlich nicht nur psychische, sondern regelhaft auch körperliche Ereignisse (Atemnot, Herzrasen, Schweißausbrüche und anderes). Diese körperli-chen Erscheinungen können für die Angstphänomene zugleich auslösend, verstär-kend und unterhaltend wirken. Sie werden vom Angstpatienten zwar bemerkt und auch beklagt, aber in ihrer rückkoppelnden Bedeutung kaum verstanden.

Beachtung der möglichen unbewussten Attraktion durch die Angst („Angstlust“)

Entgegen der naiven Vorannahme, dass der Patient nichts lieber hätte, als seine Ängste zu verlieren, gibt es nicht selten ein erstaunliches „Festhalten“ an der Symptomatik. Dies geschieht in einigen Fällen so eindrucksvoll, als ob es noch Schlimmeres für den Patienten gäbe als die Angst. Die Angst hülfe hier gewissermaßen, das Schlimmere zu vermeiden, und ist therapeutisch schwer zugänglich.

Hinter dem Haften an der Symptomatik kann aber auch ein ganz anderer Zusam-menhang stehen, auf den vor 100 Jahren von Hattingberg (1914) hinwies. Er führte damals den Begriff der Angstlust ein. Dass Ängste auch lustvoll erlebt werden kön-nen, steht außer Diskussion: Viele Arten von aktiver Suche nach stressassoziierter Erregung („thrill“) sprechen eine eindeutige Sprache. Angst kann seelische Lücken füllen, kann Depression und vor allem Leeregefühle abwehren oder kann einfach schwer gestörten Menschen vermitteln, dass sie überhaupt noch leben. Wird dieser Zusammenhang nicht erkannt, wird auch die Therapie kaum von Erfolg sein.

Realitätskonfrontation („Ausfantasieren der Katastrophe“)

Die Konfrontation mit der faktischen und sozialen Realität ist eine in jeder Psycho-therapieform breit eingesetzte Technik. Wahrscheinlich sind Angstbehandlungen ohne dieses Element kaum zu leisten: Immer und immer wieder muss der Therapeut an dem Nicht-Übereinstimmen der inneren Welt des Angstgestörten mit der äußeren Welt der Wirklichkeit arbeiten. Oft weiß der Patient, dass es diese Diskrepanz gibt, aber er „realisiert“ sie nicht emotional. Oft aber weiß der Patient auch erstaunlich wenig über die Gefahrlosigkeit der von ihm als so gefährlich erlebten Situationen. Er erwartet Katastrophen, wo die Berge – frei nach Horaz – gerade eine Maus gebären. Hier erscheint es wichtig, den Patienten diese „Katastrophen“ ausfantasieren zu las-sen und immer wieder die Frage einzublenden, wo denn das objektiv Gefährliche an diesem Ereignis liege.

Bedeutung der pathogenen Potenz der Abwehr, vor allem des Vermeidungsverhaltens

Schließlich gilt es, in der Behandlung dem Patienten ein Gefühl zu vermitteln, wie er mit Ängsten umgeht (s. oben Waelder: „Und wenn er Angst hat, was macht er dann?“). Es sind unterschiedliche und teilweise sehr individuelle Abwehrformen, die Anwendung finden. Was aber ein gemeinsames Handeln fast aller Angstpatien-ten darstellt, ist die Vermeidung der angstmachenden Situation. Freud (1919) hatte,

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wie berichtet, schon früh auf dieses Verhalten besonders der Phobiker aufmerksam gemacht. Es ist heute gut belegt, dass das ausgiebige Vermeiden seinerseits eine begünstigende Bedingung für das weitere Anwachsen der Ängste darstellt. Erst wenn der Patient begreift, dass der Weg der Heilung über das zwischenzeitliche Zulassen von mehr Angst führt – das ist die voraussagbare Folge, wenn der Patient die Vermei-dung aufgibt – befindet er sich auf dem Wege der Besserung. Es gibt keine angstfreie Therapie von Angstpatienten, die auch nachhaltig wäre.

Notwendiger Exkurs: Anmerkungen zur Supportiv-expressiven Psychotherapie von L. Luborsky

Die Supportiv-expressive Therapie nach L. Luborsky (SET; Luborsky 1984, dt. 1999) ist die von allen PDKT hinsichtlich ihrer Wirkung am besten validierte. Aus diesem Grunde werden die Besonderheiten der psychodynamischen Behandlung von Angst-störungen in der Folge bevorzugt am Modell der SET dargestellt, auch wenn sie weit darüber hinaus Gültigkeit haben. Luborsky nannte die Therapieform supportiv-ex-pressiv, weil sie stützende (supportive) und deutende (expressive) Interventionen ent-hält. Er sieht sie als Form psychoanalytischer Psychotherapie.3 Die Störungstheorie geht in Luborskys Modell davon aus, dass psychischen Symptomen intrapsychische und interpersonelle Konflikte zugrunde liegen. Diese nennt Luborsky zentrale Bezie-hungskonflikte („core relation conflicts“). Sie lassen sich als zentrale Beziehungs-konfliktthemen (ZBKT) beschreiben. In der SET wird bei der therapeutischen Arbeit auf diese Themen fokussiert. Es geht also bei den Zielsymptomen der Behandlung darum, eine Formulierung des ZBKT zu finden, die der subjektiven Wirklichkeit des Patienten entspricht und zugleich repräsentativ für die allgemeine Dynamik der im Therapiefokus stehenden Ängste ist. Das ZBKT besteht aus einem Wunsch (W), einer Reaktion der sozialen Objekte auf diesen Wunsch (RO) und einer Reaktion des Selbst auf die Reaktion der sozialen Objekte (RS). Fokussiert wird bei der Arbeit mit dem ZBKT auf die vergangenen Beziehungen des Patienten (das sind vor allem die zu den primären Bezugspersonen), die gegenwärtigen (das sind vor allem die zu Partnern, Freunden und Kollegen) und auf die Beziehung zum Therapeuten (das ist die Übertragung und die übertragungsfreie Beziehung). Die Qualität der therapeu-tischen Beziehung („therapeutic alliance“) hat bei Luborsky besondere Bedeutung für die Wirkung der Therapie und die Vorhersage der Wirkung. Sie ist in seiner Sicht die wahrscheinlich relevanteste Prozessvariable. Das ist für die SET auch empirisch wahrscheinlich gemacht worden (Crits-Christoph und Conolly 1999).

Man kann das Innovative der PDT nach Luborsky darin sehen, dass Symptome syste-matisch in Beziehungskonflikte umformuliert (ZBKT) werden. Diese werden dann über die zeitlichen Dimensionen (vergangen, gegenwärtig und zum Therapeuten) sowie die Komponenten [Wunsch (W), Reaktion des sozialen Objekts (RO) und Reaktion des Selbst (RS)] „dekliniert“, das heißt, bearbeitet und einer Lösung zugeführt.

3 Bedauerlicherweise wurde Luborskys „psychoanalytic psychotherapy“ in der deutschen Version mit „analytische Psychotherapie“ übersetzt, was in Deutschland zu Verwirrungen führt. Hier ist dieser Begriff in der Kassenbehandlung für die Psychoanalyse reserviert.

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Spezielle Behandlungsmodifikationen bei unterschiedlichen Störungsbildern

Spezifische Aspekte der Behandlung von Patienten mit einer sozialen Phobie (sozialen Angststörung)

In der SET nach Luborsky erfolgt die Zielorientierung über eine Umformulierung von Symptomen in Interaktionen. Ein Beispiel für das ZBKT bei sozialen Ängsten stammt von einer konkreten Patientin:

W: Ich möchte gern von den anderen akzeptiert werden.RO: Die anderen halten nichts von mir.RS: Ich fühle mich entsetzlich blamiert.

Die SET fokussiert nun auf diese Interaktionskonstellation; der Therapeut inter-veniert diesbezüglich gezielt und stellt Zusammenhänge zur Beschwerde und dem bisherigen Therapieverlauf her.

Im Hintergrund dieser Fokussierung auf die Beziehungskonflikte stehen weitere symptomorientierte Behandlungsprinzipien der PDT, die weit über die SET hinaus Gültigkeit haben und für alle Behandlungsansätze in der PDT sozialer Ängste eine Leitlinie darstellen können:

1. Der Patient muss am Beginn der Behandlung ausführlich über die Art seiner Er-krankung bezüglich der Zielsymptomatik und der vorgesehenen Therapie infor-miert werden.

Dieses Element ist bei allen Erscheinungsformen der Behandlung von Ängsten gleich, und es ist essenzieller Bestandteil jeder Form von Kurzpsychotherapie. Der Erfolg einer PDT entscheidet sich oft bereits im Vorgespräch.

2. Schon früh in der Behandlung (oder schon in der Diagnostik) sollte der Affekt der Scham angesprochen und diesem eine für die Störung entscheidende Bedeutung zugewiesen werden.

Diese „affektive Vorbereitung“ gilt einer nachhaltigen Bewusstmachung der zentra-len Rolle des Schamaffektes für die Aufrechterhaltung der Symptomatik. Die Scham ist der soziale Affekt par excellence: Angst, Schuld und Wut kann man allein für sich haben; zum Erleben von Scham gehört generell eine, wie im Einzelfall auch immer geartete, soziale Wirklichkeit – und bestehe sie nur in der Fantasie.

Zwei Formen des Schamaffekts herrschen vor und müssten differenziert angegan-gen werden:

● Bewusste (offene) Scham; sie überwiegt bei den generalisierten Formen der sozialen Phobie. Ihre Verbalisierung in der Therapie führt erst einmal zu einer Erleichterung des Patienten.

● Unbewusste (verdeckte) Scham; sie überwiegt bei den speziellen Formen der sozialen Phobie. Ihre Verbalisierung in der Therapie führt gelegentlich zu Unwil-

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len oder zu rationalisierender Abwehr. Hier erfolgt dann nur die Benennung der Möglichkeit von Scham, aber keinesfalls sollte man auf dem Bestehen der Emo-tion insistieren.

Die Scham, die ein eminent sozialer Affekt ist, und die „Angst vor Erniedrigung“ (Gedo 1991) werden sich mit Wahrscheinlichkeit in der therapeutischen Übertra-gung-Gegenübertragung-Konstellation reinszenieren. Ist dies der Fall, kann dann im genuinen Referenzfeld psychoanalytischer Therapie (Übertragungsbeziehung) in der therapeutischen Situation unmittelbar an aufrechterhaltenden Bedingungen der Stö-rung gearbeitet werden. Die Übertragung des Patienten gestattet günstigenfalls eine In-vivo-Rekapitulation der Entwicklungsbedingungen, die einstmals zur Aktivierung der Hemmung im sozialen Verhalten geführt hatten (Gabbard 1992). Stellt sich eine solche Übertragungssituation aber nicht ein, so sollte sie auch nicht „beschworen“ werden.

3. Eine ebenfalls entscheidende Therapiearbeit liegt in der Konfrontation des Pa-tienten mit seinen unrealistisch überhöhten Ansprüchen an sich selbst und deren Zuschreibung (Projektion) an die anderen.

Regelhaft besteht eine unbewusste Überhöhung der Ansprüche an die eigene (soziale) Leistung und die Projektion dieser überhöhten Ansprüche auf die soziale Umwelt. Ist dies der Fall, so erhöhen sich die Erwartungsängste und das psychophysiologi-sche „arousal“ nachhaltig. Aufdeckung und Bearbeitung solcher perfektionistischen Erwartungen führen in der Mehrzahl der Fälle zu einer überraschenden Entlastung. Das Fokussieren erfolgt in zwei Schritten:

● Die Konfrontation (Bewusstmachung) der überhöhten Ansprüche steht an erster Stelle.

● Der therapeutische Bezug auf die Projektion an die sozialen anderen erfolgt erst, wenn der Patient den überhöhten Anspruch klar bei sich wahrnimmt.

Die überhöhten Ansprüche an sich selbst werden auch auf den Behandler proji-ziert („der strenge Blick des Therapeuten“; Waldvogel, persönliche Mitteilung). Ein entspannter, gegebenenfalls humorvoller Umgang mit dem eigenen Ungenügen gegenüber solchen Erwartungen und das freimütige Einräumen eigener Unvollkom-menheiten erleichtern dem Patienten früh in der Behandlung, mehr von seiner perma-nenten Selbstüberforderung wahrzunehmen.

4. Der Patient muss zu einem aktiven Aufsuchen der ihn schreckenden Situationen aufgefordert und ermuntert werden, sich diese genau anzusehen.

Dieser selbstgesteuerten Symptom-Exposition im Sinne von Freuds „neuer Aktivität“ (1919) kommt entscheidende Bedeutung zu. Sie ist in Freuds eigenen (und in der Folge nichtrezipierten) Worten eine Conditio sine qua non bei der Behandlung von Phobien. Wenn sie überhaupt bei irgendeiner Phobie Bedeutung hat, dann ist dies bei der sozialen Phobie der Fall. Nur wenige andere Formen der Phobie setzen der Sym-ptom-Exposition einen vergleichbaren Widerstand entgegen; am ehesten werden dies

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die Agoraphobiker sein. In der PDT geht es darum – so wie Freud sich das ursprüng-lich vorgestellt hat –, dass der Patient sich der ihn schreckenden Situation stellt, sie „anschaut“ statt sie zu „überleben“ (Freud: die Angst aushalten) und dann in der The-rapie davon berichtet. Wichtig ist das Verständnis des Unterschieds zu einer Mutprobe („nichts wie durch“), auch wenn der Patient anfangs kaum anders wird mit der Situa-tion umgehen können. In dem Moment, in dem für den Betroffenen eine Umschaltung zur Beobachtung dessen, was er in der kritischen Situation eigentlich tut und wie die anderen sich real (und nicht projektiv) verhalten, ist er auf dem Wege der Besserung. Er leistet eine therapeutische Ich-Spaltung (Sterba 1934) und erlebt eine Ich-Stärkung.

Dem Patienten ist auch zu vermitteln, dass der Therapeut in seiner Funktion als Behandler für die Progression der Konfrontation mit dem ängstlich Vermiedenen zuständig („Dafür bezahlen Sie mich“) und dass die Auseinandersetzung mit der Ver-meidung ein entscheidendes Thema der aufzuarbeitenden Konfliktdynamik ist. Zu beachten ist, dass der Patient das Ausmaß der Exposition nicht zu schnell vergrößert; ein schrittweiser Fortschritt ist besser als ein stürmischer. Die Aufgabe des Thera-peuten in dieser Phase besteht vor allem darin, dem Patienten zu helfen, das für ihn sinnvollste Maß der Schritte herauszufinden.

5. Viele Menschen mit sozialen Ängsten weisen aufgrund ihrer oft langen Krank-heitserfahrung in ihren sozialen Fertigkeiten ausgeprägte Defizite auf. Supportive Maßnahmen haben deswegen einen besonderen Stellenwert. Von besonderer Be-deutung erscheint die Etablierung des „inneren Dialogs“.

Ich-stützende Maßnahmen können hier unvermeidbar sein. Eine Möglichkeit besteht darin, dass der Therapeut sich als Sicherheit gebendes Übergangsobjekt aktiv anbie-tet. Eine das beschädigte Selbstwertgefühl des Patienten in jeder Hinsicht anneh-mende Grundhaltung erscheint unerlässlich.

Dem inneren Dialog kommt als supportive Maßnahme besondere Bedeutung zu. Der innere Dialog ist die Folge der Internalisierung des Gesprächs mit dem Thera-peuten. Der Therapeut wird dadurch zu einem „dialogischen inneren Objekt“, zu einer hilfreichen inneren Stimme, die dem Patienten den therapeutischen Weg weist und in dem Maß verstummt, wie der Patient ihrer nicht mehr bedarf bzw. sie assimi-liert hat. Der innere Dialog soll die soziale Realität jeweils bestätigen und sichern. Dieser ist besonders vor Expositionen zu aktivieren, soll mit Anrede an sich selbst – wann immer möglich laut – gesprochen werden und im Wesentlichen das, was in der Therapie an realistischer Einschätzung der sozialen Situation erarbeitet wurde, reka-pitulieren. Intendiert ist eine Mut machende Selbstansprache des Patienten. Er kann (bevorzugt) als reale Selbstansprache oder (Mittel der 2. Wahl) als innerer Dialog mit dem Therapeuten erfolgen.

6. Bedeutsam für den Therapieausgang ist in besonderer Weise die Gegenübertra-gung, dass man Patienten respektiert (Luborsky). Erst dann ist der Therapeut bei der Revision des gestörten Selbstbildes hilfreich.

Für einen Patienten, dessen zentrales Problem darin besteht, dass er sich selbst nicht respektiert (und diese Missachtung projiziert), ist die Vermittlung des Respekts des

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Therapeuten von entscheidender Bedeutung, gerade wenn dieser mit Konfrontationen und Präskriptionen arbeitet. Die Respektierung des Selbstverständnisses, mit einem grundlegenden Defekt behaftet, das heißt, beschädigt, kaputt, nichtheil, insuffizient, defizient usw. zu sein, das vielen Sozialphobikern eignet, kann kaum überschätzt werden. Der Umgang mit diesem gestörten Selbstbild erfordert in der Therapie in gleicher Weise empathische Einfühlung wie eine beharrlich und taktvoll konfron-tierende Korrektur. Es ist hier sinnvoll, ohne weiteren Kommentar – und auch ohne treffende Deutung! – das offensichtlich im Sinne des Defizits verzerrte Selbstbild regelhaft richtigzustellen und dies mit konstanter Beharrlichkeit.

7. Bei einer ausgeprägten Verhaltensstörung wie der sozialen Phobie sind auch Prä-skriptionen sinnvoll einzusetzen.

Präskriptionen (zum Beispiel „Keine hämischen Selbstabwertungen in der Therapie-stunde! Können Sie dem zustimmen?“) mit dem Ziel, den Patienten vor sich selbst zu schützen, sind für eine erfolgreiche Therapie von Selbstwertproblemen oft hilf-reich. In einer Kurzpsychotherapie, in der es um die Zielsetzung der Veränderung von sozialphobischem Verhalten geht, sind sie gegebenenfalls unverzichtbar. Man kann so, bildlich gesprochen, einen hartnäckigen Selbstwertkonflikt für einen begrenzten Zeitraum gegen Null schalten, was erst einmal eine Entlastung darstellt.

8. Eine weitere konfrontierende Intervention ist das Bühnenparadigma, d. i. die Auf-forderung an den Patienten, sich das von ihm Erlebte einmal szenisch vorzustellen.

Das Bühnenparadigma ist für die Selbstdistanzierung (für die Spaltung in ein erle-bendes und ein beobachtendes Ich) ausgesprochen förderlich, weil auf der Bühne ein soziales, den Patienten direkt betreffendes, soziales Geschehen dargestellt wird. Bild-lich gesprochen setzt man den Patienten in ein imaginäres Theaterstück, in dem das von ihm (gerade) Berichtete inszeniert wird. Die soziale Szene, die der Betroffene nun von außen anschauen kann, wird so leichter in ihrer Unangemessenheit, Verken-nung und – nicht selten – in ihrer unfreiwilligen Komik verstehbar. Das beobachtende Ich wird zuungunsten des erlebenden Ichs gestärkt. Der Erwerb dieser Fähigkeit ent-spricht der therapeutischen Ich-Spaltung.

9. Die kontrollierte Verwendung von humorvollen Interventionen kann ebenfalls er-heblich zur Stärkung des „beobachtenden Ichs“ beitragen.

Humor kann bei hartnäckigen Selbstwertproblemen etwas sehr Entkrampfendes haben. Wenn ein Patient erstmals über sich selbst lachen kann – was etwas ganz ande-res ist, als sich selbst zu verlachen –, schafft er unweigerlich eine kritische Distanz zu seinem gestörten Verhalten. Bei solchen Interventionen muss allerdings neben der möglichen therapeutischen Effektivität bei richtigem Maß und Zeitpunkt auch an die hohe Verletzlichkeit der Patienten erinnert werden. Die Mehrzahl der soziophoben Patienten ist eher humorlos – vielleicht ist ihnen angesichts ihres Elends das Lachen vergangen. So ist schon viel gewonnen, wenn der Patient über ein Schmunzeln oder

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Lachen Distanz zur überzogenen sozialen Befürchtung bekommt, etwa wenn er die soziale Bühne in seiner Fantasie gerade selbst inszeniert hat.

Spezifische Aspekte der Behandlung von Patienten mit einer generalisierten Angststörung

Ein treffendes Beispiel für den ZBKT bei generalisierter Angststörung findet sich im Manual der Arbeitsgruppe um F. Leichsenring (Leichsenring et al. 2005).

W: Ich wünsche mir jemanden, der mir Sicherheit gibt.RO: Die anderen sind unzuverlässig.RS: Ich habe immer Angst, dass etwas Schreckliches passiert.

Die SET, die oben skizziert wurde, fokussiert nun auf diese Interaktionskonstella-tion; der Therapeut interveniert diesbezüglich gezielt und stellt Zusammenhänge zur Beschwerde und dem bisherigen Therapieverlauf her.

Weitere symptomorientierte Behandlungsprinzipien, die bei jeder Form psycho-dynamischer Behandlung von generalisierten Angststörungen im Hintergrund stehen und fokussiert werden müssen, sind die Nachstehenden:

1. Am Beginn der Behandlung muss der Patient ausführlich über die Art seiner Er-krankung und der vorgesehenen Therapie informiert werden.

Dieser Punkt wurde oben schon ausgeführt.

2. Bereits in der Diagnostik soll die ständige vegetative Anspannung („chronische Unruhe“) als Angstäquivalent angesprochen werden.

Die anhaltende vegetative Anspannung ist für Patienten mit generalisierten Ängsten charakteristisch. Sie kommen eigentlich nie zur Ruhe und sind nicht selten hyper-aktiv. Am ehesten ist der Zugang möglich, indem man Patienten auf ihre „innere Unruhe“ anspricht und relativ früh in der Behandlung oder bereits in den Vorgesprä-chen eine Übersetzung in den Angstaffekt versucht. Die Überaktivität ist der leicht zu verstehende Versuch, diese „hintergründige Angst“ abzuleiten oder zu unterdrücken.

3. Von Beginn an zu achten, ist auf die fast regelhaft bereits in den Vorgesprächen erscheinende angstgetönte Beziehungsstruktur. Ist dies nicht der Fall, so sind die Ursachen zu prüfen.

Menschen mit generalisierten Ängsten neigen zu ständigen Sorgen. (U. Wittchen hat von einer „Sorgekrankheit“ gesprochen; persönliche Mitteilung.) Diese gelten in zahlreichen Fällen auch anderen Menschen (Partnern, Kindern, Freunden) und bilden sich deshalb – im Falle einer Therapiefokussierung auf ein ZBKT wie in der SET – oft bereits bei Formulierung des ZBKT ab. Das erleichtert natürlich den Zugang. Es gibt aber auch diffusere Sorgen oder nicht auf andere Personen bezogene Sorgen

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(Beruf, Zukunft u. a.), die schlechter in einen Beziehungskontext gebracht werden können. Differenzialdiagnostisch sind vor allem depressive und/oder hypochondri-sche Sorgen abzugrenzen.

4. Ein spezifischer Widerstand generalisierter Ängste liegt darin, dass paradoxer-weise die Abwesenheit von Angst (Sorge) „beunruhigender“ wirkt als deren Anwesenheit.

Ein ebenfalls bezeichnendes Merkmal generalisierter Ängste (allerdings nicht auf diese begrenzt) ist die Tatsache, dass die Patienten sich bei längerem Verlauf an die Ängste gewöhnen, sich mit ihnen „eingerichtet“ haben. Man merkt dies oft daran, dass die Patienten durch die Abwesenheit der Ängste nicht, wie eigentlich zu erwar-ten, entlastet, sondern schon wieder beunruhigt sind. Das muss beobachtet werden; es wird nicht direkt berichtet. Ursache hierfür ist die widersinnige Tatsache, dass bei Abwesenheit von Angst für diese Menschen im Hintergrund schon wieder die Angst lauert. In der Patientensprache taucht oft der Begriff „Angst vor der Angst“ auf. Die Paradoxie liegt darin, dass es eigentlich keinen Zustand gibt, bei dem es den Patien-ten durchgehend anhaltend gut geht; mit und ohne Angst, es ist immer das gleiche Elend. Diese „emotionale Zwickmühle“ ist dem Patienten bewusst zu machen.

5. Sinnvoll ist die modellhafte Arbeit an wenigen angstbesetzten Beziehungsinhal-ten. Jeder neu auftretende Inhalt der Sorgen sollte nicht ständig für sich „analy-siert“ werden.

Die Sorgen und Befürchtungen des generalisiert Ängstlichen sind nicht konstant, sondern erstrecken sich häufiger auf unterschiedliche und wechselnde Inhalte. Hier hat es sich als sinnvoll erwiesen, nicht auf jede neu auftretende Ängstlichkeit, son-dern auf die schon verstandenen Mechanismen anhand konkreter Beispiele einzuge-hen (Luborsky: „Meilensteine des Erreichten“).

6. Es ist gut, wenn der Behandler sich klarmacht, dass viele Menschen mit genera-lisierten Ängsten aufgrund ihrer oft langen Krankheitserfahrung den „ständigen Begleiter Angst“ stark verinnerlicht haben. Von besonderer Bedeutung erscheint hier die Etablierung des „inneren Dialogs“.

Hier wird noch einmal die Gewöhnung an das Symptom zum Gegenstand gemacht. Die Angst erhält, so paradox es klingt, den Charakter des schwer aufzugebenden Vertrau-ten (s. auch 4.). Der hier angesprochene „innere Dialog“ ist der verinnerlichte Dialog mit dem Therapeuten. Auch diese Verinnerlichung hat etwas mit einer Automatisie-rung zu tun; dem Patienten fallen plötzlich in der konkreten Situation die Worte des Therapeuten ein, nämlich, was dieser zu einer bestimmten Form der Angst geäußert hat. Das kann sehr konkret bis hin zum vorgestellten Hören der Stimme des „inneren Begleiters“ in Person des Therapeuten sein. Den Worten des Therapeuten schließt sich das an, was der Patient, etwa in Form eines zweifelnden Widerspruchs, gesagt und was der Therapeut darauf erwidert hat. Ein Dialog eben. Die Bedeutung des In-Gang-Kom-mens eines inneren Dialogs der beschriebenen Art kann kaum überschätzt werden.

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7. Supportive Maßnahmen haben wegen der unterstellten Ich-Schwäche (seltener Überich-Stärke) einen besonderen Stellenwert.

Mit supportiven Maßnahmen sind hier konkret wiederholte Vorwegnahmen der Angstsituation in der Sitzung, Einübung von alternativem Verhalten, Festlegung konkreter Vorgehensweisen, Aufstellung von Therapieplänen u. a. gemeint. Stärker gestörte Patienten mit längeren Verläufen sind auf solche Hilfestellungen nicht selten angewiesen. Auch die Empfehlung der Einnahme bewährter Antidepressiva (hier als Angstprohylaktika) in ärztlicher Kontrolle sollte nicht hinausgezögert werden. Diese unterstützen den Behandlungserfolg in der Regel mehr, als sie ihn – wie lange unter-stellt – gefährden.

Aspekte der Behandlung von Patienten mit einer Panikstörung (plus Agoraphobie)

Ein Beispiel für das ZBKT aus der Behandlung eines Patienten mit einer Panikstörung:

W: Der andere soll mir meine Angstanfälle wegmachen.RO: Die anderen halten mich für unerträglich.RS: Ich muss noch besser lernen, „sozial bekömmlich“ zu werden.

Weitere symptomorientierte Behandlungsprinzipien, die bei jeder Form psychody-namischer Behandlung von Panikstörungen mit Agoraphobie im Hintergrund stehen und fokussiert werden müssen, sind die Nachstehenden:

1. Der Patient soll am Beginn der Behandlung ausführlich über die Art seiner Er-krankung bezüglich der Zielsymptomatik und der vorgesehenen Therapie infor-miert werden.

Dies Element wurde bereits oben ausgeführt.

2. Bereits in der Diagnostik sollte die Erhöhung der Bereitschaft zur Angstentwick-lung durch die Vermeidung angesprochen werden.

Die „Reaktion des Selbst“ („sozial bekömmlich“) im oben zitierten ZBKT entspricht natürlich nicht der ursprünglichen Wortwahl des Patienten. Vielmehr hat der The-rapeut dem Patienten in Zusammenfassung mit einer Reihe von Äußerungen, die unterschiedlich stark die aggressive Gehemmtheit verdeutlichten, diese Formel – mit einigem Schmunzeln – vorgeschlagen. Der Patient war sichtlich erleichtert, dass sich eine für ihn etwas peinliche Haltung mit milder Selbstironie so auf den Punkt brin-gen ließ. Im konkreten Fall wurde also bereits in den Vorgesprächen die aggressive Hemmung mit der Reaktionsbildung der Vermeidung deutlich und konnte direkt in das ZBKT übernommen werden. Das wird nicht immer so einfach möglich sein. Gelingen sollte jedoch immer eine frühe Benennung dieser meist als Nachgiebigkeit, Gutmütigkeit, Harmoniebedürfnis, Friedfertigkeit oder zeitgenössisch „Ich mach mir kein’ Stress“ etikettierten Neigung. Volkstümlich: „Du hast Recht und ich hab mei-nen Frieden“.

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3. Besondere Aufmerksamkeit verlangt der spezifische Widerstand, dass der Patient die Ursache seiner Ängste nicht in sich erlebt.

Die Panikstörung wird in charakteristischer Weise als „aus blauem Himmel“ entstan-den erlebt. Der Patient hat nichts damit zu tun. Er hat nur einfach vor dem Fernseher gesessen. Was da auf der Mattscheibe erschien, das erinnert er nicht mehr. Die Angst kam „einfach so“. Bereits beim Versuch, hier nur die genauen Umstände zu explorie-ren („Was für ein Film? Warum kam es darin zur Scheidung des Paares? Warum hat der Mann die Frau verlassen? Was war so unangenehm dabei, den ehelichen Streit im Film zu beobachten? Wer hat denn wen zuerst geschlagen?“ usw.) spürt man die Unlust des Betroffenen, sich näher mit der auslösenden Situation einzulassen, meist sehr deutlich. Damit kann man ihn freundlich konfrontieren.

4. Bedeutsam für die Therapie sind die Konfrontation mit der ausgeprägten Kon-fliktscheu und die konsequente Arbeit an der auffallenden Unterdrückung ne-gativer Affekte in den sozialen Interaktionen (ist im Idealfall bereits im ZBKT formuliert).

Das Thema der Konfliktscheu/Aggressionsvermeidung klang schon bei Hinweis 2 an. In der Bearbeitung dieser Neigung geht es dabei letztlich um zwei Schritte:

● Zuerst muss der Patient gut wahrnehmen, dass er überhaupt soziale Auseinander-setzungen jeder Art vermeidet.

● Dann geht es um den schwierigeren Teil, nämlich die Wahrnehmung, dass es aggressive Gedanken, Regungen oder Affekte sind, die er vermeidet/unterdrückt.

Das leitet direkt zum Folgenden über. Insofern bilden die Elemente 2., 4. und 5. eine aufsteigende Reihe, Schritte eines sich Heranarbeitens mit dem Patienten an die unbewusst so angstmachende Befürchtung eines Durchbruchs aggressiver Impulse. Der Begriff „negative Emotionen“ ist weiter und bezieht Regungen wie Neid, Eifer-sucht, konkrete Missgunst u. a. mit ein. Sie alle können nachhaltig unbewusst sein und bei „Einbrechen“ ins Bewusstsein Angstattacken auslösen (s. Element 5.).

5. Entscheidende Interventionen bestehen in der Erarbeitung – soweit möglich – der Wahrnehmung des Patienten von aus der Verdrängung eindringenden negativen Affekten als auslösend für die Entstehung von Panik.

Hier geht es wesentlich um die Kerndynamik der Panikstörung: die Assoziation von Angst/Angstüberflutung/Panik mit dem Auftreten aggressiver Inhalte im Bewusst-sein. Shear et al. (1993) haben diese sehr spezifische Dynamik gut belegt. Meist rich-ten sich diese unbewussten Affekte auf soziale Objekte (Eltern, Partner, Geschwister), die man eigentlich ja nur lieben darf – zumindest nach der Gewissensregel der an die-ser Störung Leidenden. Immer wenn solches unangepasste Material, solche negati-ven Affekte, Impulse/Vorstellungen/Kognitionen bewusst werden, setzt automatisch die Angst ein. Man muss diese Genese verstehen, um den Widerstand des Patien-ten gegen ihre Aufdeckung respektieren zu können. Statt der Angst, die für ihn ja „unbegründet“ ist, hat er dann plötzlich Gewissenskonflikte und Selbstvorwürfe zu

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befürchten. Gegenüber der Angst, die vom Himmel fällt, sind diese unangenehmen Erscheinungen allerdings eindeutig leichter zu bearbeiten.

6. Für den Fall einer gleichzeitig bestehenden Agoraphobie liegt ein weiterer Ak-zent der Behandlung auf der für den Patienten unverzichtbaren Einbeziehung des sozialen anderen (Partner, „ständiger Begleiter“) als Sicherungsvorgang (zum Beispiel gerade gegenüber aversiven Impulsen).

Die auffällige Bindung agoraphober Patienten an bestimmte andere Personen – in der Regel den Partner – fiel den Klinikern schon früh auf. Dieser Partner ist oft erstaun-lich geduldig mit der Störung des Patienten, er entschuldigt sie und entzieht sich überraschend wenig den Anforderungen von ständiger Präsenz und Bereitschaft als Begleiter zur Verfügung zu stehen. Bereits früh vermutete H. Deutsch (1928), dass die Einbindung des Partners etwas mit der Bindung der aggressiven Impulse gegen eben diesen zu tun hätte. Die Hilflosigkeit des Agoraphobikers, sein Angewiesensein auf den/die anderen, scheint psychodynamisch eine Sicherung gegenüber dem hinter-gründigen Ärger darzustellen.

7. Zu achten ist auch auf die mögliche ursächliche Bedeutung von Trennungs- und Verlustängsten für das gleiche Sicherungsverhalten.

In J. Bowlbys (1973) Revision des Konzepts der Agoraphobie kommt es zu einer Umkehr der ursprünglichen Krankheitsauffassung. Der Agoraphobiker hat auf dem Marktplatz, in der Menge nicht Angst vor einer Situation, sondern, geradezu gegen-teilig, er sucht nach einem Sicherheit gebenden sozialen Objekt, auf das er sich zube-wegen möchte. Solange er das nicht hat, vermeidet er die angstauslösenden Orte. Hier geht es also um Trennungs- und Verlustängste, die in der Störung dysfunktional durch Vermeidung oder Anklammerung (an einen Partner) angegangen werden. Bio-grafisch wäre hier verstärkt auf die Entwicklung des Sicherheitserlebens im Patien-ten zu achten, die mehr mit Entbehrungen (Verlusten) als mit Verwöhnung zu tun gehabt haben dürfte. Dass Frustrationen ihrerseits aggressive Affekte fördern, ist eine der bestbelegten psychodynamischen Gesetzmäßigkeiten. Kossowsky et al. (2013) haben aufgrund einer Metaanalyse die Bedeutung des Trennungsfaktors für Entste-hung und Erhaltung der Agoraphobie noch einmal aktualisiert.

8. Dem Patienten sollte vermittelt werden, dass ein aktives Aufsuchen der ihn schre-ckenden Situationen notwendig ist, und er sollte ermuntert werden, sich diese Situation trotz ihrer Schrecken genau anzusehen.

Dieser selbstgesteuerten Symptom-Exposition im Sinne von Freuds „neuer Aktivi-tät“ (1919) kommt entscheidende Bedeutung zu. Anweisungen zur Einführung dieser technischen Variable in die Behandlung wurden bereits für die soziale Phobie, dort Regel 4, gegeben. Diese werden deshalb hier nicht wiederholt. Gleiches gilt auch für das technische Mittel der Präskription, das im Zusammenhang mit der sozialen Phobie vorgestellt wurde. Präskriptionen und verbindliche Therapieabsprachen sind wohl bei jeder Form einer weitergehenden Phobie kaum zu überschätzen.

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Das nachstehende Beispiel für eine Manualisierung von PDT ist gerade erschie-nen. Es stellt eine neue Form von verdichtetem Behandlungskonzept und Behand-lungsbeschreibung dar.

Therapieleitlinie für die Gruppe der Angststörungen

Die für die empirische Validierung der PDT so verdienstvolle Arbeitsgruppe von Falk Leichsenring, Gießen, hat unlängst einen Beitrag zu einer Wirksamkeitsanalyse von psychodynamischen Therapieanteilen für Angstpatienten publiziert (Leichsen-ring und Salzer 2013b online). Sie nennen es „Vereinheitlichtes Psychodynamisches Therapieprotokoll für Angststörungen (VPP-Angst)“. Das Modell orientiert sich, wie die Ansätze von Hoffmann (2008, 2012), am Manual von L. Luborsky für die SET. Die Autoren sprechen von Therapiemodulen und führen deren neun aus. Wichtig ist, dass Leichsenring und Salzer damit ein Therapiemodell vorschlagen, das generell für Angststörungen gilt und dem Behandler in der Modifikation auf eine bestimmte Form von Ängsten hin Freiheit lässt. In der Originalarbeit ist sehr aufwendig doku-mentiert, auf welchen Publikationen die Aussage basiert, dass alle neun Module sich empirisch als wirksam erwiesen hätten. Eine so umfassende Übersicht lag bisher nirgends vor. Darauf kann hier nur verwiesen werden.

Die Darstellung folgt weitgehend wörtlich einer tabellarischen Übersicht bei Leichsenring und Salzer (2013 online). Eine Abstimmung mit den Autoren erfolgte für die Übersetzung neuer Termini. Die mit C markierten Module bezeichnen die Kernsitzungen.

1. Das Vorbereitungsinterview für die PDT Der Patient wird über die adaptive Funktion der Angst (Signalangst), seine eigene Form von Angststörung und die geplante Therapie informiert. Die eigene Rolle des Patienten – hierbei wird seine notwendige Aktivität für die Erreichung der Therapieziele betont – und die Rolle des Therapeuten werden dabei ausgeführt. Schließlich erfolgt die übliche Klärung des Therapierahmens (Stundenfrequenz, Dauer, Ausfall- u. Ferienregelung usw.). Der Patient erhält so ein Rational, das ihm eine erste Orientierung hinsichtlich seiner Krankheit und der Behandlung erlaubt.

2. Motivierung, Ansprache von Ambivalenz und Festlegung der Behandlungsziele

Mit empathischer Haltung konfrontiert der Therapeut den Patienten und klärt mit ihm seine Ambivalenz zwischen Verharren und Verändern, sein Vermeidungsver-halten und seinen Widerstand gegen Neuorientierung. Der Therapeut stellt sich dabei auf die Seite des Patienten und vermittelt ihm, dass für ihn dessen Motive hinsichtlich Ängsten und Widerstand nachvollziehbar seien („Wenn Sie die Öf-fentlichkeit vermeiden, dann können Sie nicht gedemütigt werden. Das schützt Sie doch und hilft erst einmal weiter“, „Wenn Sie sich Sorgen um Ihre Kinder machen, dann schützen Sie diese zugleich. Was soll daran falsch sein?“)

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● Realistische Therapieziele werden besprochen und aufgestellt. Sie beziehen sich nicht nur auf die Reduzierung der Symptomatik, sondern beinhalten auch inter-personale Beziehungen („Sie wollen Ihre Panikattacken loswerden, wie Sie mir sagten. Das steht für Sie offensichtlich im Vordergrund. Zugleich haben Sie mir auch von Schwierigkeiten mit anderen Menschen berichtet. Vielleicht können wir ja gemeinsam klären, ob da nicht möglicherweise ein Zusammenhang zwischen den Ängsten und diesen Schwierigkeiten besteht.“)

3. (C) Etablierung einer sicheren helfenden Beziehung Die sicherere „helping alliance“ wird durch folgendes Therapeutenverhalten be-günstigt: Ausdruck von Einfühlung, Erklärung des Therapieprozesses, Unterstüt-zung des Patienten zur Erreichung der Therapieziele, Begleitung des Prozesses durch Verweis auf die Ziele, Anerkennung erreichter Ziele, Fokussierung auf die Zusammenarbeit von Therapeut und Patient und Verdeutlichung, dass der Patient mit Problemen in gleicher Weise wie der Therapeut umgeht („Als Sie die Be-handlung begannen, war das Ziel, die Anzahl der Angstanfälle zu reduzieren. Anscheinend gehen die nun zurück. Sie sehen, dass wir tatsächlich in unserer gemeinsamen Arbeit vorankommen.“)

4. (C) Herausarbeitung zugrunde liegender zentraler Konflikte: Wünsche (Af-fekte), Objektbeziehungen und Abwehr

Durch die Narrative des Patienten lässt sich das ZBKT (s. die Darstellung im Exkurs), das mit den Ängsten zusammenhängt, identifizieren. Dies äußert sich als Wunsch (W), als Reaktion des anderen (RO) oder als Reaktion des Selbst (RS). Zur Erleichterung führt der Therapeut ein Beziehungsepisoden-Interview („relation episode interview“, REP; Luborsky et al. 1995, S. 103) durch. „Bitte erzählen Sie mir einige Ereignisse, in denen Sie und eine andere Person vor-kommen. Keines sollte mit dem anderen zusammenhängen. Einige sollten älter und einige neuer sein. Für jedes Einzelne sagen Sie mir bitte, (1) wer die andere Person war, (2) was die Person tat und was Sie taten und (3) was am Ende pas-sierte. Bitte erzählen Sie mir mindestens zehn solcher Episoden.“ Als ZBKT be-zeichnen wir das Muster von W, RO und RS, das sich am häufigsten wiederholt. Mit dem Patienten wird erörtert, dass das ZBKT seine „Angstformel“ darstelle, die seine Angstsymptome erkläre. Das ZBKT wird damit zum Behandlungsfokus gemacht. Bei einem Patienten mit sozialer Phobie könnte das folgendermaßen aussehen: „Wie wir gesehen haben, befürchten Sie nicht nur, sich sozial auszu-setzen (RS), sondern Sie haben manchmal auch den Wunsch, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und von den anderen anerkannt zu werden (W). Sie haben jedoch gleichzeitig Angst, von den anderen gedemütigt zu werden (RO).“

5. (C) Die Fokussierung auf den abgewehrten Affekt – die Erfahrung der Wunschkomponente im ZBKT

Das ZBKT beinhaltet einen Wunsch (Impuls oder Affekt), der Angst auslöst und deshalb abgewehrt wird. Das VPP-Angst legt einen besonderen Schwerpunkt da-rauf, den Patienten dazu zu bringen, diesen schmerzhaften Affekt zu erfahren. Dies betrifft oft negative Affekte wie Ärger, Schuld oder Scham („Sie haben Angst davor, Ihrem Chef zu erklären, dass Sie sich über ihn ärgern, weil Sie

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befürchten, die Kontrolle zu verlieren. Was würde passieren, wenn Sie es doch täten? Was würde er und was würden Sie tun?“). Hier kann die dynamische Inter-ventionstechnik der Klärung eingesetzt werden („Sind Sie einfach ‚aufgebracht‘? Könnten Sie das Gefühl genauer beschreiben?“).

6. (C) Die Modifizierung der zugrunde liegenden verinnerlichten Objektbezie-hungen – die RO-Komponente des ZBKT

Der Therapeut klärt, was der Patient in der Objektbeziehung erwartet, wenn er seinen Wunsch ausdrückt (schlimmster Fall, zum Beispiel: „Sie fürchten sich, Ihrem Chef zu sagen, dass Sie wütend auf ihn sind. Wie könnte er auf eine solche Äußerung von Ihnen reagieren?“).

7. (C) Die Veränderung zugrunde liegender Abwehr und Vermeidung – die maladaptive Komponente der Reaktionen des Selbst. Ermutigung zur Auf-gabe der Vermeidung

Der Therapeut betont die adaptive und evolutionär sinnvolle Aufgabe der Angst. Er verdeutlicht dem Patienten, dass Abwehr und Vermeidung im Kern sinnvolle Versuche sind, das Individuum vor unangenehmen Gefühlen zu schützen (zum Beispiel: „Sie bekommen regelmäßig Angstanfälle, wenn Sie eine Auseinander-setzung mit Ihrer Mutter haben. Es könnte doch sein, dass es für Sie leichter ist, Angst zu bekommen, als den Konflikt mit ihr durchzustehen“). Im Einführungs-interview war schon auf die Nachteile der Vermeidung im Sinne der Chronifizie-rung des Symptoms hingewiesen worden. Dem Patienten wurde dabei gesagt, dass er etwa in der Mitte der Behandlung aufgefordert würde, anstelle der Ver-meidung in die Konfrontation mit der Angst überzugehen. Sowohl vor als auch nach der Konfrontation mit der gefürchteten Situation bespricht der Therapeut mit dem Patienten sorgfältig alle Details dieser Exposition gegenüber der Angst-situation. Insbesondere fordert der Therapeut den Patienten auf, sorgfältig auf alles zu achten, was während der Konfrontation abläuft, das heißt sowohl die eigenen Reaktionen als auch die der anderen. („Wir nehmen uns als Ziel vor, dass Sie Ihre Angst vor den Präsentationen verlieren möchten. Dazu müssen Sie das Vermeiden beenden, ohne diesen Schritt geht es nicht. Wir werden die Situation hier im Detail in der Fantasie durchspielen, und wir werden, nachdem Sie die Situation hinter sich haben, genauso in gleicher Weise über Ihre Erfahrungen sprechen.“)

8. (C) Modifikation der Reaktionen des Selbst – die adaptive RS-Komponente des ZBKT. Förderung von adaptiven Reaktionen

Der Therapeut stützt aktiv die Entwicklung von mehr adaptiven Reaktion von-seiten des Selbst (RS). Um den verinnerlichten Dialog zu begünstigen, kann der Therapeut etwa sagen: „Wir haben verstanden, dass Ihre Angstformel Ihnen Angst macht. Fällt Ihnen irgendetwas ein, was Sie zu sich sagen könnten, was Ihnen Mut machte?“ Der Therapeut regt den Patienten an, solche Mut machen-den Dialoge in Alltagssituationen zu wiederholen, um den inneren Dialog zu Ge-wohnheit werden zu lassen und die Internalisierung zu unterstützen. Das gestörte Selbst-Konzept und der Mangel an Selbstwertschätzung können mit unterschied-lichen Techniken angegangen werden. Für manche Patienten sind Interventionen

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in Richtung des Pespektivenwechsels hilfreich („Haben Sie eine Idee, wie eine andere Person mit Ihrem Problem umginge, wenn Sie in Ihrer Haut steckte?“). Eine andere Intervention wäre, dass der Therapeut den Patienten auffordert, sich selbst als auf einer Bühne agierend vorzustellen, während er zugleich vom Zu-schauerraum aus zusähe (Bühnen-Paradigma). Kohuts (1977) Interventionen gingen vielfach in Richtung der Anerkennung, wie schwer es für den Patienten gewesen sein müsse zu ertragen, wie seine Eltern konstant sein Selbstwertgefühl untergraben hätten.

9. Therapiebeendigung und Vorbeugung von Rückfällen Beim Einsatz von VPP-Angst Modulen bei Angstpatienten stellt die Vorbeugung von Rückfällen ein wichtiges Therapieelement dar. Dem Therapeuten wird zum Beispiel empfohlen, in der Beendigungsphase die Erinnerung des Patienten an die Erfolge in der Behandlung zu stützen. Er oder sie sollte auch Therapieschrit-te kennzeichnen (Erreichung eines Teilziels), damit sie als „Meilensteine“ (so der originale Ausdruck von Luborsky) dienen können (zum Beispiel „Das war doch eine Art Durchbruch, als Sie Ihrer Mutter mitteilen konnten, dass Sie Weih-nachten nicht nach Hause kommen würden“). Wenn ein Therapieende erwogen wird, gehen darüber hinaus Therapeut und Patient das durch, was sie gemeinsam erarbeitet haben. Bei einer Symptomwiederkehr in der Abschlussphase wird das ZBKT mehrfach aktiviert – sowohl durch die Antizipation der Trennung vom Behandler als auch durch die Antizipation, dass die dem ZBKT innewohnenden Wünsche doch nicht befriedigt werden. Patienten gegenüber, die fürchten, die Therapiegewinne ohne die ständige Präsenz des Therapeuten wieder zu verlie-ren, kann man sich etwa folgendermaßen äußern: „Sie glauben, dass die Gewinne in der Behandlung nicht von Ihnen, sondern von meiner Anwesenheit gesichert werden … Dabei scheinen Sie zu vergessen, dass alle Fortschritte, die Sie ge-macht haben, auf Ihrer eigenen Arbeit beruhen. Sie haben in den Sitzungen die gleichen Mittel wie ich benutzt, und es gibt keinen Grund, dass Sie das nach Beendigung der Therapie nicht in gleicher Weise fortsetzen könnten“ (Luborsky et al. 1984, S. 28, 155). Der Therapeut betont also, dass der Therapieerfolg auf den eigenen Anstrengungen des Patienten beruht. Darüber hinaus werden die drei letzten Sitzungen als „Nach-Sitzungen“ („booster sessions“) im Zweiwochen-abstand durchgeführt, um die Verbesserungen des Patienten zu überwachen und zu stützen.

Schlussbemerkungen

Vieles wird dem Leser schon vertraut vorkommen, was vor allem damit zu tun hat, dass das Therapiekonzept von L. Luborsky im Hintergrund steht und die wichtigsten der oben referierten Effekt-Studien zur PDT auf Luborskys Konzept beruhen. Dies so genannte Vereinheitlichte Psychotherapie-Protokoll (VPP)-Angst steht in der Linie neuerer Manualansätze, die nicht mehr – wie zahlreiche Autoren der CBT – für jedes einzelne Symptom Spezialtherapien anstreben, sondern sich stark überschneidende Symptomgruppen – hier die Angststörungen – mit einem Einheitsmanual versehen

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und dem Therapeuten die Differenzierung überlassen wollen. Für die Ausbildung hätte dies erhebliche Vorteile, und das Vorgehen entspräche auch stärker den Praxis-bedingungen. Barlow er al. (2004; Wilamowska et al. 2010) haben dies für die CBT der Gruppe „emotional disorders“ unternommen. Nicht mehr jedes detaillierte, son-dern die für alle gültigen Wirkmodule werden im Manual ausgeführt. Hier deutet sich in der aktuellen Forschung so etwas wie eine breitere Aufstellung des Konzepts von Manualen an. Dabei wäre es ausgesprochen begrüßenswert, wenn diesbezüglich die weitere Forschung auf einer Ebene mittlerer „Zielschärfe“ verliefe und mehr auf die übergeordneten Wirkfaktoren und deren Manualisierung fokussierte. Leichsenring und Schauenburg (2014) haben gerade für die PDT ein VPP-Depression entwickelt, das zur Veröffentlichung angenommen wurde.

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Sven Olaf Hoffmann, Prof. Dr. med., Universitätsprofessor em., Dipl.-Psychologe, Psychoanalyse, Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Von 1982 bis 2004 Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität Mainz. Von 1998 bis 2003 Vorsitzender (mit J. Margraf) des Wissenschaftlichen Beirats nach dem PsychThG bei der Bundesärzte-kammer. Seit 2004 im Aufsichtsrat von Greenpeace Deutschland. Der Autor lebt heute in Hamburg. (Siehe zuletzt Hefte 4, 2009 sowie 4, 2012.)