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www.muenchner-stadtgespraeche.de Nr. 75 Dezember 2016 Münchner Stadtgespräche BEDROHTER REICHTUM Die biologische Vielfalt stirbt ALTE HELDEN Tiere, die keiner mehr kennt DO-IT-YOURSELF Bau eines Flaschengartens Die bedrohte Vielfalt

MünchnerNr. 75 … · Bayern vertretenen Arten vor. Viele dieser Arten sind auch landes- oder ... tausende verschiedene Farne oder Bäume gibt oder tausende von ... industriellen

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www.muenchner-stadtgespraeche.deNr. 75 Dezember 2016

MünchnerStadtgespräche

Bedrohter reichtum

Die biologische Vielfalt stirbt

alte helden

Tiere, die keiner mehr kennt

do-it-yourself

Bau eines Flaschengartens

Die bedrohte Vielfalt

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aus dem referat für gesundheit und umweltdie seite zwei

Beim Stichwort Biodiversität denkt man oft zuerst ans Land und nicht an die Stadt. Doch man darf sich nicht täuschen: Die Groß-stadt München ist enorm artenreich und braucht den Vergleich

mit Umland-Kommunen und Landkreisen keineswegs zu scheuen. In München kommen, je nach Tiergruppe, teilweise über 50 Prozent aller in Bayern vertretenen Arten vor. Viele dieser Arten sind auch landes- oder sogar bundesweit selten bzw. stark bedroht. Einer der Hauptgründe für die erstaunliche Vielfalt der Münchner Natur ist die Ausstattung mit den unterschiedlichsten Landschaftselementen, wie z.B. Resten des Dach-auer Mooses, herausragende Bestände der süddeutschen Kalkhaiden oder die Münchner Isarleiten-Hangbuchenwälder. Der Münchner Raum besitzt dabei eine Brückenfunktion, wobei die Isar-Achse als unersetz-liches Rückgrat des überregionalen Biotopverbundes anzusehen ist.

Einklang von Großstadt und Natur anstreben

In der Vergangenheit konnten bereits zahlreiche für den Biodiversi-tätsschutz wichtige Flächen naturschutzrechtlich oder planerisch ge-sichert werden. So verfügt München über vier Naturschutzgebiete, 44 geschützte Landschaftsbestandteile sowie Gebiete anderer Schutzka-tegorien. Eine Herausforderung stellt jetzt das schnelle Wachstum un-serer Stadt dar. Der Flächenverbrauch nimmt zu, ebenso die Zahl der Erholungssuchenden auf den verbleibenden Flächen. Hier müssen wir den Einklang zwischen den Anforderungen der Natur und denen einer modernen Großstadt hinbekommen. Damit München für Mensch, Natur und Tier lebenswert bleibt.

Biodiversitätsstrategie für München

Der Erhalt der biologischen Vielfalt zählt zu den zentralen Herausforde-rung des 21. Jahrhunderts. Biodiversitätsschutz ist daher integraler Be-standteil von Nachhaltigkeitsstrategien auf internationaler und Bundes-/ Landesebene und nicht zuletzt auf kommunaler Ebene. Die Landes-hauptstadt München hat, in Wahrnehmung ihrer Mitverantwortung für den Erhalt der Biodiversität, das Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU) beauftragt, in Abstimmung mit weiteren städtischen Referaten eine Biodiversitätsstrategie für München zu entwickeln. Ferner wird ein Konzept ein Konzept zum Biodiversitätsmonitoring verfasst, um die Ent-wicklung der Biodiversität in München zu überwachen.

Als Grundstrategien sind dazu die Sicherung der Arten- und Sortenviel-falt, der Erhalt der Vielfalt der Lebensräume, die Verbesserung der öko-logischen Durchlässigkeit von Wanderbarrieren sowie die Vermittlung und Vertiefung von Umweltwissen angedacht. Das Konzept wird der-zeit maßnahmen- und umsetzungsorientiert erarbeitet und soll bis Ende 2017 dem Stadtrat zum Beschluss vorgelegt werden. Wir wollen damit einen Beitrag leisten, Münchens großen Schatz an natürlicher Vielfalt zu erhalten und zu fördern. Damit wir diesen Reichtum an unsere Kinder und Enkel weiter geben können.

text Stephanie Jacobs Referentin für Gesundheit und Umwelt fotos Markus Bräu, RGU; Eleana Hegerich

Zur Person

Stephanie Jacobs ist die Münchner Re-ferentin für Gesundheit und Umwelt. Zu-vor arbeitete die Juristin und Fachfrau für Gesundheits- und Umweltfragen zehn Jahre im bayerischen Ministerium für Um-welt/Gesundheit und Verbraucherschutz. Frau Jacobs ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Biodiversität in der Großstadt München

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Liebe Leserinnen und Leser,

den Herzlöffel haben Sie wahrscheinlich noch nie gesehen. Vermutlich wissen Sie auch nicht, wer oder was das überhaupt sein soll. Keine Sorge, Sie befinden sich in bester Gesellschaft. Selbst Botanikerinnen und Botaniker, Zoologinnen und Zoologen haben erst einen Bruchteil aller Pflan-zen- und Tierarten auf unserem Planeten entdeckt. Und vermutlich bleibt es auch dabei, denn aktuell vollzieht sich still und leise eines der größten Artensterben der Erdgeschichte. Verantwort-lich hierfür sind wir Menschen. Täglich verschwinden hunderte bis tausende Pflanzen- und Tier-arten, noch bevor wir von ihrer Existenz und ihrer Funktion für unser Ökosystem erfahren haben (siehe Artikel auf Seite 4).

Eigentlich sollten wir das größte Interesse an einer vielfältigen Pflanzen- und Tierwelt haben – und sei es nur aus ökonomischen Gründen. Mit 125 Billionen Dollar wird der Wert der Leistungen beziffert, die uns die Natur jedes Jahr kostenlos in Form von gefiltertem Wasser, sauberer Luft, Holz oder Bestäubungsleistungen zur Verfügung stellt (siehe Artikel auf Seite 18).

Aber auch unsere Teller und Gaumen freuen sich über Abwechslung und Vielfalt, die so immer seltener zu finden ist. Auf dem „Archehof“ Sonderhauser gibt es sie noch, wo fast vergessene Nutztierrassen wie das Pinzgauer Rind vor dem Aussterben bewahrt werden – und unerwartete Qualitäten offenbaren (siehe Artikel auf Seite 14). Eine ähnliche „Arche“ steht in Regensburg: Die Genbank Bayern Arche friert in ihren Tiefkühltruhen Samen seltener Wildpflanzen ein (siehe Ar-tikel auf Seite 11). Dort weiß man auch, was ein Herzlöffel ist: eine seltene, weißblütige Wasser-pflanze.

Eine aufschlussreiche Lektüre wünschtJohannes Schubert

Editorial

04

11

14

Inhalt

08Gefrorene Zukunft Pflanzenrettung bei minus 18 Grad

Hermetosphäre Bau eines Flaschengartens

18

Impressum, Kontakte, Termine

20

24Alte HeldenVon nützlichen Tieren, die keiner mehr kennt14

04 Bedrohter ReichtumWarum die Artenvielfalt in Gefahr ist

11

02 Urbane Vielfalt Biodiversität in der Großstadt München

Patentierte Natur Wie Patente auf Lebensmittel die Vielfalt bedrohen

Lebens-Wert Die Leistungen der Natur aus ökonomischer Sicht

16

Wildes MünchenTiere zieht es in die Stadt

22 Gerät das Edelweiß ins Schwitzen? Wie der Klimawandel die Landschaft verändert

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Bedrohter Reichtum

Unter Biodiversität (biologische Vielfalt) versteht man die Vielfalt des Lebens, welche sich auf drei Ebenen beschreiben lässt. Die erste Ebene ist die Vielfalt der Lebensgemein-schaften, also der Ökosysteme, wie Wasser, Wald und der Alpine Raum. Die Zweite ist die der Arten, dazu gehören Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen. Zur dritten Ebene zählt die Vielfalt der Gene innerhalb von Arten. Der Begriff Biodiversität kommt aus den USA und ist eine Kurzform von „biological diver-sity“. Durch die UNO-Konferenz von Rio de Janeiro 1992 hat die Biodiversität an Bedeu-tung gewonnen, denn die daraus hervorgegangene Biodiversitätskonvention („Conventi-on on Biological Diversity“, CBD) ist ein völkerrechtlicher Vertrag, welcher bereits von 196 Regierungen unterzeichnet wurde (Stand: November 2016), und zum Ziel hat, die Vielfalt des Lebens der Erde zu schützen, zu erhalten und deren nachhaltige Nutzung so zu ge-stalten, dass möglichst viele Menschen heute und in Zukunft davon leben können.

Was genau ist Biodiversität?

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So richtig kann keiner sagen, wie viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten es auf der Welt gibt. Die Zahlen schwanken ge-waltig. Mal sind es fünf Millionen Arten, mal 20 Millionen oder

noch mehr. Und dieser Umstand verdeutlicht bereits eines der Haupt-probleme beim Thema Artenvielfalt oder Biodiversität: unser begrenztes Wissen darüber. Wir kennen nur einen Bruchteil der Pflanzen und Tiere auf unserem Planeten und können über den großen, unbekannten Rest nur Vermutungen und Hochrechnungen anstellen. Diese Ignoranz wäre nicht weiter schlimm, würden wir nicht durch unsere Lebensweise ge-rade für eines der größten Artensterben in der Erdgeschichte verant-wortlich sein. Doch warum ist es überhaupt so wichtig, dass es zehn-tausende verschiedene Farne oder Bäume gibt oder tausende von Apfelsorten? Warum reichen nicht 20 Vogel- und 1000 Fischarten aus? Und was sind die Ursachen und Gründe für den dramatischen Rück-gang der biologischen Diversität?

Lebensversicherung Artenvielfalt

Die große Vielfalt in der Natur hat einen Sinn. Sie funktioniert wie eine Art Versicherung. Kann eine bestimmte Pflanzen- oder Tierart ihre Auf-gabe in einem Ökosystem nicht mehr übernehmen, ermöglicht das Vor-handensein vieler Arten, dass dieser Ausfall kompensiert werden kann. Eine Art springt für die andere ein. Sind aber immer weniger Arten vor-handen, ist diese Kompensation nicht mehr möglich. Da Ökosysteme sehr komplex sind und wir längst nicht alle Arten und ihre Funktionen darin kennen, können wir nicht voraussagen, was beim Verlust einzelner oder mehrerer Arten passiert. Doch die biologische Vielfalt bezieht sich auch darauf, wie viele verschiedene Ökosysteme, wie Wüsten, Wiesen, Wälder, alpine Regionen etc. es gibt und auf die Anzahl der genetischen Vielfalt innerhalb einer bestimmten Tier- oder Pflanzenart.

Große Artensterben gab es in der Erdgeschichte schon immer. Eines der Bekanntesten und Größten vollzog sich vor 66 Millionen Jahren mit dem Aussterben der Dinosaurier. Doch heute ist es mit dem Menschen zum

ersten Mal eine Spezies selbst, die für ein globales Artensterben ver-antwortlich ist. Spätestens mit der industriellen Revolution im 18. Jahr-hundert fing der Mensch an so massiv in die Umwelt einzugreifen, dass er zu einem bestimmenden Faktor für die atmosphärische und biolo-gische Entwicklung der Erde geworden ist. Die vom Menschen verur-sachte Klimaerwärmung geht schneller von statten, als sich viele Arten und Ökosysteme anpassen können. Durch die Zerstörung ganzer Na-turräume, die industrielle Landwirtschaft, das Bevölkerungswachstum und den immer größeren Flächen- und Ressourcenverbrauch geht vie-len Pflanzen und Tieren schlicht das nötige Lebensumfeld und die Nah-rungsgrundlage verloren. Gerade so genannte Biodiversitäts-Hotspots, wie die stark gefährdeten tropischen Regenwälder, bergen einen unge-heuren und noch weitestgehend unbekannten Schatz an Arten und Ent-deckungen, wie zum Beispiel neue medizinische Wirkstoffe.

Die Natur, dein Freund und Helfer

Doch es sind nicht nur heilende Wirkstoffe, die wir der Vielfalt an Flo-ra und Fauna verdanken. Die Liste der Leistungen, auch Ökosystemlei-stungen genannt, die die Natur für uns Menschen bereitstellt, ist lang: Die Umwandlung von Sonnenlicht in Biomasse und damit Energie, die Bodenbildung, der Wasser-, sowie der Stickstoff- und Kohlenstoffkreis-lauf, die Produktion von Nahrung in der Natur und der Landwirtschaft, die Bereitstellung von sauberer Luft und Wasser sowie Baustoffen, Heil-pflanzen und Brennholz. Darüber hinaus reguliert die Natur das Klima, die Bestäubung von Pflanzen, den Abbau und das Filtern von Schad-stoffen oder die Fähigkeit von Gewässern, sich selbst zu reinigen. Selbst die Auswirkungen von Überschwemmungen, Schädlingsausbrü-chen und Krankheitsepidemien dämpft die Natur für uns ab. Diese als selbstverständlich angesehenen Ökosystemdienstleistungen werden inzwischen in der Umweltökonomie genauer betrachtet. Es werden Me-thoden entwickelt, sie in Geldwerten zu beziffern. Damit bekommt der Arten- und Naturschutz konkrete volkswirtschaftliche Argumente (siehe „Lebens-Wert“, Seite 18).

Es hat einen Grund, warum es mehr als zehn Vogelarten auf der Welt gibt. Die biolo-gische Vielfalt macht unser Leben erst möglich. Gerade zerstören wir sie.

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Die Vielfalt der Natur hat für uns Menschen aber nicht nur einen gesund-heitlichen oder volkswirtschaftlichen, sondern auch einen kulturellen Wert. Sie stiftet Identität, bedeutet Heimat, gibt Menschen einen Rhyth-mus und dient der Erholung. Biodiversität ist ein Kulturgut, das sich auch in regionaler Küche, Tierrassen und Traditionen widerspiegelt. Doch auch die Vielfalt der von Menschen Jahrtausende lang gezüchteten Nutzpflan-zen und –tiere nimmt ab. Über 50 Haustierrassen wie Rinder, Schwei-ne, Gänse oder Hühner sind inzwischen vom Aussterben bedroht. In der industriellen Landwirtschaft und Massentierhaltung ist Standardisierung und Spezialisierung statt Vielfalt gefragt. Projekte wie die Archehöfe, die sich für den Erhalt alter Nutztierrassen einsetzen versuchen dem entge-gen zu steuern (siehe „Alte Helden“, Seite 14).

Monokulturen, Pflanzengifte und Saatgut- monopole

Die Gründe für den Rückgang an Biodiversität liegen auch an der Art und Weise, wie heutzutage Landwirtschaft betrieben wird. Der Einsatz von Pestiziden in großen Mengen sowie Anbauflächen, auf denen Monokul-turen dominieren, führen zu einem Rückgang der Artenvielfalt. Tiere fin-den schlicht nicht mehr genug Nahrung, da wilde Pflanzen und „Unkraut“ vor der Aussaat der angebauten Pflanzen mit Totalherbiziden vernichtet werden. Dabei sind Bienen und Insekten für die Bestäubung der Feld-er unerlässlich.

Aber auch die Biodiversität der Böden selbst, ihre durch Nährstoffe und Bodenorganismen beeinflusste Fruchtbarkeit, geht aufgrund der kon-ventionellen Landwirtschaft zurück. Denn wird auf einem Acker über ei-nen längeren Zeitraum nur noch eine Pflanzenart angebaut, führt dies zur Auswaschung von Nährstoffen. Das verringert langfristig die Boden-fruchtbarkeit, was wiederum eine Abnahme der Produktivität zur Fol-ge hat. Dieser Teufelskreis führt zu einem immer stärkeren Einsatz von Pestiziden und Kunstdüngern. Noch gänzlich unerwähnt ist dabei die Tatsache, dass weltweit überhaupt nur noch wenige, hochgezüchtete Pflanzensorten angebaut werden. Dies hat vor allem mit der Marktkon-zentration auf dem Saatgutmarkt zu tun. Vorbei sind die Zeiten, in denen Bauern ihr Saatgut noch selbst für die kommende Aussaat von der letz-ten Ernte zurückbehielten. Multinationale Großkonzerne haben mit aller Macht so genanntes Hybridsaatgut auf den Markt gebracht. Dieses ist ergiebiger als konventionelle Sorten, muss aber für jede Aussaat erneut gekauft werden. Zusätzlich versuchen die Agrokonzerne, ihre Marktstel-lung und Dominanz durch Patentierungen von Saatgut und Lebensmit-teln weiter zu festigen (siehe Interview „Patentierte Natur“, Seite 16). So geht der von den Menschen in den letzten 10.000 Jahren gezüchtete

Reichtum an Kulturpflanzen immer mehr verloren und damit die Mög-lichkeit, mit lokaler „Agrobiodiversität“ auf die Herausforderungen des Klimawandels reagieren zu können. Denn Vielfalt bedeutet Sicherheit, Resilienz und Risikomanagement.

Stadtflucht von Tieren und Pflanzen

Neben dem enormen Flächenverbrauch der Landwirtschaft beanspru-chen auch die Städte immer mehr Platz. Dadurch sind Tiere und Pflan-zen gezwungen, in immer kleiner werdende Lebensräume auszuweichen. Paradoxer Weise finden Insekten, wie Bienen, mittlerweile in den Städ-ten häufig bessere Lebensbedingungen als auf dem Land. Manche Arten können sich gut an das städtische Umfeld anpassen, für einige Vögel, Na-getiere und Insekten sind die Grünflächen in den Städten ein guter Rück-zugsort, an dem sie auch genügend Nahrung finden. Allerdings ist dies weniger ein Beleg dafür, wie grün unsere Städte sind, sondern zeigt viel-mehr, wie schlecht es „auf dem Land“ um das Lebensumfeld vieler Tier-arten bestellt ist. Und nicht jede Art kann in einem breiten Spektrum an Lebensbedingungen existieren.

Manche mögen‘s heiß

Malaria in Deutschland? Noch ist es nicht so weit. Aber der Klimawan-del hat nicht nur einen großen Einfluss auf die Biodiversität der Tier- und Pflanzenwelt, sondern auch auf die Ausbreitung von Infektionskrank-heiten, die nicht selten von Tieren übertragen werden oder höhere Tem-peraturen benötigen. Durch die Klimaerwärmung finden plötzlich auch Tiere und Pflanzen in Deutschland geeignete Lebensbedingungen, für die es hier bisher schlicht zu kalt gewesen ist. Sie können das bestehen-de Ökosystem zusätzlich durcheinanderbringen und heimische Arten ver-drängen.

Häufig werden gebietsfremde Tier- oder Pflanzenarten aber auch vom Menschen in „falsche“ Ökosysteme ausgesetzt und entwickeln sich nicht selten zu wahren Plagen. So hat etwa in Australien die ursprüng-lich zur Schädlingsbekämpfung aus Südamerika importierte Aga-Kröte sich in Abwesenheit natürlicher Feinde millionenfach vermehrt und be-reits mehrere heimische Tierarten ausgerottet.

Alles hängt zusammen

Mit dem Verlust der Artenvielfalt ist es ähnlich wie mit dem Klimawandel. Wir werden die gravierenden Folgen erst merken, wenn es zu spät dazu ist, die Ursachen zu bekämpfen. Täglich sterben nach unterschiedlichen

„Die Gründe für den Rückgang der Biodiversität liegen auch an der Art und Weise, wie heutzutage Landwirtschaft betrieben wird“

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Schätzungen mehrere hundert bis tausende Arten aus, weitestgehend unbemerkt von großen Teilen der Öffentlichkeit, unentdeckt und uner-forscht von der Wissenschaft. Dabei vergessen wir als Hauptverursa-cher dieses unnatürlichen Artensterbens gerne, dass auch unsere Spe-zies trotz oder wegen ihrer erstaunlichen Fähigkeiten irgendwann einmal dasselbe Schicksal ereilen kann. Wir haben es selbst in der Hand und es gehört zu den größten Faszinosa, dass wir uns trotz dieser Erkenntnis auf individueller und gesellschaftlicher Ebene so schwertun zu Handeln.

text Franziska Ernst, Johannes Schubert fotos Flickr: Olli Henze; Jeena Paradies; Marcus Scwan; Malte Hempel

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Wildes MünchenNicht nur immer mehr Menschen zieht es in die lebenswerte Stadt an der Isar. Auch wilde und bedrohte Tierarten, wie der Biber, siedeln sich wieder in München an. Die

Artenvielfalt in der Stadt ist vergleichsweise hoch.

IIn bester Stadtlage, direkt am östlichen Isarufer des Deutschen Mu-seums, hat die Biber-Familie ihren Bau errichtet. 1867 wurde er in Bayern ausgerottet, und 99 Jahre später begann der Bund Na-

turschutz (BUND) mit großem Erfolg die Wiedereinbürgerung. Aus den ausgesetzten 120 Tieren entwickelte sich bayernweit ein Bestand von 20.000 Tieren. Doch nicht nur Biber kann man in München treffen. Auch andere Tiere haben die Stadt längst als attraktiven Lebensraum entdeckt. Seit in der Landwirtschaft Monokulturen dominieren und der Einsatz von Pestiziden und Kunstdünger zum Rückgang der Pflanzenvielfalt führt, finden viele Wildtiere in der Stadt bessere Lebensbedingungen. Das gilt allerdings nicht für alle Tierarten. Denn die wenigsten sind so anpas-sungsfähig oder flexibel bei ihrem Nahrungsangebot und ihren Lebens-bedingungen, um die Besonderheiten des Stadtlebens, wie Hitze, Lärm und Luftverschmutzung, zu meistern.

Viele in München anzutreffende Wildtiere, wie Fuchs oder Amsel, sind klassische Kulturfolger. Die städtische Landschaft simuliert gewisser-maßen ihr eigentliches natürliches Umfeld, sie folgen dem Menschen nach. Amseln nisten auf Verkehrsampeln und Füchse haben schon längst die Mülltonnen, Schrebergärten und Parks der Stadt als ergie-bige Futterquellen entdeckt.

Damit München auch in Zukunft möglichst vielen Wildtieren eine Heimat bietet, müssen die Parkanlagen, Wälder und Grünflächen in aus-reichendem Umfang erhalten bleiben und miteinander vernetzt werden. Als Vernetzungsachsen bieten sich Isar, Würm und Stadtbäche wie der Hachinger Bach an. Aber auch viele Grünzüge, die früher als Straßen-trassen von Bebauung freigehalten wurden, dienen heute als Wander-korridore für Wildtiere und als Erholungsflächen für gestresste Groß-städter.

Der Europäische Biber ist das größte Nagetier Europas. Ein ausgewachsenes Tier wird bis zu 1,40 Meter lang.

Biber graben einen Bau mit dem Eingang unter Wasser ins Ufer oder er-richten eine Burg. Der Biber ist ein reiner Vegetarier. Im Winter ernährt er sich von Rinden und Zweigen weicher Hölzer wie Pappeln oder Weiden. An Isar und Würm leben seit einigen Jahren wieder Biber. Biber sind äu-ßerst gutwillige und scheue Tiere und vor allem abends und nachts ak-tiv. Achtung Hundehalter: Sich verteidigende Biber können aufdringliche Hunde mit ihren scharfen Nagezähnen empfindlich verletzen. Hier trifft man ihn in München: Museumsinsel, Englischer Garten, Würm, Großhesselohe, nördliche Isarauen.

Dieser Greifvogel erlebte in den letzten Jah-ren durch intensive Schutzbemühungen

von Umweltverbänden eine Bestandsstabilisierung. In Deutschland konn-ten sich nur noch kleine Restvorkommen in Baden-Württemberg und in den bayerischen Alpen halten. Durch die Einführung einer ganzjährigen Schonzeit und durch das Verbot bestimmter Pestizide konnten sich die Bestände erholen und können auch in vielen Städten beobachtet wer-den. Mit Spitzengeschwindigkeiten von 340 km/h ist der Wanderfalke der schnellste Vogel der Welt. Er fängt eigentlich nur fliegende, überwiegend geschwächte Vögel. Dadurch leistet er einen wichtigen Beitrag zur Ge-sunderhaltung von Populationen. Hier trifft man ihn in München: Paulskir-che, Liebfrauendom, Heilig-Kreuzkirche, Schornstein des Heizkraftwerk München-Süd.

Wanderfalke

Biber

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text Dr. Rudolf Nützel, Geschäftsführer Bund Naturschutz, Kreisgruppe München fotos Flickr: Patrick Seifert Fotografie (Biber); Fotolia

Der ursprünglich aus Nordamerika kommende Waschbär breitet sich seit den Sechzigerjahren

in Bayern von Norden her aus. Die putzig aussehenden, fast fuchsgroßen Tiere ernähren sich von Schnecken, Regenwürmern und Insektenlarven, aber auch von menschlichen Essensresten. In den vergangenen Jahren ist der Waschbär im Umland von München angekommen und gesichtet worden. Gute Lebensbedingungen, fehlende natürliche Feinde und die schnelle Anpassungsfähigkeit des Waschbären begünstigen seine ste-tige Verbreitung in die Städte. Bisher existieren noch keine Nachweise für München. Vermutlich kommt er aber auch hier vor.

Waschbär

Die einzige Bläulingsart in München, wel-che metallische Flecken auf der Hinterflü-

gelunterseite hat. Die Oberseite der Männchen ist blau glänzend. Am Flü-gelaußenrand sieht man ein oranges Band. Beide Geschlechter saugen Nektar an Blüten, die Männchen auch an feuchten Stellen am Boden. Dieser schöne Tagfalter ist von Mitte Juni bis Mitte August zu sehen. Die Raupen fressen an Schmetterlingsblütlern und Sanddorn. Sie scheiden ein zuckerhaltiges Sekret aus, das bestimmte Ameisenarten begierig auf-nehmen und als Dank dafür die Raupen verteidigen. Die stark bedrohte Art hat in München ihren bayernweiten Verbreitungsschwerpunkt.

Idas-Bläuling

Füchse haben sich als Generalisten gut an das Leben in der Großstadt angepasst, dank des großen Angebots

an Leckereien, wie Mäuse, Kaninchen, Heuschrecken und Abfälle. Ob-wohl der Fuchs nach der Ausrottung von Wolf, Bär und Luchs das größte Raubtier bei uns ist, stellt er keine direkte Gefahr für den Menschen dar. Er ist aber ein Überträger des Fuchsbandwurms, der beim Menschen u.a. die Leber schädigen kann. Da Hunde den Kot von Füchsen fressen, kann der Fuchsbandwurm bei mangelnder Hygiene leicht auf den Menschen über-tragen werden. Der Fuchs gilt als Hauptursache für die Bestandsrück-gänge von Bodenbrütern wie dem Kiebitz. Man trifft ihn in Gärten, Parks, Schrebergärten, und er wurde auch schon am Marienplatz gesehen.

Fuchs

Der Große Blaupfeil ist eine der größten und häufigsten Libellenarten bei uns. In

München gibt es noch rund die Hälfte der 74 in Bayern beheimateten Li-bellenarten. Während Weibchen und Männchen des Großen Blaupfeils di-rekt nach dem Schlüpfen noch nahezu gleich graugrün aussehen, verfär-ben sich die Weibchen bald gelb und mit dem Alter braun. Die Männchen sind im Mittelteil mattblau, die Hinterleibsspitze dunkel. Die Flugzeit liegt zwischen Mitte Mai und September. Der Blaupfeil erreicht Geschwindig-keiten von 26 km/h. Die Art bevorzugt offene Wasserflächen, beispiels-weise Seen, Kiesgruben und Fischteiche. Der große Blaupfeil ist im ge-samten Stadtgebiet zu sehen.

Großer Blaupfeil

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Gefrorene Zukunft

Die Genbank Bayern Arche verwahrt Pflanzensamen und rettet dadurch seltene Pflan-zen vor ihrem Aussterben. Doch nun steht das Vorzeigeprojekt selbst vor dem Aus.

Das ziemlich kalte Herz der Genbank schlägt im Keller. Hin-ter einer unscheinbaren und unprätentiösen Tür, für deren Öffnung es weder eines Fingerabdrucks noch eines Augen-

scans bedarf, stehen sie: neun große Gefrierschränke, in denen sich die Samen von fast 500 vom Aussterben bedrohten oder extrem seltener Pflanzen befinden. Manche der hier lagernden Arten wachsen draußen in der Natur nur noch an einem einzigen Ort. Von einigen Arten gibt es so wenige Exemplare, dass man sie an einer Hand abzählen kann. Für die bedrohten Pflanzen sind diese neun Gefrierschränke an der Univer-sität Regensburg eine Lebensversicherung. Stirbt eine Art in der Natur tatsächlich aus, lässt sie sich aus den Samen der Genbank wieder neu zum Leben erwecken. „Allerdings nur, wenn sie noch keimfähig sind“ sagt der Biologe Martin Leipold, der zum kleinen Team der Wissen-schaftler gehört, die die Genbank Bayern Arche am Laufen halten. „Wir wissen noch nicht, wie lange sich die Samen tatsächlich tiefgefroren halten, weil sie zu selten sind, als dass es darüber schon Erkenntnisse gäbe“ so Leipold. Deshalb tauen er und die Biologin Simone Tausch alle fünf Jahre ein paar Samen jeder Art wieder auf, um zu testen, ob sie noch auskeimen. Notfalls müssen diese dann sofort im benachbar-

ten botanischen Garten der Universität angepflanzt werden, um wieder neue Samen zur Lagerung zu generieren. Da es die Genbank Bayern Ar-che erst seit 2009 gibt, fällt diese Arbeit erst seit kurzem an.

Tiefkühltruhen, Einmachgläser und silberne Beutel – es sieht nicht ge-rade nach High-Tech aus, womit Leipold, Tausch und die beiden Pro-jektleiter der Genbank, Professor Poschlod und Professor Reisch, arbei-ten. Tatsächlich ist das Einlagern von Pflanzensamen sehr komplex. Das fängt schon mit der Frage an, was man überhaupt einlagert. Es gibt di-verse „Rote Listen“, auf denen bedrohte Arten aufgeführt und verzeich-net sind. Doch diese Listen sind meist schon Jahrzehnte alt. Dann müs-sen die seltenen Pflanzen in der Natur aufgespürt werden. Entweder ziehen Poschlod, Reisch, Leipold und Tausch selbst los oder sie arbei-ten mit Biologen vor Ort zusammen, die sich häufig auf ganz bestimmte Pflanzen spezialisiert haben und die Gegend gut kennen. „Und wir be-kommen Samen von Privatpersonen geschickt, manchmal inklusive der ganzen Pflanze“ so Leipold. Dann ist da noch die Krux mit den Stand-orten: Am liebsten möchte man von jeder Pflanzenart Samen von mög-lichst vielen verschiedenen Individuen an unterschiedlichen Standorten

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sammeln. Nur so lässt sich eine möglichst breite genetische Vielfalt er-reichen. Doch je bedrohter die Pflanzenart, desto seltener ist sie anzu-treffen und desto unwahrscheinlicher ist es, diese Vielfalt zu erreichen.

An der Universität werden die eingesammelten Samen dann gereinigt und in einem speziellen Raum bei konstanter Temperatur auf den exakt richtigen Wassergehalt getrocknet, bevor sie vakuumverpackt und tief-gefroren werden. Davor müssen sie noch ins Röntgengerät, ein Aufwand, den sich kaum eine andere Genbank leistet. Denn nicht alles, was von au-ßen unversehrt aussieht, ist innerlich auch intakt. Schädlinge oder unbe-fruchtete Samen lassen sich nur im Röntgenbild entdecken. Nicht weiter schlimm, wenn man von einer Pflan-zenart zehntausende von Samen zur Verfügung hat. Doch wer sich wie die Genbank Bayern Arche auf ex-trem seltene, in Bayern beheimatete Wildpflanzen konzentriert, kann von solchen großen Mengen nur träumen und schaut lieber ganz genau hin.

Die Landschaft und die Flora Bayerns sind in Deutschland einzigartig. Als einziges Bundesland verfügt es mit den Alpen über ein Hochgebirge. Oberhalb der Baumgrenze wachsen dort nicht nur das allseits bekann-te seltene Edelweiß, sondern auch viele andere nur dort vorkommen-de Pflanzenarten. Die Alpen sind ein besonders sensibles Ökosystem, in dem sich die Folgen der Klimaerwärmung bereits heute deutlich be-merkbar machen (siehe Artikel „Gerät das Edelweiß ins Schwitzen?“, Seite 22). Aber auch in niedriger gelegenen Regionen Bayerns gibt es schon seit längerer Zeit Veränderungen. Und zwar keine guten. Ob Blaue Gänsekresse, Gewöhnliche Ochsenzunge oder Schwanenblume – mehr als 40 Prozent aller wilden Pflanzenarten gelten mindestens als gefährdet. Gab es früher noch viel kleine Felder mit Ackersäumen, Hecken oder Steinmauern, dominieren heute in der Landwirtschaft rie-

sige Anbauflächen, wo Monokulturen wachsen und es für „Unkraut“ im-mer weniger Platz gibt. Spätestens wenn Totalherbizide wie Glyphosat verspritzt werden, ist es mit dem Pflanzenwachstum endgültig vorbei. Auch die Fragmentierung der Landschaft setzt den Wildpflanzen und ih-rer Verbreitung zu. Dabei schlagen sich die Folgen des Klimawandels aktuell noch gar nicht bei der Artenvielfalt nieder.

Fragt man Professor Poschlod, war-um die Artenvielfalt in den letzten Jahrzehnten so dramatisch zurück-gegangen ist, nennt er die obigen Gründe. Und die Schafe. Die Scha-fe? „Wir bedenken beim Thema Ar-tenvielfalt nicht, dass wir in Deutsch-land seit Jahrhunderten weitest gehend in einer Kulturlandschaft le-ben. Vieles, was es an pflanzlicher Vielfalt gibt, hat direkt mit uns Men-schen und unserer Landnutzung zu tun. Insbesondere Schafe tragen ganz wesentlich zur Ausbreitung von Pflanzensamen bei, die in ihrer Wol-

le hängen bleiben und von ihnen ausgeschieden werden. Und heute gibt es kaum noch Schafe in Deutschland, weil sich ihre Haltung nicht mehr lohnt. Von ehemals 28 Millionen sind nur noch 1,6 Millionen üb-riggeblieben.“

Es liegt gewissermaßen also auch an den fehlenden Schafen, dass Bayern als erstes Bundesland 2008 einen Maßnahmenkatalog für den Erhalt und Schutz der Artenvielfalt beschloss. Teil dessen war auch die Gründung der Genbank Bayern Arche an der Universität Regensburg. 500.000 Euro betrug das Budget für die ersten fünf Jahre. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass allein das Röntgengerät und die zur Forschung notwendigen Klimaschränke über die Hälfte dieser Summe gekostet ha-ben. Die meisten Geräte steuerte Professor Poschlod deshalb von sei-nem Lehrstuhl für Ökologie und Naturschutzbiologie bei. Stolz erzählt er von der Einmaligkeit dieses Projekts in Deutschland. Genbanken für

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Nutzpflanzen gäbe es einige. Doch die Genbank Bayern Arche mit ihrer Spezialisierung auf gefährdete Wildpflanzen sei in Deutschland einma-lig. Denn neben dem Sammeln und Bewahren der Pflanzensamen ver-folge sie einen umfassenden Ansatz: „Es bringt nichts, Saatgut einzu-lagern, wenn man nicht weiß, wie man daraus wieder Pflanzen zieht“ meint Poschlod. Deshalb durchleuchten sie in Regensburg ihre seltenen Pflanzensamen nicht nur mit Röntgenstrahlen, sondern sequenzieren deren Gene oder simulieren in Klimaschränken verschiedene Umwelt-verhältnisse für die unterschiedlichen Pflanzen, um die jeweils optima-len Keimbedingungen herauszufinden. Dafür wurden sie 2013 von der UN als Teil der UN-Dekade Biologische Vielfalt ausgezeichnet. Das gab dem Projekt auch in der Öffentlichkeit und Politik genug neue Aufmerk-samkeit, um die Finanzierung um zwei weitere Jahre zu sichern.

Doch seit Juni dieses Jahres müsste im Keller der Universität eigent-lich schon Tauwasser stehen, denn seitdem fließt vom Land kein Geld mehr. Noch laufen die Tiefkühltruhen auf Universitätskosten weiter und die vier Mitglieder des Arche-Teams führen das Projekt ohne Finanzie-rung fort. Doch Geld, um etwa neue Pflanzensamen zu sammeln, gibt es nicht. Die Genbank steht vor dem Aus. Dabei sehen die Biologen ihre Ar-beit eigentlich jetzt erst richtig beginnen. Nachdem sie die Genbank auf-gebaut haben, wollen sie weiter forschen, Methoden verbessern und die Wiederanpflanzung vorantreiben. Ob das Land einlenkt und weiter Geld-er bewilligt ist ungewiss. Der Herzlöffel würde es bestimmt begrüßen. Die weißen Blüten der schönen Wasserpflanze, mit der wissenschaftlichen Bezeichnung Caldesia parnassifolia, lassen sich in Deutschland nur noch an einem einzigen Ort in ihrem natürlichen Habitat, nahe Schwandorf, be-wundern. Und in Regensburg! In der kleinstmöglichen Form bei minus 18 Grad und in voller Pracht im botanischen Garten der Universität. Vor-erst zumindest.

text Johannes Schubert fotos Martin Leipold; Johannes Schubert

Dipl.-Biologe Martin Leipold Prof. Dr. Peter Poschlod

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Alte Helden

Höllthal im nördlichen Chiemgau bei Taufkirchen ist ein wunder-schöner Ort. Geradezu paradiesisch – vor allem für die Tiere, die hier bei Reinhold Sonderhauser leben. Auf den ersten Blick sieht

es auf dem Demeterbetrieb aus wie auf jedem Bauernhof: Stall, Wei-den, Äcker, Landmaschinen und hinterm Haus ein Garten und ein klei-ner Teich für die Gänse. Nur das Schild „Archehof“ am Heuschober ver-rät, dass hier wohl ein paar Dinge anders sind als bei den Betrieben in der Umgebung.

Hinter dem Stall auf der Weide stehen Rinder, die man nur noch höchst selten sieht: Sie heißen Rotes Höhenvieh, Pinzgauer, Angler Rind der alten Zuchtrichtung oder Original Braunvieh – alte Rinderrassen, die früher weit verbreitet waren und mittlerweile fast verschwunden sind. „Seit den 70er Jahren wurde durch die Industrialisierung der Landwirt-schaft nur noch auf Milchleistung gezüchtet“, erzählt Sonderhauser. „Die Schwarzbunten und das Fleckvieh hatten gute Milchanlagen, und deshalb wurde die Züchtung nur noch mit diesen Rassen vorangetrie-ben. Das hat die ganzen alten Rassen so verdrängt, dass sie heute vom

Aussterben bedroht sind. Vom Angler Rind zum Beispiel gibt es nur noch etwa 400 Stück landesweit, da ist der Genpool fast schon zu klein, um sie erhalten zu können.“

Reinhold Sonderhauser ist Mitglied der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen e.V., kurz GEH. Sie wurde 1981 im Rot-tal gegründet, und den mittlerweile 2100 Mitgliedern ist es zu verdan-ken, dass viele selten gewordene Rassen durch Nachzucht vor ihrem endgültigen Untergang bewahrt wurden. Die hübschen Tauernschecken, von denen auf dem Archehof 15 Exemplare leben, sind ein gutes Bei-spiel dafür: Die Gebirgsziegenrasse stammt ursprünglich aus den Tä-lern und Almen rund um den Großglockner. Man erkennt sie an ihrer schwarz-weißen, im Kopfbereich pigmentierten Zeichnung. Sie gelten als vital, langlebig und trittsicher, und ihr auffälliges Äußeres hatte viele Vorteile: Die Hirten in den Bergen konnten sie dadurch leicht aufspüren, und die Pigmentierung am Kopf schützt die Ziegen vor der starken Son-neneinstrahlung in großen Höhen. Die Tauernschecken sind gute Futter-verwerter und genügsam, haben eine überdurchschnittliche Milchleis-

Sorten- und Rassenvielfalt in der Landwirtschaft ist nicht nur ein wirtschaftliches oder ein ökologisches Thema. Sie sind Teil unseres kulturellen Erbes. Archehöfe erhalten es für uns.

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tung, sind sehr fruchtbar und krankheitsresistent – eine regional ideal angepasste Rasse, deren Bestand zeitweise auf nur noch 80 Exemplare geschrumpft war.

Als Sonderhauser 2002 beschloss, den ehelichen Hof wieder zu bewirt-schaften stand für ihn fest, dass er auf seinem Hof keine der gängigen und vielfach überzüchteten Arten haben wollte – schon allein aus äs-thetischen Gründen. „Zum einen haben mir diese alten Rassen einfach besser gefallen. Da wollte ich etwas dafür tun, dass sie nicht ausster-ben. Zum anderen sind diese Rassen für die Mutterkuhhaltung ideal: Die Kühe bekommen nur Gras, Heu und Kleesilage und haben trotzdem eine sehr gute Milchleistung – die Kälber entwickeln sich prächtig.“ Die Fähigkeit, Futter optimal zu verwerten, zeichnet viele alte Rassen aus. In der modernen Landwirtschaft füttern die Landwirte meist Eiweiß- und Energiefutter wie Soja oder Maissilage zu, damit die Tiere eine entspre-chende Milch- und Fleischleistung erzielen. Diese Art Kraftfutter steht aber eigentlich gar nicht auf dem natürlichen Speiseplan der Wieder-käuer. Kaum verwunderlich, dass das Auswirkungen auf den Organis-mus hat. „Der Verband Chiemgauer Naturfleisch hat in einer Studie Un-tersuchungen zum Gehalt von Omega 3 und Omega 6 Fettsäuren im Fleisch durchgeführt. Dabei hat sich herausgestellt, dass Tiere, die mit Mais gefüttert werden, maximal noch die Hälfte dieser wertvollen Fett-säuren besitzen. Tiere, die auf der Weide sind und nur Gras und Heu fressen, haben doppelt so viel.“ Aber diese Art der Haltung und Fütte-

rung eignet sich eben auch nur für robuste Rassen, von denen es im-mer weniger gibt. Und weil die als Lebensmittel erst gar nicht mehr in den Großhandel kommen, wissen auch immer weniger Menschen, was ihnen da eigentlich entgeht. „Das Fleisch der Pinzgauer ist eine Delika-tesse. Die Marmorierung und die Farbe ist gänzlich anders als das, was man im Supermarkt oder Discounter bekommt“, sagt Reinhold Sonder-hauser.

Rotes Höhenvieh, Pinzgauer oder Angler Rind gehören zu den Rassen, die früher als Dreinutzungstiere gehalten wurden – Milchleistung war da nur eines von mehreren Zuchtkriterien. Neben der Milch- dienten die Tiere auch der Fleischgewinnung, und viele Höfe hatten dafür nur eine beschränkte Menge an Flächen mit regional stark schwankender Bo-denqualität zur Verfügung. Sie benötigten also Rassen, die sich an die jeweiligen Bedingungen gut anpassen konnten. Darüber hinaus wur-den sie auch als Zugtiere gehalten, was zusätzliche Anforderungen an die Zucht stellte. Herausgebildet haben sich Rassen mit vielseitigen Ei-genschaften: gute Konstitution, Widerstandsfähigkeit gegenüber Krank-heiten, hohe Fruchtbarkeit, Standortangepasstheit, gute Futterverwer-tung, hohe Qualität der Produkte – lauter Eigenschaften, die sich heute jeder Landwirt wünscht und die Kunden, die sich bewusst ernähren, schätzen und suchen. „Man nennt solche Rassen auch Landschläge“, erzählt Reinhold Sonderhauser. “Das kommt daher, dass Tiere früher meist nur innerhalb einer bestimmten Region verkauft wurden. Dadurch

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Lesetipp

Der kulinarische Reiseführer „Essen statt vergessen“ nimmt seine Leserinnen und Leser mit auf eine kulinarische Entdeckungsreise quer durch Deutschland: Von Humptrup bis Unterammergau, von Skudde bis Vitelotte stellt das lie-bevoll gestaltete „Kochbuch der alten Sorten und Nutztiere“ viele in Vergessenheit geratene Pflanzen und Tiere vor und portraitiert ihre Erzeuger und deren Höfe. Leckere Rezept-vorschläge dazu gibt es inklusive von Spitzenköchen aus den jeweiligen Regionen. 300 Seiten, 29,90 €. Bezug über: Fields Corporate Responsibility, Karlplatz 7, 10117 Berlin oder per E-Mail über [email protected]

bildeten sich Linien heraus, die zum einen optimal an den Standort an-gepasst und damit auch in ökonomischer Hinsicht wertvoll waren, zum anderen wurden die Tiere repräsentativ für die jeweilige Gegend und hatten somit auch einen kulturhistorischen Wert.“

Zwischen Garten und Stall hat das Federvieh sein Refugium. Von den bayerischen Landgänsen, die Reinhold Sonderhauser hält, gab es 2013 nur noch rund 70 Exemplare. Sie waren früher in Franken, der Oberp-falz, Niederbayern und Schwaben weit verbreitet und sind eng verwandt mit der Graugans. Von der stammen auch viele ihrer Eigenschaften: Die bayerische Landgans ist eine genügsame, vitale Weidegans mit her-vorragenden Bruteigenschaften. Sie kann zwar fliegen, ist aber stand-orttreu und wird heute auch zur Beweidung in der Landschaftspflege eingesetzt. Ihr Fleisch hat eine sehr gute, feinfaserige und fettarme Be-schaffenheit, liefert dem Landwirt also bei minimalem Pflegeaufwand ein hervorragendes Produkt. Müsste so eine Rasse nicht einen Wett-bewerbsvorteil gegenüber den oft hochempfindlichen Zuchtgänsen haben? Vertreter der industriellen Tierhaltung würden das mit „Nein“ beantworten, denn bei ihnen geht es um möglichst große Gewichtszu-nahmen in möglichst kurzer Zeit unter Einsatz möglichst effizienter Pro-duktionsanlagen.

In der nachhaltigen Landwirtschaft sieht das anders aus. Hier wün-schen sich Produzenten und Kunden Lebensmittel, die im Einklang ste-hen mit dem Land, auf dem sie gedeihen und mit den natürlichen An-forderungen der Pflanzen und Tiere an diese Standorte. Das erfordert Vielfalt, denn jede Region bietet unterschiedliche Charakteristika: Ein Bergbauer im Allgäu sieht sich mit ganz anderen klimatischen und ge-ologischen Voraussetzungen konfrontiert als ein Milchbauer aus Nie-derbayern. Vielfalt erlaubt Nischen zu besetzen und auf Veränderungen zu reagieren. Und die gibt es bekanntlich zuhauf: Mit dem Klimawandel und seinen Wetterextremen beispielsweise kommen Tierrassen besser zurecht, die bei hohen Temperaturen nicht sofort in Hitzestress gera-ten. Auch der Landhunger der wachsenden Städte und Gemeinden ver-langt ein Umdenken: Durch den dramatischen Flächenschwund steigen die Preise für Pachtland, eine effektivere Nutzung von Land könnte für die Erzeuger attraktiv sein. Warum dann nicht im Hühnerstall eine Zwei-nutzungsrasse halten?

Die Sundheimer Hühner von Reinhold Sonderhauser sind eine solche Hühnerrasse, sie liefert beides: beste Fleischqualität und eine hohe Legeleistung – eine Kombination, die in der konventionellen Hühner-zucht ausdrücklich unerwünscht ist. Die Spezialisierung auf entweder Fleisch oder Eier bringt ökonomisch deutlich mehr Vorteile. Auch die Sundheimer stehen auf der roten Liste der bedrohten Arten in der Ka-tegorie 2 (stark gefährdet). Sie stammen ursprünglich aus Sundheim, Kreis Kehl am Rhein. Eigentlich war das Huhn wegen seiner hervor-ragenden Fleischqualität gezüchtet worden, aber der allgegenwärtige Mangel nach dem 2. Weltkrieg veranlasste die Sundheimer, auch die Legeeigenschaften durch Zucht zu verbessern. So entstand das heutige Zweinutzungshuhn. Dass das Sundheimer Huhn zudem auch eine wah-re Schönheit ist, sei hier nur am Rande bemerkt. „Die Menschen kennen ja nur das, was sie im Geschäft bekommen können. Viele wissen gar nicht, wie das, was sie essen, produziert wird“, sagt Reinhold Sonder-hauser. „Aber in den letzten Jahren hat ein Umdenken eingesetzt, immer mehr Leute sagen: Lieber esse ich nur einmal in der Woche Fleisch, da-für aber dann ein richtig gutes.“

Die Sorten- und Rassenverarmung in der Landwirtschaft führt zu einem Einheitsbrei auf unserem Teller. Nahrungsmittel stehen zwar in Massen und für wenig Geld zur Verfügung, aber die Fähigkeit der Konsumenten, geschmackliche Vielfalt und Qualität zu erkennen, geht dabei verloren. Viele kennen nur noch einen sehr kleinen Teil unserer Nutzpflanzen- und tiere, und die werden immer weniger, wenn sie von den Kunden nicht nachgefragt und gekauft werden. Wir empfehlen: Gehen Sie auf kulina-rische Entdeckungsreise! Auf Bauernmärkten, bei Direktvermarktern ab Hof und in gut sortierten Biomärkten findet man oft wahre Schätze. Aus-probieren lohnt sich. Und vor allem: Es schmeckt.

text Christiane Kretzer fotos Johannes Schubert

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herr then, bisher gab es ja vor allem Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen und tiere. aber auch immer mehr Patente auf nicht-gentechnisch veränderte Pflanzen und tiere werden erteilt. Was sind die Gründe dafür?Die Konzerne haben mit der Gentechnik das Patentrecht auf dem Saat-gutmarkt eingeführt. Bei gentechnisch verändertem Saatgut ist alles patentiert. Jetzt versuchen sie dieses Geschäftsmodell auch auf kon-ventionelle Züchtungen auszuweiten. Monsanto hat beispielsweise den größten Gemüsezüchter der Welt aufgekauft, die Firma Seminis und da-mit angefangen, deren neue Züchtungen patentieren zu lassen. Das ist vor allem für die kleineren europäischen Züchter ein Problem, die ja bis-her nicht mit gentechnisch verändertem Saatgut züchten und sich jetzt einer Monopolisierung und Patentierung der Sorten gegenübersehen.

Verbietet das europäische Patentamt nicht eigentlich aus-drücklich die Patentierung von Pflanzensorten aus konventio-neller Züchtung?Ja, aber diese bestehenden Patentverbote sind längst nicht mehr wirk-sam, weil sie das Europäische Patentamt regelmäßig komplett umgeht. Zwar dürfen auf den konventionellen Züchtungsprozess selbst keine Patente erteilt werden, aber auf die damit gezüchteten Pflanzen. Hat ein Patentinhaber aber sein Patent auf eine Tomate oder ein Schwein erst einmal bekommen, wird das eigentliche Zuchtverfahren vergleichswei-se unwichtig. Außerdem meint das Europäische Patentamt, so lange man nur einzelne Züchtungsmerkmale einer Pflanzensorte zum Patent anmelde, wie zum Beispiel eine Resistenz gegen das Pestizid Glypho-sat, sei das noch keine vollständige Sortenbeschreibung und deshalb

Immer mehr Patente werden auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere vergeben. Dr. Christoph Then von Bündnis „Keine Patente auf Saatgut!“ erklärt, was die Gründe

hierfür sind und wie sich Patente auf die Vielfalt in der Landwirtschaft auswirken.

Patentierte NaturUmweltinstitut München e.V. 12/201616

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Zur Person

Christoph Then beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit aktuellen Fragen der Gen-und Biotechnologie. Der promovierte Tierarzt ist Geschäftsführer von Testbiotech e.V. sowie einer der Koordinatoren des internationalen Bünd-nisses „Keine Patente auf Saatgut“ (www.no-patents-on-seeds.org). Er ist Mitbegründer der Initiative „Kein Patent auf Leben!“, war Mitarbeiter der Grü-nen und bis Ende 2007 Leiter des Bereiches Gentechnik und Landwirtschaft bei Greenpeace Deutschland.

möglich. Trotzdem hat dieses Patent dann eine sehr große Reichwei-te und erstreckt sich auf alle Pflanzen, die dieses Resistenz-Gen auf konventionelle Weise oder mittels Gentechnik hinein gezüchtet bekom-men haben.

Wozu führt die Patentierung von saatgut und Pflanzen in hin-blick auf die artenvielfalt in der landwirtschaft? Die agrarische Vielfalt wird durch zweierlei bedroht. Einmal dadurch, dass die großen Konzerne wie Monsanto, die die Marktkonzentration auf dem Saatgutmarkt vorantreiben, kein Interesse an regional ange-passtem Saatgut haben. Sie wollen globale Geschäfte machen, in mög-lichst kurzer Zeit viel Geld verdienen und kümmern sich nicht um Sor-ten, die auf regionale Besonderheiten eingehen, was kleinere Züchter durchaus tun. Die Absicht bei den Züchtungen ist bei den großen Fir-men also eine ganz andere.

Zum zweiten führen die Patente dazu, dass andere Züchter an das patentierte Saatgut ohne Erlaubnis des Patentinhabers nicht mehr he-rankommen können. Sie sind aber auf diesen Zugang zu einer möglichst großen biologischen Vielfalt angewiesen, um ihre Züchtungen fortführen zu können. Durch Patente geht der Wettbewerb verloren und die agra-rische Vielfalt zurück, weil mittelständischen Züchter nicht mehr wei-terarbeiten können und sich die großen Konzerne mit ihren Interessen durchsetzen.

Gibt es unterschiede bei den nutzpflanzen was den Grad der Pa-tentierung anbelangt?Bei der Weizenzucht spielen Patente in Europa noch keine große Rol-le, da gibt es noch viele mittelständische Pflanzenzüchter. Der Wei-zenmarkt ist hier auch noch nicht durchgängig mit Hybridsaaten be-setzt worden, also Saaten, die man nur einmal aussäen kann und dann nachkaufen muss und nicht mehr wie in früheren Zeiten selbst ver-mehren kann.

Bei Tomaten, Kohl und Paprika kann man aber sehen, wohin die große Marktkonzentration und Patentierungen führen. Nur zwei Firmen, Monsanto und Syngenta, kontrollieren bei diesem Gemüse etwa 50 Prozent der im Sortenregister verzeichneten Sorten. Insbesondere Mon- santo kauft kleine Unternehmen auf, benutzt deren Sorten für Neuzüch-tungen und lässt diese dann patentieren. Inzwischen gibt es hier über 1000 Patentanträge auf konventionelle Züchtungen.

auch die Brauerei carlsberg hat vor kurzem Patente auf kon-ventionell gezüchtete Gerste erhalten. Ein typischer Fall, wo die vergleichsweise triviale Züchtung der Gerste zu einem maßlosen Patentanspruch führt und der Patentschutz sämt-liche Schritte der Lebensmittelproduktion abdeckt: Anbau, Ernte und alle unter der Verwendung der gezüchteten Gerste entstandenen Le-bensmittel, also auch das damit gebraute Bier. Man könnte die züchte-rische Leistung auch mit einem Eintrag im Sortenschutz anerkennen. Denn schließlich wurde die Gerste selbst ja nicht neu erfunden, son-dern lediglich weiterentwickelt.

Was muss passieren, damit das europäische Patentamt seine Praxis ändert?Es gibt zwar einige Erfolge beim Einspruch gegen Patente auf Lebens-mittel und es sind auch schon einige Patente aufgrund des öffentli-chen Drucks zurückgezogen worden. Aber letztlich bedarf es einer po-litischen Lösung. Und da sehe ich in letzter Zeit einige Fortschritte. In der nationalen Gesetzgebung sind in Deutschland zum Beispiel die Pa-tentgesetze geändert worden und Patente auf konventionell gezüchtete Pflanzen und Tiere inzwischen ausdrücklich verboten. Auch andere eu-ropäische Länder ändern ihre nationalen Patentgesetze dahingehend. Auch das europäische Parlament und jüngst die europäische Kommis-sion sind auf diese Linie eingeschwenkt. Ich erwarte, dass der poli-tische Druck auf das Europäische Patentamt weiter wächst. Dort sind alle Mitgliedsländer in einem Verwaltungsrat vertreten, der über die kor-rekte Auslegung der Patente wachen soll. Dieser muss jetzt dafür sor-gen, dass die bestehenden Verbote wieder in Kraft gesetzt werden. Ich hoffe, dass es 2017 entsprechende Beschlüsse im Verwaltungsrat ge-ben wird. Die deutsche Bundesregierung hat ein Verbot von Patenten auf Pflanzen und Tieren aus konventioneller Züchtung sogar in ihrem Koalitionsvertrag stehen. Hier liegt es insbesondere an Bundesjustizmi-nister Heiko Maas, entsprechend im Verwaltungsrat des Europäischen Patentamts auf dieses Verbot hinzuwirken.

Vielen dank für das Gespräch!

interview Johannes Schubertfotos Christof Stache; Christoph Then

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JJedes Jahr am 22. Mai wird der Internationale Tag der Biolo-gischen Vielfalt gefeiert. Das Datum geht auf das erste UN-Über-einkommen zur biologischen Vielfalt zurück, das 1992 in Nairobi

formuliert wurde. Fast 25 Jahre liegt das nun zurück.Das Vogelkonzert im intakten Wald, der Teich als vielfältiges Öko-

system, die buntblühende Wiese mit Kühen und Schmetterlingen – Jahrzehnte hat es gedauert, ehe solche Visionen nicht mehr als romantische Schwärmerei von Anthroposophen und Naturfreunden ab-gestempelt wurden. Langsam, sehr langsam und nur unter dem Druck der Ereignisse hat sich die öffentliche Wahrnehmung in Bezug auf die Bedeutung unserer Ökosysteme gewandelt: Reaktorunfälle, Waldster-ben, Ölpest, Smogalarm, das Ozonloch, die Erderwärmung mit ihren klimatischen Folgen – all diese Katastrophen haben nicht nur viel Leid über die Menschen gebracht, sie haben für die Gesellschaft und Wirt-schaft vor allem eines verursacht: horrende Kosten.

Wieviel Geld ist eine intakte Umwelt wert?

Der Schritt, die Folgen von Umweltzerstörung als Kostenfaktor für be-triebswirtschaftliche Berechnungen zu berücksichtigen, wurde für po-litische und wirtschaftliche Unternehmungen unumgänglich. Er führte zwangsläufig dazu, den Wert einer intakten Umwelt zu ermitteln und dem gegenüberzustellen. Um die Frage: „Was ist eine intakte Umwelt wert?“ zu beantworten gab es aber bis 2005 keine Datengrundlage. Erst mit dem von der UNO veröffentlichten Bericht „Millennium Eco-system Assessment“ wird erstmals der Nutzen, den wir aus den Öko- systemen unseres Planeten ziehen, unter dem Begriff „Ökosystem-dienstleistung“ erfasst und beschrieben. Ökonomen und Mathematiker haben seither versucht, für diese Leistungen der Natur einen Geldwert zu ermitteln und den jeweiligen Bereichen zuzuordnen.

Die TEEB-Initiative „Naturkapital Deutschland“ greift diesen Ansatz auf und liefert mit der Inwertsetzung der Ökosystemdienstleistungen im

Tauziehen zwischen Umweltschutz und Wirtschaftsinteressen eine neue Diskussionsgrundlage. Dieses Vorgehen stellt viele bislang gültige be-triebswirtschaftliche Berechnungen auf den Kopf. Ein Beispiel: Eine 50 Jahre alte Buche erzielt auf dem Holzmarkt etwa 130-600 Euro, abhän-gig von Holzqualität, Lagerung, Bearbeitung und dem aktuellen Markt-preis. Das ist ihr wirtschaftlicher Wert. Rechnet man allerdings anteilig die Ökosystemdienstleistungen mit ein, die diese Buche im Lauf ihres Lebens erbringt, sieht die Rechnung ganz anders aus. Sie produziert Sauerstoff, dient als Erosionsschutz, erhält die Bodenfruchtbarkeit, re-gelt Luftfeuchtigkeit, Temperatur, den Wasserhaushalt und vieles mehr. Beziffert man all diese Leistungen mit einem Geldbetrag, so steigt der Wert dieser Buche von 600 Euro auf etwa 632.344 Euro ($ 710.260; GEA Studie 2014).

Leistungen von 125 Billionen Dollar pro Jahr

Die Methoden zur Inwertsetzung von Ökosystemdienstleistungen vari-ieren stark, entsprechend unterschiedlich sind die Ergebnisse und ent-sprechend kontrovers werden sie diskutiert. Die Zahlen können aus verschiedenen Gründen immer nur eine Annäherung sein, aber eines zeigen sie trotzdem sehr deutlich: Wir müssen unser Verständnis von wirtschaftlicher Rentabilität überdenken.

Etwa 125 Billionen US-Dollar pro Jahr sind die Dienstleistungen wert, die wir aus den weltweiten Ökosystemen beziehen (Robert Co-stanza et. al. 2014). Zum Vergleich: Das globale Bruttosozialprodukt be-trug 2015 etwa 75 Billionen US-Dollar. Wenn man sich das Portfolio der Ökosystemdienstleistungen anschaut, verwundern diese Zahlen nicht: Mikroorganismen im Waldboden filtern Regenwasser zu Trinkwasser, Bodenlebewesen sorgen für die Fruchtbarkeit von Äckern, Wiesenpflan-zen speichern unseren CO

2 Ausstoß, Wälder liefern Sauerstoff, Bienen

und Insekten bestäuben unsere Nahrungspflanzen, Auwälder verhin-dern Überschwemmungen – die Liste lässt sich schier endlos fortset-

Im Spannungsfeld zwischen Wirtschaftsinteressen, Wachstum und Umweltschutz zeichnet sich ein Perspektivenwechsel zu Gunsten der Ökosysteme ab. Den liefern aus-

gerechnet die Ökonomen

Lebens-Wert

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zen und macht eines klar: Funktionierende Ökosysteme sind das Funda-ment, auf dem wir leben. Alles, was wir tun, baut auf ihnen auf. Ohne sie gibt es keine wirtschaftliche Produktivität, keine Nahrung, keine Gesund-heit, kein Überleben. Das Motto des diesjährigen Internationalen Tags der biologischen Vielfalt mutet da fast wie eine Binsenweisheit an: „Bio- diversität ist die Grundlage von Gesellschaft und Wirtschaft“.

Der UN-Konvention zur Biologischen Vielfalt CBD zufolge erleben wir aktuell das größte Artensterben seit den Dinosauriern. Von den der Wis-senschaft bekannten rund zwei Millionen Arten sterben täglich bis zu 150 aus, die Dunkelziffer liegt vermutlich deutlich höher. Die Gründe dafür sind meist mensch-gemacht, und auch wenn die Bedeutung der Biodiversität mittlerweile ein zentrales politisches Thema geworden ist, bleibt zu befürchten, dass die wirtschaftlichen Interessen dieses funda-mentale Versorgungssystem weiterhin aushöhlen.

Ein lukrativer Markt

Die Erkenntnis, dass Umweltschutz kein Wachstumsverhinderer und keine Wirtschaftsbremse ist, wird zwar mittlerweile von weiten Be-reichen der Gesellschaft akzeptiert. Ein Grund dafür mag sein, dass die Bekämpfung der globalen ökologischen Probleme einen boomenden Markt für grüne Labels, Umwelttechnologien und alternative Energie-erzeugung geschaffen hat. Aber sehr oft funktioniert dieser Markt eben nach den gleichen Prinzipien wie alle anderen Märkte auch: Er bietet Lö-sungen für einzelne Probleme, die gleichzeitig an anderer Stelle Scha-den anrichten. Nicht die Erkenntnis der Schutzbedürftigkeit unserer Um-welt, sondern Wachstum und Optimierung sind die Triebfeder. Auf diese Weise entsteht ein unguter Kreislauf, bei dem die Schadensverursa-cher einen lukrativen Markt für die Problemlöser liefern. Das System erhält sich somit selbst. Vor allem aber täuscht es über die eigentliche Aufgabenstellung hinweg: Wie muss sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern, damit wir perspektivisch unsere Lebensgrundlage erhalten können? Wie nutzen und verteilen wir Ressourcen? Wie lässt sich Kon-sumverhalten ändern? Wie definieren wir künftig Teilhabe und Besitz?Die Antworten auf diese Fragen sind so vielfältig wie die Interessen, Prioritäten und Weltanschauungen unserer Weltgemeinschaft. Begriffe wie Ethik, Verantwortung und Nachhaltigkeit sind mit dem Erhalt der biologischen Vielfalt und ihrer Ökosysteme eng verbunden, und nicht zuletzt deswegen stößt ein Preisschild für die Dienstleistungen der Öko-systeme auf Kritik: Das Naturkapital wird ausschließlich aus einer Nut-

zungsperspektive des Menschen definiert, und wenn man es auf einen Geldbetrag reduziert, wird es zur Ware. Und mit Waren handelt man be-kanntlich, mit Waren macht man Profit. Damit entzieht sich die Poli-tik ein Stück weit ihrer Verantwortung und überlässt das Thema den Kräften des Markts. Trotzdem liefert die Überlegung, welchen Geld-wert unsere Ökosysteme haben, die schlagkräftigen Argumente für ih-ren Schutz: In einer gemeinsamen Währung lassen sich Potentiale ganz ohne weltanschauliche Vorbehalte vergleichen. Und die Gegenüberstel-lung zeigt deutlich: Wirtschaftliche Produktivität, die zu Lasten der Öko-systeme geht, wird in der Kosten-Nutzen-Bilanz für den Menschen im-mer unrentabel sein.

Den Lebensmotor unserer Erde in Dollar-Beträgen abzubilden heißt letztendlich, den Wert des Lebens zu beziffern, was nicht möglich ist. Aber: In einer Welt, in der sich das Argument der Wirtschaftlichkeit am Ende fast immer durchsetzt, sollte das gigantische ökonomische Poten-tial der Ökosystemdienstleistungen das (sehr laute) letzte Wort haben. Ihr Schutz und ihr Erhalt ist – ausnahmsweise mal tatsächlich – alter-nativlos.

text Christiane Kretzerfotos Flickr: NYC Tom; jodage

**Quelle: GEA Studie 2014

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Flaschengarten

ein großes, luftdicht verschließbares Glas

Zierkies

frische Blumenerde

eine Gießkanne mit Wasser

langsam wachsende, kleinePflanzen

Mit einem eigenen Flaschengarten können wir ein simples Ökosystem nachstellen. Noch dazu ist es ein schöner Zimmerschmuck, der keiner Pflege von außen bedarf.

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Anleitung

1. Befüllen des GlasesZuerst wird eine dünne Kiesschicht in das Glas gefüllt, die den Boden komplett bedecken sollte. Anschließend wird eine doppelt so hohe Schicht frische Blumenerde auf dem Kies verteilt, in welche die Pflanzen gepflanzt werden. Der Pflanzengarten wird leicht angegossen und das Glas ge-schlossen. Wählen Sie kleinwüchsige und gesunde Pflan-zen wie zum Beispiel Bromilien, Moose, Farne, Efeu, Mini-palmen oder Orchideen aus. Achten Sie darauf, dass sich die Pflanzen nicht überdecken oder quetschen. Nun muss das Glas noch richtig platziert werden: An den Platz sollte ausreichend Sonne kommen, richten Sie sich hier nach den Bedürfnissen der Pflanzen.

2. Wasser und Wassermenge:Kochen Sie das Wasser zuerst ab, bevor Sie die Pflanzen damit einmalig gießen. Sind die Glaswände des Flaschen-gartens morgens beschlagen und nachmittags trocken, so ist die Wassermenge optimal. Sind die Glaswände jedoch morgens und nachmittags beschlagen, so befindet sich zu viel Wasser im Flaschengarten. In diesem Fall sollten Sie den Deckel öffnen, damit etwas Wasser verdampfen kann. Wenn die Glaswände morgens und nachmittags trocken sind, so befindet sich zu wenig Wasser im Flaschengarten. Bitte gießen Sie dann etwas nach.

Wie funktioniert ein Flaschengarten?

Durch das Sonnenlicht erzeugen Pflanzen tagsüber durch Fotosynthese Traubenzucker, dabei wird Kohlenstoffdioxid in Sauerstoff umgewandelt. Da Pflanzen auch Sauerstoff atmen, sie nachts aber keinen produzie-ren können, wird insgesamt Kohlenstoffdioxid ausgestoßen. Der rest-liche Sauerstoff wird von Kleinstlebewesen und Bakterien verbraucht.

Dadurch kann das Ökosystem im Glas funktionieren und es entsteht ein Gleichgewicht. Mit ein wenig Glück lebt der Flaschengarten jahrelang ohne eigenes Zutun auf Ihrem Fensterbrett.

text Samira Jacoby, Tobias Vogl fotos Verena Kattinger ZeichnunG Samira Jacoby

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Gerät das Edelweiß ins Schwitzen?

Der Klimawandel lässt heute schon die Alpen wärmer werden. In den Höhenlagen geht es den Pflanzen dort plötzlich prächtig. Aber genau das könnte zum Problem

für manche Arten werden

Der Nationalpark Berchtesgaden. Hier fliegen Steinadler durch die Luft, Bergsteiger erklimmen den Watzmann und Besucher erfreuen sich an einer außergewöhnlichen Vielfalt an Pflan-

zen und Tieren. Doch im einzigen Alpennationalpark Deutschlands ist die besondere Artenvielfalt schon heute von den Folgen des Klimawan-dels und der damit verbundenen Erderwärmung betroffen. Ganz beson-ders gilt dies für die Pflanzenarten, die dort in den alpinen Hochlagen zu Hause sind und in ihrem Wachstum und ihrem Verbreitungsgebiet direkt oder indirekt durch niedrige Temperaturen begrenzt werden. Denn hier oben am Berg, wo viele Pflanzenarten nahe an ihrer Kältegrenze exis-tieren, wirken sich Temperaturveränderungen auf die Vegetation stärker und unmittelbarer aus als in tieferen Lagen.

Der Temperaturanstieg ist durch Messungen klar belegt. Wie genau er sich bei den Pflanzen in den höheren Lagen bemerkbar macht, wird seit mehreren Jahren wissenschaftlich unter die Lupe genommen. Die For-schungsarbeiten konzentrieren sich dabei auf alpine Kalk-Magerrasen, da sie zu den flächenmäßig bedeutsamsten Vegetationseinheiten ober-halb der Baumgrenze gehören. Beim Vergleich von historischen mit ak-tuelleren Pflanzenerhebungen, die regelmäßig auf fest markierten Dau-erbeobachtungsflächen durchgeführt werden, konnte man feststellen, dass sich dort seit Mitte der 1980er Jahre die Artenzahl pro Aufnah-mefläche durchschnittlich um mehr als zehn Arten erhöht hat. Dieser

Anstieg beruht dabei im Wesentlichen auf einer Häufigkeitszunahme von Arten, die typisch für die Kalk-Magerrasen Vegetation sind. Zu den „Gewinnern“ gehören beispielsweise Frühlings-Enzian, Scheuchzers Glockenblume oder die Kugelige Teufelskralle. Noch trifft man kaum auf Pflanzen, die ihre Verbreitung eigentlich in tieferen Lagen haben.

Steckt tatsächlich die Erwärmung dahinter?

Verändern sich Pflanzen und Pflanzenpopulationen, kann das die ver-schiedensten Ursachen haben. Die Veränderungen können von dem Pflanzenbestand selber verursacht (endogen) oder aber von außen aus-gelöst werden (exogen). Ist es tatsächlich der Klimawandel, der im Fal-le der untersuchten Areale im Nationalpark für die Zunahme der Arten-anzahl verantwortlich ist? Um andere Faktoren auszuschließen, wurden verschiedene mögliche Einflussfaktoren untersucht, zum Beispiel durch Erwärmungsexperimente oder Stickstoffmessungen. Als Ergebnis stand letztlich fest, dass der Klimawandel tatsächlich der wahrscheinlichste und hauptsächliche Verursacher dieser Veränderungen ist.

Alles prima mit dem Klima?

Kurzfristig profitieren also die einzelnen Pflanzen in den beobachteten Gebieten des Nationalparks durch die Temperaturerhöhung. Sie wach-

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sen und vermehren sich besser dank der günstigeren Lebensbedin-gungen. Negative Auswirkungen sind kurzfristig dagegen so gut wie nicht zu beobachten.

Mittelfristig führen die Folgen der Temperaturerhöhungen und die günstigeren Bedingungen für die einzelnen Pflanzen zu einer Verände-rung der ganzen Pflanzenpopulation. Durch die Erwärmung und die da-mit verbundene gesteigerte „Fitness“ der Individuen können sich of-fenbar viele Arten erfolgreicher vermehren und ihren Lebensraum ausweiten. Auch mittelfristig überwiegen also offensichtlich weiterhin die positiven Effekte der Temperaturerhöhung, während negative Ef-fekte wie die Verdrängung konkurrenzschwacher Arten kaum beobach-tet werden können.

Wie wirkt sich die Klimaerwärmung langfristig auf die Vegetation und die Biodiversität der untersuchten alpinen Pflanzenbestände aus? Die-se Frage kann ohne weitere Forschungen noch nicht abschließend beantwortet werden. Es scheint allerdings nur eine Frage der Zeit zu sein, bis sich Arten aus tieferen Lagen wie der Bergwaldstufe oder der Krummholzzone in die höheren Lagen ausbreiten und sich dort dauer-haft etablieren. Erste Anzeichen dafür findet man auch im Nationalpark Berchtesgaden schon. Junge Lärchen und Fichten haben sich während der letzten Jahre bereits auf den alpinen Magerrasen angesiedelt. Ob es zu einer dauerhaften Verschiebung dieser Baumarten auf diese Hö-henstufen kommt, kann derzeit noch nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Wäre dies der Fall, sind negative Effekte wie Artenrückgänge allerdings vorprogrammiert, da viele lichtbedürftige alpine Pflanzenar-ten einer Beschattung durch Jungbäume im wahrsten Sinne des Wortes nicht gewachsen wären.

Ob es tatsächlich zu einem Wandel der Pflanzengesellschaften in der alpinen Stufe kommt und welche Folgen diese Veränderungen für das Gesamt-Ökosystem Alpen letztlich haben wird, können wir nur durch ein konsequentes Monitoring klären und beurteilen. Die Dauerbeobach-tungsflächen des Nationalparks werden uns dafür auch künftig diese wichtigen Erkenntnisse liefern.

text Dr. Thomas Kudernatsch, Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) fotos Nationalpark Berchtesgaden; Thomas Kudernatsch

Zur Person

Dr. Thomas Kudernatsch ist Mitarbeiter an der Bayerischen Landesan-stalt für Wald und Forstwirtschaft (LWF) und in den Aufgabenbereichen Bio-diversität, Naturschutz und Jagd tätig. Seit mehreren Jahren beschäftigt er sich intensiv mit der Vegetationsdynamik alpiner Pflanzenbestände im Nati-onalpark Berchtesgaden.

12/2016Münchner Stadtgespräche Nr. 75 23

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