Upload
prof-bartosz-a-grzybowski
View
216
Download
2
Embed Size (px)
Citation preview
Instabile Grenzfl�chenDOI: 10.1002/ange.201001854
Mischen und Dispergieren mithilfe von chemischenReaktionenBartosz A. Grzybowski*
Diffusion · Fl�ssigkeiten · Grenzfl�chen ·Instabilit�ten · Vermischung
Die Effizienz der Vermischung mischbarer Fl�ssigkeiten istabh�ngig von der Fl�che ihrer Grenzschicht, durch die Mo-lek�le diffundieren k�nnen.[1] �blicherweise kann die Gr�ßedieser Grenzfl�che durch mechanisches Mischen und/oderTurbulenzen, die „wirbelartige“ Str�mungen auf mehrerenL�ngenskalen erzeugen, deutlich erh�ht werden. Wenn aberdiese Effekte nicht vorhanden sind – zum Beispiel in stati-schen „mehrschichtigen“ Fl�ssigkeiten oder in Mikrofluidik-bauteilen –, kann eine Vermischung schwierig werden.[2]
J�ngste Untersuchungen[3] von De Wit und Mitarbeitern ander Universit� Libre in Br�ssel deuten an, dass in derartigenF�llen chemische Reaktionen hydrodynamische Instabilit�-ten erzeugen k�nnen, die die Grenzfl�che verformen, unddadurch ein Mischen letztlich durch die vergr�ßerte Grenz-fl�che m�glich wird.
Das Br�sseler Team nutzte eine simple Versuchsanord-nung, in der sich eine Fl�ssigkeitsschicht A auf der mit ihrmischbaren Fl�ssigkeit B befindet. Wenn Dichten und Dif-fusionskoeffizienten der beiden Fl�ssigkeiten identisch sind(1A = 1B, DA = DB), dann bleibt die anfangs ebene Fl�ssig-fl�ssig-Grenzfl�che stabil, und die einzig stattfindende Ver-mischung l�sst sich auf eine langsame Diffusion zur�ckf�h-ren. Diese Situation �ndert sich aber wohl schlagartig, wenndie Fl�ssigkeiten miteinander zum Produkt C reagieren,dessen physikalische Eigenschaften sich entweder von A odervon B unterscheiden. Wenn zum Beispiel C schwerer ist alsdie Reaktanten, dann wird seine Entstehung an der A-B-Grenzfl�che zu langen, schmalen „Fingern“ von C f�hren, diesich aus dem Reaktionsbereich in das leichtere B ausbreiten,w�hrend sich die Reaktionsfront durch Konvektion nachoben verlagert (Abbildung 1a). Auch die Grenzfl�che kannals Folge von Unterschieden in den Diffusionskoeffizienteninstabil werden (also ist DC¼6 DA,B). In solchen F�llen gehtman davon aus, dass sich die Finger sowohl nach unten(zwischen B und C) als auch nach oben (zwischen A und C)ausbilden (Abbildung 1b). Die Autoren st�tzten diese theo-retischen Vorhersagen durch Experimente, in denen Instabi-
lit�ten und die Bildung von Fingern durch Neutralisations-reaktionen zwischen Schichten von w�ssrigen HCl- undNaOH-L�sungen hervorgerufen wurden.
Wie und warum entwickeln sich aus der anfangs flachenGrenzschicht unregelm�ßige „Finger“? Die Antwort findetman in der F�higkeit bestimmter nichtlinearer Systeme,kleine Instabilit�ten zu großskaligen St�rungen zu verst�r-ken. In unserem Fall sind diese St�rungen vom Rayleigh-Taylor-Typ;[4] sie entstehen aus dem Zusammenspiel der Bil-dung von C mit konvektionsgetriebenen Fl�ssigkeitsstr�-mungen. Genauer gesagt weist die anf�nglich ebene Grenz-fl�che aufgrund von inh�renten Konzentrationsschwankun-gen Bereiche auf, in denen mehr C entsteht als in anderen.Wenn 1C gr�ßer als 1B ist, dann dr�ckt das zuerst gebildete,schwerere C eine kleine Vertiefung in das leichtere B. Da-durch verdr�ngt es das leichtere B und l�st dessen Konvek-tionsstr�mung nach oben aus. Dieser Prozess vergr�ßert dieFl�che der verformten Grenzschicht, sodass noch mehr A undB in Kontakt kommen und zu C reagieren; dadurch werdendie Bildung von Vertiefungen und die Konvektion weitergef�rdert. Anstatt dass die anf�nglich kleine Instabilit�t mit
Abbildung 1. Berechnete zweidimensionale Dichtefelder von zweimischbaren reaktiven Fl�ssigkeiten. Zu Beginn bilden die Fl�ssigkeitensaubere Schichten, und ihre Grenzfl�che ist eben (schwarze waage-rechte Linie). Wenn jedoch eine chemische Reaktion A + B ! C statt-findet, wird die Grenzschicht instabil: a) Die „Finger“ aus C fallen indas leichtere B oder b) sie breiten sich sowohl in A als auch in B aus,wenn sich die Diffusionskoeffizienten unterscheiden. In beiden F�llenvergr�ßert die Reaktion die Fl�che der Grenzschicht und erm�glicht ei-ne Vermischung. Wiedergabe nach Lit. [3], Copyright 2010 AmericanPhysical Society.
[*] Prof. B. A. GrzybowskiDepartment of Chemistry andDepartment of Chemical and Biological EngineeringNorthwestern University, 2145 Sheridan Road, Evanston, IL (USA)Fax: (+ 1)847-491-3024E-Mail: [email protected]: http://dysa.northwestern.edu
Highlights
40 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2011, 123, 40 – 42
der Zeit abklingt, wird sie durch den Kreislauf verst�rkt undendet in großen Finger-Mustern, die letztlich die Vermi-schung der beiden geschichteten Fl�ssigkeiten erm�glichen.
Der Nachteil dieses geschichteten Fl�ssigkeitssystems ist,dass die Instabilit�ten Schwerkraft erfordern, um die Kon-vektionsstr�mungen anzutreiben. Wegen dieser Anforderungl�sst sich der von De Wits Gruppe beschriebene Mechanis-mus nicht auf Vermischungen in Mikrofluidikbauteilen an-wenden, in denen Tr�gheits- und Schwerkrafteffekte ver-nachl�ssigbar sind. Gl�cklicherweise gibt es andere Artenvon reaktionsinduzierten Instabilit�ten, die die Grenzfl�chevergr�ßern und die Vermischung – oder zumindest das Di-spergieren – einer fl�ssigen Phase mit einer anderen be-schleunigen k�nnen.
In diesem Zusammenhang sind zweiphasige Systeme, beidenen eine Grenzfl�chenreaktion die Oberfl�chenspannungver�ndert, besonders interessant (Abbildung 2).[5] Als Bei-
spiel stellen wir uns ein makroskopisches Tr�pfchen einesorganischen L�sungsmittels vor, das ein ionisierbares Tensid(zum Beispiel eine langkettige Carbons�ure) enth�lt und ineine mit dem L�sungsmittel unmischbare oder nur sehr wenigmischbare Fl�ssigkeit unter Normalbedingungen gegebenwird (Abbildung 2a). Im protonierten Zustand verbleiben dieTensidmolek�le bevorzugt in der organischen Phase; wenndas Tr�pfchen jedoch von einer alkalischen L�sung umgebenist, dann wandern die Molek�le an die Tr�pfchenoberfl�che,wo ihre Kopfgruppen deprotoniert werden und in Richtungder w�ssrigen Phase stehen. Am Anfang kann die Grenz-schicht alle m�glichen Molek�le zur Deprotonierung auf-nehmen. Dies geschieht, indem das Tr�pfchen sich zu eineml�nglichen „Klecks“ mit einer gr�ßeren Oberfl�che verformt.Diese Dehnung ist jedoch nicht unendlich m�glich. Das ver-l�ngerte Tr�pfchen wird instabil, bis die Tendenz zur Ober-fl�chenminimierung endg�ltig �berwiegt. Anstatt sich weiterzu verformen, teilt sich das Tr�pfchen infolge einer Plateau-Rayleigh-Instabilit�t. Die Vergr�ßerung der Grenzfl�chebeginnt danach in den kleineren Tr�pfchen von neuem, bis
sich diese wiederum in noch kleinere Tr�pfchen teilen. In-nerhalb einiger Teilungszyklen spaltet sich der makroskopi-sche Tropfen unter Bildung einer mikroskopischen Emulsion.Diese Tr�pfchenteilungen werden, �hnlich wie die Bildungder Finger-Muster, durch eine chemische Reaktion an derGrenzfl�che angetrieben. Wenn keine Reaktion stattfindet,dann bilden sich keine Instabilit�ten, und eine organischePhase wird sich niemals spontan zerteilen. Ein Hoch aufGrenzfl�chenreaktionen!
Nat�rlich haben auch Grenzschicht-Instabilit�ten ihreGrenzen. Beim Vermischen sind die wichtigsten Fragen, wieschnell und bis zu welcher Gr�ßenordnung herunter dieFl�ssigkeiten aufgrund der Instabilit�ten vermischt oder in-einander dispergiert werden k�nnen. In dem System, das vonDe Wit und Mitarbeitern beschrieben wird, bilden sich typi-scher „Finger“ im Millimeterbereich. Diese L�ngenskala istwahrscheinlich zu groß f�r industrielle Anwendungen, beidenen eine „turbulente“ Vermischung f�r Str�mungen mitgroßer Reynolds-Zahl und eine chaotische Vermischung[1] beiniedrigen Reynolds-Zahlen eine bessere Homogenit�t er-zeugen w�rden. Im Fall der sich teilenden Tr�pfchen kann dieschließlich erreichte Gr�ßenordnung deutlich kleiner sein.Hier wird die endg�ltige Tr�pfchengr�ße durch einen„Wettbewerb“ zwischen der vorteilhaften freien Energie, diemit dem Vorliegen m�glichst vieler geladener/deprotonierterKopfgruppen in der w�ssrigen Phase verkn�pft ist, und un-g�nstigen Energien bestimmt, die verbunden sind mit 1) derelektrostatischen Abstoßung der Kopfgruppen untereinanderund 2) der Kr�mmung der Grenzschicht (wird mit abneh-mender Tr�pfchengr�ße immer wichtiger). W�hrend heuteerst kleine Tr�pfchen im Mikrometerbereich bekannt sind,[5]
deuten unsere Experimente[6a] und Rechnungen[6b] an, dassder Teilungsprozess bis zu einem Tr�pfchendurchmesser voneinigen Dutzend Nanometern beg�nstigt sein kann.
Auch wenn diese Ergebnisse vielversprechend sind, ist esdas endg�ltige Ziel, Systeme zu entwerfen, bei denen che-mische Reaktionen die Vermischung auf einer noch kleine-ren, molekularen Ebene erm�glichen, auf der die N�herungeiner kontinuierlichen Str�mung ihre G�ltigkeit verliert. Esgibt einige experimentelle Beispiele dieses Mischvorgangs beiPolymerblends,[7] bei denen Reaktionen zwischen einzelnenKetten die Gr�ße von Bereichen steuert und in erw�nschtemakroskopische Materialeigenschaften �bertr�gt. Ein ande-rer Ansatz beruht auf dem Einsatz der klassischen Methodender chaotischen Advektion, um anf�nglich große Kompo-nenten von Polymerschmelzen in Nanostrukturen zu �ber-f�hren, deren molekulare Wechselwirkungen weitere �ber-gange ausl�sen k�nnen.[8]
Bei einer Ann�herung an die molekulare Ebene erschei-nen Polymere und – allgemeiner ausgedr�ckt – viskoelasti-sche (nicht-Newtonsche) Fl�ssigkeiten, die flexible Fasernenthalten, anf�lliger daf�r, Instabilit�ten auszubilden, alseinfache Newtonsche Fl�ssigkeiten. Der Grund daf�r ist, dassgedehnte oder gebogene Fasern – im Vergleich zu kleinenMolek�len – große Mengen an Konformationsenergie spei-chern k�nnen. Tats�chlich wurde vor kurzem gezeigt, dassInstabilit�ten durch Kr�mmung von Fasern in einer Suspen-sion den Molek�ltransport beeinflussen k�nnen.[9] Bei diesenVersuchen kr�mmen sich die anf�nglich gestreckten Fasern
Abbildung 2. a) Schema der Tr�pfchenteilung. b) SelbstteilendeCH2Cl2-Tr�pfchen, die 2-Hexyldecans�ure enthalten und in eine w�ssri-ge KOH-L�sung mit pH 12 (Maßst�be: 2.5 mm) gegeben werden. DieTr�pfchen wurden mit dem Farbstoff Calco Oil Red angef�rbt.[6]
AngewandteChemie
41Angew. Chem. 2011, 123, 40 – 42 � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.angewandte.de
infolge einer Belastung der Polymersuspension nahe derStaupunkte (an denen die Geschwindigkeit der Fl�ssigkeitnull ist). Diese Instabilit�ten bauen (durch Verkn�uelung)elastische Spannung auf, die freigesetzt wird, wenn sich diePolymerfasern von den Staupunkten wegbewegen. Stau-punkte in komplexeren, nicht-Newtonschen Fl�ssigkeitenk�nnen interessante Spannungsverteilungen aufweisen undstarke Vermischungen in einer kleinen Gr�ßenordnung an-treiben.[9b] Auf �hnliche Weise k�nnen Orientierungsinstabi-lit�ten in aktiven Suspensionen (Suspensionen, deren Mi-krostruktur als Resultat von inneren Kr�ften die Form �ndertoder Spannung auf die umgebende Fl�ssigkeit aus�bt) starkvermischende, zuf�llige Str�mungen erzeugen.[10]
Unser Verst�ndnis dieses faszinierenden mikroskaligenPh�nomens ist noch l�ckenhaft; es gibt sowohl einen Bedarfan mehr experimentellen Arbeiten als auch an detailliertenSimulationen auf Atomebene. Bedenkt man die Komplexit�tder nichtlinearen Ph�nomene, so ist es f�r Fortschritte aufdiesem Gebiet wahrscheinlich n�tig, dass Chemiker mitPhysikern und Ingenieuren zusammenarbeiten. Solch eineinterdisziplin�re Forschung k�nnte sich in Form von neuen,eleganten und „sauberen“ (nebenproduktfreien) Verfahrenauszahlen, durch die sich Fl�ssigkeiten rasch, gr�ndlich undohne mechanisches Zutun, allein aufgrund chemischer Re-
aktionen vermischen. Wie w�re es mit „reaktivem Zucker“,der sich von selbst in Ihren Nachmittagstee r�hrt?
Eingegangen am 29. M�rz 2010Online ver�ffentlicht am 15. Oktober 2010
[1] J. M. Ottino, The Kinematics of Mixing: Stretching, Chaos, andTransport, Cambridge University Press, Cambridge, 1989.
[2] a) H. A. Stone, A. D. Stroock, A. Ajdari, Annu. Rev. Fluid Mech.2004, 36, 381 – 411; b) C. J. Campbell, B. A. Grzybowski, Philos.Trans. R. Soc. London Ser. A 2004, 362, 1069 – 1086.
[3] C. Almarcha, P. M. J. Trevelyan, P. Grosfils, A. De Wit, Phys.Rev. Lett. 2010, 104, 044501.
[4] D. H. Sharp, Phys. D 1984, 12, 3 – 18.[5] a) P. A. Bachmann, P. Walde, P. L. Luisi, J. Lang, J. Am. Chem.
Soc. 1990, 112, 8200 – 8201; b) P. A. Bachmann, P. Walde, P. L.Luisi, J. Lang, J. Am. Chem. Soc. 1991, 113, 8204 – 8209; c) M. M.Hanczyc, S. M. Fujikawa, J. W. Szostak, Science 2003, 302, 618 –622.
[6] a) K. P. Browne, D. A. Walker, K. J. M. Bishop, B. A. Grzy-bowski, Angew. Chem. 2010, 122, 6908 – 6911; Angew. Chem. Int.Ed. 2010, 49, 6756 – 6759; b) A. Z. Patashinski, R. Orlik, M. A.Ratner, B. A. Grzybowski, Soft Matter 2010, 6, 4441 – 4445.
[7] W. E. Baker, M. Saleem, Polym. Eng. Sci. 1987, 27, 1634 – 1641.[8] D. A. Zumbrunnen, S. Inamdar, O. Kwon, P. Verma, Nano Lett.
2002, 2, 1143 – 1148.[9] a) Y.-N. Young, M. J. Shelley, Phys. Rev. Lett. 2007, 99, 058303;
b) B. Thomases, M. J. Shelley, Phys. Rev. Lett. 2009, 103, 094501.[10] D. Saintillan, M. J. Shelley, Phys. Rev. Lett. 2007, 99, 058102.
Highlights
42 www.angewandte.de � 2011 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim Angew. Chem. 2011, 123, 40 – 42