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Marktwirtschaft im Unternehmen Vom „Mythos Markt“ zum Modell der Hybridkoordination Michael Reiss 1 Zusammenfassung „Den Markt ins Unternehmen holen“ ist ein weit verbreiteter Ansatz zur Optimierung der Unternehmensführung mit einer sehr beweg- ten Geschichte. Wie bei anderen Management-Trends folgte auf eine Ära der Markteuphorie eine Phase der Marktskepsis. Pragmatische Manager arbeiten derzeit mit Marktsimulationen als realistisch mach- baren Kompromisslösungen. Konstruktiver ist allerdings das Konzept der Hybridkoordination, das auf einer optimalen Mischung von planwirt- schaftlichen und marktwirtschaftlichen Koordinationsprinzipien basiert. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, zu einer erfolgreichen Imple- mentierung solcher Mischsysteme Hilfestellungen für die Bewertung, die Auswahl von hybriden Architekturformen und den Umgang mit der charakteristischen Eigendynamik zu geben. 1 Der Verfasser dankt zwei anonymen Gutachtern für wertvolle Anregungen. ZfM Zeitschrift für Management Heft 2 April 2007 2. Jahrgang Seiten 146 - 166

Marktwirtschaft im Unternehmen

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Marktwirtschaft im Unternehmen

Vom „Mythos Markt“ zum Modell der Hybridkoordination

 Michael Reiss1

Zusammenfassung

„Den Markt ins Unternehmen holen“ ist ein weit verbreiteter Ansatz zur Optimierung der Unternehmensführung mit einer sehr beweg-ten Geschichte. Wie bei anderen Management-Trends folgte auf eine Ära der Markteuphorie eine Phase der Marktskepsis. Pragmatische Manager arbeiten derzeit mit Marktsimulationen als realistisch mach-baren Kompromisslösungen. Konstruktiver ist allerdings das Konzept der Hybridkoordination, das auf einer optimalen Mischung von planwirt-schaftlichen und marktwirtschaftlichen Koordinationsprinzipien basiert. Der vorliegende Beitrag verfolgt das Ziel, zu einer erfolgreichen Imple-mentierung solcher Mischsysteme Hilfestellungen für die Bewertung, die Auswahl von hybriden Architekturformen und den Umgang mit der charakteristischen Eigendynamik zu geben.

1 Der Verfasser dankt zwei anonymen Gutachtern für wertvolle Anregungen.

ZfM

Zeitschrift für Management

Heft 2 April 2007

2. Jahrgang

Seiten 146 - 166

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1. Markt im Unternehmen: Chronik eines organisatorischen Strukturwandels

1.1 Markteuphorie

Die Nutzung des Marktes zur Koordination innerhalb von Unternehmen – und nicht nur zwischen Unternehmen - gilt seit fast hundert Jahren als das wohl wirksamste Gegenmittel gegen Konzernbürokratie und Ineffizienz. Durch „interne Märkte“ will man die mythischen Kräfte der „unsichtbaren Hand“ für die Unternehmens-steuerung einsetzen. Als wichtigste Bausteine dieses Modells fungieren unternehmerisch agierende Profit-Center (Unternehmen im Unter-nehmen, also z. B. Beteiligungsgesellschaften, Divisions, Geschäfts-segmente), die sich vornehmlich über Preise koordinieren. Die Konzern-leitung in Form einer strategischen Holding liefert die Spielregeln, Rahmenstrukturen, kompetenten Manager und Steuerungssysteme als Infrastruktur für die Marktprozesse. Der Konzern versteht sich folglich als „Federation“ und weniger als zentralistische „Corporation“. Auf eher nüchterne Anfänge wie die Vorgabe von optimalen Lenkpreisen (z. B. pretiale Lenkung) oder die kostenrechnerische Bestimmung von (interna-tionalen) Transferpreisen (unter Beachtung steuergesetzlicher Rahmen-bedingungen) folgten anspruchsvollere Konzepte zum Dual Pricing, zur Wahl der adäquaten Holdingform bis hin zu spektakulären, systemtheoretisch-kybernetisch geprägten Modellen des schlanken Unternehmens (modulares oder fraktales Unternehmen, Mini-Compa-nies, Unternehmertum im Unternehmen).2 Zu einem wahren „Hype“ entwickelte sich der Marktkoordinationstrend durch die steigende Popularität affiner Konzepte: Die mehr oder weniger synchron verlaufenden Trends der Demokratisierung, Selbstorganisation, Dezentralisation, Digitalisierung (Enabling globaler Internet-Börsen und Auktionen3) und der Motivationsstimulierung durch Wettbewerb entwickelten einen günstigen Aufwind für die unternehmensinterne Marktwirtschaft. Verstärkend wirkte der Erfolg gesamtwirtschaftlicher Reformtendenzen nach dem Motto „Markt statt Staat“ im Zusammen-hang mit Liberalisierung, Deregulierung, Privatisierung (Abbau

2 Vgl. den Überblick bei Frese (2004), vgl. Horvath (2003), S. 591 ff., Frost (2005), S.

13 ff. 3 Vgl. Bergquist (2006).

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staatlicher Monopole etwa in den Bereichen Energieversorgung, Tele-kommunikation und Bahn), Förderung des Wettbewerbs durch EU-Integration bzw. durch Globalisierung und dem Einsatz marktwirt-schaftlicher Prinzipien im Umweltschutz (z. B. Handel von Verschmut-zungsrechten). Alle Faktoren zusammen erzeugten eine euphorische Stimmung, die die Marktkoordination zur Erfolgsformel für gute Unternehmungsführung machte.

1.2 Marktskepsis

Der dadurch induzierte Wandel von der unternehmensinternen Planwirtschaft zur Marktwirtschaft erfuhr allerdings einige Dämpfer durch negative Erfahrungen bei der Anwendung marktwirtschaftlicher Prinzipien zur Unternehmenssteuerung. Sehr häufig mündete die Marktinstallation nicht in klassisch-atomistische Formen des preisge-steuerten Ressourcenaustauschs, sondern in unerwünschte Monopol-märkte (z. B. die zentralen internen Service-Center als Alleinanbieter) oder gar bilaterale Monopole (ein einziger Abnehmer für hoch spezifische Vorleistungen aus der zentralen F&E). Die eigenen Gesetzmäßigkeiten dieser Marktformen verhindern eine optimale Allokation, weil ihre Funktionsweise weit entfernt ist vom Ideal der vollkommenen Märkte. Immer deutlicher traten ferner die Schattenseiten der markttypischen Selbstorganisation zu Tage: offiziell installierte Märkte wurden unterminiert durch Graumärkte, Schwarzmärkte und Vetternwirtschaft. Zudem machte sich kurzfristiges und damit innovationsfeindliches Denken vieler „Unternehmer im Unternehmen“ breit. Diese Center-Leiter fokussieren ihre Aktivitäten auf den Jahresgewinn und vernachlässigen deshalb das langfristige Investment in Innovationen, die erst nach zwei oder drei Jahren ihren Break Even erreichen.4 Als weitere Störfaktoren machten sich immer stärker die Kosten der Installation und Nutzung interner Märkte bemerkbar, vor allem in Gestalt von Kosten für die Markt-Infrastruktur, z. B. das Betreiben virtueller Marktplätze, die Einrichtung von Intermediären und Ombudsstellen (zur Handhabung von Konflikten). Als störend wurde vielfach auch der induzierte Wettbewerb im Unternehmen empfunden, weil er sich schlecht mit der vertrauensbasierten Unternehmenskultur verträgt.

4 Vgl. Horvath (2003), S. 572.

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In jüngster Zeit schaffen vor allem Kostensenkungsprogramme (z. B. kostensenkende Zentralisation durch Shared Services) und vom Gesetzgeber erzwungene Risk-Management-Programme (z. B. KontraG, Sarbanes Oxley-Act) eine marktfeindliche Umgebung: solche „Law& Order“-Initiativen beruhen durchweg auf mehr Planung und Kontrolle im Kampf gegen Kosten und opportunistische Verhaltensweisen von Managern. Sie behindern damit jedoch die selbstorganisatorischen Kräfte der Marktwirtschaft.

Wie in der Euphoriephase wirkten gesamtwirtschaftliche Tendenzen auch in der Ernüchterungsphase verstärkend, vor allem die eher negative ordnungspolitische Bewertung einer intensivierten Marktwirtschaft. Gesamtwirtschaftlich hat sich in den letzten Jahren die Liste von Schwachstellen der Marktkoordination deutlich verlängert, und zwar sowohl aus wissenschaftlicher als auch aus politischer Sicht. Zu den klassischen Einwänden5 wie z. B. die inadäquate Handhabung externer Effekte, die Schattenwirtschaft und die Probleme beim Meistern langfristiger Herausforderungen (z. B. strukturelle Arbeitslosigkeit, Naturkatastrophen, Altersversorgung angesichts ungünstiger demo-graphischer Strukturen) gesellen sich Risikofeindlichkeit (z. B. Kapitalversorgung des Mittelstands vor dem Hintergrund von Basel II) und hohe Kosten des Markteintritts (z. B. Kosten der Börsenzulassung, Auditierungskosten). Interne Märkte lassen sich also nicht auf die Installation von Kunden-Lieferanten-Beziehungen reduzieren, sie erfordern zusätzlich ein nicht unerhebliches Investment in die Marktinfrastruktur.

Gleichzeitig ist zu beobachten, dass informelle Marktvarianten (z. B. Tauschringe, Versorgung von Start-ups mit Haftungskapital durch Business Angels) oder nicht-marktliche Formen des Angebots von Leistungen (z. B. Non-Profit-Organisationen, Ehrenamt, Spenden) und der Koordination (z. B. Opensource Communities bei der Software-Entwicklung, Clan-Organisation, „Deutschland AG“ als Netzwerk) an Boden gewinnen. Die Marktskepsis resultiert also aus Herausfor-derungen, die durch Marktkoordination gar nicht (Markt„versagen“ im engeren Sinne), schlecht (d. h. mit hohen Kosten) oder zumindest schlechter als durch andere Koordinationsmechanismen bewältigt werden.6 5 Vgl. Kräkel (2004), S. 48 f.; Richter/Furubotn (1999), S. 71 f. 6 Vgl. Frost (2005), S. 58 ff.

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1.3 Marktsimulation

Pragmatische Lösungskonzepte sind die typische Antwort von Managern, die nicht in ein Klagen über das Marktversagen (ähnlich dem Standortklagen) verfallen. Angesichts der ambivalenten Pro- und Contra-Beurteilung von Märkten wurden deshalb zahlreiche Kompromiss-lösungen entwickelt: Wenn sich schon ein reiner Markt im Sinne von spontanen, diskreten, anonymen und standardisierten Transaktionen nicht implementieren lässt, will man doch die mythischen Kräfte so weit wie möglich ausschöpfen. Als Leitbilder für solche Approximationen dienten etwa die Ansätze zur Kombination von Portfolio-Management und Transferpreisen7 oder zur Koordination der Slot-Vergabe (Zeitnischen für die Landung oder den Start eines Flugzeugs) als Kombination von Zuteilung durch einen neutralen Flugplankoordinator und dem Slot-Handel zwischen den Fluggesellschaften unter Aufsicht des Koordinators. In Unternehmen sind folgende Varianten von Marktsimulationen relativ weit verbreitet:  - Organisierte Ausschreibungen von Entwicklungs- und Produktionsaufträgen (z. B. Pitches, Konzept-Wettbewerbe), an denen sich unternehmensinterne Anbieter (z. B. Werke, Abteilungen, Landes-gesellschaften), gegebenenfalls auch externe Anbieter beteiligen können. - Schreibtischkalkulationen von Lenkpreisen. Beim Einsatz dieser administrierten Preise (z. B. Zinssätze für konzerninterne Kredite) wird das Prinzip der Preiskoordination beibehalten, allerdings fehlen die markttypischen Prozesse der Preisfindung. - Awards (z. B. für Innovationsvorhaben, Business Pläne innerhalb eines Konzerns), in denen das Urteil einer Jury möglichst gut das zu erwartende Kundenurteil erfassen soll. - Rankings, die nicht auf den üblichen monetären Marktdaten (z. B. Umsätze), sondern ersatzweise auf der Messung der nicht-monetären Performance wie z. B. Kundenzufriedenheit beruhen. - Basar-Modelle für ein bilaterales Bargaining, das jeweils lokale Preisfindungen ermöglicht, ohne allerdings einen Preis für den Gesamtmarkt zu spezifizieren. - Last Offer-Regelungen, wonach konzerninterne Anbieter, die gegenüber der externen Konkurrenz ein schlechteres Angebot vorgelegt haben, eine zweite Chance zur Nachbesserung erhalten. Diese

7 Vgl. Eccles/White (1986), S. 219 f.

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Sonderregelungen repräsentieren gewissermaßen eine „soziale Markt-wirtschaft“ im Unternehmen.

2. Anatomie der Marktkoordination

Marktsimulationen überzeugen zwar durch ihre Pragmatik. Kritiker8 sehen in ihnen jedoch nur Pseudo-Märkte: Es besteht keinerlei Garantie dafür, dass die Implementierung einiger Marktrudimente und -fragmente (wie z. B. Profit-Center oder geeignete Intrapreneure) tatsächlich die eindrucksvollen Wirkungen von echten Märkten entfalten kann (vgl. Abb. 1). Es spricht im Gegenteil vieles dafür, dass realistischerweise erst ein sehr hoher Approximationsgrad die erwünschten Effekte liefert, während rudimentäre Marktsimulationen nur schwach positive oder gar negative Auswirkungen (infolge von Fremdkörper-Abwehrreaktionen) haben.

Abb. 1: Erfolgskennlinie von Marktsimulationen

Vor diesem Hintergrund liefern Marktsimulationen keine

akzeptablen und stabilen Lösungen für das Koordinationsproblem. Mit

8 Vgl. etwa Albers (1996), S. 307 ff.

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anderen Worten kann sich das Management auf diesem Weg nicht aus der Pendelbewegung „Rein in den Markt – Raus aus dem Markt“ hinausmanövrieren. Angesichts dieser unbefriedigenden Aussichten ist ein neuer Ansatz erforderlich: Es empfiehlt sich, hier zunächst für ein besseres Verständnis vom Wesen einer Koordination über Märkte zu sorgen, damit man nicht Gefahr läuft, lediglich weitere Pseudo-Lösungen zu entwickeln. Vor allem geht es darum, die real existierende Komplexität der Marktkoordination zutreffend zu erfassen.

2.1 Binnenstruktur der Marktkoordination

Der Markt entwickelt seine beeindruckende Koordinations-leistung faktisch dadurch, dass er nicht nur die klassische Austausch-beziehung, sondern simultan mehrere Beziehungen zwischen denselben Akteuren (Anbietern und Nachfragen) schafft. Immer häufiger ist deshalb von impliziten oder psychologischen Verträgen die Rede, die die explizit-formellen Kaufverträge ergänzen.9 Wer die Koordinations-leistung von Märkten also einzig und allein auf „die“ eine Vertragsbeziehung reduziert, macht sich einer systematischen Übersimplifizierung der Anatomie von Märkten schuldig. Hinzu kommt, dass Verträge – egal ob explizite oder implizite - nicht alle für die Koordinationsleistung ausschlaggebenden Formen der Interaktion zwischen den Marktakteuren abdecken. Die Anatomie der Marktkoor-dination setzt sich vielmehr aus mehreren Schichten zusammen.10 Es bietet sich an, hier von mindestens drei relevanten Schichten auszugehen.11 - Commerce-Schicht: Sie erfasst die geschäftliche Transaktion „Entgelt gegen Leistung“, einschließlich der AGBs und des „Klein-gedruckten“. - Community-Schicht: Hier versorgen sich die beiden Transaktionspartner gegenseitig mit Leistungen, die über die Leistungen im Kauf-, Dienst- oder Werkvertrag hinausgehen. Dazu zählen einerseits der – durch Customer Relationship-Modelle gesteuerte – Informations-

9 Vgl. Richter/Furubotn (1999), S. 242 ff. 10 Zum Zweischichten-Konzept der Embeddedness vgl. Granovetter (1985), S.

493 ff., zum markets-as-networks-Konzept vgl. den Überblick bei Brennan (2006), S. 832.

11 Vgl. Reiß/Bernecker (2005), S. 378.

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austausch (z. B. Rückmeldungen der User zu Software-Fehlern, Kundenbeschwerden, Verbesserungsvorschläge, Tipps, Informationsaus-tausch in herstellerbetriebenen Kundenclubs und Internet-Communities) sowie der organisierte Vertrauensaufbau (z. B. einseitige Leistungen ohne Kopplung an eine Gegenleistung wie das Offenlegen von Preiskalkulationen im Rahmen des Target Costing), andererseits die gemeinsame Konzeption und Durchsetzung von Standards sowie gemeinsame Forschung. - Connection-Schicht: Während auf der Commerce- und der Community-Schicht explizite Regeln existieren, ist die Connection-Schicht informeller Natur. Der Markt wird hier beispielsweise als Lernumgebung genutzt: die Marktpartner erhalten neue Erkenntnisse durch gegenseitige Beobachtung und Screening (z. B. bezüglich Änderungen in den Präferenz- und Kostenstrukturen). Hier kommt es ferner zu bewusst informell gehaltenen, weil gesetzwidrigen Absprachen zur Reduzierung des Wettbewerbsdrucks. Vertrauen wird u. a. durch Kulanz-Leistungen gefördert, vor allem mit Blick auf längerfristige Geschäftsbeziehungen. Der Informationsaustausch dient der Erreichung der eigenen Ziele, d. h. zur Vergrößerung einer bestehenden Informationsasymmetrie, etwa auf dem Weg der bewussten Offenlegung von Stärken („signalling“), aber auch der Vernebelung.12 Die Stärken und Schwächen der Marktkoordination ergeben sich also nicht nur aus einer einzigen Beziehungsform, sondern als kombinierter Effekt mehrerer, komplementärer Beziehungen.

2.2 Infrastruktur für Märkte

Ungeachtet der eindrucksvollen Mächtigkeit eignet sich der Markt nicht als universeller Koordinationsmechanismus, der aus eigener Kraft alle auftretenden Koordinationsprobleme nach marktwirtschaft-lichen Prinzipien lösen kann. Er entfaltet seine Koordinationsleistung vielmehr nur dann, wenn er in eine Governance-Struktur eingebettet ist, die die Rahmenbedingungen für Marktprozesse schafft. Es reicht – wie bereits erwähnt - also nicht aus, nur „Kunden-Lieferanten-Beziehungen“ im Unternehmen zu installieren. Marktversagen ist deshalb häufig auf Defizite in der Infrastruktur zurückzuführen (und nicht wie häufig

12 Vgl. Kräkel (2004), S. 28 ff.

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behauptet ein grundsätzliches Manko des Marktmechanismus). Die Infrastruktur für Märkte umfasst folgende Sektoren: - Gesetze (z. B. GWB) und Normen (Codizes, z. B. für Firmenübernahmen) liefern die erforderliche „technokratische“ Infrastruktur in Form von Regeln für die Interaktion der Marktakteure.13 - Marktbetreiber (z. B. Börsenbetreibergesellschaften), Aufsichts-ämter, Wettbewerbshüter (z. B. Netzagentur), Schiedsstellen und weitere Drittparteien fungieren als strukturell-organisatorische Infrastruktur. - Die Marktakteure bilden die personelle Infrastruktur, indem sie marktaffine Ziele und Einstellungen (z. B. Einkommensinteressen) sowie Fähigkeiten (z. B. Verhandlungsgeschick, unternehmerische Fähigkeiten) einbringen. - Informations- und Kommunikationssysteme wie z. B. die Internettechnologie sorgen für effiziente Abwicklungsprozesse und verringern die Informationsasymmetrien zwischen den Akteuren. - Schließlich wird eine kulturelle Infrastruktur benötigt. Dieses kollektive Unterbewusstsein der Marktteilnehmer besteht beispielsweise aus internalisierten Einstellungen zum fairen Wettbewerb und zum Einhalten von Verträgen (etwa im Sinne von Business Ethics).

2.3 Koordinationsmix

Die anatomische Analyse klärt auch darüber auf, dass Marktkoordination insofern komplex angelegt ist, als sie keinem „Reinheitsgebot“ genügt. Faktisch basiert jeder „marktliche“ Koordi-nationsprozess vielmehr auf einem Mix verschiedener Koordinations-prinzipien. Auf konzerninternen Märkten wird auf eine Mischung aus Marktwirtschaft und Planwirtschaft zurückgegriffen. „Planwirtschaft“ dient dabei als Sammelbezeichnung für Koordination über Kommando-und-Kontroll-Systeme, d. h. Budgetierung, Planung, Beherrschungs-verträge und hierarchische Vorgaben. Der Koordinationsmix aus Markt- und Planwirtschaft ist also durch ein Blending von Gegensätzen geprägt. Daher soll von hybriden Koordinationssystemen gesprochen werden. Die Namensgebung für solche Mischsysteme führt – naturgemäß - zu unhandlichen Bezeichnungen, wie beispielsweise „plangeleitete Markt-wirtschaft“14. Im Gegensatz zum positiv besetzten „Mythos Markt“ tun

13 Vgl. Williamson (1985), S. 73 f. 14 Vgl. Frese (2003), S. 21 ff.

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sich nüchtern konstruierte „hybride Koordinationssysteme“ schwer, positive Emotionen auszulösen. Dennoch eröffnet die Hybridkoordi-nation neue und ergiebige Perspektiven, um zu einer fundierten, stabilen Einschätzung der Leistungsfähigkeit von Marktwirtschaft im Unter-nehmen zu gelangen.

3. Hybridkoordination

3.1 Hybridstrukturen als Trend

Hybride Koordinationssysteme sind eine Facette innerhalb eines breiten Trends im Management. Alle Hybride beruhen auf der Kombination zweier (oder mehrerer) gegensätzlicher Komponenten, die normalerweise nur alternativ und nicht kombiniert implementiert würden. Immer häufiger werden innerhalb der Unternehmensführung solche Hybrid-Konzepte propagiert. Oft ist explizit von Hybridmodellen die Rede, etwa bei den hier fokussierten hybriden Organisationsformen (kombinierte marktliche und hierarchische Vertragsformen15), bei hybriden Produktangeboten (kombinierte Sach- und Dienstleistungen), bei hybriden Wettbewerbsstrategien (kombinierte Kosten- und Leistungsvorteile) und beim Hybridkapital (kombinierte Eigenkapital- und Fremdkapitaleigenschaften). Mitunter ist der Hybridcharakter nur implizit aus der Bezeichnung ablesbar, wie etwa bei Dialektik (Methoden im strategischen Management), Heterarchie (Kombination mehrerer gegenläufiger Hierarchien), Mezzanine-Kapital (z. B. Genussscheine), Blending (z. B. Blended Learning), Public-Private-Partnerships oder ambidextren Organisationsformen (simultane Ausbeutung vorhandener Erfolgspotenziale und Erschließung neuer Potenziale). Bei einigen Konzepten ergibt sich der hybride Charakter semantisch aus der zusammengesetzten und häufig durch Neologismen gekennzeichneten Konstruktion des Konzeptnamens, der sehr kontrastreiche Bestandteile enthält. Das ist etwa der Fall bei der geführten Evolution, der organisierten Anarchie, der Mass Customization (maßgeschneiderte Massenproduktion), bei den produzierenden Dienstleistern, beim Intrapreneuring (angestellte Unternehmer), bei der Koopkurrenz (Mischung aus Kooperations- und Konkurrenzspielregeln) und bei

15 Vgl. Frost (2005), S. 39 ff.; kritisch zum Hybridkonzept steht Powell (1990).

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Brick & Click-Unternehmen (paralleler Internet- und Filialvertrieb im Handel und bei Banken).

Auf dem Gebiet der Koordinationsformen sind Hybride kein radikal neues, sondern ein durchaus vertrautes Phänomen. Zu den klassischen Hybriden zählen etwa die soziale Marktwirtschaft, die spontanen Ordnungen sowie der dritte Weg zwischen Plan- und Marktwirt-schaft (z. B. die „Planification“). Diese Palette aus Klassikern wird angereichert durch aktuelle Varianten von Hybriden, die allesamt die traditionelle Marktkoordination „überwinden“: - Outsourcing darf keinesfalls als Triumph des Marktes über die konzerninterne Plankoordination eingestuft werden. Vielmehr beruhen diese Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten und Providern auf komple-xen Mischformen aus marktlicher und planerischer Koordination in Ge-stalt von Rahmenverträgen (z. B. für ein Application Service Providing).16 - Immer mehr Kundenbeziehungen gehen nicht „über den Markt“. In komplexen Geschäftsmodellen wie dem Solutionsgeschäft wechselt der Kunde die (Markt-)Seite und klinkt sich als „Co-Producer“ in den Wertschöpfungsprozess seines Zulieferers ein. Damit geht die Markt-beziehung in eine hybride Netzwerkpartnerschaft über. - Bündnisse (für Arbeit), konzertierte Aktionen und runde Tische bilden zwar eine Alternative zur staatlich-planwirtschaftlichen Interven-tion. Dennoch darf man die hier stattfindenden Verhandlungen nicht mit Marktkoordination verwechseln. Tatsächlich repräsentieren sie ein hybrides („korporatistisches“) Koordinationsmodell, das nicht nur mit der Preiskoordination operiert. - Markttransaktionen (im B2B-Bereich) werden immer häufiger durch nicht-marktliche Koordinationsformen wie kapitalseitige Verflech-tungen („Deutschland AG“) sowie transparente und intransparente personelle Verflechtungen (z. B. Aufsichtsräte, interlocking directorates, Beiräte) flankiert.

Glaubenskriege zwischen Marktfans und Marktkritikern führen zu keinen konstruktiven Ergebnissen. Es macht mehr Sinn, das Modell der Hybridkoordination als eine Heuristik für die Konstruktion von Marktwirtschaft im Unternehmen einzusetzen. An die Stelle des Schwarz-Weiss-Denkens (Markt oder Plan) tritt dabei ein Sowohl-als-auch-Denken, das unterschiedliche Mischformen abdeckt. 16 Vgl. zu derart relationalen Verträgen Richter/Furubotn (1999), S. 173 ff.

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3.2 Performance hybrider Koordinationssysteme

Der grundsätzliche Vorteil von Mischformen resultiert aus der Tatsache, dass alle koordinativen Reinformen – also auch Markt- und Planwirtschaft – jeweils typische Schwachstellen aufweisen. Hier können Hybridkonzepte Abhilfe schaffen, da sich durch die enge Kopplung von Komponenten mit gegensätzlichen Eigenschaften positive Wechsel-wirkungen in Form eines Schwächenausgleichs und einer Stärken-kopplung erzeugen lassen17. Durch die Kombination werden jedoch nicht nur die Vorteile der beiden Koordinationsformen verbunden, sondern auch deren Nachteile, vor allem unproduktive Konflikte und Reibungs-verluste zwischen den Gegensätzen. In die Performance-Bewertung der Hybridkoordination gehen also sowohl Vorteile als auch Nachteile ein. Vor diesem Hintergrund bietet es sich an, diese Bewertung über ein Modell der Stärken-Schwächen-Kopplung zu bewerkstelligen, wie Abbildung 2 illustriert.18

Synergie (gemessen durch Produktions- und Transaktionskosten-

effizienz) kommt dadurch zustande, dass für die unternehmerischen

17 Zum Spektrum der Gegensätze vgl. etwa Littmann/Jansen (2000), S.17 ff. 18 Vgl. auch Frost (2005), S. 51 ff., 92 ff.

Abb. 2: Performance hybrider Koordinationssysteme

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Center im Konzern einerseits Sicherheit (durch Rahmenplanung) ge-schaffen wird und andererseits gleichzeitig deren Selbständigkeit (durch Marktprozesse) erhalten bleibt. Ferner erhöht sich über die kumulierte Steuerung durch Marktmechanismen (z. B. Preise) und durch Pläne (z. B. aus einem hierarchischen Kennzahlensystem abgeleitete Bereichskenn-zahlen) die Beeinflussbarkeit des Mitarbeiterverhaltens, so dass mit weniger Verhaltensrisiken (Autonomiekosten) gerechnet werden muss. Kompensation als Schwächenausgleich findet beispielsweise statt zwi-schen den Motivationsschwächen der Planwirtschaft (Fremdbestim-mung) und den Motivationsstärken der Marktwirtschaft, die Unterneh-mertum fördert.19 Darüber hinaus verstärkt die Plankoordination den Zusammenhalt im Unternehmen. Sie besitzt Integrationspotenzial und kompensiert auf diesem Weg die zentrifugalen Tendenzen, die durch egoistisches unternehmerisches Verhalten auf Märkten entstehen können. Unter Konflikten werden unproduktive, motivationssenkende Reibungsverluste verstanden. Sie treten bei den Intrapreneuren (Unter-nehmern im Unternehmen) beispielsweise durch Rollenkonflikte auf: die gegensätzlichen Erwartungen an ein selbstbestimmtes Unternehmerver-halten einerseits und ein fremdbestimmtes Angestelltenverhalten können in Produktivitätsverluste münden. Chaos als extreme Form des Antago-nismus führt zu einer permanenten Labilität der Kombination von plan- und markt-wirtschaftlicher Koordination. Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene prägt dieses oszillierende Verlaufsmuster beispielsweise die Ein-führung der Marktwirtschaft in mehreren Transformationsstaaten. Inner-halb von Unternehmen ergibt sich eine solch fundamentale Unverträg-lichkeit, wenn hierarchische Steuerung mit bürokratischer Verhaltens-kontrolle gleichgesetzt wird, die eine Ergebniskontrolle (anhand von marktbezogenen Kennzahlen der Center-Performance, z. B. Deckungs-beiträge oder Renditen) systematisch konterkariert.

3.3. Architektur hybrider Koordinationssysteme

Das Ausmaß der verursachten produktiven oder unproduktiven Spannung wird primär von zwei Parametern hybrider Koordinations-strukturen „zwischen Markt- und Planwirtschaft“ determiniert: Zum einen von der Gegensätzlichkeit zwischen „unsichtbarer Hand“ und

19 Vgl. Williamson (1991), S. 281.

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„sichtbarer Hand“.20 Zum anderen vom Kopplungs- bzw. Überla-gerungsgrad von Markt- und Planwirtschaft. Allein auf der Basis von Subsidiaritätsprinzipien („Soviel Markt wie möglich, so viel Planung wie nötig“) oder quantitativen Mischungsverhältnissen (z. B. „70 % Markt, 30 % Plan“, Anteil der Gemeinkostenumlage für das Corporate Center an den Gesamtkosten) lässt sich der Kopplungsgrad dieser gegensätzlichen Koordinationsformen nichts ausreichend erfassen. Man muss hier vielmehr spezifizieren, wie die Mischung der beiden Koordina-tionsformen konkret konstruiert ist. Das Spektrum der in Betracht kommenden Architekturformen reicht von der überschneidungsfreien Ergänzung der Unternehmensorganisation um Elemente der Marktwirt-schaft bis hin zur vollständigen Vermengung von Plan- und Marktkoor-dination. Über dieses Kontinuum hinweg wird das Konstruktionsprinzip des ergänzenden Nebeneinanders sukzessive durch das Prinzip der Überlagerung abgelöst (vgl. Abb. 3).

Sektoren-Architektur: Diese Architekturform sorgt dafür, dass die

marktwirtschaftliche und die planwirtschaftliche Sphäre streng vonein-ander abgegrenzt sind. Die beiden Sphären sind dabei grundsätzlich gleichberechtigt, wodurch sich diese hybride Konstruktionsform 20 Vgl. Chandler (1977).

Abb. 3: Spektrum der Hybridarchitekturen

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beispielsweise von den Sonderwirtschaftszonen in Zentralverwaltungs-wirtschaften unterscheidet. Es wird von vornherein festgelegt, welche Prozesse und welche Akteure in welcher der beiden Sphären angesiedelt sind. Niemand muss gleichzeitig zwei konträre Rollenerwartungen, etwa Lieferant auf einem internen Markt und Befehlsempfänger in der Unternehmenshierarchie, erfüllen. In aller Regel21 werden spezifische Kernaufgaben durch Planungsprozesse gesteuert und koordiniert. Hierzu zählen nicht nur die wettbewerbstrategisch erfolgskritischen Kernaufgaben auf Konzernebene, sondern auch auf der Geschäftsfeld-ebene sowie in den Funktionsbereichen (z. B. Beherrschung von Logistik-prozessen oder Kundenakquisitionsprozessen). Die marktwirtschaftliche Koordination ist demgegenüber auf unspezifische Transaktionen beschränkt, die kein Differenzierungspotenzial gegenüber Wettbewer-bern beinhalten. Die desintegrativen Tendenzen zwischen den beiden Hemisphären müssen durch eine integrative Infrastruktur überwunden werden. Diesem Anliegen dienen ein integratives Controlling sowie eine auf Gemeinsamkeiten ausgelegte Unternehmenskultur.

Ebenen-Architektur: Hier werden die gegensätzlichen Koordina-tionsprinzipien nicht gleichberechtigt, sondern auf unterschiedlichen, hierarchisch angeordneten Ebenen implementiert. Die Rahmensteuerung ist planwirtschaftlich konstruiert. Sie gibt den Planungsrahmen vor, in den sich alle marktwirtschaftlichen Prozesse der Subsysteme (also Zentral-, Unternehmens-, Geschäfts- und Produktbereiche) einfügen müssen. Hieraus resultieren Grenzen für die Entfaltung der Marktwirtschaft. In aller Regel sind die Beziehungen zwischen Corporate Center und allen anderen Konzernbereichen hoheitlich-planwirtschaftlich gestaltet. Marktwirtschaftliche Koordination über Kunden-Lieferanten-Beziehungen findet hingegen zwischen den internen Service Centern und den Business Units (z. B. Implementierung von im internen IT-Service Center entwickelten E-Business-Infrastrukturen in den Geschäfts-bereichen) sowie zwischen den einzelnen Business Centern statt (z. B. Bereitstellung von konzernintern erstellten Leistungen aus einer Produktsparte an die kundennah operierenden Dienstleistungssparten). Als integrierendes Element zwischen Markt- und Plankoordination fungiert – entsprechend der Dominanz der Planwirtschaft – ein Prozess der partizipativen vertikalen Planabstimmung, etwa im Rahmen eines Management by Objectives. Auch von Managern und Mitarbeitern wird 21 Vgl. Picot (2005), S. 57 f.

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ein doppeltes Selbstverständnis abverlangt, allerdings mit jeweils eindeutiger Dominanz eines Rollenverständnisses: das Corporate-Center versteht sich in erster Linie als Planungszentrum und erst in zweiter Hinsicht als Infrastruktur-Provider für konzerninterne Marktprozesse. Umgekehrt verstehen sich die Manager der geschäftsführenden Bereiche primär als unternehmerische Akteure in einem Marktsystem und „nebenbei“ auch als angestellte „Planerfüller“.

Dual-Architektur: Ähnlich wie die Mehrebenenkonstruktion zeichnet sich auch die Dual-Konstruktion durch eine Asymmetrie zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft aus. Den Ausschlag gibt hier jedoch nicht die hierarchische Überordnung der Plankoordination, sondern die Unterscheidung zwischen Standardgeschäftsprozess und Sondergeschäftsprozess. Die Standardprozesse werden durch die permanent installierte Linienorganisation auf der Basis von Plänen abgedeckt. Für Sonderaufgaben in der Zuständigkeit von Projektgruppen, Arbeitskreisen und Task Forces kommen marktwirtschaftliche Prinzipien zum Einsatz. Der Markt wird beispielsweise zur Koordination der Rekrutierungsprozesse von Projektleitern und -mitarbeitern (interne Stellenausschreibungen) und der Bereitstellung anderer (knapper) Ressourcen (z. B. über Ausschreibungen als Allokationsprinzip für das Multiprojektmanagement) genutzt. Als Bindeglieder zwischen Plan- und Marktkoordination dienen die Mitarbeiter. Sie sind in Personalunion sowohl in die Regel- als auch in die Sonderorganisation involviert. Allerdings spielen sie unterschiedliche Rollen, je nachdem ob sie als Abteilungsleiter in der Linie oder als Projektmitarbeiter tätig sind. Es kommt also zu einer Rollenkumulation, die jedoch durch die getrennte Organisationsumgebung für das jeweils adäquate Rollenverhalten (Regel- oder Sonderorganisation) entschärft wird.

Parallel-Architektur: Hier wird kein Versuch einer Abgrenzung der beiden Koordinationsprinzipien unternommen. Marktwirtschaft und Planwirtschaft haben vielmehr jeweils das gesamte Unternehmen als Einzugsgebiet. Die beiden – für alle Prozesse und Mitarbeiter allgegenwärtigen – Koordinationsprinzipien sind dabei gleichberechtigt. Im Rahmen einer Parallel-Architektur werden nämlich alle Unternehmensprozesse zweimal gestaltet, einmal nach plan- und einmal nach marktwirtschaftlichen Gestaltungsprinzipien. Dies gilt beispielsweise für die parallele Preisfindung durch administrierte Lenkpreise und durch ausgehandelte Verrechnungspreise oder für die optimale Standortwahl (für Produktions- und Entwicklungsprozesse)

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innerhalb des Konzerns durch mehrdimensionale Planungsmodelle und durch Ausschreibungen. Allerdings sind Parallel-Architekturen sehr kostenintensiv. Die Parallelstruktur rechnet sich daher nur bei komplexen oder neuartigen Aufgaben, wenn mangels Erfahrungswerten unsicher ist, welche der beiden Lösungsansätze eine überlegende Lösung bringt. So wie der Kunde die Vorteile hybrid-paralleler Vertriebssysteme (Kauf im Ladengeschäft oder im Internet) nutzt, können auch Manager die Vorteile hybrid-paralleler Koordinationssysteme nutzen: Auf der Basis der planwirtschaftlichen Lösung als „These“ und der marktwirtschaftlichen Lösung als „Antithese“ kann man in einem dialektischen Ansatz eine „Synthese“ erarbeiten, die besser fundiert ist als der rein planerische oder rein marktliche Lösungsansatz.

Paket-Architektur: Bei dieser ebenfalls flächendeckend angelegten Hybridarchitektur werden Marktwirtschaft und Planwirtschaft nicht alternativ, sondern additiv gemischt. Diese Mischung schlägt sich letztlich in gemischten Verträgen22 mit kaufvertraglichen und gesellschaftsrechtlichen Elementen nieder, beispielsweise in Form von Service Level Agreements zwischen internen Service-Centern und den Business-Centern als internen Kunden. Alle Transaktionspartner spielen eine Doppelrolle: sie sind zugleich Angestellte des Konzerns und Marktpartner in einer Kunden-Lieferanten-Beziehung. Diese Rollenkumulation macht sie letztlich zu Intrapreneuren, d. h. zu angestellten Unternehmern, die über gemischte Entgeltsysteme mit fixen und erfolgsabhängigen Bestandteilen gesteuert werden. Markt- und Planwirtschaft werden so miteinander verschmolzen. Dies kann nur gelingen, wenn der Intrapreneur über Fähigkeiten im Umgang mit Konflikten und über Komplexitätstoleranz verfügen.

Gerade anhand der Paket-Konstruktion lässt sich begründen, dass der Begriff des „internen Markts“23 letztlich eine irreführende Bezeichnung darstellt: diese Marktformen besitzen nicht den Charakter von „freier“ Marktkoordination für diskrete, anonyme und damit präferenzfreie Transaktionen. Vielmehr handelt es sich um interne Hybride24. So ist es beispielsweise üblich, dass die Konzernleitung den internen Unternehmern bestimmte Vorgaben (z. B. in Gestalt von

22 Vgl. Williamson (1985), S. 71 f. 23 Zum Unterschied zwischen externen, unternehmensinternen und

netzwerkinternen Märkten vgl. Wittenberg (2006), S. 20 ff. 24 Vgl. Frost (2005), S. 40 ff.

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Kontingenten) macht, in welchem Umfang diese den internen Markt bedienen müssen und die konzernexterne Kundschaft mit den verbleibenden Kapazitäten dann noch bedienen können.

4. Herausforderung: Eigendynamik hybrider Koordinationsstrukturen

Bei der Hybridkoordination – so können die bisherigen Überlegungen zusammengefasst werden – handelt es sich um ein architektonisch differenziertes Spektrum mehrerer Heuristiken zur Mischung von Plan- und Marktkoordination: Sie ist leistungsfähiger als die gängigen Marktsimulationen, denen es an Stimmigkeit und Nachhaltigkeit mangelt (vgl. Abb. 1). Dennoch repräsentiert die Hybridkoordination keinen Optimierungsalgorithmus. Die zentrale Herausforderung an das Management im Umgang mit den architektonischen Optionen der Hybridkoordination lautet deshalb auch nicht, „die“ optimale Architekturform zu finden. Die Optimalität lässt sich nämlich nicht generell sondern immer nur kontextspezifisch bestimmen. Als Faustregel gilt: Je komplexer die zu koordinierenden Prozesse und je mehr Komplexitätshandhabungspotenzial bei den Mitarbeitern (z. B. zum Umgang mit mehrdeutigen Rollenerwartungen) vorhanden ist, desto besser eignen sich die Überlagerungsarchitekturen, etwa vom Typ der Paketstrukturen.

Erfolgskritisch sind daher insbesondere Fähigkeiten zur Gestaltung der Übergänge von Reinformen zu Hybridformen sowie zwischen verschiedenen Hybridarchitekturen. Im Rahmen solcher Change-Vorhaben entstehen hybride Übergangsarchitekturen. Der Wandel erfolgt nämlich in aller Regel stufenweise in mehreren Episoden der Dominanz von Marktwirtschaft oder von Planwirtschaft. Dies sei am Einstieg in einen Auslandsmarkt beispielhaft illustriert: Dort kommen in den Frühphasen primär marktwirtschaftliche Koordinationsformen zum Einsatz, etwa bei der Zusammenarbeit mit Export-Importhäusern. In der Phase einer zunehmenden Vertrautheit mit dem Auslandsmarkt werden intensiver planwirtschaftliche Prinzipien eingesetzt, letztlich durch Gründung von eigenen Vertriebs- oder Produktionstochterunternehmen im Zielmarkt. Die Koordination dieser Auslandstöchter innerhalb des Konzerns kann später dann marktwirtschaftlich erfolgen.

Implementierungskompetenz müssen die Change Manager dabei nicht nur bei der Einführung neuer Strukturen, sondern vor allem auch

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beim Umgang mit den jeweiligen Vorgängerstrukturen beweisen. Dieses Legacy-Problem mündet nämlich oftmals in Widerstände zu Beginn der Umstellung und später in Rückfallphänomene, vor allem wenn die neuen Strukturen zu keinen befriedigenden Ergebnissen führen.

Bei der Umstellung auf Hybridarchitekturen hat das Management allerdings nicht nur die geplante Dynamik zu bewältigen. Es wird vielmehr zusätzlich mit der Eigendynamik hybrider Strukturen konfrontiert. Sie resultiert aus immanenten Spannungen zwischen Planwirtschaft und Marktwirtschaft, beispielsweise in Form von Instabilitäten und starken zentrifugalen Kräften (z. B. Zugang zu unternehmensexternen Märkten, Vernetzung mit externen Partnern) innerhalb der Konzernorganisation. Die wichtigsten Treiber dieser Eigendynamik sind die Intrapreneure, die ihre unternehmerische Innovativität bei der Verfolgung ihrer erwerbswirtschaftlichen Interessen auch dafür einsetzen, planwirtschaftliche Rahmendaten und Vorgaben zu umgehen bzw. zu ihren Gunsten zu interpretieren. Hybridkoor-dination ist offensichtlich auch eine Determinante der zu beobachtenden Auflösung von Unternehmensgrenzen und damit des Übergangs von den eindeutig abgegrenzten Konzernstrukturen auf die grenzenlose, genauer „entgrenzte“ Organisation von unternehmensübergreifenden Netzwerken, Supply Chains, Joint Ventures und Allianzen.25 Hier kann man nicht mehr streng auseinander halten, ob die Vertragspartner unternehmensintern oder unternehmensextern angesiedelt sind, was sich sprachlich in Bezeichnungen wie „Quasi-Firmen“, „Exopreneure“ oder „0,5 tier-Lieferanten“ niederschlägt.

25 Vgl. Picot (2005), S. 96 ff.; vgl. zu strategischen Netzwerken etwa Sydow (1992).

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Der Autor Prof. Dr. Michael Reiss ist Inhaber des Lehrstuhls für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre und Organisation an der Universität Stuttgart. Seine Forschungsschwerpunkte sind strategiegerechte Organisationsgestaltung, Manage-ment des Wandels, Unternehmertum, Netzwerkorgani-sation und hybride Managementkonzepte. Universität Stuttgart BWL, Abt. II Keplerstraße 17 70174 Stuttgart [email protected]