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German Life and Letters 51:1 January 1998 0016–8777 MISSGUNST AM ‘MUSENSITZ’: EIN REISENDER ENGLA ¨ NDER BEI GOETHE UND SCHILLER Karl S. Guthke abstract In der Kultur des klassischen Weimar ist der ‘reisende Engla ¨nder’ so etwas wie eine Institution. Hier wird auf Grund des wiedergefundenen Tagebuchs von George Butler, dem spa ¨teren Leiter der Harrow School, u ¨ber dessen Gespra ¨che 1798 und 1801 mit Goethe und Schiller berichtet. Soweit die A ¨ ußerungen bekannt waren, werden sie wesentlich erga ¨nzt und berichtigt. I In Lotte in Weimar la ¨ßt Thomas Mann, nicht ohne selbstgefa ¨llige Koketterie mit der eigenen Situation, Goethe daru ¨ber sto ¨hnen, daß er von zu vielen Bildungstouristen heimgesucht werde. Die Biographen haben die zahl- reichen in- und ausla ¨ndischen Besucher gewissenhaft erfaßt, doch nicht ganz lu ¨ckenlos. So fehlt in Robert Steigers Chronik Goethes Leben von Tag zu Tag, 1 die gerade solche flu ¨ chtigen Begegnungen mit der erforderlichen Pedanterie festha ¨lt, nicht anders als in Goethes eigenen Aufzeichnungen ein Hinweis auf die Visite des reisenden Engla ¨nders George Butler am 21. September 1798 im Haus am Frauenplan. Das ist um so erstaunlicher, als die von Renate Grumach vier Jahre vor der Chronik herausgegebene Dokumentation Goethe: Begegnungen und Gespra ¨che immerhin ein ‘vor 22.9.[1798]’ datiertes Gespra ¨ch mit Butler verzeichnet, das allerdings nach den dortigen Angaben nicht eben ergiebig war: ‘I advised him [Schiller], as I had done Goethe, to write a “tour through the Harz”: “the journey,” I said, “would benefit your health, you would gain many new ideas, and now is just the time.”’ Das ist alles, u ¨ bernommen aus einem Artikel von K. W. Maurer aus dem Jahre 1936, ‘George Butler und ein unvero ¨f- fentlichter Brief Schillers in England’, der einen Auszug aus Butlers Tage- bucheintrag vom 22. September 1798, dem Datum von Butlers Besuch bei Schiller, entha ¨lt. 2 Durch einen Glu ¨ cksfall ist es mo ¨glich, entschieden mehr und Genaueres u ¨ ber dieses hier nur eben angedeutete Gespra ¨ch mit Goethe sowie auch u ¨ber die beiden Gespra ¨che mit Schiller mitzuteilen, die Butler gefu ¨ hrt hat. 3 1 III, Zu ¨rich u. Mu ¨ nchen 1984. 2 Archiv fu ¨r das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, 170 (1936), 100–2, hier S.101; Begeg- nungen und Gespra ¨che, IV, Berlin 1980, S.445. 3 I should like to thank the following for their generous help in obtaining the information com- municated in this article: Derek Beales, Alasdair Hawkyard, Nicholas Smith, Keith Turner, Thomas Wyatt. Blackwell Publishers Ltd 1998. Published by Blackwell Publishers, 108 Cowley Road, Oxford OX4 1JF, UK and 350 Main Street, Malden, MA 02148, USA.

Missgunst am ‘Musensitz’: Ein reisender Engländer bei Goethe und Schiller

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German Life and Letters 51:1 January 19980016–8777

MISSGUNST AM ‘MUSENSITZ’: EIN REISENDER ENGLANDER BEIGOETHE UND SCHILLER

Karl S. Guthke

abstract

In der Kultur des klassischen Weimar ist der ‘reisende Englander’ so etwas wieeine Institution. Hier wird auf Grund des wiedergefundenen Tagebuchs vonGeorge Butler, dem spateren Leiter der Harrow School, uber dessen Gesprache1798 und 1801 mit Goethe und Schiller berichtet. Soweit die Außerungen bekanntwaren, werden sie wesentlich erganzt und berichtigt.

I

In Lotte in Weimar laßt Thomas Mann, nicht ohne selbstgefallige Koketteriemit der eigenen Situation, Goethe daruber stohnen, daß er von zu vielenBildungstouristen heimgesucht werde. Die Biographen haben die zahl-reichen in- und auslandischen Besucher gewissenhaft erfaßt, doch nichtganz luckenlos. So fehlt in Robert Steigers Chronik Goethes Leben von Tagzu Tag,1 die gerade solche fluchtigen Begegnungen mit der erforderlichenPedanterie festhalt, nicht anders als in Goethes eigenen Aufzeichnungenein Hinweis auf die Visite des reisenden Englanders George Butler am 21.September 1798 im Haus am Frauenplan. Das ist um so erstaunlicher,als die von Renate Grumach vier Jahre vor der Chronik herausgegebeneDokumentation Goethe: Begegnungen und Gesprache immerhin ein ‘vor22.9.[1798]’ datiertes Gesprach mit Butler verzeichnet, das allerdings nachden dortigen Angaben nicht eben ergiebig war: ‘I advised him [Schiller],as I had done Goethe, to write a “tour through the Harz”: “the journey,”I said, “would benefit your health, you would gain many new ideas, andnow is just the time.”’ Das ist alles, ubernommen aus einem Artikel vonK. W. Maurer aus dem Jahre 1936, ‘George Butler und ein unverof-fentlichter Brief Schillers in England’, der einen Auszug aus Butlers Tage-bucheintrag vom 22. September 1798, dem Datum von Butlers Besuch beiSchiller, enthalt.2 Durch einen Glucksfall ist es moglich, entschieden mehrund Genaueres uber dieses hier nur eben angedeutete Gesprach mitGoethe sowie auch uber die beiden Gesprache mit Schiller mitzuteilen,die Butler gefuhrt hat.3

1 III, Zurich u. Munchen 1984.2 Archiv fur das Studium der neueren Sprachen und Literaturen, 170 (1936), 100–2, hier S.101; Begeg-nungen und Gesprache, IV, Berlin 1980, S.445.3 I should like to thank the following for their generous help in obtaining the information com-municated in this article: Derek Beales, Alasdair Hawkyard, Nicholas Smith, Keith Turner,Thomas Wyatt.

Blackwell Publishers Ltd 1998. Published by Blackwell Publishers, 108 Cowley Road, Oxford OX4 1JF, UKand 350 Main Street, Malden, MA 02148, USA.

16 EIN REISENDER ENGLANDER BEI GOETHE UND SCHILLER

George Butler, 1774 in London als Sohn des Pfarrers und Chaplain desHerzogs von Kent Weeden Butler geboren, war zur Zeit seines Besuchs inWeimar noch langst nicht der beruhmte Mann, der er einmal werdensollte als langjahriger Headmaster des bekannten Internats Harrow undvon 1842 bis zu seinem Tode 1853 als Dean an der Kathedrale in Peterbor-ough. Er hatte gerade, 1797, seinen Magister Artium an der UniversitatCambridge erworben, am Sidney Sussex College, wo er in der Folgezeitals Fellow Mathematik und klassische Sprachen unterrichtete, bis er nachder Promotion zum Doctor of Divinity 1805 nach Harrow berufen wurde,wo in der ersten Zeit sein nachmalig prominentester Schuler Lord Byronwar. Er ist, wie sein Vater, ins Dictionary of National Biography eingegangen,das ihn folgendermaßen beschreibt:

Few men could compete with Butler in versatility of mind, and in the varietyof his accomplishments. Besides his great mathematical attainments he wasalso a distinguished classical scholar, and spoke German, French, and Italianwith correctness and fluency. He was practically versed in chemistry andother branches of physical science. He was a good physician and draughts-man, and he excelled in all athletic exercises.4

Noch nicht also der beruhmte Mann, dessen imposantes Portrat im SidneySussex College hangt und dessen Denkmal in Harrow steht, aber dankseiner Herkunft aus einer bekannten Familie und durch seine CambridgerVerbindungen gut empfohlen und entsprechend weitervermittelt,5 trafder Vierundzwanzigjahrige auf seiner Bildungsreise mit fuhrenden Kopfennicht nur der schonen Wissenschaften zusammen: mit Lichtenberg in Got-tingen, Schiller in Jena und Dresden, Wieland in Oßmannstedt, Herderund Goethe in Weimar, und er wußte sich, universal gebildet und gutinformiert uber deutsche Literatur und europaische Politik, trotz seinesjugendlichen Alters sinnvoll und keineswegs adeptenhaft mit ihnen zuunterhalten. Nicht anders war es auf seiner zweiten Reise auf den Konti-nent 1801.

Aufschluß daruber gibt das Tagebuch, das Butler wahrend seiner beidenReisen gefuhrt hat. Uber dieses Tagebuch heißt es in der Nationalausgabeder Werke Schillers im Kommentar zu Schillers Brief an Butler vom 5. Sep-tember 1801, es sei 1910 von Butlers Sohn Henry Montagu Butler, demMaster des Trinity College, Cambridge, in Auszugen veroffentlicht worden(Cambridge) und seither verschollen, aber ‘wahrscheinlich in LondonerPrivatbesitz’.6 Eine solche Ausgabe des Tagebuchs hat sich weder in Biblio-graphien noch in Londoner und Cambridger Bibliotheken noch bei denNachkommen Butlers finden lassen. Gemeint kann nur der sieben Seiten

4 VIII (1886), 49. Dort auch die weiteren Angaben.5 Auf einer der Seiten des gleich zu erwahnenden Tagebuchs, die seinen Besuch in Gottingenbeschreiben, ist eine Liste von acht solchen Kontaktpersonen eingeklebt, darunter vier Professoren,ein Major und ein Generalsuperintendent.6 XXXI (1985), hg. v. Stefan Ormanns, S.317.

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lange Privatdruck ‘Two Visits of Mr. George Butler to the Poet Schiller in1798 and 1801’ sein, herausgegeben von H. Montagu Butler, Vorwort da-tiert ‘Trinity Lodge, Cambridge, July 20, 1910’ (Exemplar in der HarrowSchool). Dieser umfaßt außer dem kurzen Vorwort nichts weiter alsGeorge Butlers Notizen uber seine Besuche bei Schiller in den beidenJahren, und zwar in genau der Form, in der sie 1936 bei Maurer unddann, darauf basierend, 1967 im 42. Band der Schiller-Nationalausgabestehen, das heißt: bis zum Widersinnigen fehlerhaft und offenkundigunvollstandig.7 Richtig ist aber die Vermutung der Nationalausgabe, daßsich das Original in Londoner Privatbesitz befindet. Mit Erlaubnis des Ver-treters der heutigen Generation der Nachkommen Butlers wird im fol-genden daruber berichtet.8 Dabei wird Wert darauf gelegt, nicht nur denHohepunkt, das Gesprach mit Goethe, das allen bisherigen Gesprachs-sammlungen entgangen ist, sowie die in der Nationalausgabe hochstunvollstandig mitgeteilten Gesprache mit Schiller wiederzugeben, son-dern durch ein paar weitere Zitate und Paraphrasen auch einen Eindruckvon dem ganzen Drum und Dran, der Ambiance solcher Besuchereisender Englander bei Goethe, Schiller und anderen zu vergegenwar-tigen. Vorausgeschickt sei schließlich noch, daß Butler mit ihnen in derRegel Franzosisch spricht, obwohl er nach Ausweis des umfangreichenTagebuchs seiner Kontinentreisen eindeutig auch uber mehr alselementare Deutschkenntnisse verfugte.

Als Butler am 19. September in Weimar ankommt – er wohnt standes-gemaß im ‘Elephanten’ –, sucht er nachmittags gleich den SchuldirektorKarl August Bottiger auf, dessen Titel ‘Ober-consistorial Rath’ [sic] er sichmakellos gemerkt hat, und Bottiger, an den er empfohlen war, nimmt ihnsofort unter seine Fittiche. Haben ihn eben noch die durch Heine in dieLiteraturgeschichte eingegangenen Pflaumenbaume an der Chausseenach Weimar beschaftigt (und zwar besonders der Preis der Pflaumen),so findet Butler den geschaftigen Bottiger nun ‘tres serviable’ fur andereBedurfnisse. ‘“You wish probably, said he, to see our Gelehrters [sic]: Iwill give you letters to Wieland, and Schiller, and Wolf [den Rhetorik-Professor Friedrich August Wolf in Halle], and go with you to Gothe”: –he immediately dispatched a note to Gothe, – unfortunately out, and notto return till next evening; – he then sent to Herder, to know whether hewould be visible today or tomorrow. Herder’s answer which I keep.’ Nocham selben Spatnachmittag spricht er bei Herder vor. ‘Much Talk aboutGerman Literature, – astonished that I could admire Schiller; (why Iadmired him and I thought him younger)’.

Am nachsten Tag besucht er den jungen Schriftsteller Garlieb Merkel,mit dem er englische Politik erortert; er spaziert mit ihm durch den Parknach Belvedere, wo er Angelica Kauffmanns Portrat der Herzoginmutter

7 Nationalausgabe, XLII (1967), 246–7, 329.8 Abkurzungen werden in der Regel ausgeschrieben, auch & als ‘and’; orthographische Inkonse-quenzen und Fehler werden belassen.

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bewundert, sucht dann im Belvedere den etwa gleichaltrigen AlexanderNikolaus von Scherer auf, ‘a great chemyst’, den er am Tag zuvor beiBottiger kennengelernt hat, und unterhalt sich mit ihm uber Fragen derChemie, ‘particularly on light: he doubts the materiality of light, and thecaloric [coloric?] Theory of [Antoine Francois Comte de] Fourcroy: whichI defended.’ Im Belvedere trifft er auch Jean Joseph Mounier, ‘formerly[1789] President of the 1st National Assembly [Frankreichs] – now patron-ized by the Duke of Weymar’ und Leiter eines Erziehungsinstituts fur Aus-lander.9 Wie mit Wieland und Merkel, fuhrt Butler auch mit ihm ein Ge-sprach uber Pitt, außerdem uber den Mounier personlich bekanntenRivals [sic zweimal; nicht nachweisbar]. Meint er Antoine Rivarol? Oderden Schweizer Schauspieler Jean Rival, gen. Aufresne, der eine interna-tionale Karriere hatte? Mounier will ihm in Basel begegnet sein, ‘quite aRobespierrian, – tho’ dans le fond not cruel’, von dem er die Anekdoteberichtet, er habe einer Dame bei Tisch versichert ‘n’aimez vous donc pasla Guillotine, – elle a pourtant fait beaucoup de bien’. (Verlockend zudenken, daß Butler Mounier daraufhin weitererzahlt hat, was ihm, wiesein Tagebuch am 9. September 1798 vermerkt, Georg Christoph Lichten-berg – schwach an Gesundheit, aber angeregt und angenehm in Gesellsch-aft – gesagt hatte: ‘That as the French in Monarchy Times had been thelowest of monarchised men, so if the world was republicanised they wouldbe the lowest of republicans.’)

Nach dem Mittagessen an der table d’hote im ‘Elephanten’ reitet Butlernach Oßmannstedt hinaus, auf einem ‘wretched Horse’, das gleich außer-halb des Stadttors auf der Brucke so sturzt, daß Butler es fur tot halt.Trotzdem schafft es die sieben Meilen durch die ‘flat and unpicturesque’Landschaft nach Oßmannstedt. Wieland kommt zu ihm in den Gartenhinunter.

His plain appearance. Much talk of German language, plat Teutsch, etc.distinct from Niedersachsisch; he was very communicative; on english Litera-ture; he can’t abide Dr. Johnson, but dotes on Prior,10 – on politics, – hisunfavorable [sic] opinion of Pitt [Premierminister William Pitt d.J.], – his[Wielands] freedom of sentiment, undisguishedness [sic] and mildness ofmanner; – His admiration of [James] Macdonald who had resided at Wey-mar [als englischer Gesandter], of Marsh [Herbert Marsh, in Cambridgeausgebildeter klassischer Philologe, der jahrelang in Leipzig bei Michaelisstudiert hatte], etc. and thence of the Scotch. Thus passed about 2. hours;thence home and to Merkel.

Bald darauf kommt auch Scherer zu Merkel, und mit ihm geht Butler nunendlich zu Goethe, ‘called with S. on Goethe, who was just returned butfatigued, so I would not see him, – as I could not have been really well-come and should therefore have seen not Gothe, but Gothe under

9 Vgl. Schiller, Nationalausgabe, XLII, 568.10 Nicht uberraschend im Hinblick auf den ‘Einfluß’ Priors auf Musarion.

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restraint: took my leave of Scherer.’ Nach dieser entsagungsvollenHoflichkeit (Goethe hatte den Tag in Angelegenheiten einer zu verpacht-enden Branntweinbrennerei in Oberroßla und Denstedt zugebracht undkam tatsachlich, wie das Tagebuch vermerkt, erst ‘gegen Abend nach Wei-mar’ zuruck)11 kehrt Butler zu Merkel zuruck, mit dem er Gesprache uberLivland und seinen Lebensweg aus erdruckenden baltischen Feudalver-haltnissen nach Weimar fuhrt. Abends ist Butler dann wieder eine Stundebei Bottiger, der ihm einige seiner Publikationen schenkt und Auftragenach England gibt, ferner Briefe (‘letters’, wohl Empfehlungsschreiben)an Wolf, Johann Christoph Adelung, den Jenaer Rhetorikprofessor Chri-stian Gottfried Schutz, Marsh, den Dresdner Bibliothekar Karl WilhelmDaßdorf und den Theologieprofessor Johann Jakob Griesbach in Jena.

Am nachsten Tag, Freitag, den 21. September, ist es dann endlich soweit. Nach einer offenbar kurzen, jedenfalls nicht naher beschriebenenAbschiedsvisite bei Herder um ‘8.’ morgens, geht es ‘to Gothe, – Mr. Bot-tiger having prepared the way for my Reception by the note he had sent,which Gothe had now received.’ Mit einer Personbeschreibung, die dasgelaufige Image projiziert, beginnt es: ‘His manly appearance and Physiog.expressive of powerful Genius, –’. Goethe kommt dem jungen Mann, derhalb so alt ist wie er, nicht recht entgegen, ganz im Gegensatz zu Wieland:

he was not very communicative, one might see, I thought, something of theMinister in him, – but he was polite and upon the whole agreeable; – Iadvised him [hier also der Teil der Unterhaltung, den das Tagebuch amnachsten Tag im Bericht uber das Gesprach mit Schiller erwahnt] to writea poetical description of the Hartz [den Butler selbst eben bereist hat], saidit would be profitable, that the Hartz would become then quite Anglicizedas Germany is at present the only country in which the English can travel:he has in his Possession a set of Drawings of the Hartz made by Graus [GeorgMelchior Kraus]12, – and had formerly thought of description; – but the Spiritwas gone. Thus we spent about 2 of an hour, – talking also of German Langu-age, Litterature, etc.

Es ist also noch mittlerer Vormittag, als Butler hinter sich hat, was bisdahin sicherlich der Zenith seiner Deutschlandreise war. Mit Merkel gehter anschließend zu dem Schriftsteller Johann Daniel Falk, einem Mannseines Alters, der fruher bei Friedrich August Wolf in Halle gehort habe,mittlerweile als Satirenschreiber bekannt geworden sei, ‘much esteemedby Wieland’. (Merkel nenne ihn ‘the Mr. Pope of Germany’.) ‘Delightedwith him.’ Das war offenbar von Goethe nicht zu sagen gewesen, obwohlUberwaltigung von der Prasenz des großen Mannes von Weimar sichtlichkeine Rolle gespielt hat in dem kuhleren Eindruck, den der ‘powerful

11 Robert Steiger, Goethes Leben von Tag zu Tag, III, Zurich u. Munchen 1984, S.764.12 Vgl. Ernst Beutler, ‘Georg Melchior Kraus’, in: E. B., Essays um Goethe, II, Wiesbaden 1947,S.233–62.

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Genius’ bei dem offenbar ungeniert drauflosplaudernden Butler hinter-lassen hat.

Diesen wenig gunstigen Eindruck von Goethe bestatigt ihm Merkel, derspater durch seine Angriffe auf Goethe, Schiller und die Romantikerbekannt wurde, nur allzugern. Als die beiden sich im Anschluß an denBesuch bei Falk, noch am 21. September also, zu Fuß auf den Weg nachJena machen, kommt die Sprache naturlich auf Goethe, den Butler ebenverlassen hat: ‘Merkel’s character of Gothe, of his chicaning and ill-naturetowards Herder and Wieland thro’ envy or jealousy.’ Solche Mißgunst istubrigens eine Art Leitmotiv in Butlers Beobachtungen in dem doppelten,wie er sagt, ‘Musen Sitz’ Weimar-Jena. Bei Herder war ihm aufgefallen, daßdieser erstaunt war zu horen, Butler bewundere Schiller; und bei seinemSchiller-Besuch kommt dies Leitmotiv mit eher noch scharferen Wortenwieder zur Sprache: Schillers ‘satyrical Turn’, sein ‘ill-natured or enviousspirit’ (s.u.S. 26) – menschlich enge Verhaltnisse unter den Großen desGeistes. Auf dem Weg nach Jena hort Butler von Merkel auch eine Goethe-Anekdote: Der in Weimar ansassige englische Kaufmann und MalerCharles Gore will, da ihm seine Wohnung in Weimar nicht zusagt, wiederabreisen. ‘The Duke wished to detain him; – “Whose House would youlike?” “Gothe’s”. The Duke persuaded G. to sell it him: “Then I must alsochuse,” said G. “Do.” “Wieland’s.” That did not however take effect.’

Im ubrigen beschreibt Butler den Fußweg nach Jena als ‘beautiful’,‘charmingly romantic’; Jena selbst, seine Turme, seine Weinberge und derFluß beeindrucken ihn entschieden mehr als Weimar. Doch hier wie dortbemerkt er die intensiv geistige Atmosphare. Unterwegs bei der Mittags-rast war man schon Friedrich Justin Bertuch begegnet, ‘Translator in hisyouth of Don Quixote’, und kaum hat man sich im ‘Baren’ einquartiert,da macht schon ein ‘Doctor Meyer’, wohl Johann Heinrich, der‘Kunstmeyer’, Direktor der Weimarer Zeichenschule, seine Aufwartung‘and smoked with us, – talk with him of Cantian [sic] philosophy etc.’ bisneun Uhr abends.

Mit Merkel geht Butler am nachsten Tag, den 22. September, zumKaffee zu Meyer und findet da die gleiche intellektuelle Atmosphareschon um sieben Uhr fruh. ‘They disputed much of the comparative mer-its of German poets, particularly of Voß and Gothe.’ Dann: ‘At 9 I dis-patched my Introductory (from Bottiger) to Mr. Schiller; – he is a sad lay-a-bed, not rising till near 11, – “he would be glad to see me in the after-noon” was the answer.’

In der Zwischenzeit geht Butler mit Merkel und Meyer an der Saalespazieren, spricht mit einem Empfehlungsschreiben von Bottiger bei demRhetorikprofessor Christian Gottfried Schutz und dem Theologiepro-fessor Griesbach vor, die er jedoch nicht antrifft, und speist mit Merkelzu Mittag, aber auf Merkels Bestehen nicht an der Table d’hote wegen derrohen Sitten der Studenten dort, wie der Gast sie auch in Gottingen undHalle, aber auch in Oxford und Cambridge kennengelernt zu haben zu-gibt (der Grund scheint ihm die fehlende weibliche Gesellschaft zu sein). Blackwell Publishers Ltd 1998.

21EIN REISENDER ENGLANDER BEI GOETHE UND SCHILLER

Auch ohne Studenten ein elendes (‘wretched’) Mahl, ‘for the studentshad eat almost every thing’, wie der Kellner erklart. Um 2 Uhr empfangtihn Griesbach, der ihm sein Leid klagt: englische ‘Gelehrters’ [sic] hattenihn bei seinem Besuch nicht freundlich aufgenommen, wenn auch freund-licher in Cambridge als in Oxford. ‘I advised him to come again to Cam-bridge and I would answer for his Reception at Sidney’. Weiter bemerktGriesbach, ‘we had excellent M.S.S. [Manuskripte] in Oxford and Cam-bridge and took but little notice of them’. Den englischen klassischenPhilologen Herbert Marsh allerdings bewundere er.

Der Rest des langen Eintrags fur diesen Tag, den 22. September also, istgroßtenteils Schiller gewidmet. Hier ist zunachst etwas weiter auszuholen.

II

George Butler spielt in der Biographie Schillers eine zweifache Rolle: alsEmpfanger eines Briefes von Schiller und als Beitrager zu Schillers ‘Ge-sprachen’.

Schiller schrieb ihm am 5. September 1801 aus Dresden den bereitsgestreiften Brief, der zuerst 1936 (fehlerhaft) mitgeteilt, dann 1985 in derNationalausgabe der Werke nach der Photokopie des mittlerweile in denBesitz der Bodleian Library, Oxford, ubergegangenen Originals ediertwurde.13 Er lautet:

Wenn ich Sie nicht mehr sehen sollte, so sage ich Ihnen noch einschriftliches Lebewohl und bitte Sie beiliegende Gedichte, zum Andenkenan den Verfaßer, in Ihre Reisegesellschaft mit aufzunehmen. Auch entferntwerden Sie mir immer nahe bleiben, und die kurzen Stunden, die wirmiteinander in Jena und Dresden zubrachten, werden auf immer unvergeß-lich seyn Ihrem aufrichtig ergebenen Schiller.

Solche spontan zugetanen Außerungen gibt es nicht viele von Schiller,und vor allem nicht an jene eher lastige Gattung der auslandischen, vor-nehmlich englischen Bildungstouristen, die es sich auf ihrer Kontinent-reise zu schulden glaubten, die Großen des deutschen Geistes, namentlichGoethe und Schiller und vielleicht noch Wieland und in Zurich Geßner,aufzusuchen, und sei es auch nur, um in der Heimat daruber fabulierendberichten zu konnen. Tatsachlich war es im Falle Butler keine alltaglicheBegegnung gewesen. Das belegt auch Butlers Aufzeichnung uber seineGesprache mit Schiller. Davon gleich.

Zuvor ein Wort uber das Buch, das Schiller Butler am 5. September1801 schickt. Der Kommentar der Nationalausgabe nimmt an, es habesich um ‘Gedichte von Friederich Schiller. Erster Theil. Leipzig, 1800. beySiegfried Lebrecht Crusius’ gehandelt, und bemerkt, der ‘Verbleib desBandes, der 1910 noch in Familienbesitz war, ist unbekannt’. Außerdem:

13 XXXI, hg. v. Stefan Ormanns, S.57; vgl. den Kommentar S.316–7. Erstdruck: s.o. Anm. 2.

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22 EIN REISENDER ENGLANDER BEI GOETHE UND SCHILLER

‘Schiller versah das Buch mit einer Widmung.’ Dieser Band der Gedichtebefindet sich heute im Archiv der Harrow School. Er tragt die Inschrift:‘Herrn Buttler [sic] zum Andenken von dem’ – das fehlende Wort, wohl‘Verfasser’, war schon vor 1910 beim Einbinden des Bandes abgeschnittenworden.14 Butlers Sohn H. Montagu Butler ubergab am 25. Juni 1910 (s.u. Anm. 14) der Harrow School ‘seven volumes of Schiller’s Poems’ ineinem eigens dafur angefertigten Kasten; außerdem werde ‘Gordon’ derBibliothek noch ‘two better bound volumes of Schiller’s Thirty Years War’[sic] uberbringen. Letztere sind die heute noch dort vorhandenen Ge-schichte des dreyßigjahrigen Kriegs. Erster Theil und Zweyter Theil, Leipzig:Georg Joachim Goschen, 1802. Im ersten dieser Bande liegt ein Zettel vonder Hand Lascelles’, der besagt, sie seien ‘believed to have been given tohim [Butler] By the Poet Schiller when he visited at Jena September,1798.’ Dagegen spricht naturlich das Erscheinungsdatum. Allenfalls kameder zweite Besuch in Frage, wenn die Bande von ‘1802’ damals schonvorlagen; sie konnten auch spater geschickt worden sein, wenn sie wirklichein Geschenk von Schiller sind. Zu den sieben anderen Banden bemerktH. M. Butler in seinem Brief vom 25. Juni 1910: ‘all of which we believehim [Schiller] to have given to our Father, Dr. George Butler, as a souvenirof the day when he visited him at Jena in September 1798.’ Als er jedocham 20. Juli 1910 das Vorwort zu seinem kleinen Privatdruck der GespracheButlers mit Schiller schreibt, heißt es vorsichtiger: ‘Some at least of thevolumes in this oak case were given him by Schiller himself’ und ‘Howmany of the volumes were presents, and how many were bought by myFather, before or after Schiller’s death in 1805, when my Father becameHead Master of Harrow, must remain uncertain.’ Die Erscheinungsdatender Bande (s.u.) klaren da naturlich einiges von selbst; hinzuzufugen ist,daß nur der erste Band der Gedichte eine handschriftliche Widmungtragt. Es handelt sich bei dem Harrower Bestand um folgende Bande:

Trauerspiele [Die Rauber, Die Verschworung des Fiesko zu Genua, Kabale undLiebe]. Neue Original-Auflage. Mannheim, bey C. F. Schwan und G. C.Gotz. 1786.

Dom Karlos. Carlsruhe, bei Christian Gottlieb Schmieder. 1792.Wallenstein. Tubingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1800.Gedichte. Erster Theil. Leipzig, 1800. bey Siegfried Lebrecht Crusius. 1800.Gedichte. Zweiter Theil. Dritte von neuem durchgesehene Auflage.

Leipzig, bei Siegfried Lebrecht Crusius. 1808.Zusammengebunden:Macbeth. Zweite Auflage. Tubingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhand-

lung. 1801.Turandot. Tubingen, in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1802.Wilhelm Tell. Zweite Auflage. Tubingen, in der J. G. Cotta’schen Buch-

handlung. 1804.

14 So H. Montagu Butler am 25. Juni 1910 an B. P. Lascelles, den Bibliothekar der HarrowSchool (Archiv, Harrow School), auch in dem genannten Privatdruck von 1910, Vorwort.

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23EIN REISENDER ENGLANDER BEI GOETHE UND SCHILLER

Die Braut von Messina. Tubingen in der J. G. Cotta’schen Buchhand-lung. 1810.

Die Jungfrau von Orleans. Neue verbesserte Auflage. Tubingen, in der J.G. Cotta’schen Buchhandlung. 1805.

In seinem Brief spricht Schiller von dem Zusammensein mit Butler ‘inJena und Dresden’. Butlers Tagebuchaufzeichnungen daruber sind in dieGesprache Schillers im 42. Band der Nationalausgabe eingegangen. DieBegegnung in Dresden ging der Absendung des Briefes kurz voraus, wah-rend die in Jena auf Butlers erster Deutschlandreise im Jahre 1798 stattge-funden hatte. Wiedergegeben werden die Gesprache, die Butler 1798 und1801 mit Schiller gefuhrt hat, in der Nationalausgabe, wie gesagt, nachdem fehlerhaften und unvollstandigen Auszug aus Butlers Reisetagebuch,den K. W. Maurer 1936 veroffentlichte.15 Im folgenden wird eine gegen-uber dem Text der Nationalausgabe korrigierte Transskription geboten,die nicht nur zahlreiche Falschlesungen und Fluchtigkeiten berichtigt,sondern uberdies die langeren und kurzeren, auch inhaltlich wichtigenPassagen bringt, die der Herausgeber von 1936 (und notgedrungen auchdie darauf fußende Nationalausgabe) uberschlug: an die 200 Wortererscheinen hier zum ersten Mal. Berichtigt wird auch die Datierung.

Um mit der Begegnung, genauer Wiederbegegnung im Jahre 1801, imJahr des Schiller-Briefs an Butler, anzufangen: ‘Zwischen dem 2. und dem4. September’ habe Butler ‘Schiller zwei Besuche abgestattet’, berichtetder Kommentar der Nationalausgabe zu Schillers Brief an Butler (XXXI,317) und verweist dazu als Bestatigung auf Dokument Nr. 763 im Gespra-che-Band der Nationalausgabe, wo es unter dem von den Herausgebernsupplierten Datum ‘Dresden, 2.-4. September 1801’ heißt: ‘Er [Butler]schreibt [im Tagebuch], daß “Schiller had received him very affection-ately, and told him he had sent him a copy of his works; and on theevening of September the 4th they drank tea at his house, and wereamused by him with the Rumford experiments upon the shades cast bymeans of coloured glasses with two candles”’ (XLII, 329). Um welchenBand seiner ‘Werke’ es sich bei dem an Butler geschickten gehandelt hat,‘bleibt ungewiß’, wie es im Kommentar heißt (XLII, 649); doch istimmerhin zu erganzen, daß sich in der Bibliothek der Harrow Schoolaus dem Nachlaß Butlers, wie erwahnt, auch ein Exemplar des Wallenstein(Tubingen 1800) befindet; und da Schiller bei Butlers Besuch 1798 aus-fuhrlich uber Wallenstein gesprochen und ihm ein Exemplar versprochenhatte, ist es wahrscheinlich, daß der Text diesen Band meint. (Die ‘Rum-ford experiments’ werden im NA-Kommentar erlautert.) Der Gesprachs-Text selbst ist, wie gesagt, in der Nationalausgabe nach dem Abdruck von1936 wiedergegeben – mit allen Fehlern. Diese fangen an mit der Da-tierung. Offenbar handelt es sich um zwei Besuche bei Schiller inDresden, schon dem Text nach, und K. W. Maurer, der Herausgeber von1936, bestatigte es in seinem Begleittext. Der Herausgeber des Gesprache-

15 S. o. Anm. 2 u. Anm. 7.

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24 EIN REISENDER ENGLANDER BEI GOETHE UND SCHILLER

Bandes der Nationalausgabe schließt aus der Tatsache, daß Schiller, dervom 9. August bis 1. September in Korners Gartenhaus in Loschwitz beiDresden wohnte16 und am 1. September nach Dresden zog, daß die ersteBegegnung am 2. oder 3. September stattgefunden haben musse, daherseine Datierung ‘zwischen dem 2. und dem 4. September’ fur den ganzenEintrag. Tatsachlich aber fand nach Ausweis des Tagebuchs, das die zweiteBegegnung, wie zitiert, auf den 4. September datiert, die erste Begegnungbereits am 23. August in Dresden statt, und das Gesprach dieses Tageswird in Butlers Tagebuch in etwas anderem Wortlaut und mit weiterem,bei Maurer und dann in der NA fehlenden Text wiedergegeben.

Der 23. August 1801 war ein Sonntag. Butler besucht am Vormittag ‘outof curiosity’ die Frauen- und Kreuzkirche. Zu Mittag speist er bei demGrafen Carl Friedrich von Geßler, dem preußischen Gesandten inDresden, wo er u. a. Schiller und seine Frau trifft, auch Korner und seineFrau, Schillers Schwagerin, wie er vermerkt. ‘Schiller received me veryaffectionately and told me that he had sent me a copy of his works: wehad at dinner much conversation about German literature and painting’.Am Abend ist Butler im Theater, man gibt Das Donauweibchen; ‘PrincessCzartoriska’, wohl die Gattin des in der sachsischen Politik ungemein ein-flußreichen polnischen Fursten Fryderyk Michal Czartoryski (gest. 1775),empfangt ihn in ihrer Loge, auch ‘Schiller and his party’ sind im Theater:‘the impatience shown by the Princess to see him’.

Der Eintrag fur den 4. September in Dresden besagt in korrektem Wort-laut: ‘In the morning to the gallery – drank tea in the evening at Schil-ler’s, – who was amusing his party with the Rumford experiments uponthe shades cast by means of coloured glasses with 2 candles.’

Ungleich ergiebiger sind die zwei langen Gesprache, die Butler aufseiner ersten Deutschlandreise bei seinem zweimaligen Besuch am Sonn-abend, den 22. September 1798 mit Schiller in Jena fuhrte. Zur Sprachekommen Wallenstein, Der Geisterseher, Don Karlos, die griechische Tragodie,Dichtung und geschichtliche Wahrheit, Shakespeare, Ubersetzungsfragen,Schillers Charakter und freiheitliche politische Uberzeugungen, die Ver-antwortung der Fursten fur Kunst und Literatur, Friedrich der Große,Reiselust [Frankreich, Ubersee], Indien, Juden, Schillers Vorlesen ausdem Wallenstein u.a. Die Text-Entstellungen und Text-Unterschlagungenim Abdruck der Nationalausgabe, nach der Vorlage des Drucks von 1936,sind hier entsprechend schwerwiegender, auch haufiger.

About 3. called on Schiller. He received me in his study up two pair of stairsin the politest manner, – his countenance not very pleasant, hit off exactlyin the Plate except (as in Wieland’s) his colour, which is fair, with bad redEyebrows. I mentioned to him that I read his Carlos, etc. with much pleas-ure, and my sudden departure. ‘He was much flattered by it,’ he said. Aftera little more litterature we got talking of politics [Randbemerkung: He

16 Nationalausgabe, XLII, 647.

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longed he said to be 6 weeks in Paris.] and Buonaparte’s Expedition toIndia; ‘The french Principles, said he, will never gain ground there, – theyare such strict religious Sectaries; – ’tis as with the Jews.’I advised him, as I had done Gothe, to write a Tour thro’ the Hartz: theJourney, said I, would benefit your Health, you would gain many new Ideas,and now is just the Time.I asked him, how his Ghost-Seer was to end; he said, ‘he had meant at firstto continue it much more wonderfully and still to develop it naturally; – butthat he had now lost all relish for it, and looked on it almost as a fremdesBuch.’ Read it as such, said I, you cannot fail to like it, – you will be animatedin the perusal, the Train of your Ideas and your relish for it will be restored.Mrs. Schiller came in and sat with us; she is a very pretty, agreeable woman, –I was half in love with her. Somehow we got talking of the Greek Tragoe-dians; – I abused the Dialogue. Thence of the assistance Princes should giveto Poetry and the Muses; – we agreed that Frederic 2 had assisted them inthe best possible manner at Berlin, viz. by not suffering them to be molested,and not farther interfering.‘He should like to make a voyage’, he said; – you may describe a storm anda watery horizon without it, said I, besides you would probably be sea-sick,and in no condition to describe at all. ‘True, said he, – but one does seemany things which one might not otherwise have thought of, – as in a foun-tain the Rainbow.’ He was evidently much pleased with me.I complained of the difficulty of procuring his Don Carlos in England andHamburg; – he believed it was not to be got at Leipzig, – being quite outof print; – but promised me a copy of the new Edition and of his Wallensteinboth coming out at the next Leipzig fair: the Translation of D. Carlos by[J.] Stoddart and Newton [sic; gemeint ist G. H. Noehden; London: W.Miller, 1798], just come out, was on his Table: ‘Twas the best way’, he said,‘of translating a foreign work’ (one of them being a German and the otheran Englishman)[.] I feared it could not be translated, – he feared so too.Encouraged by his friendliness, I expressed a wish to hear some of his Wal-lenstein from the Poet’s Self. (twas just 6) ‘Then you must come, said he,and spend the Evening with me.’ I readily agreed: ‘Don’t be later than 8,’said he. Away I ran as happy as a Prince to Schutz[.]

Schutz, an den Bottiger ihn empfohlen hatte, ist wieder nicht zu Hause;Butler unterhalt sich mit seiner Frau, ‘a very handsome and young lookinglady of about 35’. Man spricht von seiner Reise, ‘I admired the volk’, wasFrau Schutz ebenso gefallt wie seine Komplimente fur ‘her Husband asan author’. Spater kommt Schutz hinzu, lebhaft, freundlich. Sie unter-halten sich uber seine neue Aschylos-Ausgabe. Butler rat ihm zu einersehr notigen Sophokles-Edition und deutet an, er konne ‘a good list ofSubscribers a priori in England’ besorgen. Schutz sagt, er habe schonselbst daran gedacht, eine solche Edition zu unternehmen. Manbeschließt, miteinander zu korrespondieren; Butler ladt ihn an sein Col-lege, Sidney Sussex, ein und verabredet sich ‘to take chocolate next morn-ing with him’.

Left him [Schutz] a little before 8, and returned to Schiller: introduced intothe Drawing room up one pair of stairs, – here was Mrs. Schiller and her 2

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children, – both beautiful as Angels, – herself too looked very engaging; –I was quite ravished, – the children, as soon as I sat down, came runninginto my arms, then back again, then again into my arms; – I could scarcelyrefrain from Tears; – the oldest about 7 years old with a sort of black leatherHelmet on and arms bare up to the Elbow, looked quite a Cupidon arme, –as I told Mrs. S. (for we talked french.) I told Schiller afterward, that thechild should sit for a Portrait of Cupido armatus; – he seemed much pleased.I was soon summoned up to Schiller himself – after some little general con-versation I begged him to proceed to business; – he told me the Myθο§[Randbemerkung: The time is about the 15th year of the 30 years war; – tisnot known, he said, that Wallenstein had precisely the ambitious views hereattributed to him; – but tis certain he was ambitious, of great ability andInfluence in the army, – and his description should be consistent with PoeticTruth.] and read me a good deal of the first Part; ‘for, said he, I have availedmyself of Shakspear’s Example and give it in 2 Parts.’ I could have told himafter Aristotle, that the Interest is much greater the more it is concentrated,provided only it continue clear. Butler [genauer Buttler – und so schreibtSchiller denn auch den Namen seines Gesprachspartners in der erwahntenWidmung der Gedichte] is one of the principal Dramatis Pers. which affordedus some amusement, especially as being the confident and murderer of Wal-lenstein his Rolle [sic] is not very popular. His Reading was very animated, –standing up to give greater Energy, as did I to overlook the M.S. The timepast very quickly till about 9, we were summoned down to a Supper, plainbut elegant.We had much conversation at, and after, Supper. I hinted at the RussianEdict, – [Randbemerkung: ordering back into Russia, under penalty of con-fiscation of property, all Russians studying in foreign Universities.] andabused the foolish spirit of it, ‘so different, said I, from that which animatedthe great Peter to persuade his Nobles to travel.’ ‘Besides, said he, if theyhave been but a year in these Universities, ’tis enough to let them know thefree Principles which are abroad.’ ‘And they return’, added I, ‘filled withdetestation of the Tyranny which, as that Freedom’s counterpart, so forcesthem back.’In the course of conversation I had many opportunities of seeing his satyricalTurn, and of discovering in him that ill-natured or envious spirit whichinspired him to write with Goethe the jενια. Sad Pity, that Genius shoulddebase itself by the alloy of so mean a Passion as Envy! Yet how common afailing! – in this Musen Sitz and its environs, is it [sic] very common; andthere is a prodigious spirit of Party prevailing in favour of some authorsagainst others of merit at least nearly =. About 11, I took my leave; Schillersaluted me a l’Allemande, and [I] kissed Mrs. S.’s Hand. Home to bed.

Mit diesem in aller Unschuld an die notorische Schlußfloskel vonSamuel Pepys’ Tagebuchern erinnernden Satz enden Butlers Bemer-kungen uber Schiller und zugleich uber Weimar/Jena als ‘Musen Sitz’. DasResume ist genau das, was man statt von einer Madame de Stael von einemgebildeten Mann aus dem Land erwarten wurde, das die deutsche Spracheum das Wort Fairneß bereicherte, zu dessen indigener Kultur es anderer-seits besonders damals nicht gehort, Kunstler und Literaten mit jenemNimbus zu umgeben, der, wie in England nicht unbekannt und nicht Blackwell Publishers Ltd 1998.

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unbewundert, im Land der Dichter und Denker zu Hause ist undnamentlich um 1800 war. Wie deutsche Schriftsteller uber deutscheSchriftsteller reden, war dem Briten schon in seinem Gesprach mit Herderund am Vortag des Besuchs bei Schiller anlaßlich des Fruhstucksgesprachsvon Merkel und Meyer als notierenswert aufgefallen und mehr noch wah-rend der Fußwanderung mit Merkel von Weimar nach Jena im Anschlußan seinen Besuch bei Goethe. Merkel zog offenbar uber Goethe her,besonders daruber, daß er so schlecht auf Herder und Wieland zusprechen sei (s.o.S. 20). Dennoch ist erstaunlich, daß Butler den zitiertenGesamteindruck vom deutschen Olymp (‘Sad Pity %’), sein Entsetzenuber den Neid und die Eifersucht, die in Weimar und Jena unter denKoryphaen der Weltliteratur, soweit sie Deutsch spricht, herrschen, geradeim Anschluß an seine offensichtlich außerordentlich gelungene Begeg-nung mit Schiller so apodiktisch (und unversehens in deutsche Wortstel-lung verfallend: ‘is it very common’) formuliert: der ‘Musen Sitz’ als Krah-winkel, wo eine Krahe der anderen ein Auge aushackt (ubrigens mitzweimaligem Ausrufungszeichen, das man in Butlers Muttersprache nurauf die Gefahr hin verwendet, die empfehlenswerte ‘stiff upper lip’ zuverlieren). Der Englander aus guter Familie, wohlerzogen (man beachteseine ohne Herablassung gediegene Beschreibung des Abendessens imHause Schiller: ‘plain but elegant’) und ‘well-connected’ (kein geringererals Sir Robert Peel, der ehemalige Premierminister, sollte ihn zum Deanof Peterborough ernennen), der von Goethe und Schiller und anderengroßkopfeten Weimaranern trotz seiner nur 24 Jahre in seinem sympa-thischen Selbstbewußtsein keineswegs eingeschuchterte Brite erfahrtim deutschsprachigen Kleinstadt-Territorium mit aller Ehrfurcht dieerhabene Große jenes ‘Geistes’, dem die Welt damals immerhin schonden Faust und den Wallenstein verdankte – verschweigt aber auch nichtdie befremdete Verwunderung des Welt- und Weltreichburgers uber dieerbarmliche Provinzialitat des damaligen Mekkas der Literatur. Des Kai-sers neue Kleider zu sehen war George Butler nicht gegeben.

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