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Mikis Theodorakis Ein Leben in Bildern Herausgegeben, ausgewählt und mit einem Interview von Asteris Kutulas

Mikis Theodorakistheodorakis.schott-campus.com/wp-content/uploads/sites/6/2015/11/... · Theodorakis 001-054 4.K:Layout 1 08.06.2010 9:55 Uhr Seite 2 Mikis Theodorakis Ein Leben in

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Mikis TheodorakisEin Leben in Bildern

Herausgegeben, ausgewählt und mit einem Interview von Asteris Kutulas

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Wieder Athen –600 Lieder und mehr1960, zehn Jahre nach Ende des Bürgerkriegs, kehrte ichnach Griechenland zurück. Ich hatte vom Athener Natio-naltheater den Auftrag bekommen, eine Theatermusik fürdas Stück Phönizierinnen zu komponieren, das in Epidau-ros aufgeführt werden sollte. Das war mein offizieller»Einstand« in der griechischen Kulturszene – und zudem

Epitafios-Lieder

Nachdem meine Epitafios-Gedichte durch Theodorakisvertont worden waren, suchten die Menschen nicht mehrnur das Gedicht. Sie nahmen es nicht mehr nur optischwahr – mittels der Musik drang es über das Gehör in ihrInnerstes; es diktierte ihren Puls, gelangte in ihren Blut-kreislauf, um ihrem Herzschlag endlich diesen zugleichhörbaren wie sichtbaren Rhythmus zu geben, ja dieserRhythmus beherrschte all ihre Sinne. Also erreichte das

ein sehr erfolgreicher. Ich sah, dass ich wieder in Grie-chenland leben konnte. Die Verhältnisse hatten sich zwarnoch nicht völlig normalisiert, aber doch entschiedengeändert. Auf keinen Fall waren sie dieselben wie in den ersten Jahren nach dem Bürgerkrieg. Ich wandte micherneut dem Liedschaffen zu, allerdings hatte ich michinzwischen auch sehr intensiv mit dem sinfonischen Klangund den sinfonischen Formen auseinandergesetzt – undaußerdem eine Theorie entwickelt über die Rolle derKunst in der Gesellschaft. Der Hauptgedanke dabei war,dass wir in Griechenland zu einer eigenständigen Kunstfinden müssen, die nicht im Elfenbeinturm gemacht wird,sondern ein breites Publikum mit einbezieht. Daher sehe

ich meinen bedeutendsten Beitrag für die Musik, aberauch für meine Auseinandersetzung mit mir selbst unddie allgemeine Auseinandersetzung auf dem Gebiet derKunst darin, dass es mir in den Sechzigerjahren gelungenist, die hohe griechische Dichtung mit einer musikalischenSprache zu verschmelzen, die nicht nur Ausdruck meineseigenen schöpferischen Impulses war, sondern ebensoauch Ausdruck eines starken künstlerischen und ästheti-schen Bedürfnisses eines Großteils der Gesellschaft.

Lied, wie ich später schrieb, die Menschen, wenn sie amTisch saßen, wenn sie im Bett lagen, wenn sie sich liebten,wenn sie tranken, aßen, tanzten, feierten, sich vergnügten.Und die Verse blieben ihnen im Ohr. Sie vermischten sichmit dem Wein, dem Brot. All das wurde eins. Die Versewurden eine Art Nahrung für die Empfindung, die Seele,

den Geist. Für all das im selben Augenblick. Durch dieMusik fand das Gedicht zu den Menschen! Es gab sichihnen hin, bot sich an, und die Menschen packten dasGedicht! Sie fraßen es.

Jannis Ritsos

Konzert im Kentrikon-Theater am 25. November1963 mit Grigoris Bithikotsis als Sänger (alle Bilderauf dieser Doppelseite).Mikis Theodorakis widmete das Konzert John F.Kennedy, der einige Tage zuvor erschossen worden war.

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Heilige Trias: Poesie, Musik,kulturelle Revolution1962 hatte ich Besuch von einer Abordnung des Komitees»Frauen politischer Häftlinge«. Damals waren noch etwa5.000 Kommunisten in Haft – seit Ende der Vierzigerjahre.Die Frauen baten mich, sie auf besondere Art zu unterstüt-zen: Ich sollte einige Lieder für die Gefangenen komponie-ren. Aus diesem Grund waren sie auch bei Jannis Ritsosgewesen. Sie hatten von Ritsos neun Teile aus Griechen-tum erhalten, die sie mir dann brachten. Ich sah die Textedurch – und ich muss sagen, dass ich damals auf eineranderen musikalischen Wellenlänge war. Die Verse spra-

chen mich nicht sofort an. Außerdem ereignete sich injener Zeit sehr viel … 1963 wurde Grigoris Lambrakisumgebracht, dann kamen die Wahlen, 1965 der Aufstandder Jugend und so weiter. Ich war Vorsitzender der Lam-brakis-Jugendbewegung, Parlamentsabgeordneter derEDA, schrieb viel Filmmusik, komponierte Lieder …Ich erinnere mich, dass sich in der Wohnung die Papierestapelten, darunter eine große Anzahl von Gedichten. Rit-sos’ Verse legte ich irgendwohin, und mit der Zeit wurdensie unter anderen Papieren begraben. Die Zeit verging.Eines Tages, etwa zwei Jahre später, entdeckte ich aneinem schicksalhaften Tag die Abschrift von Ritsos’ Texten.Ich las: »Diesen Bäumen genügt weniger Himmel nicht.«Das sprach mir aus dem Herzen. Griechentum ist einWerk, das nicht über die Vergangenheit berichtet, sondern

für die Zukunft geschaffen wurde, für das, was da kommensollte. Spontan setzte ich mich ans Klavier und begann, dieMusik zu schreiben, ein Lied nach dem anderen. Es war,als würde ich die Klänge aus den Versen herauslesen.Mein Sohn rief: »Papa, wir essen!« Ich antwortete: »Gleich!Ich komme.« Und so, zwischen den Rufen der Kinder unddenen meiner Frau, ich solle doch endlich zum Essen kom-men, komponierte ich binnen einer halben Stunde den Liederzyklus Griechentum. Man bedenke, dass dieseVerse verloren gewesen wären, hätte sie nicht irgendeineunbekannte Hand genau in jenem Moment aufs Klaviergelegt. Nur so konnte ich dieses Werk schreiben, das dieMenschen anfänglich irritierte. Als dann die Junta kam,wurde ihnen klar, warum Griechentum komponiert worden war.

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Eine der vielen Versammlungen in den Jahren 1963/64, an denenTheodorakis als Vorsitzender der Lambrakis-Jugendbewegung undAbgeordneter der Vereinigten Linken EDA teilnahm (l.); zusammenmit Christoforos Argyropulos auf dem Weg zum Begräbnis desAbgeordneten Grigoris Lambrakis am 28. Mai 1963 in Athen; kurzdarauf gründete Theodorakis die Lambrakis-Jugendbewegung (o.);Begegnung mit Jean-Paul Sartre 1966 in Paris (m.); mit Manolis Glezos auf einer Friedensdemonstration 1965 (r.).

Lambrakis-JugendbewegungNach der Gründung der Lambrakis-Jugendbewegung star-tete ich meine kulturelle Kampagne, die mich Anfang derSechzigerjahre durch ganz Griechenland bis ins entlegens -te Dorf führte. So kam es dazu, dass junge Leute in ganzGriechenland plötzlich die Axion-Esti-Schallplatte kauften,dass sie mit einer für sie anfangs merkwürdigen Dichtungvertraut wurden und diese Verse schließlich sangen. Heutelernen die Kinder Nur diese eine Schwalbe in der Schule.Damals sangen die Leute diese Lieder, wie zum BeispielSonne der Gerechtigkeit, auf der Straße. Sie haben sich andieser Poesie innerlich aufgerichtet. Sie fühlten sich frei,waren stolz. In fast jedem Dorf versuchten die Jugend-lichen, ein Kulturzentrum zu eröffnen, wo sie dann dieseMusik hören konnten. Und nicht nur meine Musik, son-dern auch die anderer griechischer Komponisten. AuchGedichte wurden dort gelesen. Was da passierte, war einekulturelle Revolution. 300.000 junge Leute waren in derLambrakis-Jugendbewegung organisiert. Sie war die ersteVereinigung Griechenlands, die sich sowohl politisch alsauch kulturell engagierte. Darum vermochte sie, das Establishment in seinen Grundfesten zu erschüttern. Undwahrscheinlich war das einer der Hauptgründe für denPutsch 1967.

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Bach und Beethovenfür alleKleines Orchester Athen 1962 gründete ich zusammen mit Manos Chatzidakis undanderen Musikerkollegen das Kleine Orchester Athen(MOA) und begann systematisch, große Teile der Bevölke-rung mit sinfonischer Musik bekannt zu machen. Ich pro-pagierte die Losung: »Herr Bach und Herr Beethovenhaben ihre Werke FÜR DICH geschrieben. Erwarte nichtvon anderen, dass sie dir geben, was dir ohnehin gehört.Streck deine Hand aus und nimm es dir.« Ich dirigierteneben den bekannten Werken von Bach, Vivaldi, Händelund Beethoven auch Werke wie Giovanni Pergolesis undAntonin Dvoráks Stabat Mater. Die Resonanz der Arbeiter,Schüler und Studenten auf unsere ersten Einladungen wargroß. Jeden Sonntag- und Montagabend war der Raum bisauf den letzten Platz gefüllt. Vielleicht war es das erste Malin der Geschichte, dass Concerti grossi und Solokonzertemit Streicherbegleitung in einer derart festlichen undenthusiastischen Atmosphäre gespielt wurden.Bei unserem Bach-Programm in Mithimna auf der InselLesbos war das Amphitheater voll besetzt; die Konzert -besucher waren von allen Teilen der Insel dorthin gekom-men, aus vielen Häfen hatten sie sich mit ihren Kutternund Fischerbooten aufgemacht. Auch in Kokkina, Agrinio,Patras und anderswo erlebten wir diese Begeisterung,wenn wir Bach und Händel vor einem Zuhörerkreis spielten, der sich aus Menschen zusammensetzte, die ausden Dörfern kamen, Menschen, die wohl bislang wederdie Namen dieser Komponisten und noch deren Musikgehört hatte.Und wieder die gleiche Reaktion – enthusiastische Zu -stimmung im Hinblick auf das Vorhaben, sinfonischeMusik zu Gehör zu bringen – bekamen wir einige Jahrespäter, als sich 1966 das Kleine Orchester Athen in Sinfonisches Volksorchester Piräus umbenannte.

S. 67 Demonstration in Serres nach einem Bombenanschlag aufdas Büro der Lambrakis-Jugendbewegung (o.); Plattencover derMauthausen-Ballade von 1966 (u. l.); mit Panos Skurelis bei einemSecurity-Check für den Friedens-Marathon 1966 (u. r.).

S. 66 Erstes Konzert des MOA mit Tatsis Apostolidis als Violin-Solistam 20. November 1962 im Kaluta-Theater Athen (o.); Erste Partitur-seite des Oratoriums Axion Esti (m. l.); Fahrt zum Innenministeriumim Januar 1966 zusammen mit den Kollegen Manos Chatzidakis undStavros Xarhakos, die eine Unterlassung des Spielens ihrer Liedererwirken wollen, nachdem der Rundfunk das Spielen der Lieder vonTheodorakis verboten hatte (m. r.); Plattencover des OratoriumsAxion Esti von 1964 (u. r.).

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Der Film Alexis Zorbas wurde 1964 produziert, also ineiner für Griechenland politisch sehr aufgewühlten Zeit.1967 kam dann der Putsch. In den Jahren davor war ichnicht nur Abgeordneter der linken EDA-Bewegung, son-dern auch Vorsitzender der Lambrakis-Jugendbewegung,also völlig absorbiert von den politischen und gesell -schaftlichen Auseinandersetzungen in meiner Heimat. DieWolken der Junta zogen bereits am Horizont auf, und wirversuchten, der Gefahr zuvorzukommen. Unter diesenBedingungen wurde der Zorbas-Film gedreht, und zwarauf Kreta. Ich war bei fünf, sechs Terminen am Set dabei,aber eher, um ein paar Tage zu entspannen. Denn ichschrieb niemals während der laufenden Dreharbeiten dieMusik, sondern fast immer erst, wenn sie abgeschlossen

Zorbas

waren, auf der Grundlage des Rohschnitts. Diesmal warenallerdings Anthony Quinn und Irene Papas dabei, und mirgefiel die Atmosphäre sehr, deshalb blieb ich dort. Undwie immer, wenn ich mit Cacojannis einen Film drehte,hatten wir viel Spaß und gingen abends nach der Arbeit indie Taverne …In den Reaktionen auf dieses Werk offenbart sich etwasganz Bestimmtes: nämlich, dass sich die internationaleöffentliche Meinung auf einige Muster und Archetypen,auf ein vereinfachendes Schubladendenken gründet. Siedrückt jedem einen Stempel auf. Mir hat man den StempelAlexis Zorbas aufgedrückt. Wir leben in einer Epoche, inder bereits alles in Schubladen eingeordnet wurde undeinen Stempel aufgedrückt bekommen hat, in einergeruchlosen, geschmacklosen Epoche. Ich hatte das zweifelhafte Glück, dank des Zorbas wahnsinnig bekannt

zu werden, trotz der allgemein herrschenden Gleich -macherei. Aber was nützt mir das? »Zorbas … Zorbas …Zorbas …« Viele Menschen glauben doch tatsächlich, ichhätte nur »Taram-taram-taram« geschrieben. Das istlächerlich.

Schlussszene aus dem Zorbas-Film mit Anthony Quinn und AlanBates in der Regie von Michales Cacojannis und Schallplatte von20th Century Fox mit dem Sirtaki aus dem Zorbas-Film 1964 (l.);Anthony Quinn und Theodorakis am 29. Juli 1995 auf dem Königsplatz in München nach der konzertanten Aufführung des Zorbas-Balletts für Mezzosopran, Chor und Sinfonieorchester mitdem Athener Staatsorchester und dem Griechischen Rundfunkchor(m.); drei der zahlreichen Schallplatten mit der Zorbas-Filmmusiksowie ein Filmplakat von 1964 (r.).

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Die Revolution sind WIR Begegnung mit Joseph Beuys im Juni 1973 in Berlin (l.); bei einem Gespräch mit der »Direkte-Demokratie«-Aktivistin Rhea Thönges-Stringaris 1973 in Paris (r.).

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Aus einem Gespräch in Paris, Mai 1974Vermittelt, moderiert und übersetzt von Rhea Thönges-Stringaris

MIKIS THEODORAKIS: Und was nun? Es kommt eben irgend-wann eine neue Revolution. So einfach gehen wir schonnicht verloren! Wir müssen keine Angst haben; das Lebengeht weiter … Es wäre ja langweilig, wenn alles vollkom-men wäre …

JOSEPH BEUYS: Vollkommen nicht! – Das hätte keine Dyna-mik. Ganz richtig.

THEODORAKIS: Ja, keine Dynamik. Doch in den Zwischen -räumen lebt der Mensch weiter, produziert weiter, machtFortschritte. Und wir in Griechenland – nehmen wir unserLand als Beispiel –, die wir doch ewig klagen … Griechen-land war niemals frei. Wir müssen das Beste darausmachen, und ein Stückchen geht es doch voran.

BEUYS: Aber jetzt ist gerade das die Frage: Was bewirkt dieAuslösung der größten Dynamik? Das Angebot an dieMenschen sozusagen, noch einmal einen blutigen Kampfzu führen, wobei ich daran zweifle, ob Menschen in derWelt – auch in Griechenland – in ausreichender Zahl zubegeistern sind oder ob nicht eine ganz neue Vorstellungvon Dynamik zwischen den Menschen diskutiert werdenmuss. Und davon war ich bei dir ja immer so begeistert:dass du den Ausgangspunkt für Dynamik in der Kunstgesehen hast, also in der freien Schöpferkraft des Men-schen, also im Freiheitsbegriff …

THEODORAKIS: Nun, ich weiß nicht – das geht doch nurzusammen.

BEUYS: Im Denken geht es nicht zusammen. Als Wollengeht es wohl zusammen, dass man sagt: Ich will sozu -sagen, dass das zur Wirkung kommt. Aber im logischenAblauf, von der organischen Kreation her (wie auch Gottdie Welt geschaffen hat), aus dem spirit heraus, in derRealisation, also wie der spirit in wirklicher, physischerForm Rechte geschaffen hat, Einrichtungen geschaffen hat,Natur geschaffen hat – also in diesem organischen Verlauffindet es nicht statt! Das ist abstrakt. Das ist: Die Freiheitaufrechterhalten, als wenn ich ein blutiger Kämpfer wäre.An sich zäume ich dann das Pferd von hinten auf. Ich kannmit dem besten Willen natürlich auch die Freiheit wollen.Garibaldi hat das auch gewollt. Es ist eine alte Methodik;es fragt sich nur, ob diese alte revolutionäre Methodiknoch einen fruchtbaren Boden findet. Ich meine, dieMenschheit kennt ja bisher keine andere revolutionäre

Methodik als sozusagen die mit Waffen. Aber wie ist esdann gekommen, dass man immer noch in diesemZustand ist, dass durch diese Revolution im Grunde immerschlimmere Verhältnisse gekommen sind? Und vor allenDingen sogar in den Ländern, die so genannte kommunis-tische Revolutionen erlebt haben.

THEODORAKIS: Aber die Waffe, glaube ich, ist die letzte Kon-sequenz einer inneren Reife. Die Waffe ist wie eine Blütean einem Baum, der dazu herangereift ist …

BEUYS: Sicher, das kann ich auch verstehen. Aber sagen wirmal so: Diese innere Blüte, nicht wahr, ist eine Waffe. Ichwürde mich nicht scheuen, Tausende von Menschenumzubringen – in einer Revolution; das würde mir sogarsehr leicht fallen. Aber eben, weil es mir so leicht fällt, damuss ich auch daran denken, was Steiner gesagt hat: dassman zum Krieg keine Ideen braucht, aber zum Frieden,das ist ungeheuer schwer …

THEODORAKIS: Das Wichtigste ist die innere Reife des Men-schen. Und es gibt eine Dynamik, die sowohl individuellals auch kollektiv ist.

BEUYS: Ich glaube, diese innere Reife muss sich doch über-tragen lassen auf die anderen, die auch diesen Kampf füh-ren wollen; und die können unter Umständen einen vielradikaleren Kampf dadurch führen, dass sie zum Beispieleinfach sich verweigern. Es gibt doch noch zu viele Leute –in Griechenland zum Beispiel auch –, die das Systemimmer wieder unterstützen. Es muss doch eine viel größere Mehrheit geben, die zum Beispiel, sagen wir mal,den passiven Widerstand praktizieren will.

THEODORAKIS: Das ist es nicht, was ich sagen wollte, sondernvielmehr, dass die Mehrheit der Menschen in Griechen-land genau das bekundet hat: ihre Entschlossenheit, inFreiheit leben zu wollen, in Frieden und in demokrati-schen Verhältnissen – in allen Jahrhunderten war es nichtanders. Es ist also keine Frage, dass es erst noch mehr reifen muss – eine solche Kulturbewegung wie die derGriechen in den Sechzigerjahren ist weltweit ziemlich einmalig.

BEUYS: Und Griechenland ist natürlich das Opfer desschlechten Benehmens in ganz Europa. Griechenland istnicht nur das Opfer der Amerikaner, Griechenland ist auchdas Opfer von Schweden, Dänemark, Deutschland, Frank-reich, Holland, England und so weiter. Deswegen, meineich, muss man den politischen Kampf für Griechenlandauch in Europa führen. Ich meine in deinem Fall, dass duviel wirksamer für die griechische Sache kämpfen würdest,wenn du dich viel stärker zum Beispiel in Deutschland, inFrankreich exponieren würdest. Denn wenn sich die Ver-hältnisse in ganz Europa von der Wurzel her ändern,gründlich ändern, ändert sich auch die griechische Situa-tion. Ich habe also gefragt, ob es deswegen nicht auchwichtig wäre, sich in der europäischen Solidarität stärkerzu exponieren.

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Aufständisches GriechenlandEuropa hatte keinen Che Guevera …

… es hatte Mikis Theodorakis, der später schreiben sollte:»Ich gehöre einer Generation an, die sich einem extremenIdealismus verschrieben hatte. Mein ganzes Leben war einendloser Kampf zwischen dem Idealischen und dem Wirk-lichen, dem Alltäglichen und der Vision.« Wir waren mitihm. Wer nie vom Umsturz der Diktaturen geträumt hat,wird bekanntlich nie erwachsen.

Roger Willemsen

Maria Farantouri während eines Theodorakis-Konzerts 1973 (l.); Bilder vom Studentenaufstand im Athener Polytechnikum imNovember 1973. Der Aufstand wurde blutig niedergeschlagen, führte aber zusammen mit anderen Ereignissen zum Sturz der Junta im Sommer 1974 (r.).

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