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Der Kampf gegen das Böse Eindrucksvolle lamaistische Mysterienspiele im größten ladakhischen Kloster Hemis auf dem Dach der Welt L angsam, wie in Trance, drehen sich die Tänzer, ziehen sie scheinbar über dem Boden schwebend ihre Kreise um den heiligen Pol. Ihre Körper wirken gesteuert vom Rhythmus klirrender Zimbeln und perkussiv pochender Rahmentrom- meln. Die Arme ausgestreckt, wie Schwingen im Aufwind segelnder Greife, zelebrieren sie uralte religiöse Tanzdarbietungen – die Tschammyste- rien des Klosters Hemis. Der Drukpa-Orden ist weit über die Grenzen Ladakhs für die Ausrichtung besonders prachtvoller Maskenfeste bekannt. Diese haben in zahlreichen buddhistischen Klöstern des Himalaya eine lange Tradition und sind ein wichtiger Bestandteil lamaistischer Klosterkultur. In Hemis wurden die Tschammysterien unter Tagtsang Rin- poche eingeführt. Seit 1730 werden sie jährlich ohne Unterbrechung am zehn- ten und elften Tag des fünften tibeti- schen Monats zelebriert. Schon Wochen zuvor dreht sich alles im Kloster nur noch um das bevorste- hende Fest. Novizen kneten unter der Anleitung ihrer Lehrer kleine Teigfigu- ren aus Tsampa, einem Gerstenmehl, das mit Butter und Wasser vermischt wird. Es entsteht Torma, eine Speise für die Götter. Mönche arbeiten an den Choreografien. Komplizierte Tanzfolgen werden einstudiert. 500 Mönche leben in diesem größten ladakhischen Kloster auf dem Dach der Welt, zelebrieren Jahr für Jahr die überlieferten Riten. Dank der versteckten Lage des Ordens wurde das Kloster nie von feindlichen Mächten geplündert, erlitt es keinen Bruch zu seinen religiösen Wurzeln. Bereits am frühen Morgen des ersten Festtages treffen die Pilger in Hemis ein. Aus ganz Ladakh strömen sie herbei, um den berühmten Zeremo- nien beizuwohnen. Viele haben den holprigen Weg in überfüllten Bussen oder sogar zu Fuß durch die flirrend trockene Hochebene auf sich genom- men. Von der Provinzhauptstadt Leh kommend präsentieren sich den Pil- gern entlang des Indus prachtvolle Sakralbauten wie das steil am Fels liegende Kloster Thiksey. Unzählige Tschörten sind Zeugen einer lebhaft bis heute praktizierten Religion. Lange Manimauern ragen aus den Talflanken, weisen dem Gläubigen den Weg zum Kloster Hemis auf 3640 Meter Höhe. Doch für die Einheimischen sind die Tänze nicht nur Teil einer religiösen Wallfahrt. Rund um den Klosterkom- plex ist ein kleines Volksfest in Gange. Vor dem Gebäude bieten Verkäufer Schmuck, Süßigkeiten und Nahrungs- mittel ebenso wie Rosenkränze und Gebetssteine – so genannte Manisteine – an. Zwischen den Ständen steigt der Dampf aus Garküchen empor. Ausge- lassen springen neugierige Novizen durch das Getümmel, die Abwechslung vom Klosteralltag sichtlich genießend. Ganz anders im Dukhang, dem Versammlungsraum des Klosters. Stunden vor der ersten Tanzdarbietung haben die Mönche im Halbdunkel mit einer einleitenden Puja begonnen. Mit tiefer Stimme werden Mantras rezi- tiert. Pilger betreten den Saal, prakti- zieren rituelle Niederwerfungen. Für sie bringt die Teilnahme am Fest eine Verbesserung ihres Karmas – eine grundlegende Voraussetzung für die optimale Wiedergeburt. Gefeiert wird der Geburtstag des Tantrikers Padmasambhava, einer für die Ausbreitung des Buddhismus im Himalaya zentralen Person. Und so steht in Gedenken an den Tantriker auch der Sieg des Buddhismus über die bis zum achten Jahrhundert die Region prägende animistische Urreligion, das Bön, im Mittelpunkt. In den Zeiten vor Padmasambhava wurden ähnliche Feste als Sieg des hellen, warmen Frühlings über die rauen Wintermonate gefeiert. Von Dämonenaustreibungen und Ritualen, bei denen Tiere oder gar Menschen geopfert wurden, wird be- richtet. Der Bön-Glaube mit all seinen furchterregenden Geistern, die sich im Feuer, der Erde oder tief in den Seen befinden können, scheint im übermäch- tigen natürlichen Umfeld der Menschen dieser Region begründet. Der buddhistische Tantriker Padma- sambhava hat nach dem Glauben der Einheimischen mit diesen furchterre- genden Wesen gekämpft. Mit seinem Zauberdolch Vajrakila, besiegte er sie nicht nur, sondern bekehrte sie zur neuen Religion. Als Dharmapalas die- nen sie seither dem Schutz der buddhis- tischen Lehre. Das einstige Menschen- oder Tieropfer wurde fortan durch das Linga, eine kleine Figur aus geknetetem Tsampa und Butter, substituiert. In ihm ist alles Böse gebannt und wird letztend- lich in einem rituellen Tanz zerstört. Im Religionslehrhof steigt die Span- nung. Mönche drängen die Menschen- menge immer wieder zurück, um genügend Raum für die von allen ersehnten Tänzer zu schaffen. Hierbei erhalten sie sogar Unterstützung von Soldaten des indischen Militärs. Mit finsterer Miene stehen sie vor dem Publikum. Die am breiten Gürtel bau- melnden Schlagstöcke sind respektein- flößend – zum Einsatz kommen sie aber nie. Das Warten im Gedränge wird fast unerträglich. Endlich postieren Mönche lange tibetische Hörner. Die tiefen Töne schwingen im Innenhof, verkünden den Beginn der Mysterienspiele. Langsam schreiten 13 Tänzer die lange Treppe vom Dukhang herunter. Sie tragen dunkle, breitkrempige Hüte aus Yakhaar. Die Schwarzhutzauberer sind unmaskiert, haben lediglich den Mund durch ein weißes Seidentuch bedeckt. Im bedächtigen Rhythmus heller Glocken verfallen sie in langsame Tanzschritte, wiegen die Körper wie in Hypnose. Prunkvoll glitzern die kräftigen Farben der Brokat- und Seidenstoffe ihrer wallenden Kostüme. Die Schwarzhutzau- berer sind Relikte aus der Epoche der Bönreligion. Der Totenkopf thront über- mächtig auf Brust und Hut der Mimen. Ihre Tanzdarbietung soll alle bösen Mächte verbannen, um einen friedlichen Verlauf des Festes zu gewährleisten. Ihnen folgen 16 Heroen in prachtvol- len Gewändern. Die Gesichter sind durch filigran verzierte Metallmasken bedeckt. Mit dem Damaru, einer Dop- peltrommel, in der einen Hand und der Glocke in der anderen erzeugen sie ein heiliges Geläut, das vom langsam gesprochenen Mantra „Om Vajra Guru Padma Siddhi Hum“ untermalt wird. Danach erscheint Padmasambhava, die Hauptperson der Tschammysterien, mit einer überdimensionalen goldenen Maske und einem großen Gefolge auf der Tanzfläche. Man geleitet ihn zu seinem Ehrenplatz am Rande der Tanzfläche, spendet dem großen Guru mit einem überdimensionalen Schirm Schatten. Sinn dieser Tänze ist neben der Huldigung des Tantrikers auch die pantomimische Belehrung der Bevölke- rung hinsichtlich des Bardo. Es ist die Zeit zwischen Tod und Wiedergeburt. Noch bevor der letzte Atemzug vollzo- gen ist, werden den Sterbenden Anwei- sungen für die folgenden 49 Tage voller Illusionen gegeben. So erscheinen nach dem Auftritt des Padmasambhava die von ihm besiegten furchterregenden Gottheiten. Mit Messern und Schwer- tern springen die Tänzer in den Kreis. Ihre Gesichter sind von überdimensio- nalen Masken mit langen Fangzähnen, Totenkopfkrone und einem Stirnauge bedeckt. Obwohl sie bösartig aussehen, haben sie doch die Rolle der Guten. Nach ihrer Unterwerfung durch Padma- sambhava haben sich die schrecklichen Gottheiten zum Buddhismus bekannt und dienen fortan dem Schutz der Lehre. Uwe Dürigen @ Weitere Informationen zum Thema im Internet unter: www.duerigen.de Die Maske des Dharmapala, einer Schutzgottheit. Mönche mit tibetischen Hörnern, Rahmentrommeln und Zimbeln. Fotos: Dürigen Einmarsch der 16 Heroen in den Religionslehrhof. Novizen mit Weihrauchgefäßen. Im Hintergrund ein Schal- maienbläser. Heiliger Glockenklang zum Auftakt der Tänze. 53 Samstag, 3. November 2001, Nummer 254 MAGAZIN

Mönche mit tibetischen Der Kampf gegen das Böse · besonders prachtvoller Maskenfeste bekannt. Diese haben in zahlreichen buddhistischen Klöstern des Himalaya eine lange Tradition

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Page 1: Mönche mit tibetischen Der Kampf gegen das Böse · besonders prachtvoller Maskenfeste bekannt. Diese haben in zahlreichen buddhistischen Klöstern des Himalaya eine lange Tradition

Der Kampf gegen das BöseEindrucksvolle lamaistische Mysterienspiele im größten ladakhischen Kloster Hemis auf dem Dach der Welt

Langsam, wie in Trance, drehensich die Tänzer, ziehen siescheinbar über dem Boden

schwebend ihre Kreise um den heiligenPol. Ihre Körper wirken gesteuert vomRhythmus klirrender Zimbeln undperkussiv pochender Rahmentrom-meln. Die Arme ausgestreckt, wieSchwingen im Aufwind segelnderGreife, zelebrieren sie uralte religiöseTanzdarbietungen – die Tschammyste-rien des Klosters Hemis.

Der Drukpa-Orden ist weit über dieGrenzen Ladakhs für die Ausrichtungbesonders prachtvoller Maskenfestebekannt. Diese haben in zahlreichenbuddhistischen Klöstern des Himalayaeine lange Tradition und sind einwichtiger Bestandteil lamaistischerKlosterkultur. In Hemis wurden dieTschammysterien unter Tagtsang Rin-poche eingeführt. Seit 1730 werden siejährlich ohne Unterbrechung am zehn-ten und elften Tag des fünften tibeti-schen Monats zelebriert.

Schon Wochen zuvor dreht sich allesim Kloster nur noch um das bevorste-hende Fest. Novizen kneten unter derAnleitung ihrer Lehrer kleine Teigfigu-ren aus Tsampa, einem Gerstenmehl,das mit Butter und Wasser vermischtwird. Es entsteht Torma, eine Speise fürdie Götter. Mönche arbeiten an denChoreografien. Komplizierte Tanzfolgenwerden einstudiert. 500 Mönche lebenin diesem größten ladakhischen Klosterauf dem Dach der Welt, zelebrieren Jahrfür Jahr die überlieferten Riten. Dankder versteckten Lage des Ordens wurdedas Kloster nie von feindlichen Mächtengeplündert, erlitt es keinen Bruch zuseinen religiösen Wurzeln.

Bereits am frühen Morgen desersten Festtages treffen die Pilger inHemis ein. Aus ganz Ladakh strömensie herbei, um den berühmten Zeremo-nien beizuwohnen. Viele haben denholprigen Weg in überfüllten Bussenoder sogar zu Fuß durch die flirrendtrockene Hochebene auf sich genom-men. Von der Provinzhauptstadt Lehkommend präsentieren sich den Pil-gern entlang des Indus prachtvolleSakralbauten wie das steil am Felsliegende Kloster Thiksey. UnzähligeTschörten sind Zeugen einer lebhaft bisheute praktizierten Religion. LangeManimauern ragen aus den Talflanken,weisen dem Gläubigen den Weg zumKloster Hemis auf 3640 Meter Höhe.

Doch für die Einheimischen sind dieTänze nicht nur Teil einer religiösenWallfahrt. Rund um den Klosterkom-plex ist ein kleines Volksfest in Gange.Vor dem Gebäude bieten VerkäuferSchmuck, Süßigkeiten und Nahrungs-mittel ebenso wie Rosenkränze undGebetssteine – so genannte Manisteine– an. Zwischen den Ständen steigt derDampf aus Garküchen empor. Ausge-

lassen springen neugierige Novizendurch das Getümmel, die Abwechslungvom Klosteralltag sichtlich genießend.

Ganz anders im Dukhang, demVersammlungsraum des Klosters.Stunden vor der ersten Tanzdarbietunghaben die Mönche im Halbdunkel miteiner einleitenden Puja begonnen. Mittiefer Stimme werden Mantras rezi-tiert. Pilger betreten den Saal, prakti-zieren rituelle Niederwerfungen. Fürsie bringt die Teilnahme am Fest eineVerbesserung ihres Karmas – einegrundlegende Voraussetzung für dieoptimale Wiedergeburt.

Gefeiert wird der Geburtstag desTantrikers Padmasambhava, einer fürdie Ausbreitung des Buddhismus imHimalaya zentralen Person. Und so

steht in Gedenken an den Tantrikerauch der Sieg des Buddhismus über diebis zum achten Jahrhundert die Regionprägende animistische Urreligion, dasBön, im Mittelpunkt. In den Zeiten vorPadmasambhava wurden ähnlicheFeste als Sieg des hellen, warmenFrühlings über die rauen Wintermonategefeiert. Von Dämonenaustreibungenund Ritualen, bei denen Tiere oder garMenschen geopfert wurden, wird be-richtet. Der Bön-Glaube mit all seinenfurchterregenden Geistern, die sich imFeuer, der Erde oder tief in den Seenbefinden können, scheint im übermäch-tigen natürlichen Umfeld der Menschendieser Region begründet.

Der buddhistische Tantriker Padma-sambhava hat nach dem Glauben der

Einheimischen mit diesen furchterre-genden Wesen gekämpft. Mit seinemZauberdolch Vajrakila, besiegte er sienicht nur, sondern bekehrte sie zurneuen Religion. Als Dharmapalas die-nen sie seither dem Schutz der buddhis-tischen Lehre. Das einstige Menschen-oder Tieropfer wurde fortan durch dasLinga, eine kleine Figur aus geknetetemTsampa und Butter, substituiert. In ihmist alles Böse gebannt und wird letztend-lich in einem rituellen Tanz zerstört.

Im Religionslehrhof steigt die Span-nung. Mönche drängen die Menschen-menge immer wieder zurück, umgenügend Raum für die von allenersehnten Tänzer zu schaffen. Hierbeierhalten sie sogar Unterstützung vonSoldaten des indischen Militärs. Mit

finsterer Miene stehen sie vor demPublikum. Die am breiten Gürtel bau-melnden Schlagstöcke sind respektein-flößend – zum Einsatz kommen sie abernie. Das Warten im Gedränge wird fastunerträglich. Endlich postieren Mönchelange tibetische Hörner. Die tiefen Töneschwingen im Innenhof, verkünden denBeginn der Mysterienspiele.

Langsam schreiten 13 Tänzer dielange Treppe vom Dukhang herunter. Sietragen dunkle, breitkrempige Hüte ausYakhaar. Die Schwarzhutzauberer sindunmaskiert, haben lediglich den Munddurch ein weißes Seidentuch bedeckt. Imbedächtigen Rhythmus heller Glockenverfallen sie in langsame Tanzschritte,wiegen die Körper wie in Hypnose.Prunkvoll glitzern die kräftigen Farbender Brokat- und Seidenstoffe ihrerwallenden Kostüme. Die Schwarzhutzau-berer sind Relikte aus der Epoche derBönreligion. Der Totenkopf thront über-mächtig auf Brust und Hut der Mimen.Ihre Tanzdarbietung soll alle bösenMächte verbannen, um einen friedlichenVerlauf des Festes zu gewährleisten.

Ihnen folgen 16 Heroen in prachtvol-len Gewändern. Die Gesichter sinddurch filigran verzierte Metallmaskenbedeckt. Mit dem Damaru, einer Dop-peltrommel, in der einen Hand und derGlocke in der anderen erzeugen sie einheiliges Geläut, das vom langsamgesprochenen Mantra „Om Vajra GuruPadma Siddhi Hum“ untermalt wird.Danach erscheint Padmasambhava, dieHauptperson der Tschammysterien, miteiner überdimensionalen goldenenMaske und einem großen Gefolge aufder Tanzfläche. Man geleitet ihn zuseinem Ehrenplatz am Rande derTanzfläche, spendet dem großen Gurumit einem überdimensionalen SchirmSchatten. Sinn dieser Tänze ist nebender Huldigung des Tantrikers auch diepantomimische Belehrung der Bevölke-rung hinsichtlich des Bardo. Es ist dieZeit zwischen Tod und Wiedergeburt.Noch bevor der letzte Atemzug vollzo-gen ist, werden den Sterbenden Anwei-sungen für die folgenden 49 Tage vollerIllusionen gegeben. So erscheinen nachdem Auftritt des Padmasambhava dievon ihm besiegten furchterregendenGottheiten. Mit Messern und Schwer-tern springen die Tänzer in den Kreis.Ihre Gesichter sind von überdimensio-nalen Masken mit langen Fangzähnen,Totenkopfkrone und einem Stirnaugebedeckt. Obwohl sie bösartig aussehen,haben sie doch die Rolle der Guten.Nach ihrer Unterwerfung durch Padma-sambhava haben sich die schrecklichenGottheiten zum Buddhismus bekanntund dienen fortan dem Schutz derLehre. Uwe Dürigen

@@ Weitere Informationen zum Thema im Internet unter:www.duerigen.de

Die Maske des Dharmapala,einer Schutzgottheit.

Mönche mit tibetischen Hörnern, Rahmentrommeln

und Zimbeln. Fotos: Dürigen

Einmarsch der 16 Heroen inden Religionslehrhof.

Novizen mit Weihrauchgefäßen. Im Hintergrund ein Schal-maienbläser.

Heiliger Glockenklang zumAuftakt der Tänze.

53 Samstag, 3. November 2001, Nummer 254 MAGAZIN